Journal 1-2019

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ISSN 1432-4334 JAHRGANG 28 HEFT 1 Januar 2019

FÜR PHARMAKOLOGIE UND THERAPIE

JOURNAL OF PHARMACOLOGY AND THERAPY

Morbus Gaucher Update Akne-Therapie: Mit topischem Fixtherapeutikum Läsionen effektiv und langfristig minimieren Migräne-Prophylaxe: CGRP-Antikörper als neue Hoffnungsträger Neue Therapiestrategien für das vorbehandelte metastasierte Kolorektalund Magenkarzinom Obstruktive Schlafapnoe: Stimulationstherapie bannt Gefahr durch nächtliche Atemaussetzer Enzalutamid verbessert die Therapie des kastrationsresistenten Prostatakarzinoms Erstes Pegfilgrastim-Biosimilar in der EU für die Neutropeniebehandlung VERLAG zugelassen Caplacizumab – das erste speziell für die Behandlung der aTTP zugelassene Therapeutikum

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EDITORIAL

Natürlich haben wir in Deutschland schon immer das beste Gesundheitssystem der Welt. Und jede politische (gesetzgeberische) Intervention hat es bisher immer noch ein bisschen besser gemacht. Dennoch gibt es Nörgler, die ihrem Unmut Ausdruck geben – etwa im Sinne der Logik des altbayerischen Originals Karl Valentin: „So ein Zeug erfinden’s, aber gegen den Katarrh ham’s noch nix erfunden.“ Zu diesem fortbestehenden Dilemma hat sich mittlerweile mindestens ein weiteres dazugesellt: der Ärztemangel, der immer häufiger mit dem Adjektiv „strukturell“ näher beschrieben wird. Will heißen: keine vorübergehende Malaise. Strategische Überlegungen scheinen sich zunehmend auf das Abwerben von Medizinern zu fokussieren. Das macht den Beruf insgesamt durchaus attraktiver, ändert aber an der Zahl der Ärzte nichts und damit auch nicht für die Patienten bei ihrer „Reise nach Jerusalem“. Wenn nicht genügend Stühle im Spiel sind, kann nie jeder einen Sitzplatz ergattern. Und per­ spektivisch noch viel weniger, wenn im Zuge des Generationenwechsels ein Wechsel der Lebensphilosophie Einzug hält: Statt „Arbeit ist mein Leben“ gilt jetzt: „Work Life Balance zuerst“. Dann stimmt auch die allenthalben geltende Gleichung KV-Sitz = KV-Sitz nicht mehr. Kontinuierlich steigende Wartezeiten im ambulanten Bereich sind nicht mehr und nicht weniger als ein klares Indiz für ein bemerkenswertes Missverhältnis zwischen der nachgefragten und der verfügbaren Bruttobehandlungszeit. Daran kann auch die neue Geheimwaffe Telemedizin nichts Grundsätzliches ändern: Warum sollte eine Anamnese via Skype weniger lang dauern als „face to face“? Ärgerlicherweise werden in dieser strukturellen Krise unseres Gesundheitssystems genuine Lösungsansätze nicht thematisiert. Obwohl sich allfällige stille Ressourcen nachgeradezu aufdrängen, die die verfügbare Bruttobehandlungszeit um größenordnungsmäßig mindestens die Hälfte erhöhen könnten, so zum Beispiel: • Ressource 1: Abbau des Anteils nichtärztlicher Leistungen an der

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Probleme im Gesundheitswesen: Handwerker vor! Bruttoarbeitszeit. Hier wird allgemein davon ausgegangen, dass diese ca. 1/3 der Arbeitszeit des niedergelassenen Arztes in Anspruch nehmen. • Ressource 2: Reduzierung der im europäischen Vergleich exorbitant hohen Zahl von Arztkontakten in Deutschland (aktuelle Schätzung: 150 % bis 200 % des europäischen Durchschnitts) in Richtung eines europäischen Mittelwerts. • Ressource 3: Systematische und planvolle Ausweitung der Delegation delegierbarer Leistungen auf adäquat ausgebildetes nichtärztliches Assistenzpersonal (z.B. Arzt­ assistenten) bzw. der substituierbaren Leistungen auf entsprechend ausgebildetes nichtärztliches Fachpersonal (z.B. „nurse practitioner“) sowie nichtärztliche medizinische Fachberufe mit „sektoraler Approbation“ (z.B. Physiotherapeuten mit Masterabschluss). Die langjährige praktische Erfahrung bzw. Evaluation in vielen anderen westlichen Ländern straft alle Lügen, die hier den Zusammenbruch der medizinischen Versorgung vorhersagen. Das Gegenteil ist durch Evaluationen schon lange eindeutig bewiesen [1], insbesondere bei der Betreuung chronisch Kranker. • Ressource 4: Hinterfragung des Primats der diagnosebasierten Vergütung hin zu einer aufwandsorientierten Vergütung. Es macht eben einen Unterschied, wie groß z.B. der Einzugsbereich (Landarztpraxis!) oder der durchschnittliche sozioökonomische Status der in einer Praxis betreuten Patienten ist (Villen- versus Problemviertel). • Ressource 5: Kehrtwende bei der Privatisierung von Krankenhäusern und den nicht von den Agierenden geführten MVZ. Das ließe ca. 15 – 20 % der dort eingesetzten Mittel, die nach Finanzierung aller de facto

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Prof. Dr. med. K.-L. Resch, Bad Elster

entstehenden Kosten als „Umsatzrendite“ abfließen, im System verbleiben. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich gönne jedem eine gute Rendite auf seine Anlagen. Diese Form der Alterssicherung muss aber im Bereich der freien Wirtschaft stattfinden und darf nicht in Bereichen realisiert werden, deren „Kapital“ die auf der Basis des Solidarprinzips gesetzlich festgelegten (Zwangs-)Beiträge aller Versicherten sind! Die Wurzel allen Übels liegt ganz offensichtlich darin, dass die Politik typischerweise reagiert statt proaktiv agiert. Es ist nicht üblich, einerseits „objektive“ Analysen zur Definition der drängendsten Probleme durchzuführen oder in Auftrag zu geben und andererseits vorbehaltlose Wettbewerbe für die besten, den größten Erfolg versprechenden bzw. kostengünstigsten Lösungen auszuloben. Vielmehr wird, bildlich gesprochen, das „Werkzeug“ vorgegeben und dafür mit viel Geld nach „Aufgaben“ gesucht. Beispiel gefällig? Bitte sehr: Der Dauer-Hype Elektromobilität fo-


INHALT

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kussiert höchst einseitig darauf, wie Elektromobilität realisiert werden soll. Eine Grundsatzdebatte, wo dieses Prinzip tatsächlich das Beste ist, wird nicht wirklich geführt [2]. Dies gilt auch für den Dauer-Hype autonomes Fahren: Ich kann mich an keine ernsthafte Argumentation erinnern, in der berücksichtigt wurde, dass ein großer Teil der gesamt gefahrenen Kilometer im Nahbereich stattfindet oder dass etwa Leitsysteme auf Autobahnen einen Bruchteil des Geldes kosten würden, das für die Ausstattung jedes einzelnen Fahrzeugs aufgewendet werden muss. Mit gutem Grund hat die zivile Luftfahrt die Schnapsidee vom autonomen Flugzeug als Ersatz für das System der Fluglotsen nie aufgegriffen. Zurück zur medizinischen Versorgung: Der Dauer-Hype Digitalisierung basiert auf der Doktrin, dass Digitalisierung grundsätzlich immer besser ist als jede andere Lösung. Vor diesem Hintergrund geht es ganz offensichtlich nur noch darum, wie analoge Strategien durch digitale ersetzt werden können. Wenn man unter diesem Gesichtspunkt in den letzten Monaten das Deutsche Ärzteblatt analysiert, findet sich diese Grundposition in nahezu jedem Beitrag zur Digitalisierung wieder – und das sind eine ganze Menge! Wer meckert, sollte gefälligst eine Lösung anbieten! Also dann, hier ist sie, nachvollziehbar illustriert: Kein Handwerker käme auf die Schnapsidee, sich festzulegen, ab dem kommenden Jahr grundsätzlich nur noch mit dem Hammer oder einer Zange zu arbeiten. Vielmehr reagiert er in der Wahl seiner Werkzeuge sensibel auf den aktuellen Bedarf: Hammer, wenn Nagel rein in die Wand, Zange, wenn Nagel raus aus der Wand. Fangen wir endlich an, an die Probleme im Gesundheitswesen heranzugehen wie die Handwerker. Damit’s tatsächlich das Beste wird. Karl-Ludwig Resch, Bad Elster

ÜBERSICHTSARBEIT Morbus Gaucher Brigitte Söllner

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS Update Akne-Therapie: Mit topischem Fixtherapeutikum Läsionen effektiv und langfristig minimieren 10 Migräne-Prophylaxe: CGRP-Antikörper als neue Hoffnungsträger 12 Neue Therapiestrategien für das vorbehandelte metastasierte Kolorektal- und Magenkarzinom

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Obstruktive Schlafapnoe: Stimulationstherapie bannt Gefahr durch nächtliche Atemaussetzer

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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL Enzalutamid verbessert die Therapie des kastrationsresistenten Prostatakarzinoms

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Erstes Pegfilgrastim-Biosimilar in der EU für die Neutropeniebehandlung zugelassen

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Caplacizumab – das erste speziell für die Behandlung der aTTP zugelassene Therapeutikum

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Quellen

1 N N. Nurse practitioners effectively manage same day GP patients. Br Med J 2000;320:0 2 Die wahre Ökobilanz der Elektroautos (Titelthema). Spektrum der Wissenschaft, Mai 2018

RUBRIKEN Kongresse 27 Wissenswertes 31

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Literaturangaben: 1. Granger CB et al. N Engl J Med 2011; 365: 981–992. Eliquis 2,5 mg Filmtabletten. Eliquis 5 mg Filmtabletten. Wirkstoff: Apixaban. Zusammensetzung: Wirkstoff: 2,5 mg bzw. 5 mg Apixaban. Sonst. Bestandteile: Lactose, Mikrokristalline Cellulose, Croscarmellose-Natrium, Natriumdodecylsulfat, Magnesiumstearat, Lactose-Monohydrat, Hypromellose, Titandioxid, Triacetin, Eliquis 2,5 mg zusätzlich: Eisen(III)-hydroxid-oxid x H2O; Eliquis 5 mg zusätzlich: Eisen(III)-oxid. Anwendungsgebiete: Prophylaxe v. Schlaganfällen u. systemischen Embolien bei erw. Pat. mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern u. einem o. mehreren Risikofaktoren, wie Schlaganfall o. TIA in der Anamnese, Alter ≥ 75 Jahren, Hypertonie, Diabetes mellitus, symptomatische Herzinsuffizienz (NYHA Klasse ≥II). Behandlung v. tiefen Venenthrombosen (TVT) u. Lungenembolien (LE) sowie Prophylaxe v. rezidivierenden TVT und LE bei Erw. Eliquis 2,5 mg zusätzlich: Prophylaxe venöser Thromboembolien bei erw. Pat. nach elektiven Hüft- o. Kniegelenksersatzoperationen. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gg. den Wirkstoff o.e.d. sonst. Bestandteile; akute klinisch relevante Blutung; Lebererkrankungen, die mit einer Koagulopathie u. einem klinisch relevanten Blutungsrisiko verbunden sind. Läsionen o. klinische Situationen, falls sie als signifikanter Risikofaktor für eine schwere Blutung angesehen werden (z.B. akute o. kürzl. aufgetretene gastrointestinale Ulzerationen, maligne Neoplasien m. hohem Blutungsrisiko, kürzl. aufgetretene Hirn- o. Rückenmarksverletzungen, kürzl. erfolgte chirurgische Eingriffe an Gehirn, Rückenmark o. Augen, kürzl. aufgetretene intrakranielle Blutungen, bekannte o. vermutete Ösophagusvarizen, arteriovenöse Fehlbildungen, vaskuläre Aneurysmen o. größere intraspinale o. intrazerebrale vaskuläre Anomalien. Gleichzeitige Anwendung anderer Antikoagulanzien z.B. unfraktionierte Heparine, niedermol. Heparine, Heparinderivate, orale Antikoagulanzien außer bei Umstellung der Antikoagulation von o. auf Apixaban o. unfraktioniertes Heparin in Dosen, um die Durchgängigkeit e. zentralvenösen o. arteriellen Katheters zu erhalten. Nebenwirkungen: Häufig: Anämie, Thrombozytopenie; Blutungen am Auge (einschließlich Bindehautblutung); Blutungen, Hämatome, Hypotonie (einschließlich Blutdruckabfall während des Eingriffs); Epistaxis; Übelkeit, Gastrointestinale Blutung, Blutung im Mundraum, Rektalblutung, Zahnfleischblutung; erhöhte Gamma-Glutamyltransferase, erhöhte Alanin-Aminotransferase; Hautausschlag; Hämaturie; Abnormale vaginale Blutung, urogenitale Blutung; Kontusion. Gelegentlich: Überempfindlichkeitsreaktionen, allergisches Ödem, anaphylaktische Reaktion, Pruritus; Gehirnblutung; Intraabdominalblutung; Hämoptyse; Hämorrhoidalblutung, Hämatochezie; abnormale Leberfunktionstests, erhöhte Aspartat-Aminotransferase, erhöhte Blutwerte für alkalische Phosphatase, erhöhte Blutwerte für Bilirubin; Muskelblutung; Blutung an der Applikationsstelle; Okkultes Blut positiv; Postoperative Blutung (einschließlich postoperatives Hämatom, Wundblutung, Hämatom an Gefäßpunktionsstelle und Blutung an der Kathetereinstichstelle), Wundsekretion, Blutungen an der Inzisionsstelle (einschließlich Hämatom an der Inzisionsstelle), intraoperative Blutung, Traumatische Blutung. Selten: Blutung der Atemwege; Retroperitoneale Blutung; Weitere Hinweise: siehe Fachinformation. Verschreibungspflichtig. Pharmazeutischer Unternehmer: Bristol-Myers Squibb/Pfizer EEIG, Bristol-Myers Squibb House, Uxbridge Business Park, Sanderson Road, Uxbridge, Middlesex UB8 1DH Vereinigtes Königreich. Version 09


ÜBERSICHTSARBEIT

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orbus Gaucher ist eine seltene, autosomal rezessiv vererbte lysosomale Speicherkrankheit, die auf einem Mangel bzw. dem völligen Fehlen des Enzyms β-Glukozerebrosidase beruht. Benannt ist sie nach Philippe Charles Ernest Gaucher, der im Jahr 1882 als erster eine Patientin mit den typischen Symptomen beschrieb. Die Inzidenz der Fettstoffwechselstörung beträgt in Zentraleuropa etwa 1 : 40.000 bis 1 : 60.000. Unter den Bewohnern der Mittelmeerländer und hier besonders unter der türkischen Bevölkerung tritt der Morbus Gaucher wesentlich häufiger auf; bei Ashkenazi-Juden mit einer geschätzten Häufigkeit von 1 : 850 [1]. Anreicherung von Glukozere­ brosiden und ihre Folgen

Glukozerebroside sind zuckerhaltige Fettstoffe, die regelmäßig in Makrophagen beim Abbau von Membranen von Leukozyten und Erythrozyten anfallen. Normalerweise werden sie durch das in den Lysosomen lokalisierte Enzym β-Glukozerebrosidase abgebaut, das hydrolytisch ein Glukosemolekül abspaltet (Abb. 1). Fehlt dieses

Morbus Gaucher Brigitte Söllner, Erlangen

Enzym oder ist es unzureichend aktiv wie bei den verschiedenen Formen des Morbus Gaucher, reichern sich die nicht abbaubaren Glukozerebroside in den Lysosomen der Makrophagen als Speichersubstanz an. Dabei schwellen die Fresszellen zu den typischen großvolumigen Gaucher-Speicherzellen an (Abb. 2). Diese akkumulieren in allen Geweben und Organen, in denen sich typischerweise Makrophagen befinden – überwiegend in der Milz, in der Leber und im Knochenmark –, und sezernieren verschiedene inflammatorische Mediatoren [2]. Folge ist eine Vergrößerung von Milz und Leber mit abdominellen Beschwerden. Die Milz des Gaucher-Patienten kann bis zum Dreißigfachen des Normalen anschwellen. Milzinfarkte, Milzfibrosierung und Hypersplenismus sind mögliche Folgen. Bei der Leber sind Vergrößerungen des Zweibis Dreifachen der Norm beschrie-

ben. Manche Patienten entwickeln eine portale Hypertension, eine Fibrose (Pseudozirrhose) oder – eher selten – eine Leberinsuffizienz [3]. Je nach Erkrankungsform (Tab. 1) können weitere Symptome auftreten: • Bei Knochenbefall ist das Gleichgewicht zwischen Auf- und Abbau der Knochensubstanz gestört und der Knochen verliert an Stabilität. Typische Symptome sind daher Osteolyse, Osteonekrosen, Osteoporose, Frakturen und Knochenkrisen (fieberhafte Knochenbeschwerden mit schwerem Krankheitsgefühl). Häufig finden sich radiologisch erkennbare Knochenschädigungen, besonders in der proximalen Tibia und im distalen Femur, die der Form eines Erlenmeyerkolben ähneln. • Das Knochenmark infiltrierende Gaucher-Zellen verdrängen die blutbildenden Zellen, so-

Glukose

Glukocerebrosid

Ceramid Abbildung 1: Normaler Glukozerebrosid-Abbau. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2019 · 28. JAHRGANG

Abbildung 2: Gaucher-Speicherzelle. © VERLAG PERFUSION GMBH


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ÜBERSICHTSARBEIT

Morbus Gaucher

Anteil an GaucherErkrankungen

Symptome

Verlauf

Nicht neuronopathisch (früher Typ 1)

94 %

Splenomegalie, Hepatomegalie, Thrombozytopenie, Anämie, Knochenbefall mit Osteopenie, Osteolyse, Osteonekrosen, Osteoporose, Frakturen, Knochenkrisen

Erste Symptome können sich in jedem Alter zeigen. Je früher sich die Erkrankung klinisch manifestiert, desto schwerer ist die Ausprägung und desto schneller die Progredienz. Die Patienten sind vor allem durch mögliche Milzrupturen und Blutungskomplikationen akut gefährdet

Akut neuronopathisch (früher Typ 2)

