ISSN 1432-4334 JAHRGANG 27 HEFT 1 Januar 2018
FÜR PHARMAKOLOGIE UND THERAPIE
JOURNAL OF PHARMACOLOGY AND THERAPY
Osteopathische Medizin – Inanspruchnahme von Gesundheitseinrichtungen in Deutschland: eine prospektive Patientenbefragung Gangunsicherheit, Fallneigung und Frakturen – Hyponatriämie als Ursache bedenken Proximale Muskelschwäche und Hyper-CK-Ämie – Red flags für Morbus Pompe HER2-positives Mammakarzinom: Optimierte Therapie durch doppelte Antikörper-Blockade Inotuzumab Ozogamicin: Therapiefortschritt bei rezidivierter oder refraktärer B-Vorläufer-ALL Maviret®– die neue Generation der Hepatitis-C-Therapie Therapiefortschritt beim Lungen- und Blasenkrebs dank PD-L1-Blockade mit Atezolizumab Durchbruch in der Behandlung der FLT3-mutierten AML mit Midostaurin
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EDITORIAL
Ja, ich weiß schon, eigentlich bevorzugt der Duden die Variante „Interessenkonflikt“. Das klingt aber, finde ich, so nach Konflikt der Interessen. Zwei Interessen haben aber für gewöhnlich gar keinen Konflikt miteinander, es sind vielmehr Menschen, in denen Interessen aneinander geraten. Und da fokussiert mein Bauchgefühl beim „Interessenskonflikt“ weniger auf die Interessen als auf den Konflikt. Nun denn, das Problem ist immerhin nicht neu. Schon die antike Sagenwelt ist voll von solchen inneren Konflikten, die klassische Literatur kulminiert in Faustens Klage: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. Und in der zeitgenössischen (medizinischen) Literatur ist der „conflict of interest“ eine feste Größe am unteren Ende jeder Publikation, die etwas auf sich hält. Kein Wunder, dass auch das Deutsche Ärzteblatt der Außenwelt intrinsische Qualität, Professionalität und Stil damit beweist, dass es den Interessenkonflikt als „ceterum censeo“ an alles klebt, was sich den Anschein der Wissenschaftlichkeit gibt. Allein im Jahr 2017 unter 373 Artikel, das macht bei 44 Heften 8,5 Interessenkonflikte pro Heft. Typischerweise „beichten“ die Autoren dann ihre lässlichen Sünden, etwa dass sie von einem Sponsor ein Honorar für einen Vortrag bekommen haben, dass ein Kongressbesuch unterstützt worden ist etc. Erstaunlich viele aber haben gefühlt eine blütenreine Weste: „Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt“. Will sagen, dass er/sie den Beitrag wohl in einer Art Anfall von platonischer Liebe zur Wissenschaft verfasst hat. So geschehen bei einem ungeprüften Meinungsbeitrag („Dieser Artikel unterliegt nicht dem PEER-Review-Verfahren“) zum Thema Leitlinien zur arteriellen Hypertonie [1].
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Zwickmühle Interessenskonflikt Der Autor setzt sich darin durchaus kritisch mit der aktuellen amerikanischen Hypertonie-Leitlinie auseinander, der zufolge bereits ab 120/80 mmHg eine „manifeste Hypertonie“ vorliegt [2]. Nachvollziehbar, dass dafür die für diese Leitlinie Verantwortlichen nichts springen lassen. Der Autor ist trotzdem immer und automatisch in einem Interessenskonflikt, und zwar in einem viel fundamentaleren als dem, den Autoren im Auge haben, wenn sie sich in der entsprechenden Spalte gegenüber dem Herausgeber erklären sollen. „Hypertoniezentrum München HZM“ steht da pikanterweise in der Zeile unter dem Namen des Autors im Ärzteblatt. Mit anderen Worten: Die schiere wirtschaftliche Existenz des Autors ist untrennbar verbunden mit dem Thema Hypertonie. Es liegt mithin auf der Hand, dass eine Leitlinie, die den Grenzwert für eine manifeste Hypertonie auf 180/100 mmHg festlegen würde, für den Autor existenzbedrohend wäre. Umgekehrt (und das ehrt den Autor) bedeutet jede Absenkung des Grenzwerts potenziell eine Art warmen Regen für das eigene Geschäft: Der Anteil der Behandlungs„bedürftigen“ in der Bevölkerung steigt, bereits Behandelte müssen (können) intensiver behandelt werden! Allgemein gilt: Jede Äußerung, jede wissenschaftliche Aktivität in dem Bereich der Medizin, der die Basis der eigenen Existenz darstellt, birgt automatisch einen permanenten, inhärenten Interessenskonflikt in sich. In konfirmatorischen klinischen Studien wird allein schon das Wissen von
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Prof. Dr. med. K.-L. Resch, Bad Elster
Behandler oder Patient um die Gruppenzugehörigkeit (z.B. Verum oder Placebo) als inakzeptabler Verzerrungseinfluss („Bias“) gehandelt. Was aber wäre die Alternative – und könnte sie überhaupt einen Vorteil haben? Nun, aus dem Dargestellten ließe sich zwanglos die Feststellung (und damit die Forderung) ableiten, dass die Rubrik Interessenkonflikt lautererweise überhaupt nur dann leer bleiben dürfte, wenn für den Autor das Thema wirtschaftlich keinerlei Relevanz hat, also z.B. Hobby oder (außerberufliche) Leidenschaft ist, oder aber lediglich eine von neutraler Seite initiierte „Auftragsarbeit“ ist. Das gibt es in der Praxis tatsächlich, oder, besser gesagt, nicht in der Praxis, sondern in der Wissenschaft. Da ergehen sich seit vielen Jahren zuhauf „Experten“ in Themen, zu denen ihnen jede fachliche („professionelle“) Grundlage fehlt. Leider ist dieses © VERLAG PERFUSION GMBH
INHALT
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Phänomen zunehmend gerade in Ebenen zu beobachten, die die Spielregeln für die Ausübung der „good clinical practise“ maßgeblich beeinflussen. Autoren von Leitlinien, HTAs (health technology assessments) und systematischen Reviews verlassen sich auf ihre technischen Fertigkeiten im Handling der Funktion der erweiterten Suche in Pubmed, der Anwendung von generischen Checklisten etc. und konstatieren auf der Basis dessen, was ihnen ins Netz gegangen ist nach immer gleichen formalen Prozeduren, ob eine ärztliche Interaktion oder Therapie gut oder böse ist. Leider scheinen davon inzwischen auch Cochrane oder unser SGB V-Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nicht mehr verschont ... Da ist mir einer, der bei seinem (klinischen) Leisten bleibt (oder auch sich über lange Zeit „hobbymäßig“ mit einem Thema beschäftigt) und tatsächlich weiß, wovon er spricht, allemal lieber. Für Menschen, die medizinische Hilfe brauchen, ist nicht nur der Nutzen ungleich größer, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass er de facto eine Gefahr darstellt, ungleich kleiner. Karl-Ludwig Resch, Bad Elster
Quellen 1 Middeke M. Arterielle Hypertonie: Das Leid mit den Leitlinien. Dtsch Arztebl 2017;114:A-2344 2 Whelton PK et al. Guideline for the Prevention, Detection, Evaluation, and Management of High Blood Pressure in Adults. Hypertension. 2017 Nov 13 (PMID: 29133356)
ORIGINALARBEIT Osteopathische Medizin – Inanspruchnahme von Gesundheitseinrichtungen in Deutschland: eine prospektive Patientenbefragung Karl-Ludwig Resch
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS Gangunsicherheit, Fallneigung und Frakturen – Hyponatriämie als Ursache bedenken
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Proximale Muskelschwäche und Hyper-CK-Ämie – Red flags für Morbus Pompe
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HER2-positives Mammakarzinom: Optimierte Therapie durch doppelte Antikörper-Blockade
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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL Inotuzumab Ozogamicin: Therapiefortschritt bei rezidivierter oder refraktärer B-Vorläufer-ALL
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Maviret®– die neue Generation der Hepatitis-C-Therapie 21 Therapiefortschritt beim Lungen- und Blasenkrebs dank PD-L1-Blockade mit Atezolizumab
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Durchbruch in der Behandlung der FLT3-mutierten AML mit Midostaurin
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RUBRIKEN Wissenswertes 24 Kongresse 31
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ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Im Rahmen ei ner Kooperation beteiligten sich 27 osteopathische Praxen in Deutschland an einer Beob achtungsstudie des von der A.T. Still University, der Gründungs universität der Osteopathie, initiierten Forschungsnetzwerks DO-touch.NET. Methoden: Am Tag der Erstkon sultation erhielten die Patienten einen die eigentliche Studie ergän zenden Fragebogen mit 6 Fragen zu den Motiven und Umständen, die ihrer Entscheidung, eine os teopathische Praxis aufzusuchen, zu Grunde liegen. Die Einschluss kriterien für die eigentliche Studie waren die Behandlung in einer eigeninitiativ aufgesuchten osteo pathischen Praxis, die schriftliche Einverständniserklärung und ein Alter von mindestens 18 Jahren. Ergebnisse: 464 Teilnehmer be antworteten den Fragebogen. 404 (87,3 %) davon suchten nicht zum ersten Mal einen Osteopathen auf. 370 (79,7 %) hatten mit ihrem ak tuellen Problem zuvor einen Arzt konsultiert bzw. waren bei einem Arzt in Behandlung, 10 (2,2 %) waren zuvor ausschließlich bei einem Heilpraktiker und 5 gaben als Motiv sinngemäß „Alternative zur Schulmedizin“ an. Freunde/ Bekannte hatten bei 321 Teil nehmern (69,3 %) eine positive Empfehlung gegeben. Auf die Frage nach dem aktuell wich tigsten Problem wurden im Mittel 1,56 Probleme genannt, wobei der muskuloskelettale Bereich mit 265 Nennungen als erstes (58,1 %) deutlich vor dem neurologischen Bereich (inkl. Schmerz ohne konkrete Zuordnung) mit 73 Nennungen (16,0 %) lag. Diskussion: Das Gros der Teil nehmer wandte sich offensichtlich zunächst an „übliche“ Leistungs
Osteopathische Medizin – Inanspruchnahme von Gesundheitseinrichtungen in Deutschland: eine prospektive Patientenbefragung Karl-Ludwig Resch Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Bad Elster
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or etwa 25 Jahren begann, vor allem aus Frankreich und Belgien kommend, die Osteopathie als medizinischer Ansatz in Deutschland Fuß zu fassen. Bereits vor gut 10 Jahren hat sich die Bundesärztekammer erstmals mit wissenschaftlichen Aspekten der Osteopathie (und standespolitischen Implikationen für Deutschland) beschäftigt [1], wozu der Autor eines der beiden Hauptgutachten beigetragen hat [2]. Nachdem lange Zeit osteopathische Behandlungen fast ausschließlich durch die Behandelten selbst bezahlt werden mussten, hat in letzter Zeit zunehmender Druck seitens der Patienten dazu geführt (einige mögliche Gründe lassen sich aus der vorliegenden Untersuchung ableiten), dass gesetzliche Krankenkassen ihren Mitgliedern seit Kurzem in begrenztem Umfang (und mit heterogenen Rahmenbedingungen) osteopathische Behandlungen ermöglichen. Mittlerweile hat auch die Zahl der Anbieter von Osteopathie stark zugenommen. Während aber in einer Reihe westlicher Länder wie England, Frankreich, Australien und
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Neuseeland Osteopathen als eigener Heilberuf in Koexistenz mit anderen Heilberufen die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherstellen, gibt es in Deutschland bislang noch keinen entsprechenden, offiziell anerkannten Beruf. Für die Bezeichnung „Osteopath“ gibt es somit auch weder ein verpflichtendes Curriculum noch staatlich kontrollierte Abschlüsse und daher für Menschen, die sich osteopathisch behandeln lassen möchten, auch keine verlässliche Sicherheit bezüglich der Qualifikation des Behandlers. Die Tatsache, dass die osteopathische Medizin (bislang) in Europa kaum akademisch verankert ist, erklärt, warum trotz bemerkenswerter Eigeninitiative und Engagement vorwiegend praktisch ausgebildeter „Osteopathen“ in Deutschland [3] und anderswo [4], klinische und Grundlagenforschung bislang nicht Schritt halten konnten mit den klassischen Bereichen der universitär verankerten Medizin. Seit gut 10 Jahren unterstützt nun die Gründungsuniversität der Osteopathie, die A.T. Still University (Kirksville, USA), die Akademisierung der © VERLAG PERFUSION GMBH
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erbringer und suchte erst dann Hilfe in einer osteopathischen Praxis. Dies lässt den Schluss zu, dass wohl typischerweise die Erfolgserwartungen nicht erfüllt worden waren. Umgekehrt lässt sich aus dem hohen Anteil „Os teopathie-erfahrener“ Teilnehmer und der ebenfalls hohen Empfeh lungsrate aus dem persönlichen Umfeld folgern, dass konkrete Erwartungen ein wesentliches Motiv für die Entscheidung für eine osteopathische Konsultation/ Behandlung waren. Die Ergeb nisse geben wertvolle Hinweise für künftige Forschungsinitiativen und begründen die Notwendigkeit der staatlichen Anerkennung eines adäquat definierten Berufsbilds Osteopath. Schlüsselwörter: Osteopathie, Umfrage, Gründe und Motive für die Konsultation
SUMMARY Background: Twenty-seven Ger man osteopaths joined an obser vational study of an international osteopathic research network (DO-touch.NET) lead by A.T. Still University (Kirksville, Missouri, USA), the founding university of osteopathy. Methods: Clients who were 18 years or older and had given writ ten consent to participate were provided with a questionnaire complementing the study instru ments, which consisted of 6 ques tions concerning their motives and circumstances for seeking help from an osteopath.
osteopathischen Medizin in Europa und hat in diesem Zusammenhang vor etwa 2 Jahren den Verband der Osteopathen Deutschlands (VOD) als exklusiven Kooperationspartner mit den organisatorischen Aufgaben und der Information rund um das Forschungsnetzwerk DOTouch.NET [5] sowie der Durchführung von Forschungsprojekten, Initiierung von Mitgliedertreffen und der Erhebung von Daten beauftragt [6, 7]. Im Zuge eines Projekts von DOTouch.NET wurden Patienten, die mit einem „neuen“ Problem Rat und Hilfe in einer osteopathischen Praxis suchten, begleitend zu ihren Motiven und Umständen befragt, die der Entscheidung zur Konsultation einer osteopathischen Praxis zu Grunde lagen. Eine von der „Mutterstudie“ unabhängige Auswertung dieses Fragebogens wurde jetzt vorgenommen mit dem Ziel, auf Deutschland bezogene Aussagen zur Inanspruchnahme osteopathischer Leistungen zu generieren und daraus empirische Erkenntnisse zu potenziellen klinischen Domänen sowie zur aktuell diskutierten Notwendigkeit der Etablierung eines eigenständigen Berufs „Osteopath“ abzuleiten. Material und Methoden
Im Jahr 2015 konkretisierten sich Überlegungen, das DO-Touch. NET-Forschungsprojekt „Patientreported Adverse Events from Osteopathic Manipulative Treatment“ [8], bei dem in den USA seit 2014 Daten von mehreren tausend Patienten erfasst wurden, auch in Deutschland zu realisieren. In diesem Zusammenhang wurde durch den VOD als koordinierende Stelle das Originalstudienprotokoll
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der EKO („Ethikkommission der Osteopathen Deutschlands“) vorgelegt und mit einigen Empfehlungen bzw. Auflagen genehmigt. Eine der beiden wesentlichen Empfehlungen bestand darin, die deutsche Version des Instrumentariums durch eine „Erhebung von Informationen zu den Motiven und Umständen, die der Entscheidung der Patienten zu Grunde liegen, eine osteopathische Praxis aufzusuchen“ zu ergänzen, u.a. um für die am Ende vorgesehene vergleichende Auswertung der Daten aus den USA und Deutschland, insbesondere für die „(differenzielle) Interpretation der Ergebnisse“ zu erwartende Unterschiede zwischen den Setting-Voraussetzungen hilfreiche/notwendige Anhaltspunkte an die Hand zu bekommen. Setting
Praktizierende VOD-Mitglieder, die seit Beginn der Kooperation dem DO-Touch.NET-Netzwerk beigetreten waren, konnten an der Studie teilnehmen. Durch die Mitgliedschaft sollte gewährleistet werden, dass die teilnehmenden Osteopathen den höchsten in Deutschland festgelegten Ausbildungsstandards genügen, d.h. eine mindestens 4- bis 5-jährige berufsbegleitende osteopathische Ausbildung mit mindestens 1350 Unterrichtseinheiten oder eine fünfjährige Vollzeitausbildung mit über 5000 Unterrichtseinheiten absolviert haben. Patienten
Die teilnehmenden Osteopathen sollten Patienten, die (mit ihrem aktuellen Problem) einen ersten Termin in der jeweiligen Praxis © VERLAG PERFUSION GMBH
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Results: Questionnaires were available from 464 participants, 404 (87.3 %) of which were not naïve to osteopathic medicine. Prior consultation and/or treat ment by a physician was indicated by 370 (79.7 %), 10 (2.2 %) had only consulted a CAM practition er (“Heilpraktiker”), and 5 stated to be looking for an “alternative to mainstream medicine”. Posi tive recommendations by friends were reported by 321 participants (69.3 %). When asked to name their “most important actual problem”, 1.56 problems were listed on average. For 265 partici pants (58.1 %) a musculoskeletal problem was ranking first, as was a neurological problem (including pain not otherwise specified) for 73 participants (16.0 %). Discussion: Most participants had obviously contacted usual care providers (namely physicians and/or physiotherapists) in the first place, and only subsequently approached an osteopath. Unmet expectations can be considered a core thriving factor. High propor tions of participants with previous osteopathic experience and high prevalence of positive recommen dations on the other hand may in dicate that the decision to consult an osteopath was an expression of tangible expectations. Altogether, results give valuable suggestions for further research initiatives, and substantiate the necessity of legal recognition of a sensibly tailored profession of osteopaths in Germany.
