ISSN 1432-4334 JAHRGANG 27 HEFT 4 September 2018
FÜR PHARMAKOLOGIE UND THERAPIE
JOURNAL OF PHARMACOLOGY AND THERAPY
Und plötzlich ist Krebs heilbar – Diagnosen aus dem Internet Therapie mit Cannabis-basierten Wirkstoffen Interdisziplinärer Behandlungsansatz rückt Bedürfnisse von Polycythaemia-vera- und Myelofibrose-Patienten in den Mittelpunkt Benignes Prostatasyndrom: Minimalinvasive Behandlung mit photoselektiver Vaporisation MAL-Tageslichttherapie – eine effektive und gut verträgliche Option bei aktinischer Keratose Fünf Jahre HyQvia – die innovative Therapie bei primären und sekundären Immundefekten hat sich bewährt Eslicarbazepinacetat: Bewährtes Add-on auch für die Monotherapie fokaler Anfälle bei Erwachsenen zugelassen Agomelatin punktet mit besonders günstigem Wirksamkeitsund Verträglichkeitsprofil
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* relative Risikoreduktion im Vergleich zu Warfarin im primären Sicherheitsendpunkt # relative Risikoreduktion im Vergleich zu Warfarin a 1× täglich über alle zugelassenen Indikationen. Standarddosierung einmal täglich 60 mg Edoxaban über alle zugelassenen Indikationen (VTE: nach mind. 5 Tagen parent. Antikoagulanz) mit Dosisreduktion auf 30 mg (eingeschränkte Nierenfunktion (CrCl 15–50 ml/min), geringes Körpergewicht ≤ 60 kg, P-gp-Inhibitoren (Dronedaron, Erythromycin, Ketoconazol, Ciclosporin)). b im Vergleich zu Warfarin im primären Sicherheitsendpunkt. bj Laut Ergebnissen aus der ENGAGE-Studie, in der Daten über die Behandlung von Patienten, die an nicht-valvulärem Vorhofflimmern leiden, mit Edoxaban im Vergleich zu well-managed Warfarin erhoben wurden, wobei das Patientenkollektiv hinsichtlich Grunderkrankung und Co-Morbidität jeweils vergleichbar mit der üblicherweise mit Warfarin behandelten Patientenpopulation war. 2. Giugliano RP et al. Edoxaban versus Warfarin in Patients with Atrial Fibrillation. NEJM 2013; 369 (22): 2093–2104. 3. The Hokusai-VTE Investigators. Edoxaban versus Warfarin for the Treatment of Symptomatic Venous Thromboembolism. NEJM 2013; 369 (15): 1406–1415. 4. Ruff CT et al. Comparison of the effi cacy and safety of new oral anticoagulants with warfarin in patients with atrial fi brillation: a meta-analysis of randomised trials. Lancet 2014; 383 (9921): 955–962. 5. Black SA et al. Anticoagulation strategies for venous thromboembolism: moving towards a personalised approach. Thromb Haemost 2015; 114 (4): 660–669. LIXIANA 60 mg® Filmtabletten, LIXIANA 30 mg® Filmtabletten, LIXIANA 15 mg® Filmtabletten. Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden. Hinweise zur Meldung von Nebenwirkungen siehe Abschnitt 4.8. Qualitative und quantitative Zusammensetzung: Jede Filmtablette enthält 15 mg/30 mg/60 mg Edoxaban (als Tosilat). Liste der sonstigen Bestandteile: Tablettenkern: Mannitol (E 421), vorverkleisterte Stärke, Crospovidon, Hyprolose, Magnesiumstearat (E 470b); Filmüberzug: Hypromellose (E 464), Macrogol 8000, Titandioxid (E 171), Talkum, Carnaubawachs, Eisen(III)-oxid × H2O (E 172), Eisen(III)-oxid (E 172). Pharmakotherapeutische Gruppe: Andere antithrombotische Mittel, ATC-Code: B01AF03. Anwendungsgebiete: Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei erwachsenen Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern (NVAF) und einem oder mehreren Risikofaktoren wie kongestiver Herzinsuffizienz, Hypertonie, Alter ≥ 75 Jahren, Diabetes mellitus, Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke (TIA) in der Anamnese. Behandlung von tiefen Venenthrombosen (TVT) und Lungenembolien (LE) sowie Prophylaxe von rezidivierenden TVT und LE bei Erwachsenen. Gegenanzeigen: Überempf. gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Klinisch relevante akute Blutung; Lebererkrankungen, die mit Koagulopathie und klinisch relevantem Blutungsrisiko einhergehen. Läsionen oder klin. Situationen, wenn diese als signifikantes Risiko für eine schwere Blutung angesehen werden. Dies können unter anderem akute oder kürzlich aufgetretene GI Ulzerationen, maligne Neoplasien mit hohem Blutungsrisiko, kürzlich aufgetretene Hirn- oder Rückenmarksverletzungen, kürzlich durchgeführte chirurgische Eingriffe an Gehirn, Rückenmark oder Augen, kürzlich aufgetretene intrakranielle Blutungen, bekannte oder vermutete Ösophagusvarizen, arteriovenöse Fehlbildungen, vaskuläre Aneurysmen oder größere intraspinale oder intrazerebrale vaskuläre Anomalien sein. Nicht eingestellte schwere Hypertonie. Gleichzeitige Anw. anderer Antikoagulanzien, z. B. unfraktionierte Heparine (UFH), niedermolekulare Heparine (Enoxaparin, Dalteparin etc.), Heparinderivate (Fondaparinux etc.), orale Antikoagulanzien (Warfarin, Dabigatranetexilat, Rivaroxaban, Apixaban etc.), außer in der speziellen Situation der Umstellung der oralen Antikoagulationstherapie oder wenn UFH in Dosen gegeben wird, die notwendig sind, um die Durchgängigkeit eines zentralvenösen oder arteriellen Katheters zu erhalten. Schwangerschaft und Stillzeit. Nebenwirkungen: Sehr häufig (≥ 1/10), häufig (≥ 1/100, < 1/10), gelegentlich (≥ 1/1.000, < 1/100), selten (≥ 1/10.000, < 1/1.000), sehr selten (< 1/10.000), nicht bekannt (Häufigkeit auf Grundlage der verfügbaren Daten nicht abschätzbar). Häufig: Anämie; Schwindelgefühl; Kopfschmerzen; Epistaxis; Abdominalschmerzen; Blutung im unteren/oberen GI-Trakts; Mund-/Pharynxblutung; Übelkeit; erhöhte Bilirubinwerte im Blut; erhöhte Gamma-Glutamyltransferase; kutane Weichteilgewebsblutung; Ausschlag; Juckreiz; makroskop. Hämaturie/urethrale Blutungsquelle; vaginale Blutung; Blutung an Punktionsstelle; Leberfunktionstest anomal. Gelegentlich: Überempfindlichkeit; intrakranielle Blutung (ICH); Blutung der Konjunktiva/Sklera; intraokuläre Blutung; sonstige Blutung; Hämoptoe; erhöhte alkal. Phosphatase im Blut; erhöhte Transaminasen; erhöhte Aspartat-Amininotransferase; Nesselfieber; Blutung an Operationssitus. Selten: Anaphylakt. Schock; allerg. Ödem; Subarachnoidalblutung; Perikarderguss hämorrhagisch; retroperitoneale Blutung; intramuskuläre Blutung (kein Kompartmentsyndrom); intraartikuläre Blutung; subdurale Blutung; eingriffsbed. Hämorrhagie. Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Anw. bei Pat. mit erhöhtem Blutungsrisiko mit Vorsicht, Absetzen bei schweren Blutungen; keine zuverl. Kontrolle der gerinnungshemmenden Wirkung mit Standard-Labortests, kein spez. Antidot verfügbar; gleichzeitige Anw. mit ASS bei älteren Pat. mit Vorsicht; nicht empf. bei Pat. mit term. Niereninsuff., Dialysepat. u. stark eingeschränkter Leberfunktion; Trend zur Wirksamkeitsabnahme mit ansteigender CrCl, Überwachung d. CrCl zu Behandlungsbeginn; Anw. mit Vorsicht bei Pat. mit mäßig oder leicht eingeschr. Leberfunktion, erhöhten Leberenzymen oder Gesamtbilirubin ≥ 1,5 × ULN; Absetzen bei chirurg. oder sonst. Eingriff, vorzugsweise mind. 24h vorher; erhöhtes Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Einnahme mit die Hämostase beinflussenden AM; nicht empf. bei Pat. mit mechan. Herzklappen, während der ersten 3 Mon. nach Implantation einer bioprothet. Herzklappe, oder bei Pat. mit mäßig schwerer bis schwerer Mitralstenose; nicht empf. bei hämodynamisch instabilen LE-Patienten, Pat. mit Bedarf für Thrombolyse oder Lungenembolektomie. Anw. von Lixiana 15 mg als Monotherapie nicht angezeigt. Weitere Informationen zu Dosierung und Art der Anwendung, besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen, Fertilität, Schwangerschaft/Stillzeit, Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen sowie Nebenwirkungen, Gewöhnungseffekte und Überdosierung siehe veröffentlichte Fachinformation zu entnehmen. Verschreibungs- und apothekenpflichtig. Inhaber der Zulassung: Daiichi Sankyo Europe GmbH, Zielstattstraße 48, 81379 München, Deutschland. Vertrieb Deutschland: Daiichi Sankyo Deutschland GmbH; Tel.: +49 (0)89 7808 0. Vertrieb Österreich: Daiichi Sankyo Austria GmbH; Tel.: +43 (0)1 485 86 42 0. Stand der Information: Juli 2017.
Entwickelt in Japan – produziert in Deutschland
EDITORIAL
Seit vielen Jahren versuche ich jungen Menschen, die eigentlich mit großem Engagement „nur“ gute Therapeuten werden wollen, den Einstieg in wissenschaftliches Arbeiten zu vermitteln. Obwohl ich dabei grundsätzliche Aspekte des wohl wichtigsten Schwerpunkts meines eigenen beruflichen Schaffens weiterzugeben versuche, bemühe ich mich nach Kräften, nicht zu ignorieren, dass die mir „Ausgelieferten“ sich nicht dieses Themengebiets wegen für den angestrebten Beruf entschieden haben. „Wissenschaftliche Grundkenntnisse“ sind in diesen Studiengängen das notwendige Übel, mit dem man sich arrangieren muss, um die wahrscheinlich schlimmste Hürde im gesamten Studium, die Bachelor- oder Masterthese, irgendwie zu nehmen. Interessant zu beobachten ist, dass dies nicht selten gelingt, obwohl zwischen den Zeilen (und manchmal auch in den Zeilen selbst) recht deutliche Evidenz aufblitzt, dass hier der sprichwörtliche Blinde über Farben spricht. Oder, um einen anderen Vergleich zu bemühen, ein Gedicht in einer erkennbar unbekannten Sprache für den dieses Idioms Kundigen einigermaßen verständlich rezitiert wird. Früher, als die Welt noch in Ordnung war, waren Wissenschaftler für die Wissenschaft zuständig und Praktiker für die Praxis. Das hat sich damals auch in prägnanter Deutlichkeit im Studium der Humanmedizin manifestiert. In meinem Semester etwa ist mir niemand erinnerlich, der von vornherein Wissenschaftler werden wollte. Und deshalb waren die Vorlesungen, in denen Professoren und Dozenten Diapositive von klaffenden Wunden, schuppenden Hautausschlägen oder rätselhaften Röntgenbildern an die Wand projizierten, typischerweise proppevoll. Und ebenfalls deshalb waren Vorlesungen zur Biomathematik oder medizinischen Statistik gähnend leer und eine Handvoll langmütiger Kommiliton(inn)en mit kalligraphischem Zusatztalent füllte für vergleichsweise bescheidene Gegenleistungen in für sie kritischen Fächern seitenweise ausliegende Unterschriftenlisten mit den für
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Medline und die Büchse der Pandora den „Schein“ unerlässlichen, mehr oder weniger perfekt imitierten Signaturen. Kein Wunder, dass ich, wie damals üblich, nicht unwesentliche Teile der Literaturarbeit meiner Doktorarbeit „bedarfsgerecht“ im Rahmen der Endredaktion meiner Dissertation abarbeitete und – dann soll’s aber auch genug der Anekdoten sein – für eine Stunde Medline-Recherche am einzigen PC der Unibibliothek mit Medline-CDs jedes Mal ca. 10 Tage im Voraus buchen musste. Immerhin erschlossen sich mir so die Existenz und in Spuren auch die Handhabung einer elektronischen Datenbankrecherche und damit ein wissenschaftliches Handwerkszeug, das sich im Weiteren trotz eines bemerkenswert konsequenten Mangels an Nutzfreundlichkeit immer besser beherrschen ließ und damit zu einem der wenigen, klar erkennbaren Merkmale avancierte, die eigene Entwicklung zum „Wissenschaftler“ irgendwie quantitativ messbar zu machen. Genau deshalb ist mir der Schock so gut erinnerlich, den vor exakt 20 Jahren, eine einzige Seite in JAMA, dem Journal of the American Medical Association, bei mir auslöste [1]. Ich liebte die „Patient Page“, diese wöchentliche letzte Seite des Journals, die so konzipiert war, dass ein praktizierender Arzt bei Bedarf schnell eine Fotokopie erstellen und einem Patienten aushändigen konnte, und die deshalb verlässlich das geballte Wissen zu einem bestimmten Krankheitsbild in wenigen, noch dazu gut verständlichen Worten zusammenfasste und somit bestens verdaulich machte. Am Donnerstag, den 13. September 2000, machte diese Seite deutlich und in großen Lettern das „Sesam öffne Dich“ zur Schatzkammer des medizinischen Wissens, die Datenbank Medline, gezielt für Laien, vulgo Patienten, publik.