1 %

Schwere, rasch progrediente neurologische Komplikationen mit Spastik, Dysphagie und Augenmuskellähmungen sowie deutlich ausgeprägte Hepatosplenomegalie und schwere hämatologische Symptome

Die Krankheit beginnt im 2. bis 3. Lebensmonat mit Entwicklungsstörungen. Die meisten Kinder versterben bereits innerhalb der ersten 2 Lebensjahre an rasch fortschreitenden ZNS-Komplikationen

Chronisch neuronopathisch (früher Typ 3)

5 %

Mäßig bis schwer ausgeprägte ZNSSymptome mit geringer Progredienz, meist mit mentaler Retardierung und Verhaltens­ auffälligkeiten einhergehend; zusätzlich Hepatosplenomegalie und hämatologische Symptome variabler Ausprägung sowie schwere bis sehr schwere ossäre Komplikationen. Ein Morbus Gaucher Typ 3 beinhaltet somit immer auch einen schweren Typ 1

Erstes Auftreten in der Regel im 2. oder 3. Lebensjahr

Tabelle 1: Verlaufsformen des Morbus Gaucher [2, 3]. Die Krankheit wurde bisher streng in 3 Subtypen eingeteilt, basierend auf den jeweiligen Symptomen, der Mitbeteiligung des Nervensystems, dem Zeitpunkt des Krankheitseintritts und der Lebenserwartung der Patienten. Diese willkürliche Trennung wurde zunehmend zu Gunsten einer neuen Aufteilung verlassen, da es Übergangsformen gibt, die sich nicht eindeutig einem Sub-Typ zuordnen lassen. Man unterscheidet heute eine nicht neuronopathische und eine neuronopathische Verlaufsform. Das bedeutet, dass das Fehlen bzw. Auftreten von Nervenschädigungen über die Zuordnung zu den 2 Hauptgruppen entscheidet.

dass sich eine Thrombopenie mit erhöhter Blutungsneigung, eine Anämie und eine Leukozytopenie mit erhöhter Infektanfälligkeit entwickeln. • In etwa 5 – 10% der Fälle ist auch das Zentralnervensystem betroffen. Diese neuronopathische Verlaufsform geht meist mit mentaler Retardierung und Verhaltensauffälligkeiten einher [3]. Diagnose

Bei Verdacht auf Morbus Gaucher sind eine sorgfältige körperliche Untersuchung sowie eine Oberbauchsonographie angezeigt. Im Ultraschall lässt sich die bei Morbus Gaucher fast immer vorhandene Milzvergrößerung gut nachweisen und quantifizieren. Auch der Knochenstatus sowie eine Famili-

enanamnese sollten erhoben werden. Die Eltern sind selbst meist asymptomatische Träger nur eines mutierten Gens (zur Vererbung siehe Insert auf S. 6). Bei ihnen reicht die vorhandene Restenzymaktivität für die Aufrechterhaltung des Systems aus. Die Verdachtsdiagnose wird durch Messung der β-Gluko­ze­ re­ brosidase-Aktivität (z.B. mittels Trockenbluttest) bestätigt. Zusätzlich wird der molekularbiologische Nachweis eines β-Glukozerebrosidase-Gendefekts empfohlen [2, 3]. Aufgrund der Seltenheit der Krankheit und der Heterogenität der Symptome vergehen im Mittel 4 – 10 Jahre zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und der endgültigen Diagnose. Laut einer Studie konsultierten die Patienten vor der Diagnose durchschnittlich

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8 Fachärzte, unter denen Hämatologen mit 86 % am häufigsten vertreten waren [4]. Therapiemöglichkeiten

Trotz aller Fortschritte ist der Morbus Gaucher heute zwar behandel-, aber nicht heilbar. Zur Behandlung stehen 2 verschiedene Therapieprinzipen zur Verfügung: • die Substitution des fehlenden Enzyms (Enzymersatztherapie) und • die Inhibition der Glukozerebrosid-Synthese (Substratreduktionstherapie). Enzymersatztherapie Seit fast 25 Jahren gibt es mit der Enzymersatztherapie (ERT, enzyme replacement therapy)


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eine etablierte, kausale Therapie für den Morbus Gaucher. Hierzu wird das defiziente Enzym β-Glukozerebrosidase biotechnologisch hergestellt und dem Körper als Infusion zugeführt. Das so applizierte Enzym (z.B. Imiglucerase, Cerezyme®) wird gezielt in die Lysosomen transportiert und spaltet dort die vor allem in den Makrophagen gespeicherten Glukozerebroside. Dadurch werden die für die Erkrankung typischen Symptome reduziert oder beseitigt [5]. Die ERT wirkt in praktisch allen bei Morbus Gaucher betroffenen Geweben. Lediglich im ZNS werden aufgrund der Blut-Hirn-Schranke keine ausreichenden Konzentrationen erreicht, was bei den seltenen neuronopathischen Verlaufsformen von Bedeutung ist. Cerezyme® ist für die langfristige Enzymersatztherapie von Patienten mit bestätigter Diagnose der nicht neuronopathischen oder der chronisch neuronopathischen Gaucher-Krankheit mit klinisch signifikanten nicht neurologischen Manifestationen der Krankheit zugelassen [6]. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Imiglucerase werden seit mehr als 20 Jahren in umfangreichen Studien belegt sowie anhand von Registerdaten* untersucht. Eine Analyse der Daten von Patienten im Gaucher-Register, die über 10 Jahre eine ERT mit Imi­ glucerase (bzw. Alglucerase, dem *

I n das unabhängige Gaucher-Register der International Collaborative Gaucher Group (ICGG) tragen Ärzte an Gaucher-Behandlungszentren aus aller Welt seit 1991 fortlaufend Verlaufsdaten ihrer Patienten ein. Durch retrospektive Auswertungen werden somit Real-life-Daten abgebildet. Anders als in Studien gibt es in Registern deshalb beispielsweise keine festen Gruppen, keine Randomisierung und keine definierte Dosierung. Die Teilnahme am Register ist freiwillig und unabhängig von der Verlaufsform und Art der Behandlung.

Erbgang bei Morbus Gaucher Die Vererbung des Morbus Gaucher erfolgt autosomal rezessiv [2]. Anhand von Stammbäumen kann das Risiko, Kinder zu bekommen, die an Morbus Gaucher erkranken bzw. Träger sind, eingeschätzt werden. Ist ein Elternteil erkrankt und ein Elternteil gesund, so wird keines der Kinder selbst erkranken, jedoch werden alle Nachkommen auch Träger des veränderten Gens sein.

Ist ein Elternteil Träger und ein Elternteil gesund, so wird keines der Kinder selbst erkranken, jedoch werden 50  % der Nachkommen auch Träger des veränderten Gens sein.

Ist ein Elternteil Träger und ein Elternteil erkrankt, werden 50 % der Nachkommen ebenfalls an Morbus Gaucher leiden. Die andere Hälfte ist Träger und gesund.

Sind beide Eltern Träger eines Gendefekts, ergeben sich die folgenden Wahrscheinlichkeiten: • 25 %: Das Kind ist gesund und auch nicht Überträger. • 50 %: Das Kind ist gesund, aber Überträger. • 25 %: Das Kind erkrankt, weil es sowohl von der Mutter als auch vom Vater jeweils das Gen mit dem Defekt erbt.

Vorläuferpräparat Ceredase®) erhalten hatten, zeigt • bei 557 nicht splenektomierten Patienten [7]: – eine Reduktion des Milzvolumen vom 15,9-Fachen vor Therapie auf das 3,7-Fache des Normalvolumens, – eine Normalisierung des Lebervolumens (ausgehend

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vom 1,7-Fachen des Normalvolumens), – einen Anstieg des Hämoglobinwerts von 11,2 auf 13,6 g/ dl und – einen Anstieg der Thrombozytenzahl von 87 auf 169 × 103/mm; • sowie bei 200 splenektomierten Patienten [7]: © VERLAG PERFUSION GMBH


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– e ine Normalisierung der Lebergröße und des Hämoglobinwerts (seit der Einführung der Enzymersatztherapie ist die Notwendigkeit für eine Splenektomie deutlich zurückgegangen) – Die Anzahl der Blutplättchen lag stets höher als bei den nicht splenektomierten Patienten (aber ebenfalls im Normbereich). Die Behandlung mit Imiglucerase erwies sich als gut verträglich, therapiebezogene Nebenwirkungen waren überwiegend infusionsbedingt und bildeten sich von selbst zurück [6, 7]. Substratreduktionstherapie Eine therapeutische Weiterentwicklung stellt die Substratreduktionstherapie (SRT) mit Eliglustat (Cerdelga®) dar, die seit 2015 als erste orale First-Line-Therapie des Morbus Gaucher zur Verfügung steht [8]. Eliglustat ist ein Ceramidanalogon und ein hoch wirksamer und spezifischer Inhibitor der Glukozerebrosid-Synthase. Die Behandlung mit dem Wirkstoff zielt darauf ab, die Syntheserate des Hauptsubstrats Glukozerebrosid zu verringern, sodass die Restaktivität der Glukozerebrosidase des Patienten ausreicht, um die verbleibende Menge an Glukozerebrosid in Glukose und Ceramid zu hydrolysieren. Dadurch lässt sich die Akkumulation von Glukozerebrosid verhindern und die klinischen Manifestationen des Morbus Gaucher werden gelindert [9]. Präklinische Studien zeigten eine breite Gewebeverteilung des Wirkstoffs, die auch das Knochenmark umfasst [8, 9]. Basis der Zulassung von Eliglustat bildete das weltweit größte klinische Zulassungsprogramm, das je

Anwendung von Imiglucerase Imiglucerase (Cerezyme®) wird 14-täglich intravenös infundiert. Die Dosierung erfolgt in Abhängigkeit von Schweregrad und Körpergewicht. Initial sollten nicht mehr als 0,5 Einheiten je kg Körpergewicht pro Minute infundiert werden. Anschließend ist eine Erhöhung der Infusionsrate möglich (maximal eine Einheit je Kilogramm Körpergewicht pro Minute). Bei guter Verträglichkeit über mehrere Monate und entsprechender Empfehlung des behandelnden Arztes können Patienten Imiglucerase-Infusionen zu Hause erhalten. Die Behandlung muss lebenslänglich erfolgen [6].

bei Morbus Gaucher durchgeführt wurde und insgesamt 393 Patienten in 29 Ländern umfasste. Zulassungsrelevant sind die beiden Phase-III-Studien ENGAGE und ENCORE. In der randomisierten, kontrollierten, doppelblinden Studie ENGAGE wurden die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Eliglustat bei 40 therapienaiven erwachsenen Pati-

enten mit nicht neuronopathischem Morbus Gaucher (Typ 1) mit Placebo verglichen [10]. Im Verhältnis 1 : 1 erhielten die Patienten über 9 Monate zweimal täglich entweder Placebo oder Eliglustat. Primärer Studienendpunkt war die prozentuale Veränderung der Milzgröße im Vergleich zu Placebo. Der Beobachtungszeitraum betrug 9 Monate. Danach wurden in einer noch andau-

Anwendung von Eliglustat Vor Anwendung von Eliglustat (Cerdelga®) ist der Cytochrom-P450 (CYP2D6)-Metabolisierungsstatus zu bestimmen. Dieser zeigt, wie schnell der Patient den Wirkstoff verstoffwechselt. Eliglustat ist für die Langzeitbehandlung von erwachsenen Patienten mit Morbus Gaucher Typ 1 zugelassen, die den Wirkstoff in Bezug auf CYP2D6 langsam (PM), intermediär (IM) oder schnell (EM) metabolisieren. Diese machen etwa 95 % aller Gaucher-Patienten aus. Die Darreichungsform für Eliglustat sind Hartkapseln, die jeweils 84 mg des Wirkstoffs (= 100 mg Eliglustat-Tartrat) enthalten. Die empfohlene Dosierung für Patienten, die Eliglustat normal verstoffwechseln (EMs, IMs), beträgt eine Kapsel zweimal pro Tag. Bei Patienten, die Eliglustat langsam verstoffwechseln (PMs), beträgt die empfohlene Dosierung einmal eine Kapsel täglich. Mögliche Arzneimittelwechselwirkungen müssen bei Substanzen beachtet werden, die ebenfalls mit CYP2D6 oder CYP3A oder dem P-Glykoprotein interagieren. Eliglustat kann unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden. Die Einnahme mit Grapefruitsaft sollte vermieden werden, da dieser als starker CYP3A-Inhibitor den Abbau von Eliglustat hemmt und somit die Plasmakonzentration beeinflusst. Patienten sollten, nachdem sie auf Eliglustat eingestellt worden sind, wie alle Gaucher-Patienten hinsichtlich ihres Krankheitsverlaufs überwacht werden [8].

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ernden offenen Verlängerungsphase alle Patienten mit ihrer Zustimmung auf Eliglustat umgestellt. Die erste erneute Auswertung erfolgte nach 18 Monaten [11]. Sowohl der primäre Studienendpunkt als auch alle sekundären Studienendpunkte der ENGAGEStudie wurden erreicht. Gegenüber Placebo verringerte Eliglustat das Milzvolumen (primärer Endpunkt) signifikant um 30 % (p < 0,001) und das Lebervolumen signifikant um 6,6 % (p < 0,007), auch Thrombozytopenie und Anämie verbesserten sich (Abb. 3). Außerdem ergaben sich positive Effekte auf Knochendichte und Knochenmarksinfiltration. Langzeitdaten aus der offenen Verlängerung über 4,5 Jahre zeigten zudem, dass sich die hämatologischen und viszeralen Krankheitsparameter, die relevanten Biomarker sowie die Ergebnisse der Knochenmessungen bei zuvor unbehandelten Patienten mit Morbus Gaucher Typ 1 weiter verbesserten (Tab. 2) [11].

Abbildung 3: Ergebnisse der ENGAGE-Studie, die die Wirksamkeit von Eliglustat (Cerdelga®) bei therapienaiven Patienten mit Morbus Gaucher im Vergleich zu Placebo untersuchte [10].

Die zweite Phase-III-Studie, die Nicht-Unterlegenheitstudie ENCORE, untersuchte die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Eli­ glustat bei erwachsenen Patienten mit Morbus Gaucher Typ 1, die unter einer mindestens dreijährigen EET bereits definierte Therapieziele und eine Stabilisierung der Erkrankung erreicht hatten [12]. Dazu erhielten 159 Patienten über 52 Wochen im Verhältnis 2 : 1 entweder Eliglustat (Cerdel-

Parameter

ga®) oder Imiglucerase (Cerezyme®). Ziel der Studie war der Nachweis, dass die erreichte Stabilisierung auch nach Umstellung auf Eliglustat aufrechterhalten werden konnte. Hierzu wurde als kombinierter primärer Endpunkt die Stabilität in den 4 Parametern Hämoglobinwert, Thrombozytenzahl sowie Milz- und Lebervolumen definiert. Nach einem Jahr hatten 84,8 % der Patienten unter Eliglustat gegen-

Studienergebnisse unter Eliglustat Nach 9 Monaten (im Vergleich zu Placebo)

Nach 18 Monaten (gegenüber dem Ausgangswert)

Nach 4,5 Jahren (gegenüber dem Ausgangswert)

Milzgröße (primärer Endpunkt)

Signifikante Reduktion um 30 % (p < 0,001)

Durchschnittliche Reduktion um 44,61 %

Durchschnittliche Verringerung des Milzvolumens um 67 % bei Patienten, die über 4,5 Jahren Eliglustat erhielten

Lebervolumen

Signifikante Reduktion um 6,6 % (p = 0,007)

Reduktion um 11,18 %

Reduktion um 23 %

Hämoglobinwert

Anstieg um 1,2 g/dl

Anstieg um 1,02 g/dl

Anstieg um 1,4 g/dl

Thrombozytenzahl

Anstieg um 41,1 % (p < 0,001)

Anstieg um 58,16 %

Anstieg um 87 %

Knochenmanifestationen

BMB-Score: Verbesserung um 1,1 Punkte (p = 0,002)

Knochenmineraldichte BMD BMB-Score: Verbesserung (DEXA): Anstieg des mittleren um 2,15 Punkte T-Werts in der Lendenwirbel­säule Knochenmineraldichte BMD um weitere 0,39 auf –0,53 (DEXA): Anstieg des mittleren T-Werts in der Lendenwirbel­säule um 0,22 auf –0,92

Tabelle 2: Ergebnisse der ENGAGE-Studie im Überblick [10, 11]. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2019 · 28. JAHRGANG

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ÜBERSICHTSARBEIT

über 93,6 % im Vergleichsarm den primären kombinierten Studien­ endpunkt erreicht (Abb. 4). Die Daten der offenen Verlängerungsphase zeigen zudem, dass die klinische Stabilität bei Patienten, die mit Eliglustat behandelt wurden und in der ENCORE Studie verblieben, bis zu 4 Jahre aufrechterhalten wurde [13]. In den Studien erwies sich Eliglustat in der Regel als gut verträglich. Die Mehrheit der unerwünschten Ereignisse war leicht und vorübergehend. Häufigste unerwünschte Ereignisse waren Kopfschmerzen, Übelkeit, Durchfall, Bauchschmerzen, Blähungen, Gelenkschmerzen und Ermüdung. Kopfschmerzen, Durchfall und Bauchschmerzen traten in der placebokontrollierten Zulassungsstudie unter Placebo genauso häufig oder häufiger auf als unter Eliglustat [8].