vereinbart hatten, zur Teilnahme an der DO-Touch.NET-Studie einladen. Einzige Bedingungen für die Teilnahme waren: • ein Alter von mindestens 18 Jahren am Tag der Erstkonsultation • eine osteopathische Behandlung soll durchgeführt werden bzw. wird bereits durchgeführt • das Vorliegen des schriftlichen Einverständnisses zur Teilnahme Frage(boge)n
In Zusammenarbeit zwischen dem VOD und der AfO entstand ein kurzer Fragebogen mit insgesamt
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6 Fragen (Abb. 1). Dabei wurde besonderer Wert darauf gelegt, durch dieses zusätzliche Instrument den Ablauf der eigentlichen Studie möglichst wenig zu beeinflussen, insbesondere auch nicht zu verkomplizieren oder durch eine wesentliche Ausweitung des Umfangs für die Patienten spürbar weniger überschaubar bzw. zeitlich aufwendiger zu machen. Deshalb waren die meisten Fragen in strukturierter Form vorgegeben, allerdings, wo immer sinnvoll, ergänzt durch die Möglichkeit des Eintrags von Freitext. Zur quantitativen Abschätzung der „aktuellen Wahrnehmung der Beschwerden“ wurde eine Numerische Ratingskala angeboten (Spannbreite: 0–10,
Key words: osteopathy, survey, rationale and motives for the consultation
Abbildung 1: Originalfragebogen. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2018 · 27. JAHRGANG
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Intervall: 1). Der Fragebogen war vor Beginn des Einsatzes positiv auf seine Handhabbarkeit und Akzeptanz getestet worden. Ethikvotum
In Deutschland gibt es bis heute nur für Ärzte die Pflicht, „Studien am Menschen“ vor Beginn der experimentellen Phase einer Ethikkommission zur Begutachtung vorzulegen. Umgekehrt sind die Ethikkommissionen der Landesärztekammern bzw. der medizinischen Fakultäten der Universitäten in Deutschland nach eigenem Bekunden auch nur für von Ärzten eingereichte Studienprotokolle zuständig. Da in den letzten 15 Jahren die klinische Forschung zu Themen der osteopathischen Medizin quantitativ und qualitativ deutlich zugenommen hat, ergab sich auch im nicht-ärztlichen Bereich die zunehmende Notwendigkeit, Studienprotokolle von einer gleichermaßen unabhängigen wie fachkompetenten Ethikkommission beurteilen zu lassen. Deshalb hat die Akademie für Osteopathie e.V. (AFO) 2009 eine solche Ethikkommission initiiert. Die Satzung und Zusammensetzung der Ethikkommission der Osteopathen Deutschlands (EKO) sind im Internet einsehbar [9], ein Antragsformular kann dort heruntergeladen werden. Statistik
Strukturierte Antwortmöglichkei ten wurden von vorneherein kodiert erfasst. Freitexteingaben wurden zunächst als solche erfasst, nach kompletter Dokumentation gesichtet und, soweit prima vista eindeutig differenzierbar (Frage 2, Option „Sonstige“), ebenfalls
kodiert, bei Frage 6 nach Bildung semantischer Cluster. Für Freitext eingaben der Frage 4 wurde mit erster Nennung eines Problems, das einer klassischen medizinischen Fachrichtung zuordenbar war, diese Fachrichtung aufsteigend mit der nächst freien Ziffer für die dritte Stelle vor dem Komma und das konkrete Problem mit aufsteigenden ganzen Zahlen kodiert (z.B. 601, 602 etc.). Eigene Kategorien wurden zudem gebildet für Probleme im Bereich Diagnostik, sonstige Probleme sowie nicht zuordenbare Probleme. Danach erfolgte eine deskriptive Analyse aller einzelnen Fragen, die in einem weiteren Schritt ergänzt wurde durch Matrizenbildung qualitativ angelegter Fragen mit Quartilen der Frage 4 (Schwere der Beschwerden). Da in Frage 4 nach „dem wichtigsten Problem“ gefragt wurde, wurde angenommen, dass bei Nennung mehrerer Probleme das subjektiv wichtigste auch als erstes genannt wurde. Deshalb wurden in einem ersten Schritt ausschließlich die an erster Stelle genannten Probleme berücksichtigt. In einer zweiten Analyse wurden die ersten bis zu 3 angegebenen Probleme rangunabhängig analysiert. Von der Anwendung statistischer Testverfahren wurde abgesehen, um die geplante, strikt deskriptive Natur der Analyse nicht zu konterkarieren. Die Rohdaten wurden mit Microsoft Excel 2013 erfasst und unmittelbar bzw. mit SPSS 12.0 ausgewertet. Ergebnisse
Von den seit Beginn der Kooperation dem DO-Touch.NET-Netzwerk beigetretenen knapp 100 VOD-Mitgliedern beteiligten sich
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de facto 27, also gut jeder Vierte, an der Studie, die im August 2017 abgeschlossen wurde. Insgesamt konnten Fragebogen von 464 Patienten in die vorliegende Analyse einbezogen werden, die ihr Einverständnis zur Teilnahme an der DO-touch.NET-Studie gegeben hatten und in diesem Zusammenhang auch den ergänzenden Fragebogen ausgefüllt hatten. Die zu Grunde liegende Studie befindet sich derzeit in der Analysephase, Ergebnisse liegen noch nicht vor. Daten der DO-touch. NET-Studie wurden im Rahmen der Auswertung des ergänzenden Fragebogens nicht berücksichtigt. Frage 1 wurde in allen 464 Fragebögen beantwortet. Bei Frage 2 wurde von 50 Teilnehmern keine der 3 vorgegebenen Optionen angekreuzt, einer dieser Teilnehmer ergänzte eine andere Therapieform, 49 äußerten sich nicht zu dieser Frage. Bei Frage 3 wurde von 19 Teilnehmern keine der 4 vorgegebenen Optionen angekreuzt. Bei Frage 5 wurde von 16 Teilnehmern keine der Optionen 0–10 angekreuzt. Bei Frage 6 kreuzten 462 Teilnehmer mindestens 1 Option an. Von der Möglichkeit zusätzlicher, nicht strukturierter Informationen („Freitext“) wurde bei der Frage 2 von 27 (5,8 %) der Teilnehmer Gebrauch gemacht, bei der Frage 4 von 457 Teilnehmern (98,5 %) und bei der Frage 6 von 32 Teilnehmern (6, 9 %). Zu den einzelnen Fragen konnten folgende Antworthäufigkeiten beobachtet bzw. Antwortkonstellationen berechnet werden: Frage 1: Sind Sie zum ersten Mal beim Osteopathen? Von den insgesamt 464 Befragten gaben 60 (12,7 %) an, zum ersten © VERLAG PERFUSION GMBH
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Abbildung 2: Antworten auf Frage 2. PT = Physiotherapeut, HP = Heilpraktiker.
Mal eine osteopathische Praxis aufzusuchen, 404 (87,3 %) verneinten dies. Damit hatten ziemlich genau 7 von 8 Patienten einschlägige osteopathische Vorerfahrungen. Frage 2: Waren Sie mit Ihren Be schwerden schon bei einem Arzt, Heilpraktiker oder Physiothera peuten? In Frage 2 wurden die Teilnehmer explizit eingeladen, ggf. mehrere der 3 vorgegebenen Fachberufe (Arzt, Physiotherapeut, Heilpraktiker) anzukreuzen bzw. andere Fachberufe handschriftlich zu ergänzen. 50 Teilnehmer entschieden sich für keine der 3 vorgegebenen Berufsgruppen und benannten auch keinen anderen Beruf. Annähernd ein Drittel der Teilnehmer (n = 148)
hatte mit ihrem aktuellen Problem vor dem Aufsuchen der osteopathischen Praxis ausschließlich einen Arzt konsultiert, ein weiteres knappes Drittel (n = 146) zusätzlich auch einen Physiotherapeuten und jeder Sechste (n = 76) über diese beiden hinaus zusätzlich auch noch einen Heilpraktiker (Abb. 2). Insgesamt hatten damit von den 464 Teilnehmern 370 (79,7 %) einen Arzt konsultiert (bzw. waren bei einem Arzt in Behandlung), nur etwa jeder fünfte Teilnehmer (n = 94) suchte damit aktuell Rat und Hilfe bei einem Osteopathen, ohne seine aktuelle Problematik vorher von einem Arzt zumindest abklären zu lassen, und nur etwa jeder zehnte Teilnehmer (n = 50) ohne vorherigen Kontakt mit zumindest einer der 3 explizit genannten Berufsgruppen. Der An-
Schwere der aktuellen Beschwerden ►
teil der Teilnehmer, die vor dem aktuellen Kontakt zum Osteopathen nur einen oder auch einen Heilpraktiker aufgesucht hatten, lag bei 19,8 % (n = 92). Bei einer weitergehenden Analyse, die die vorausgegangenen Konsultationen vor dem Hintergrund der in Frage 5 angegebenen Schwere der aktuellen Beschwerden untersuchte, lagen die ärztlichen Konsultationsraten weitgehend unabhängig davon bei ca. 80 % (und damit der Anteil der Teilnehmer, die wegen ihrer aktuellen Beschwerden keinen Arzt aufgesucht hatten, ebenfalls konstant um 20 %). Demgegenüber waren die Konsultationsraten beim Heilpraktiker bei mittleren Beschwerden am höchsten (23,0 %) und bei starken Beschwerden am niedrigsten (14,3 %), während Vorkonsultationen beim Heilpraktiker insgesamt einen klaren inversen Zusammenhang zur Schwere der aktuellen Beschwerden erkennen ließen (Tab. 1). Frage 3: Auf wessen Empfehlung hin sind Sie gekommen? 19 der insgesamt 464 Teilnehmer der Befragung kreuzten keine der 4 vorgegebenen Antwortmöglichkeiten an. Am meisten Zustimmung
Keine
Leichte
Mittlere
Starke
Keine Vorkonsultation
4 (16 %)
19 (11,3 %)
15 (8,4 %)
4 (5,2 %)
Arzt
20 (80 %)
132 (78,6 %)
143 (80,3 %)
63 (81,8 %)
▼ Vorher konsultiert
Kein Arzt
5 (20 %)
36 (21,4 %)
35 (19,7 %)
14 (18,2 %)
Heilpraktiker
6 (24 %)
31 (18,5 %)
41 (23 %)
11 (14,3 %)
25 (5,4 %)
168 (36,2 %)
178 (38,4 %)
77 (16,6 %)
Gesamtzahl (% von allen Teilnehmern; n = 464)
Einstufung der Beschwerden (Frage 5): 0 = keine bis 10 = maximal schlimm. Hier: 1–3 = leichte, 4–6 = mittlere, 7–10 = starke Tabelle 1: Vorkonsultation und Schwere der aktuellen Beschwerden.
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fand die Option „Freunde/Bekannte“ mit insgesamt 321 Nennungen (69,3 %), gefolgt von der Option „Internet/sonstige Werbung“ mit 75 Nennungen (16,2 %) und fast gleichauf die Option „Arzt“ mit 73 Nennungen (15,7 %). 18 Teilnehmer (3,9 %) kamen aufgrund von Empfehlungen eines osteopathischen Fachverbands (Tab. 2). Da Mehrfachnennungen nicht ausgeschlossen waren, wurden auch alle möglichen 14 Kombinationen der 4 vorgegebenen Items analysiert. 406 der 445 Teilnehmer (91,2 %), die sich zu Frage 3 geäußert hatten, hatten exakt eine der 4 vorgegebenen Optionen angekreuzt. Die Mehrfachantworten beziehen sich fast alle entweder auf die Kombinationen „Arzt und Bekannte/Freunde“ (n =22,
4,9 %) bzw. „Internet/Werbung“ und „Bekannte/Freunde“ (n = 11, 2,5 %). Frage 4: Was ist aus Ihrer Sicht das wichtigste Problem, warum Sie jetzt in die osteopathische Praxis kommen? In Frage 4 fanden die Teilnehmer keine strukturierten Vorgaben vor, vielmehr konnten sie mit ihren eigenen Worten beschreiben, was sie subjektiv als das wichtigste Problem ansahen bzw. weshalb sie sich aktuell dazu entschieden hatten, eine osteopathische Praxis aufzusuchen. Von den insgesamt 464 Teilnehmern machten 8 (1,7 %) zu Frage 4 keine Angaben. Von den übrigen 456 Teilnehmern benannten 249
(54,6 %) mehr als ein „wichtigstes Problem“ (190 nannten 2 und 58 nannten 3 „wichtigste Probleme“). Das entspricht einem Durchschnitt von 1,55 „wichtigsten Problemen“ pro Teilnehmer mit Stellungnahme zu Frage 4. Bei Zuordnung der Probleme zu verschiedenen medizinischen Fachgebieten wurden an erster Stelle Probleme aus dem Bereich „muskuloskelettale Erkrankungen“ genannt (265 Nennungen an erster Stelle bzw. 431 [von insgesamt 705] Nennungen an erster, zweiter und/oder dritter Stelle), gefolgt von Problemen aus dem Bereich der Neurologie (n = 73 bzw. n = 112). Eine Übersicht über die medizinische Zuordnung zu medizinischen Bereichen gibt Tabelle 3.
Schwere der aktuellen Beschwerden ►
Keine Leichte Mittlere Starke ▼ Vorher konsultiert Arzt 4 (16 %) 28 (16,2 %) 24 (13 %) 13 (15,7 %) Freunde/Bekannte 17 (68 %) 113 (65,3 %) 127 (68,6 %) 53 (63,9 %) Fachverband der Osteopathie 2 (8 %) 5 (2,9 %) 9 (4,9 %) 2 (2,4 %) Internet/sonstige Werbung 2 (8 %) 27 (15,6 %) 25 (13,5 %) 15 (18,1 %) Gesamtzahl 25 (5,4 %) 173 (37,1 %) 185 (39,7 %) 83 (17,8 %) (% von allen Teilnehmern; n = 464) Einstufung der Beschwerden (Frage 5): 0 = keine bis 10 = maximal schlimm. Hier: 1–3 = leichte, 4–6 = mittlere, 7–10 = starke. Prozentzahlen bei den 4 Empfehlungskategorien = jeweilige Anteile innerhalb des Schweregradstratums; Prozentzahlen in der Zeile Gesamtzahl = Anteil an der Gesamtteilnehmerzahl im jeweiligen Schweregradstratum Tabelle 2: Empfehlungen und Schwere der aktuellen Beschwerden. Medizinische Zuordnung der aktuellen Beschwerden Muskuloskelettal Neurologisch Magen/Darm Atemwege Diagnostik Gynäkologie Urogenital Sonstiges Nicht zuordenbar Gesamtzahl Nennungen
Nennung an erster Stelle
Nennung an erster, zweiter, dritter Stelle
265 (58,1 %) 73 (16,0 %) 11 (2,4 %) 2 (0,4 %) 2 (0,4 %) 1 (0,2 %) 1 (0,2 %) 6 (1,3 %) 95 (20,8 %) 456
431 (61,1 %) 112 (15,9 %) 23 (3,3 %) 4 (0,6 %) 2 (0,3 %) 2 (0,3 %) 2 (0,3 %) 8 (1,1 %) 121 (17,2 %) 705
Tabelle 3: Häufigkeit der Nennungen der aktuellen Beschwerden, zugeordnet zu medizinischen Bereichen.
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Frage 4, Bereich „muskuloskelettale Probleme“ In einer zweiten Analyse der Frage 4 wurden die ersten bis zu 3 Probleme rangunabhängig analysiert. Auch in diese Analyse wurden die 456 Datensätze einbezogen, für die mindestens 1 „wichtigstes Problem“ benannt wurde. Prozent angaben bei den Ergebnissen dieser Analyse beziehen sich auf die Grundgesamtheit der Teilnehmer (n = 464). Die Detailbetrachtung des in Frage 4 am häufigsten genannten Problembereichs („muskuloskelettale Probleme“) ergab, dass von den insgesamt 464 Teilnehmern 149 (32,1 %) kein diesem Bereich zugeordnetes Problem benannten, 205 (44,2 %) ein diesem Bereich zugeordnetes Problem benannten, weitere 80 Teilnehmer (17,2 %) 2 und weitere 22 Befragte (4,7 %) 3 diesem Bereich zugeordnete Probleme als
ihr(e) wichtigstes/n Problem(e) benannten. Die einzelnen angegebenen Beschwerden wurden, soweit möglich, einer Region oder einem Gelenk zugeordnet. Bei etwa 10 % der Angaben war dies nicht möglich. Einen Überblick über die 20 am häufigsten genannten Regionen/ Gelenke gibt Tabelle 4. Rücken, Halswirbelsäule, Lendenwirbelsäule, Schulter und Brustwirbelsäule belegten dabei die Plätze 1, 2, 3, 4 und 8. Diese 5 Probleme wurden von 172 Teilnehmern an erster und insgesamt 267 mal genannt, das entspricht 66,2 % der an erster Stelle genannten muskuloskelettalen Probleme und 63,3 % aller genannten muskuloskelettalen Probleme. Damit sind diese 5 Probleme auch für insgesamt knapp 40 % aller aufgeführten Probleme verantwortlich (37,7 % der an erster Stelle bzw. 37,9 % der an erster, zweiter und/oder dritter Stelle genannten Probleme).