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Prof. Dr. med. K.-L. Resch, Bad Elster
Seit dieser Zeit habe ich diese Seite in unzähligen Vorträgen und Methodikseminaren gezeigt, verbunden mit der einzig möglichen Schlussfolgerung: Damit hat die neue Zeit begonnen, die Zeit, in der Patienten sich „ärztlich legalisiert“ selbst kundig machen über ihr Problem, mögliche Ursachen, zu Grunde liegende Pathologien, das diagnostische Herangehen und die „richtige“ Therapie. Objektiv gesehen impliziert diese Entwicklung die Übertragung der Quintessenz des Grimm’schen Märchens vom Hasen und vom Igel auf die ärztliche Praxis. Wer hat wohl längerfristig die Nase vorn, wenn der Arzt sich sprichwörtlich um alle möglichen Krankheiten kümmern muss, ein Patient aber nur um eine einzige, seine eigene ...? Subjektiv lässt sich die absehbare Katastrophe, der fundamentale und endgültige Vertrauensverlust, nur dadurch abwenden, dass die „Anbieterseite“ schnellstmöglich nachrüstet. Will heißen: der Arzt selbst lernt, auf der Klaviatur der elektronischen Recherche angemessen zu spielen. © VERLAG PERFUSION GMBH
INHALT
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Und in der Tat lassen sich vor dieser bedrohlichen Kulisse selbst die hartnäckigsten Wissenschaftsmuffel für ein gewisses Quantum an wissenschaftlichem Grundwissen erwärmen und für Grundkenntnisse in der Anwendung essenzieller Werkzeuge interessieren. Denn nur damit lässt sich der Flächenbrand patientenseitiger Angriffe mit Internetausdrucken nachhaltig, wirksam und glaubwürdig parieren. Ein interessanter Nebeneffekt am Rande: Während vor 25 Jahren die von Achselzucken begleitete Bemerkung eines behandelnden Arztes „also das ist ja merkwürdig, da muss ich erst mal nachlesen“ als erschütterndes Bekenntnis der fachlichen Beschränktheit interpretiert worden wäre, stärkt dasselbe Statement heute typischerweise das patientenseitige Vertrauen ungemein. Ein Arzt, der trotz voller Wartezimmer, angesichts von Bergen von Formularen und (auch das hat sich inzwischen herumgesprochen) einer lächerlichen Vergütung für die Zeit, die er einem Patienten schenkt (gerade fällt mir auf, dass dieser feststehende Ausdruck hier wörtlich richtig ist!) seine wissenschaftlichen Fähigkeiten (immerhin ist er ja ein Doktor ...) dafür einsetzt, die allerneuesten Erkenntnisse nachzuforschen – ja, das ist ein Weiser, zum dem man Vertrauen haben kann, ja muss! Lust auf mehr? Der Beitrag von Jule Klockgeter „Und plötzlich ist Krebs heilbar – Diagnosen aus dem Internet“ auf Seite 103ff. in diesem Heft enthält viele wertvolle Hinweise, die helfen, die „Problematik Internet“ in der Praxis elegant in den Griff zu bekommen. Karl-Ludwig Resch, Bad Elster
Quelle 1 Pace B, Glass RM. JAMA PATIENT PAGE: Medical Research. Finding the Best Information. JAMA 2000;284:1336
ÜBERSICHTSARBEIT Und plötzlich ist Krebs heilbar – Diagnosen aus dem Internet Jule Klockgeter
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS Therapie mit Cannabis-basierten Wirkstoffen
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Interdisziplinärer Behandlungsansatz rückt Bedürfnisse von Polycythaemia-vera- und Myelofibrose-Patienten in den Mittelpunkt 114 Benignes Prostatasyndrom: Minimalinvasive Behandlung mit photoselektiver Vaporisation
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MAL-Tageslichttherapie – eine effektive und gut verträgliche Option bei aktinischer Keratose
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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL Fünf Jahre HyQvia – die innovative Therapie bei primären und sekundären Immundefekten hat sich bewährt
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Eslicarbazepinacetat: Bewährtes Add-on auch für die Monotherapie fokaler Anfälle bei Erwachsenen zugelassen 122 Agomelatin punktet mit besonders günstigem Wirksamkeits- und Verträglichkeitsprofil
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RUBRIKEN Wissenswertes 119, 126 Kongresse 128
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ÜBERSICHTSARBEIT
Und plötzlich ist Krebs heilbar – Diagnosen aus dem Internet Jule Klockgeter, Berlin
ZUSAMMENFASSUNG Das Internet eröffnet Patien ten mit sowohl akuten als auch chronischen Leiden eine neue und unerschöpfliche Möglichkeit zur Nachforschung hinsichtlich ihrer Symptomatik, Diagnose oder Therapie. Gleichermaßen ergeben sich aus der Fülle an Informa tionen auch neue, weitreichende Risiken, denn nicht jeder gesund heitsbezogene Inhalt im digitalen Netz unterliegt einer fachmedizini schen Qualitätskontrolle. Dementsprechend ist es auch für den Informationssuchenden oft nicht transparent, ob es sich um medizinisch korrekte Tatsachen oder fehlerhafte und interessens geleitete Aussagen handelt. Die daraus resultierende Verunsiche rung des Patienten belastet in der Folge häufig den Fluss und die Effizienz der Arzt-PatientenKommunikation. Daher sollen in diesem Artikel die Ursachen und Entstehung des Phänomens „(fehl-)informierter Patient“ thematisiert werden, vor allem aber der Umgang des Patienten und Arztes mit der Beschaffung gesundheitsbezogener Informatio nen aus dem globalen Netzwerk. Schlüsselwörter: Internet, Gesundheitsinformationen, (fehl-)informierter Patient, Arzt-Patienten-Kommunikation
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as digitale Zeitalter macht auch vor dem Gesundheitssystem nicht Halt. Weshalb bei Fragen zu Beschwerden ein sündhaft teures, gebundenes Fachbuch kaufen, wenn man sich das Geld und die mühevollen Schritte zur nächstgelegenen Buchhandlung auch sparen kann? Warum zur Abklärung gleich die katastrophal lange Wartezeit in der überlaufenen Praxis des Hausarztes auf sich nehmen? Maximal 10 Sekunden braucht es, um die im Kopf geisternden Fragen und Anliegen zu den Ursachen der eigenen Befindlichkeitsstörung und Schmerzen oder zur Wirkung, vor allem aber zu den Nebenwirkungen einer (medikamentösen) Therapie mit nur einem einzigen Mausklick zu klären. So liegt das Internet bereits auf dem ungeschlagenen Platz zwei der genutzten Medien und Quellen zu Gesundheitsinformationen, und das mit deutlich steigender Tendenz [1, 2]. Denn die Weite und Fülle des digitalen Netzes bieten für den medizinischen Laien unzählige Möglichkeiten zur Informationssuche und -beschaffung. Allerdings variieren auch die Validität und Qualität der Suchmaschinenergebnisse enorm und reichen von kontrolliert und qualitativ hochwertig bis hin zu katastrophal schlecht. Beispiele gefällig? „In einem basischen und sauerstoffreichen Organismus kann kein Krebs
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überstehen“ [3], „Kopfschmerzen? Hirntumor!“ [4]. Ob mit derartigen Titelzeilen tatsächlich Klarheit in das Gedankenchaos gebracht werden kann, ist daher mehr als fraglich. Somit ist es nicht verwunderlich, dass Ärzte und Experten gleichermaßen kritisch und teils auch verärgert über die Substitution ihrer fachlichen Konsultation durch den allwissenden Dr. Google sind. Über das Internet haben Patienten einen breit gefächerten Zugang zu medizinischen Informationen, unter denen sich jedoch auch viele Aussagen und Ratschläge finden, die nicht fachmedizinisch korrekt und validitäts- oder qualitätsgeprüft sind. Die unermessliche Fülle und „kollektive Intelligenz“ des Internets, leider aber auch die oft starke Kontraritetät der vorzufindenden Informationen, können damit nicht nur zu Verunsicherung, Verwirrung und Überschätzung der Symptomatik beim Patienten selbst, sondern auch zu einer erheblichen Überlastung der Notfallambulanzen und Ärzte aufgrund von unsinnigen und medizinisch unbegründeten Fragen seitens der Patienten führen. Und das, obwohl ein informierter Patient in der zunehmenden Verflochtenheit und Spezialisierung des heutigen Gesundheitswesens eigentlich einen substanziellen Erfolgsfaktor für eine effiziente The© VERLAG PERFUSION GMBH
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SUMMARY The internet provides a new and inexhaustibly large possibil ity for patients with both acute and chronic illnesses to research and inform themselves regard ing symptomatology, diagnosis or therapy. However, this wealth of information likewise enhances new risks of significant dimen sions: not every piece of healthrelated content on the digital network is subjected to specialized medical quality control. Accord ingly, also for the information seeker it often is not transpar ent whether the content involves medicinally correct facts or flawed and incorrect statements. The resulting uncertainty and ques tionings of the patients stresses in consequence the flow and efficiency of the physician-patientcommunication. Thus, this article targets to first broach the issue of the origin and development of the phenomenon “(mis-)informed pa tient”, but moreover the patient’s and physician’s handling of sourc ing health-related information of the global network. Keywords: internet, health-related informations, (mis-)informed patient, physician-patient-communication
rapie und Arzt-Patienten-Kommunikation darstellt. Der Druck auf die Akteure des Systems zur Kostensenkung wie auch der ärztliche Fachkräftemangel aufgrund von Ungleichheiten in der regionalen Verteilung haben zur Folge, dass die tatsächliche Zeit und Aufmerksamkeit für den einzelnen Patienten auf ein – therapeutisch gesehen absurdes – Minimum schrumpfen. Um die verbleibende Zeit im Behandlungszimmer trotz dieser Herausforderung möglichst effizient und für beide Parteien zufriedenstellend nutzen zu können, ist der Patient dazu aufgefordert, mit dem (fachlich) richtigen Hintergrundwissen die richtigen und zielführenden Fragen zu stellen. Gleichzeitig hat sich der Patient in seiner Rolle in unmittelbarer Vergangenheit zu einer deutlich intensivierten Mündigkeit hinsichtlich therapeutischer Entscheidungen bewegt. Im Zuge eines globalgesellschaftlichen Wertewandels zur individuellen Selbstbestimmung und Freiheit entwickelt sich das Phänomen des gestiegenen Gesundheitsbewusstseins in der Gesellschaft stetig fort. Zudem unterstützen digitale Technologien und mobile Vernetzungen diesen Trend, indem sie neue Möglichkeiten zur selbstständigen Informationsbeschaffung bieten. Der Patient ist folglich selbst in seine Position als informierter und gleichberechtigter Kommunikationspartner des Arztes hineingewachsen, gleichzeitig jedoch durch die gesundheitspolitischen Herausforderungen auch hineingezwungen worden. Unabhängig von den möglichen beschriebenen Beweggründen sind das Informationsbedürfnis der Patienten sowie die Suche nach gesundheitlich-medizinischen Themen in digitalen Netzwerken in
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den vergangenen Jahren eklatant gestiegen. Die Chancen und Vorteile dieser Entwicklung werden jedoch von der Gefahr der unkontrollierten Verbreitung falscher und unwissenschaftlicher Informationen überschattet. Infolgedessen stellt sich nun die Frage, mit welchen Maßnahmen sich der Zugang zu fachmedizinisch korrekten und validierten Informationen sicherstellen lässt, um von dem eigentlichen Nutzen einer optimierten Therapieeffizienz profitieren zu können. Dafür gilt es zunächst einmal aufzuzeigen, welche Faktoren das Informationsverhalten von Patienten beeinflussen und weshalb gerade das Internet eine derartig häufig genutzte Quelle darstellt. Der informierte Patient
Ob Kopfschmerzen, Diabetes oder Infektion – ein jeder ist auf der Suche nach einer validen Erklärung für seine (subjektiven) Beschwerden und Symptomatiken. Doch was beeinflusst und bewegt uns bei dieser Suche? Unabhängig von der Schwere der Erkrankung sind in erster Linie die Zugangsbarrieren zu nennen. Je leichter, schneller und kostengünstiger die Informationen für den Patienten zu beschaffen sind, desto wahrscheinlicher und häufiger ist die Nutzung jener Quelle. Dementsprechend wird das Internet dem teuren Fachbuch meist vorgezogen, obgleich die Neutralität, Transparenz und Evidenzbasierung der im Netz gefundenen Beiträge dahingestellt bleiben. Die Fülle der Informationen und Beiträge im globalen Netz bietet aber die Möglichkeit, Vergleichsrecherchen zu betreiben, wohingegen die fachärztliche Auskunft lediglich eine unilaterale Quelle abbildet. Einen besonders © VERLAG PERFUSION GMBH
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großen Vorteil – den ein Arzt nur als sekundäre Quelle bereitstellen kann – bilden für viele Ratsuchenden die Erfahrungen und Authentizität der Informationen aus den Netzbeiträgen. Gibt es jemanden, den exakt dieselbe Problematik beschäftigt? Jemanden, der an derselben Krankheit leidet, dieselben Nebenwirkungen hat? Jemanden, der möglicherweise Hilfestellung und Ratschläge geben kann? Demgemäß können neben den zahlreichen wissenschaftlichen Texten, Online-Bibliotheken und institutionellen Websites von pharmazeutischen Unternehmen, klinischen Zentren, Pflegeeinrichtungen und niedergelassenen Ärzten vor allem die Gesundheits- und Patientenportale in den vergangenen Jahren einen großen Zuwachs verzeichnen. Sicher hat ein Arzt vermutlich einen ebenso großen oder gar größeren Erfahrungsschatz, was die Diagnostik und Therapie angeht, aber nicht jeder Patient teilt seine gesammelten Befindlichkeiten und Emotionen vor, während und nach der Therapie mit dem behandelnden Arzt. Der Erfahrungsaustausch in den Onlineportalen repräsentiert die digitale Version einer Selbsthilfegruppe und genießt entsprechend einen enormen Vertrauensvorsprung gegenüber dem Facharzt. Hier finden Leid und Mitleid Raum und Zeit für Austausch und Diskussion, Therapien und Medikamente Zu- und Widerspruch und drängende Fragen die passenden Antworten. Im Gegensatz zur Selbsthilfegruppe sind hier zum einen die Zugangsbarrieren äußerst niedrig und zum anderen die globale Reichweite überwältigend groß. Auch auf Websites und Blogs werden Erfahrungen publik gemacht, Leidensgeschichten geteilt und es wird für therapeutische Maßnahmen geworben. Aber wer
verbirgt sich hinter diesen Beiträgen, welche Interessen verfolgt der Autor und wie kann der Leser sichergehen, dass die Glaubwürdigkeit und Qualität der Beiträge gewährleistet sind, diese tatsächlich objektiv und fachlich korrekt sind und damit eine fundierte Grundlage für das kommende Arzt-Patienten-Gespräch bilden können? Status quo und Ausblick – Initiativen zur Qualitätssicherung
Gegenwärtig existieren weder standardisierte und akzeptierte Kontroll- noch Prüfungsmechanismen zur Beurteilung der Validität und Qualität von gesundheitlichen und medizinischen Informationen in digitalen Netzwerken. Zwar sind sowohl in Deutschland als auch international verschiedene Verfahren zur Qualitätssicherung im Einsatz bzw. in der Erprobung, es gibt jedoch noch keinen einheitlichen Standard. Erste Anläufe zur Thematisierung des Qualitätsproblems und dessen Folgen für eine Therapie sind beispielweise das von der Europäischen Unionen initiierte Projekt „Medcertain“, das das Kopieren von Gütesiegeln im Internet verhindert [5], die „Health On the Net Foundation“ (HON) mit der Schaffung eines Gütesiegels hinsichtlich bestimmter Kriterien sowie das „Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem“ (AFGIS) mit derselben Intention zur Zertifizierung. Allerdings unterscheiden sich die Qualitätskriterien der einzelnen Zertifizierungen und Gütesiegel. Konsens finden alle in den folgenden Punkten: Transparenz, Vertrauenswürdigkeit, Datenschutz, fortlaufende Aktualisierung und universelle Zugänglichkeit. Die Siegel prüfen aber nur die formalen Voraus-
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setzungen, etwa ob genannt wird, wer für die Seite verantwortlich ist oder von wem sie finanziert wird, eine inhaltliche Bewertung der medizinischen Informationen erfolgt nicht [6]. Da die Diversität dieser Qualitätssicherungsmaßnahmen beim Nutzer auch zu einer zusätzlichen Verunsicherung führen kann, wäre eine einheitliche Zertifizierung von gesundheitsbezogenen und medizinischen Informationen etwa durch ein national verbindliches Qualitätssiegel wünschenswert. Gleichermaßen ist es notwendig, die Ärzteschaft auf die neuen Kommunikationsanforderungen aufmerksam zu machen sowie die Stärkung sozialer und interpersoneller Kompetenzen bereits in der Ausbildung zu fördern. Verhindern wird der Arzt die Internetrecherche seines Patienten ohnehin nicht können. Er sollte deshalb eine positive Grundhaltung gegenüber seinem „informierten Patienten“ entwickeln, ihn auf qualitative Unterschiede von Gesundheitsinformationen im Netz aufmerksam machen und ihn bei seiner Informationssuche durch Qualitätshinweise sowie Ratschläge unterstützen. Darüber hinaus sollten Ärzte ihre Patienten auf die Möglichkeit zum Eintritt in eine geleitete Selbsthilfegruppe hinweisen. Angesichts der für gewöhnlich eher schwerfällig voranschreitenden Implementierung staatlicher Maßnahmen sowie des langwierigen Werte- und Verhaltenswandels bei Medizinern ist vor allem der Patient selbst gefordert, die Korrektheit und Qualität seiner Rechercheergebnisse zu überprüfen. Es gilt zum einen ein gesellschaftliches Bewusstsein zu schaffen für die Mündigkeit des Patienten, die die Voraussetzung für eine effiziente Arzt-Patienten-Kommu© VERLAG PERFUSION GMBH
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Abbildung 1: Checkliste für Patienten zur Beschaffung von gesundheitsbezogenen und medizinischen Informationen im Internet (eigene Darstellung, [6]). JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 4/2018 · 27. JAHRGANG
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nikation bildet, zum anderen aber auch auf die damit einhergehende Pflicht zur individuellen therapeutischen Selbstverantwortung hinzuweisen. Obgleich es kein Patentrezept gibt, nach dem sich die inhaltliche Richtigkeit und Qualität der Informationen aus dem Internet beurteilen lassen, gibt es einige Anhaltspunkte, an denen sich der Informationssuchende bei seiner Recherche orientieren kann. Es ist Aufgabe des Arztes, dies in seiner Praxis zu thematisieren. In Abbildung 1 sind jene Kriterien in Form einer Checkliste aufgeführt, die auf die Validität der Informationen hinweisen können, sowie die Faktoren, auf die besonderes Augenmerk gelegt werden sollte [6]. Sicherlich ersetzt die Recherche nicht das Gespräch mit einem Facharzt, dennoch legt sie den Grundstein für eine fließende Kommunikation zwischen Arzt und Patient, basierend auf Respekt und der Verfolgung ein- und desselben Zieles: eine erfolgreiche Therapie. Bei Beachtung der genannten Aspekte für die „Hilfe zur Selbsthilfe“ lassen sich die Verunsicherung und Verwirrung des Patienten durch falsche, subjektive und widersprüchliche Informationen zumindest teilweise verhindern, sodass dem Therapieziel gemeinsam ein Stück näher gerückt werden kann. Resümierend bleibt zu sagen, dass das Thema „Kontrolle medizinischer Patienteninformationen und -kommunikation in digitalen Netzwerken“ eine gesamtgesellschaftlich zu meisternde Herausforderung darstellt, bei der sowohl die Politik, die Gesellschaft wie auch der Einzelne dazu aufgefordert ist, aktiv zu werden. Gesamtgesellschaftliche Veränderungen schreiten jedoch erfahrungsgemäß nur schleppend voran. So gilt es vor al-
lem zunächst ein allgemeines Bewusstsein für die Problematik zu schaffen und damit gleichermaßen das Kollektiv wie auch den einzelnen Patienten zu mehr Achtsamkeit hinsichtlich der Qualität der Quellen zu Gesundheitsfragen zu erziehen, vor allem in den Sphären der Datenautobahn „Internet“. Denn nur durch das aktive Mitwirken eines jeden Patienten selbst kann eine Kommunikation zwischen ihm und seinem behandelnden Arzt entstehen, die die therapeutischen Ziele unterstützt und damit den Erfolg der fachmedizinischen Behandlung fördert. Literatur 1 Statista. Anzahl der Internetnutzer in Deutschland, die das Internet als Quelle für Informationen über Medikamente oder Gesundheitstipps nutzen, nach Häufigkeit der Nutzung von 2013 bis 2016 (in Millionen), 2018. Im Internet: https://de.statista. com/statistik/daten/studie/168899/umfrage/internet-als-informationsquelle-fuer-gesundheit-medikamente/ (Zugriff am 27 Juli 2018) 2 Statista. Welche Quellen nutzen Sie, um sich über Gesundheitsfragen zu informieren? 2018. Im Internet: https://de.statista. com/statistik/daten/studie/445171/umfrage/umfrage-zur-nutzung-des-internets-alsgesundheitsmedium/ (Zugriff am 27 Juli 2018) 3 Amolsch S. Gesundheitsrebell, 2015. Im Internet: https://www.gesundheitsrebell.de/ krebstherapie-krebs-heilbar-coldwell (Zugriff am 27 Juli 2018) 4 N. N. Tagesanzeiger 2018. Im Internet: https://www.tagesanzeiger.ch/kultur/fern sehen/Kopfschmerzen-Hirntumor/story/14927001 (Zugriff am 27 Juli 2018) 5 Scherbaum WA, Baehring T, von Danwitz F. Medizinische Informationen im Internet: Initiativen zur Qualitätssicherung. Dtsch Ärztebl 2001;98:13-16 6 Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ). www.patienten-informationen.de, August 2016. DOI: 10.6101/ AZQ/000313. Im Internet: https://www.patienten-information.de/kurzinformationen/ gesundheit-allgemein/gesundheitsthemenim-internet (Zugriff am 29 Juli 2018)
UGANDA © Matthias Steinbach
ÜBERSICHTSARBEIT
MIT IHRER HILFE RETTET ÄRZTE OHNE GRENZEN LEBEN. WIE UNSER ARZT MICHAEL ABOUYANNIS IM FLÜCHTLINGSLAGER DZAIPI IN UGANDA: Insgesamt sind knapp eine Million Menschen aus dem Bürgerkriegsland Südsudan ins benachbarte Uganda geflohen. Viele sind krank und geschwächt, vor allem Kinder sind mangelernährt. leistet in vier Flüchtlingslagern umfassende medizinische Nothilfe – und rettet so vielen Menschen das Leben. Wir hören nicht auf zu helfen. Hören Sie nicht auf zu spenden. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE
www.aerzte-ohne-grenzen.de / spenden
Anschrift der Verfasserin: Jule Klockgeter Kantstraße 122 10625 Berlin Julchen.Klock@googlemail.com
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
Therapie mit Cannabisbasierten Wirkstoffen
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ie Blütenstände der weiblichen Hanf-Pflanze (Cannabis sativa) werden seit Jahrtausenden als medizinisches und psychoaktives Agens genutzt. Der psychotrope Hauptwirkstoff der Cannabispflanze ist Delta(9)Tetrahydrocannabinol (üblicherweise als THC abgekürzt). Für den Wirkstoff wurde ein analgetisches und antiphlogistisches, muskelrelaxierendes, antikachektisches, antiemetisches sowie sedatives und anxiolytisches Potenzial nachgewiesen. Diesem multifaktoriellen pharmakologischen Wirkprofil entsprechend wird THC symptomatisch vor allem in der Palliativmedizin, in der Therapie chronischer Schmerzen und Spastiken sowie in der Supportivtherapie bei Krebs und AIDS eingesetzt. Cannabidiol (CBD), das zweite therapeutisch hoch interessante natürliche Cannabinoid aus Hanf, wirkt nicht psychotrop und fällt damit nicht unter das Betäubungsmittel-Gesetz. Der Rezepturwirkstoff ist zwar als Reinsubstanz verfügbar (verschreibungspflichtig seit 2016), wurde aber durch die Regelungen im so genannten Cannabisgesetz zumindest als Monosubstanz nicht erstattungsfähig. Im Juni 2018 hat Cannabidiol die US-Zulassung zur Behandlung schwerer therapierefraktärer Epilepsieformen (Dravet- und Lennox-Gastaut-Syndrom) erhalten. Die europäische Zulassung wird für 2019 erwartet. Zu weiteren
potenziellen zukünftigen Indikationen gehört vor allem die Schizophrenie, daneben auch chronische Entzündungsprozesse/pathologische Immunreaktionen. In der Therapie chronischer Schmerzen sowie in der Palliativmedizin (und in vielen anderen Anwendungsgebieten) sind aufgrund der Datenlage THC-haltige Cannabis-Wirkstoffe vorzuziehen (Tab. 1). In Deutschland ist reines THC unter seinem internationalen Freinamen Dronabinol bereits seit 1998 als Rezepturwirkstoff verordnungsfähig [1]. Seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes im März 2017 (vgl. Insert) ist die Kostenübernahme durch die GKVen deutlich erleichtert. In den USA hat der Wirkstoff bereits seit Jahrzehnten eine Zulassung für die Indikationen (Krebs-)Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen (CINV) sowie Anorexie und Kachexie bei AIDS. Das rein synthetische, in der Natur nicht vorkommende Nabilon gilt als THC-Analogon, dem oft identische Wirkungen zugeschrieben
werden (cave Dosisäquivalenz). Es hat in mehreren Ländern – seit 2015 auch in Deutschland – eine Zulassung zur Behandlung von CINV. Cannabisblüten und -extrakte
Ebenfalls verordnungs- und erstattungsfähig sind nun THC-haltige Cannabisblüten und Cannabisextrakte. Aktuell besteht allerdings auch international für Cannabisblüten und für Cannabisextrakte – mit Ausnahme von Nabiximols (Fertigarzneimittel aus THC und CBD) bei therapieresistenten schmerzhaften MS-Spasmen – für keine einzige Indikation eine Zulassung. Da ein Anbau von Medizinalhanf bisher in Deutschland nicht legal möglich war, werden die Cannabisblüten derzeit aus den Niederlanden oder Kanada importiert. Aktuell sind 14 Sorten verfügbar, deren THC-Gehalt zwischen fast 0 und bis ca. 22 % liegen kann, also zwischen ca. 1 und 220 mg THC
Wirkeigenschaft
Wirkstärke
Muskelrelaxierung/Spasmolyse
+++
Antikachektische Wirkung
+++
Antiemetische Wirkung
++
Analgesie
++
Entzündungshemmung
+
Sedierung
+
Anxiolyse
+
Tabelle 1: Wirkungen von THC.