Nicht unterlegen im primären kombinierten Endpunkt (untere Grenze des 95 %-KI: -18,6 %)

Abbildung 4: Ergebnisse der ENCORE-Studie für den kombinierten primären Endpunkt (Stabilität in den 4 Parametern Hämoglobinwert, Thrombozytenzahl sowie Milz- und Lebervolumen): Nach 12 Monaten zeigte Eliglustat (Cerdelga®) eine vergleichbare Wirksamkeit zu Imiglucerase (Cerezyme®) bei allen viszeralen und hämatologischen Parametern [12]. Alter ≥18 J. Gaucher-Typ Typ1

Typ 3 Adhärenz

gut

Fazit für die Praxis

Für die seltene lysosomale Speicherkrankheit Morbus Gaucher gibt es aktuell 2 Behandlungsoptionen, die eine gewisse Flexibilität bei der Therapie erlauben: 1. die langfristige Enzymersatztherapie mit humaner, rekombinanter β-Glukozerebrosidease, die i.v. infundiert wird. Hierfür steht mit Cerezyme® seit mehr als 20 Jahren ein in umfangreichen Studien auf Wirksamkeit und Verträglichkeit untersuchter Wirkstoff zur Verfügung. Cerezyme® ist zugelassen für die langfristige Enzymersatztherapie von Patienten aller Altersgruppen mit bestätigter Diagnose der nicht neuronopathischen (Typ 1) oder der chronisch neuronopathischen (Typ 3) Gaucher-Krankheit mit klinisch signifikanten nicht neurologischen Manifestationen der Krankheit und verfügt

alle

nein nein

Schwangerschaft, Stillzeit Ko-Medikation mit erheblicher Cyp3A4/2D6 oder pGP Interaktion

Herzkrankheit, long QT oder Klasse 1a/3 Antiarrhythmika nein CYP2D6 Metabolisierer schnell, intermediär oder langsam SRT/Eliglustat

fragwürdig ja ja ja ultraschnell oder unbekannt

ERT

Abbildung 5: Welche Behandlungsoption eignet sich für welchen Patienten – Substratreduktionstherapie (SRT) oder Enzymersatztherapie (ERT)? (Bildquelle: Prof. Dr. Claus Niederau, Katholisches Klinikum Oberhausen).

damit über die umfassendste Indikation im Vergleich zu den anderen bei Morbus Gaucher zugelassenen Therapien [8]. 2. die Substratreduktionstherapie mit dem Glukozerebrosid-Synthetase-Hemmer Eliglustat (Cerdelga®), der oral verabreicht wird. Zugelassen ist Eliglustat zur Langzeitbehandlung von erwachsenen Patienten mit Morbus Gaucher Typ 1, die langsame, intermediä-

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re oder schnelle Metabolisierer in Bezug auf Cytochrom-P450 Typ 2D6 (CYP2D6) sind. Eliglustat ist sowohl zum Einsatz bei therapienaiven als auch bei mit einer Enzymersatztherapie (EET) vorbehandelten Patienten geeignet. Anhand dieser Informationen kann entschieden werden, welche der beiden Optionen für den jeweiligen Patienten geeignet ist. Eine Hilfestellung gibt Abbildung 5.


AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

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Literatur 1 Linari S, Castaman G. Clinical manifestations and management of Gaucher disease. Clin Cases Miner Bone Metab 2015;12: 157-164 2 Rosenbloom BE, Weinreb NJ. Gaucher disease: a comprehensive review. Crit Rev Oncog 2013;18:163-175 3 Niederau C et al. Empfehlungen zu Diagnose und Therapie des Morbus Gaucher. Med Klin 2001;96:32-39 4 Mistry PK, Sadan S, Yang R et al. Consequences of diagnostic delays in type 1 Gaucher disease: The need for greater awareness among hematologists-oncologists and an opportunity for early diagnosis and intervention. Am J Hematol 2007; 82:697-701 5 Pastores GM. Recombinant glucocerebrosidase (Imiglucerase) as a therapy for Gaucher disease. Biodrugs 2010;24:41-47 6 Fachinformation Cerezyme®; Stand: 07/2016 7 Weinreb NJ, Goldblatt J, Villalobos J et al. Long-term clinical outcomes in type 1 Gaucher disease following 10 years of imiglucerase therapy. J Inherit Metab Dis 2013;36:543-553 8 Fachinformation Cerdelga®; Stand: 09/2017 9 McEachern KA , Fung J, Komarnitsky S et al. A specific and potent inhibitor of glucosylceramide synthase for substrate inhibition therapy of Gaucher disease. Mol Genet Metab 2007;91:259-267 10 Mistry PK, Lukina E, Ben Turkia H et al. Effect of oral eliglustat on splenomegaly in patients with Gaucher disease Type 1. The ENGAGE randomized clinical trail. JAMA 2015;313:695-706 11 Mistry PK, Lukinab E, BenTurkiac H et al. Long-term results of ENGAGE: A phase 3, randomized, double blind, placebo-controlled, multicenter study investigating the efficacy and safety of eliglustat in adults with type 1 Gaucher disease. Mol Genet Metab 2017;120:S97-S98; https://doi. org/10.1016/j.ymgme.2016.11.243 12 Cox TM, Drelichman G, Cravo R et al. Eliglustat compared with imiglucerase in patients with Gaucher’s disease type 1 stabilised on enzyme replacement therapy: a phase 3, randomized, open-label, non-inferiority trial. Lancet 2015;385:2355-2362 13 Cox TM, Drelichman G, Cravo R et al. Eliglustat maintains long-term clinical stability in patients with Gaucher disease type 1 stabilized on enzyme therapy. Blood 2017;129:2375-2383

Quelle: Meet-the-Expert: „Morbus Gaucher: Orale Therapieoption bewährt sich im Alltag“, Mannheim, 15. April 2018. Veranstalter Sanofi Genzyme

Anschrift der Verfasserin: Brigitte Söllner Lärchenweg 10 91058 Erlangen brigitte.soellner@online.de

Update Akne-Therapie: Mit topischem Fixtherapeutikum Läsionen effektiv und langfristig minimieren

F

ast die Hälfte aller Patienten (43 %) mit Akne weisen Narben auf [1]. Das Risiko nimmt mit dem Schweregrad zu, aber auch milde Verläufe können bereits zur Akne-Narbenbildung führen. Basis der Akne-Therapie sollte ein frühzeitiges Eingreifen in die Entzündungskaskade sein – mit dem Ziel, bestehende AkneLäsionen zu reduzieren und somit die Lebensqualität der Patienten zu erhöhen. Mithilfe des Fixtherapeutikums Epiduo® Forte aus 0,3 % Adapalen (ADA) und 2,5 % Benzoylperoxid (BPO) kann das Hautbild bei Patienten mit entzündlicher Akne schnell und effektiv verbessert werden [2, 3]. Die beiden Komponenten ADA und BPO sind aufgrund ihrer synergistischen Wirkung prädestiniert, um langfristig eine Entzündungskontrolle zu erreichen und damit sekundär das Risiko von Akne-Narben zu reduzieren. Entzündungsprozesse frühzeitig eindämmen

Sichtbare entzündliche Papeln und Pusteln können zu einem hohen Leidensdruck bei betroffenen Akne-Patienten führen. Verstärkt

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wird die psychische Belastung durch die Narbenbildung, die mit dem Schweregrad zunimmt. Bei Patienten mit Neigung zu AkneNarben werden Entzündungsprozesse, die in allen Stadien der Akne auftreten, stärker vom Immunsystem vermittelt und halten länger an [4]. Bereits in den initialen Mikro­ komedonen sind Entzündungsreaktionen nachweisbar [5]. Bei der Entstehung von Akne-Läsionen kommt es schon frühzeitig zu einer Überexpression des Toll-Like-Rezeptors 2 (TLR-2) [6, 7]. Wie man heute weiß, sind die Bakterien Propionibacterium acnes keine Auslöser der Entzündung, sondern triggern und unterhalten die Entzündungsreaktion zusätzlich, indem sie den TLR-2 stimulieren [8]. Durch die Aktivierung des TLR 2 werden in der Folge vermehrt Entzündungszellen rekrutiert und gewebemodulierende Enzyme ausgeschüttet. Das Ungleichgewicht zwischen gewebemodulierenden MMPs (Matrix-Metalloproteinasen) und gewebeerhaltenden TIMPs (Tissue Inhibitor of Metalloproteinases) führt zu einem veränderten Kollagen-Umbau und zur Narbenbildung [6, 7]. 99 % der Akne-Narben stammen von entzündlichen Läsi© VERLAG PERFUSION GMBH


AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Baseline

12 Wochen

24 Wochen

Abbildung 1: Kontinuierlich verbessertes Hautbild durch die Behandlung mit Epiduo® Forte (© Galderma). Ergebnisse

Nach 12 Wochen

Nach 24 Wochen

Reduktion entzündlicher Läsionen

73,3 %

86,7 %

Anteil Patienten mit erscheinungsfreier / fast erscheinungsfreier Haut

31,4 %

64,2 %

Tabelle 1: Die Split-Face-Studie belegt die Effektivität der Fixkombination Epiduo® Forte. Von Woche 12 bis Woche 24 verdoppelte sich der Anteil an Patienten mit erscheinungsfreier/fast erscheinungsfreier Haut [11].

onen und postinflammatorischen Erythemen ab [9]. Die Kombination aus Adapalen und Benzoylperoxid greift aufgrund der synergistischen Wirkung der beiden Bestandteile effektiv und frühzeitig in die Entzündungskaskade ein und blockiert sie effektiv [2]. Das Retinoid Adapalen setzt am Keratinozyten an und normalisiert den gestörten Keratinisierungsprozess. Zudem weist Adapalen eine starke antientzündliche Potenz auf, indem es unter anderem die Bildung des TLR-2 hemmt. Aufgrund seiner nachweislich antientzündlichen Eigenschaften empfiehlt die aktuelle europäische S3-Leitlinie zur Behandlung von Akne daher Adapalen vor Tretinoin und Isotretinoin als topisches Retinoid [10]. Benzoylperoxid wirkt durch oxidative Abbauvorgänge bakterizid und vermindert so die Propionibakterien, ohne dass Resistenzen entstehen [2].

11

Bestätigt werden diese Ergebnisse durch eine Split-Face-Studie [11], in der Patienten mit primär mittelschwerer entzündlicher Akne über einen Zeitraum von 24 Wochen auf einer Gesichtshälfte mit 0,3 % Adapalen/2,5 % BPO und auf der anderen Hälfte mit einem Vehikel behandelt wurden. Es zeigte sich, dass sich das Hautbild durch die B-ehandlung mit der topischen Fixkombination Epiduo® Forte im Vergleich zum Vehikel kontinuierlich verbesserte: Doppelt so viele der behandelten Patienten erreichten ein erscheinungsfreies oder fast erscheinungsfreies Hautbild bei fortgesetzter Therapie (Tab. 1) [11]. Fabian Sandner, Nürnberg

Hocheffektive Entzündungs­ kontrolle durch Fixkombination aus ADA und BPO

Therapieziel ist es, bereits im frühen Krankheitsstadium eine Entzündungskontrolle zu erreichen. Denn nur so ist eine langfristige Verbesserung des Erscheinungsbildes der Akne-Haut möglich. Mit Epiduo® Forte (0,3 % ADA plus 2,5 % BPO) steht eine hocheffektive topische Fixkombination zur Verfügung, die bei entzündlicher papulopustulöser Akne eingesetzt werden kann [2]. Die Kombination zeichnet sich durch einen schnellen Wirkeintritt aus. Dies zeigt auch eindrücklich die Zulassungsstudie, bei der eine signifikante Reduktion entzündlicher Läsionen bereits nach einer Woche Anwendung und eine Reduktion um 74,4 % nach 12 Wochen erreicht werden konnte – und dies bei gleichzeitig guter Verträglichkeit [3].

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Literatur 1 Tan J et al. J Drugs Dermatol 2017;16:97102 2 Fachinformation Epiduo® Forte 0,3 % / 2,5 % Gel 3 Weiss J et al. J Drugs Dermatol 2015;14: 1427-1435 4 Dreno B et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2015;29(Suppl 4):3-11 5 Del Rosso JQ et al. J Drugs Dermatol 2013;12(Suppl 8):s109-s115 6 Holland DB et al. Br J Dermatol 2004; 150,72-81 7 Jasson F et al. Exp Dermatol 2013;22:587592 8 Gollnick H et al. Dtsch Ärztebl Int 2014; 111:301-312 9 Tan J et al. J Drugs Dermatol 2017;16:566572 10 Nast A et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2016;30:1261-1268 11 Dreno B. et al. Am J Clin Dermatol. 2018; 19:275-286


12

AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

M

it 8 – 10 Millionen Betroffenen gehört die Migräne zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen in Deutschland. Für die Patienten ist sie mit einem erheblichen Leidensdruck verbunden, der sich auf das gesamte Leben auswirkt. 23,3 % der episodisch und 78,0 % der chronisch Migränekranken klagen über eine schwere (Grad IV-A) oder sehr schwere (Grad IV-B) kopfschmerzbedingte Beeinträchtigung [1]. Daher versucht man bei Patienten mit einer hochfrequenten oder chronischen Migräne, neben der Akuttherapie durch eine prophylaktische Behandlung die Anzahl, Schwere und Dauer der Migräne-Attacken zu reduzieren. Hierzu steht eine Reihe von medikamentösen Therapieoptionen zur Verfügung, die ergänzt werden durch nicht medikamentöse Maßnahmen wie z.B. Akupunktur, Ausdauersport, Verhaltenstherapie, psychologische Schmerztherapie oder Biofeedback. Studien zufolge könnten etwa 40 % der Migränepatienten von einer prophylaktischen Therapie profitieren. Jedoch erhalten derzeit nur ungefähr 15 % der Patienten eine Therapie zur Vorbeugung von Migräneattacken [2, 3]. Indikationen und Substanzen für die prophylaktische Therapie

Eine prophylaktische Therapie wird von den Leitlinien [4] bei hohem Leidensdruck, Einschränkung der Lebensqualität und dem Risiko eines Medikamentenübergebrauchs empfohlen. Dies trifft insbesondere auf Patienten zu, die mindestens 3 Attacken im Monat erleiden, deren Attacken regelmäßig länger als 72 Stunden anhalten, die auf eine Akuttherapie nicht ansprechen oder die Nebenwir-

Migräne-Prophylaxe: CGRP-Antikörper als neue Hoffnungsträger kungen dieser Therapie nicht tolerieren können. Eine medikamentöse Prophylaxe ist sowohl bei der episodischen als auch chronischen Migräne ratsam. Maßstab für die Wirksamkeit einer vorbeugenden Therapie ist die Verringerung der Attackenhäufigkeit um mindestens die Hälfte. Um die Anfallsfrequenz und den Erfolg oder Misserfolg der jeweiligen Medikation zu dokumentieren, sollte der Patient mindestens 3 Monate ein MigräneTagebuch führen [4]. Am besten durch randomisierte Studien belegt ist die prophylaktische Wirkung der Betablocker Propranolol und Metoprolol, des Kalziumantagonisten Flunarizin, der Antikonvulsiva Topiramat und Valproinsäure sowie des Antidepressivums Amitriptylin. Bei chronischer Migräne mit oder ohne Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln empfehlen die Leitlinien Topiramat und Onabotulinumtoxin A [4]. Keines der genannten ProphylaxeMedikamente wurde jedoch speziell für die Migräne entwickelt, weshalb sich damit bei vielen Patienten auch nicht die gewünschte Reduktion der Attackenfrequenz erzielen lässt. Einige Substanzen sind für Patienten mit bestimmten relativ häufigen Komorbiditäten (z.B. Bluthochdruck, Schlafstörungen, Übergewicht) kontraindiziert. Außerdem gehen sie zum Teil mit erheblichen Nebenwirkungen einher, sodass die Adhärenz der Pa-

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tienten verhältnismäßig schlecht ist: Die Compliance der Medikamenteneinnahme beträgt in der Prophylaxe nach 12 Monaten nur noch etwa 30 % [5]. Daher besteht ein hoher Bedarf an neuen zur Vorbeugung der Migräne geeigneten, wirksamen und gut verträglichen Substanzen. CGPR-Antikörper: spezifische Wirkung und gute Verträglichkeit

Neue Hoffnungsträger in der Migräne-Prophylaxe sind monoklonale humanisierte CGRP-Antikörper, die speziell für die prophylaktische Behandlung der Migräne entwickelt wurden und gegen das Neuropeptid CGRP (Calcitonin GeneRelated Peptide) gerichtet sind [5, 6]. CGRP ist ein stark blutgefäßerweiternd wirkender Botenstoff, der eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung der Migräne spielt. Nach einer derzeit bevorzugten Hypothese sollen die Schmerzattacken durch die Vasodilatation von Blutgefäßen im Kopfbereich ausgelöst werden. Studien zufolge steigt der CGRP-Spiegel im Blut während der Migräne-Attacken deutlich an [7, 8]. Derzeit gibt es 4 gegen CGRP gerichtete Antikörper, die sich in der Zulassungsphase befinden oder zum Teil bereits zugelassen sind. Drei von ihnen (Fremanezumab, Galcanezumab und Eptinezumab) binden an CGRP, sodass dieses nicht mehr © VERLAG PERFUSION GMBH


Patienten mit ≥ 50 % Reduktion AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS der durchschnittlichen monatlichen Migräne-Tage Placebo Fremanezumab (225 mg, monatl. Dosis) Fremanezumab (675 mg, Quartalsdosis)

75– Patienten mit einer ≥ 50 %igen Reduktion der durchschnittl. Anzahl der monatl. Migräne-Tage

13

50–

25–

0–

|

|

4

8

Anzahl der Patienten in den Wochen 4, 8 und 12: Placebo: 290, 274, 268 Fremanezumab 225 mg: 287, 274, 263 Fremanezumab 675 mg: 288, 274, 269

|

12

Woche

Monatliche Dosis: 95% CI, 12. Quartalsdosis: 95% CI, 8.9%-24.1%; P<0,0010%-27.6%; P<0,001

mod. nach Dodick DW et al. JAMA 2018;319(19):1999-2008

Abbildung 1: Die Behandlung mit dem CGRP-Antikörper Fremanezumab führte sowohl bei monatlicher als auch bei quartalsweiser Applikation zu einer signifikanten Reduktion der monatlichen Migräne-Tage und war hinsichtlich der Responderrate (definiert als Reduktion der monatlichen Migränetage um ≥50 % versus Baseline) Placebo deutlich überlegen [11].

an seinem Rezeptor andocken kann, während Erenumab den Rezeptor direkt blockiert [6]. Erenumab und Galcanezumab werden monatlich appliziert, Fremanezumab kann alternativ auch vierteljährlich als prophylaktische Therapie subkutan injiziert werden [6, 9]. Die bisherigen Studienergebnisse deuten darauf hin, dass monoklonale Antikörper eine wirksame Substanzklasse zur prophylaktischen Therapie darstellen können: Alle zeichnen sich durch eine effektive Wirksamkeit und einen schnellen Wirkeintritt innerhalb weniger Tage bei einer gleichzeitig sehr guten Verträglichkeit aus. Die Nebenwirkungsrate war in den Studien auf Placeboniveau. Auch schwer zu behandelnde MigränePatienten, bei denen die bisherigen Prophylaxe-Optionen zu keinem Erfolg geführt haben, profitierten von den Antikörpern. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass sich durch die Antikörper die Gabe

von Akutmedikamenten reduzieren lässt [6]. Mit Fremanezumab konnte in den Studien sowohl bei der episodischen als auch bei der chronischen Migräne die Anzahl der Kopfschmerz- und Migränetage im Vergleich zu Placebo signifikant reduziert werden [10, 11]. In Bezug auf die Responderrate (definiert als Reduktion der monatlichen Migränetage um ≥50 % versus Baseline) zeigte sich der Antikörper sowohl bei monatlicher Gabe (225 mg) als auch bei der Quartalsdosis (675 mg) gegenüber Placebo überlegen (Abb. 1). Interessant ist ferner die Tatsache, dass der Antikörper auch bei vorbehandelten Patienten, die nicht auf die bisherige Prophylaxe-Medikation angesprochen hatten, überzeugende Ergebnisse erzielt hat [12]. In den USA ist Fremanezumab seit September 2018 unter dem Markennamen Ajovy™ zugelassen. Elisabeth Wilhelmi, München

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Literatur 1 Blumenfeld, Cephalalgia 2011;31:301-315 2 Lipton RB et al. Neurology 2007;68:343349 3 VanderPluym J et al. Headache 2016;56: 1335-1343 4 Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Deutsche Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft. S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“. https://www.dgn.org/leitlinien/3583-ll030-057-2018-therapie-der-migraeneattacke-und-prophylaxe-der-migraene 5 DGN. Antikörper gegen CGRP: die relative Revolution in der Migräneprophylaxe. Presseinformation vom 02.11.2018 6 Neeb L et al. Nervenheilkunde 2017;5: 334-343 7 Goadsby P et al. Ann Neurol 1993;33:4856 8 Cernuda-Morollon E et al. Neurology 2013;81:1191-1196 9 Yeung PP et al. Early onset of action of fremanezumab (TEV-48125) versus placebo for the preventive treatment of chronic migraine. ICH 2017, PO-01-183 10 Silberstein et al. N Engl J Med 2017; 377:2113-2122 11 Dodick DW et al. JAMA 2018;319:19992008 12 Teva Pharmaceutical Industries. News Release: Positive topline phase IIIb results with fremanezumab in adults with migraine who did not respond to multiple classes of preventive treatments. Jerusalem; Dec. 17, 2018.


AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

14

V

erbesserte Behandlungsoptionen für Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom (mCRC) haben das Überleben der Patienten wesentlich verlängert. Eine leitliniengerechte Behandlungsmöglichkeit für vorbehandelte Patienten stellt die zytostatisch wirkende Kombination aus Trifluridin und Tipiracil (Lonsurf®) dar, die bei vergleichsweise guter Verträglichkeit mit einem deutlichen Überlebensvorteil im Vergleich zu Placebo assoziiert ist. Die Daten einer Phase-III-Studie zeigen nun, dass Trifluridin/Tipiracil auch bei Patienten mit intensiv vorbehandeltem metastasiertem Magenkarzinom (mGC) das Überleben signifikant verlängert, bei gleichzeitug gut handhabbarem Sicherheitsprofil. Damit eröffnet sich auch für diese schwer behandelbare Patientenpopulation eine zukünftige effektive Therapie­option. Metastasiertes kolorektales Karzinom (mCRC)

Fortgeschrittene Therapielinien werden immer häufiger in Anspruch genommen Heute nimmt bereits jeder zweite Patient mit mCRC Therapieangebote jenseits der Zweitlinie in Anspruch. Wie die Studien FIRE-3 [1] und TRIBE [2] zeigen, erhalten mittlerweile 43 % bzw. 52 % der Patienten eine Drittlinientherapie. Die Verfügbarkeit multipler aktiver Erstlinienoptionen und die Möglichkeit, die Therapiewahl zu personalisieren, können den Anteil der Patienten, die weitere nachfolgende Therapielinien erhalten, noch weiter erhöhen. Dabei werden in späten Therapielinien patienten- und behandlungsbezogene

Neue Therapiestrategien für das vorbehandelte metastasierte Kolorektal- und Magenkarzinom Faktoren bei der Entscheidung für eine bestimmte Therapie immer bedeutender, während klinische und molekulare Faktoren, die in frühen Linien die Therapieentscheidung bestimmen, an Bedeutung verlieren. So fließen in der fortgeschrittenen Therapiesituation Faktoren wie der Gesundheitszustand der Patienten, der LDL-Spiegel im Blut sowie die Frage nach einer primären Tumorresektion und dem Vorhandensein peritonealer Metastasen in die Therapieentscheidung ein. Neue Optionen mit guter Evidenzlage Lange Zeit gab es für mCRC-Patienten nach der Firstline-Therapie nur wenige Optionen. Zur Verfügung standen lediglich empirische Therapien – meist KombinationsChemotherapien, deren Evidenz nur aus Phase-II-Studien mit geringen Patientenzahlen stammte. Vor wenigen Jahren änderte sich das jedoch, als die Phase-III-Studien CORRECT [3] und CONCUR [4] einen signifikanten Vorteil hinsichtlich des Gesamtüberlebens (OS) unter der Behandlung mit dem Tyrosinkinase-Inhibitor Regorafenib gegenüber Placebo zeigten (HR: 0,77 bzw. 0,55). Parallel konnten die Phase-III-Studien

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RECOURSE [5] und TERRA [6] einen deutlichen OS-Benefit unter einer Behandlung mit dem oralen Zytostatikum Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®) gegenüber Placebo belegen (HR: 0,68 bzw. 0,79; Tab. 1). Diese beiden Therapieoptionen weisen somit eine gute, auf PhaseIII-Studien basierende klinische Evidenz auf. Allerdings war die Behandlung mit Regorafenib (in Deutschland seit 2016 nicht mehr verfügbar) in den Zulassungsstudien auch mit Toxizitäten assoziiert, etwa Hand-Fuß-Syndromen oder Fatigue, während die Nebenwirkungen unter Trifluridin/Tipiracil eher hämatologischer Natur und für die Patienten weniger belastend waren. Die bei 38 % der Patienten beobachtete Neutropenie hatte keinen Einfluss auf das Überleben [5]. Das günstige Sicherheitsprofil der Behandlung mit Trifluridin/Tipiracil konnte durch die Daten des italienischen Compassionate UseProgramms an 8 Zentren bestätigt werden [7]. Leitlinien empfehlen Trifluridin/ Tipiracil für die Sequenztherapie In der RECOURSE-Studie [5] konnte die Behandlung mit Tri­ fluridin/Tipiracil das mediane Gesamtüberleben der mCRC-Pa© VERLAG PERFUSION GMBH


AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Studie

Gesamtüberleben (OS) (Hazard Ratio Trifluridin/Tipiracil vs. Placebo)

p-Wert

RECOURSE (Phase III) [5] (n = 800)

0,68 (0,58 – 0,81)

<0,001

TERRA (Phase III) [6] (n = 542)

0,79 (0,62 – 0,99)

0,035

Tabelle 1: Überlebensvorteil durch den Einsatz von Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®) bei mehrfach vorbehandelten mCRC-Patienten in randomisierten Phase-III-Studien [5, 6].

Lonsurf® Lonsurf® ist ein orales Zytostatikum, das das antineoplastische Thymidin-basierte Nukleosid-Analogon Trifluridin und den Thymidin-Phosphorylase(TPase-)Inhibitor Tipiracil-Hydrochlorid enthält. Nach der Aufnahme in Tumorzellen wird Trifluridin durch die Thymidin-Kinase phosphoryliert und nach weiterer Metabolisierung als DNA-Substrat direkt in die DNA eingebaut. Hierdurch greift der Wirkstoff in DNA-Funktionen ein und verhindert die Zellproliferation. Trifluridin wird jedoch rasch durch TPase abgebaut und unterliegt nach oraler Einnahme einem hohen First-Pass-Effekt. Daher wird Trifluridin mit dem TPase-Inhibitor Tipiracil-Hydrochlorid kombiniert. In präklinischen Studien wurde für Trifluridin/Tipiracil-Hydrochlorid sowohl gegen 5-Fluorouracil(5-FU-)sensitive als auch gegen resistente kolorektale Tumorzelllinien eine Tumoraktivität gezeigt. Die zytotoxische Aktivität von Trifluridin/Tipiracil-Hydrochlorid korrelierte in unterschiedlichen humanen Tumor-Xenotransplantaten stark mit der in die DNA eingebauten Menge von Trifluridin, was den DNA-Einbau als primären Wirkmechanismus nahelegt. Lonsurf® ist zugelassen zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom (mCRC), die bereits mit verfügbaren Therapien behandelt wurden oder die für diese nicht geeignet sind. Diese Therapien beinhalten Fluoropyrimidin-, Oxaliplatin- und Irinotecan-basierte Chemotherapien sowie die Behandlung mit Anti-VEGF- und Anti-EGFR-Substanzen. Die empfohlene Anfangsdosis Lonsurf® bei Erwachsenen beträgt 35 mg/m2 KOF 2 × täglich oral an Tag 1 – 5 und Tag 8 – 12 jedes 28-Tage-Zyklus, solange ein Nutzen beobachtet wird oder bis zum Auftreten einer inakzeptablen Toxizität [18].

tienten im Vergleich zu Placebo klinisch relevant von 5,2 auf 7,2 Monate verlängern und damit das Sterberisikos um 32 % verringern (Abb. 1. S. 16). Der Überlebensvorteil war in allen Subgruppen zu beobachten, insbesondere pro-

fitierten auch ältere Patienten von der Therapie mit dem Zytostatikum, ohne das dessen Dosis erhöht werden musste. Bemerkenswert war ferner das Ergebnis, dass sich unter der Therapie mit Trifluridin/Tipiracil die

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Zeitspanne bis zur Verschlechterung des Gesundheitszustands (Zunahme des ECOG PS 0 – 1 auf ≥2) signifikant gegenüber Placebo verlängerte (5,7 vs. 4,0 Monate, HR: 0,66) und 84 % der Patienten weiterhin im ECOG PS 0 oder 1 verblieben. Denn neben der Wirksamkeit der Therapie ist für Patienten, die bereits verschiedene Chemo- und Antikörpertherapien durchlaufen haben, vor allem der Erhalt eines guten Allgemeinzustands und damit einer hohen Lebensqualität wichtig. Aufgrund dieser überzeugenden Studienergebnisse wurde Trifluridin/Tipiracil bereits 2016 in die Consensus Guideline der European Society for Medical Oncology (ESMO) sowie in die Clinical Practice Guidelines in Oncology des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) aufgenommen [8, 9]. Die 2017 aktualisierte deutsche S3-Leitlinie „Kolorektales Karzinom“ folgt diesen internationalen Leitlinien und empfiehlt Trifluridin/Tipiracil für mCRCPatienten, die gegen Chemotherapie und zielgerichtete Antikörpertherapien refraktär oder dafür nicht geeignet sind, in nachfolgenden Therapielinien mit dem Evidenzgrad B und dem Evidenzlevel 1b [10]. Damit ist Lonsurf® die einzige in Deutschland verfügbare Therapieoption, die in dieser Krankheitssituation mit hoher Evidenz empfohlen wird. Erstlinienbehandlung bei weniger fitten mCRC-Patienten Bei einem hohen Anteil der mCRCPatienten kommt eine intensive Kombinations-Chemotherapie allein schon aus Altersgründen nicht infrage. Für diese Patienten gibt es keine Empfehlungen auf


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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Abbildung 1: Ergebnis der RECOURSE-Studie für das Gesamtüberleben bei mCRC-Patienten. Die Therapie mit Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®) führte gegenüber der Placebo-Behandlung zu einer statistisch signifikanten relativen Reduktion des Sterberisikos um 32 % [5].

hoher Evidenzbasis. Die aktuellen ESMO-Leitlinien nennen als mögliche Optionen den Einsatz von Fluoropyrimidinen in Kombination mit Bevacizumab sowie Doubletten (FOLFOX/CAPOX) mit reduzierter Dosierung [8]. Die NCCN-Guidelines empfehlen derzeit Fluorouracil plus Leucovorin mit oder ohne Bevacizumab oder Capecitabin mit oder ohne Bevacizumab [9]. Eine weitere Möglichkeit ist eine Standardbehandlung mit reduzierter Startdosis. Dass dieses Vorgehen für die Patienten moderate Vorteile hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens (PFS) bringen kann, zeigen z.B. die Ergebnisse der FOCUS2-Studie bei 459 älteren und gebrechlichen Patienten (medianes Alter 74 Jahre). Die Studie untersuchte Capecitabin/5-FU vs. Capecitabin/5-FU plus Oxaliplatin in reduzierter Dosierung (Startdosis 80 % der üblichen Dosis mit der Möglichkeit der Eskalation nach 6 Wochen). Die Addi-

tion von Oxaliplatin ergab einen leichten Vorteil im Hinblick auf das PFS, der sich aber nicht einem OS-Vorteil widerspiegelte – das OS war mit 10 – 12,4 Monaten in allen Studienarmen kurz [11]. Im Gegensatz dazu ergab eine Metaanalyse von 3 randomisierten Studien mit insgesamt 951 Patienten mit mCRC, die nicht für eine intensive Erstlinientherapie infrage kamen, dass die Kombination aus Fluoropyrimidinen mit oder ohne Bevacizumab sowohl das PFS (HR: 0,52) als auch das OS (HR: 0,79) signifikant verbessert. Die häufigsten Grad-3/4-Nebenwirkungen waren Hand-Fuß-Syndrome (16,3 %), Diarrhö (15,7 %), Venenthrombose (7,4 %) und Hypertonie (6,9 %) [12]. Da die Nebenwirkungen die Behandlung bei einigen Patienten limitieren, besteht weiterhin ein hoher Bedarf an neuen Therapieoptionen für mCRC-Patienten, die keine intensive Therapie mit Irinotecan oder Oxaliplatin in der Erstlinie erhalten können.

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Ob sich Trifluridin/Tipiracil in Kombination mit Bevacizumab für Patienten mit nicht vorbehandeltem mCRC eignet, die für eine intensive Therapie nicht infrage kamen, untersuchte die randomisierte PhaseII-Studie TASCO1 im Vergleich zu Capecitabin plus Bevacizumab. Das mediane PFS betrug unter Tri­ fluridin/Tipiracil plus Bevacizumab 9,2 Monate, im Kontrollarm dagegen 7,8 Monate (HR: 0,71; 95%KI: 0,48 – 1,06) [13]. Die Therapie mit Trifluridin/Tipiracil und Bevacizumab ging mit überschaubaren unerwünschten Ereignissen einher; die am häufigsten beobachteten Toxizitäten betrafen den MagenDarm-Trakt und das Blut. In beiden Studienarmen betrug die Rate an schweren febrilen Neutropenien 3,9 %. Diese überzeugenden Ergebnisse legen nahe, dass Trifluridin/Tipiracil in Kombination mit Bevacizumab das progressionsfreie Überleben bei fortgeschrittener Erkrankung verbessern und eine neue Therapieoption für Patienten mit mCRC bieten kann. © VERLAG PERFUSION GMBH


AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Metastasiertes Magenkarzinom (mGC)

Behandlung des mGC in späten Therapielinien Auch die Behandlung von Patienten mit mGC stellt nach wie vor eine große Herausforderung dar, vor allem in späten Therapielinien. Laut Leitlinien liegt bislang keine klare Evidenz für die Wirksamkeit einer Behandlung jenseits der Zweitlinien vor [14]. Hinweise darauf, dass eine Drittlinie lohnenswert sein kann, stammen bislang nur aus retrospektiven Analysen und nicht randomisierten Studien. Eine Auswertung der Daten von 511 Patienten, die in der Zeit von 2009 bis 2015 am Royal Marsden Hospital, London, behandelt wurden, ergab, dass späte Therapielinien mit einem deutlichen Überlebensvorteil für die Patienten und deutlich verlängerten Überlebenszeiten assoziiert sind (20,1 Monate in der Drittlinie und 33 Monate in der Viertlinie gegenüber 8,3 bzw. 14,0 Monate in der Erst- bzw. Zweitlinie) [15]. Wie die Daten der RAINBOW-Studie zeigen, erhalten bislang aber nur wenige Patienten eine Drittlinienbehandlung: In Europa und den USA sind es nur etwa 40 %, in Asien dagegen 70 % [16]. Kriterien für die Auswahl von Patienten, die sich für spätere Therapielinien eignen, sind neben dem geografischen Aspekt (Asien versus restliche Welt) vor allem der Allgemeinzustand der Patienten, das Vorhandensein von Leber- und peritonealen Metastasen, das Ansprechen auf frühere Therapien sowie die Länge der progressionsfreien Zeit in der Erst- und Zweitlinie. Es sind also vor allem die chemosensitiven Patienten, die für spätere Therapielinien infrage kommen [16].