Lokalisation/Differenzierung der aktuellen Beschwerden Rücken Halswirbelsäule Lendenwirbelsäule Schulter Iliosakralgelenk Fußbereich Becken Brustwirbelsäule Bandscheibenvorfall Gelenke Knie „Asymmetrie“ Hüfte Hände/Finger Kiefer/Zähne Untere Extremität Unfall Degenerative Problematik Obere Extremität „Muskuläre Probleme“ ohne Spezifizierung
Frage 4, Bereich „neurologische Probleme“ Die Detailbetrachtung des zweithäufigsten Problembereichs („neurologische Probleme“) zeigte, dass von den insgesamt 464 Teilnehmern 357 (76,9 %) kein diesem Bereich zugeordnetes Problem benannten, 102 (22,0 %) 1 diesem Bereich zugeordnetes Problem und weitere 5 Teilnehmer (1,1 %) 2 diesem Bereich zugeordnete Probleme als ihr(e) wichtigstes/n Problem(e) benannten. 73 Teilnehmer (15,7 %) benannten 1 dem Bereich der Neurologie zuordenbares Problem an erster Stelle, darunter auch 4 der 5 Teilnehmer, die noch ein zweites neurologisches Problem anführten (Tab. 5). Erwähnung finden sollte die Vorgehensweise, dass die Benennung von „Schmerzen“, ohne dass gleichzeitig eine weitergehende Spezifizierung angeboten wurde, die die Zuordnung zu einem be-
Nennung an erster Stelle (n = 260) 63 (24,2 %) 46 (17,7 %) 28 (10,8 %) 28 (10,8 %) 9 (3,5 %) 7 (2,7 %) 7 (2,7 %) 7 (2,7 %) 6 (2,3 %) 6 (2,3 %) 6 (2,3 %) 4 (1,5 %) 4 (1,5 %) 3 (1,2 %) 3 (1,2 %) 3 (1,2 %) 3 (1,2 %) 2 (0,8 %) 2 (0,8 %) 23 (8,8 %)
Nennung an erster, zweiter, dritter Stelle (n = 422) 86 (20,4 %) 75 (17,8 %) 46 (10,9 %) 49 (11,6 %) 12 (2,8 %) 8 (1,9 %) 10 (2,4 %) 11 (2,6 %) 8 (1,9 %) 8 (1,9 %) 17 (4,0 %) 6 (1,4 %) 7 (1,7 %) 4 (0,9 %) 10 (2,4 %) 10 (2,4 %) 4 (0,9 %) 6 (1,4 %) 3 (0,7 %) 42 (10,0 %)
Tabelle 4: Lokalisation/Differenzierung der muskuloskelettalen Probleme. Gelistet sind die 20 am häufigsten genannten Probleme. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2018 · 27. JAHRGANG
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Lokalisation/Differenzierung der aktuellen Beschwerden
Nennung an erster Stelle (n = 73) 42 (57,5 %) 13 (17,8 %)
Nennung an erster, zweiter, dritter Stelle (n = 112) 54 (48,2 %) 29 (25,9 %)
Migräne
6 (8,2 %)
9 (8,0 %)
Schwindel Parästhesien Schlafstörung Tinnitus Systemische neurologische Problematik
5 (6,8 %) 2 (2,7 %) 2 (2,7 %) 2 (2,7 %) 1 (1,4 %)
6 (5,4 %) 4 (3,6 %) 4 (3,6 %) 5 (4,5 %) 1 (0,9 %)
Nennung an erster Stelle (n = 95)
Nennung an erster, zweiter, dritter Stelle (n = 121) 27 (5,8 %) 18 (3,9 %) 23 (5,0 %) 12 (2,6 %) 11 (2,4 %) 7 (1,5 %) 5 (1,1 %) 8 (1,7 %) 2 (0,4 %) 2 (0,4 %) 3 (0,6 %) 1 (0,2 %) 2 (0,4 %)
Schmerzen Kopfschmerz
Tabelle 5: Lokalisation/Differenzierung der neurologischen Probleme. Lokalisation/Differenzierung der aktuellen Beschwerden Mangelnder Erfolg der schulmedizinischen Therapie Diverse persönliche Beweggründe Verbesserung der Lebensqualität Zur Prävention Ergänzung einer schulmedizinischen Therapie Schwangerschaft Alternative zum schulmedizinischen Ansatz/Angebot Verbesserung der körpereigenen Regulation Akute Beschwerden Entzündung Positive Vorerfahrung Internet Beweglichkeit
23 (5,0 %) 16 (3,4 %) 15 (3,2 %) 11 (2,4 %) 9 (1,9 %) 5 (1,1 %) 4 (0,9 %) 4 (0,9 %) 2 (0,4 %) 2 (0,4 %) 2 (0,4 %) 1 (0,2 %) 1 (0,2 %)
Tabelle 6: Charakterisierung der „keinem üblichen medizinischen Bereich“ zuordenbaren Statements.
stimmten Bereich (z.B. dem muskuloskelettalen Bereich) möglich gemacht bzw. vorgegeben hätte, dem neurologischen Bereich zugeordnet wurde. Frage 4, weitere und „nicht zuordenbare“ Bereiche Die übrigen, spezifisch ausgewiesenen Bereiche verteilten sich auf eine breite Palette unterschiedlicher Gesundheitsstörungen (u.a. Magen/Darm, Atemwege, Diagnostik, Gynäkologie, Urogenitalbereich, vgl. Tab. 3). Nicht uninteressant ist ein etwas genauerer Blick auf die bunte Palette von Themen, die in der Digi-
talisierungssystematik als „Nicht zuordenbar“ (im Sinne von „keinem üblichen medizinischen Bereich“ zuordenbar) klassifiziert worden waren (Tab. 6). In Analogie zur Detailbetrachtung der beiden häufigsten Problembereiche ergeben sich im Bereich „nicht zuordenbar“ folgende Zahlen: Von den insgesamt 464 Teilnehmern benannten 351 (75,6 %) kein diesem Bereich zuzuordnendes Statement, 105 (22,6 %) ein diesem Bereich zuzuordnendes Statement und weitere 8 Teilnehmer (1,7 %) 2 diesem Bereich zuzuordnende Statements. 95 Teilnehmer (20,5 %) benannten 1 dem Bereich zuzuordnendes Statement an erster Stelle.
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Frage 5: Wie ist Ihre aktuelle Wahrnehmung der Beschwerden? In Frage 5 waren die Teilnehmer eingeladen, für die aktuell empfundene Schwere der Beschwerden, die den Anlass für die aktuelle Konsultation waren, auf einer 11-stufigen Skala die am besten zutreffende Zahl zwischen Null (= keine Beschwerden) und 10 (= maximal schlimme Beschwerden) anzukreuzen. Insgesamt 16 Teilnehmer (3,6 %) kreuzten keine Zahl an, sodass eine gültige Einschätzung der aktuellen Beschwerden von 448 Teilnehmern vorliegt (Abb. 3). Die Verteilung der einzelnen Schweregrade entspricht weitge© VERLAG PERFUSION GMBH
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Frage 6: Welche Erwartung haben Sie im Hinblick auf die osteopa thische Behandlung? (mehrere Antworten möglich)
Abbildung 3. Schwere der aktuellen Beschwerden 0 1, 2, 3 4, 5, 6 7, 8, 9, 10 0–10 (alle)
n 25 168 178 77 445
Zum 1. Mal Osteopathie 12,0 % 13,3 % 10,8 % 13,6 % 13,3 %
Mehr als 1 Osteopathie 88,0 % 86,7 % 89,2 % 86,4 % 86,7 %
Tabelle 7: Osteopathische Vorerfahrung und Schwere der aktuellen Beschwerden, gemessen anhand einer 11-stufigen numerischen Ratingskala.
hend der einer Normalverteilung, worauf auch die Kongruenz von Median (Median = 4; 1. Quartil = 2, 3. Quartil = 6) und Mittelwert (Mittelwert = 4,08; Standardabweichung = 2,28) hinweist. 25 Teilnehmer (5,6 %) gaben an, beschwerdefrei zu sein, insgesamt 168 Teilnehmer (37,5 %) nannten leichte (Werte 1, 2 oder 3), 178 Teilnehmer (39,7 %) mittlere
(Werte 4, 5 und 6) und 77 Teilnehmer (17,2 %) schwere Beschwerden (Werte 7, 8, 9, 10). Wie Tabelle 7 zu entnehmen ist, wurde der Schweregrad der aktuellen Beschwerden nicht beeinflusst durch den Umstand, dass es sich beim aktuellen Kontakt um die erstmalige Konsultation eines Osteopathen handelte (oder dass schon Vorerfahrungen bestanden).
Schwere der aktuellen Beschwerden ► ▼ Vorher konsultiert
Keine
Alle 464 Teilnehmer der Befragung äußerten sich zu Frage 6. Fast alle fanden mehr als eine der Antwortmöglichkeiten zutreffend, weshalb nur 69 Teilnehmer (14,9 %) nicht mehr als 1 Antwort ankreuzten, davon 41 (8,9 %) „Besserung der Beschwerden“, 21 (4,6 %) „Schmerzfreiheit erreichen“ und 7 (1,5 %) „Verbesserung der Lebensqualität“. Mit dem ausschließlichen Ansinnen, eine zweite Meinung einzuholen, wurde kein einziger der Teilnehmer beim Osteopathen vorstellig. Anders stellt sich die Situation dar, wenn man die Mehrfachantworten differenzierter betrachtet. Immerhin 31 Teilnehmer (6,7 %) gaben neben einem oder mehreren anderen Aspekten auch an, an der Einschätzung des Osteopathen im Sinne einer Zweitmeinung interessiert zu sein. Wichtigstes Anliegen insgesamt war eine „Besserung der Beschwerden“. Dies bekundeten unter Einbeziehung von Mehrfachantworten 403 der 464 Teilnehmer (87,2 %), gefolgt von der weitergehenden Erwartung einer „Verbesserung der
Leichte
Mittlere
Starke
20 142 161 69 (80,0 %) (84,9 %) (90,5 %) (90,1 %) 17 99 102 50 Schmerzfreiheit erreichen (68,0 %) (59,0 %) (57,3 %) (65,7 %) 18 122 141 59 Verbesserung der Lebensqualität (72,0 %) (73,1 %) (79,8 %) (77,2 %) 1 9 9 9 Eine zweite Meinung einholen (4,0 %) (5,8 %) (6,1 %) (15,5 %) Beschwerden (Frage 5; numerische Ratingskala mit 0 = keine, 10 = maximal schlimm) Hier: 0 = keine, 1–3 = leichte, 4–6 = mittlere, 7–10 = starke; Prozentzahlen bei den 4 Empfehlungskategorien = jeweilige Anteile innerhalb des Schweregradstratums; Prozentzahlen in der Zeile Gesamtzahl = Anteil an der Gesamtteilnehmerzahl im jeweiligen Schweregradstratum Besserung der Beschwerden
Tabelle 8: Erwartungen und Schwere der aktuellen Beschwerden. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2018 · 27. JAHRGANG
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Lebensqualität“. Diese Erwartung hegten 3 von 4 Teilnehmern, nämlich 350 (75,8 %). Die konkreteste der 4 angebotenen Erwartungen (Schmerzfreiheit erreichen) wurde von 278 (60,2 %) der Teilnehmer angekreuzt. Betrachtet man die einzelnen Erwartungen, stratifiziert nach der Schwere der Beschwerden, dann lässt sich für das Item „Schmerzfreiheit erreichen“ kein Trend erkennen. Bei den übrigen 3 Items steigt der Anteil der Teilnehmer, die diese Items angekreuzt haben, mit der Schwere der Beschwerden an (Tab. 8). Diskussion
Methodische Aspekte Ausgangspunkt für die hier beschriebene Untersuchung war die Durchführung eines DO-Touch. NET-Forschungsprojekts in Deutschland (Details s.o.), insbesondere die Empfehlung der deutschen Ethikkommission EKO, das Instrumentarium durch einen Fragebogen zu ergänzen. Die Empfehlung war primär getragen von der Überlegung, dass Grenzen überschreitende klinische Studien neben der unmittelbaren Erkenntnis bezüglich der Primärfragestellung (z.B. Wirksamkeit, Nebenwirkungen) auch die Abbildung von „Zentrumseffekten“ (hier: länderspezifische Unterschiede) ermöglichen. Als essenzielle mögliche Confounder kommen dabei nicht zuletzt Unterschiede auf der Ebene der Patienten (z.B. sozioökonomischer Background, Lebensverhältnisse, Sozialversicherungssysteme) sowie der Behandelnden (z.B. Ausbildungsschwerpunkte und -standards, Rollen im Versorgungssystem, Zugänge) in Betracht.
Die Tatsache, dass der zusätzliche Fragebogen primär die externe Validität der Interpretation der Ergebnisse des binationalen DO-Touch. NET-Forschungsprojekts im Fokus hatte, schließt mitnichten eine separate Auswertung aus mit dem Ziel, wertvolle Aufschlüsse über die Rolle und Bedeutung der osteopathischen Medizin aus Sicht der Patienten/Klienten in Deutschland zu generieren, indem sie wesentliche Aspekte der Inanspruchnahme sichtbar macht und darauf aufbauend plausible Schlussfolgerungen entwickelt. Bewertung der Ergebnisse 1. Vorausgegangene Erfahrungen Zunächst fällt auf, dass ziemlich genau 7 von 8 Teilnehmern der Befragung einschlägige Vorerfahrung mit Osteopathen (und den subjektiv beurteilbaren Resultaten) hatten. Dies lässt zwar keine unmittelbare Schlussfolgerung zu, welcher Anteil der Klienten der teilnehmenden osteopathischen Praxen mit den Ergebnissen der Behandlung in der Vergangenheit zufrieden bzw. unzufrieden war. Ein ausgeprägter Selektionsbias („unkritisch treue Protagonisten“) ließe sich jedoch nur postulieren, wenn gleichzeitig davon ausgegangen werden könnte, dass nur in sehr geringem Umfang „neue“ Klienten den Weg in eine osteopathische Praxis finden würden. Vom Gegenteil ist auszugehen: Die Nachfrage nach osteopathischen Behandlungen hat in den letzten Jahren eine ebenso stark steigende Tendenz wie das Angebot. Während es vor 20 Jahren nur wenige gut ausgebildete Osteopathen in Deutschland gab, ist mittlerweile die Zahl der osteopathischen Behandlungen in einer Dimension
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von ca. 5 Millionen anzusiedeln [10]. Setzt man pro Problem etwa 5 Behandlungen an, dann würden ca. 1 Million Menschen im Jahr einen Osteopathen aufsuchen. Das bedeutet, dass insgesamt eine stark und rasch steigende Zahl von Menschen (erste) Erfahrungen mit einem Osteopathen und seinem medizinischen Ansatz macht. Dafür spricht eindeutig auch, dass gut 2 Drittel der Teilnehmer zusätzlich zur regelhaft vorhandenen eigenen Erfahrung von Bekannten/ Freunden bestärkt wurden, einen Osteopathen aufzusuchen, also im näheren persönlichen Umfeld weitere Personen existieren, für die ebenfalls eigene Erfahrungen mit der osteopathischen Medizin angenommen werden können. Bemerkenswert ist auch, dass die Empfehlungshäufigkeit letzterer über die gesamte Bandbreite der Schwere der Beschwerden kon stant war. Die der Studienteilnahme notwendigerweise vorausgegangene Entscheidung, mit dem aktuellen Problem (erneut) eine osteopathische Praxis aufzusuchen, spricht zumindest implizit deutlich dafür, dass (zumindest subjektive) positive Erfahrungen bei Patienten wie ihrem persönlichen Umfeld ein wesentlicher Beweggrund gewesen sein dürften. 2. Bedarfe und Bedürfnisse Diagnostische Konzepte und Therapieansätze, die sich von den gängigen biomedizinischen unterscheiden, werden gerne und häufig mit Patienten assoziiert, denen eine fundamentalkritische Einstellung unterstellt wird („schulmedizinische Systemverweigerer“). Genau das Gegenteil dürfte auf die Teilnehmer dieser Befragung zutreffen. So äußerten lediglich 5 Teilneh© VERLAG PERFUSION GMBH
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mer (1 %) explizit Erwartungen in Richtung einer „Alternative zur Schulmedizin“ und ebenfalls nur 10 Teilnehmer, sie seien mit ihrem aktuellen Problem bisher nur bei einem Heilpraktiker gewesen (wobei offen bleiben muss, ob es sich im konkreten Fall ggf. um ein erneutes Auftreten eines bekannten Problems gehandelt haben könnte). Umgekehrt gaben aber 4 von 5 Teilnehmern an, mit ihrem Problem bereits bei einem Arzt und weitere 34 (7,3 %) bei einem Physiotherapeuten vorstellig geworden oder in Behandlung zu sein. Dieser Befund dürfte vielmehr die bekannte Grundeinstellung der Bürger der Bundesrepublik bestätigen, bei allen gesundheitlichen Fragen und Problemen zunächst von den „üblichen“ kostenfreien Möglichkeiten im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in der solidarischen Gesetzlichen Krankenversicherung Gebrauch zu machen. Darüber hinaus lassen sich daraus recht plausibel folgende Schlussfolgerungen bezüglich des Problemspektrums ziehen, das in dieser Befragung zu Papier gebracht wurde: 1. Es dürfte sich nicht selten um Probleme gehandelt haben, deren Behandlungserfolg im Rahmen der Regelversorgung („usual care“) so deutlich unter den subjektiven Erwartungen geblieben ist, dass Betroffene daraufhin den Entschluss fassten, Rat und Hilfe bei einem Osteopathen zu suchen, trotz der klaren Perspektive, dass sie die Kosten überwiegend selbst zu tragen hätten. 2. Es dürfte sich nicht selten um Probleme gehandelt haben, für die eigene positive Erfahrungen bzw. entsprechende positive Er-
fahrungen im persönlichen Umfeld in Bezug auf eine osteopathische Behandlung vorlagen. 3. Das in dieser Untersuchung dokumentierte Spektrum an Problemen beschreibt wohl wichtige Bereiche mit einer (subjektiv) deutlichen Diskrepanz zwischen Soll und Ist in Bezug auf den Therapieerfolg auf der Versorgungsebene, nicht aber notwendigerweise ein erschöpfendes Spektrum der patientenbasierten empirischen Evidenz der Wirksamkeit des osteopathischen Ansatzes. So ist z.B. nicht zu erwarten, dass Probleme, für die auf der Versorgungsebene hinreichend wirksame Ansätze verfügbar sind, in dieser Untersuchung aufscheinen, selbst wenn der osteopathische Ansatz wirksamer, nebenwirkungsärmer und/ oder kostengünstiger wäre. Für entsprechende Fragestellungen wären auf der Basis sorgfältiger Prüfung osteopathischer Kasuistiken, kleinerer Fallserien oder gezielter Surveys ggf. pragmatische klinische Studien mit den Methoden der CER (Comparative Effectiveness Research [vgl. 11, 12]) erforderlich. Schlussfolgerungen
Aus diesen Überlegungen ergibt sich aber auch die Bedeutung der Ergebnisse dieser Studie: Sie können zwar keine Aussagen zur Notwendigkeit bzw. dem potenziellen Nutzen einer Implementierung des Ansatzes der osteopathischen Medizin in die Regelversorgung machen, wohl aber zum offensichtli-
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chen (subjektiven) individuellen Nutzen bei einer Reihe von hochprävalenten Problemen in der Bevölkerung. Diese Schlussfolgerungen unterstreichen zudem die Relevanz von Forderungen nach einer Initiative des Gesetzgebers zur Sicherstellung adäquater Ausbildungsstandards und die Notwendigkeit der staatlichen Anerkennung eines adäquat definierten Berufsbilds „Osteopath“ im Interesse des gesundheitlichen Verbraucherschutzes.
