Die landschaft des wattenmeers

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GEZEITEN UND LANDSCHAFT

DIE LANDSCHAFT DES WATTENMEERS EINE MISCHUNG AUS WASSER, SAND, SCHLAMM UND SCHMUTZ

Ungestörte Marschbildung in der Ho Bucht und dem Varde Auental. Das Gebiet des Wattenmeeres ist nur ein kleiner Teil Dänemarks, doch hier liegen einige der interessantesten und dynamischsten Quadratkilometer des Landes – auch aus internationaler Perspektive. Das Wattenmeer ist das Gebiet zwischen den insgesamt 23 Wattenmeerinseln sowie dem Festland und erstreckt sich über rund 500 km von Blåvandshuk in Dänemark bis Den Helder in den Niederlanden. Das Wattenmeer mit seinen etwa 8.000 km2 bildet die weltweit längste ununterbrochene Küstenstrecke aus Sand- und Schlammflächen, 850 km2 davon sind dänisch. Das Gebiet wurde in einer Kombination aus eiszeitlicher Ablagerung von Sand und Kies, aus Gezeiten, Wellen, Schlamm, Pflanzen und einer schier unfassbaren Menge an Tierexkrementen geschaffen. Erst spät in der Entwicklung des Wattenmeeres begann sich ein ganz anderer, aber entscheidender Faktor, im Wattenmeer Geltung zu verschaffen – das Streben des Menschen nach neuem Land und Schutz.

Es begann in der Eiszeit

Die frühe Geschichte des Wattenmeeres wurde von den letzten Eiszeiten geprägt, als gigantische Eispanzer große Teile Nordeuropas bedeckten und die Landschaft unter sowie vor sich veränderten. Die vorletzte Eiszeit (Saale-Eiszeit) gipfelte vor etwa

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HERBST

WINTER

140.000 Jahren in Nordeuropa. Als das Eis sich zurückzog, entstand das jetzige Wattenmeergebiet als hügelige Landschaft, wie wir sie vom östlichen Dänemark her kennen. Der Wasserpegel stieg und das Gebiet nahm als Küstenlandschaft mit Buchten, Meerengen und Belten (Meeresstraßen in Dänemark) Gestalt an. Die Reste dieser Landschaft, die Sandrücken, erscheinen heute als Hochebenen am Wattenmeer und besitzen eine eigene lokale Bezeichnung: Geesten. Die letzte Eiszeit (Weichsel-Eiszeit) endete vor etwa 11.500 Jahren, doch diesmal gelangte das Eis ’nur’ bis etwa 80 km östlich des Wattenmeergebietes. Der Nordseebereich war trockengelegt und zeigte sich als eine von Kräutern und Zwergsträuchern bewachsene Tundra. Diese Vegetation zog Rentiere und Auerochsen an, was wiederum die ersten Stein­ zeitjäger in die Gegend lockte. Dem Eispanzer entsprangen Schmelzwasserflüsse, die sich durch die Sandrücken ihren Weg bahnten und auf ihrem Weg zum Eiszeitmeer Sand und Kies

Ulrik G. Lützen, Vadehavets Formidlerforum & Søren R. Jessen, Naturstyrelsen Vadehavet Übersetzung: Jakob Jonia, ORDBRUGET

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Früher wurden Lahnungen angelegt in denen sich Sand und Lehm ablagerte, um damit neuen Land zu gewinnen. mit sich führten. Die riesigen Mengen an Sand und Kies legten sich als ein dicker ebener und sich nach Westen neigender Pulk zwischen die Sandrücken und ließen die Landschaft als flache Ebene erscheinen.