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Cannabis Botanische Gattungsbezeichnung für Hanfgewächse; umgangssprachlich werden auch • die ganze Hanfpflanze, • die weiblichen Blütenstände (Marihuana) oder • alle Cannabis-basierten Wirkstoffe kurz als Cannabis bezeichnet. Haschisch Gepresstes Harz der weiblichen Cannabisblütenstände, besonders Cannabinoid-reich. Nicht verkehrs- oder verordnungsfähig. Umgangssprachlich Shit oder Dope Marihuana Getrocknete weibliche Blütenstände + obere Blätter, Cannabinoid-reich. Seit 2017 verkehrs- und verordnungsfähig. Als Rauschdroge umgangssprachlich Gras Cannabinoide Gruppe von Inhaltsstoffen der weiblichen Cannabisblütenstände. Am bekanntesten sind das berauschende Tetrahydrocannabinol (THC) und das nicht berauschende Cannabidiol (CBD). Synthetische Cannabinoide werden zu Rauschzwecken (SPICE, K2) oder zu therapeutischen Zwecken (Nabilon) entwickelt.
pro Gramm Arzneidroge. Der THC- und Cannabidiol-Gehalt der jeweiligen Sorte und Charge sind auf der Verpackung anzugeben. Einer Publikation aus dem Jahr 2017 zufolge bevorzugt die Mehrzahl der Patienten Cannabissorten mit einem höheren THC-Gehalt >10 % [2]. Die teils recht hohe Schwankungsbreite zwischen verschiedenen Chargen der gleichen Sorte hängt unter anderem von den Kultivierungsbedingungen ab und unterscheidet sich vor allem zwischen den Anbietern. Weitere Inhaltsstoffe der Arzneidroge, die die Wirkung modulieren können, sind andere Cannabinoide (die in variabler, geringerer Menge vorliegen)
und Terpene (die den typischen Cannabisgeruch hervorrufen und ebenfalls pharmakologische Wirkung entfalten können). Sie werden üblicherweise nicht deklariert und sind auf dem Rezept nicht anzugeben. Wirkung von THC über das Endocannabinoid-System
Die Wirkung von Tetrahydrocannabinol beruht auf Interaktionen mit dem körpereigenen Endocannabinoid-System (ECS) [3]. Das Endocannabinoid-System hat die Aufgabe, überschießende Neurotransmitter-Antworten zu normalisieren und so die Homöo-
Cannabis auf Rezept – gesetzliche Grundlagen in Deutschland § 31 Abs.6 SGB V: „(6) Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn 1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung a) nicht zur Verfügung steht oder b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.“ Am 09.03.2017 wurde das Cannabis-Gesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Seit 10.03.2017 sind Cannabinoide in Deutschland verkehrsfähig und können von jedem Arzt (unabhängig von seiner Fachrichtung) verordnet werden. Zulasten der GKV sind Cannabinoide nur durch Vertragsärzte (und Krankenhausärzte) mit vorheriger Genehmigung rezeptierbar. Privatrezepte können von jedem approbierten Arzt als BtM verordnet werden.
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stase verschiedener physiologischer Regelkreise zu erhalten. Zu diesen Regelkreisen gehören die Kontrolle motorischer Funktionen, der Schmerzweiterleitung, des Appetits, der Wahrnehmung und Gedächtnisses, aber auch der Immunantwort. CannabinoidRezeptoren finden sich überall im menschlichen Körper, insbesondere im zentralen Nervensystem, aber auch im Immunsystem, Magen-Darm-Trakt etc. Die Endocannabinoide Anandamid und 2-Arachidonylglycerol aktivieren ihre Rezeptoren CB1 und CB2, die hauptsächlich – aber bei Weitem nicht nur – neuronal (CB1) bzw. auf Immunzellen (CB2) vorkommen. Der CannabisWirkstoff THC wirkt als partieller Agonist vor allem an CB1-Rezeptoren [3, 4], beeinflusst aber, wie man heute weiß, auch zahlreiche andere sehr wichtige Rezeptoren, wie Vanilloidrezeptoren, Opioidrezeptoren, PPARγ sowie auch verschiedene Enzyme/Enzymsysteme wie Phospholipasen und Cytochrom-Systeme [5]. Cannabinoide sind die einzigen Wirkstoffe, die gezielt Cannabinoid-Rezeptoren beeinflussen. Ihr medizinischer Einsatz eröffnet eine völlig neue Therapieoption für Patienten, die auf herkömmliche Therapien nicht ansprechen.
Als etablierte Indikationen für Cannabis-basierte Wirkstoffe gelten vor allem chronische – insbesondere neuropathische – Schmerzen, Spastik aufgrund von MS oder Rückenmarksverletzungen, Appetitlosigkeit und Kachexie sowie Übelkeit und Erbrechen. Für die appetitsteigernde und antiemetische Wirksamkeit liegt in
den USA bereits seit Jahrzehnten eine Zulassung für den Wirkstoff Dronabinol (reines THC) vor, das THC-Analogon Nabilon hat eine Zulassung in der Indikation therapierefraktäre Übelkeit infolge einer Krebs-Chemotherapie und die Cannabis-Extraktmischung Nabiximols für therapierefraktäre MS-bedingte Spastiken. Resorption und Pharmakokinetik
Prinzipiell erfolgt die Aufnahme von THC bei den gegenwärtig üblichen Applikationsformen über den Verdauungstrakt oder die Lunge. Die jeweiligen Resorptionswege bedingen eine unterschiedliche Anflutung und Pharmakokinetik (Abb. 1).
Inhalation Eine Inhalation ist durch Rauchen oder Verdampfen (mittels Vaporisator) möglich. Vorteile des Verdampfens liegen darin, dass keine potenziell schädigenden verbrannten Pflanzenmaterialien (wie beim Rauchen) eingeatmet werden und bei Einsatz zertifizierter Verdampfer die freigesetzte THC-Menge besser reproduzierbar ist. Bereits wenige Sekunden nach dem ersten inhalativen Atemzug ist THC im Blut nachweis-bar (Abb. 1). Die maximale THCPlasmakonzentration wird nach etwa 3–10 Minuten erreicht. Bei der schnellen Anflutung werden Konzentrationen im Plasma gemessen, die weit über den therapeutisch erforderlichen Werten
160 140 Plasmakonzentration (ng/ml)*
110
120 100 80 60
Cannabis-Zigarette (34 mg THC) Tetrahydrocannabinol (THC) 11-OH-THC (auch aktiv)
orale Einzeldosis (15 mg THC) Tetrahydrocannabinol (THC) 11-OH-THV (auch aktiv)
40 20 0
0 1 2 3 4 5 6 7 8 Zeit nach Einnahme (h)**
Abbildung 1: Resorption und Metabolismus von Tetrahydrocannabinol (THC) nach oraler bzw. inhalativer Aufnahme. * Mittelwerte von jeweils 6 Probanden, ** Zeitpunkt Null entspricht dem ersten Zigarettenzug oder der oralen Einnahme. 11-OH-THC: 11-Hydroxy-Δ9Tetrahydrocannabinol (mod. nach [1]).
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liegen und 10- bis 100-fach höher sind als bei oraler Einnahme. Dadurch steigt das Risiko für akute unerwünschte Wirkungen. Aufgrund der raschen Metabolisierung von THC zur pharmakologisch inaktiven Tetrahydrocannabinolsäure (THC-COOH) fällt die Plasmakonzentration von THC schnell wieder ab. Die Bioverfügbarkeit von THC schwankt zwischen 10 und 35 % und ist unter anderem davon abhängig, wie häufig Cannabis geraucht und wie tief und wie lange der Rauch inhaliert wird. Eine reproduzierbare Dosierung wird hierdurch erschwert. Soll THC im Einzelfall inhalativ appliziert werden, so ist dies seit 2017 auf der Basis einer Rezepturanweisung des Neuen Rezeptur-Formulariums (NRF 22.16) mit reinem Dronabinol unter Verwendung zertifizierter Verdampfer möglich. Ingestion Bei oraler Aufnahme verläuft die Resorption langsam (Abb. 1) und variiert interindividuell. Sie ist mit einem hohen First-Pass-Effekt in der Leber verbunden. Meist wird die maximale THC-Plasmakonzentration nach 1 – 2 Stunden erreicht, aber auch Zeiten von 4 – 6 Stunden sind möglich. Die Plasmawerte von THC und seinem aktiven Metaboliten 11-Hydroxy-Δ9THC (11-OH-THC) bleiben über mehrere Stunden im therapeutisch relevanten Bereich von wenigen Nanogramm pro Milliliter. Das Risiko für unerwünschte Wirkungen ist vergleichsweise gering. Die Bioverfügbarkeit variiert interindividuell und wird zwischen 6 und 20 % angegeben. Verglichen mit der Inhalation bedeutet
die orale Aufnahme von THC eine deutlich langsamere Anflutung, kein „Flash“-Ereignis, niedrigere, längere und stabilere Blutspiegel, eine geringere Bioverfügbarkeit und ein geringeres Risiko für unerwünschte Wirkungen. Dosierung von Cannabisbasierten Wirkstoffen
Alle Cannabis-basierten Medikamente sollten einschleichend dosiert werden, da die Verträglichkeit so wesentlich verbessert wird. Die Auftitrationsphase kann dabei 2 – 4 Wochen andauern. Bei oralen Arzneiformen wird häufig mit 1,7 – 2,5 mg THC-Äquivalenten abends begonnen und alle 2 – 3 Tage um 0,8 – 2,5 mg gesteigert, bei Verteilung auf 2 – 3 Einzeldosen [7]. Die optimal wirksame Tagesdosis ist abhängig von der Indikation und interindividuell sehr verschieden. Sie liegt häufig bei 5 – 20 mg/d THC-Äquivalenten, in Einzelfällen auch höher. Nabilon wird ausschließlich in Form von 1-mg-Kapseln angeboten. Dies entspricht einer Wirkstärke von etwa 7 – 8 mg THC. Bei Cannabisblüten empfehlen erfahrene Verordner [2] eine anfängliche Tagesdosis von 25 – 100 mg Cannabisblüten je nach THCGehalt und eine Steigerung um 2,5 – 5 mg THC alle 1 – 3 Tage je nach Wirksamkeit und Verträglichkeit. Tagesdosen von THC-reichen Cannabis-sorten liegen nach Angaben dieser Autoren oft zwischen 0,2 und 3 g, mit Schwankungen von 0,05 – 10 g Arzneidroge. Die Häufigkeit der Einnahme pro Tag richtet sich nach der Einnahmeart, Indikation und Wirkdauer und muss individuell in Absprache zwischen Arzt und Patient ermittelt werden.
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Therapieentscheidung: Arzneistoff oder Blüten
Die Cannabinoidtherapie mit einem Fertig- oder Rezepturarzneimittel wird in der Praxis der Verordnung von Cannabisblüten vor folgendem Hintergrund häufig vorgezogen: • Cannabisblüten müssen grundsätzlich erst erhitzt werden, um den aktiven Wirkstoff THC aus der in der Arzneidroge inaktiven Form THC-Säure durch Decarboxylierung zu gewinnen. Diese chemische Umsetzung in die Hand des pharmazeutischen Laien und schwer kranken Patienten zu legen, ist mit modernen pharmazeutischen Qualitätsansprüchen nicht vereinbar. • Das Rauchen eines Arzneimittels ist wegen der Schädlichkeit der Begleitsubstanzen inakzeptabel, gerade angesichts der betroffenen Patientengruppe. • Die Inhalation – auch mittels Vaporizer – verursacht eine schnelle THC-Anflutung mit Plasmaspiegeln, die für kurze Zeit ein Vielfaches der therapeutisch wünschenswerten Werte erreichen und dann schnell wieder abfallen. Dies impliziert ein (im Vergleich zur oralen Aufnahme) deutlich erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen wie Schwindel, High-Gefühl etc. Da Cannabis wirkstoffe vor allem zur Linderung chronischer Beschwerden eingesetzt werden und etwa zur Therapie akuter Schmerzen/ Schmerzspitzen nicht geeignet sind, bedeutet die schnelle Anflutung in der Regel einen therapeutischen Nachteil. Zu den wenigen Ausnahmen könnten akute Spastiken z.B. bei Querschnitt-Patienten gehören. © VERLAG PERFUSION GMBH
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Hierzu fehlen aber publizierte Daten. • Sowohl beim Rauchen als auch bei Inhalation entweicht unvermeidlich Wirkstoff in die Atemluft. Dies kann problematisch sein insbesondere, wenn suszeptible Menschen (Kinder!) die Wohnung mit dem Patienten teilen [8]. • Alternativ zu Rauchen/Inhalation werden Cannabisblüten von Patienten zu Backwaren (Keksen, Kuchen) verarbeitet oder als Tee konsumiert. Beides ist pharmazeutisch inadäquat. Die Herstellung von Gebäck birgt neben einem erhöhten Unfallrisiko durch versehentlichen Konsum durch andere Haushaltsmitglieder auch das Risiko für Verluste an aktiver Wirksubstanz, da einerseits die notwendige Dauer der Erhitzung zum Zweck der Aktivierung/ Decarboxylierung der THCSäure zu THC stark temperaturabhängig ist [9]: Sekunden beim Rauchen, ca. 5 Minuten bei 200°C, Stunden bei ca. 100°C, und andererseits der Wirkstoff durch zu langes Erhitzen an der Luft oxidiert und damit inaktiviert wird. Auch die starke Lipophilie von THC macht eine Anwendung als Tee pharmazeutisch ineffizient. Die THC-Ausbeute liegt bei Zubereitung eines Tees aus Cannabisblüten nach NRF-Vorschrift bei etwa 5% [10]. Fertig- und Rezepturarzneimittel sind dagegen homogen und reproduzierbar herstellbar und für den Patienten gut und gleichmäßig dosierbar. • Die Chargenkonformität im Sinne eines gleichbleibenden Gehaltes an wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffen (zumindest THC und Cannabidiol)
ist bei Cannabisblüten erheblich schwieriger zu erreichen als bei Extrakten oder Reinsubstanzen und wird nicht von allen Anbietern der Arzneidroge überzeugend gewährleistet. Der Patient muss bei Verordnung von Cannabisblüten mit schwankenden Gehalten an THC und Cannabidiol rechnen. Noch stärker schwanken die (meist geringeren) prozentualen Anteile an anderen Pflanzeninhaltsstoffen, wie etwa sonstigen Cannabinoiden und Terpenen, für die wirkungsmodulierende Effekte diskutiert werden. • Trotz etlicher Publikationen zu klinischen Studien oder Erfahrungen ist eine klinische Evidenz für „Cannabisblüten“ als solche nicht vorhanden und gar nicht möglich. Aufgrund der unterschiedlichen Gehalte an wirksamkeitsbestimmenden und -modulierenden Inhaltsstoffen können die Aussagen der Studienergebnisse immer nur für die verwendete Cannabissorte gelten (zufriedenstellende Chargenkonformität vorausgesetzt) und sind nicht auf andere Sorten übertragbar. • Das Missbrauchspotenzial ist nach Erfahrungen aus den USA, Kanada und anderen Ländern bei Verordnung der Arzneidroge erheblich höher als bei Verordnung pharmazeutischer Applikationsformen. • Patienten, die Cannabisblüten anwenden, benötigen nach bisherigen Erfahrungen etwa die 10- bis 30-fache THC-Dosis im Vergleich zu Fertig- oder Rezepturarzneimitteln. Verschiedene Gründe können zu diesem Effekt beitragen, die Folge ist aber, dass bei der gegenwärtigen Preisgestaltung die Therapie mit Cannabisblüten zu den
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teuersten der genannten Optionen gehört. Verträglichkeit von Cannabinoiden
Die derzeit therapeutisch eingesetzten Cannabinoide gelten als insgesamt gut verträglich [2, 11]. Irreversible unerwünschte Effekte sind bei therapeutischer Anwendung beim erwachsenen Patienten nicht bekannt. Hinweise auf eine mögliche Beeinträchtigung der kognitiven Entwicklung bei Kindern und jungen Erwachsenen bis ca. 25 Jahre basieren nicht auf Beobachtungen medizinischer Therapien, sondern auf Fällen von langjährigem (schwerem) Cannabis-Missbrauch. Typische Cannabinoid-Nebenwirkungen treten vor allem bei Überdosierung oder während der Auftitrationsphase auf und klingen bei regelmäßiger Einnahme meistens von allein ab. Bei Bedarf kann die Dosis reduziert und nach Abklingen der Beschwerden allmählich wieder erhöht werden; ein Therapieabbruch aufgrund von Nebenwirkungen ist bei oraler Gabe oft vermeidbar. Akute Nebenwirkungen sind bei oraler Gabe seltener als bei gerauchtem Cannabis und betreffen vor allem zentralnervöse Effekte wie Schwindel, Müdigkeit, Mundtrockenheit, reduzierte psychomotorische Leistungsfähigkeit, bei hohen Plasmaspiegeln auch Angst, High-Gefühl sowie Herz- und Kreislaufbeschwerden mit Tachykardie und Blutdruckveränderung. Die Suchtgefahr ist nach übereinstimmender Meinung vieler erfahrener Ärzte/Schmerztherapeuten bei therapeutischer Dosierung und Anwendung ausgesprochen gering. Dies gilt insbesondere für die © VERLAG PERFUSION GMBH
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nicht inhalativen Applikationsformen. Bei Beendigung einer langfristigen Hochdosis-Therapie wird ein Ausschleichen über mehrere Tage empfohlen, um unerwünschte Absetzerscheinungen zu vermeiden [12]. Synergistische analgetische Effekte mit Opioiden
Klinische Hinweise auf synergistische Effekte zwischen Opioiden und THC sind vielfältig. Bei einer Add-on-Gabe von Cannabinoiden „darf eine Reduktion des Opiatverbrauchs, sowie eine antiemetische, antikachektische und antispastische Wirkung erwartet werden“ [13]. Nach präklinischen Daten könnte der Analgesie-verstärkende Synergismus besonders stark zwischen THC und Fentanyl ausgeprägt sein [14]. Kontraindikationen
Kontraindikationen sind Psychosen (z.B. Schizophrenie), Schwangerschaft/Stillzeit, (Jugendliche) [7]. • Streng: Cannabis-basierte Wirkstoffe sollten Patienten mit einer Psychose in der Anamnese sowie Schwangeren und Stillenden nicht verordnet werden; THC ist plazentagängig und wird wegen seiner Lipophilie in der Muttermilch angereichert. Cannabis-Missbrauch scheint mit einem erhöhten Risiko für Psychosen/Schizophrenie assoziiert zu sein. • Relativ: Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen muss besonders sorgfältig abgewogen werden und gehört in die Hand des erfahrenen Spezialisten. Das Risiko für Beein-
Erstattungs-Lotto erschwert Los schwerkranker Patienten Mit der Gesetzesnovellierung im März 2017 verfolgte die Bundesregierung das Ziel, das therapeutische Potenzial der seit Jahrtausenden genutzten Heilpflanze Cannabis schwerkranken Menschen in Deutschland zugänglich zu machen. Dieses gute Ansinnen zeigt sich in der Praxis jedoch noch holprig. Viele Ärzte beschweren sich über den großen bürokratischen Aufwand, cannabisbasierte Wirkstoffe zu Lasten der Krankenkassen zu verordnen. Zudem hakt es bei der Kostenerstattung seitens der Kassen: Seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes wurde ein Drittel der Anträge auf Kostenübernahme abgelehnt und die Patienten müssen ihre Therapie mit Cannabis-basierten Wirkstoffen aus eigener Tasche zahlen. Die Ablehnungsgründe sind für Ärzte und Patienten oft nicht nachvollziehbar, sodass sich ein Gefühl von Erstattungs-Lotterie einstellt – obwohl der Gesetzgeber den Versicherungen eine Ablehnung ausdrücklich „nur in begründeten Ausnahmefällen“ zubilligt. Häufig wird die Kostenübernahme zudem befristet, eine Praxis, die das Gesetz nicht vorsieht. Ärzte fordern daher ein Umdenken und eine verbesserte Genehmigungssituation.