Literatur 1 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer: Wissenschaftliche Bewertung osteopathischer Verfahren. Dtsch Ärztebl 2009;106:A-2325-A-2334 (http://www. bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_ upload/downloads/StellOsteo2009.pdf) 2 Resch KL. Gutachten zur Fragestellung „Osteopathie und Evidenz“. 2009 (http:// www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/ user_upload/downloads/StellOVLiteraturgutachtenResch.pdf) 3 http://www.german-afo.de/research.html 4 http://www.osteopathic-research.com/ 4 http://www.do-touch.net/ 6 http://www.osteopathie.de/home-do_ touch_net 7 http://www.do-touch-net.de/ 8 Registriert unter der Nummer NCT02386085 in ClinicalTrials.gov 9 http://www.german-afo.de/ethik.html 10 https://www.welt.de/gesundheit/article144320467/Wie-koennen-Osteopathenbei-Rueckenschmerzen-helfen.html 11 Eden J, Wheatley B, McNeil B, Sox H, eds. Institute of Medicine. Knowing What Works in Health Care: A Roadmap for the Nation. Washington, DC: National Academy Press 2008 12 Sox HC, Greenfield S. Comparative effectiveness research: a report from the Institute of Medicine. Ann Intern Med. 2009;151:203-205
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. habil. Karl-Ludwig Resch Geschäftsführender Gesellschafter Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH Kirchstraße 8 08645 Bad Elster
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
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erlangsamte Reaktionen, Gangstörungen, erhöhte Fallneigung – so ist das eben im Alter … Weit gefehlt! Gerade bei geriatrischen Patienten liegt oft eine ganz andere Ursache zugrunde, die unbehandelt in einen fatalen Teufelskreis mündet: Bei Gangstörungen sollte man immer auch an eine Hyponatriämie denken. Gangstörungen gehören zu den häufigen Symptomen bei älteren Patienten. Bei den über 70-Jährigen liegt die Prävalenz bei 35 %. Die Ursachen für Gangstörungen sind vielfältig und reichen von sensorischen Defiziten über neurodegenerative Erkrankungen bis hin zu toxischen Einflüssen, z. B. durch Medikamente [1]. Eine weitere klinisch hochrelevante Ursache bleibt hingegen oftmals unbeachtet: Bereits eine mild ausgeprägte Hyponatriämie kann das Gangbild stärker beeinflussen als beispielsweise ein Blutalkoholspiegel von 0,6 g/l [2]. Teufelskreis der Hyponatriämie
Hyponatriämien sind weit verbreitet: Bei älteren Patienten beträgt
Gangunsicherheit, Fallneigung und Frakturen – Hyponatriämie als Ursache bedenken die Prävalenz bei Einweisung in eine geriatrische Fachabteilung bis zu 18 % [3]. Die Elektrolytstörung führt bei ihnen oftmals zu einem Teufelskreis, denn die daraus resultierenden Gangstörungen, aber auch andere Symptome des Natriummangels wie Schwindel, verlangsamte Reaktionen und herabgesetzte Reflexe sind mit einem dramatisch erhöhten Sturzrisiko verbunden: Die Prävalenz von Stürzen liegt bei geriatrischen Patienten mit chronischer asymptomatischer Hyponatriämie bei etwa 21 % gegenüber 5,3 % bei Patienten ohne Hyponatriämie [4]. Rund 20 % der Stürze müssen medizinisch versorgt werden, bis zu 10 % der Patienten erleiden eine ernst-
hafte Verletzung. Zahlreiche Krankenhausaufenthalte sind die Folge [5, 6]. Und diese sind bei geriatrischen Patienten wiederum mit der Entwicklung einer Hyponatriämie assoziiert: Bei bis zu 23 % der über 65-jährigen Patienten kommt es während eines stationären Aufenthalts zu einer Hyponatriämie – und somit zu einem erhöhten Sturzrisiko [3]. Verschärft wird die Situation dadurch, dass eine Hyponatriämie bei Frauen und Männern zugleich ein Risikofaktor für eine Osteoporose ist [7]. Außerdem belegt eine aktuelle Langzeitstudie mit geriatrischen Patienten, dass eine Hyponatriämie mit einer stark erhöhten Krankenhausmortalität einhergeht [8].
Geriatrische Erkrankung oder Symptome einer Hyponatriämie? Symptomatik von geriatrischen Patienten Gangstörungen Verlangsamte Reaktion Herabgesetzte Reflexe Schwindel Anfälle
Neurologische Erkrankungen, z. B. Morbus Menière, Ataxie, Epilepsie
oder
?
Hyponatriämie/SIADH?
Gedächtnisstörungen Konzentrationsstörungen Desorientiertheit Verwirrtheit
Kognitive Leistungsstörungen, z. B. Alzheimer-Erkrankung
oder
?
Hyponatriämie/SIADH?
Lethargie Unruhe Anorexie
Herzstillstand Koma
Psychiatrische Erkrankungen, z. B. Depression
oder
?
Hyponatriämie/SIADH?
Kardiale Erkrankungen, z. B. Infarkt, Lungenembolie
oder
?
Hyponatriämie/SIADH?
Bei geriatrischen Diagnosen: Möglichkeit einer Hyponatriämie beachten Einige Medikamente könnenoder SIADHAbbildung 1: Differenzialdiagnose: geriatrische Erkrankung Symptome Antidepressiva einer Hyponatriämie? bedingte Hyponatriämie auslösen, Antipsychotika Antiepileptika indem sie die Sekretion oder Analgetika Wirkung desJAHRGANG Hormons ArgininJOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2018 · 27. Krebsmedikamente Vasopressin verstärken, z. B. 6,7
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
Mögliche Ursachen des SIADH Tumoren – Karzinome (z.B. Lunge, Oropharynx, Gastrointestinaltrakt, Urogenitaltrakt) – Lymphome und Sarkome Lungenerkrankungen – Infektionen (z.B. Pneumonie, Abszess, Tuberkulose) – Asthma, Mukoviszidose, COPD – Pneumothorax, akute respiratorische Insuffizienz, Überdruckbeatmung Traumatische oder entzündliche ZNS-Erkrankungen – Infektionen (z.B. Enzephalitis, Meningitis) – Blutungen (z.B. Subarachnoidalblutung) und Hirntumoren – Andere (z.B. Multiple Sklerose, Guillain-Barré-Syndrom, Tuberkulose) Medikamente – Stimulation der Vasopressinausschüttung oder Wirkverstärkung (z.B. Chlorpropamid, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Antiepileptika wie z.B. Carbamazepin, Antipsychotika) – Vasopressin und Vasopressinanaloga (z.B. Desmopressin, Oxytocin) Andere Ursachen – Erblich, idiopathisch, transitorisch (z.B. Ausdauertraining, Vollnarkose), AIDS Tabelle 1
Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist es entscheidend, bei Patienten mit scheinbar typischen Altersbeschwerden immer auch die Möglichkeit einer Hyponatriämie in Betracht zu ziehen (Abb. 1). Denn möglicherweise lassen sich geriatrische Symptome, wie z.B. Gangunsicherheit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Desorientiertheit und Verwirrtheit, aber auch lebensbedrohliche Zustände wie Herzstillstand und Koma, allein schon durch eine Korrektur des Serum-Natriumspiegels vermeiden.
kennzeichnet ist. Für ein SIADH sprechen folgende Befunde [10]: • Hyponatriämie (Serum-Natrium <135 mmol/l) • Klinische Euvolämie • Urin-Osmolalität >100 mOsm/ kg • P l a s m a - H y p o o s m o l a l i t ä t <275 mOsm/kg • Geisteigerte Natriumausscheidung im Urin bei normaler Salz- und Wasseraufnahme (≥30 mmol/l) • Ausschluss anderer Ursachen einer euvolämen Hypoosmolalität (Hypokortisolismus, schwere Hypothyreose)
SIADH – die häufigste Ursache der Hyponatriämie in der Geriatrie
Therapie des SIADH
Bei etwa einem Drittel der geriatrischen Patienten ist das Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) die Ursache der Hyponatriämie [9]. Bei SIADH handelt es sich um eine Störung der Osmoregulation, die durch eine pathologisch erhöhte Sekretion von ADH mit einer konsekutiven Retention von Wasser mit daraus folgender Verdünnungshyponatriämie ge-
Als kausale Therapie gilt lediglich die Beseitigung bzw. optimale Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung (Tab. 1). Symptomatische Maßnahmen umfassen die Restriktion der Flüssigkeitsmenge und die langsame Anhebung des Serum-Natriums. Da bei SIADH eine Wasserretention mit daraus folgender Verdünnungshyponatriämie vorliegt,
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kann der therapeutische Ansatz bei SIADH nicht im Auffüllen des vermeintlich fehlenden Natriums (z.B. durch die Gabe von Salztabletten) bestehen, sondern muss über eine Reduktion des Volumens erfolgen. Die Ausscheidung von elektrolytfreiem Wasser (Aquarese) lässt sich mit Tolvaptan (Samsca®) dosisabhängig und reversibel auslösen. Ergebnis ist eine vorhersehbare und anhaltende Erhöhung der Serum-Natriumkonzentration. Tolvaptan antagonisiert nur die antidiuretische, nicht aber die blutdrucksteigernde Aktivität von Vasopressin. Als einziger Vasopressin-V 2-Rezeptor-Antagonist ist Samsca® in Europa seit 2009 bei Erwachsenen mit Hyponatriämie infolge eines SIADH zugelassen [11]. Bereits nach der ersten Einnahme von Tolvaptan ist eine effektive Steigerung der Natriumkonzentration nachweisbar [12]. Fabian Sandner, Nürnberg
Literatur 1 Jahn K et al. Dtsch Arztebl 2010;107:306316 2 Hensen J. Dtsch Artzebl 2010;107:709 3 Chua M et al. Arch Gerontol Geratr 2007;45:253-258 4 Renneboog B et al. Am J Med 2006; 119:71.e1-8 5 Meyer G et al. Geriatrics Aging 2003;6:1214 6 Rubenstein LZ et al. Med Clin N Am 2006;90:807-824 7 Leitlinie des Dachverbands Osteologie „Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei Erwachsenen“ 2014 8 Zieschang T et al. Dtsch Arztebl 2016; 113:855-862 9 Fenske W et al. Am J Med 2010;123:652657 10 Verbalis JG et al. Am J Med 2007;120:S1S21 11 Fachinformation Samsca®, Stand: Juni 2014 12 Schrier RW et al. for the SALT Investigators. N Engl J Med 2006;355:2099-2112
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
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Proximale Muskelschwäche und Hyper-CK-Ämie – Red flags für Morbus Pompe
B
ei den Symptomen proximale Muskelschwäche und/oder Zwerchfell- bzw. muskuläre Atemschwäche sowie leichter bis moderater Kreatininkinase(CK)Erhöhung sollte bei der Differenzialdiagnose auch an Morbus Pompe gedacht werden. Zu schnell kann die Erkrankung übersehen oder mit einer anderen neuromuskulären Krankheit verwechselt werden. Dabei sind aufgrund des progredienten Verlaufs eine frühe Diagnose und ein zeitiger Therapiebeginn wichtig, um die Erkrankung stabilisieren und irreversible Zell-, Gewebe- sowie Organschäden hinauszögern zu können. Symptome und Diagnosesicherung
Morbus Pompe ist eine autosomal rezessiv vererbte lysosomale Speichererkrankung mit einer geschätzten Inzidenz von 1:40.000 bis 1:200.000 [1]. Ihr liegt ein Mangel des lysosomalen Enzyms saure α-Glukosidase zugrunde, wodurch Glykogen in den Lysosomen akkumuliert und zu irreversiblen Zellschäden führen kann. Besonders betroffen sind Skelett-, Atem- und bei der infantilen Verlaufsform zusätzlich die Herzmuskulatur [3, 4, 5]. Die juvenil-adulte Form ist durch eine progrediente,
proximal betonte Extremitätenund/oder Rumpfhalteschwäche charakterisiert, die sich typischerweise in Problemen beim Treppensteigen oder beim Anheben von Lasten, dem Gowers-Zeichen oder dem Trendelenburg-Gang äußert. Die ebenfalls charakteristische Atemmuskelschwäche zeigt sich hingegen häufig in Symptomen wie Belastungsdyspnoe, Atemnot im Liegen und Tagesschläfrigkeit [2, 3, 6]. Ein weiteres wichtiges Leitsymptom ist eine leichte bis moderate CK-Erhöhung, die in Kombination mit der Muskelschwäche den zentralen Hinweis auf die Erkrankung geben kann. Bei Verdacht lässt sich die Diagnose durch Messung der Enzymaktivität der sauren α-Glukosidase mittels eines einfachen Trockenbluttests sichern.
Kausale und symptomatische Therapie gehen Hand in Hand
Unbehandelt wird zunehmend das Muskelgewebe in seiner Funktion beeinträchtigt. Die Folge können irreversible Zell-, Gewebe- und Organschäden sein, die bis zur Rollstuhl- und Beatmungspflichtigkeit sowie zu einer reduzierten Lebenserwartung führen kann [4]. Daher sollte schon früh mit der kausalen Enzymersatztherapie mit Alglucosidase alfa (Myozyme®) begonnen werden. Die Enzymersatztherapie hilft den α-Glukosidase-Mangel auszugleichen und kann auf diese Weise bei Patienten die Muskel- und Atemfunktion verbessern bzw. stabilisieren [7]. Langfristig lässt sich mit Myozyme® das Fortschreiten der Erkrankung verzögern und die
Alglucosidase alfa Alglucosidase alfa (Myozyme®) ist ein biotechnologisch hergestelltes Enzym (rekombinante humane α-Glukosidase, rhGAA), das den angborenen Mangel an saurer α-Glukosidase ausgleichen kann. Indiziert ist es für die langfristige Enzymersatztherapie bei Patienten mit Morbus Pompe. Wie das körpereigene Enzym hydrolysiert Alglucosidase alfa in den Lysosomen Glykogen zu Glukose, sodass akkumuliertes Glykogen abgebaut wird und bei regelmäßiger Anwendung einer weiteren Speicherung entgegengewirkt werden kann. Myozyme® wird als intravenöse Infusion zweiwöchentlich verabreicht. Die empfohlene Dosis beträgt 20 mg/kg Körpergewicht [7].
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
Mobilität und Lebensqualität der Patienten verbessern [8]. Aufgrund der vielfältigen Symptome wird die Enzymersatztherapie je nach Krankheitsverlauf kombiniert mit Physiotherapie, Maßnahmen zur Unterstützung der Mobilität (z.B. Rollator, Rollstuhl), Infektprophylaxe, Beatmung (nicht invasiv/invasiv), orthopädischen Maßnahmen (z.B. operative Korrektur einer Skoliose), Ernährungsberatung sowie einer psychischen Unterstützung des Patienten und seiner Familie. Elisabeth Wilhelmi, München
Literatur 1 Schoser B et al. J Neurol 2017;264:621630 2 Schüller A et al. Nervenarzt 2013;84:1467414 3 Kishnani PS et al. Genet Med 2006; 8:267288 4 Hahn A et al. Monatschr Kinderheilk 2012; 160:1243-1250 5 Kishnani PS et al. J Pediatr 2006;148:671676 6 van der Beek et al. Orphanet J Rare Dis 2012;7:88 7 Fachinformation Myozyme®, Stand: Juli 2017 8 Toscano A et al. J Neurol 2013;206:951959
HER2-positives Mammakarzinom: Optimierte Therapie durch doppelte Antikörper-Blockade
D
ie Entwicklung von Trastuzumab (Herceptin®) hat die Heilungschancen beim frühen HER2-positiven Mammakarzinom entscheidend erhöht. Dennoch gibt es Patientinnen, die trotz erfolgreicher Therapie mit Trastuzumab einen Rückfall erleiden, sodass nach wie vor Bedarf an weiteren Therapieoptimierungen besteht. Die Hinzunahme von Pertuzumab (Perjeta®) zu Trastuzumab kann das bereits hohe therapeutische Niveau noch einmal signifikant verbessern. Das zeigten zunächst die Erkenntnisse aus der Neoadjuvanz, die zur Zulassung der doppelten Antikörper-Blockade in diesem Setting führten [1]: In der zulassungsrelevanten Studie NeoSphere erreichten die Patientinnen, die Pertuzumab zusätzlich zu Trastuzumab und Docetaxel erhielten, nahezu doppelt so häufig eine pCR in Brust und Axilla (ypT0/is ypN0) – die pCR-Rate erhöhte sich signifikant von 21,5 % auf 39,3 % (p = 0,0063) [2]. Nun belegen die ersten Resultate der APHINITY-Studie, dass das Pertuzumab-Regime auch in der Adjuvanz überlegen ist [3]. In die placebokontrollierte, doppelblinde, randomisierte PhaseIII-Studie APHINITY wurden über 4800 therapienaive Patientin-
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nen mit frühem HER2-positivem Mammakarzinom eingeschlossen. Postoperativ erhielten die Patientinnen als adjuvante Therapie über ein Jahr entweder Pertuzumab plus Trastuzumab oder Trastuzumab plus Placebo. In beiden Armen wurden die Patientinnen zusätzlich mit einer Anthrazyklin- oder Carboplatin-basierten StandardChemotherapie behandelt [3]. Adjuvanter Einsatz von Pertuzumab senkt Rezidivrisiko um 19 %
Erste Resultate der APHINITYStudie zeigen, dass die zusätzliche Pertuzumab-Gabe das Rezidivrisiko bereits nach einem medianen Follow-up von 45,5 Monaten im Vergleich zur alleinigen Behandlung mit Trastuzumab plus Chemotherapie signifikant um 19 % senkte (HR: 0,81; p = 0,045). Das invasive krankheitsfreie Überleben (iDFS) nach 3 Jahren lag unter dem Pertuzumab-Regime bei 94,1 % gegenüber 93,2 % unter Trastuzumab plus Chemotherapie. Bei Patientinnen mit nodal-positiver Erkrankung oder Hormonrezeptor-negativen Tumoren wurde das Rezidivrisiko durch die zusätzliche Gabe von Pertuzumab um 23 % (HR: 0,77; p = 0,019) bzw. 24 % (HR: 0,76; p = 0,085) © VERLAG PERFUSION GMBH
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EINFÜHRUNG eines neuen Therapieprinzips
Chemotherapie
Endokrine Therapie
Anti-HER2-Therapie
CFM vs. keine CT
A + T vs. A
0,70
0,84
Kein Tam vs. 5 J. Tam
Tam 5 J. vs. AT 5 J.
0,50
0,80
Herceptin vs. Beobachtung
APHINITY
Relatives Risiko nach 5 Jahren
1
3
OPTIMIERUNG eines Therapieprinzips
Relatives Risiko nach 5 Jahren2
Relatives Risiko nach 4 Jahren
0,81
0,76
Abbildung 1: Einordnung der durch die doppelte Antikörperblockade mit Pertuzumab und Trastuzumab in der APHINITY-Studie erreichte Senkung des Rezidivrisikos um 19 % [3]. CMF: Cyclophosphamid, Methotrexat, Flourouracil; CT: Chemotherapie; A: Anthracyclin; T: Taxan, Tam: Tamoxifen; AI: Aromatase-Inhibitor. 1 Early Breast Cancer Trialists’ Collaborative Group. Lancet 2012;379:432-444; 2 Early Breast Cancer Trialists’ Collaborative Group. Lancet 2005;365:1687-1717; 3 Gianni L et al. Lancet 2011;12:236-244 (Quelle: C. Jackisch).
reduziert [3]. Eine auf den vorhandenen Daten von APHINITY basierende Messung des iDFS nach 4 Jahren zeigt zudem sowohl für das Gesamtkollektiv (92,3 % vs. 90,6 %) als auch die beiden Subgruppen eine noch deutlichere Verbesserung der iDFS-Raten (nodalpositive Patientinnen: 89,9 % vs. 86,7 %; Hormonrezeptor-negative Patientinnen: 91,0 % vs. 88,7 %) [3]. Die APHINITY-Studie bestätigte darüber hinaus das bekannte Sicherheitsprofil der doppelten Antikörper-Blockade mit Pertuzumab und Trastuzumab [1, 3].
