KU N STGE S C H I C HTE
Wo Gott hockt Stühle und andere Sitzgelegenheiten sind nicht nur bequem, sie werden auch zur Inszenierung von Macht eingesetzt. Eine Kunsthistorikerin untersucht das Phänomen – von alten Thronen bis «Sofagate» und Putin hoch zu Ross.
Text: Simona Ryser
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rei Personen – eine Frau, zwei Männer – betreten den Raum. Es stehen nur zwei Stühle im Zentrum. Die Männer setzen sich, die Frau, nach einem kurzen irritierten «Ähm?», begibt sich abseits aufs Sofa. Nein, hier handelt es sich nicht um ein Sesselspiel unter Erwachsenen, sondern um einen öffentlichkeitswirksamen Vor fall auf dem Parkett der Spitzenpolitik, der unter dessen unter dem Schlagwort «Sofagate» kursiert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte für das Treffen EU – Türkei im April nur zwei Stühle vorgesehen, auf die sich er und EU-Rats präsident Charles Michel setzten. Die Dritte im Bunde, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, musste auf dem Sofa Platz nehmen, das abseits stand.
Hausherr Erdogan «Diese Szene zeigt exemplarisch, wie selbst heute noch mit Stühlen und Sitzordnungen Macht insze niert werden kann», sagt Sabine Sommerer vom Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich. In ihrem vom Forschungskredit der UZH geför derten Habilitationsprojekt untersucht sie, wie im Mittelalter mit Sitzgelegenheiten Herrschaft dar gestellt, erwirkt und ausgeübt wurde. Da gibt es eine lange Tradition. «Erdogan handelte ganz nach mittelalterlichem Brauch», erklärt sie. Als Hausherr sei er derjenige, der die Sitzordnung und das Pro tokoll festlegen darf – auch wenn es gegen bestimm te Konventionen verstösst. So blamierte und pro vozierte Erdogan seine Gäste mit einfachsten Mitteln vor der ganzen Welt und führte die EU-Spit
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UZH magazin 2 / 21
Dame im Abseits: «Sofagate» zeigte diesen Frühling, wie mit Sitzordnung
zenpolitikerin und den EU-Spitzenpolitiker sozu sagen vor versammeltem Publikum auf der Bühne des Politiktheaters vor. Er zeigte demonstrativ, wer der Boss ist. Sabine Sommerer liest das «Sofagate»-Foto wie ein mittelalterliches Herrscherbild: Die Haupt achse ist auf die beiden Stühle im Zentrum ausge richtet, auf denen Erdogan und Michel sitzen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sitzt weiter vorne auf dem Sofa, auf gleicher Höhe wie der türkische Aussenminister Mevlüt Çavuşşoğ ğlu. So entsteht der Eindruck, sie sitze tiefer. Genau diese Hierarchie kennt man aus mittelalterlichen