flussungen der Herzfrequenz und des Blutdrucks ist bei Vorliegen schwerer Herz-Kreislauf-Erkrankungen besonders zu berücksichtigen. Bei älteren Patienten können zentralnervöse und kardiovaskuläre Nebenwirkungen verstärkt auftreten. Bei eingeschränkter Nierenund vor allem Leberfunktion können niedrige Dosen ausreichen, da die Metabolisierung verzögert sein kann. Brigitte Söllner, Erlangen Literatur 1 Grotenhermen F. Pharmacokinetics and pharmacodynamics of cannabinoids. Clin Pharmacokinet 2003;42:327-360 2 Müller-Vahl K, Grotenhermen F. Medizinisches Cannabis: Die wichtigsten Änderungen. Dtsch Arztebl 2017;114:A 352-A 356 3 Wilson RI, Nicoll RA. Endocannabinoid signaling in the brain. Science 2002;296: 678-682 4 Martin BR, Mechoulam R, Razdan RK. Discovery and characterization of endogenous cannabinoids. Life Sci 1999;65:573595 5 Pertwee RG, Cascio MG. Known pharmacological actions of Delta-9-Tetrahydrocannabinol and of four other chemical constituents of cannabis that cctivate cannabi-
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noid receptors. In: Pertwee RG, ed. Handbook of Cannabis. Oxford: Oxford University Press,;2015: Chapter 6, pp. 115ff. 6 Dronabinol. Wirkstoffprofil des Herstellers, 2017 7 Holitzki H, Dowsett LE, Spackman E et al. Health effects of exposure to second- and third-hand marijuana smoke: a systematic review. CMAJ Open 2017;5:E814-E822 8 Grotenhermen F, Hrsg. Cannabis und Cannabinoide: Pharmakologie, Toxikologie und therapeutisches Potenzial. 2. Aufl. Bern: Verlag Hans Huber; 2004 9 Pharmazeutische Zeitung online, Ausgabe 08/2017. Cannabis als Medizin: Was kommt auf die Apotheken zu? Im Internet: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ index.php?id=67762 10 Wang T, Dowsett LE, Spackman E et al. Adverse effects of medical cannabinoids: a systematic review. CMAJ 2008;178:16691678 11 Fachinformation Marinol (USA). Im Internet: https://www.drugs.com/pro/marinol. html 12 Horlemann J. Praxisleitlinie Tumorschmerz, 2014, S. 68 und 121. Im Internet: http://dgs-praxisleitlinien.de/index.php/ leitlinien/tumorschmerz 13 Maguire DR, France CP. Impact of rfficacy at the μ-opioid receptor on antinociceptive effects of combinations of μ-opioid receptor agonists and cannabinoid receptor agonists. J Pharmacol Exp Ther 2014;351: 383-389
Quelle: Pressekonferenz „Cannabis in der Medizin“, München, 24.07.2018. Veranstalter: Komitee Forschung Naturmedizin e.V. – KFN. © VERLAG PERFUSION GMBH
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Ruxolitinib verringert Gesamtsterblichkeit und Thromboserate bei PV signifikant
Ruxolitinib ist seit 2015 zugelassen zur Behandlung erwachsener PV-Patienten, die eine Resistenz oder Unverträglichkeit gegenüber Hydroxycarbamid (Hydroxyurea, HU) aufweisen [8]. Maßgebend für die Zulassung war die PhaseIII-Studie RESPONSE, in der Ruxolitinib mit der besten verfügbaren Therapie (BAT) verglichen wurde. Nach der randomisiertkontrollierten Studienphase wechselte ein hoher Anteil der Patienten im Rahmen eines Cross-over von der BAT auf Ruxolitinib [8, 9]. Dies erschwerte eine Beurteilung langfristig relevanter Endpunkte wie Gesamtüberleben (OS) oder Thromboserate. Nun liefert eine
Interdisziplinärer Behandlungsansatz rückt Bedürfnisse von Polycythaemia-vera- und Myelofibrose-Patienten in den Mittelpunkt Propensity-Score-Matching-Analyse neue Erkenntnisse, die den Einsatz von Ruxolitinib bei PVPatienten mit HU-Resistenz oder -Intoleranz weiter stützen. Dazu wurden Daten mit Ruxolitinib behandelter Patienten aus der RESPONSE Studie (n = 110) mit einer Kohorte ebenfalls HU-resistenter/intoleranter PV-Patienten aus der spanischen GEMFIN-RegisterDatenbank (n = 191) verglichen, die unter Alltagsbedingungen BAT erhielten. Das Matching erfolgte nach Alter, Geschlecht, Thrombosen zum Zeitpunkt der HU-ReÜberlebenswahrscheinlichkeit (%)
olycythaemia vera (PV) und Myelofibrose (MF) sind klonale Erkrankungen der hämatopoetischen Stammzelle und gehören zu den chronischen myeloproliferativen Neoplasien (MPN) [1, 2]. Die davon betroffenen Patienten sind aufgrund der hohen Symptomlast häufig in ihren Alltagsaktivitäten erheblich beeinträchtigt [3, 4, 5]. Bei der Behandlung der MPN rücken daher neben objektiv messbaren Untersuchungsbefunden erkrankungsbedingte Belastungen und Bedürfnisse der Patienten in den Vordergrund. Zusammen mit der Hämatologie spielt die Psychoonkologie im Rahmen individualisierter Therapieansätze eine bedeutende Rolle. Neue Studiendaten weisen auf den Nutzen einer Therapie mit dem Januskinase(JAK)-Inhibitor Ruxolitinib (Jakavi®) bei PV- und MF-Patienten hin [6, 7].
sistenz/Intoleranz, Zytopenien bei niedrigster HU-Dosis sowie dem JAK2-Mutationstatus. Die Ergebnisse zeigten für die RuxolitinibGruppe im Vergleich zur BAT-Kohorte ein signifikant verlängertes OS (jeweils n = 89) um 72 % (HR: 0,28 [0,11 – 0,72]) (Abb. 1) sowie eine signifikant reduzierte Thromboserate (jeweils n = 92; HR: 0,21 [0,06 – 0,76]) [6]. Die Daten sind deshalb so bedeutsam, weil thromboembolische Ereignisse das Hauptrisiko für Todesfälle darstellen, bei einem sonst eher chronisch verlaufenden Blut-
100
75
50
25
0
HR (95% KI): 0,28 (0,11–0,72) 0 25 50 75 100 125 150 Zeit (Monate)
Abbildung 1: Kaplan-Meier-Kurve zum Gesamtüberleben aus der Propensity-Score-MatchingAnalyse zum Vergleich von Ruxolitinib mit der besten verfügbaren Therapie (BAT) unter Praxisbedingungen (Anzahl der Ereignisse für das Gesamtüberleben: Ruxolitinib n = 6, BAT n = 16; unterschiedliche Länge des Follow-up zwischen beiden Gruppen) [6].
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Abbildung 2: Einfluss von myeloproliferativen Neoplasien auf den Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit der Patienten. Ergebnisse des US-amerikanischen MPN Landmark Survey [3].
krebs mit fast normaler Lebenserwartung. MF-Patienten profitieren von frühzeitiger Ruxolitinib-Therapie
Neben der PV ist Ruxolitinib zur Behandlung von krankheitsbedingter Splenomegalie und/oder Symptomen bei Erwachsenen mit primärer MF, Post-PV-MF oder Post-essenzieller-Thrombozythämie-MF zugelassen [8]. Die für die Zulassung relevanten Studiendaten wurden durch Ergebnisse der Phase-IIIb-Studie JUMP weiter bestätigt [10]. Mit insgesamt 2233 Patienten aus 26 Ländern handelt es sich um die bislang größte Studie zur MF-Therapie mit Ruxolitinib. Eine neue Analyse identifizierte Prädiktoren für das Ansprechen auf Ruxolitinib. Folgende Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, eine
effektive Milzgrößenreduktion zu erreichen: keine Vortherapie, Low/ Intermediate-I-Risiko-MF nach IPSS (International Prognostic Scoring System) sowie eine effektive Ruxolitinib-Dosis von ≥10 mg zweimal täglich innerhalb der ersten 12 Wochen nach Therapiebeginn. Die Ergebnisse sprechen für eine optimale Dosierung und einen frühen Beginn der RuxolitinibTherapie bei Myelofibrose. Hohe Krankheitslast bei MPN
Neben objektiv messbaren Endpunkten sollte zunehmend auf patientenindividuelle Symptome und Einschränkungen bei PV und MF in der Behandlung fokussiert werden. Beide Erkrankungen gehen mit einer Vielzahl belastender Symptome und erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität
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einher [3, 4]. Dies bestätigten die Ergebnisse des MPN Landmark Survey, d.h. Patienten-Befragungen, die in den USA (n = 813 [3]) und erstmals auch international in mehreren Ländern (n = 699 [4]), darunter Deutschland, durchgeführt wurden. Das häufigste und schwerste Symptom bei allen 3 untersuchten MPN (PV, MF und essenzielle Thrombozytopenie) war Fatigue. Häufigkeit und Schweregrad weiterer Beschwerden unterschieden sich in Abhängigkeit von der Grunderkrankung. Sie umfassten Pruritus, Nachtschweiß, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Schwindel oder abdominelle Beschwerden (Abb. 2) [3, 4]. Das bedeutet für viele Betroffene erhebliche Einschränkungen im Arbeits- und Alltagsleben, verbunden mit einer deutlichen Minderung der Lebensqualität: So gaben © VERLAG PERFUSION GMBH
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Ruxolitinib Ruxolitinib (Jakavi®) ist ein oral einzunehmender Inhibitor der Januskinasen (JAK) 1 und 2. Durch die Bindung an die Kinase hemmt Ruxolitinib die Phosphorylierung der STAT-Proteine und kann auf diese Weise regulierend in den JAK-STAT-Signalweg eingreifen. Dies ermöglicht die Kontrolle der Hämatopoese, die unter anderem Ursache für PV-assoziierte Thromboembolien ist, sowie die Reduktion belastender Symptome, die durch überschießende Zytokinantworten ausgelöst werden. Ruxolitinib ist seit 2012 zugelassen zur Behandlung krankheitsbedingter Splenomegalie oder bei Symptomen erwachsener Patienten mit primärer Myelofibrose, Post-PV-Myelofibrose oder Post-essenzieller-Thrombozythämie-Myelofibrose. Im März 2015 erfolgte die Zulassung zur Behandlung von erwachsenen PV-Patienten mit HU-Intoleranz oder -Resistenz [8].
in der internationalen Befragung 83 % der MF- und 72 % der PVPatienten an, erkrankungsbedingte Symptome würden ihre Lebensqualität verschlechtern, rund 40 % berichteten über allgemeine Einschränkungen ihrer Aktivitäten. Dies hatte auch ungünstige Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit: 9 % gaben freiwillig ihre Tätigkeit auf, 8 % gingen in Frührente, 7 % erhielten Unterhaltszuschüsse wegen Erwerbsunfähigkeit und 5% wechselten in eine schlechter bezahlte Tätigkeit. 40 % berichteten, auf Betreuung/Pflege angewiesen zu sein [4]. Psychoonkologie kann bei Krankheitsbewältigung unterstützen
Bei der Bewältigung der körperlichen und psychosozialen Belastungen leistet die Psychoonkolo-
gie einen bedeutenden Beitrag. Sie umfasst die Erforschung von Wechselwirkungen zwischen psychosozialen Faktoren und Verlauf bzw. Behandlung einer Krebserkrankung mit dem Ziel, Patienten und Angehörigen zu helfen – sowohl in der akuten Phase als auch nach erfolgreicher Therapie. Insbesondere 3 Faktoren belasten die MPN-Patienten: Im Vordergrund steht die Fatigue, die sich als andauernde Erschöpfung festsetzt, aber oft nicht als Symptom erkannt wird. Außerdem leiden viele Patienten unter der Angst, dass ihre Erkrankung nicht geheilt bzw. kontrolliert werden kann. Nicht zuletzt spielen Alltagsprobleme eine Rolle – hier vor allem die Bewältigung beruflicher und sozialer Verpflichtungen. Dieser Probleme sollte sich der Psychoonkologe schon frühzeitig annehmen und geeignete Maßnahmen (z.B. körperliches und/oder kognitives Training
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sowie ambulante Psychotherapie) einleiten, um die Krankheitsbewältigung zu verbessern und zu stabilisieren. Fabian Sandner, Nürnberg
Literatur 1 Lengfelder E, Baerlocher GM, Gisslinger H et al. DGHO-Leitlinie „Polycythaemia Vera (PV)“. Stand März 2016. Im Internet: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/ guidelines/polycythaemia-vera-pv/@@ view/pdf/index.pdf?filename=polycythae mia-vera-pv.pdf 2 Griesshammer M, Baerlocher G, Gisslinger H et al. Leitlinie Myelofibrose. Stand Juni 2014. Im Internet: https://www.dghoonkopedia.de/de/onkopedia/leitlinien/primaere-myelofibrose-pmf 3 Mesa R, Miller CB, Thyne M et al. Myeloproliferative neoplasms (MPNs) have a significant impact on patients’ overall health and productivity: the MPN Landmark survey. BMC Cancer 2016;16:167 4 Harrison CN, Koschmieder S. Foltz L et al. The impact of myeloproliferative neoplasms (MPNs) on patient quality of life and productivity: results from the international MPN Landmark survey. Ann Hematol 2017;96:1653-1665 5 Yu J, Paranagama DC, Geyer HL et al. Role of symptom burden in disability leave among patients with myeloproliferative neoplasms (MPNs): findings from the living with MPN Patient Survey. Blood 2017;130:1637 6 Alvarez-Larran A, Verstovsek S, Pérez-Encinas M et al. Comparison of ruxolitinib and real-world best available therapy in terms of overall survival and thrombosis in patients with polycythemia vera who are resistant or intolerant to hydroxyurea. 23nd Congress EHA, Stockholm, 14.–17. Juni 2018; Abstract/Poster PF628 7 Gupta V, Griesshammer M, Martino B et al. Predictors of response to ruxolitinib (RUX) in patients with myelofibrosis (MF) in the phase 3b expanded-acess JUMP study. 23nd Congress EHA, Stockholm, 14.– 17. Juni 2018; Abstract PF616 8 Fachinformation Jakavi®
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
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as benigne Prostatasyndrom (BPS) ist eine gutartige Vergrößerung der männlichen Prostata und die häufigste Ursache für Probleme von Männern beim Wasserlassen, wie etwa schwacher Urinfluss, häufiges nächtliches Urinieren (Nykturie) oder Drang inkontinenz [1]. Seine Prävalenz nimmt mit dem Alter zu. 40 % der Männer über 50 Jahre haben bereits so starke urologische Beschwerden, dass sie behandelt werden müssen. Bei einem Drittel von ihnen wird ein BPS diagnostiziert [1]. Die Behandlung kann medikamentös oder operativ erfolgen. Ziel des Eingriffs ist die Entfernung des obstruierenden Prostatagewebes. Neben den Standardverfahren – trans urethrale Resektion der Prostata (TURP), Adenomektomie, Holmium-Laserresektion (HoLRP) und Holmium-Laserenukleation (HoLEP) – stehen als innovative Methoden die photoselektive Vaporisation (PVP) sowie die Thulium-Laserenukleation (TmLEP) und -resektion (TmLRP) der Prostata zur Verfügung. G-BA bestätigt Nutzen der photoselektiven Vaporisation
In seiner aktuellen Nutzenbewertung vom 15. Februar 2018 urteilt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), dass die photoselektive Vaporisation (PVP) ein sicheres, effektives und wirtschaftliches Verfahren zur Behandlung des benignen Prostatasyndroms ist. Das minimalinvasiveVerfahren ist nachweislich der Standardtherapie TURP nicht unterlegen und bietet außerdem klinische Vorteile bei sekundären Endpunkten [2]. Die PVP wird damit Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung und
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Benignes Prostatasyndrom: Minimalinvasive Behandlung mit photoselektiver Vaporisation
GreenLight-Laser für die PVP
Abbildung 1: GreenLight XPS™ Lasersystem zur photoselektiven Vaporisation des Prostatagewebes bei Patienten mit benignem Prostatasyndrom (© obs/Boston Scientific Medizintechnik GmbH).
ihre Erforderlichkeit für die stationäre Versorgung wurde vom G-BA final festgelegt. Gesetzlich Krankenversicherte mit BPS haben damit auch weiterhin Anspruch darauf, mit der minimalinvasiven Methode behandelt zu werden, wenn diese bei ihnen medizinisch indiziert ist. Gleiches gilt für die Thulium-Laserresektion (TmLRP), deren Nutzen das GBA bereits im Juni 2017 als positiv bewertet hat [3].