Fazit
Die ersten Ergebnisse der APHINITY-Studie zeigen, dass der adjuvante Einsatz der doppelten Antikörper-Blockade mit Pertuzumab und Trastuzumab plus Chemotherapie die Heilungschancen von Frauen mit HER2-positivem Mammakarzinom gegenüber dem aktuellen Standard weiter verbessert. Die Studienergebnisse entsprechen den Erwartungen, die man aus den bisherigen Erfahrungen an Therapieoptimierungen in der Adjuvanz stellen kann. Die heutigen Standardtherapien für
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die Behandlung des frühen Mammakarzinoms basieren häufig auf relativ kleinen Verbesserungen des Risikos. Insgesamt gesehen ist das Ausmaß der Verbesserung, die neue Medikamente erreichen, bei Therapieoptimierungen kleiner als bei gänzlich neuen Therapiestrategien (Abb. 1). Elisabeth Wilhelmi, München Literatur 1 Fachinformation Perjeta®, Stand: Juli 2017 2 Gianni L et al. Lancet Oncol 2012;13:2532 3 von Minckwitz G et al. N Engl J Med 3 2017;377:122-131
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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL
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Inotuzumab Ozogamicin: Therapiefortschritt bei rezidivierter oder refraktärer B-Vorläufer-ALL
B
ei der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) handelt es sich um eine sehr aggressive Form der Leukämie: Unbehandelt kann sie innerhalb von wenigen Wochen bis Monaten zum Tode führen [1]. Insbesondere Patienten mit einer refraktären oder rezidivierten ALL (r/r ALL) haben trotz konventioneller intensiver Chemotherapie eine ungünstige Prognose; die 5-Jahres-Überlebensraten liegen unter 10 % [2]. Oftmals schreitet die r/r ALL binnen kürzester Zeit weiter fort, weil viele Patienten nicht oder nur kurzfristig auf die intensiven Chemotherapien ansprechen. Ziel neuer Therapiekonzepte ist die deutliche Verbesserung der Remissionsraten (CR-/CRi-Raten* sowie MRD-Negativitätsraten**), die von entscheidender prognostischer Relevanz sind [3]. Das Erreichen einer kompletten Remission – möglichst inklusive einer MRDNegativität – ist auch ein wichtiges klinisches Entscheidungskriterium dafür, ob eine potenziell lebensrettende allogene Stammzelltransplantation (HSZT) in Betracht kommt. Zudem sollten neue Therapien im Vergleich zu konventionel-
* CR/CRi = complete remission / complete remission with incomplete blood count recovery ** MRD = minimal residual disease
len Kombinationschemotherapien, die oftmals mit langen Krankenhausaufenthalten und vielen, teils sehr schweren, Nebenwirkungen einhergehen, möglichst verträglich sein [4]. All diese Kriterien erfüllt Inotuzumab Ozogamicin (Besponsa®) das seit dem 30. Juni 2017 in der EU verfügbar ist. Hohe Wirksamkeit
Inotuzumab Ozogamicin ist das erste Antikörper-Wirkstoff-Konjugat, das zur Behandlung erwachsener Patienten mit rezidivierter oder refraktärer CD22-positiver B-Vorläufer-ALL in der EU zugelassen wurde [5]. Entscheidend für die Zulassung waren die Daten der Phase-III-Studie INO-VATE ALL [6]. Eingeschlossen in die offene multizentrische Studie wurden 326 erwachsene Patienten mit CD22positiver rezidivierter oder refraktärer B-Vorläufer-ALL. Voraussetzung für alle Patienten war ein Blasten-Anteil von ≥5% im Knochenmark und 1 oder 2 vorausgehende Induktionschemotherapien. Die Studienteilnehmer erhielten randomisiert entweder Inotuzumab Ozogamicin (n = 164) oder eine von den Prüfärzten ausgewählte Standard-Salvage-Chemotherapie
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(n = 162). Mögliche Chemotherapie-Schemata waren Fludarabin + Cytarabin + Granulozyten-koloniestimulierender Faktor (FLAG), Mitoxantron/Cytarabin (MXN/ Ara-C) oder hochdosiertes Cytarabin (HIDAC). Als primäre Endpunkte wurden die komplette Remission (CR/Cri) sowie das Gesamtüberleben festgelegt, sekundäre Endpunkte waren MRDNegativität, Dauer der Remission, HSZT-Rate und progressionsfreies Überleben. Im Verlauf der Studie erreichten 4 von 5 Patienten unter Inotuzumab Ozogamicin eine CR/Cri, die CR-/ CRi-Raten dieser Patienten waren mit 80,7 % signifikant höher als unter der Standard-Salvage-Chemotherapie (29,4 %; p < 0,001). Der Anteil der Patienten mit MRD-Negativität war unter Inotuzumab Ozogamicin im Vergleich zur Kontrollgruppe ebenfalls signifikant höher (63,3 % vs. 8,3 %; p < 0,001). Die direkte HSZT-Rate konnte auf etwa das Vierfache gesteigert werden: 43 % der mit Inotuzumab Ozogamicin behandelten Patienten konnten nach der Studientherapie sofort einer allogenen HSZT zugeführt werden, während dies in der Kontrollgruppe bei nur 11 % (p < 0,001) möglich war. Das progressionsfreie Überleben betrug 5,0 Monate im Inotuzumab © VERLAG PERFUSION GMBH
Besponsa® Progressionsfreies Überleben 20
NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL
Signifikant längeres PFS unter Inotuzumab Ozogamicin.1 Im Median 5,0 Monate im InO-Behandlungsarm vs. 1,8 Monate unter SC-Therapie1
R= komplette Remission, InO = Inotuzumab Ozogamicin, SC = Standard-Salvage-Chemotherapie, SZT = Stammzelltransplantation, PFS = Progressionsfreies Überleben
. Besponsa® Fachinformation nach aktuellem Stand
DGHO 2017
Inotuzumab Ozogamicin Inotuzumab Ozogamicin (Besponsa®) ist ein AntikörperWirkstoff-Konjugat, bestehend aus einem rekombinanten humanisierten monoklonalen gegen CD22 gerichteten Antikorper und der an den Antikörper gekoppelten zytotoxischen Substanz Calicheamicin. Linker
Besponsa® Gesamtüberleben
Toxin
R= komplette Remission, InO = Inotuzumab Ozogamicin, SC = Standard-Salvage-Chemotherapie, SZT = Stammzelltransplantation, PFS = Progressionsfreies Überleben
Abbildung 1: Ergebnisse der Phase-III-Studie INO-VATE ALL für das progressionsfreie Überleben: Das PFS war mit 5,0 Monate im Inotuzumab Ozogamicin-Arm (InO) signifikant höher Das mediane OS unter Inotuzumab Ozogamicin ist 7,7 Monate; als bei den Patienten, die eine Standard-Salvage-Chemotherapie (SC) erhielten (1,8 Monate, DGHO 2017 [6]. im SC-Behandlungsarm 6,7 Monate (p=0,0407).1 p < 0,0001)
. Besponsa® Fachinformation nach aktuellem Stand
Die 2-Jahres-Überlebensrate unter InO ist 22,6%; im SC-Behandlungsarm 9,6%1
Besponsa® Gesamtüberleben Das mediane OS unter Inotuzumab Ozogamicin ist 7,7 Monate; im SC-Behandlungsarm 6,7 Monate (p=0,0407).
1 sich von der Publikation im Datenschnitt S = Gesamtüberleben, InO= Inotuzumab Oztogamicin, SC = Standard-Salvage-Chemotherapie, *Wert unterscheidet
Abbildung 2: In der Phase-III-Studie INO-VATE ALL betrug das mediane Gesamtüberleben
. Besponsa® Fachinformation nach aktuellem Stand
1 (OS) 7,7 Monate im Inotuzumab Ozogamicin-Arm vs. 6,7 Monate im 9,6% Kontrollarm Die 2-Jahres-Überlebensrate unter InO ist 22,6%; im(InO) SC-Behandlungsarm (Standard-Salvage-Chemotherapie, SC) (p = 0,0407). Die 2-Jahres-Gesamtüberlebensrate war DGHO 2017 im Inotuzumab Ozogamicin-Arm im Vergleich zum SC-Arm mehr als doppelt so hoch (22,6 %
vs. 9,6 %) [6].
Ozogamicin-Arm und 1,8 Monate Günstiges Toxizitätsprofil im Kontrollarm (p < 0,0001) (Abb. 1). Das mediane Gesamtüberleben Die häufigsten Nebenwirkungen lag nach Behandlung mit Inotu- in beiden Studienarmen waren vor zumab Ozogamicin bei 7,7 Mo- allem hämatologischer Art. Insnaten, im Kontrollarm betrug es gesamt zeigte sich eine geringer 6,7 Monate (p = 0,0407). Bezogen ausgeprägte Hämatotoxizität unter auf das 2-Jahres-Gesamtüberleben der Therapie mit Inotuzumab Ozowurde unter Inotuzumab Ozogami- gamicin relativ zum Vergleichscin mit 22,6 % eine mehr als dop- arm. Auch nicht hämatologische Nebenwirkungen – wie Übelkeit, so hohe Rate erreicht wie im S = Gesamtüberleben,pelt InO= Inotuzumab Oztogamicin, SC = Standard-Salvage-Chemotherapie, *Wert unterscheidet sich von der Publikation im Datenschnitt . Besponsa Fachinformation nach aktuellem Stand Kopfschmerzen und Fieber – traKontrollarm (9,6 %) (Abb. 2) [6].
Antikörper
Die Wirkung erfolgt über die selektive Bindung des Konjugats an das CD22-Antigen, das bei mehr als 90 % der Patienten mit rezidivierter oder refraktärer B-Vorläufer-ALL auf der Oberfläche der Krebszellen exprimiert wird. Nach dem Andocken gelangt das Konjugat in die Krebszelle. Dort wird durch Abspaltung des Linkers das Calicheamicin freigesetzt. Das Toxin induziert DNA-Doppelstrangbrüche, was einen Zellzyklus-Arrest sowie eine Apoptose zur Folge hat [7]. Besponsa® ist indiziert als Monotherapie für die Behandlung von Erwachsenen mit rezidivierter oder refraktärer CD22positiver B-Vorläufer-ALL. Erwachsene Patienten mit Philadelphia-Chromosom-positiver (Ph+) rezidivierter oder refraktärer B-Vorläufer-ALL sollten eine vorhergehende erfolglose Behandlung mit mindestens einem Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) aufweisen [5].
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DGHO 2017 JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2018 · 27. JAHRGANG
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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL
Maviret®– die neue Generation der Hepatitis-C-Therapie
ten teils bei den Inotuzumab Ozogamicin-Patienten seltener auf als im Kontrollarm. Hepatische Nebenwirkungen und insbesondere Fälle von VOD/SOS wurden dagegen häufiger unter Inotuzumab Ozogamicin beobachtet [6]. Fazit
Mit Besponsa® steht eine neuartige Therapie für Patienten mit rezidivierter/refraktärer B-VorläuferALL (CD22-positiv, Ph+ nach Versagen mindestens eines TKI) zur Verfügung, die mit einer Remissionsrate von 80 % deutlich wirksamer ist als konventionelle Chemotherapien, ein günstiges Toxizitätsprofil hat, eine ambulante Therapie der Patienten ermöglicht und signifikant mehr Patienten die Chance für eine konsolidierende allogene Stammzelltransplantation in subsequenter Remission geben kann. Brigitte Söllner, Erlangen Literatur 1 National Cancer Institute. https://www. cancer.org/cancer/acute-lymphocytic-leukemia/treating/typicaltreatment.html 2 Gökbuget N et al. Haematologica 2016; 101:1524-1533 3 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/ guidelines/akute-lymphatische-leukaemieall/@@view/html/index.html 4 Hummel HD et al. J Leuk 2016;4:208 5 Fachinformation Besponsa® 1 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung. Stand: Juni 2017 6 Kantarjian H et al. N Engl J Med 2016; 375:740-753 7 Shor B et al. Mol Immunol 2014;67(2 Pt A):107-116
Quelle: Launch-Pressekonferenz „Neuer Meilenstein in der Behandlung der rezidivierten oder refraktären CD22-positiven B-Vorläufer-ALL: Mit Besponsa® das Therapiespektrum erweitern“, Stuttgart, 30. September 2017. Veranstalter: Pfizer Deutschland GmbH.
D
ie Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das Ziel ausgerufen, bis zum Jahr 2030 die Hepatitis C weltweit zu besiegen. Hintergrund dieser Vision sind die enormen Fortschritte in der Hepatitis-C-Therapie durch die Einführung von DAA-Kombinationstherapien (DAA = direct acting antivirals) seit 2014. Diese können heute bereits viele Patienten von Hepatitis C heilen. Neue innovative DAA-Kombinationstherapien haben nun den Anspruch, die Therapie zu vereinfachen und breiter einsetzbar zu machen. Mit diesem Ziel hat AbbVie die neue TherapieGeneration Maviret® (Glecaprevir/ Pibrentasvir; G/P) zur Behandlung von Patienten mit chronischer Hepatitis C entwickelt. Das 2017 zugelassene Therapieregime steht als
pangenotypische 8-Wochen-Therapie zur Behandlung therapienaiver* Hepatitis-C-Patienten ohne Zirrhose für alle Genotypen (GT1– 6) zur Verfügung. Diese Patientengruppe macht heutzutage den Großteil der Patienten in Deutschland aus. Maviret® wird einmal täglich (3 Tabletten) eingenommen und ist komplett Ribavirin-frei [1]. Heilungsraten bis zu 100 %
Die Wirksamkeit und Sicherheit der beiden neuen Wirkstoffe Glecaprevir und Pibrentasvir, die in *
icht vorbehandelte oder mit interferonN basierten Therapien ([peg]IFN ± RBV oder SOF/RBV ± pegIFN) vorbehandelte Patienten mit GT1/2/4/5/6 und nicht vorbehandelte Patienten mit GT3.
Maviret® Maviret® ist eine Fixdosiskombination aus 2 neu entwickelten antiviral wirksamen Substanzen – dem NS3/4A-Protease-Inhibitor Glecaprevir (100 mg) und dem NS5A-Inhibitor Pibrentasvir (40 mg) –, die einmal täglich ohne Ribavirin eingenommen wird [1]. Das Sicherheitsprofil des Therapieregimes ist gut belegt [3]. Maviret® ermöglicht eine pangenotypische 8-Wochen-Therapie von therapienaiven Patienten ohne Zirrhose, der in Deutschland größten Behandlungsgruppe [2]. Zusätzlich ist Maviret® bei als schwer behandelbar geltenden Patientengruppen zugelassen – dazu zählen Patienten mit kompensierter Leberzirrhose (Child-Pugh A), Genotyp-3-Patienten und Patienten mit schwerer bzw. terminaler Nierenfunktionsstörung, einschließlich Dialyse-Patienten. Maviret® ist damit das einzige pangenotypische Therapieregime für Patienten mit Nierenfunktionsstörung.
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Deutschland am meisten verbreiteten Genotyp, erzielten eine SVR12 von 99,7 % (mITT: n = 383/384). Auch therapienaive Patienten mit dem bislang schwer zu behandelnden GT3 erzielten eine SVR12 von 97 % (mITT: n = 177/183). Bei Patienten, die mit den übrigen Genotypen infiziert waren, konnten NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL 22 vergleichbar hohe Heilungsraten (SVR12) erzielt werden: GT2 99 % (mITT: n = 193/195), GT4 100 % (mITT: n = 43/43), GT5 100 % (mITT: n = 2/2) und GT6 ebenfalls 100 % (mITT: n = 9/9).3
+
Integrierte SVR12-Raten einer 8- bzw. 12-wöchigen Maviret-Behandlung therapienaiver*, nicht-zirrhotischer
Abbildung 1: Integrierte SVR12-Raten nach einer 8- bzw. 12-wöchigen Maviret®-Behandlung therapienaiver, 3 nicht zirrhotischer Hepatitis-CHepatitis-C-Patienten über (GT1–6) alle HCV-Genotypen nach Puoti der et. Studien: al.) Patienten über alle HCV-Genotypen (mod. nach [3]). (GT1–6) Die Daten(modifiziert stammen aus Studienarmen SURVEYOR-I, SURVEYORmITT = modified intent-to-treat, schließt1, Patienten nicht-virologischemintent-to-treat, Versagen aus; schließt Patienten mit nicht virologischem Versagen aus. II, EXPEDITION-4 und ENDURANCE 2, 3 undmit 4. mITT = modified +
Die Daten stammen aus Studienarmen der Studien: SURVEYOR-I, SURVEYOR-II, EXPEDITION-4 und ENDURANCE 1, 2, 3 und 4 Alle GT3-Patienten waren therapienaiv
++
Maviret® kombiniert sind, wurden Therapienaive Patienten mit dem Einnahme als Therapiedauer für ® 4 bei eiin Laut einemeiner umfassenden Studienprobisher schwer zu behandelnden Maviret Als integrierten Analyse (n = 2.265) setzten 0,4 % der Patienten die ausreichend, Therapie ab.um gramm mit über 2300 Patienten GT3 erzielten eine SVR12 von nem Großteil der Hepatitis-C-Pati4 (mit einer ≥ 10 %) traten Kopfschmerzen auf. Art und d.h.Fatigue bei therapienaiven Patiin Nebenwirkungen zahlreichen Subgruppen un-Häufigkeit 97 % (mITT: n = 177/183). Auch enten,und Schweregrad Nebenwirkungen bei Patienten mitmit Leberzirrhose waren jenen bei ohnemit Zirrhose, die Patienten Hepatitis tersucht, die die der aktuelle Patien- bei den Patienten, die den üb- enten 4 tenpopulation [2] vergleichbar. abbilden. Dazu rigen Genotypen infiziert waren, C zu heilen. Die dadurch mögliche ohne Zirrhose zählten Patienten aller Genotypen, zeigten sich vergleichbar hohe kurze Therapiedauer sowie das außerdem auch Patienten mit Nie- Heilungsraten: GT2 99 % (mITT: Wegfallen umfangreicher VorunÜber Mavireteiner (Glecaprevir/Pibrentasvir; G/P) reninsuffizienz, HCV/HIV- n = 193/195), GT4 100 % (mITT: tersuchungen vor Behandlungsbedass Koinfektion Patienten unter n = 43/43), (mITT: ginn können Maviret® oder (Glecaprevir/Pibrentasvir; G/P) istGT5 eine 100 % Fixdosiskombination aus zweidazu neubeitragen, entwickelten ® als neuer Standard sich Maviret Substitutionstherapie [3, 4]. n = 2/2) und GT6 ebenfalls 100 % antiviral wirksamen Substanzen (direct-acting antiviral agents, DAAs) – dem NS3/4A-Proteasefür die Versorgung von therapieNach 8-wöchiger Behandlung mit (mITT: n = 9/9) [3]. Maviret® konnten bis zu 100 % Laut einer integrierten Analyse naiven Patienten in einem frühen der untersuchten therapienaiven (n = 2265) setzten 0,4 % der Pati- Stadium der Lebererkrankung etaPatienten ohne Zirrhose über alle enten die Therapie ab [4]. Als Ne- blieren kann. Fabian Sandner, Virus-Genotypen hinweg (GT1–6) benwirkungen mit einer Häufigkeit Nürnberg von der Infektion geheilt werden. ≥10 % traten Kopfschmerzen und Deutschland GmbH & Co. +49 (0)611 0 Schweregrad DE/HC-V/5117/1682 SieAbbVie erzielten 12 Wochen nach Be-KG Fatigue auf.1720 Art- und Mainzer Straße 81 presse.de@abbvie.com HCV = Hepatitis-C-Virus handlungsende ein anhaltendes der Nebenwirkungen bei Patienten virologisches Ansprechen (susta- mit Leberzirrhose waren mit jenen 65189 Wiesbaden abbvie.de ined virological response, SVR12) bei Patienten ohne Zirrhose ver- Literatur (Abb. 1); dies war unabhängig gleichbar [4]. 1 Fachinformation Maviret®, Stand: Juli 2017 von der Viruslast und Baseline2 Decisions Resources Group. Hepatitis-C Resistenzen [2]. Patienten, die mit virus: disease landscape & forecast 2016. January 2017 Fazit dem in Deutschland meist verbrei3 Puoti et al. Poster SAT-233, präsentiert im teten Genotyp, dem GT1, infiziert Rahmen des International Liver Conwaren, erreichten eine SVR12 von Ein Schwerpunkt der Untersuchungress™ (ILC) in Amsterdam, 19.–23. April 2017 99,7 % (mITT**: n = 383/384). gen zur Maviret® war, eine kurze 4 Dufour et al. Safety of Glecaprevir/PibrenTherapiedauer bei so vielen Patitasvir in adults with chronic genotype 1–6 FRI-238 hepatitis-C virus infection: an inenten wie möglich zu erreichen. ** tegrated analysis. Präsentation im Rahmen mITT = modified intent-to-treat, schließt Wie die Studienergebnisse zeigen, des International Liver Congress™ (ILC) Patienten mit nicht virologischem Versasind 8 Wochen bei einmal täglicher in Amsterdam, 19.–23. April 2017 gen aus.