Neue Hoffnung durch Therapie mit Trifluridin/Tipiracil Dass Trifluridin/Tipiracil auch für die Behandlung des therapieresistenten mGC eine wesentliche Rolle spielen könnte, implizieren die Ergebnisse der TAGS-Studie [17]. Diese Phase-III-Studie untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit von Trifluridin/Tipiracil bei Patienten mit histologisch bestätigtem, nicht resezierbarem, therapieresistentem Adenokarzinom des Magens, die mindestens 2 Chemotherapien durchlaufen hatten und bei denen radiologisch eine Progression verifiziert wurde. Die teilnehmenden 507 Patienten waren in vergleichsweise gutem Allgemeinzustand (ECOG PS 0 oder 1). Sie wurden nach 2:1-Randomisierung an den Tagen 1 – 5 und 8 – 12 jedes 28-tägigen Zyklus entweder mit Trifluridin/Tipiracil (2 × täglich 35 mg/m2) oder Placebo behandelt. Alle Patienten erhielten die bestmögliche supportive Therapie (BSC, best supportive care) [17]. Unter der Therapie mit Trifluridin/Tipiracil verlängerte sich das mediane Gesamtüberleben (OS, primärer Endpunkt) signifikant gegenüber der Placebogruppe (5,7 vs. 3,6 Monate; HR: 0,69; 95%KI 0,56 – 0,85; p = 0,0003). Nach 12 Monaten betrug die Gesamtüberlebensrate in der Trifluridin-/ Tipiracil-Gruppe 21,2 % und in der Placebogruppe 13,0 %. Auch das Risiko für das Fortschreiten der Erkrankung, gemessen am progressionsfreien Überleben (PFS), wurde um 43 % reduziert (6-Monats-PFS 15 % vs. 6 % unter Placebo; HR: 0,57; p < 0,0001). Das Sicherheitsprofil von Triflu­ ridin/Tipiracil entsprach dem bei mCRC-Patienten gemeldeten Profil. Nebenwirkungen waren im Wesentlichen hämatologischer Art

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17

(Neutropenie bei 34 %, Anämie bei 19 %) [17]. Angesichts dieser Ergebnisse, insbesondere der 31%igen Verringerung des Sterberisikos und der Verlängerung des medianen Überlebens um 2,1 Monate, hat sich Trifluridin/Tipiracil als hoffnungsvolle neue Option für das Management des intensiv vorbehandelten mGC prädestiniert. Entsprechend hat Servier einen neuen Zulassungsantrag für weitere Indikationen von Lonsurf® zur Behandlung von Magenkrebs bei der European Medicines Agency eingereicht. Brigitte Söllner, Erlangen Literatur 1 Modest D et al. J Clin Oncol 2015:33: 3718-3726 2 Cremolini C et al. Lancet Oncol 2015; 16:1306-1315 3 Grothey A et al. Lancet 2013;381:303-312 4 Li J et al. Lancet Oncol 2015:16:619-629 5 Mayer RJ et al. N Engl J Med 2015; 372:1909-1919 6 Kim TW et al. ESMO 2016; Abstract 465PD 7 Cremolini C et al. Oncologist 2018;23: 1178-1187 8 Van Cutsem E et al. Ann Oncol 2016;27: 1386-1422 9 Colon Cancer NCCN Guidelines 2016. Im Internet: https://www.nccn.org/professionals/physician_gls/pdf/colon.pdf 10 AWMF. S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom. Im Internet: https://www.awmf.org/ uploads/tx_szleitlinien/021-007OLl_S3_ Kolorektales-Karzinom-KRK_2019-01.pdf 11 Seymour MT et al. Lancet 2011;377:17491759 12 Pinto C et al. Clin Colorectal Cancer 2017; 16(2):e61-e72 13 Lesniewski-Kmak K et al. Phase II study evaluating trifluridine/tipiracil + bevacizumab and capecitabine + bevacizumab in first-line unresectable metastatic colorectal cancer (mCRC) patients who are non-eligible for intensive therapy (TASCO1): results of the primary analysis. Poster presented at ESMO 20th World Congress on Gastrointestinal Cancer, 20–23 June 2018 14 Smyth ES et al. Ann Oncol 2016;27(Suppl 5):v38-v49 15 Cafferkey C et al. ESMO 2017, Abstract 642P 16 Wilke H et al. Lancet Oncol 2014;15: 1224-1235 17 Shitara K et al. Lancet Oncol 2018;19: 1437-1448 18 Fachinformation Lonsurf®; Stand: August 2017


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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Obstruktive Schlafapnoe: Stimulationstherapie bannt Gefahr durch nächtliche Atemaussetzer

B

ei der obstruktiven Schlafapnoe (OSA) kommt es im Schlaf zu einem Erschlaffen der Zungenmuskulatur und des umliegenden Gewebes, das den Atemweg verschließt. Gründe hierfür können z.B. die spezielle Konfiguration des Gesichtsschädels oder auch Fetteinlagerungen im Gewebe sein. Durch das Erschlaffen fällt die Zunge in den Rachen und blockiert den Atemweg. In der Folge setzt die Atmung für einen längeren Zeitraum aus, unter Umständen sogar mehr als eine Minute. Dabei sinkt der Sauerstoffgehalt im Blut deutlich ab. Daraufhin wird der Betroffene kurz wach und fängt wieder an zu atmen. Patienten mit mittelbis schwergradiger OSA erleiden bis zu mehr als 100 Obstruktionen und Sauerstoff-Entsättigungen jede Nacht.

In Deutschland sind etwa 3,7 Millionen Menschen von dieser Erkrankung betroffen [1]. Dabei sind Männer zwischen 40 und 70 Jahren am stärksten gefährdet. Rauchen, regelmäßiger Alkoholkonsum und Adipositas erhöhen das Risiko, an einer OSA zu erkranken [2]. Symptome und mögliche Folgeerkrankungen

Die wichtigsten Symptome der OSA sind mangelhafte Schlafqualität, Schläfrigkeit am Tag, gestörte Tagesaktivität, exzessives Schnarchen, nächtliche Atemaussetzer und Kopfschmerzen vor allem am Morgen [2]. Aufgrund der Vielzahl von Symptomen wird die Erkrankung häufig gar nicht oder erst sehr spät diagnostiziert. Ohne eine adäquate Behandlung erhöht sich

das Risiko für Betroffene, Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Diabetes Typ 2 zu entwickeln oder einen Schlaganfall zu erleiden [3, 4]. Die häufig auftretende Tagesschläfrigkeit erhöht zudem das Risiko für einen Sekundenschlaf und daraus resultierende Verkehrs- und Arbeitsunfälle [5]. Die Lebensqualität der Betroffenen ist deutlich eingeschränkt. Inspire®-Therapie als Alternative zur Standardbehandlung

Um mögliche Folgeerkrankungen der OSA zu verhindern, sollte die Atmungsstörung so früh wie möglich therapiert werden. Die Standardbehandlung erfolgt mittels CPAP-Beatmung (continuous positive airway pressure), bei der

Abbildung 1: Das Inspire®-System zur Hypoglossus-Stimulation besteht aus einem Atemsensor und einer Stimulationselektrode, die von einem kleinen Generator betrieben wird. Alle Elemente werden bei einem minimalinvasiven Eingriff implantiert. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2019 · 28. JAHRGANG

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Nach 12 Monaten Inspire-Therapie konnte bei Patienten in der STAR-Studie eine ignifikante Reduktion von AHI und ODI im Vergleich zum Ausgangswert nachgewiesen werden. Diese Verbesserungen waren auch in der LangzeitAKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS Nachbeobachtung nach 60 Monaten beständig.

APNOE-HYPOPNOE-INDEX (AHI) Apnoe-Hypopnoe-Index

Indikationen

6.0

Ausgangswert

19

nach 12 Monaten

nach 36 Monaten

nach 60 Monaten

Alle p-Werte < 0.01 vs. Ausgangswert. Ergebnisse als median.

Abbildung 2: Ergebnisse der STAR-Studien für den Verlauf des Apnoe-Hypopnoe-Index bei Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe unter der Behandlung mit dem Inspire®-System [6, 7].

während des Schlafes durch eine

rhythmus des Patienten über einen

Indiziert ist die Inspire®Therapie bei Patienten mit mittel- bis schwergradiger OSA (15 – 65 Atemaussetzer pro Stunde), die eine klassische Behandlung mit Beatmungsmaske nicht vertragen oder mit dieser nicht behandelt werden können und keine anatomische Auffälligkeiten aufweisen.

Außerdem berichteten die Patien-

Patienten berichten Inspire-Therapie von signifikanten Verbesserungen sowie eng sitzendeunter Atemmaske ein kon- interkostal signifikanten Verbesserunimplantierten Druck- ten von Normalisierungen derÜberdruck Tagesschläfrigkeit Tagesaktivität. Diese Verbesserungen tinuierlicher im Rachen und gen sowie Normalisierungen der sensor ermittelt. eigten sich im Verlauf über 60 Monate erzeugt wird, auch um Atemaussetzer Dasbeständig. Gerät wird nach der Implanta- Tagesschläfrigkeit und Tagesakti-

Epworth Sleepiness Scale

zu vermeiden. Diese Methode geht tion im Schlaflabor individuell an vität und ihre Lebenspartner von jedoch oft mit unerwünschten Ne- den Patienten angepasst und ein- einem signifikanten Rückgang des EPWORTH SLEEPINESS SCALE (ESS) benwirkungen wie Kopfschmerzen mal jährlich kontrolliert. Über eine Schnarchens. Die Therapieadhä12 und Mundtrockenheit einher. Viele Fernbedienung kann der Patient renz betrug nach 12 Monaten 86 % 11.0 Patienten das Gerät ein- und ausschalten und und blieb mit 80 % auch nach 5 11 tragen die Maske nicht konsequent in jeder Nacht, wie es die Therapieeinstellungen inner- Jahren noch sehr hoch [7]. 11.0 10 Normalisierte Brigitte Söllner, von den9 Ärzten empfohlen wird, halbTagesschläfrigkeit eines vom Arzt festgelegten Erlangen da sie sie als irritierend und unan- Bereichs ändern. Dem Arzt bietet 8 genehm empfinden. Entsprechend die in das Inspire®-System integschlecht7ist bei ihnen der Therapie6.0 rierten Adhärenzmonitoring-Funk6.0 6.0 6 tion die Möglichkeit zur Überwaerfolg [5]. 5 Eine innovative Alternative ist die chung der Therapietreue. Therapie 4 mit dem voll implantiernach 12 Monaten nach 36 Monaten nach 60 Monaten ® -System (Abb. 1). baren InspireAusgangswert Klinische aus Hierbei wird der N. hypoglossus, Alle p-Werte < 0.01 vs. Evidenz Ausgangswert. Ergebnisse als median. der den wesentlichen Atemwegs­ Langzeitstudien oodson et al. OTO-HNS, 2018. öffner (M. genioglossus) innerviert, während des Schlafes durch Die Wirksamkeit der Inspire®elektrische Impulse stimuliert. Therapie wurde in zahlreichen Dadurch wird die insuffiziente To- Studien hinreichend belegt. In der nisierung der pharyngealen Mus- STAR-Studie führte die Inspire®kulatur wiederhergestellt, sodass Therapie nach 12 Monaten zu Literatur der Kollaps von Zunge und Gewe- einer signifikanten Senkung des 1 Punjabi NM. Proc Am Thorac Soc 2008 (AHI, be im Bereich des weichen Gau- Apnoe-Hypopnoe-Index 15;5:136-143 mens verhindert und der Patient durchschnittliche Anzahl von 2 Knauert M et al. World J Otorhinolaryngol Neck Surg 2015;1:17-27 vor nächtlichen Atemaussetzern Apnoe- und Hypopnoe-Episoden 3 Head Bradley TD et al. Lancet 2009;373:82-93 geschützt wird. Die Stimulation pro Stunde Schlaf) im Vergleich 4 Durgan DJ et al. J Am Heart Assoc 2012; über die subkutan am N. hypoglos- zum Ausgangswert. Diese Verbes- 5 1:e000091 Barger LK et al. J Clin Sleep Med 2015; sus implantierte Elektrode erfolgt serungen hielten auch in der Lang11:233-240 atemsynchron ausschließlich wäh- zeit-Nachbeobachtung nach 60 6 Strollo P et al. N Engl J Med 2014;370:39149 rend der In- und späten Expiration. Monaten an (Abb. 2; alle p-Werte 7 Woodson BT et al. Otolaryngol Head Neck Surg 2018;159:194-202 Dazu wird der intrinsische Atem- <0,01 versus Ausgangswert) [6, 7]. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2019 · 28. JAHRGANG


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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

W

enn eine Prostatakrebserkrankung nicht durch eine Prostatektomie oder Bestrahlung geheilt werden kann und fortschreitet, kommt als Therapie eine Androgendeprivation infrage, d.h. eine Behandlung, die dem Tumor Testosteron entzieht [1]. Denn Testosteron fördert über eine Aktivierung des Androgenrezeptor(AR)-Signalwegs das Tumorwachstum (Abb. 1). Ziel der Androgendeprivation bei hormonsensitiven Prostatakarzinomen ist es, die Serum-Testosteron-Konzentration unter 50 ng/dl zu senken. Diese chemische Kastration gelingt durch eine Blockade der Gonadotropin-Sekretion der Hypophyse z.B. durch GnRH-Antagonisten, wodurch auch die nachfolgende Signalkaskade gehemmt und letztlich die Testosteronproduktion in den Hoden reduziert wird. Im Krankheitsverlauf werden jedoch etwa 10 – 20 % der ursprünglich hormonsensitiven Prostatakarzinome kastrationsresistent und sprechen nicht mehr auf eine hormonablative Therapie an [2, 3]. In diesem Stadium wird der ARSignalweg dann trotz eines unter der Kastrationsgrenze liegenden Testosteronspiegels aktiviert [1] oder sogar völlig unabhängig von Testosteron, beispielsweise durch Überexpression von Hormonsynthese-Enzymen und Enzym-Varianten, durch eine intratumorale Androgensynthese sowie durch andere Steroidhormone abseits von Testosteron [2]. In diesen Fällen kommen Hormontherapeutika der zweiten Generation zum Einsatz wie der AndrogenrezeptorSignalweg-Inhibitor Enzalutamid (Xtandi™). Enzalutamid wird in allen relevanten Leitlinien für die Erstlinientherapie von Patienten mit asymptomatischem und mild symptomatischem metastasiertem,

Enzalutamid verbessert die Therapie des kastrationsresistenten Prostatakarzinoms kastrationsresistentem Prostatakarzinoms (mCRPC) empfohlen, die unter Androgendeprivation einen Progress erleiden und bei denen eine Chemotherapie klinisch noch nicht indiziert ist oder deren Erkrankung während oder nach einer Chemotherapie mit Doxetacel fortschreitet [4, 5, 6]. 2018 wurde die Zulassung erweitert, sodass Enzalutamid nun auch für die Behandlung erwachsener Männer mit nicht metastasiertem, kastrationsresistentem Hochrisiko-Prostatakarzinom zur Verfügung steht (Abb. 2) [7]. Effektive Tumorkontrolle

wachstum eine zentrale Rolle. Diese Signalkaskade wird durch die Bindung von Testosteron an den Androgenrezeptor aktiviert. Dieser wird dann in den Zellkern transloziert, wo er als Transkriptionsfaktor die Expression von Genen positiv oder negativ regulieren kann [8]. Enzalutamid greift in die Schlüsselstellen der Signalweiterleitung ein und blockiert die Signalweiterleitung selektiv auf 3 Ebenen (Abb. 3), denn es: • hemmt kompetitiv die Bindung von Dihydrotestosteron an den Androgenrezeptor (Rezeptorblockade), • unterbindet die Translokation aktivierter Rezeptoren in den Nukleus und • inhibiert die Bindung aktivierter Rezeptoren an die DNA und hemmt so die Transkription, sogar bei Überexpression

Therapiemanagement Prostatakarzinom durch dreifache Blockade des AR-Signalweges

Wie oben beschrieben, spielt der AR-Signalweg für das Tumorzell-

Hypothalamus Freisetzung GnRH

Hypophyse Freisetzung LH, FSH

Testosteron

Hoden (und Nebennierenrinde in geringen Mengen)

Zellproliferation

Proteine Zellkern Zellmembran

Zytoplasma

Abbildung 1: Das Wachstum von Prostatakarzinomzellen wird maßgeblich durch Testosteron bzw. durch Dihydrotestosteron und dessen Bindung an den Androgenrezeptor (AR) gefördert. Testosteron aktiviert den nachfolgenden AR-Signalweg in den Epithel- und Stromazellen der Prostata und steuert auf diese Weise Differenzierung, Metabolismus, Proliferation und Überleben der Zellen. Daher kann eine Therapie, die dem Tumor Testosteron entzieht, das TumorAntihormon-bremsen [1]. Überwachungswachstum eines hormonsensitiven Prostatakarzinoms Operation Bestrahlung Chemotherapie therapie strategien

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dazu zählen z. B.

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Therapiekontinuum des Prostatakarzinoms 21

NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

ADT Enzalutamid: Zielgerichtete Therapie des kastratationsresistenten Prostatakarzinoms in den folgenden Indikationen:

Tumorvolumen

HochrisikonmCRPC

asymptomatisches und mild symptomaPost-Chemo mCRPC tisches mCRPC Chemotherapie

(Docetaxel)

ADT/ Hormontherapie Lokale Behandlung Enzalutamid

Zeit Mild symptomatisch

Asymptomatisch Hormonsensitiv

Symptomatisch

Kastrationsresistent

Abbildung 2: Einsatzbereiche von Enzalutamid (Xtandi™) in der Behandlung des metastasierten (m) und nicht metastasierten (nm) kastrationsresistenten Prostatakarzinoms (CRPC) [7].

1

Spritze Blockade der Testosteron-Produktion: Hemmung der Gonadotropin-Sekretion der Hypophyse und damit Senkung der körpereigenen Testosteronsynthese. Leuprorelinacetat ist für die Behandlung des hormonabhängigen, fortgeschrittenen Prostatakarzinoms und in Kombination mit Radiotherapie für die Behandlung von lokalisiertem Hochrisiko- und lokal fortgeschrittenem Hinweis: Beim mCRPC-Patienten kann die Behandlung mit einem TM LHRH-Agonisten wie Eligard fortgesetzt werden.

Ein LHRH-Analogon der Wahl zur Basistherapie des PCA

Filmtablette Blockade des AR-Signalwegs: Zielgerichtete Hemmung der Testosteronwirkung in der Tumorzelle Enzalutamid ist angezeigt2: zur Behandlung erwachsener Männer mit nicht metastasiertem kastrationsresistentem Hochrisiko-Prostatakarzinom. zur Behandlung erwachsener Männer mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom mit asymptomatischem oder mild symptomatischem Verlauf nach Versagen der Androgenentzugstherapie, bei denen eine Chemotherapie klinisch noch nicht indiziert ist. zur Behandlung erwachsener Männer mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom, deren Erkrankung während oder nach einer Chemotherapie mit Docetaxel fortschreitet.

Erstlinientherapie des Hochrisiko nmCRPC bzw. des asymptomatischen und mild symptomatischen mCRPC

Referenzen: 1. Fachinformation Eligard™, Stand Juli 2018 2. Fachinformationen Xtandi™, Stand Oktober 2018 Abkürzungen: ADT = Androgendeprivationstherapie; AR = Androgenrezeptor; LHRH = luteinisierendes Hormon Releasing-Hormon; nmCRPC = nicht metastasiertes kastrationsresistentes Prostatakarzinom; mCRPC = metastasiertes kastrationsresistentes Prostatakarzinom; PSA-DT = PSA Verdoppelungszeit * PSA-DT ≤ 10 Monate bei Basis PSA-Wert ≥ 2 ng/ml Dieses Dokument ist Teil einer Pressemappe. Die aktuellen Fachinformationen liegen dieser Basispressemappe bei.

Abbildung 3: Wirkmechanismus von Enzalutamid (Xtandi™). Der Androgenrezeptor-Signalweg-Inhibitor blockiert die Signalübertragung auf ONC/2018/0014/DEf - Erstellt: November 2018 3 unterschiedliche Arten [8].

von Androgenrezeptoren und in Prostatakarzinomzellen, die resistent gegenüber Antiandrogenen sind [8].

