Journal 5 2016 aktuell

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ISSN 1432-4334 JAHRGANG 25 HEFT 5 Dezember 2016

FÜR PHARMAKOLOGIE UND THERAPIE

JOURNAL OF PHARMACOLOGY AND THERAPY

Anwendung eines pflanzlichen Komplex-Homöopathikums zur Behandlung des fieberhaft grippalen Infekts: Ergebnisse einer Beobachtungsstudie Teduglutid – die erste kausale medikamentöse Therapieoption bei Kurzdarmsyndrom mit chronischem Darmversagen Multiple Sklerose: Mit Innovationen die Therapie gestalten Gastrointestinale Stromatumoren: Patienten profitieren von der Behandlung mit Imatinib Therapie der Philadelphia-Chromosom-positiven akuten lymphatischen Leukämie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren „An dieser Patientin ist alles typisch!“ Kasuistik zur Schlaganfallprävention bei nicht valvulärem Vorhofflimmern 1,8-Cineol reduziert direkt die Schleimproduktion Metastasiertes kolorektales Karzinom: Chance auf mehr Lebenszeit mit Trifluridin/Tipiracil Pulmelia® im Elpenhaler® – bewährte Fixkombination Budesonid/ Formoterol bei Asthma und COPD

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Myelofibrose Polycythaemia vera

MIT JAKAVI ZURÜCK INS LEBEN!

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Jakavi® 5 mg/- 10 mg/- 15 mg/- 20 mg Tabletten  Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Wirkstoff: Ruxolitinib. Zus.-setzung: 1 Tablette enthält: Arzneilich wirksamer Bestandteil: 5 mg/10 mg/15 mg/20 mg Ruxolitinib (als Phosphat). Sonstige Bestandteile: Lactose-Monohydrat, Mikrokristalline Cellulose, Magnesiumstearat, Hochdisperses Siliciumdioxid, Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A), Povidon, Hyprolose. Anwend.-gebiete: Jakavi ist angezeigt für die Behandlung von krankheitsbedingter Splenomegalie oder Symptomen bei Erwachsenen mit primärer Myelofibrose (MF) (auch bekannt als chronische idiopathische Myelofibrose), Post-Polycythaemia-vera-Myelofibrose oder Post-EssentiellerThrombozythämie-Myelofibrose. Jakavi ist angezeigt für die Behandlung von Erwachsenen mit Polycythaemia vera (PV), die resistent oder intolerant gegenüber Hydroxycarbamid sind. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Schwangerschaft und Stillzeit. Nebenwirkungen: Sehr häufig: Harnwegsinfektionen. Anämie, Thrombozytopenie, Neutropenie, Blutung (jede Blutung einschl. intrakranieller u. gastrointestinaler Blutung, Blutergüsse u. and. Blutungen), Blutergüsse, and. Blutungen (einschl. Nasenbluten, postprozedurale Blutung u. Hämaturie). Gewichtszunahme, Hypercholesterinämie, Hypertriglyzeridämie. Schwindel, Kopfschmerzen. Erhöhte AlaninAminotransferase-Werte, erhöhte Aspartat-Aminotransferase-Werte. Hypertonie. Häufig: Herpes zoster (über postherpet. Neuralgie bei PV-Pat. wurde berichtet), Sepsis. Intrakranielle Blutung, gastrointestinale Blutung. Flatulenz, Obstipation. Gelegentlich: Tuberkulose. Häufigk. nicht bekannt: Sonst. schwerwieg. bakt., mykobakt., fungale, virale u. and. opportunist. Infektionen. Warnhinweis: Enthält Lactose. Verschreibungspflichtig. Weitere Angaben: Siehe Fachinformation. Stand: November 2016 (MS 12/16.17). Novartis Pharma GmbH, Roonstr. 25, 90429 Nürnberg. Tel.: (09 11) 273-0, Fax: (09 11) 273-12 653. www.novartis.de


EDITORIAL

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App und zu mal selber denken ... Neulich tauchte bei einer größeren häuslichen Aktion ein Gerät auf, über dessen Funktion sich „Digital Natives“ wohl nur noch über einen Eintrag bei Wikipedia ein Bild machen können: ein Rechenschieber Marke „Aristo Bischolar“. Zugegeben, ich könnte als Anwender selbst auch nur noch den zweiten Teil des Begriffs bedienen („schieben“), rechnen – da muss ich passen! Geblieben ist aus jener Zeit aber noch ein recht sensibles Bauchgefühl, ob die geforderte Summe an der Supermarktkasse in Ordnung geht, und ggf. die Fähigkeit, einen kurzen Plausibilitätscheck durchzuführen. Kopfrechnen hieß die Disziplin einmal, die ohne großen Übergang sozusagen im Handstreich vom Taschenrechner abgelöst wurde. Unvorstellbare, bislang gebundene Ressourcen von Millionen von Schülern (und von Hunderttausenden von Abiturienten jedes Jahr) standen plötzlich zur freien Verfügung. Nur träumen konnte jene Schülergeneration allerdings davon, auch vom Joch des Faktenpaukens befreit zu werden, z.B. im Latein-, Chemie- oder Geschichtsunterricht. Eselsbrücken blieben hier wie dort die einzige Stütze für aberrierende Gehirnwindungen, etwa „dreidreidrei bei Issos Keilerei“. Heute, ja heute steht das alles abrufbereit, wobei noch nicht einmal eine grammatikalisch klar strukturierte und höflich formulierte Anfrage erforderlich ist. Schon phonetisch nicht zu stark abwei-