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Wandel in der Hepatitis-C-Therapie: Neue Therapieregime, neue Chancen Interview mit Professor Christoph Sarrazin In Deutschland sind laut RobertKoch-Institut etwa 0,3 % der Menschen mit dem Hepatitis-CVirus infiziert und jährlich wird bei etwa 4000–5000 Patienten die Infektion erstmals diagnostiziert. Die wichtigste Herausforderung bei ihrer Behandlung ist die Auswahl des optimalen Regimes für den jeweiligen Patienten. Dabei stehen nicht länger nur Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung im Fokus, sondern auch die Versorgung von therapienaiven Patienten in einem frühen Stadium der Lebererkrankung. Welche neuen Möglichkeiten sich mit Maviret® in der Praxis eröffnen, erläuterte Herr Professor Christoph Sarrazin, Chefarzt der Medizinischen Klinik II am St. Josefs-Hospital und Leiter des Leberzentrums Wiesbaden, in einem Gespräch. Herr Professor Sarrazin, bei der Einführung der direct-acting antivirals (DAAs) als Interfe ron-freie Therapie der Hepatitis C im Jahr 2014 standen vor al lem Patienten mit fortgeschrit tener Erkrankung im Vorder grund. Welche Patienten bilden aktuell die größte Behandlungs gruppe in Deutschland? Christoph Sarrazin: Nachdem durch die Interferon-freien Kombinationstherapien im ersten Schritt Patienten mit Leberzirrhose, insbesondere
auch fortgeschrittener Zirrhose erfolgreich therapiert werden konnten, liegt nun der Fokus verstärkt auf Patienten ohne Leberzirrhose und anderen Begleiterkrankungen, oder Patienten, die erst im Verlauf neu diagnostiziert werden. Diese Patienten fühlen sich durch die Erkrankung häufig kaum beeinträchtigt und möchten somit auch keine belastenden Therapien auf sich nehmen. Daher ist es essenziell, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es mittlerweile einfache, effektive Hepatitis-C-Therapien mit fast keinen Nebenwirkungen gibt. Sie haben das deutsche Studien programm des neuen Therapie regimes Glecaprevir/Pibrentasvir (Maviret®) von AbbVie während der Entwicklung in Phase II und III begleitet. Was waren für Sie die bemerkenswertesten Ergeb nisse im Rahmen der Studien? Christoph Sarrazin: Das Programm war darauf ausgelegt, sehr gut verträgliche Substanzen mit hoher Effektivität zu entwickeln, die gegen alle HCV-Genotypen gleichermaßen aktiv sind, nur einmal am Tag gegeben werden müssen und im Gegensatz zu Regimen, die auf dem nukleosidischen Polymeraseinhibitor Sofosbuvir basieren, auch bei Patienten mit Niereninsuffizienz oder unter Dialysetherapie eingesetzt werden können. Diese Ziele konnten alle erreicht werden und der bereits
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Prof. Dr. med. Christoph Sarrazin, Wiesbaden
erwähnte Großteil unserer heutigen Patienten kann, unabhängig von allen weiteren Parametern, in einer 8-Wochen-Therapie mit einer Effektivität von 97–99 % behandelt werden. Es ist schon ein bemerkenswerter Erfolg, dass es nun nur noch einige wenige Subgruppen gibt, bei denen man vor der Behandlung noch etwas differenzieren muss. Wie ordnen Sie neue Therapie regime wie Maviret® ein? Ist zu erwarten, dass diese die Pati entenlandschaft spürbar verän dern werden? Christoph Sarrazin: Eigentlich kann man sagen, dass jede neue Zulassung in den letzten Jahren ein kleiner Innovationsschub war und die Therapielandschaft verändert hat. Schließlich ist es ja sinnvoll, dass nur Substanzen die Zulassung erlangen, die wirklich noch einen Schritt nach vorne bedeuten. Das trifft auf jeden Fall auch auf Glecaprevir/ Pibrentasvir zu. Darum glaube
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ich, dass sich mit Maviret® die Therapielandschaft noch weiter dahingehend ändern wird, möglichst viele Patienten, in möglichst kurzer Zeit und möglichst effektiv behandeln zu können. Unser Ziel ist eine breite Therapie für einfach zu behandelnde Patienten, die es nicht nur hoch ausgebildeten Hepatitis-C-Experten ermöglicht, die richtigen Regime für den jeweiligen Patienten auszuwählen. Was bedeutet das neue Thera pieregime nun für die behan delnden Ärzte? Und haben diese Regime eine Auswirkung darauf, wo und von wem HCV-Patienten zukünftig therapiert werden? Christoph Sarrazin: Von der Hepatitis-C-Therapie durch Allgemeinärzte sind wir noch ein Stück entfernt. Das liegt sowohl an der bisherigen Komplexität, die sich in den Köpfen festgesetzt hat, als auch daran, dass HCV-Therapien das Budget dieser Kollegen immer noch erheblich belasten würden. Bei den niedergelassenen Fachärzten mit hepatologischem Schwerpunkt hingegen ist meine sichere Hoffnung, dass durch die einfacheren Therapien wie Glecaprevir/ Pibrentasvir eine weitere Verbreitung der Hepatitis-C-Behandlung durchaus möglich ist. Allerdings erwarte ich dennoch, dass Patienten mit Begleiterkrankungen wie Leberzirrhose oder dekompensierter Leberzirrhose sowie begleitenden Therapien wie z.B. Dialyse weiterhin eine „abschreckende Wirkung“ auf niedergelassene Ärzte haben werden, sodass diese Patienten auch in Zukunft an Fachzentren überwiesen werden.
Die Problematisch bei Hepatitis C ist, dass die Erkrankung in den meisten Fällen lange unentdeckt bleibt. Was können die einzelnen Gruppen dazu beitragen, mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Men schen zu identifizieren? Christoph Sarrazin: Eigentlich müssen alle im Konzert agieren. Und das ist nicht einfach. Wir haben anhand der großen Kampagnen für die HIV-Infektion gesehen, dass es gelingen kann, wenn alle an einem Strang ziehen. Zwar bin ich skeptisch, dass wir für Hepatitis C die gleiche Durchdringung erreichen können, da die Erkrankung nicht dieselbe Bedrohung darstellt. Dennoch ist Awareness sicherlich das große Thema für alle Beteiligten: die Fachgesellschaften, die Pharmaindustrie, für die Selbsthilfegruppen und natürlich auch die Ärzte. Da die meisten Patienten in Deutschland von Hausärzten versorgt werden, sollte es unser Ziel sein, dass auch diese an Hepatitis C denken und bei der großen Zahl an bisher nicht diagnostizierten Patienten lieber einmal zu viel auf die Erkrankung testen. In Summe glaube ich, dass wir vieles erreichen können, wenn wir alle gemeinsam vorgehen, um Patienten aufzuklären, zu identifizieren und erfolgreich zu therapieren. Herr Professor Sarrazin, wir dan ken Ihnen für das informative Ge spräch.
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Diabetesbedingte Sterblichkeit in Deutschland dramatisch hoch Bislang gab es nur Schätzungen zur diabetesbedingten Sterblichkeit in Deutschland, da umfangreiche Patientendaten fehlten. Doch seit 2014 stehen Wissenschaftlern Routinedaten der Gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung, die etwa 90 % der deutschen Bevölkerung abbilden. Sie wurden jetzt erstmals ausgewertet und zeigen: Jeder fünfte Todesfall ist mit Diabetes assoziiert. Aufgrund der dramatischen Zahlen fordert die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) wirksame gesundheitspolitische Maßnahmen. Dazu gehört ein gestuftes Mehrwertsteuersystem für Lebensmittel – ungesunde Produkte mit einem hohen Anteil an Zucker, Fett und Salz sollten teurer, gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse hingegen von der Mehrwertsteuer befreit werden. Zudem sollte die Politik ein Verbot für an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel erlassen, verbindliche Standards für eine gesunde Schulverpflegung und täglich mindestens eine Stunde Bewegung in Kitas und Schule einführen. „Diese Maßnahmen würden bewirken, dass künftig immer weniger Menschen an Diabetes erkranken. Das wiederum würde auch das Gesundheitssystem Deutschlands massiv entlasten“, betont DDGGeschäftsführerin Barbara Bitzer. Darüber hinaus fordert die DDG einen „Nationalen Diabetesplan“ für Deutschland. Die darin aufgeführten Ansatzpunkte zielen auf eine bessere medizinische Versorgung für Menschen mit Diabetes © VERLAG PERFUSION GMBH
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durch adäquate Medizinerausbildung und -weiterbildung, eine flächendeckende Versorgung durch niedergelassene Allgemein- und Fachärzte, eine angemessene Behandlung und Pflege im Krankenhaus sowie moderne Medikamente und ein deutschlandweites Diabetesregister. Zudem müsste der Beruf der Diabetesberater(in) staatlich anerkannt werden. E.W. Quelle: Jacobs E et al. Burden of mortality attributable to diagnosed diabetes: a nationwide analysis based on claims data from 65 million people in Germany. Diabetes Care 2017;40:1703-1709
Insulin lispro Sanofi®, das erste BiosimilarMahlzeiteninsulin Mit Insulin lispro Sanofi® hat die Europäische Kommission das erste Biosimilar-Mahlzeiteninsulin in der EU zugelassen, das mithilfe rekombinanter DNA-Technologie hergestellt wird und eine identische Aminosäuresequenz hat wie das Referenzprodukt Humalog®. Das kurzwirksame Insulin ist indiziert für die Behandlung des Typ1- und Typ-2-Diabetes und bietet eine vergleichbare Sicherheit und Wirksamkeit wie das Originalprodukt. Die Zulassung von Insulin lispro Sanofi® als Biosimilar beruht auf einem umfangreichen klinischen Entwicklungsprogramm, das über 1000 Patienten mit Typ-1- und Typ2-Diabetes einschloss. Es umfasste neben einer pharmakokinetischen/ pharmakodynamischen Studie der Phase I, die die Vergleichbarkeit des Produkts bezüglich Wirkungsverlauf und Aktivität im Vergleich zu Insulin lispro 100 Einheiten/ml überprüfte, zwei multizentrische klinische Studien der Phase III
(SORELLA 1 und SORELLA 2), die die Sicherheit und Wirksamkeit im Vergleich zu Insulin lispro 100 Einheiten/ml bei Erwachsenen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes untersuchten, sowie eine Sicherheitsstudie mit Insulinpumpen. Insulin lispro Sanofi® verfügt über identische Packungs- und Darreichungsformen wie das Original und durchläuft als Biosimilar kein AMNOG-Verfahren. Die Erstattung ist über Rabattverträge geregelt (aktueller Stand unter: www. lispro.sanofi.de/rabattvertraege). Insulin lispro Sanofi® ist im bewährten SoloSTAR®, als Patrone für den AllStar® PRO, TactiPen® und JuniorSTAR® sowie als Durchstechflasche erhältlich. B. S.
Smart Insulin-Pen Pendiq 2.0 verbessert Selbstmanagement Viele Menschen unter Insulintherapie können sich häufig nicht daran erinnern, ob oder wie viel Insulin sie bereits abgegeben haben, sodass es durch ausgelassene oder doppelte Injektionen zu Hypooder Hyperglykämien kommen kann. Mit dem Smart Insulin-Pen Pendiq 2.0 kann das nicht mehr passieren, denn er merkt sich die abgegebenen Injektionen mit Dosis, Uhrzeit und Datum und zeigt sie übersichtlich auf dem Display an. Außerdem lässt sich die Insu-
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linmenge beim Smart Insulin-Pen Pendiq 2.0 in feinen Dosierungsschritten von 0,1 U ab einer Mindestabgabemenge von 0,5 U einstellen. So ist es auch möglich, kleine Insulinmengen zu verabreichen, etwa wenn eine höhere Insulinempfindlichkeit vorliegt. Auf diese Weise unterstützt Pendiq 2.0 die Patienten dabei, mehr Zeit in ihrem individuellen Zielbereich zu erreichen. Auch Ärzte profitieren bei der Therapieoptimierung von dem neuen Smart Insulin-Pen: Der Pendiq 2.0 speichert bis zu 1000 Injektionen mit Dosis, Uhrzeit und Datum. Über einen USB-Anschluss kann der Arzt die gespeicherten Werte einfach an die Accu-Chek Smart Pix Software 3.0 übertragen. Wenn zusätzlich die Blutzucker- oder Glukosewerte eines Patienten vorliegen, werden dank der übersichtliche Datenaufbereitung Zusammenhänge zwischen Insulin und Glukose schneller erkannt und individuelle Therapieprobleme, wie beispielsweise falsche Korrekturfaktoren, lassen sich gezielt behandeln. Das spart wertvolle Zeit, die für das Arzt-Patienten-Gespräch genutzt werden kann. B. S.
Der Smart Insulin-Pen Pendiq 2.0 von Roche Diabetes Care ist in 5 verschiedenen Farbvarianten erhältlich. © VERLAG PERFUSION GMBH
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M
it Atezolizumab (Tecentriq®) steht seit September 2017 der erste PD-L1Inhibitor für die Behandlung des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) und des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinoms (mUC) in der Europäischen Union zur Verfügung [1]. Atezolizumab bietet den betroffenen Patienten die Chance auf eine verbesserte Prognose – und dies bei guter Verträglichkeit und unabhängig vom PD-L1-Status. Erster Vertreter der nächsten Generation der Krebsimmuntherapie
Der Checkpoint-Inhibitor Atezolizumab wurde entwickelt, um die Abwehrmechanismen des Immunsystems gegen Krebszellen wieder herzustellen und so den Körper im Kampf gegen den Krebs zu unterstützen. Der humanisierte monoklonale Antikörper richtet sich gezielt gegen das Protein Programmed Death Ligand-1 (PD-L1), das sowohl von Krebszellen als auch tumorinfiltrierenden Immunzellen produziert werden kann [2]. Interagiert dieses Protein mit den beiden auf den T-Zellen befindlichen Rezeptoren B7.1 oder PD-1, so werden die T-Zellen und damit die körpereigene Immunreaktion gegen den Tumor deaktiviert. Als erster Vertreter der nächsten Generation von Checkpoint-Inhibitoren verhindert Atezolizumab sowohl die Interaktion von PD-L1 mit B7.1 als auch mit PD-1. Diese durch die PD-L1-Inhibition mit Atezolizumab vermittelte duale Signal-Blockade setzt im Tumor wie auch im Lymphknoten an: Im Tumor reaktiviert Atezolizumab
Therapiefortschritt beim Lungen- und Blasenkrebs dank PD-L1-Blockade mit Atezolizumab die T-Zellantwort, in den Lymphknoten verstärkt Atezolizumab die Bildung von zytotoxischen T-Zellen, sodass der Tumor durch mehr und verschiedene T-Zellen attackiert werden kann [2]. Die duale Signal-Blockade von PD-L1 erhält dabei die PD-1/PD-L2-Interaktion aufrecht und kann so einer überschießenden Immunantwort entgegenwirken. Atezolizumab ist eine potenzielle Therapieoption bei allen Krebsarten, die das Immunsystem über den PD-L1-Signalweg hemmen. Die bisherigen Studiendaten belegen die hohe Wirksamkeit und gute Verträglichkeit der dualen Blockade durch den Anti-PD-L1-Antikörper Atezolizumab sowohl beim fortgeschrittenen Blasenkarzinom (mUC) [3, 4, 5] als auch beim fortgeschrittenen nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) [6]. Atezolizumab beim metastasierten Urothelkarzinom
Beim Urothelkarzinom wurde Atezolizumab sowohl in der FirstLine als auch nach Platin-Vorbehandlung untersucht. In der zulassungsrelevanten Phase-II-Studie IMvigor210 sprachen in Kohorte 1 rund ein Viertel (23 %) der Patienten, die für eine Cisplatin-basierte Chemotherapie nicht geeignet wa-
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ren, auf die First-Line-Therapie mit dem PD-L1-Inhibitor an. Insgesamt erreichten die Patienten unter Atezolizumab first-line ein medianes Gesamtüberleben (OS) von 15,9 Monaten (95%-KI: 10,4– NE) (Abb. 1a) [3]. Dieses Ergebnis ist klinisch bemerkenswert, da verfügbare Chemotherapien in der Vergangenheit deutlich kürzere mediane Überlebenszeiten erzielten [3, 7]. Auch in Kohorte 2 der Studie IMvigor210, die Platin-vorbehandelte Patienten mit mUC umfasste, zeigten sich positive Therapieeffekte. Die Patienten erreichten mit Atezolizumab ein medianes OS von 7,9 Monaten (95%-KI: 6,7–9,3) (Abb. 1b) bei einer objektiven Ansprechrate von 20 % (95%-Kl: 15–25; gemäß immunmodifiziertem RECIST), wobei 6 % in Komplettremission gelangten [4]. In beiden Kohorten der IMvigor210-Studie profitieren Patienten langfristig von der AtezolizumabBehandlung: Zum Zeitpunkt der Datenauswertung von Kohorte 1 (medianes Follow-up nach 17,2 Monaten) war die mediane Ansprechdauer (DOR) noch nicht erreicht. Bei 70 % der Patienten hielt der Therapieeffekt zum Analysezeitpunkt weiter an [3]. Auch 65 % der Patienten in Kohorte 2, die ein Ansprechen hatten, zeigten zum Zeitpunkt der Datenerhebung © VERLAG PERFUSION GMBH
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a)
b)
Abbildung 1: Atezolizumab (Tecentric®) beim fortgeschrittenen Urothelkarzinom. In der Phase-II-Studie IMvigor210 erreichten die Patienten der Kohorte 1, die zuvor keine Chemotherapie erhalten hatten und für eine Cisplatin-basierte Chemotherapie nicht in Frage kamen ein medianes Gesamtüberleben von 15,9 Monaten (ITT-Population) (a) [3]. Bei den Patienten in Kohorte 2, deren Erkrankung unter oder nach mindestens einer Platin-basierten Chemotherapie fortgeschritten bzw. die innerhalb von 12 Monaten nach (neo-)adjuvanter Platin-haltiger Therapie rezidivierten, betrug das mediane Gesamtüberleben 7,9 Monate (b) [4]. * KI = Konfidenzidntervall.