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Die PVP erfolgt bei Patienten mit BPS mithilfe des GreenLight XPS™ Lasersystems von Boston Scientific. Bei diesem minimalinvasiven Verfahren wird das Pros tatagewebe mithilfe von grüner Laserenergie der Wellenlänge 532 nm verdampft. Weltweit wurden bereits fast eine Million photoselektive Vaporisationen mit dem GreenLight-Laser durchgeführt. Aufgrund des potenziell blutungsärmeren Verfahrens ist die Behandlung auch für Patienten unter Antikoagulationstherapie geeignet und kann Vorteile für multimorbide Patienten bieten [4]. Fabian Sandner, Nürnberg
Literatur 1 Arbeitskreis Benignes Prostatasyndrom der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. Gutartige Prostatavergrößerung. Was tun, wenn die Prostata wächst? Im Internet: http://ots.de/15tdyU 2 G-BA. Im Internet: https://www.g-ba.de/ informationen/beschluesse/3236/ und https://www.g-ba.de/informationen/beschluesse/3235/ 3 G-BA. Im Internet: https://www.g-ba.de/ institution/presse/pressemitteilungen/694/ 4 Rieken M, Bachmann A. Laser treatment of benign prostate enlargement – which laser for which prostate? Nat Rev Urol 2014;11:142-152
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
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ie photodynamische Therapie (PDT) sowohl mit kaltem Rotlicht (cPDT) als auch mit Tageslicht (DL-PDL) hat sich erfolgreich in der Therapie aktinischer Keratosen (AK) etabliert. Nun gilt es die Behandlungskonzepte weiter zu verbessern und bei den Patienten zielgerichtet einzusetzen. Seit 2016 ist mit der Methylaminolaevulinat(MAL)Creme Luxerm® ein Topikum zur photodynamischen Therapie multipler AK (Schweregrad I und II nach Olsen) verfügbar, das bei Tageslicht aktiviert wird: Nach dem Auftragen der Creme dringt MAL in die Haut ein und wird in den Zellen zu Porphyrinzwischenstufen, darunter Protoporphyrin IX, verstoffwechselt. Tumorzellen akkumulieren aufgrund eines erhöhten Metabolismus vermehrt solche photosensibilisierenden Stoffe bzw. deren Vorstufen. Durch den Einfluss von Sonnenlicht werden die Porphyrine angeregt und eine photochemische Reaktion in Gang gesetzt, bei der reaktive Sauerstoffspezies entstehen, die zelltoxisch wirken und die malignen Zellen zerstören. Wie klinische Studien eindrücklich belegen, lassen sich durch die MAL-Tageslichttherapie vergleichbar hohe Heilungsraten erreichen wie mit der konventionellen cPDT mit MAL [1–5]. Hohe Patientenzufriedenheit
Im Gegensatz zur Applikation unter Rotlicht kann der Patient die DL-PDT-Behandlung selbst durchführen, indem er nach dem Auftragen der MAL-Creme ins Freie geht und die betroffenen Haut areale mindestens 2 Stunden lang dem Tageslicht aussetzt. Ein weiterer, klinisch bedeutsamer Vorteil
MAL-Tageslichttherapie – eine effektive und gut verträgliche Option bei aktinischer Keratose der MAL-Tageslichttherapie ist, dass sie bei vergleichbarer Wirksamkeit weniger schmerzhaft ist. Entsprechen hoch ist die Zufriedenheit bei Patienten und Ärzten im Praxisalltag, wie die aktuellen Ergebnisse der SESAME-Studie [6] belegen. In dieser prospektiven, multizentrischen, nicht interventionellen Studie wurden die teilnehmenden 314 Patienten zu Beginn der MAL-Tageslichttherapie und nach 3 Monaten befragt. Das überzeugende Ergebnis der Real-World-Daten: 80,4 % der Patienten und 90,3 % der Ärzte waren mit der Behandlung zufrieden oder sehr zufrieden. Insgesamt würden 90 % der Patienten die Behandlung erneut anwenden, falls erforderlich. Vor allem die einfache Anwendung sowie die gute Verträglichkeit und Schmerzfreiheit bei den Patienten erleichtern die Behandlung in der täglichen Praxis und erhöhen die Akzeptanz beim Patienten – eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Ansprechen der Therapie. Vorteilhaft ist außerdem, dass die DLPDT mit MAL auch auf großen Hautflächen wie etwa dem Skalp uneingeschränkt anwendbar ist. Überzeugende Langzeiteffektivität
Die Langzeitwirksamkeit der MAL-Tageslichttherapie wurde
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in einer intraindividuellen SplitFace-Studie mit der photodynamische Therapie mit kaltem Rotlicht verglichen [4]. Dabei wurden die Patienten auf der einen Seite des Gesichts oder der Kopfhaut mit der MAL DL-PDT und auf der kontralateralen Seite mit der MAL c-PDT behandelt. Nach einem Follow-up von 3 Monaten wurden mit beiden Verfahren vergleichbare Ansprechraten erreicht: 77,9 % bei DL-PDT versus 80,6 % c bei PDT (für den Schweregrad I: 84,5 % versus 82,8 %, für den Schweregrad II: 70 % versus 77,7 %. Auch nach 12 Monaten waren die Ansprechraten noch vergleichbar. Darüber hinaus zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Rezidivrate. Für dieses überzeugende Ergebnis war eine nur einmalige Behandlung erforderlich, wobei bei der DL-PDT eine Schichtdicke von 0,1 mm MAL-Creme für die epidermale Protoporphyrin-IXBildung ausreichend und effektiv ist [7]. Gleich wirksam, aber besser verträglich als alternative Therapieregime
Die MAL-Tageslichttherapie wurde auch mit anderen AK-Therapien verglichen [8, 9]. Gegenüber Ingenolmebutat zeigte sich zwar eine vergleichbare Wirksamkeit beider Regimes, jedoch eine besse© VERLAG PERFUSION GMBH
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
re lokale Verträglichkeit der MAL DL-PDT: Nach einer Woche war der Hautreaktionsscore unter der MAL DL-PDT signifikant niedriger (p<0,0001) und der Schmerz signifikant geringer (p<0,0001). Entsprechend lag die Präferenz der Patienten auf der DL-PDT mit MAL. In einer noch laufenden multizentrischen, prospektiven Interventionsstudie wird die MALTageslichttherapie mit der läsionsgerichteten Kryochirurgie verglichen. Die repetitiven Behandlungen im Abstand von 3 bzw. 6 Monaten werden hinsichtlich ihres therapeutischen Effekts auf die Abheilung der Läsionen sowie hinsichtlich der präventiven Wirkung, des kosmetischen Ergebnisses und der von Patienten berichtete Lebensqualität ausgewertet [10]. Brigitte Söllner, Erlangen
ONKO-Leitfaden – App bündelt praxisrelevante Informationen zum NSCLC Die im Rahmen des 33. Deutschen Krebskongresses vom I-Med Institute vorgestellt App „ONKOLeitfaden“ bietet nach Fach-Login aktuelle Video-Expertenstatements und Informationen zum nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC). Die Inhalte wurden in Zusammenarbeit mit Experten der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) e.V. erarbeitet. Ziel war es, ein Angebot zu schaffen, das eine schnelle Unterstützung im klinischen Alltag gibt und mit aktuellen Entwicklungen Schritt hält. Die App wird im Bereich solider Tumoren sukzessive erweitert, noch 2018 wird die Indikation Harnblasenkarzinom hinzukommen. Evidenzbasiert und von Experten geprüft
Literatur 1 Fargnoli MC et al. JEADV 2015;29:19261932 2 Fai D et al. G Ital Dermatol Venereol 2016;151:154-159 3 Torezan LA et al. Photodermatol 2016; 32:81-87 4 Sotiriou E et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2018;32:595-600 5 Cantisani C et al. J Drugs Dermatol 2015; 14:1349-1353 6 Fargnoli MC et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2018;32:757-762 7 Wiegell SR et al. Photodermatol Photoimmunol Photomed 2016;32:88-92 8 Genovese G et al. Dermatol Ther 2016; 29:191-196 9 Moggio et al. Photodiagnosis Photodyn Ther 2016;16:161-165 10 Kohl et al. BMC Dermatology 2017;17:12. doi: 10.1186/s12895-017-0064-7.2017
Quelle: Mittagsseminar „Neue TherapieHighlights zu Akne, Rosacea und hellem Hautkrebs“ im Rahmen der Fortbildungswoche der praktischen Dermatologie und Venerologie, 26. Juli 2018. Veranstalter: Galderma Laboratorium GmbH.
Wie äußert sich eine immunvermittelte Infusionsreaktion? Und welche Behandlungsoptionen gibt es? Was hat das ASCO Annual Meeting 2018 an Änderungen für die klinische Praxis gebracht? Solche und ähnliche Fragen stellen sich häufig in der täglichen Praxis. Hier ermöglicht die App eine schnelle Orientierung und informiert über: • mögliche Therapiealgorithmen mit zugehörigen Medikamenten und deren Nebenwirkungsmanagement • alle wichtigen Aspekte des Therapieprozesses von der Therapieentscheidung bis zur Nachsorge Zum Service-Teil gehören nützliche Tabellen wie die TNM-Klas-
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sifikation oder Prognose-Scores und Verknüpfungen mit interaktiven Tools, die das therapeutische Vorgehen zusätzlich unterstützen können. Ergänzt wird die App durch Video-Expertenstatements von nationalen und internationalen Kongressen. Kostenfrei für Androidund iOS-Smartphones
Die App wird für iOS und AndroidSmartphones über den App Store bzw. Play Store kostenlos zur Verfügung gestellt. Voraussetzung ist ein DockCheck-Login, alternativ besteht die Möglichkeit, sich über die App direkt zu registrieren. Sie kann intuitiv und benutzerfreundlich bedient werden und benötigt keine dauerhafte Internetverbindung, da die Inhalte auch offline verfügbar sind. Weil sich die App automatisch im Hintergrund aktualisiert, müssen keine Updates in stalliert werden. Unterstützt wird die App mit einem Unrestricted Educational Grant mehrerer forschender Pharmaunternehmen. Diese haben keinen Einfluss auf die angebotenen Inhalte. B. S. © VERLAG PERFUSION GMBH
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rimäre Immundefekte (PID) zählen zu den seltenen Erkrankungen. Dennoch sind mittlerweile ca. 300 verschiedene, monogenetisch-bedingte Immundefekte bekannt [1]. Obgleich Inzidenzen und Prävalenzen der primären Immundefekte je nach Region und Bevölkerung deutlich variieren, sind Schätzungen zufolge in Deutschland etwa bis zu 100.000 Menschen betroffen. Erkannt sind bislang jedoch nur etwa 3.000 Patienten [2]. Sekundäre Immundefekte (SID) treten auf, wenn das Immunsystem durch verschiedene Grunderkrankungen, Chemotherapien oder auch aus Belastungssituationen heraus geschwächt ist. Hauptmerkmal der Antikörpermangelerkrankungen ist die erhöhte Infektionsanfälligkeit. Besonders betroffen sind die Atemwege durch Infektionen mit bekapselten bakteriellen Erregern, z.B. Haemophilus influenzae und Streptococcus pneumoniae, sowie durch Mykoplasmen, aber auch der Gastrointestinaltrakt ist mit Infektionen durch Giardia lamblia, Campylobacter, Helicobacter und Noroviren betroffen [3]. Zusätzlich sind bei einer Reihe von primären Antikörpermangelerkrankungen Autoimmunität oder andere Zeichen der Immundysregulation die ersten klinischen Manifestationen. Die meisten PID-Patienten sind noch immer unerkannt
Zwischen dem Auftreten erster Symptome und der Diagnose eines primären Immundefektes vergeht nach wie vor zu viel Zeit. Die Patienten haben oft einen langen Leidensweg hinter sich, denn die Erkrankung wird häufig erst spät diagnostiziert. Das Erkennen eines
NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL
Fünf Jahre HyQvia – die innovative Therapie bei primären und sekundären Immundefekten hat sich bewährt PID ist eine differenzialdiagnostische Herausforderung, weil es sich um ein Krankheitsbild mit unspezifischen Symptomen handelt. Häufig bedarf es vieler Facharztbesuche, bis die Symptome richtig gedeutet werden und den Ursachen der häufigen Infekte auf den Grund gegangen wird. Betroffene stellen sich wiederholt mit Atemwegsinfekten, anhaltendem Husten, chronischen Nasennebenhöhlenentzündungen oder hartnäckigen Infekten sowie chronischen Durchfällen beim Haus- oder Kinderarzt vor. Auch HNO-Ärzte und Pneumologen sollten aufmerksam werden, wenn ihre Patienten immer wiederkommen. Vor allem Patienten mit nicht infektiösen Zeichen, also Autoimmunität oder Immundysregulation, werden spät diagnostiziert. ELVIS und GARFIELD – Gedankenstützen zur Erkennung von Immundefekten
Bestimmte Warnsignale sollten immer zu einer diagnostischen Abklärung führen. Hier hat sich hinsichtlich von Infektionen das Akronym ELVIS bewährt: Erreger, Lokalisation, Verlauf, Intensität und Summe der Infekte können
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dem behandelnden Arzt Hinweise auf eine PID geben. In Bezug auf Autoimmunität und Immundysregulation sollte man sich als Gedankenstütze das Wort GARFIELD merken (Granulome, Autoimmunität, rezidivierendes Fieber, ekzematöse Hautveränderungen, Lymphoproliferation, Darmentzündungen) [4]. Eine rechtzeitige Therapie kann die Patienten vor Infekten und Langzeitschäden schützen und ihnen ein normales Leben ermöglichen. Im Zweifel ist ein Differenzialblutbild hilfreich. Zur Basisdiagnostik dienen die Bestimmung der ImmunglobulinHauptklassen (IgA, IgM, IgG, IgE) sowie ein Nachweis der ImpfAntikörper gegen Tetanus und Pneumokokken [2]. Auch Leukozytopenie, Lymphozytopenie, Neutropenie, Monozytopenie oder Thrombozytopenie können erste Hinweise auf einen Immundefekt sein und bedürfen weiterer Abklärung. Bei positiver Diagnose sollten die Patienten an ein entsprechendes Immundefekt-Zentrum überwiesen werden, das eine adäquate Behandlung einleiten kann. Über das Ärztenetzwerk FIND-ID (www.find-id.net) können die Zentren für primäre Immundefekte online leicht gefunden werden. © VERLAG PERFUSION GMBH
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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL
HyQvia HyQvia ist ein innovatives Therapiekonzept zur Behandlung primärer und sekundärer Immundefekte. HyQvia ist zugelassen zur Substitutionstherapie bei Erwachsenen sowie bei Kindern und Jugendlichen (0–18 Jahre) mit: • primärem Immundefektsyndrom mit unzureichender Antikörperbildung. • Hypogammaglobulinämie und rezidivierenden bakteriellen Infektionen bei Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL), bei denen eine prophylaktische Antibiotikatherapie fehlgeschlagen oder kontraindiziert ist • Hypogammaglobulinämie und rezidivierenden bakteriellen Infektionen bei Patienten mit multiplem Myelom • Hypogammaglobulinämie bei Patienten vor und nach allogener hämatopoetischer Stammzelltransplantation HyQvia wird als Dual-FlaschenEinheit geliefert, die aus einer Durchstechflasche mit normalem Immunglobulin (Ig) 10 % vom Menschen und einer Durchstechflasche mit rekombinanter humaner Hyaluronidase (Hy) besteht. Die Dosierung sollte je nach pharmakokinetischem und klinischem Ansprechen auf die Therapie individuell an jeden Patienten angepasst werden. Ziel ist es, einen konstanten IgG-Talspiegel von mindestens 6 g/l zu erreichen. HyQvia kann zur Verabreichung einer vollen therapeutischen Dosis bis zu alle 4 Wochen angewendet werden: Im ersten Schritt wird die rekombinante humane Hyaluronidase infundiert. Die Subkutan-Nadel verbleibt danach in der Infusionsstelle. Im zweiten Schritt wird innerhalb von 10 Minuten das Immunglobulin (IG) z.B. mithilfe einer programmierten elektro mechanischen Infusionspumpe verabreicht.