Die Inseln entstanden

Als sich das Eis vom Land zurückzog, stiegen die Weltmeere wieder an und überschwemmten vor etwa 8.000 Jahren die Jagdgründe der Steinzeitvölker, also jenes Gebiet, das wir als Nordsee kennen. Jetzt übernahmen Gezeiten, Wind und Wellen die Funktion als Gestalter der Landschaft. Die Nordseewellen führten Sand mit sich zurück an die Küste, wodurch riesige Flächen entstanden, die mit der Zeit eine solche Höhe erreichten, dass sie nur noch selten überschwemmt wurden – eine weitere Landschaftsform des Wattenmeeres entstand: die Hochsande. Die trockengelegten Hochsande wurden von Dünenpflanzen besiedelt, die den Flugsand zwischen ihren Stängeln einfingen. So entstanden die ersten Dünen und damit die Wattenmeerinseln. Die jeweiligen Positionen der Inseln hängen davon ab, wie eng die Tiefs der Gezeiten beieinanderliegen. Im zentralen Teil des Wattenmeeres, in der Deutschen Bucht, wo der Tidenhub sein Maximum von 4 m erreicht, liegen die Tiefs so dicht zusammen,

Neues Material für das Wattenmeer Bis zu 70 Millionen Tonnen Lehm und Sand werden jedes Jahr ins Wattenmeer geführt – und nur 3–5 % davon abgelagert.

dass sie keinen Platz für Inseln lassen. Im dänischen Teil des Wattenmeeres, wo der Tidenhub geringer ist­ (1 ½–2 m), liegen die Tiefs hingegen weit genug auseinander, so dass Platz entsteht für die Inseln Rømø, Mandø und Fanø sowie für die Halbinsel Skallingen. Dort, wo die Inseln entstanden, wirkten sie als Bar­ rieren gegen die raueren Gewässer der Nordsee und schützten die dahinterliegende Landschaft.

Anhäufung durch Tiere und Wachstum durch Pflanzen

Im dänischen Teil des Wattenmeeres spülen etwa 2 km3 Wasser bei jeder Flut durch die Tiefs hindurch und führen riesige Mengen an Sand und Lehm mit sich in die Lagune zwischen Inseln und Festland. Ein Teil des Materials (3–5 %) wird in den ruhigeren Gewässern abgelagert, sogar Lehmpartikel können sich hier anhäufen, und zwar mithilfe des Pflanzen- und Tierlebens im Wattenmeer. Auf den ­Schlammflächen leben viele Bodentiere, z. B. Muscheln und Schnecken, die im Zuge ihrer Nahrungssuche Wasser und Lehmpartikel filtern. Die fei-

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Die Vertiefung des Grådyb hat das natürliche Gleichgewicht von Abtragen und Ablagerung im Fahrwasser verändert. nen Partikel wandern durch die Tiere hindurch und kommen als Exkremente wieder ans Licht, die derart grobkörnig sind, dass Wellen und Strömungen sie kaum weitertransportieren können. Damit hat das Tierleben keinen geringen Anteil daran, dass die Schlammflächen zunehmend widerstandsfähiger werden gegen den Abtrag durch das Meer. Auf der östlichen Seite der Inseln und zwischen den Sandrücken entstand die Marsch, als sich salzbeständige Pflanzen auf den höher gelegenen Teilen des Watts ansiedelten. Bei Überschwemmungen fangen die Pflanzen durch eine Herabsenkung der Fließgeschwindigkeit des Wassers Lehmpartikel auf, sowohl direkt auf den Stängeln als auch ­zwischen den einzelnen Pflanzen. Das aufgefangene Material lässt die Marsch jedes Jahr durchschnittlich um etwa 4 mm anwachsen.

Der Mensch

Die Marschgebiete haben mit ihrer Fruchtbarkeit schon früh Menschen angezogen, die sich in relativer Sicherheit vor Sturmfluten auf den höher gelegenen Geesten ansiedelten. Als weiteren Schutz gegen das Meer begann man im Mittelalter, die ersten Deiche in der Tonderner Marsch (Tøndermarsken) anzulegen. Heute sind nur die Marsch bei der Ho Bugt und die Varde-Aue (Varde Ådal) nicht eingedeicht, und so haben die meisten Marschgebiete ihre natürliche Entwicklung im Zuge jährlicher Über-

Ausbaggern des Grå Dyb Der Esbjerger Hafen wurde unter anderem angelegt, weil die Schiffe durch Grådybet eine günstige Zufahrt hatten, doch mit größeren und mehr Tiefgang auf­ weisenden Schiffen musste die Segelrinne ausgebaut werden. Dies hat die natürliche Entwicklung im Gebiet beeinflusst, und die Küsten an der Südspitze Skallingens und im Norden Fanøs ziehen sich zurück, weil sie jenes Material abgeben, mit dem der Strom und die Wellen die Segelrinne (wieder) zuschütten.