Auf diese Weise kann Enzalutamid wichtige Mechanismen der Kastrationsresistenz unterlaufen. Die zielgerichtete Blockade

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des AR-Signalweges resultiert letztlich in einer hohen tumorbiologischen Aktivität: Die Zellproliferation wird gehemmt (an-


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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

Abbildung 4: Ergebnisse der PROSPER-Studie für den primären Endpunkt: Das mediane metastasenfreie Überleben war unter Enzalutamid rund 22 Monate länger als unter Placebo (relative Risikoreduktion von radiologischer Progression oder Tod  = 71 %) [12].

tiproliferativ) [8], die Apoptose begünstigt (proapoptotisch) [9, 10] und die Tumorzellen werden für die Lyse durch zytotoxische T-Lymphozyten sensibilisiert (immunsensitivierend) [11]. Signifikanter Überlebensvorteil und Verzögerung der Krankheitsprogression

Die selektive Blockade des ARSignalweges durch Enzalutamid resultiert in einer effektiven Tumorkontrolle, die sich in den PhaseIII-Studien als Verlängerung des Gesamtüberlebens, Verzögerung der radiografischen Krankheitsprogression (MFS: metastasenfreies Überleben oder rPFS: radiografisch progressionsfreies Überleben), längerer Erhalt der Lebensqualität oder Hinauszögern der Folgetherapien zeigte [12, 13]. In allen Studien wies Enzalutamid ein konsistent positives Sicherheitsprofil auf, das in der Anwendung an mittlerweile über 300.000 Patienten weltweit bestätigt werden konnte. Zulassungsrelevant waren vor allem die beiden Phase-III-Studien PROSPER [12] und PREVAIL [13]. In PROSPER waren 1.401 Patienten mit kastrationsresisten-

tem Prostatakarzinom eingeschlossen [12]. Sie hatten keine nachweisbaren Metastasen, aber ein hohes Risiko für einen weiteren Krankheitsprogress, belegt durch eine PSA-Verdoppelungszeit von ≤10 Monaten. In diesem Kollektiv reduzierte Enzalutamid das Risiko für Metastasen oder Tod gegenüber Placebo um 71 %, und verlängerte das mediane metastasenfreie Überleben gegenüber Placebo um fast 22 Monate (36,6 Monate versus 14,7 Monate; p < 0,001; Abb. 4). Darüber hinaus verlängerte der AR-Signalweg-Inhibitor die Zeit bis zur nächsten antineoplastischen Folgetherapie (39,6 versus 17,7 Monate; p < 0,001) und die Zeit bis zu einem PSA-Progress (37,2 versus 3,9 Monate; p < 0,001). Das mediane Gesamtüberleben wurde bislang nicht erreicht, zum Zeitpunkt des Datenschnitts der Interimsanalyse reduzierte Enzalutamid das Sterberisiko gegenüber Placebo jedoch um 20 % [12]. Aufgrund der PROSPER-Ergebnisse wurde mit Enzalutamid erstmals eine aktive Therapie mit potenziell lebensverlängernder Wirkung zur Behandlung des nicht metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms bei Patienten mit hohem Progressrisiko zugelassen.

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In der PREVAIL-Studie wurde Enzalutamid als Erstlinientherapie bei 1.717 asymptomatischen oder mild symptomatischen Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom gegen Placebo geprüft [13]. Im Vergleich zu Placebo verlängerte Enzalutamid das mediane radiografisch progressionsfreie Überleben um 68 % (p < 0,0001), das mediane Gesamtüberleben um 23 % (p = 0,0002) sowie die Zeit bis zur Notwendigkeit einer Chemotherapie, bis zum ersten skelettbezogenen Ereignis und bis zum PSAProgress. Außerdem erhielt es die Lebensqualität über einen längeren Zeitraum (p jeweils <0,0001) [14]. Damit belegt die PREVAIL-Studie die effektive Tumorkontrolle durch Enzalutamid in der Erstlinientherapie des asymptomatischen/mild symptomatischen mCRPC. Als Konsequenz dieser Ergebnisse zur PREVAIL-Studie empfiehlt die S3-Leitlinie Prostatakarzinom für die Erstlinientherapie asymptomatischer und mild symptomatischer mCRPC-Patienten, die unter hormonablativer Therapie einen Progress erleiden, seit Anfang April 2018 nun auch Enzalutamid als eine Soll-Behandlungsoption [4]. Damit schließt sich die deutsche © VERLAG PERFUSION GMBH


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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

Indikationen von Enzalutamid Der Androgenrezeptor-Signalweg-Inhibitor ist zugelassen zur Behandlung erwachsener Männer • mit nicht metastasiertem kastrationsresistentem Hochrisiko-Prostatakarzinom, • mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom mit asymptomatischem oder mild symptomatischem Verlauf nach Versagen der Androgenentzugstherapie, bei denen eine Chemotherapie klinisch noch nicht indiziert ist, • mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom, deren Erkrankung während oder nach einer Chemotherapie mit Docetaxel fortschreitet.

S3-Leitlinie internationalen Leitlinien an, die den AndrogenrezeptorSignalweg-Inhibitor schon länger als Option zur Erstlinientherapie führen [5, 6]. Fazit für die Praxis

Enzalutamid (Xtandi™) ermöglicht eine patientenindividuelle und einfache Therapie, denn im Rahmen der zugelassenen Indikationen [7] können Ärzte die Behandlung mit Enzalutamid als Erstlinientherapie des CRPC direkt bei einem Versagen der Androgendeprivationstherapie starten. Patienten mit lokalem oder lokal fortgeschrittenem Prostatakarzinom erleben den Übergang vom hormonsensitiven in ein kastrationsresistentes Krankheitsstadium oft als große emotionale Belastung. Denn dann wird deutlich, dass die bisherige Therapie (i.d.R. Androgendeprivation) nicht mehr adäquat wirkt und die Erkrankung fortschreitet. In dieser Situation steht mit Enzalutamid eine Therapie zur Verfügung, die eine effektive Tumorkontrolle ermöglicht, mit einem metastasenfreien Überleben und einer PSA-Kontrolle von median 3 Jahren [12].

Wenn im weiteren Krankheitsverlauf doch Metastasen auftreten, wünschen sich viele Patienten eine Therapie, die das Leben verlängert, einen weiteren Progress bremst, eine Chemotherapie hinauszögert, bei alldem aber vor allem ihre Lebensqualität bestmöglich erhält [15]. Wie die Ergebnisse der PREVAIL-Studie zeigen, kommt Enzalutamid diesen individuellen Bedürfnissen und Therapiezielen entgegen [13]. Außerdem kann der Wirkstoff bei fast allen relevanten Metastasierungsmustern – so auch bei Patienten mit viszeralen Metastasen [7] – sowie bei älteren wie jüngeren Patienten gleichermaßen eingesetzt werden [16]. Gemäß den Empfehlungen der St. Gallener Konsensus-Konferenz [17] sollte Enzalutamid bei Patienten mit Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, kardialen Vorerkrankungen und Leberfunktionsstörungen bevorzugt angewendet werden. Der Monitoring-Aufwand für die Therapie mit Enzalutamid ist vergleichsweise gering: Die gleichzeitige Gabe von Prednison/Prednisolon ist nicht notwendig, aber möglich [7]. Für Patienten ist die Anwendung sehr einfach in den Alltag integrierbar: Das Präparat

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wird einmal täglich oral und unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen und ist gut verträglich [7]. Dadurch können therapiebedingte Einschränkungen im Tagesablauf auf ein Minimum reduziert werden. Zusammenfassend erlaubt das Präparat mit dem Wirkstoff Enzalutamid Patienten mit CRPC auch unter Therapie ein den Umständen entsprechend weitgehend normales Leben zu führen – ein wichtiger Aspekt auch für die Therapie­ treue. Fabian Sandner, Nürnberg

Literatur 1 Tsao CK et al. BJU International 2012; 110:1580-1588 2 Sternberg CN et al. ASCO Educational Book 2014:117-131 3 Kirby et al. Int J Clin Pract. 2011 Nov;65(11):1180-1192 4 AWMF. Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms, Version 5.0, Stand 12. April 2018, AWMF Register-Nummer 043/022OL. Im Internet: https://www. awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/043022OLl_S3_Prostatakarzinom_2018-04.pdf 5 Cornford P et al. EAU-ESTRO-SIOG Guidelines on prostate cancer. Eur Urol 2017; 71:630-642 6 Parker et al. ESMO Guidelines on prostate cancer. Ann Oncol 2015;26(Suppl. 5):v69v77 7 Fachinformationen Xtandi™; Stand: Oktober 2018 8 Tran C et al. Science 2009;324:787-790 9 Guerrero J et al. Prostate 2013;73:1291-305 10 Scher HI et al. Lancet 2010;375:1437-1446 11 Ardiani A et al. Oncotarget 2014;5:93359348 12 Hussain M et al. N Engl J Med 2018;378: 2465-2474 13 Beer TM et al. European Urology 2017;71: 151-154 14 Beer TM et al. N Engl J Med 2014;371: 424-433 15 Crawford E et al. Urology 1997;50:366-372 16 Evans CP et al. Eur Urol 2016 Oct;70:675683 17 Gillessen S et al. Eur Urol 2018;73:178-211


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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

Erstes PegfilgrastimBiosimilar in der EU für die Neutropeniebehandlung zugelassen

S

eit dem 25. September 2018 steht mit Pelgraz® das erste pegylierte G-CSF-Biosimilar in Deutschland zur Verfügung. G-CSF, der Granulozyten-Kolonie-stimulierenden Faktor, ist ein Glykoprotein, das die Bildung von neutrophilen Granulozyten und deren Freisetzung aus dem Knochenmark steuert [1]. Diese weißen Blutzellen spielen eine wichtige Rolle für die körpereigene Abwehr von Infektionen. Ist die Blutbildung gestört, z.B. bei Erkrankungen des Knochenmarks wie der Leukämie, aber auch als Nebenwirkung von Medikamenten, kommt es zu einem Mangel an neutrophilen Granulozyten, zur Neutropenie. Diese tritt besonders häufig als Begleiterscheinung nach einer zytotoxischen Chemotherapie auf, da die eingesetzten Zytostatika auch auf teilungsaktive Zellen im Knochenmark wirken [2]. Um die Neutropenie und ihre Folgen einzudämmen, müsste die Zytostatikadosis reduziert oder die Chemotherapie verzögert bzw. die Intervalle verlängert werden, was den Erfolg der Behandlung und damit das (Über-)Leben des Patienten erheblich gefährden würde. Um die laut Therapieprotokoll erforderliche Standard-Dosisintensität erreichen zu können, muss daher eine Neutropenie und febrile Neutropenie vermieden bzw. in einem klinisch akzeptablen Bereich

gehalten werden. Wie mehrere Metaanalysen belegen, gelingt dies durch die primäre Prophylaxe mit G-CSF: Unmittelbar nach Zyklus 1 der Chemotherapie verabreichtes G-CSF reduziert das Risiko für eine febrile Neutropenie bei Patienten mit soliden Tumoren um mindestens 50 % [3]. G-CSF in Leitlinien empfohlen

Die Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), EORTC, ASCO und NCCN empfehlen, G-CSF zu verabreichen, wenn das Risiko der febrilen Neutropenie (FN) durch das gewählte Chemotherapieprotokoll ≥20 % beträgt. Wird eine Chemotherapie geplant, die ein moderates FNRisiko (10 – 20 %) induziert, dann empfehlen die Leitlinien, vor jedem Chemotherapie-Zyklus das individuelle FN-Gesamtrisiko zu beurteilen und dabei patientenbzw. tumorbezogene Risikofaktoren zu berücksichtigen. G-CSF wird dann erforderlich, wenn Risikofaktoren wie Alter ≥65 Jahren, fortgeschrittene Erkrankung oder relevante Komorbidität oder frühere Neutropeniekomplikationen vorliegen. Auch eine Neutropenie, die eine Chemotherapieverschiebung erforderlich machte, ist eine Indikation zur G-CSF-Prophylaxe in den nachfolgenden Zyklen, um

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die geplante Dosisintensität einhalten zu können [4]. Vorteile von Pegfilgrastim

Der G-CSF ist eine Zucker-EiweißVerbindung, die gentechnisch als Wirkstoff Filgrastim durch das Bakterium Escherichia coli hergestellt wird. Bei Pegfilgrastim handelt sich um eine pegylierte Form (Konjugation mit Polyethylenglykol, PEG) von Filgrastim mit verlängerter Verweildauer im peripheren Blut, da die renale Clearance verhindert wird. Langwirkende Mittel wie Pegfilgrastim werden nur einmal nach der Chemotherapie subkutan appliziert [1], was ein viel einfacheres Verfahren für die Patienten bedeutet als die tägliche Anwendung von kurzwirksamem G-CSF, das normalerweise 10 – 11 Tage verabreicht werden muss, bis die absolute Neutrophilenzahl ausreichend/stabil ist. Außerdem treten unter der Pegfilgrastim-Therapie seltener febrile Neutropenien auf als unter Filgrastim [5]. Pegfilgrastim führt innerhalb von 24 Stunden zu einem deutlichen Anstieg der Zahl neutrophiler Granulozyten im Blut; dabei bleibt die Menge der Monozyten und/oder Lymphozyten praktisch unverändert. Die nach der Behandlung mit Pegfilgrastim gebildeten neutrophilen Granulozyten verfügen über © VERLAG PERFUSION GMBH


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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

eine normale bzw. erhöhte Funktionsfähigkeit [1]. Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten aus Phase-IIIStudie belegen Vergleichbarkeit

Die Zulassung des PegfilgrastimBiosimilars Pelgraz® stützt sich auf ein umfangreiches klinisches Studienprogramm, in dem die Vergleichbarkeit mit dem Referenzprodukt Neulasta® nachgewiesen wurde. Dabei ist Pelgraz® das erste in der EU zugelassene Pegfilgrastim-Biosimilar, bei dem für die Zulassung nicht nur die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Eigenschaften in Phase-I-Studien bei gesunden Probanden mit dem Referenzprodukt Neulasta® verglichen wurden [6, 7], sondern es wurde auch eine aktiv kontrollierte Phase-III-Studie zum Vergleich des Wirksamkeits- und Sicherheitsprofils mit dem Referenzprodukt Neulasta® durchgeführt [8]. Einbezogen in diese Studie wurden 595 Patientinnen mit Brustkrebs in den Stadien II und III, die 6 Zyklen einer myeolosuppressiven Chemotherapie erhielten. Am Tag 2 jedes Zyklus wurde zusätzlich entweder das Pegfilgrastim-Biosimilar oder das Referenzprodukt Neulasta® (sowohl das in den USA als auch das in der EU zugelassene Präparat) subkutan appliziert. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war die Dauer schwerer Neutropenien in Zyklus 1; in der Sicherheitsanalyse

wurden alle Nebenwirkungen der Pegfilgrastim-Therapie erfasst. Wie die Ergebnisse der Head-toHead-Studie zeigen, war sowohl die Wirksamkeit als auch die Sicherheit des Pegfilgrastim-Biosimilars mit der der beiden zugelassenen Pegfilgastrim-Präparate vergleichbar: Die mittlere Neutropeniedauer in Zyklus 1 betrug für das Biosimilar 1,6 Tage (95%-KI: 1,47 – 1,79), für das US-Neulasta® 1,4 Tage (95%-KI: 1,17 – 1,61) und das EU-Neulasta® 1,6 Tage (1,38 –1,83). Auch die Häufigkeit der aufgetretenen Nebenwirkungen war in allen 3 Studienarmen ähnlich: 89,7 % vs. 94,8 % vs. 92,8 % im gesamten Studienzeitraum; eine febrile Neutropenie in Zyklus 1 trat bei 5,1 % vs. 4,1 % vs. 3,4 % der Patientinnen auf [8]. Basierend auf diesen Studienergebnissen erteilte die Europäische Kommission die Zulassung von Pelgraz® zur Verkürzung der Dauer von Neutropenien sowie zur Verminderung der Häufigkeit neutropenischen Fiebers bei erwachsenen Patienten, die wegen einer malignen Erkrankung mit zytotoxischer Chemotherapie behandelt werden (mit Ausnahme von chronisch-myeloischer Leukämie und myelodysplastischem Syndrom) [1]. Ein wichtiger Gesichtspunkt für den Einsatz von Pelgraz® in der täglichen Praxis ist, dass das Biosimilar neben der vergleichbaren Wirksamkeit und Sicherheit auch einen deutlichen Preisvorteil gegenüber dem Referenzprodukt bie-

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tet und dadurch vielen Patienten einen besseren Zugang zu diesem lebenswichtigen Medikament ermöglicht. Brigitte Söllner, Erlangen

Literatur 1 Fachinformation Pelgraz®; Stand: 09/2018 2 Hentrich H, Hartenstein R, Lutz L. Neutropenie. Unerwünschte Begleiterscheinung der Chemotherapie. Ratgeber für Tumorpatienten in der Chemotherapie. 2006 3 Klastersky J, de Naurois J, Rolston K et al. Management of febrile neutropaenia: ESMO Clinical Practice Guidelines: Ann Oncol 2016;27 (Suppl. 5):v111-v118 4 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF). Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen – Langversion 1.0, 2016, AWMF Registernummer: 032/ 054OL. Im Internet: http://leitlinienprogrammonkologie.de/Supportive-Thera­ pie.95.0.html 5 Molin­eux G. The design and development of pegfilgrastim (PEG-rmetHuG-CSF, Neulasta). Curr Pharm Des 2004;10:12351244 6 Singh I, Patel A, Patel R et al. Pharmacokinetic and pharmacodynamic bioequivalence study of a pegfilgrastim biosimilar INTP5 in healthy subjects. Cancer Chemother Pharmacol. 2018;82:329-337 7 Desai K, Catalano T, Rai G et al. Confirmation of biosimilarity in a pharmacokinetic/pharmacodynamic study in healthy volunteers for an analytically highly similar pegfilgrastim. Clin Pharmacol Drug Dev 2016;5:354-363 8 Desai K, Misra P, Kher S et al. Clinical confirmation to demonstrate similarity for a biosimilar pegfilgrastim: a 3-way ran­ domized equivalence study for a proposed biosimilar pegfilgrastim versus US-licensed and EU-approved reference products in breast cancer patients receiving myelosuppressive chemotherapy. Exp Hematol Oncol 2018;7:22. doi: 10.1186/ s40164-018-0114-9. eCollection 2018


NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

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D

ie aTTP (acquired thrombotic thrombocytopenic purpura) ist eine lebensbedrohliche Blutgerinnungsstörung, die auf autoimmunen Prozessen beruht. Sie ist gekennzeichnet durch eine übermäßige Bildung von Blutgerinnseln in kleinen Blutgefäßen im ganzen Körper, die zu schwerer Thrombozytopenie, mikroangiopathischer hämolytischer Anämie, Ischämie und weitreichenden Organschäden, insbesondere im Gehirn und Herzen, führt [1]. Trotz der aktuellen Standardtherapie, die aus täglichem Plasmaaustausch (PEX) und Immunsuppression besteht, sind aTTP-Episoden nach wie vor mit einer hohen Sterblichkeit von bis zu 20 % verbunden. Die meisten Todesfälle ereignen sich innerhalb von 30 Tagen ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung [2]. Menschen mit der Diagnose aTTP, die bisher mit einer schweren Erkrankung mit begrenzten Thera­ piemöglichkeiten zu kämpfen hatten, gibt ein neues Medikament wieder Hoffnung. Am 31. August 2018 hat die Europäische Kommission Caplacizumab (Cablivi®) Normal

a)

Caplacizumab – das erste speziell für die Behandlung der aTTP zugelassene Therapeutikum

als wichtige Ergänzung der Standardtherapie für die Behandlung von Erwachsenen mit aTTP zugelassen [3]. Nanobody verhindert pathologische Mikrothrombenbildung

Ursache der aTTP ist die Bildung von Autoantikörpern gegen das Enzym ADAMTS-13. Dieses spaltet normalerweise die ultralangen von-Willebrand-Faktor-(vWF)Multimere (ULvWF) in kleinere Stücke (Abb. 1a). Aufgrund der aTTP

b)

durch den Autoimmunprozess stark reduzierten Enzymaktivität (<10 %) werden die kettenförmigen ULvWF-Multimere nicht mehr zerschnitten und binden vermehrt Thrombozyten (Abb. 1b). Die dabei entstehenden Mikrothromben führen zur Thrombozytopenie, mikroangiopathischen hämolytischen Anämie und letztlich zu Organ­ ischämien im ganzen Körper [1]. Caplacizumab greift direkt in diesen pathologischen Prozess ein: Der bivalente Nanobody zielt auf die A1-Domäne des von-Wille­ brand-Faktors ab und blockiert die Wechselwirkung zwischen den Wirkungsweise von Caplacizumab

c)

Abbildung 1: Wirkungsweise von Caplacizumab (Cablivi®). Bei Patienten mit aTTP werden Autoantikörper gegen das Enzym ADAMTS-13 gebildet, das die ultralangen Multimere des von-Willebrand-Faktors (vWF) zerschneidet (a). Aufgrund der stark reduzierten Enzymaktivität (<10 %) bleiben die Multimere bestehen und es lagern sich verstärkt Thrombozyten an (b). Folge ist eine vermehrte Bildung von Mikrothromben, die zu lebensbedrohlichen Organischämien führen können. Der humanisierte Nanobody Caplacizumab bindet an die A1-Domäne des vWF und kann so die Interaktion zwischen vWF und Thrombozyten verhindern (c) [3]. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2019 · 28. JAHRGANG

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vWF-Multimeren und den Thrombozyten. Dadurch verhindert Caplacizumab die pathologische Thrombozytenadhäsion und Mikrothrombenbildung (Abb. 1c) [3]. Caplacizumab wird zusätzlich zur bisherigen Standardtherapie (PEX plus Immunsuppression) verabreicht und ist das erste Therapeutikum, das speziell für die Behandlung der aTTP zugelassen ist [3]. Schnellere Normalisierung der Thrombozytenzahl und weniger Rezidive

Die EU-Zulassung von Caplacizumab beruht auf der PhaseII-Studie TITAN und der PhaseIII-Studie HERCULES, die die Sicherheit von Caplacizumab als Ergänzung zur Standardtherapie (tägliche PEX und Immunsuppression) untersuchten. An der HERCULES-Studie [4] nahmen 145 erwachsene Patienten mit aTTP teil. Sie wurden nach einer aTTP-Episode und Standardtherapie 1 : 1 auf den Behandlungsund Placeboarm randomisiert. Im Behandlungsarm wurde ein i.v. Bolus mit 10  mg Caplacizumab vor der nächsten PEX verabreicht und eine subkutane Dosis Caplacizumab (10 mg) nach dem Ende der PEX. Für die weitere Behandlung wurde Caplacizumab (10 mg) über einen Zeitraum von 30 Tagen nach Beendigung der PEX täglich subkutan injiziert [4]. Die Behandlung mit Caplacizumab als Ergänzung zur Standardtherapie führte zu einer um 55 % höheren Wahrscheinlichkeit für ein Ansprechen der Thrombozytenzahl (primärer Endpunkt; Thrombozyten-Normalisierungsrate: 1,55, 95%-CI: 1,10 – 2,20, p < 0,01). Außerdem kam es im Caplacizumab-Arm zu deutlich

weniger aTTP-Rezidiven, schwerwiegenden thromboembolischen Ereignissen, aTTP-assoziierten Todesfällen (erster sekundärer Endpunkt; p < 0,0001) sowie zu einer deutlich geringeren Anzahl an aTTP-Rezidiven im gesamten Studienzeitraum (zweiter sekundärer Endpunkt; p < 0,001). Hervorzuheben ist, dass unter der Behandlung mit Caplacizumab im Vergleich zu Placebo klinisch relevant weniger Plasmapheresen notwendig waren und sich die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation und in der Klinik verkürzte [4]. Die häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen der Caplacizumab-Therapie waren Nasenbluten, Kopfschmerzen und Zahnfleischbluten. Bei keinem der mit Caplacizumab behandelten Patienten der PhaseII- oder Phase-III-Studie kam es zu einem behandlungsbedingten Todesfall, im Vergleich zu insgesamt 5 Todesfällen in den Placebogruppen beider Studien [4, 5]. Brigitte Söllner, Erlangen

Literatur 1 Kremer Hovinga JA et al. Thrombotic thrombocytopenic purpura. Nature Reviews Disease Primers 2017;3:17020 2 Scully M et al. Guidelines on the diagnosis and management of thrombotic thrombocytopenic purpura and other thrombotic microangiopathies. Br J Haematol 2012; 158:323-335 3 Fachinformation Cablivi®; Stand: 09/2018 4 Scully et al. Results of the randomized, double-blind, placebo-controlled, phase 3 Hercules study of caplacizumab in patients with acquired thrombotic thrombocytopenic purpura. Blood 2017;130:LBA-1 5 Peyvandi F et al. Caplacizumab for acquired thrombotic thrombocytopenic purpura. N Enl Med 2016;374:511-522

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Ribociclib überzeugt in der Behandlung des fortgeschrittenen Mammakarzinoms Die Behandlung des Mammakarzinoms befindet sich im Umbruch. Nicht zuletzt die Zulassung von Ribociclib (Kisqali®) im August 2017 in Kombination mit einem Aromatasehemmer zur Behandlung von postmenopausalen Frauen mit einem Hormonrezeptor(HR)positiven, humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor-2 (HER2)-negativen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinom als initiale endokrinbasierte Therapie hat die Möglichkeiten in der Erstlinie verändert. So gibt es Hinweise, dass in den letzten Jahren der Anteil der Patientinnen zugenommen hat, die in dieser Therapiephase mit einer endokrinbasierten Therapie und dem CDK4/6*-Inhibitor behandelt wurden. Demgegenüber scheinen im gleichen Zeitraum weniger Frauen initial mit Chemotherapie behandelt worden zu sein. „Dieser Trend spiegelt wider, dass wir beim fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinom mit konventionellen Therapieansätzen an unsere Grenzen gestoßen sind“, konstatierte Professor Nadia Harbeck, München, auf einer Presseveranstaltung von Novartis im Rahmen der Jahrestagung der European Society for Medical Oncology (ESMO) in München. „Ein Blick auf das mediane progressionsfreie Überleben, das in unterschiedlichen klinischen Studien unter Chemotherapie, endokriner Monotherapie oder endokri*C DK4/6: Cyclin-abhängige Kinasen 4 und 6


KONGRESSE

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ner Therapie in Kombination mit CDK4/6-Inhibition erzielt worden ist, deutet darauf hin, dass man unter den neuen Behandlungsansätzen deutlich ehrgeizigere Ziele verfolgen kann“, so die Gynäkoonkologin weiter. Relatives Progressionsrisiko fast halbiert

Der CDK4/6-Inhibitor Ribociclib wurde in der randomisierten, doppelblinden, klinischen Phase-IIIStudie MONALEESA-2 in Kombination mit Letrozol im Vergleich zu einer Letrozol-Monotherapie untersucht. Eingeschlossen wurden 668 postmenopausale Frauen mit fortgeschrittenem HR+/HER2negativem Mammakarzinom, bei denen noch keine andere Therapie für ihre fortgeschrittene Erkrankung durchgeführt worden war. Die Patientinnen erhielten täglich 600 mg Ribociclib (für 3 Wochen, dann eine Woche Pause) oder Placebo, jeweils in Kombination mit täglich 2,5 mg Letrozol gemäß Zulassung. Primärer Endpunkt der Studie war das progressionsfreie Überleben (PFS). Unter der Kombinationstherapie erreichten die Patientinnen ein medianes PSF von 25,3 Monaten (95%-KI: 23,0 – 30,3) gegenüber 16,0 Monaten (95%-KI: 13,4 – 18,2) unter der Letrozol-Monotherapie (medianes Follow-up: 26,4 Monate; HR = 0,568; 95 %-KI: 0,457 – 0,704; p = 9,63  × 10–8). „Dabei war nicht nur das Progressionsrisiko unter der endokrinbasierten Therapie mit dem CDK4/6-Hemmer um relativ 43,2 % geringer als unter der endokrinen Monotherapie, auch das Ansprechen unterschied sich zwischen beiden Studienarmen signifikant“, betonte Professor Peter

Ribociclib Ribociclib (Kisqali®) gehört als Cyclin-abhängiger Kinaseinhibitor (CDKi) zu einer neuen Medikamentenklasse, die dazu beitragen kann, das Fortschreiten von Krebs durch Hemmung zweier Proteine, der Cyclin-abhängigen Kinasen 4 und 6 (CDK4/6), zu verlangsamen. Bei Überaktivität können diese Proteine Krebszellen zum Wachsen und zu schneller Teilung veranlassen. Seit August 2017 ist Ribociclib in Kombination mit einem Aromatasehemmer zur Behandlung von postmenopausalen Frauen mit einem Hormonrezeptor(HR)-positiven, humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor-2 (HER2)-negativen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinom als initiale endokrinbasierte Therapie für den europäischen Markt zugelassen und hat in dieser Indikation von der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) den höchsten Empfehlungsgrad erhalten.

Fasching, Erlangen. Unter Riboci­ clib und Letrozol erzielten 54,5 % der Patientinnen mit nachweisbarer Erkrankung ein objektives Ansprechen gegenüber 38,8 % im Kontrollarm (p = 2,54  × 10–4). Keine Einschränkung der Lebensqualität gegenüber Placebo

Mit Blick auf die Lebensqualität der Patientinnen gab Professor Sherko Kümmel, Essen, jedoch zu bedenken, dass sie nicht nur von der Wirksamkeit einer Therapie, sondern auch von deren Verträglichkeit abhänge. In diesem Zusammenhang stellte er die Ergebnisse einer Subanalyse der Studie MONALEESA-2 vor, die den Einfluss von Ribociclib plus Letrozol auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität anhand des EORTC QLQ-C30**-Fragebogens untersuchte. Den Daten zufolge blieb diese Lebensqualität sowohl im Verumarm als auch im Kontrollarm ** EORTC QLQ-C30: European Organisation for Research and Treatment of Cancer Quality of Life Questionnaire, Version 3.0

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über den Behandlungszeitraum konstant, verschlechterte sich aber nach Ende der Therapie in beiden Studienarmen rasch. Diese Beobachtung, dass eine Krankheitsprogression mit einer schlechteren gesundheitsbezogenen Lebensqualität assoziiert ist, deckte sich mit den Ergebnissen einer Posthoc-Analyse der MONALEESA2-Daten: Bei den Patientinnen unter Ribociclib und Letrozol, bei denen kein PFS-Ereignis eingetreten war, war die Zeitspanne bis zur definitiven Verschlechterung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität länger als bei den Patientinnen im selben Studienarm, bei denen ein PFS-Ereignis eingetreten war (HR = 0,59; 95%-KI: 0,39 – 0,87; p = 0,008). Wird die Krankheitsprogression verzögert, scheint dies auch die Verschlechterung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zu verzögern. Die Möglichkeiten in der Erstlinie haben sich deutlich verbessert

Die Referenten waren sich einig, dass die Verfügbarkeit von CDK4/6-Inhibitoren die Therapie© VERLAG PERFUSION GMBH


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optionen bei postmenopausalen Frauen mit HR+/HER2–, fortgeschrittenem oder metastasiertem Mammakarzinom deutlich verbessert hat. Abschließend gaben sie aber auch zu bedenken, dass vor allem die Entwicklung primärer und sekundärer Resistenzen unter modernen endokrin-basierten Mono- und Kombinationstherapien eine Herausforderung im klinischen Alltag darstellt. Elisabeth Wilhelmi, München

Der aktive COPD-Patient: Statt Bettruhe körperliche Bewegung Nach dem GOLD-Report ist die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) eine der Hauptursachen für Mortalität und Morbidität weltweit. Als medikamentöse Therapie wird je nach Symptomlast und Exazerbationen die duale Bronchodilatation mit LABA und LAMA eingesetzt. Neuerdings erlangt aber die körperliche Aktivität in der COPD-Therapie größere Bedeutung, sowohl in den neuen GOLD-, DGP- und DMP-Empfehlungen als auch in aktuellen Studien. Doch wie aktiv ist eigentlich ein COPD-Patient? Grundsätzlich versuchen COPDPatienten, unabhängig von ihrem Stadium, die Luftnot durch Reduktion ihrer körperlichen Aktivität zu vermeiden und setzen dadurch eine fatale Spirale in Gang: Infolge körperlicher Schonung und Dekonditionierung von Herz, Kreislauf und Muskulatur nimmt die körperliche Belastbarkeit weiter ab. Dadurch reduziert sich nicht zuletzt die Lebensqualität, was zu sozialer Isolation und Depressionen führen kann.

Bereits 1895 fand in Denver/Colorado ein Paradigmenwechsel in der Reha statt: Statt viel Bettruhe bei guter Ernährung stand nun körperliches Training auf dem Therapieplan. 2005 wies Casaburi eine deutliche Wirkungssteigerung von Tiotropium durch die Kombination mit körperlicher Aktivität nach. Neues Studiendesign: duale Bronchodilatation und körperliche Aktivität

Auch die Ergebnisse der aktuellen ACTIVATE-Studie* zeigen neue Maßstäbe für die COPD-Therapie auf. Im Verlauf der 8-wöchigen Studie wurden die Patienten randomisiert entweder mit der LABA/ LAMA-Kombination aus Aclidinium und Formoterol oder mit Placebo behandelt. Ziel war die Reduzierung der Lungenüberblähung (trough FRC). In Woche 5 – 8 erhielten alle Studienteilnehmer zusätzlich eine Verhaltensschulung in Form eines App-basierten Telecoachings mit täglichen Vorgaben (morgens), Rückmeldungen (abends) und Erinnerungen, mit der Intention, die körperliche Aktivität um 500 Schritte pro Tag zu steigern oder wenigstens das erreichte Niveau zu halten. Abgesehen von individuellen Unterschieden in einzelnen PatientenClustern wurde unter der LABA/ LAMA-Therapie eine signifikante Verringerung der Lungenüberblähung von 196 ml gegenüber der Placebo-Gruppe erreicht, die auch ein längeres Durchhaltevermögen ermöglichte: Die Ausdauer auf dem Fahrrad-Ergometer war deut* Watz H et al. ACTIVATE: the effect of aclidinium/formoterol on hyperinflation, exercise capacity, and physical activity in patients with COPD. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2017;12:2545-2558

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lich verbessert, gleichzeitig zeigten sich die Patienten der VerumGruppe deutlich aktiver. Nach 4 Wochen erreichten sie mit einem Plus von durchschnittlich 621 Schritten pro Tag die beste Verbesserung, die man in Studien bisher gesehen habe, wie Studienleiter PD Dr. Henrik Watz vom Pneumologischen Forschungsinstitut der Lungenclinic in Großhansdorf hervorhob. Hans Lenfers, Hirschaid Quelle: Symposium „Der aktive COPD-Patient – Stigmen und Visionen“ im Rahmen des 59. Kongresses der DGP, Dresden 2018. Veranstalter: Berlin-Chemie AG

Fortgeschrittenes Lungen- und triplenegatives Mammakarzinom:

Vielversprechende Phase-III-Daten zu Kombinationstherapien mit Atezolizumab Beim fortgeschrittenen Lungenund triple-negativen Mammakarzinom (TNBC) geben kürzlich vorgestellte Phase-III-Daten zu Kombinationstherapien mit Atezolizumab (Tecentriq®) Anlass zur Hoffnung: Patienten mit fortgeschrittenem kleinzelligem (SCLC) und nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) profitieren durch ein signifikant verlängertes Gesamtüberleben (OS) und progressionsfreies Überleben (PFS), wenn sie first-line den PD-L1-Inhibitor Atezolizumab in Kombination mit Chemotherapie bzw. Bevacizumab (Avastin®) und Chemotherapie erhalten. Auch für das TNBC sind die Daten überzeugend: Das PFS verlängerte sich in der Phase-III-Studie IMpassion130 in der Intention-To-Treat-(ITT-)


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Population sowie bei PD-L1-positiven Patienten signifikant. Eine erste Interimsanalyse zeigte darüber hinaus bei PD-L1-positiven Patienten einen starken Trend hinsichtlich eines OS-Vorteils von rund 10 Monaten. Diese Ergebnisse sind die ersten positiven Daten für eine Krebsimmuntherapie beim TNBC und ein vielversprechender Ausblick auf die zukünftige Therapie der aggressiven Tumorvariante. Die Studienergebnisse wurden im Rahmen eines Symposiums der Roche Pharma AG auf dem Herbstkongress 2018 der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie (AIO) vorgestellt. Vor diesem Hintergrund erläuterten renommierte Experten die Bedeutung von Kombinationsansätzen mit Krebsimmuntherapien für den Klinikalltag. SCLC: Therapeutischer Fortschritt nach Jahrzehnten des Stillstands