Innovative Therapie verschafft den Patienten Zeit und Unabhängigkeit
Zur Therapie von Antikörpermangelsyndromen werden Immunglobuline intravenös oder subkutan appliziert, sodass PID- und SIDPatienten ein weitgehend normales Leben führen können. Eine innovative Möglichkeit zur Immunglobulinsubstitution ist das Medikament
HyQvia. Dieses Präparat können sich Patienten nach entsprechender Schulung einfach und individuell an ihre Bedürfnisse angepasst zuhause selbst verabreichen. HyQvia besteht aus normalem Immunglobulin vom Menschen (10 %) und rekombinanter humaner Hyaluronidase [1]. Die beiden Komponenten sind in einer dualen Flascheneinheit verpackt und werden nacheinander infundiert.
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Der Vorteil von HyQvia gegenüber anderen Ig-Therapien besteht darin, dass die zuerst infundierte rekombinante humane Hyaluronidase die Gewebedurchlässigkeit vorübergehend erhöht und dadurch die Verteilung und Resorption des anschließend infundierten Immunglobulins im subkutanen Gewebe und damit dessen Bioverfügbarkeit verbessert [6]. Zu Beginn der Therapie mit HyQvia empfiehlt es sich, die Verabreichungsintervalle schrittweise von einmal wöchentlich auf alle 3–4 Wochen zu verlängern. Das Medikament ist zugelassen für Patienten vom Säuglingsalter bis zum Erwachsenen [1]. Für eine optimale Therapie ist es wichtig, PID-Patienten auch über das Krankheitsbild umfassend zu informieren. Hierzu können den Patienten Schulungen angeboten werden, die ein Spezialisten-Team, bestehend aus Ärzten, Psychologen und Krankenschwestern, bundesweit durchführt. Termine und weitere Informationen können im Internet unter www.pid-schulung. de abgerufen werden. Brigitte Söllner, Erlangen Literatur
1 Picard C, Al-Herz W, Bousfiha A et al. Primary immunodeficiency diseases: an update on the classification from the International Union of Immunological Societies Expert Committee for Primary Immunodeficiency 2015. J Clin Immunol 2015;35: 696-726 2 Farmand S, Baumann U, von Bernuth H et al. S2k-Leitlinie „Diagnostik auf Vorliegen eines primären Immundefektes“. AWMFRegister Nr. 112-001, Stand: Oktober 2017 3 Oksenhendler E, Gerard L, Fieschi C et al. Clin Infect Dis 2018;46:1547-1554 4 Baumann U et al. Primäre Immundefekte – Warnzeichen und Algorithmen zur Diagnosefindung. Bremen: UNI-MED; 2010 5 Fachinformation HyQvia. Stand: Juni 2017 6 Wasserman RL, Melamed I, Stein MR et al. Recombinant human hyaluronidase facilitated subcutaneous infusion of human immunoglobulins for primary immunodeficiency. J Allergy Clin Immunol 2012; 130:951-957
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E
NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL
pilepsien gehören mit einer Prävalenz von 0,5–0,9 % in der Bevölkerung von Industrieländern zu den häufigsten chronischen neurologischen Erkrankungen. Bei Erwachsenen dominieren fokale epileptische Anfälle, die tonisch-klonische Anfälle nach sich ziehen können. Daher sind die meisten Epilepsiepatienten auf eine antikonvulsive Pharmakotherapie angewiesen, die die „Schwelle“ des Gehirns für das Auftreten von Anfällen erhöht. Ziel einer Therapie ist die bestmögliche Anfallskontrolle bei guter Verträglichkeit der Medikamente [1]. Als bewährte Option hat sich Eslicarbazepinacetat (ESL, Zebinix®) erwiesen, das seit 2009 in der Europäischen Union als Begleittherapie zu einer bestehenden antikonvulsiven Therapie bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern über 6 Jahren mit fokalen epileptischen Anfällen mit oder ohne sekundärer Generalisierung zugelassen ist. Da ESL die Kriterien für eine wirksame und verträgliche Monotherapie in einer Nichtunterlegenheitsstudie gegenüber verzögert freigesetztem Carbamazepin (CBZ-CR; CR = controlled release) erfüllte, hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) Zebinix® 2017 auch zur
Eslicarbazepinacetat: Bewährtes Add-on auch für die Monotherapie fokaler Anfälle bei Erwachsenen zugelassen Monotherapie fokaler epileptischer Anfälle mit oder ohne sekundärer Generalisierung bei Erwachsenen mit neu diagnostizierter Epilepsie zugelassen [2]. Vergleichsstudie mit Carbamazepin-CR zeigt Wirksamkeit und Sicherheit der ESL-Monotherapie
Die Zulassung von ESL für die Monotherapie basiert auf den Ergebnissen einer Phase-III-Studie (NCT01162460), die ESL als Monotherapie hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit mit CBZ-CR, einem der am besten untersuchten Antikonvulsiva zur initialen Monotherapie, verglich
Eslicarbazepinacetat Eslicarbazepinacetat (ESL, Zebinix®) gehört zu einer neueren Generation von antikonvulsiv wirkenden Medikamenten und ist wie Carbamazepin und Oxcarbazepin ein Dibenzazepin. Die pharmakologische Aktivität von ESL beruht auf dem aktiven Hauptmetaboliten Eslicarbazepin, der an spannungsabhängige Natriumkanäle bindet, diese in ihrem langsam inaktivierten Zustand stabilisiert, deren Rückkehr in den aktiven Zustand verhindert und somit wiederholte neuronale Entladungen hemmt [2]. Im Unterschied zum chemisch verwandten Carbamazepin entstehen bei der Metabolisierung von ESL keine toxischen Epoxidderivate [4] und im Vergleich zu Oxcarbazepin setzt ESL den primären Metaboliten Eslicarbazepin mit höherer Effizienz frei [5].
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[3]. In die Studie wurden 815 erwachsene Patienten (≥18 Jahre) mit neu diagnostizierter fokaler Epilepsie eingeschlossen, die entweder auf eine Monotherapie mit 800–1600 mg einmal täglich ESL (n = 388) oder 200–600 mg zweimal täglich CBZ-CR (n = 397) randomisiert wurden. Alle Patienten erhielten randomisiert die niedrigst wirksame Dosierungsstufe und nur bei Auftreten eines epileptischen Anfalls wurde auf die nächsthöhere Dosis gesteigert. Als primärer Wirksamkeitsendpunkt wurde der Anteil der Patienten definiert, die in der gesamten 26-wöchigen Evaluationsphase anfallsfrei waren. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Zeit bis zum ersten Anfall, die Veränderung der Lebensqualität sowie die Sicherheit und Verträglichkeit von ESL in den bei der Studienpopulation verwendeten Dosierungen. Die Wirksamkeitsanalyse ergab, dass 71,1 % der mit ESL behandelten Patienten und 75,6 % der Patienten im CBZ-CR-Arm nach 26 Therapiewochen anfallsfrei waren (Per-Protokoll-Analyse). Damit war das Kriterium der Nicht-Unterlegenheit gegenüber CBZ-CR erfüllt (mittlere Risikodifferenz: –4,28 %; 95%-KI: –10,30 – 1,74%). Der Anteil der Patienten, die unter der letzten © VERLAG PERFUSION GMBH
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Praxisdaten aus Europa bestätigen Wirksamkeit und Sicherheit von ESL Die Euro-Esli-Studie [6] analysierte die gepoolten Daten aus 14 europäischen klinischen Praxisstudien, an denen insgesamt 2058 Patienten im Alter zwischen 14 und 88 Jahren mit fokalen epileptischen Anfällen mit oder ohne sekundärer Generalisierung teilgenommen hatten. Sie erhielten ESL unter Alltagsbedingungen als Monotherapie (von Anfang an oder nach Umstellung einer Behandlung mit Carba mazepin oder Oxcarbazepin aufgrund mangelnder Wirksamkeit oder schlechter Verträglichkeit) sowie als Begleittherapie. Zielparameter waren Responderrate, Anfallsfreiheit und Therapietreue nach 3, 6 und 12 Monaten sowie Sicherheit und Verträglichkeit von ESL. Für die Gesamtpopulation erbrachte die Analyse folgende Ergebnisse: • Nach 12 Monaten betrug die Responderrate 75,6 % (797/1054), anfallsfrei waren 41,3 % (435/1054). 100
Responderrate (%)
Anfallsfreiheit (%)
Unveränderte Anfallsfrequenz
Verschlechterte Anfallsfrequenz
80
75,6 %
Patienten (%)
70,5 % 60,9 %
60
41,3 %
38,3 %
40 30,6 % 20
14,9 % 10,8 % 835/ 1371
0
420/ 1371
204/ 1371
148/ 1371
3 Monate
11,2 % 8,5 % 978/ 1385
531/ 1385
153/ 1369
9,4 % 7,5 %
117/ 1369
797/ 1054
6 Monate
435/ 1054
98/ 1039
78/ 1039
12 Monate
Ergebnisse der Euro-Esli-Studie für die Responderrate und die Anfallsfreiheit unter der Therapie mit ESL [6].
Responderrate (%)
100 80
χ2=9,86; p=0,002
86,3 %
74,1 %
60 40 20 0
677/ 914
120/ 139
12 Monate
Anfallsfreie Patienten (%)
• 73,4 % (1144/1559) der Patienten führten die ESL-Therapie nach 12 Monaten weiterhin durch. • 34,0 % (691/2031) der Patienten berichteten Nebenwirkungen, am häufigsten waren Schwindel, Abgeschlagenheit und Müdigkeit. Bei 13,6 % (267/1960) führten die Nebenwirkungen zum Therapieabbruch. Besonders interessant sind die Resultate der Subgruppenanalyse bei älteren Patienten: Zu allen Studienzeitpunkten war bei den Teilnehmern ≥65 Jahre (241/2057) die Responderrate höher und die Anfallsfreiheit häufiger als bei den <65-Jährigen (1816/2057). Allerdings berichteten signifikant mehr ≥65-Jährige über Nebenwirkungen (43,9 % vs. 32,7 %). 100
<65 Jahre χ2=19,01; p<0,001
≥65 Jahre
80 58,3 %
60 40 20 0
38,7 %
354/ 914
81/ 139
12 Monate
Ergebnisse der Subgruppenanalyse der Euro-Esli-Studie zur Responderrate und Anfallsfreiheit bei älteren Patienten unter der Therapie mit ESL [6].
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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL
Anfallsfreiheit nach 26 Wochen Therapie 100 75,6 %
25
300/397
50 276/388
Anfallsfreie Patienten (%)
71,1 % 75
0 ESL
CBZ-CR
Per-Protokoll-Analyse
Abbildung 1: Ergebnisse der Phase-III-Studie für die Anfallsfreiheit unter der Monotherapie mit 1 × täglich Eslicarbazepinacetat (ESL) versus 2 × täglich Carbamazepin mit verzögerter Wirkstofffreisetzung (CBZ-CR) [3].
evaluierten Dosis ein Jahr lang anfallsfrei waren, betrug 64,7 % unter ESL- und 70,3 % unter CBZCR-Monotherapie (mittlere Risikodifferenz: –5,46 %; 95%-KI: –11,88 – 0,97 %). Auch hier war das Kriterium der Nicht-Unterlegenheit erfüllt (Abb. 1) [3]. Die Monotherapie mit ESL wurde insgesamt gut vertragen. Verglichen mit den Sicherheitsdaten aus den Studien, in denen ESL als Zusatztherapie verabreicht wurde, wurden keine neuen oder unerwarteten Sicherheitssignale detektiert. Die Häufigkeit der bei der Behand-
lung aufgetretenen unerwünschten Ereignisse war in beiden Studienarmen vergleichbar. In der Sicherheitspopulation führte ESL seltener als CBZ-CR zum Therapieabbruch (14,0 % vs. 18,4 %). Zu den am häufigsten unter ESL beobachteten unerwünschten Ereignissen, mit zumindest möglichem Zusammenhang mit der Behandlung, zählten Schwindel (7,5 % vs. 7,0 %), Kopfschmerzen (6,7 % vs. 6,8 %), Müdigkeit (5,2 % vs. 7,8 %), Abgeschlagenheit (5,0 % vs. 4,4 %) und Übelkeit (4,5 % vs. 7,3 %). Eine Erhöhung der Gamma-Glutamyltransferase trat unter ESL seltener auf als unter CBZ-CR (3,5 % vs. 13,1 %) [3]. Fazit für die Praxis
Besonders für neu diagnostizierte Epilepsiepatienten ist es wichtig, dass die Behandlung individuell auf die Lebensumstände des Patienten angepasst ist. Dies lässt sich mit dem als Monotherapie verabreichbaren ESL nicht nur besonders flexibel realisieren, sondern kann aufgrund der 1 × täglichen Gabe auch Vorteile bei der Therapietreue bieten. Außerdem ist das Risiko für Unverträglichkeiten und Arzneimittelwechselwirkungen bei einer Monotherapie generell niedriger als bei Kombinationstherapien. Davon profitieren vor allem ältere Patienten, die gleichzeitig mehrere Medikamente ein-
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nehmen müssen. Von Vorteil ist auch das gute Verträglichkeitsprofil von ESL, das bereits unter den Bedingungen der Add-on-Therapie zu beobachten war [4] – schließlich sind die meisten Patienten ein Leben lang auf die antikonvulsive Medikation angewiesen. Daher stellt Zebinix® eine wertvolle Bereicherung des Therapiespektrums für die neu diagnostizierte fokale Epilepsie dar. Brigitte Söllner, Erlangen
Literatur 1 Elger CE, Berkenfeld R. et al. S1-Leitlinie Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter. 2017. Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hrsg. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online verfügbar unter: www.dgn. org/leitlinien (Letzter Zugriff: August 2018) 2 Fachinformation Zebinix® (Eslicarbazepinacetat) Stand: Mai 2018 3 Trinka E, Ben-Menachem E, Kowacs PA et al. Efficacy and safety of eslicarbazepine acetate versus controlled-release carbamazepine monotherapy in newly diagnosed epilepsy: A Phase III double-blind, randomized, parallel-group, multicentre study. Epilepsia 2018;59:479-491 4 Holtkamp M, McMurray R, Bagul M et al. Real-world data on eslicarbazepine acetate as add-on to antiepileptic monotherapy. Acta Neurol Scand 2016;134:76-82 5 Nunes T, Rocha JF, Falcão A et al. Steadystate plasma and cerebrospinal fluid pharmacokinetics and tolerability of eslicarbazepine acetate and oxcarbazepine in healthy volunteers. Epilepsia 2013;54:108-116 6 Villaneuva V, Holtkamp M, Delanty N et al. Euro-Esli: a European audit of realworld use of eslicarbazepine acetate as a treatment for partial-onset seizures. J. Neurol 2017;264:2232-2248
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epressionen lassen sich mit Agomelatin (Valdoxan®) günstig beeinflussen – und zwar bei einem gegenüber anderen Antidepressiva überlegenen Verträglichkeitsprofil. Das sind die Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten, unabhängigen Netzwerk-Metaanalyse [1]. Auf die neuen Daten zum indirekten Vergleich verschiedener Antidepressiva haben Ärzte und Patienten schon lange gewartet. Denn die letzte Netzwerk-Metaanalyse zum Vergleich der Wirksamkeit und Verträglichkeit von 12 Antidepressiva stammt aus dem Jahr 2009 [2]. Diesmal ging die Autorengruppe um Andrea Cipriani aber noch ein Stück weiter: Mit ihrer aktuellen Publikation präsentieren sie nicht nur ein Update zum Nutzen-Risiko-Verhältnis in der Pharmakotherapie der Depression, sondern erweiterten ihre Analyse auf 21 verschiedene Antidepressiva und Placebo. Die neuen Daten bestätigen die bisherigen Erfahrungen mit Agomelatin aus Head-to-HeadStudien und früheren Metaanalysen, die dem Antidepressivum eine schnelle, lang anhaltende und mit anderen Antidepressiva mindestens vergleichbare Wirksamkeit bei besserer Verträglichkeit bescheinigten [3, 4, 5]. Netzwerk-Metaanalyse stellt Antidepressiva auf den Prüfstand
Zur Pharmakotherapie der Depression können Ärzte heutzutage auf eine Vielzahl von Antidepressiva mit teilweise unterschiedlichen Wirkmechanismen zurückgreifen. Wie effektiv und verträglich die einzelnen Substanzen in Relation zu den anderen sind, und wie sie sich in Bezug auf die Abbruchraten unterscheiden, sind wichtige Fra-
Agomelatin punktet mit besonders günstigem Wirksamkeits- und Verträglichkeitsprofil gen, die sich der behandelnde Arzt im Rahmen einer individualisierten Therapieentscheidung stellen muss und über die bisher Unsicherheit bestand. Das Forscherteam um Andrea Cipriani hat die verfügbaren Daten deshalb noch einmal genauer unter die Lupe genommen und einer Netzwerk-Metaanalyse unterzogen [1]. Diese noch relative neue statistische Analysemethode ermöglicht es, die Ergebnisse aus Head-to-Head-Studien mit zwei Wirkstoffen und solche aus Headto-Head-Studien mit jeweils anderen Substanzen zusammenzuführen und auf diese Weise indirekt miteinander zu vergleichen. In ihre aktuelle Netzwerk-Metaanalyse haben die Wissenschaftler Daten von 116.477 Patienten mit Depression aus 522 veröffentlichten und unveröffentlichten randomisierten, placebo- und aktiv kontrollierten, doppelblinden Studien mit insgesamt 21 Antidepressiva* erster und zweiter Generation einbezogen. Drei Viertel der Patienten hatten eine aktive Substanz erhalten, die übrigen 25 % Placebo. Die Studiendauer betrug jeweils 8 Wochen. * Agomelatin, Amitriptylin, Buproprion, Citalopram, Clomipramin, Desvenlafaxin, Duloxetin, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Levomilnacipran, Milnacipran, Mirtazapin, Nefazodon, Paroxetin, Reboxetin, Sertralin, Trazodon, Venlafaxin, Vilazodon und Vortioxetin.
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Indirekter Vergleich liefert überzeugende Ergebnisse
Anhand dieser Datenfülle konnten die Wissenschaftler ein Netzwerk erstellen, in dem die Wirksamkeit und Verträglichkeit der 21 in die Analyse einbezogenen Antidepressiva sowohl mit Placebo als auch untereinander verglichen wurden. Primäre Endpunkte waren die Wirksamkeit (definiert als Responderrate in Woche 8) und die Verträglichkeit (definiert als Anteil der Therapieabbrüche jeglicher Ursache). Die Ergebnisse waren eindeutig: Generell war die Gruppe der Antidepressiva deutlich effektiver als Placebo – eine wichtige Aussage vor dem Hintergrund des oft diskutierten Placebo-Effekts. Mit einer Odds Ratio (OR) von 1,65 lag die Wirksamkeit von Agomelatin im Bereich von Vortioxetin (OR 1,65) und Escitalopram (OR 1,68). Wurden nur die Head-to-HeadStudien betrachtet, so rangierte Agomelatin in der Gruppe von nur 7 Antidepressiva (OR 1,19 – 1,96), die sich gegenüber den aktiven Vergleichssubstanzen als wirksamer erwiesen. Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Fluoxetin und Fluvoxamin, der selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Reboxetin sowie Trazodon enttäusch© VERLAG PERFUSION GMBH
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ten dagegen im direkten Vergleich mit anderen Antidepressiva (OR 0,51 – 0,84).
ist jedoch zu bedenken, dass Agomelatin in Bezug auf die Wirksamkeit gut, der SSRI jedoch relativ schlecht abgeschnitten hat.