Die Dämme verändert die Landschaft Durch den Bau der Dämme nach Rømø und nach Sylt wurden die von den Gezeiten betroffenen Gebiete um das Lister Tief abgeriegelt, und die Strömungsverhältnisse in der Gegend veränderten sich.

schwemmungen und Materialzuführungen eingebüßt. Als die technologische Entwicklung es ermöglichte, begann der menschliche Abdruck auf der Landschaft zuzunehmen. Die Vertiefung der Segelrinne durch Grådyb bei Esbjerg und der Bau der Dämme bei Rømø und Sylt sind Beispiele der Entwicklung einer Infrastruktur, die das natürliche Gleichgewicht zwischen Abtrag und Ablagerung in weiten Gebieten verschoben hat.

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Die Zukunft

Im Wattenmeer steigt der Wasserpegel derzeit mit etwa 2,2 mm pro Jahr. Dies bedeutet, dass die Marsch an den meisten Stellen dem steigenden Meerwasserpegel folgen kann. Die Forscher sind daher vorsichtig optimistisch, dass die Marsch und die Wattflächen auch dann noch mithalten können, wenn das Meer

Erleben ... Sandrücken - Die Sandrücken gibt es z. B. bei Hjerpsted und Marbæk. Hochsande - z. B. Koresand westlich von Mandø und Jordsand bei Hjerpsted. Schlammflächen - Die Schlammflächen des Wattenmeeres können bei Ballum, Emmerlev Klev, Juvre auf Rømø und vom Parkplatz zwischen Kongeåen und Sneum Å aus betrachtet werden. Uneingedeichte Marschen - bei der Ho Bugt, auf Oksbøl zu, bei Skallingen und Råhede.

schneller ansteigt. Die Dynamik des Wattenmeeres ist von hoher Komplexität, und es ist sicher, dass die Landschaft nicht so bleibt, wie wir sie heute kennen. Die Landschaft des Wattenmeeres war nie stabil und wird es nie sein – es ist eine Landschaft in steter Veränderung.

Mehr zu entdecken ... NaturKulturVarde

Gl. Skovfogedbolig Roustvej 111 DK-6800 Varde T: +45 75 22 22 50 E: nkv@naturkulturvarde.dk W: www.naturkulturvarde.dk

Varde Museum Kirkepladsen 1 DK-6800 Varde

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Das Fischerei- und Seefahrtsmuseum Tarphagevej 2-6 DK-6710 Esbjerg V. T: +45 76 12 20 00 E: fimus@fimus.dk W: www.fimus.dk

Vadehavscentret Okholmvej 5 Vester Vedsted DK-6760 Ribe

T: +45 75 44 61 61 E: info@vadehavscentret.dk W: www.vadehavscentret.dk

Museum Sønderjylland - Højer Mølle Møllegade 13 DK-6280 Højer

T: +45 75 44 61 61 E: hoejer@museum-sonderjylland.dk W: www.museum-sonderjylland.dk/hojer-molle.html

Naturcentret Tønnisgård Havnebyvej 30 DK-6792 Rømø T: +45 74 75 52 57 E: info@tonnisgaard.dk W: www.tonnisgaard.dk

Tipps zum Weiterlesen ... Über Vadehavets Formidlerforum VFF ist ein Zusammenschluss von Institutionen, ­welche die Natur und die Kulturgeschichte des Watten­ meeres vermitteln. Die Hauptaktivität des Forums ­besteht ­darin, Projekte zu initiieren und zu koordinieren, welche die Natur wie auch die Kulturgeschichte des Wattenmeeres in den Mittelpunkt stellen.

Gezeiten im Wattenmeer Sturmfluten an der Wattenmeerküste Die strandwiesen des Wattenmeers Das leben im Watt

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