Abbildung 2: Atezolizumab (Tecentric®) bei vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC. In der OAK-Studie überlebten die Patienten, die mit Atezolizumab behandelt wurden, im Median 4,2 Monate länger, als Patienten, die eine Docetaxel-Chemotherapie erhielten [6]. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2018 · 27. JAHRGANG
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(Follow-up von 21 Monaten) weiterhin ein Tumoransprechen [4]. Die Daten der Phase-III-Studie IMvigor211 (Intention-to-treat[ITT]Population) zum Einsatz von Atezolizumab bei bereits Platinvorbehandelten Patienten sind konsistent mit jenen aus Kohorte 2 der Phase-II-Studie Imvigor 210. Bei Patienten mit mittlerer bzw. hoher PD-L1-Expression (IC 2/3) konnte kein signifikanter Überlebensvorteil für die Patienten unter der Atezolizumab-Therapie gezeigt werden. Im Gegensatz dazu fand sich in der ITT-Population ein signifikanter Überlebensvorteil für die Patienten in der AtezolizumabGruppe (explorativer Endpunkt). Die Untersuchung belegt gleichzeitig die bessere Verträglichkeit von Atezolizumab im Vergleich zur Chemotherapie: Therapiebedingte unerwünschte Ereignisse der Grade 3/4 traten bei 20 % gegenüber 43 % auf [5]. Atezolizumab beim fortgeschrittenen nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom
Beim lokal fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC ist Atezolizumab nach vorheriger Chemotherapie zugelassen. Die Studiendaten belegen, dass der Anti-PD-L1-Antikörper diesen Patienten die Chance auf ein signifikant verlängertes Überleben bietet: So verlängerte Atezolizumab in der Phase-III-Zulassungsstudie OAK das mediane OS gegenüber Docetaxel um 4,2 Monate von 9,6 auf 13,8 Monate (HR: 0,73; 95%-KI: 0,62–0,87; p = 0,0003) (Abb. 2). In der Gruppe der Patienten mit Nicht-Platten epithelkarzinom wurde unter Atezolizumab sogar ein medianes OS von 15,6 Monaten gegenüber 11,2 Monaten unter Docetaxel erreicht © VERLAG PERFUSION GMBH
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Wie können Krebszellen das Immunsystem manipulieren? Ob sich ein Tumor im Körper bildet, hängt wesentlich davon ab, ob unser Immunsystem die entarteten Zellen als potenzielle Gefahr erkennt und angreift. Ein Modell, das beschreibt, wie das Immunsystem Krebszellen bekämpfen kann, ist der Krebs-Immunzell-Zyklus. Am Anfang dieses mehrstufigen Prozesses stehen die Krebszellen selbst, denn sie setzen spezifische Eiweißstoffe, die Krebsantigene, frei (u). Die dendritischen Zellen des Immunsystems greifen diese Antigene auf, transportieren sie in die Lymphknoten und präsentieren sie dort den T-Zellen (v). Entscheidend ist nun, ob die T-Zellen die Krebszellen auch als Gefahr erkennen. Ist dies der Fall, werden sie aktiviert (w): Die T-Zellen vermehren sich dann, wandern über den Blutkreislauf zum Tumor (x) und dringen in das Gewebe ein (y). Anhand der Krebsantigene spüren sie die Krebszellen auf (z), greifen sie an und zerstören sie im günstigsten Fall ({). Dadurch werden wiederum neue Krebsantigene freigesetzt und der Zyklus beginnt von vorne. Idealerweise läuft dieser sich selbst erhaltende Prozess von Natur aus ab, sodass sich der Körper selbst vor eventuell entarteten Zellen schützen kann. Leider ist unser Immunsystem im Kampf gegen den Krebs nicht immer erfolgreich. Denn manchen Krebszellen gelingt © Roche es, sich zu tarnen und so der körpereigenen Immunabwehr zu entkommen. Dafür manipulieren sie bestimmte Schaltstellen – sog. Checkpoints – unseres Immunsystems und setzen so die Abwehrreaktion des Körpers außer Kraft. So produzieren beispielsweise verschiedene Tumorarten den Programmed Death Ligand 1, kurz PD-L1. Interagiert dieses Protein mit den Rezeptoren PD-1 und B7.1 auf den T-Zellen, werden die T-Zellen deaktiviert. Das bedeutet: PD-L1 wirkt wie eine Art Stoppschild für unser Immunsystem und die Krebszellen haben freie Fahrt. Ziel der Krebsimmuntherapie ist es, diese „Stoppschilder“ zu beseitigen und das körpereigene Immunsystem zu reaktivieren, sodass es Krebszellen erfolgreich erkennt, angreift und zerstört. So bindet der Checkpoint-Inhibitor Atezolizumab gezielt an das Protein PDL1 und blockiert damit die Interaktion von PD-L1 mit den Rezeptoren PD-1 und B7.1 auf den T-Zellen. Dadurch verhindert er, dass sich die Krebszellen der Abwehr durch das Immunsystem entziehen können.
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(HR: 0,73; 95%-KI: 0,60–0,89; p = 0,0015). Der OS-Vorteil bestätigte sich unabhängig vom PD-L1Status, auch bei Patienten mit einer geringen PD-L1-Expression (TC/IC < 1 %; 12,6 vs. 8,9 Monate; HR: 0,75; 95%-Kl: 0,59–0,96; p = 0,0215) [6]. Das Sicherheitsprofil entsprach demjenigen früherer Studien mit Atezolizumab. Unter der Therapie mit dem Anti-PD-L1-Antikörper traten weniger unerwünschte Ereignisse (Grad 3/4) auf als unter der Docetaxel-Chemotherapie (15 % vs. 43 %) [6]. Brigitte Söllner, Erlangen
Literatur 1 Fachinformation Tecentriq®, Stand: September 2017 2 Herbst RS et al. Nature 2014;515:563-567 3 Balar AV et al. Lancet 2017;389:67-76 4 Loriot Y et al. Ann Oncol 2016;27 (Suppl. 6):vi270–vi271; Abstract 783P 5 Powles T et al. EACR-AACR-SIC 2017 (Special Conference); Abstract 606 6 Rittmeyer A et al. Lancet 2017;389:255265 7 De Santis M et al. J Clin Oncol 2012;30: 191-199 © VERLAG PERFUSION GMBH
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ie akute myeloische Leukämie (AML) macht etwa ein Viertel aller Leukämien bei Erwachsenen aus [1]. Die jährliche Rate an Neuerkrankungen liegt bei 3,7 pro 100.000 Einwohnern [2]. Ursächlich ist die unkontrollierte Proliferation veränderter unreifer myeloischer Zellen im Knochenmark, die dort sukzessiv gesunde Zellen verdrängen und die physiologische Hämatopoese behindern. Die Folgen sind in der Regel eine erhöhte Infektanfälligkeit (bedingt durch eine gestörte Granulozytopoese), ein erhöhtes Blutungsrisiko (bedingt durch eine gestörte Thrombozytopoese) bzw. eine ausgeprägte Anämie (bedingt durch eine gestörte Erythrozytopoese) [3]. Bei der AML ist eine Vielzahl genetischer Mutationen bekannt. Häufig betroffene Gene sind FLT3, NPM1, DNMT3A sowie IDH1/2 [4]. Die FLT3-Mutation lässt sich bei 30 % aller AML-Patienten nachweisen, wobei 2 Arten von aktivierenden Mutationen unterschieden werden können: interne Tandem-Duplikationen und Mutationen in der Tyrosinkinasedomäne [5]. Das FLT3-Gen kodiert für eine membranständige Re-
Durchbruch in der Behandlung der FLT3-mutierten AML mit Midostaurin
zeptor-Tyrosinkinase, die sich auf der Zelloberfläche befindet. Bei gesunden Zellen führt die Bindung des FLT3-Liganden an den FLT3-Rezeptor zur Aktivierung verschiedener Signalwege, die für Zellwachstum und -teilung sowie die zelluläre Signaltransduktion verantwortlich sind [6]. Mutationen im FLT3-Gen verursachen die Bildung eines Rezeptors mit konstitutiver Aktivität. Die Folge ist eine ligandenunabhängige Stimulation mit unkontrolliertem Wachstum und Proliferation der Zelle [4, 5]. Mehrere Studien zeigen, dass FLT3-ITD-Mutationen bei AML mit einer schlechten Prognose verbunden sind [7, 8, 9].
Midostaurin Midostaurin (Rydapt®) ist ein oral zu verabreichender Typ-III-Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitor, der u.a. über die Hemmung der Kinaseaktivität von FLT3 und KIT und deren mutierte Formen dazu beiträgt, spezifische essenzielle Zellprozesse zu regulieren und das Wachstum sowie die Vermehrung von Krebszellen zu verlangsamen oder zu stoppen. Midostaurin hemmt den FLT3-Rezeptor-abhängigen Signalweg und induziert Zellzyklusstillstand und Apoptose bei Leukämiezellen, die FLT3-ITD- oder TKD-mutierte Rezeptoren exprimieren oder FLT3-Wildtyp-Rezeptoren überexprimieren. In Kombination mit chemotherapeutischen Wirkstoffen (Cytarabin, Doxorubicin, Idarubicin und Daunorubicin) führt Midostaurin zu einer synergistischen Wachstumshemmung bei FLT3-ITD-exprimierenden AML-Zelllinien [10].
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Multikinasen-Inhibitor eröffnet neue therapeutische Perspektive
Seit über 25 Jahren beruhte die Behandlungsstrategie bei FLT3positiver AML allein auf der Gabe eines Anthrazyklins und Cytarabin. Zu Beginn der intensiven Chemotherapie erfolgt eine Induktionstherapie mit dreitägiger Gabe von beispielsweise Daunorubicin und einer siebentägigen Applikation von Cytarabin [3]. Patienten, die dabei eine komplette Remission erzielen, erhielten eine Konsolidierungstherapie aus hochdosiertem Cytarabin oder eine allogene Blutstammzelltransplantation. Mit der EU-Zulassung des Multikinasen-Inhibitors Midostaurin (Rydapt®) am 18. September 2017 hat sich nach vielen Jahren das therapeutische Spektrum für diese Patientengruppe erweitert und es steht nun die erste zielgerichtete Therapie in dieser Indikation zur Verfügung [10]. Grundlage der Zulassung bei FLT3positiver AML: die RATIFY-Studie
Entscheidend für die Zulassung von Midostaurin bei FLT3-positiver AML waren die Daten der Phase-III-Studie RATIFY, der bislang © VERLAG PERFUSION GMBH
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größten Studie in dieser Indikation [11]. Die 717 teilnehmenden Patienten erhielten entweder Mido staurin in Kombination mit einer Standardchemotherapie aus Daunorubicin und Cytarabin zur Induktion, gefolgt von Midostaurin mit einer Hochdosis-Chemotherapie aus Cytarabin zur Konsolidierung sowie anschließend Midostaurin als Monotherapie in der Erhaltung für maximal 12 Zyklen zu 28 Tagen (nachfolgend bezeichnet als Midostaurin-Arm, n = 360) oder eine Standardchemotherapie zur Induktion und Konsolidierung plus Placebo sowie Placebo in der Erhaltung für maximal 12 Zyklen zu 28 Tagen (nachfolgend bezeichnet als Placebo-Arm, n = 357). Allogene Stammzelltransplantationen waren im Rahmen der Studie erlaubt, die Teilnehmer mussten dafür die Studientherapie beenden. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben. Sekundäre Endpunkte umfassten unter anderem das ereignisfreie Überleben [11]. Deutlich verlängerte Überlebensraten
Bedeutsam war in der RATIFYStudie die Verlängerung des Gesamtüberlebens: Die 4-JahresRate betrug im Midostaurin-Arm 51,4 % gegenüber 44,3 % im Placebo-Arm. Im Midostaurin-Arm zeigte sich zudem eine 22%ige Reduktion des Sterberisikos, verglichen zum Placebo-Arm. Das mediane Gesamtüberleben lag im Midostaurin-Arm bei 74,7 Monaten, im Placebo-Arm bei 25,6 Monaten (einseitiger Log-RankTest p = 0,009; HR 0,78) (Abb. 1). Patienten im Midostaurin-Arm erzielten ein medianes ereignisfreies Überleben von 8,2 Monaten gegenüber 3,0 Monaten im Placebo-
Abbildung 1: Ergebnis der RATIFY-Studie bei Patienten mit FLT3-mutierter AML: Unter Midostaurin (Rydapt®) plus Standardchemotherapie mit anschließender Midostaurin-Monotherapie in der Erhaltung kam es zu einer signifikanten Verbesserung des Gesamtüberlebens von 74,4 Monate gegenüber 25,6 Monaten im Kontrollarm (Standardchemotherapie plus Placebo gefolgt von Placebo in der Erhaltung) (p = 0,009), woraus eine 22%igen Reduktion des Sterberisikos resultierte [11].