Agomelatin – die Nummer 1 bezüglich Verträglichkeit
Fazit für die Praxis
In den Head-to-Head-Studien war Agomelatin neben 5 weiteren Antidepressiva (Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Sertralin und Vortioxetin) besser verträglich als die aktiven Vergleichssubstanzen. Lediglich für zwei der insgesamt 21 untersuchten Antidepressiva fanden die Wissenschaftler eine noch geringere Rate von Therapieabbrüchen als unter Placebo: Agomelatin mit der niedrigsten Abbruchrate (OR 0,84) und Fluoxetin mit der zweitniedrigsten (OR 0,88). Dabei
Anhand eines indirekten Vergleichs von 21 verschiedenen Antidepressiva und Placebo zeigte die aktuelle Netzwerk-Metaanalyse, dass nicht nur zwischen den aktiven Substanzen und Placebo, sondern auch innerhalb der Antidepressiva eindrucksvolle Unterschiede in der Wirksamkeit und Verträglichkeit bestehen [1]. Agomelatin erwies sich als ein hocheffektives Antidepressivum mit der besten Verträglichkeit und einer noch geringeren Abbruchrate als unter
Herzuma® − die erste Markteinführung eines Trastuzumab-Biosimilars in Deutschland Mit Herzuma® ist seit dem 02. Mai 2018 ein Biosimilar des monoklonalen Antikörpers Trastuzumab in Deutschland verfügbar. Herzuma® wird eingesetzt zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit frühem oder metastasiertem Mammakarzinom sowie metastasiertem Magenkarzinom, sofern die Tumoren eine HER2-Überexpression oder HER2-Genamplifikation aufweisen. Bei Patienten mit HER2-positivem frühem Mammakarzinom wird Herzuma® im Rahmen einer neoadjuvanten oder adjuvanten Therapie in Kombination mit Zytostatika verabreicht, bei Patienten mit HER2-positivem metastasier-
tem Mammakarzinom als Monotherapie oder in Kombination mit Paclitaxel, Docetaxel oder einem Aromatasehemmer. Bei Erwachsenen mit HER2-positivem metastasiertem Magenkarzinom kann Herzuma® in Kombination mit Capecitabin oder 5-Fluorouracil und Cisplatin eingesetzt werden. Seine vergleichbare Wirksamkeit und Sicherheit zum ReferenzTrastuzumab Herceptin® i.v. zeigte das Trastuzumab-Biosimilar Herzuma® unter anderem in einer Phase-III-Studie bei Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom im neoadjuvanten Setting. Dies wurde durch die Zulassung der Europäischen Kommission (EC) am 14. Februar 2018 bestätigt. Vorausgegangen war das positive Votum des Humanarzneimittelausschusses (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) am 14. Dezember 2017. Nach der Einführung der Rituximab-Biosimilars 2017 als erste
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Placebo. Insgesamt bestätigen die neuen Erkenntnisse das gute Nutzen-Risiko-Profil von Agomelatin aus früheren Metaanalysen [3, 4, 5]. Nach Auffassung von Cipriani und Kollegen können die aktuellen Daten dem behandelnden Arzt eine solide Basis für das Patientengespräch und die gemeinsam mit dem Patienten zu treffende Therapieentscheidung bieten. Elisabeth Wilhelmi, München Literatur 1 Cipriani A et al. Lancet 2018, published online February 21, 2018: http://dx.doi. org/10.1016/S0140-6736(17)32802-7 2 Cipriani A et al. Lancet 2009;373:746-758 3 Guaiana G et al. Cochrane Database Syst Rev 2013:12:CD008851 4 Taylor D et al. Br Med J 2014;348:g1888 5 Khoo AL et al. CNS Drugs 2015;29:695712
therapeutische biosimilare Antikörper für hämatologisch-onkologische Indikationen steht nun mit Herzuma® ein weiteres Biosimilar in der Onkologie zur Verfügung. Das Trastuzumab-Biosimilar Herzuma® unterscheidet sich nicht klinisch relevant vom ReferenzTrastuzumab Herceptin® i.v. und bietet damit eine zum Original kostengünstigere Alternative, die vergleichbar wirksam und sicher ist. Der Einsatz von Biosimilars in onkologischen Indikationen kann dazu beitragen, die finanzielle Nachhaltigkeit der Gesundheitssysteme zu erhalten und Freiräume für Innovationen zu schaffen. Herzuma® ist bereits der dritte monoklonale Antikörper, den Mundipharma Deutschland auf den Markt bringt. Schon 2015 führte das Unternehmen mit Remsima® das erste Infliximab-Biosimilar und 2017 mit Truxima® das erste Rituximab-Biosimilar ein. F. S. © VERLAG PERFUSION GMBH
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S3-Leitlinie Neuroborreliose: Folgen eines Zeckenstichs sicher erkennen und behandeln Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat am 13. April 2018 nach mehr als dreijähriger Arbeit die erste S3-Leitlinie Neuroborreliose veröffentlicht. Diese erläutert, welche diagnostischen Schritte und Labortests die Diagnose Neuroborreliose sichern, und bietet einen Überblick über wirksame Therapien. Sie enthält außerdem ein Informationsblatt für Patienten zur Nachbeobachtung eines Zeckenstichs und gibt Empfehlungen zur Prävention einer Borrelieninfektion. Die Leitlinie gilt erstmals auch für die Neuroborreliose im Kindes- und Jugendalter und ist im Internetauftritt der DGN frei zugänglich (dgn.org/leitlinien). Akute Neuroborreliose
3–15 % der Borrelieninfektionen betreffen das Nervensystem. Die Lyme-Borreliose (auch LymeDisease genannt) ist die am häufigsten durch Zecken übertragene Krankheit in Europa. In Deutschland erkranken jährlich zwischen 60.000 und mehr als 200.000 Menschen. Eine frühzeitige Entfernung der Zecke, bevor sie sich mit Blut vollgesaugt hat, kann die Übertragung des Erregers verhindern. Die Borrelien, spiralförmige Bakterien, befallen vorwiegend die Haut. Typisches Erkennungszeichen ist die sogenannte Wanderröte: Um den Zeckenstich bildet sich ein roter Rand, der sich langsam nach außen ausweitet; oft kommen Muskel- und Gelenkschmerzen und andere grippeähnliche Beschwerden hinzu.
Im übrigen Körper können die Borrelien Gelenke, das Nervensystem und selten das Herz befallen. In 3–15 % der Fälle ist das Nervensystem betroffen, man spricht dann von einer Neuroborreliose. Typisch hierbei sind nächtlich betonte, brennende und stechende Schmerzen, die häufig gürtelförmig verteilt sind und schlecht auf Schmerzmittel ansprechen. Auch Lähmungen können vorkommen, vor allem der Gesichtsnerven, der Arme und Beine. Bei Kindern äußert sich die Neuroborreliose am häufigsten in einer Gesichtsnervenlähmung oder Meningitis. Anhand der typischen Symptome in Verbindung mit entzündlichen Veränderungen im Nervenwasser und dem positiven Antikörpernachweis lässt sich eine Neuroborreliose in der Regel zweifelsfrei feststellen. Von Blut- oder Liquortests auf Borreliose bei unspezifischen Beschwerden raten die DGN-Experten ab – Laboruntersuchungen sind nur bei ausreichendem klinischem Verdacht sinnvoll. Chronische Neuroborreliose: Schlechte Langzeitverläufe basieren auf Fehldiagnosen
Zu den umstrittenen vermeintlichen chronischen Neuroborreliosen liefert die S3-Leitlinie eindeutige wissenschaftliche Fakten. Nicht haltbar ist die Theorie, wonach Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, chronische Müdigkeit, wandernde Schmerzen, Gedächtnisstörungen, Kopfschmerzen und andere schwer greifbare Beschwerden trotz unauffälliger Liquordiagnostik auf eine nicht erkannte oder unzureichend behandelte Infektion des Nervensystems mit Borrelien zurückzuführen sind. Die Neuroborreliose verläuft überwiegend gutartig. Schlechte Langzeitverläu-
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fe, von denen immer wieder berichtet wird, sind zum erheblichen Teil auf Fehldiagnosen zurückzuführen. Das Nichtansprechen auf die Therapie liegt in diesen Fällen also nicht daran, dass die Borrelien überleben. Der Grund ist vielmehr, dass die Patienten keine Neuroborreliose haben, sondern eine andere Erkrankung, die nicht auf Antibiotika anspricht. Auch den sogenannten Lymphozyten-Transformationstest, der bei diffusen Beschwerden wie chronischer Müdigkeit, muskuloskelettalen Schmerzen, Abgeschlagenheit oder Konzentrationsstörungen eine chronische Borreliose nachweisen soll, halten die wissenschaftlichmedizinischen Fachgesellschaften für nicht aussagekräftig. Aktuelle Empfehlungen zur Art und Dauer der Antibiotikatherapie
Die Antibiotikabehandlung sollte mit Doxycyclin oder Penicillin G oder Ceftriaxon oder Cefotaxim erfolgen. Diese Substanzen sind bei gleicher Verträglichkeit gleich gut wirksam gegen Borrelien. Über die Wirksamkeit von anderen Substanzen oder Antibiotika-Kombinationsbehandlungen liegen zu wenig auswertbare Studiendaten vor. Die Leitlinie betont, dass eine medikamentöse Therapiedauer von 14 Tagen bei früher und von 14–21 Tagen bei später Neuroborreliose im Regelfall ausreichend ist. Eine längere Behandlung bringt keinen Mehrwert, sondern setzt die Patienten einem unnötigen Risiko von schweren Nebenwirkungen aus. Wenn die Antibiotika nach 2–3 Wochen nicht anschlagen, bringen auch weitere Wochen oder gar Monate nichts. DGN © VERLAG PERFUSION GMBH
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Aktuelles zum NSCLC vom Amerikanischen Krebskongress Auf der 54. Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO), die vom 1. bis 5. Juni 2018 in Chicago stattfand, präsentierte Roche über 180 Abstracts zu rund 20 Substanzen gegen 13 Krebsarten. Im Fokus standen neue Erkenntnisse zur Behandlung von Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC). So bestätigt ein aktuelles Followup der ALEX-Studie den Tyrosinkinase-Hemmer Alectinib (Alecensa®) erneut als Standard für die First-Line-Therapie beim ALKpositiven NSCLC: Gegenüber Crizotinib verdreifacht Alecensa® die Zeit bis zur Krankheitsprogression – und dies unabhängig davon, ob bei Diagnose Hirnmetastasen vorlagen. Darüber hinaus wurden beim fortgeschrittenen NSCLC klinisch relevante Daten zum FirstLine-Einsatz von Atezolizumab (Tecentriq®) in Kombination mit Bevacizumab (Avastin®) und Chemotherapie bzw. in Kombination mit Chemotherapie vorgestellt. Im Rahmen einer Pressekonferenz der Roche Pharma AG diskutierten Experten aus Forschung und Praxis die aktuellen Erkenntnisse und deren Stellenwert für die klinische Praxis. ALK-positives NSCLC: Mit Alecensa® rund drei Jahre progressionsfrei
Seit Dezember 2017 ist Alecensa® für die First-Line-Therapie des fortgeschrittenen ALK-positiven NSCLC zugelassen. Entscheidend
Abbildung 1: ALEX-Studie: Progressionsfreies Überleben (PFS) unter der Behandlung mit Alectinib versus Crizotinib (© Roche).
Alectinib Alectinib (Alecensa®) ist ein oral verfügbarer, hoch selektiver Inhibitor der anaplastischen Lymphomkinase (ALK), die zur Familie der Insulin-Rezeptoren gehört und unter physiologischen Bedingungen eine Rolle bei der Entwicklung von Zellen des ZNS spielt. Bei ca. 3 – 5 % der NSCLC-Patienten wird aufgrund einer Genumlagerung ALK übermäßig aktiviert, was die Entstehung von Tumoren begünstigt. Im fortgeschrittenen Stadium entstehen beim ALKpositiven NSCLC häufig Hirnmetastasen. Alectinib inhibiert den P-Glykoprotein-Effluxtransporter der BlutHirn-Schranke und wird dadurch – im Gegensatz zu anderen zugelassenen ALK-Inhibitoren – nicht aktiv aus dem ZNS ausgeschleust. Dies kann neben der hohen systemischen Wirksamkeit auch die Wirksamkeit von Alectinib bei ZNS-Metastasen erklären. Alectinib wurde für die Behandlung von Patienten mit ALK-positivem NSCLC entwickelt und ist seit Dezember 2017 auch zur FirstLine-Behandlung des fortgeschrittenen ALK-positiven NSCLC bei erwachsenen Patienten zugelassen.
waren die Ergebnisse der PhaseIII-Studie ALEX, in der sich Alecensa® im direkten Vergleich zu Crizotinib als die deutlich effektivere und verträglichere Behandlung erwies. „Die neuen Daten sprechen für sich und bestätigen erneut, dass wir mit Alecensa® einen neuen First-Line-Standard beim ALK-positiven NSCLC haben“, folgerte Professor Jürgen Wolf, Köln, mit Blick auf das Daten-Update. Das durch die Prüf-
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ärzte bewertete mediane progressionsfreie Überleben (PFS) war unter Alecensa® mit 34,8 Monaten (95%-KI: 17,7 Monate – nicht erreicht) mehr als dreimal so lang wie unter Crizotinib (10,9 Monate; 95%-KI: 9,1 – 12,9 Monate) (Abb. 1). Die Wahrscheinlichkeit, dass es unter Alecensa® zu einer Krankheitsprogression kam, war verglichen mit Crizotinib damit mehr als halbiert (HR: 0,43; p < 0,0001). Die Analyse belegt zudem einen © VERLAG PERFUSION GMBH
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Atezolizumab Atezolizumab (Tecentriq®) ist ein Checkpoint-Inhibitor, der speziell entwickelt wurde, um die Abwehrmechanismen des Immunsystems gegen Krebszellen wiederherzustellen und so den Körper im Kampf gegen den Krebs zu unterstützen. Der humanisierte monoklonale Antikörper richtet sich gezielt gegen das Protein Programmed Death-Ligand 1 (PD-L1), das sowohl von Krebszellen als auch von tumorinfiltrierenden Immunzellen produziert werden kann. Interagiert dieses Protein mit den beiden auf den T-Zellen befindlichen Rezeptoren B7.1 oder PD-1, werden die T-Zellen bzw. die körpereigene Immunreaktion gegen den Tumor deaktiviert. Durch die Bindung an PD-L1 hemmt Atezolizumab die Interaktion mit B7.1 und PD-1. Die duale Signal-Blockade, die Atezolizumab von anderen Substanzen, die nur einen der beiden Signalwege blockieren, unterscheidet, verstärkt sowohl im Tumormikromilieu als auch im Lymphknoten die Immunantwort und schont gleichzeitig nicht tumorales Gewebe. Atezolizumab ist seit Ende September 2017 in der Europäischen Union (EU) sowohl für bereits vorbehandelte Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC als auch für Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom (mUC) zugelassen.