Unbehandelte Patienten mit fortgeschrittenem SCLC überleben unter der Kombination aus Atezolizumab und Chemotherapie (Carboplatin und Etoposid) median 2 Monate länger im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie – dies ergaben Studiendaten der PhaseIII-Studie IMpower133 (mOS: 12,3 vs. 10,3 Monate unter Chemotherapie). Das Mortalitätsrisiko reduzierte sich unter der Kombinationstherapie signifikant um 30 % (HR: 0,70; 95%-KI: 0,54 – 0,91; p = 0,0069). Mehr als die Hälfte der Patienten unter der Kombinationstherapie war nach einem Jahr noch am Leben (51,7 % vs. 38,2 % unter Chemotherapie). Gegenüber der alleinigen Chemotherapie wurde durch die Hinzunahme von Atezolizumab der Anteil an Patienten, die nach einem Jahr noch progres-

Atezolizumab Atezolizumab (Tecentriq®) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper der Klasse IgG1, der direkt an PD-L1 (Programmed Death Ligand 1) bindet und zu einer dualen Blockade der PD-1- und B7.1Rezeptoren führt. PD-L1 kann auf Tumorzellen und/oder tumorinfiltrierenden Immunzellen exprimiert werden und zur Inhibierung der antitumoralen Immunantwort im Mikromilieu des Tumors beitragen. Bindet PD-L1 an die Rezeptoren PD-1 und B7.1 auf T-Zellen und Antigen-präsentierenden Zellen, werden die zytotoxische TZell-Aktivität, die T-Zell-Proliferation und die Zytokin-Produktion unterdrückt. Als erster PD-L1-Inhibitor ist Tecentriq® seit Ende September 2017 zugelassen zur Monotherapie von bereits vorbehandelten Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC sowie zur Behandlung des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinoms (mUC) bei Cisplatin-ungeeigneten Patienten mit einer PD-L1-Expression von ≥5 % auf Immunzellen im Tumor oder bei platinvorbehandelten Patienten unabhängig vom PD-L1Status.

sionsfrei waren, mehr als verdoppelt (12,6 % vs. 5,4 %). „Lange konnten wir für diese Tumorvariante trotz vielfältiger Forschung keine Behandlungsfortschritte erreichen“, erläuterte PD Dr. Florian Fuchs, Erlangen, und ergänzte: „Die Studienergebnisse zeigen zum ersten Mal einen Therapiefortschritt. Das macht uns Ärzten und vor allem auch unseren Patienten Hoffnung.“ NSCLC: 4,5 Monate längeres mOS unter Kombinationstherapie

Derzeit ist Atezolizumab zugelassen für die Behandlung von bereits vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC. Ob auch unbehandelte NSCLC-Patienten mit Nicht-Plattenepithelkarzinom von Atezolizumab profitieren können, untersuchte die Phase-III-Studie IMpower150. Die Ergebnisse zeigen: Unter der Kombination aus Atezolizumab und Bevacizumab

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und Chemotherapie (Carboplatin und Paclitaxel) lebten Patienten der ITT-Wildtyp-(WT-)Population im Median 4,5 Monate länger (mOS: 19,2 vs. 14,7 Monate unter Bevacizumab /Chemotherapie; HR: 0,78; 95%-KI: 0,64 – 0,96; p = 0,02). „Es zeigte sich, dass Patienten mit Lebermetastasen und vorbehandelte Patienten mit einer EGFR- oder ALK-Mutation besonders von der Behandlung profitierten“, berichtete Fuchs. „Das ist umso erfreulicher, da genau diese Patienten mit Lebermetastasen bzw. EGFR- oder ALKMutation und nach Versagen einer Vorbehandlung mit TyrosinkinaseInhibitoren meist eine besonders schlechte Prognose aufweisen.“ Patienten mit Lebermetastasen, auf die in der Studie prospektiv stratifiziert wurde, erreichten unter Atezolizumab/Bevacizumab/ Chemotherapie einen medianen OS-Vorteil von 4,1 Monaten (13,2 vs. 9,1 Monate; HR: 0,54; 95%-KI: 0,33 – 0,88). © VERLAG PERFUSION GMBH


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TNBC: Wegweisende Bedeutung für die zukünftige Therapie

„Triple-negative Tumore sind vor allem im fortgeschrittenen Stadium sehr aggressiv und nur schwer zu kontrollieren. Wir haben hier einen großen Bedarf an neuen Therapien“, erklärte Prof. Dr. Andreas Schneeweiss, Heidelberg. „Die aktuellen Ergebnisse sind die ersten positiven und vielversprechenden PhaseIII-Daten für eine Immuntherapie beim triple-negativen Brustkrebs.“ Die Phase-III-Studie IMpassion130 untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit der Kombination aus Atezolizumab und nab-Paclitaxel in der First-Line-Therapie des metastasierten TNBC im Vergleich zu Placebo/nab-Paclitaxel. In der ITT-Population verlängerte die Kombination mit Atezolizumab das mediane PFS signifikant (7,2 vs. 5,5 Monate; HR: 0,80; 95%-KI: 0,69 – 0,92; p = 0,0025). Bei Patienten mit einer PD-L1-Expression von ≥1 % auf tumorinfiltrierenden Immunzellen reduzierte sich das Progressionsrisiko signifikant um 38 % (PFS: 7,46 vs. 4,96 Monate im Placebo-Arm; HR: 0,62; 95%KI: 0,49 – 0,78; p < 0,0001). In dieser ersten Interimsanalyse zeigte sich bei diesen Patienten zudem ein starker Trend für ein verlängertes OS um rund 10 Monate (25,03 vs. 15,47 Monate; HR: 0,62; 95%-KI: 0,45 – 0,86). Die Daten sind klinisch hoch relevant, erreichten aufgrund des statistischen Designs der Studie in der ersten Interimsanalyse allerdings noch kein Signifikanzniveau. In allen Studien erwies sich Atezolizumab in der jeweiligen Kombination als sicher und verträglich. Das beobachtete Sicherheitsprofil entsprach jeweils dem der Einzelsubstanzen. Elisabeth Wilhelmi, München

Hoher Nutzen, mäßige Nutzung: Möglichkeiten der Peritonealdialyse zu wenig ausgeschöpft Die Peritonealdialyse wird im europäischen Vergleich deutschlandweit eher wenig eingesetzt. Dabei bietet das Verfahren zahlreiche Vorteile für Behandler und Patienten. Im Zusammenspiel mit der Telemedizin lassen sich aus der PD noch mehr Pluspunkte gewinnen. Die Resultate sind ein optimiertes Monitoring, die Verbesserung der Adhärenz und eine höhere Lebensqualität für den Nierenpatienten. Brachliegendes Potenzial

Mit ihrem vergleichsweise geringen technischen Aufwand eignet sich die Peritonealdialyse (PD), die das Bauchfell (Oberfläche 1,5 – 2 m2) als Filtermembran nutzt (Abb. 1), ausgezeichnet für die eigenverantwortliche Durchführung zu Hause. Auch wenn die PD ein effektives, sicheres und patientenfreundliches Nierenersatzverfahren darstellt und theoretisch für ein Drittel der Patienten oder mehr infrage kommt, wird die Methode in Deutschland nur von etwa 7 % der dialysepflichtigen Patienten angewandt. In Schweden ist die Rate mit 21 % annähernd dreimal so hoch, in Großbritannien fast doppelt so hoch (13,5 %) wie in Deutschland. In Europa bildet Deutschland bei der PD das Schlusslicht – eine Tatsache, die medizinisch nicht begründbar ist. Das Missverhältnis zwischen Nutzen und Nutzung der PD nimmt hierzulande ihren Ausgang bereits

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Abbildung 1: Zur Durchführung der Peritonealdialyse ist ein kontinuierlicher Katheterzugang zur Bauchhöhle notwendig. Die Dialyse erfolgt mit dem Peritoneum als Dialysemembran. Durch Einlassen von Dialyselösung in die Bauchhöhle wird das sehr gut durchblutete Peritoneum als großflächige semipermeable Membran zur Ausschwemmung harnpflichtiger Substanzen und zum Entzug von Wasser genutzt. Der Transport der Substanzen erfolgt dabei durch Diffusion, wozu ein osmotischer Gradient aufgebaut werden muss.

bei der mangelhaften Verankerung der PD in der nephrologischen Facharztausbildung: Die praktische Durchführung der PD ist kein verbindlicher Bestandteil des Curriculums. Ein weiterer wesentlicher Grund ist das große Informationsdefizit der betroffenen Patienten – die infrage kommenden Patienten werden größtenteils nicht hinreichend über die Chancen und Möglichkeiten der PD aufgeklärt. Medizinische und ökonomische Vorteile der Heimdialyse

Die PD ermöglicht den Patienten eine weitgehend uneingeschränkte Bewegungsfreiheit. Sie erlaubt flexiblere Therapiepläne und erhöht den Aktionsradius. Die daraus resultierenden geringeren Einschränkungen bei Arbeit, Sport und Freizeit tragen zum Erhalt der Lebensqualität ebenso bei wie das Plus an Freiheit bei Essen und Trinken. Die PD-Patienten profitieren


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insbesondere von der Unabhängigkeit vom Dialysezentrum, was eine bessere individuelle Zeiteinteilung ermöglicht. Aus medizinischer Sicht bestehen die Hauptvorteile der PD in einer besseren hämodynamischen Stabilität mit einer geringeren Rate an hypotensiven Komplikationen sowie einer kürzeren Erholungszeit nach der jeweiligen Dialyse. Darüber hinaus führt die PD zu einem besseren Erhalt der Nierenrestfunktion und größerer Behandlungsflexibilität. Da kein Gefäßzugang und kein zentraler Venenkatheter erforderlich sind, reduziert sich die Infektionsgefahr. Außerdem ist bei der PD im Gegensatz zur Hämodialyse kein Einsatz von Gerinnungshemmern notwendig, sodass die Patienten keinem erhöhten Blutungsrisiko ausgesetzt sind. Neben den Patientenaspekten spre­chen auch gesundheitsökonomische Gesichtspunkte für einen häu­figeren Einsatz der PD: Gegenüber einer Hämodialyse am Zentrum erspart die PD im Durchschnitt 12.000 € pro Patient und Jahr – eine erhebliche Entlastung für das Gesundheitssystem, vor allem wenn man die Fallzahlen betrachtet: Von mehr als 80.000 DialysePatienten wurden in Deutschland 2017 nur etwa 5.400 Patienten mit­tels PD-Therapie versorgt. Gleichzeitig standen etwa 8.800 Patienten auf der Warteliste für Nierentransplantationen – mit der Aussicht auf eine Wartezeit von bis zu 8 Jahren. Sharesource – ein telemedizinisches System zur Optimierung der Heimdialyse

Der Einsatz der Telemedizin im Sinne eines Remote Patient Management (RPM) hält auch Ein-

zug in die Nierenersatztherapie: Der weltweit am häufigsten für die automatisierte Peritonealdialyse (APD) eingesetzte Cycler HomeChoice Claria wurde für die telemedizinische Nutzung weiterentwickelt und ist in der neuen Generation mit Sharesource kombinierbar. Unter dem Namen Sharesource bietet Baxter ein Cloud-basiertes System der Patienten-Fernüberwachung für Heimdialysepatienten an. Dabei handelt es sich um eine Serverbasierte Konnektivitätsplattform, die PD-Patienten und Kliniken miteinander verbindet und ein zeitlich und örtlich unabhängiges Therapiemanagement mit dem Ziel einer noch effektiveren und patientenorientierten Heimdialyse ermöglicht. Sharesource liefert dem Arzt auf Abruf präzise Daten, um potenzielle Probleme der Patienten möglichst zeitnah erkennen sowie auf kritische Situationen umgehend reagieren zu können, z.B. indem das Therapieprogramm direkt vom Zentrum aus angepasst wird. Der Behandler erhält über das Dashboard direkte Einsicht in die Therapiedaten der vergangenen 30 Tage sowie einen unbegrenzten Zugriff auf zurückliegende Behandlungsdaten durch Berichtsübermittlung. Detaillierte Berichte zu Therapiesitzungen sind ebenso erhältlich wie die Profile zu den tatsächlichen Behandlungsdauern und -zyklen. Von der Fernüberwachung profitieren Arzt und Patient gleichermaßen: Dem Arzt erleichtert die Sharesource-Anbindung das Monitoring, dem Patienten gibt sie mehr Sicherheit bezüglich der Dialyse, da er weiß, dass eine ständige Verbindung zu seinem Arzt besteht. S. M.

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Fruktosekonsum kann Gicht begünstigen Ein wichtiger Faktor für das Entstehen der symptomatischen Hyperurikämie ist eine purinreiche Ernährung. Untersuchungen der letzten Jahre zeigen nun, dass auch der Verzehr von Fruktose wesentlich zu einer Erhöhung der Gesamtharnsäuremenge beitragen kann. Jeder nimmt täglich Fruktose zu sich. Die Lebensmittelindustrie nutzt für ihre Produkte zunehmend günstigen Maisstärkesirup, der bis zu 90 % Fruktose enthält und z.B. zum Süßen von Softdrinks verwendet wird. Mit dem stetig wachsenden Pro-Kopf-Verbrauch an Fruktose werden heute viele epidemisch anwachsende Erkrankungen wie Adipositas, Typ-2-Diabetes und nicht zuletzt Gicht in Verbindung gebracht. Fruktose ist der einzige Zucker, der im Körper eine Erhöhung der Harnsäurewerte, Dyslipidämie und Anzeichen einer Insulinresistenz bei gesunden Probanden hervorrufen kann. Ungebremste Harnsäureproduktion

Fruktose unterliegt einer besonderen Metabolisierung: In der Zelle findet eine ungebremste Umwandlung von Fruktose in Fruktose1-Phosphat mittels Adenosin-3- und Adenosin-2-phosphat (ATP/ADP) statt. Sind die Reserven der Energieträger ATP und ADP aufgebraucht, wird das verbliebene Adenosinmonophosphat (AMP) in den Purinstoffwechsel eingeschleust, wo es über Xanthin und Hypoxanthin zu Harnsäure umgewandelt wird. Amerikanische Studien unter Männern und Frauen haben gezeigt, dass Fruktose das Risiko © VERLAG PERFUSION GMBH


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für Gicht dosisabhängig erhöht. Bei den Männern ergab sich, dass die Quintile mit der höchsten Fruktoseaufnahme in der multivariaten Analyse ein mehr als doppelt so hohes Risiko für Gicht hatte wie die Quintile mit dem geringsten Anteil dieses Zuckers in der Nahrung (RR = 2,02; 95%-KI: 1,49 – 2,75; p < 0,001). Die multivariate Analyse unter Frauen ergab, dass diejenigen in der Quintile mit der höchsten täg-

daher sowohl bei der Prävention als auch im Rahmen der Therapie vorteilhaft sein. Um erhöhte Harnsäurewerte bei bestehender Gicht effektiv auf den Zielwert von <6 mg/dl (360 μmol/l) zu senken, sind zudem Xanthinoxidase-Hemmer wie Allopurinol oder Febuxostat (Adenuric®) indiziert, wobei Febuxostat in klinischen Studien wirksamer war. F. S.

lichen Fruktoseaufnahme ein um 62 % höheres Gichtrisiko hatten als Frauen in der Quintile mit dem niedrigsten Verzehr (RR = 1,62; 95%-KI: 1,20 – 2,19; p = 0,004). Gefahr minimieren

Fruktose ist somit ein wichtiger Risikofaktor für das Entstehen einer symptomatischen Hyperurikämie. Eine fruktosearme Diät kann

Titelbild: Gaucher-Speicherzelle (© Sanofi Genzyme).

Herausgeber: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Univ.-Prof. Dr. med. Hermann Eichstädt, Leiter Bereich Kardiologie RZP Potsdam und Geschäftsführer BBGK e.V. Berlin Konstanzer Straße 61 10707 Berlin Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. M. Alexander, Infektiologie, Berlin Prof. Dr. L. Beck, Gynäkologie, Düsseldorf Prof. Dr. Berndt, Innere Medizin, Berlin Prof. Dr. H.-K. Breddin, Innere Medizin, Frankfurt/Main Prof. Dr. K. M. Einhäupl, Neurologie, Berlin Prof. Dr. E. Erdmann, Kardiologie, Köln Prof. Dr. Dr. med. E. Ernst, University of Exeter, UK Prof. Dr. K. Falke, Anästhesiologie, Berlin Prof. Dr. K. Federlin, Innere Medizin, Gießen Prof. Dr. E. Gerlach, Physiologie, München Prof. Dr. H. Helge, Kinderheilkunde, Berlin Prof. Dr. R. Herrmann, Onkologie, Basel Prof. Dr. W. Jonat, Gynäkologie, Hamburg Prof. Dr. H. Kewitz, Klin. Pharmakol. Berlin Prof. Dr. B. Lemmer, Pharmakologie, Mannheim/Heidelberg

Prof. Dr. med. R. Lorenz, Neurochirurgie, Frankfurt Prof Dr. J. Mann, Nephrologie, München Dr. med. Veselin Mitrovic, Kardiologie, Klinische Pharmakologie, Bad Nauheim Prof. Dr. R. Nagel, Urologie, Berlin Prof. Dr. E.-A. Noack, Pharmakologie, Düsseldorf Prof. Dr. P. Ostendorf, Hämatologie, Hamburg Prof. Dr. Th. Philipp, Innere Medizin, Essen Priv.-Doz. Dr. med. B. Richter, Ernährung – Stoffwechsel, Düsseldorf Prof. Dr. H. Rieger, Angiologie, Aachen Prof. Dr. H. Roskamm, Kardiologie, Bad Krozingen Prof. Dr. E. Rüther, Psychiatrie, Göttingen Prof. Dr. med. A. Schrey, Pharmakologie, Düsseldorf Dr. Dr. med. C. Sieger, Gesundheitspolitik u. Gesundheitsökonomie, München Prof. Dr. E. Standl, Innere Medizin, München Prof. Dr. W. T. Ulmer, Pulmologie, Bochum Schriftleitung: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Telefon: 037437 557-0 Bibliothek: 037437 2214 [Library] E-Mail DIG: info@d-i-g.org E-Mail persönlich: k.l.resch@d-i-g.org

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