UZH Magazin 2/21

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D O SSI E R — Wie der Mensch zur Sprache kam

ACTIONFILME FÜR AFFEN Unser Hirn neigt dazu, Ereignisse als Kausalitäten wahrzunehmen. Wissenschaftlerinnen und Wissen­ schaftler des NFS «Evolving Language» erforschen nun im Basler Zoo, ob das bei Menschenaffen auch der Fall ist. In dieser Fähigkeit könnte der Ursprung der Grammatik liegen.

Text: Roger Nickl

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icht nur wir Menschen, sondern auch Affen lieben Actionfilme. Filmszenen, in denen etwas Spannendes passiert – etwa wenn ein Art­ genosse einen anderen angreift oder zwei miteinander streiten. Im Basler Zoo werden Schimpansen, Goril­ las und Oran-Utangs interessante Szenen aus dem Affenalltag auf einem Videoscreen vorgespielt. Um die Tiere zum freiwilligen Zuschauen zu animieren, sind vor dem Bildschirm eine Plexiglasscheibe und eine Saugvorrichtung mit einer Art Schnuller an­ gebracht, aus dem sie zuckerfreien Sirup nuckeln können, den sie so sehr lieben. So nippen die Affen also den süssen Saft und betrachten die kurze Film­ sequenz, die ihnen per Video vorgespielt wird. Dabei verfolgt ein mit einer Infrarot-Lichtquelle ausgerüsteter Eyetracker jede kleinste Bewegung ihrer Augen. Mit unkonventionellen Experimenten erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni­ versitäten Neuenburg und Zürich im Zoo Basel ge­ meinsam die Grundlagen der Grammatik. «Unsere Hypothese ist, dass der Ursprung der Grammatik in der Fähigkeit liegt, Geschehnisse in der Welt struk­ turiert wahrzunehmen», sagt der Biologe, Kognitions­ wissenschaftler und Professor an der Universität Neuenburg Klaus Zuberbühler, der die Forschung im Basler Zoo leitet. Wir Menschen tun dies in einer ganz bestimmten Weise: Wir verstehen Ereignisse – bei­ spielsweise «ein Brot essen» oder «eine Flasche vom Boden aufheben» – immer so, dass jemand – ein Agens, wie die Forschenden sagen – etwas tut und so auf

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etwas anderes – ein Patiens – auf eine bestimmte Art und Weise einwirkt. In Experimenten mit Eyetracker manifestiert sich das folgendermassen: Beobachten wir eine Szene, schauen wir zuerst auf das Agens, dann auf das Patiens und schliesslich zwischen beiden hin und her – und das alles innerhalb einiger weniger Millisekunden.

KAUSAL-DETEKTOREN IM KOPF Dieses Wahrnehmungsmuster widerspiegelt sich in der Sprache. So sagen wir deutsch etwa «Die Frau isst ein Brot» oder «Das Kind hebt die Flasche auf». Das Grundprinzip von Agens und Patiens zeigt sich in allen Sprachen weltweit. «Sie konstruieren Ereignisse alle auf sehr ähnliche Weise, auch wenn sie das Agens unterschiedlich stark betonen», sagt UZH-Sprachwis­ senschaftler Balthasar Bickel, der an der Forschung beteiligt ist, «die Asymmetrie von Agens und Patiens steuert unglaublich viel bis in die Details der Gram­ matik.» Deshalb könnte dieses Prinzip am evolutionären Ursprung der Grammatik stehen. Es könnte das Funda­ ment sein, auf dem die Sätze der Sprachen dieser Welt aufbauen. «Wir vermuten, dass das alles bereits in unserer vorsprachlichen Wahrnehmung verankert ist», sagt Bickel, «wir nehmen die Welt in den Kate­ gorien von Agens und Patiens wahr.» So haben Experi­ mente gezeigt, dass bereits Kinder, denen auf einem Bildschirm zwei sich zufällig bewegende Punkte gezeigt wurden, das Verhalten dieser Punkte so deuteten, dass der eine den anderen jagt. «Unser Gehirn neigt dazu, Kausalitäten zu sehen», sagt Klaus Zuberbühler, «wir haben sozusagen Kausal-Detektoren in unserem Kopf.» Die Forschenden gehen im Basler Zoo nun der Frage nach, ob es solche «Detektoren» auch in den Köpfen unserer nächsten Verwandten im Tierreich gibt. Nehmen die Menschenaffen Ereignisse ähnlich strukturiert wahr wie wir oder ganz anders? Wäre Ersteres der Fall müssten sich die mit dem Eyetracker analysierten Wahrnehmungsmuster von Menschen und Affen gleichen. Damit die Forscherinnen und Forscher diese Fragen untersuchen können, gehen die Schimpansen, Gorillas und Oran-Utangs im Bas­ ler Zoo nun zuweilen ins Kino. Diesselben Videosequenzen haben die Sprachund Kognitionswissenschaftler aber auch Studieren­ den der UZH vorgespielt und dabei ihre Augenbe­we­ gun­gen mit Eyetracker analysiert. Nun werden die Daten aus dem Basler Zoo mit denen der Studierenden verglichen. Resultate stehen noch aus. «Sollte sich aber zeigen, dass die Wahrnehmungsmuster ähnlich sind, liesse sich daraus schliessen, dass das Affenhirn prinzipiell bereit wäre für Grammatik», sagt Klaus Zuberbühler. Weshalb dieses Potenzial ungenutzt geblieben ist, wäre dann die nächste Frage, die geklärt werden muss.


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