signifikanten Wirksamkeitsvorteil von Alecensa® für alle größeren Subgruppen. „Auch der hohe protektive Effekt auf ZNS-Metastasen ist ein entscheidender Vorteil für Patienten und bedeutet mehr Lebensqualität während der Behandlungszeit“, betonte Wolf. In der Studie reduzierte Alecensa® das Risiko, dass Hirnmetastasen entstehen oder dass bestehende progredient werden, signifikant um 84 % (HR: 0,16; 95%-KI: 0,10 – 0,28; p < 0,0001). Die kumulative 12-Monats-Inzidenz für eine Progression im ZNS betrug bei Patienten ohne ZNS-Metastasen zu Therapiebeginn nur 4,6 %, (vs. 31,5 % unter Crizotinib). „Damit ist Alecensa® auch bei Patienten ohne ZNS-Metastasen das First-Line-Therapeutikum der Wahl“, so Wolf. Alecensa® erwies sich außerdem als sicher und verträglich: Neue Sicherheitsaspekte wurden nicht beobachtet, trotz
einer deutlich längeren medianen Therapiedauer (27,0 Monate vs. 10,8 Monate unter Crizotinib) traten unter Alecensa® weniger Nebenwirkungen vom Grad 3 – 5 auf (45 % vs. 51 %). Tecentriq® first-line beim fortgeschrittenen NSCLC: Kombination mit Avastin und Chemotherapie verlängert Überleben
Als Late Breaker wurden anlässlich der ASCO-Jahrestagung erstmals Resultate der Phase-IIIStudie IMpower131 vorgestellt, die Tecentriq® in Kombination mit Chemotherapie (Carboplatin und Nab-Paclitaxel) gegenüber der alleinigen Chemotherapie (Carboplatin und Nab-Paclitaxel) bei zuvor unbehandelten NSCLC-Patienten (n = 1021) mit fortgeschrittenem Plattenepithelkarzinom untersuch-
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te. Das zentrale Ergebnis der auf dem ASCO präsentierten Auswertung des koprimären Endpunkts: NSCLC-Patienten mit Plattenepithelkarzinom hatten ein um 29 % reduziertes Progressionsrisiko, wenn sie first-line Tecentriq® zusätzlich zu einer Chemotherapie erhielten. Das PFS lag unter der Kombination aus Tecentriq® und Carboplatin/Nab-Paclitaxel bei 6,3 Monaten gegenüber 5,6 Monaten unter der alleinigen Chemotherapie (HR: 0,71; 95%-Kl: 0,60 – 0,85; p = 0,0001). Präsentiert wurden in Chicago zudem reifere Daten der PhaseIII-Studie IMpower150 zum FirstLine-Einsatz von Tecentriq® in Kombination mit Avastin und Platin-haltiger Chemotherapie. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten, die Tecentriq® zusätzlich zu Avastin und Chemotherapie erhielten, im Median 4,5 Monate länger überlebten (19,2 Monate vs. 14,7 Monate unter Avastin/Chemotherapie; HR: 0,78; 95%-KI: 0,64 – 0,96; p = 0,016). Besonders deutlich bestätigte sich der Vorteil in Bezug auf das Gesamtüberleben (OS) bei Patienten, die sich üblicherweise als schwierig behandelbar darstellen, wie z.B. Patienten mit Lebermetastasen (13,2 vs. 9,1 Monate; HR: 0,54; 95%-Kl: 0,33 – 0,88) sowie jenen mit einer EGFR/ALK-Mutation (nicht erreicht vs. 17,5 Monate; HR: 0,54; 95%-Kl: 0,29 – 1,03). „Die Daten beider Studien zeigen, dass Kombinationen mit Tecentriq® unsere Behandlungsmöglichkeiten in der First-Line-Therapie des NSCLC erweitern. Dies sind wichtige Signale für die Weiterentwicklung der Immuntherapie beim fortgeschrittenen NSCLC“, resümierte Wolf. Elisabeth Wilhelmi, München © VERLAG PERFUSION GMBH
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Haarausfall: Oft ist eine kombinierte Behandlung von Vorteil Haarausfall ist für viele Patienten, besonders für Frauen, eine erhebliche seelische Belastung. Für den Arzt gilt es, unter den vielen möglichen Ursachen den Auslöser zu finden und zielgerichtet zu therapieren. Drei Experten erläuterten auf einem von Merz Pharmaceuticals GmbH unterstützten Mittagsseminar während der FOBI 2018 in München die aktuelle Sachlage und vermittelten dem Auditorium einen Einblick in die verschiedenen medikamentösen Interventionsmöglichkeiten. „Haarausfall lässt sich – grob vereinfacht – in die Alopecia androgenetica, die Alopecia areata sowie vernarbende Alopezien unterteilen; andernfalls spricht man von einem diffusen Effluvium“, führte Dr. Uwe Schwichtenberg, Bremen, in die Thematik ein und ergänzte: „Allerdings sollte man auch stets die nicht ganz seltenen Mischformen im Auge behalten.“ Informationen dazu können Fachärzte von anerkannten Experten online auf z.B. haarerkrankungen.de einholen, wo sie auch direkt ihre Fragen stellen können. Auf die Sorgen des Patienten eingehen
Die Betreuung des Patienten kann schon vor dem direkten Arztgespräch mittels eines speziellen Haarfragebogens beginnen, der relevante Daten und Fakten erfasst. Schwichtenberg hat ebenfalls gute Erfahrungen mit fundiertem Informationsmaterial gemacht: „In unserer Praxis erhalten die Patienten beispielsweise einen HaarausfallFlyer, der die häufigsten Formen
des Haarausfalls und deren Therapiemöglichkeiten erläutert.“ Der Alopezie-Experte betonte, wie wichtig es ist, dass sich der Arzt des Problems Haarausfall annimmt. Klagen der Patienten wie: „Mir wurde gar nicht auf den Kopf geschaut“ oder der Kommentar des Arztes zu den Sorgen um den Haarverlust: „‚Da kann man nichts machen“ oder „Da gibt es Schlimmeres“ dürften nicht vorkommen. Zumal diese Klagen verdeutlichen, wie seelisch belastend der Verlust des Kopfhaares sein kann. In der Haarsprechstunde muss zunächst eine aktuelle Erfassung des Haarstatus mittels Übersichtsfotos und computergestützter Analyse (Trichoskopie) erfolgen, die die Grundlage für die inhaltlich und zeitlich genau zu definierenden Verlaufskontrollen darstellen. Diese dienen nicht zuletzt auch dem Nachweis, ob und inwieweit die – oft langwierige – Therapie anschlägt. Laut Schwichtenberg muss vor Therapiebeginn unbedingt die Erwartungshaltung des Patienten angesprochen und gegebenenfalls relativiert werden. Zahlreiche Therapieoptionen stehen zur Verfügung
Dr. Andreas M. Finner, Berlin, stellte die wichtigsten Therapiemöglichkeiten bei den verschiedenen Formen des Haarausfalls vor. Beim diffusen Telogeneffluvium ist es wichtig, die die zugrunde liegende Ursache zu eruieren und zu behandeln. Als mögliche Ätiologien nannte Finner Eisenmangel, Schilddrüsendysfunktionen, Infekte und Operationen. Der Patient sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass nicht die Haarwurzeln ausfallen und diese Form der Alopezie daher gut behandelbar
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ist, was jedoch Geduld erfordert. Um die Compliance zu verbessern und dem Patienten die Angst zu nehmen, rät Finner, dem Patienten eine Haarkarte auszuhändigen, mithilfe derer der Patient bereits nachwachsende Haare beobachten kann. Als medikamentöse Basistherapie des diffusen Telogeneffluviums empfiehlt der Alopezie-Spezialist ein Kombinationspräparat aus LCystin, B-Vitaminen und Medizinalhefe (Pantovigar®): „Bei Invitro-Untersuchungen konnte für diese orale Wirkstoffkombination eine positive Wirkung auf Keratinozyten festgestellt werden, indem es deren Proliferation aktiviert. Außerdem werden Haarwachstumassoziierte Gene hochreguliert.“ Wie Finner weiter ausführte, kam es in klinischen Studien unter einer mindestens 3-monatigen Behandlung mit Pantovigar® zu einer Kräftigung der Haarstruktur sowie zu einer Verbesserung der Anagenhaarrate um etwa 4 % verglichen mit Placebo, was auf eine Normalisierung des gestörten Haarwachstumszyklus hinweist. Bei der androgenetischen Alopezie (AGA) steht laut Finner als Therapieoption eine 0,025%ige Alfatradiol-haltige Lösung (Pantostin®) im Vordergrund, denn sie unterstützt die Haarerhaltung und wirkt kausal gegen die Androgenwirkung am Haarfollikel. In einer placebokontrollierten, einfachblinden klinischen Studie nahm durch eine einmal tägliche Anwendung von 3 ml Pantostin® die Anagenhaarrate in einem Zeitraum von 3–6 Monaten deutlich zu. Zur Verbesserung der Telogenhaarrate kann Alfatradiol mit Minoxidil oder Finasterid (1 mg, nur bei Männern) kombiniert werden. Außerdem empfiehlt Finner begleitend die orale Behandlung mit © VERLAG PERFUSION GMBH
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Aktive AGA
Nicht aktive AGA
Initiale Therapie: • Lokal: Alfatradiol (Pantostin®, morgens) • O ral: Kombinationspräparat aus L-Cystin, B-Vitaminen und Medizinal hefe (Pantovigar®) • G gf. Antischuppen-Shampoo, lokale Steroide (je nach Kopfhautbefund)
Initiale Therapie: • Lokal: Alfatradiol (Pantostin®, morgens), Minoxidil (abends) • Ggf. Finasterid 1 mg (nur bei Männern) • Haartransplantation • Evtl. oral: Kombinationspräparat aus L-Cystin, B-Vitaminen und Medizinalhefe (Pantovigar®) • Ggf. Antischuppen-Shampoo, lokale Steroide (je nach Kopfhautbefund)
Monat 4 (Kontrolle): • Lokal: Alfatradiol (Pantostin®, morgens), ggf. zusätzlich Minoxidil (abends) • O ral: Kombinationspräparat aus LCystin, B-Vitaminen und Medizinalhefe (Pantovigar®) • Ggf. Finasterid 1 mg (nur bei Männern) • Ggf. Haartransplantation
Monat 4 (Kontrolle): • Lokal: Alfatradiol (Pantostin®, morgens), Minoxidil (abends) • Evtl.Oral: Kombinationspräparat aus LCystin, B-Vitaminen und Medizinalhefe (Pantovigar®), ggf. reduziert
Monat 12 (Kontrolle): • E rgänzend evtl. PRP, evtl. Low-LevelLaser
Monat 12 (Kontrolle): • Ergänzend evtl. PRP, evtl. Low-LevelLaser
Tabelle 1: Empfehlungen zur Behandlung der aktiven und nicht aktiven androgenetischen Alopezie (AGA). PRP = Platelet Rich Plasma.
Pantovigar® Kapseln, die dauerhaft fortgeführt werden sollte, ggf. mit reduzierter Anwendungshäufigkeit. Bei entzündlich vernarbenden Alopezien sind Steroide äußerlich oder als Unterspritzung indiziert, auch eine Tacrolimusgabe ist möglich. Zur Unterstützung können auch „antiseptische Shampoos“ angewendet werden. Sind bereits größerer Lücken sichtbar, kann eine Haartransplantation erwogen werden, wobei es laut Finner von Vorteil ist, medikamentös nachzubehandeln (Tab. 1). Den Patienten in die Behandlung einbeziehen
Wie Professor Ralph M. Trüeb, Wallisellen-Zürich, hervorhob, „lehrt uns die klinische Erfahrung, dass die Monotherapie des Haarausfall nur begrenzt wirksam ist, was auf eine höhere Komplexität der Problematik hinweist.“ Da der Erfolg einer Therapie außerdem ganz wesentlich von der Patien-
tencompliance abhängt, ist eine optimale Aufklärung des Patienten die Basis jeglichen Behandlungserfolgs. Der Patient muss über die zu erwartenden Therapieeffekte, aber auch über mögliche auftretende Nebenwirkungen gut informiert sein. Dabei drückt sich laut Trüeb die kommunikative Kompetenz des Arztes in großem Maße in der Anerkennung des Behandlungswunsches des Patienten aus sowie im Erkennen vorhandener Ängste, depressiver Verstimmungen und sozialer Verhaltensbeeinträchtigungen. „Eine misslungene Kommunikation ist der Hauptgrund für die Unzufriedenheit der Patienten – und zwar unabhängig vom Behandlungserfolg. Überzeugen Sie Ihre Patienten, gemeinsam den erforderlichen Weg zu gehen, aber erläutern Sie auch deren Anteil an der Verantwortung, und freuen Sie sich gemeinsam bei jeder Kontrolle über den schrittweisen Erfolg,“ so das Fazit des Dermatologen. Brigitte Söllner, Erlangen
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Komorbiditäten bei rheumatoider Arthritis erkennen und behandeln Bei Patienten mit chronisch entzündlichen rheumatischen Erkrankungen sollten Komorbiditäten mehr Beachtung finden. Diese EULAR-Initiative war der Impuls, beim Symposium von Sanofi Genzyme im Rahmen des Jahreskongresses der European League Against Rheumatism (EULAR) 2018 zu diskutieren, wie vielfältige Begleiterkrankungen im Behandlungsalltag angegangen werden können. Ergebnisse aus Post-hoc- oder Subanalysen der Zulassungsstudien mit dem Interleukin-6(IL-6)-Rezeptor-Inhibitor Sarilumab (Kevzara®) legen nahe, dass Patienten von der Blockade der proinflammatorischen IL-6Rvermittelten Signalwege auch hinsichtlich ihrer Begleiterkrankungen profitieren könnten. IL-6 als Schlüssel-Zytokin der Entzündungsreaktion
Die IL-6-Signaltransduktion ist an vielen mit rheumatoider Arthritis (RA) assoziierten Komorbiditäten beteiligt, einschließlich kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes, und Depression, beschrieb Professor Ernest Choy, Cardiff, die Situation. Das Zytokin spielt sowohl in der angeborenen als auch in der adaptiven Immunantwort und in der Pathogenese der RA eine zentrale Rolle. IL-6 erreicht die Zellen über den klassischen (cis)- und den trans-Signalweg, über membrangebundene und lösliche IL-6-Rezeptoren, wodurch die Anzahl der Zielzellen erhöht wird. Dies erweitert die vielfältigen Wirkansätze in der artikulären und systemischen Manifestation der RA erheblich. © VERLAG PERFUSION GMBH
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Mit diesem Wirkansatz kann sich der neue humane monoklonale IL6-Rezeptor-Inhibitor Sarilumab (Kevzara®) zur Behandlung erwachsener Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver RA in Kombinations- und Monotherapie positiv auf einige relevante Komorbiditäten auswirken. Interleukin-6-Rezeptor-Blockade mit Sarilumab zeigt Effekte bei Depression und Diabetes
Depression ist eine der häufigsten Komorbiditäten bei RA-Patienten; in Deutschland liegt die Prävalenz bei etwa 22 %. Auch andere psychiatrische Erkrankungen beobachtet man bei Betroffenen mit RA häufiger. Diese können sich negativ auf die Erreichung einer Remission auswirken, betonte Professor Michael Nurmohamed, Amsterdam. Bei Patienten unter klinischer Remission war die Wahrscheinlichkeit für anhaltende Angstsymptome (Verringerung der OddsRatio um 52 %) und Depressionen (Verringerung der Odds-Ratio um 65 %) geringer als bei Patienten, die keine Remission erreichten. In Subanalysen der Zulassungsstudien mit Sarilumab mit Fokus auf von Patienten berichteten Endpunkten führte die Therapie bei RA-Patienten mit depressiven Symptomen zu klinisch bedeutsamen Verbesserungen in den meisten SF-36-Domänen im Vergleich zu Placebo und in einigen Bereichen im Vergleich zu Adalimumab. Auch bei Diabetes ist die Prävalenz bei RA-Patienten höher als in der Allgemeinbevölkerung. Nach einer Umfrage des Deutschen Rheumaforschungszentrums wurden mehr als 40 % der Patienten mit RA und Diabetes nicht rheumatologisch betreut, obwohl sie
Sarilumab Sarilumab (Kevzara®) ist der einzige vollhumane monoklonale Antikörper gegen den Interleukin-6-Rezeptor (IL-6R). Sarilumab hemmt den proinflammatorischen IL-6R-vermittelten Signalweg und kann als Monotherapie oder in Kombination mit Methotrexat eingesetzt werden. Es ist zugelassen in Kombination mit Methotrexat (MTX) bei Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer rheumatoider Arthritis, die auf ein oder mehrere DMARDs unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben, sowie als Monotherapie, wenn MTX nicht vertragen wird oder ungeeignet ist. Die empfohlene Sarilumab-Dosis beträgt 200 mg alle 2 Wochen, verabreicht als subkutane Injektion mit einer Fertigspritze oder einem Fertigpen. Die Dosis kann bei Bedarf von 200 mg auf 150 mg alle 2 Wochen gesenkt werden, um abnorme Laborwerte (Neutropenie, Thrombozytopenie und erhöhte Leberenzymwerte) zu kontrollieren.
von einer hohen Krankheitslast berichteten; sie waren häufig hospitalisiert und mit weiteren Begleiterkrankungen konfrontiert. In puncto Diabetes wurden in Subanalysen der Sarilumab-Zulassungsstudien MOBILITY und TARGET Effekte nachgewiesen: Die IL6-RezeptorBlockade war bei diabetischen und nicht diabetischen Patienten mit erniedrigten HbA1c-Spiegeln assoziiert und senkte bei Patienten mit Diabetes die Nüchternblutzuckerwerte. Höhere Rate an Multimorbidität und Mortalität bei RA
Die erhöhte Prävalenz von Multimorbidität geht bei RA-Patienten mit einer höheren Mortalitätsrate von bis zu ca. 50 % als in der Allgemeinbevölkerung einher. Behandlungsansätze, die diese Multimorbidität ansprechen, haben den größten Einfluss auf das Allgemeinbefinden der Patienten, berichtete Professor Peter Taylor, Oxford. Eine prospektive Studie zeigte, dass bei jenen Patienten, die das Therapieziel Remission
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oder niedrige Krankheitsaktivität (CDAI ≤10) erreicht hatten, das Allgemeinbefinden (gemessen mit dem MD-HAQ, Multidimensional Health Asessment Questionnaire) mit der Anzahl der Komorbiditäten korrelierte. Zudem wurde die physische Aktivität mit steigender Anzahl von Komorbiditäten zunehmend eingeschränkt. Komorbiditäten bei RA-Patienten im Blick behalten
Nurmohamed plädierte dafür, RAPatienten vermehrt auf Komorbiditäten zu untersuchen und diese in das Therapiemanagement einzubeziehen. Dadurch könnten klinische Ergebnisse und die Lebensqualität der Patienten verbessert und die Lebenserwartung verlängert werden. Mit ihren Erfahrungen aus dem deutschen Versorgungsalltag schloss sich die Berliner Rheumatologin Dr. Silke Zinke diesem Appell an: „Man sollte die Patienten mit all ihren Grunderkrankungen im Auge behalten und bei RA an Komorbiditäten mit entzündlicher Genese denken. Wo eine Autoim© VERLAG PERFUSION GMBH
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munerkrankung ist, ist gerne auch eine zweite Krankheit wie HerzKreislauf-Erkrankungen oder Diabetes.“ Auch im engen Zeitrahmen des niedergelassenen Behandlungsalltags kann man etwa Depressionen mit einfachen Fragebögen entlarven, unterstützt durch rheumatologische Fachassistenten.
RA-Patienten profitieren zudem von einer engen Zusammenarbeit mit Hausärzten, betonte Zinke: Das kardiovaskuläre Risiko ist bei nicht behandelter RA etwa 1,5- bis 2-fach höher als in der Allgemeinbevölkerung – vergleichbar mit dem von Diabetikern. Daher sollte man bei Verdacht auf RA die
Diagnose nicht verschleppen und die Krankheitsaktivität der Patienten mit wirksamen Therapien so schnell und effektiv wie möglich reduzieren. „Wir stellen nicht immer so gut ein, wie wir es könnten“, schloss Zinke. Elisabeth Wilhelmi, München
Titelbild: Die Blütenstände der weiblichen HanfPflanze (Cannabis sativa) werden seit Jahrtausenden als medizinisches und psychoaktives Agens genutzt. Seit 10.03.2017 sind Cannabinoide in Deutschland verkehrsfähig und können von jedem Arzt verordnet werden (Foto: Pixabay).
Herausgeber: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Univ.-Prof. Dr. med. Hermann Eichstädt, Leiter Bereich Kardiologie RZP Potsdam und Geschäftsführer BBGK e.V. Berlin Konstanzer Straße 61 10707 Berlin Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. M. Alexander, Infektiologie, Berlin Prof. Dr. L. Beck, Gynäkologie, Düsseldorf Prof. Dr. Berndt, Innere Medizin, Berlin Prof. Dr. H.-K. Breddin, Innere Medizin, Frankfurt/Main Prof. Dr. K. M. Einhäupl, Neurologie, Berlin Prof. Dr. E. Erdmann, Kardiologie, Köln Prof. Dr. Dr. med. E. Ernst, University of Exeter, UK Prof. Dr. K. Falke, Anästhesiologie, Berlin Prof. Dr. K. Federlin, Innere Medizin, Gießen Prof. Dr. E. Gerlach, Physiologie, München Prof. Dr. H. Helge, Kinderheilkunde, Berlin Prof. Dr. R. Herrmann, Onkologie, Basel Prof. Dr. W. Jonat, Gynäkologie, Hamburg Prof. Dr. H. Kewitz, Klin. Pharmakol. Berlin Prof. Dr. B. Lemmer, Pharmakologie, Mannheim/Heidelberg
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