Arm (einseitiger Log-Rank-Test p = 0,002, HR 0,78). Die Wirksamkeit von Midostaurin auf das Gesamtüberleben war über alle FLT3Subgruppen hinweg zu beobachten – einschließlich FLT3-ITD mit hoher oder niedriger Allel-Last sowie FLT3-TKD-Mutation [11]. Die häufigsten nicht hämatologischen unerwünschten Ereignisse vom Grad 3–5 (Inzidenz ≥20 %) waren im Midostaurin-Arm febrile Neutropenien und Infektionen, im Placebo-Arm febrile Neutropenien, Infektionen und Lymphopenien. Insgesamt waren die Raten an schweren UE in beiden Gruppen annähernd gleich [11]. Fazit
Die Zulassung von Midostaurin bedeutet einen großen Fortschritt in der Behandlung der FLT3-po-
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sitiven AML, denn damit erhalten diese AML-Patienten mit besonders schlechter Prognose eine zielgerichtete Therapieoption. Vor allem der Einsatz von Midostaurin in der Erhaltungstherapie stellt eine Bereicherung dar. Brigitte Söllner, Erlangen Literatur 1 Kumar C. Genes Cancer 2011;2:95-107 2 Deschler B et al. Cancer 2006;107:20992107 3 Röllig C et al. DGHO Leitlinien „Akute Myeloische Leukämie (AML)“. Stand: März 2017 4 Shen Y et al. Blood 2011;118:5593-5603 5 Levis M. Am Soc Hematol Educ Program 2013;2013:220-226 6 Uniprot Database. FLT3 Human. http:// www.uniprot.org/uniprot/P36888 7 Abu-Duhier FM et al. Br J Haematol 2000; 111:190-195 8 Kottaridis PD et al. Blood 2001;98:17521759 9 Chillon MC et al. Hematol J 2004;5:239246 10 Fachinformation Rydapt®, Stand: September 2017 11 Stone RM et al. N Engl J Med 2017; 377:454-464 © VERLAG PERFUSION GMBH
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Multiple Sklerose: Impulstherapie bietet Patienten mit RRMS neue Perspektiven Die Zulassung von Alemtuzumab (Lemtrada®) hat zu einem Wandel in der Therapie der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose (RRMS) geführt. Seitdem können Patienten mit einer Impulstherapie bestehend aus 2 Behandlungsphasen im Abstand von 1 Jahr langfristig vor neuen Schüben, einem Fortschreiten der körperlichen Behinderung und einem beschleunigten Hirnvolumenverlust geschützt werden. Auf einem Pressegespräch von Sanofi Genzyme wurden aktuelle Daten vorgestellt, die eine über 7 Jahre anhaltende Wirkung des humanisierten, monoklonalen Anti-CD52-Antikörpers auf alle Aspekte der Krankheitsaktivität aufzeigen. Möglich wird dies durch eine selektive und reversible Depletion der zirkulierenden Tund B-Zellen mit anschließender Repopulation und Reorganisation des Immunsystems. Um das therapeutische Potenzial von Alemtuzumab bestmöglich zu nutzen, ist ein frühzeitiger Einsatz der Substanz wichtig, so die Empfehlung der Referenten. Fortschreitender Verlust an Hirnvolumen
„Schübe und Krankheitsprogression bei RRMS sind nur die Spitze des Eisbergs“, konstatierte Professor Till Sprenger, Wiesbaden. Auch in schubfreien Zeiten können im Gehirn entzündliche Aktivität und axonale Degeneration stattfinden, die sich jedoch nicht zwangsläufig
in Schubaktivität übersetzen. Diese subklinische Krankheitsaktivität kann den späteren Krankheitsverlauf negativ beeinflussen und sollte daher bereits in einer frühen Phase mittels MRT evaluiert werden, riet der Experte. Schon in frühen Krankheitsstadien kommt es zum Verlust von Hirnvolumen, der sich während des Krankheitsverlaufes weiter fortsetzen kann. Am stärksten betroffen ist die graue Substanz. Das Ausmaß an Hirnatrophie kann deutlich über die normale, altersbedingte Abnahme des Hirnvolumens (bei >35-jährigen gesunden Menschen 0,2–0,4 % pro Jahr) hinausgehen. Der Hirnvolumenverlust bei RRMS korreliert eng mit der körperlichen Behinderung: Während bei Patienten mit einem stabilen EDSS-Wert (Expanded Disability Status Scale) keine oder nur ein geringfügiges Fortschreiten der Hirnatrophie nachweisbar ist, zeigen Patienten mit Behinderungsprogression auch einen stärkeren Hirnvolumenverlust. Zusätzlich zu körperlichen Behinderungen kann die Hirnatrophie auch kognitive Einschränkungen nach sich ziehen, die wiederum die MSassoziierten Beeinträchtigungen der Lebensqualität noch weiter verschlechtern können. Der Effekt einer krankheitsmodifizierenden MS-Therapie auf die Hirnatrophie hat sich – unabhängig von der Läsionslast im MRT – als ein zuverlässiger Prädiktor für die Wirkung auf die Behinderungsprogression erwiesen. Verlangsamung der Hirnatrophie unter Alemtuzumab
Die neuen Erkenntnisse zum Ausmaß und der klinischen Relevanz der Hirnatrophie bei Patienten mit
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RRMS sowie die Entwicklung wirksamerer Therapieoptionen haben auch zu einer Weiterentwicklung der Therapieziele geführt. Eine Reduktion von jährlicher Schubrate und körperlicher Behinderungsprogression wird heute in vielen Fällen nicht mehr als ausreichend erachtet. Darüber hinaus geht es in einem modernen Therapiekonzept der RRMS auch darum, neue Läsionen im Gehirn möglichst zu verhindern, die Hirn atrophierate zu verlangsamen und die Lebensqualität zu verbessern, erläuterte Sprenger. Mit Alemtuzumab steht eine hochwirksame Substanz zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit aktiver RRMS Verfügung, die diesen stringenten Behandlungszielen entgegenkommt. Bis einschließlich Jahr 7 kam es bei Patienten, die in den zulassungsrelevanten Phase-III-Studien CARE-MS I und CARE-MS II Alemtuzumab erhalten hatten und im Rahmen der laufenden Verlängerungsstudie TOPAZ nachbeobachtet werden, zu einer anhaltenden Verlangsamung der Hirnatrophie, beurteilt anhand der Hirnparenchymfraktion (Brain Parenchymal Fraction, BPF) im MRT. In der CARE-MS-I-Studie sank bei den mit Alemtuzumab behandelten Patienten der mediane jährliche BPF-Verlust von 0,59 % im ersten Jahr auf 0,19 % im Jahr 7. „Das entspricht einer Hirnatrophierate, wie man sie auch bei gesunden Menschen beobachtet“, betonte Sprenger. Daten aus der Verlängerungsstudie der CAREMS II zeigten die lang anhaltende Wirksamkeit von Alemtuzumab auf die Krankheitsaktivität und dass diese Behandlung mit einer Verbesserung der Lebensqualität über 5 Jahre einherging: Die Patienten, die eine Verbesserung der bestehenden Behinderungen © VERLAG PERFUSION GMBH
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erfuhren, konnten hinsichtlich Lebensqualität am stärksten von der Therapie profitieren. Frühzeitige Intervention für langfristige Behandlungserfolge
Alemtuzumab richtet sich gezielt gegen das überwiegend auf T- und B-Lymphozyten exprimierte Oberflächenmolekül CD52. Auf die Zellen des innaten Immunsystems hat der Antikörper nur geringe Auswirkungen, berichtete Professor Sven G. Meuth, Münster. Nach einer selektiven Depletion der zirkulierenden T- und B-Zellen folge eine Repopulation und somit eine Reorganisation des Immunsystems, die mit der langfristigen Wirksamkeit von Alemtuzumab in Verbindung gebracht werden kann. Anders als bei einer Dauertherapie, die eine kontinuierliche Medikamentenexposition erfordert, besteht die Impulstherapie mit Alemtuzumab in der Regel aus nur 2 kurzen Behandlungsphasen im Abstand von 1 Jahr. Trotz einer kurzen Nachweisbarkeitsdauer des Wirkstoffs im Blutserum kann die Impulstherapie eine langfristige biologische Wirkung nach sich ziehen. In der ersten Behandlungsphase wird Alemtuzumab an 5 aufeinanderfolgenden Tagen infundiert, im zweiten Jahr an 3 Tagen. Beim Großteil der behandelten Patienten führen diese beiden Impulse zu einer über mindestens 2 Jahre anhaltenden Wirkung. Aktuelle Daten der Langzeitstudie TOPAZ zeigen, dass die jährliche Schubrate bei den Patienten der CARE-MS-I- und CARE-MS-IIStudie mit 0,13 und 0,14 auch im Jahr 7 weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau liegt. „Das bedeutet, dass rein rechnerisch nur noch alle 9–10 Jahre ein Schub zu
erwarten ist“, unterstrich Meuth. Zudem wies die Mehrzahl der mit Alemtuzumab behandelten Patienten während der gesamten Nachbeobachtungszeit über 7 Jahre stabile oder sogar verbesserte EDSS-Werte auf und zeigte in dem bisher zu überblickenden Zeitraum von 7 Jahren keine klinische oder para klinische Krankheitsaktivität. Konsistentes Sicherheitsprofil
Alemtuzumab zeichnet sich durch ein konsistentes Nutzen-RisikoProfil aus. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen mild bis moderat ausgeprägte infusionsbedingte Reaktionen und leichte bis mittelschwere Infektionen, die sich laut Meuth in der Regel gut beherrschen lassen. Die Nebenwirkungsrate nahm in der Verlängerungsphase im Vergleich zu den Kernstudien ab. Es können sekundäre Autoimmunstörungen wie die idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP), Nephropathien (einschließlich Goodpasture-Syndrom) und Schilddrüsenerkrankungen (Hyper- und Hypothyreose) auftreten, die durch das vorgeschriebene Monitoring-Programm in aller Regel frühzeitig detektiert und behandelt werden können. Frauen im gebärfähigen Alter sollten bis einschließlich 4 Monate nach einer Behandlungsphase Verhütungsmaßnahmen durchführen. Bei 248 Patientinnen, die in den klinischen Studien Alemtuzumab erhalten haben, ist eine Schwangerschaft eingetreten. Von den 218 abgeschlossenen Schwangerschaften (87,9 %) führten 147 zu Lebendgeburten (67,4 %) und 48 zu Spontanaborten (22,0 %). „Die Rate der Spontanaborte entspricht der Rate in der Allgemeinbevölkerung“, so Meuth. Es wurde keine
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erhöhte Fehlbildungs- oder Fehlgeburtsrate beobachtet. Alemtuzumab verschafft den Patienten therapeutischen Freiraum
„Der Anspruch an eine effektive MS-Therapie ist gestiegen; die Therapieziele sind anspruchsvoller geworden, da heute auch neuropsychologische Domänen, Fatigue, Lebensqualität und kognitive Leistungsfähigkeit in die therapeutischen Überlegungen einbezogen werden“, so Dr. Stefan Ries, Erbach. Angesichts der guten Studienevidenz sollte der Einsatz von Alemtuzumab bei aktiver RRMS rechtzeitig in Erwägung gezogen werden, solange die Neurodegeneration noch nicht zu weit fortgeschritten und die Krankheit noch modulierbar ist. Fabian Sandner, Nürnberg
Neues Fortbildungskonzept MedicalVote® beim DGHO vorgestellt Auf der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) präsentierte Servier Deutschland erstmals das innovative Fortbildungskonzept MedicalVote®. Hierbei handelt es sich um eine vollkommen neuartige „Augmented Reality“-App, die Fortbildung, Innovation und Quiz verbindet. Das Tool wurde nach einer Idee von SERVIER von der Healthcare-Agentur ayeQ-benu GmbH in Hamburg realisiert und basiert auf dem Apple-Betriebssystem IOS 11. © VERLAG PERFUSION GMBH
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Augmented Reality eröffnet neue Potenziale für die Weiterbildung
MedicalVote® reichert die reale Welt um zusätzliche virtuelle Informationen an. So konnten am Kongressstand von SERVIER Ärzte das Herz und den Darm einer „gläsernen“ virtuellen Patientin, die quasi real im Raum stand, dreidimensional erleben. Durch Interaktionen konnten sie eine CME-Fortbildung zur Sequenztherapie des metastasierten Kolonkarzinoms online durchlaufen oder ein medizinisches Quiz mit Physikumsfragen aus der sogenannten „schwarzen Reihe“ zum Bereich Darm und Herz absolvieren.
Die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung (Augmented Reality, AR) ist heute aus vielen Industriezweigen nicht mehr wegzudenken. Ein Beispiel sind Headup-Displays in modernen Fahrzeugen. In der medizinischen Kommunikation steht die Entwicklung allerdings noch am Anfang. Verwendet wurde bei MedicalVote® das von Apple vorgestellte AR-Kit. Die Technologie an sich ist zwar nicht neu, wird aber mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die neue Software revolutioniert werden. Neben der insgesamt sehr einfachen Bedienung, einer Software,
die von jedem neueren iPhone oder iPad verwendet werden kann und damit jedermann zugänglich ist, sind die Projektionen von Schattenwurf, Lichtspiel und der Größenverhältnisse so realitätsgetreu und lebensnah wie nie zuvor. Dies eröffnet neue Möglichkeiten der Visualisierung und damit großartige Potenziale für die medizinische Fort- und Weiterbildung. Dieses Potenzial hat Servier erkannt und so wird auch MedicalVote® kontinuierlich weiterentwickelt werden, um den Nutzen für den ärztlichen Anwender gerade auch für die Patientenkommunikation noch weiter zu optimieren. E. W.
Titelbild: © Fotolia Herausgeber: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Univ.-Prof. Dr. med. Hermann Eichstädt, Leiter Bereich Kardiologie RZP Potsdam und Geschäftsführer BBGK e.V. Berlin Konstanzer Straße 61 10707 Berlin Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. M. Alexander, Infektiologie, Berlin Prof. Dr. L. Beck, Gynäkologie, Düsseldorf Prof. Dr. Berndt, Innere Medizin, Berlin Prof. Dr. H.-K. Breddin, Innere Medizin, Frankfurt/Main Prof. Dr. K. M. Einhäupl, Neurologie, Berlin Prof. Dr. E. Erdmann, Kardiologie, Köln Prof. Dr. Dr. med. E. Ernst, University of Exeter, UK Prof. Dr. K. Falke, Anästhesiologie, Berlin Prof. Dr. K. Federlin, Innere Medizin, Gießen Prof. Dr. E. Gerlach, Physiologie, München Prof. Dr. H. Helge, Kinderheilkunde, Berlin Prof. Dr. R. Herrmann, Onkologie, Basel Prof. Dr. W. Jonat, Gynäkologie, Hamburg Prof. Dr. H. Kewitz, Klin. Pharmakol. Berlin Prof. Dr. B. Lemmer, Pharmakologie, Mannheim/Heidelberg
Prof. Dr. med. R. Lorenz, Neurochirurgie, Frankfurt Prof Dr. J. Mann, Nephrologie, München Dr. med. Veselin Mitrovic, Kardiologie, Klinische Pharmakologie, Bad Nauheim Prof. Dr. R. Nagel, Urologie, Berlin Prof. Dr. E.-A. Noack, Pharmakologie, Düsseldorf Prof. Dr. P. Ostendorf, Hämatologie, Hamburg Prof. Dr. Th. Philipp, Innere Medizin, Essen Priv.-Doz. Dr. med. B. Richter, Ernährung – Stoffwechsel, Düsseldorf Prof. Dr. H. Rieger, Angiologie, Aachen Prof. Dr. H. Roskamm, Kardiologie, Bad Krozingen Prof. Dr. E. Rüther, Psychiatrie, Göttingen Prof. Dr. med. A. Schrey, Pharmakologie, Düsseldorf Dr. Dr. med. C. Sieger, Gesundheitspolitik u. Gesundheitsökonomie, München Prof. Dr. E. Standl, Innere Medizin, München Prof. Dr. W. T. Ulmer, Pulmologie, Bochum Schriftleitung: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Telefon: 037437 557-0 Bibliothek: 037437 2214 [Library] E-Mail DIG: info@d-i-g.org E-Mail persönlich: k.l.resch@d-i-g.org
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Bestandt., Anw. am Auge, intravitreale Anw. Warnhinw. u. Vorsichtsm.: Cave erhöht. Blutungsrisiko, Pat. auf Anz. v. GIT u. and. schweren Blutg. überw. Kontr. d. gr. Blutbildes z. Beg. u. vor jed. Zyklus empf., b. Thrombozytopenie ≤ 75 x 109/l Verabr. aufschieben. GIT Perforation (auch letal) u. Fistelbildg. wurden beobachtet, b. Auftr. Behandl. abbrechen. Erhöht. Risiko f. Hypertonie Grad 3–4, vorbest., Hypertonie vor Ther.-beg. ausreich. kontrollieren, engmasch. Kontr. d. RR, b. Auftr. v. schwerer Hypertonie, hypertens. Krise od. Enzephalopathie Behandl. absetzen! Pat. mit kongestivem Herzversagen, NYHA-Klasse III/IV, dürfen nicht behand. werden. Herzinsuff. bis hin z. Herzvers. u. vermind. Auswurffraktion beobachtet. B. Auftreten Ther. abbrechen. V. Beginn u. i. regelmäß. Abständen i. Verlauf d. Therap. Beurteil. linksventrikul. Funktion in Betracht ziehen. ATE (einschl. TIA, Schlaganf., Ang. pect., intrakard. Thrombus, MI, art. Embolie u. ischäm. Kolitis) wurden beobachtet, b. Auftr. Behandl. abbrechen. VTE (inkl. TVT u. Lungenembolie) wurde beobachtet, bei lebensbedrohl. Ereign. Therapie absetzen, b. TVT 3° m. Antikoagul. behand., b. Wiederauftr. Ther. m. Aflibercept abbrech. Schwere Proteinurien, nephrotisches Syndrom und thrombotische Mikroangiopathie (TMA) beobachtet. Vor. Anw. beobachten, b. Werten ≥ 2 g/24 h Behandl. unterbr. u. erst b. Werten < 2 g/24 h wiederaufn., Ds. auf 2 mg/kg reduz., b Entwickl. v. nephrot. Syndr./TMA Behandl. abbr. Neutropenie u. entspr. Komplik. wurd. beobachtet, v. Behandl.-beg. u. vor jed. Zyklus Kontr. gr. BB einschl. Diff.-BB empf., Behandl. aufschieb., bis Neutrophilenzahl ≥ 1,5 x 109/l, b. Pat. m. erhöht. Risiko f. neutropen. Komplik. Gabe v. G-CSF erwäg. B. Durchfall u. Dehydratat. entspr. Behandl. einleit., ggf. Dosisredukt. B. Auftr. v. schwerwieg. Überempf.-reakt. (Bronchospasmus, Dyspnoe, Angioödem, Anaphylaxie) AM absetzen u. entspr. Therapie einleit., b. leicht. bis mittelschw. Reakt. (Hitzewallg., Ausschlag, Urtikaria, Juckreiz) Gabe vorübergeh. absetz. bis Besserg., ggf. Vorbeh. m. Corticosteroid./Antihistaminika erwäg. Event. Wundheilungsstörg., AM mind. 4 Wo. vor gepl. OP absetz. Neubeg. mind. 4 Wo. nach größ. OP u. nach vollst. Wundheilg. Fälle v. Osteonekrosen d. Kieferknochens bericht. In Zusammenh. mit einer vorausgehenden od. begleitenden Behandlg. mit intravenös angewendeten Bisphosphonaten invasive zahnmed. Eingriffe vermeiden. Bei Auftr. v. PRES AM absetz. Pat. > 65 J.: erhöht. Risiko f. Durchfall, Schwindel, Asthenie, Gewichtsverlust, Dehydratation, engmasch. Überw. empf. b. Pat. m. ECOG-Performancestat. ≥ 2 od. erhebl. Komorbidit. höh. Risiko f. schlechteres Behandl.-ergebn., engmsch. überw. Fertilität, Schwangersch. u. Stillz.: Strenge Nutzen-Risiko-Abw., Gefährdung d. Fötus mögl.! Vor, währ. d. Behandl. u. bis 6 Mo. nach letzter Gabe zuverläss. Verhütungsmethode anw.! Keine Daten z. Gabe währ. d. Stillzeit, sorgf. Nutzen-Risiko-Abwäg. empfohlen. Mögl. Beeinträchtig. d. Fertitlität. Nebenw.: Infekt. u. parasit. Erkr.: Sehr häufig Infektion. Häufig neutropen. Infekt./Sepsis, Harnwegsinfekt., Nasopharyngitis. Gelegentl. Harnwegsinf. Blut u. Lymphsyst.: Sehr häufig Leuko-, Neutro-, Thrombozytopenie. Häufig febrile Neutropenie. Immunsyst.: Häufig Überempfindlichk. Stoffw. u. Ernährg.: Sehr häufig vermind. Appetit, Gewichtsverlust. Häufig Dehydratation. Herz: Gelegentl. Herzinsuff. b. hin z. Herzvers. Selten Auswurffraktion vermind. Nerven: Sehr häufig Kopfschm. Gelegentl. PRES. Gefäße: Sehr häufig Hypertonie, Blutg. Häufig arterielle od. venöse Thromboembolie. Atemw., Brustr., Mediast.: Sehr häufig Dyspnoe, Epistaxis, Dysphonie. Häufig Schm. i. Oropharynx, Rinorrhö. GIT: Sehr häufig Durchf., Stomatitis, Abdominalschm., Schm. i. Oberbauch. Häufig Rektalblutg., Fistel, Stomatitis aphtosa, Hämorrhoiden, Proktalgie, Zahnschm. Gelegentl. GI Perforation. Leber u. Galle: Sehr häufig erhöht. AST, ALT. Haut u. Unterhautzellgew.: Sehr häufig palmoplantares Erythrodysästhesiesyndrom. Häufig Hauthyperpigmentierg. Gelegentl. gestörte Wundheilg. Nieren u. Harnw.: Sehr häufig Proteinurie, erhöht. Serumkreatinin. Gelegentl. nephrot. Syndrom, thrombot. Mikroangiopath. Allg.: Sehr häufig Schwächezust. Verschreibungspflichtig. Zulassungsinhaber: sanofi-aventis groupe, 54, rue La Boétie, 75008 Paris, Frankreich. Deutscher Vertreter: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, 65926 Frankfurt am Main. Stand: Februar 2017 (SADE.AFL.17.05.1200) Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden.
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1701_ZAL_B – SADE.AFL.17.06.1736