chende Wortfetzen reichen zumeist zum erfolgreichen Googeln, semantische Präzision ist nicht erforderlich. Das Gleiche gilt übrigens für Dialoge, weshalb man mit inhaltlich verquerem Gestammel (Synonym: Tweet) es bis zum Präsidenten einer Weltmacht schaffen kann – aber das ist eine andere Geschichte. Hierher gehört jedoch, dass die vermeintliche Entlastung durch die Verlagerung eines persönlichen Erfahrungsschatzes in die Cloud nicht zu einer erbaulicheren oder nützlicheren Verwendung der frei gewordenen Gehirnwindungen geführt hat, sondern eher zu deren Degeneration. Schon vor Jahren haben britische Forscher bei Londoner Taxifahrern, die den Stadtplan „verinnerlicht“ hatten, eine deutliche, selektive Zunahme der grauen Zellen im posterioren Hippocampus und markante Änderungen im Gedächtnisprofil festgestellt (vgl. [1]). Es steht zu befürchten, dass der flächendeckende Einsatz von Navigationsgeräten im Auto, auf dem Fahrrad, beim Stadtbummel oder beim Wandern exakt Gegenteiliges bewirkt. Nicht nur, dass es immer wieder Meldungen gibt, wonach sog. „Nutzer“ blind vertrauend (oder am Ende hirnlos?) in Seen, Flüssen, Schaufenstern oder Misthaufen landen. „Death by GPS“ steht denn auch für eine zunehmend häufiger werdende Todesursache von Besuchern des Death Valley in Kalifornien, bei denen z.B. der Akku ihres GPS-Ge-

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Prof. Dr. med. K.-L. Resch, Bad Elster

räts in einem ungünstigen Moment ausgestiegen ist [2]. Also doch nicht einfach aufs Navi verlassen? Gott sei Dank scheinen einige protektive Instinkte, die sich in der Evolution des Menschen als nützlich erwiesen haben, (noch?) nicht der infiltrativ in alle Bereiche des Lebens hinein wachsenden digitalen Entmündigung (Hirnschwund?) zum Opfer gefallen zu sein. So war einer kürzlich im Journal der American Medical Association veröffentlichte Studie zu entnehmen, dass die digitale Selbstüberwachung durch ein technisches Gerät („Wearable“) kontraproduktiv ist, wenn man überflüssige Pfunde loswerden will. Wesentlich besser geht das auf lange Sicht, wenn man seine Ernährung und körperliche Aktivität auf hergebrachte Weise kontrolliert [3]. Das sind doch mal gute Neuigkeiten! Ich jedenfalls fühle mich © VERLAG PERFUSION GMBH


INHALT

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rundum bestätigt in meinen guten Vorsätzen fürs neue Jahr, mich weiterhin in erster Linie auf mein Gehirn zu verlassen und es durch häufiges Benutzen bei gutem Trainingszustand zu halten und die digitalen vermeintlichen Freunde und Helfer nur „app und zu“ zu Rate zu ziehen. In diesem Sinne herzlichen Dank, dass Sie die P&T im abgelaufenen Jubiläumsjahr auf klassische Weise in die Hand genommen haben – und herzlich willkommen im vor uns liegenden Jahr! Karl-Ludwig Resch, Bad Elster

ORIGINALARBEIT Anwendung eines pflanzlichen Komplex-Homöopathikums zur Behandlung des fieberhaft grippalen Infekts: Ergebnisse einer Beobachtungsstudie 144 Susanne Ludwig, Susanne Kammerer

ÜBERSICHTSARBEIT Teduglutid – die erste kausale medikamentöse Therapieoption bei Kurzdarmsyndrom mit chronischem Darmversagen Ariane Lüsse

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS Multiple Sklerose: Mit Innovationen die Therapie gestalten 154 Gastrointestinale Stromatumoren: Patienten profitieren von der Behandlung mit Imatinib 158 Therapie der Philadelphia-Chromosom-positiven akuten lymphatischen Leukämie mit TyrosinkinaseInhibitoren 161 „An dieser Patientin ist alles typisch!“ Kasuistik zur Schlaganfallprävention bei nicht valvulärem Vorhofflimmern 164

NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL Quellen 1 R esch KL. Macht Technik dumm? J Pharmakol Ther 2012;21:37-38 2 Wolfangel E. Orientierung: Machen uns Navis dümmer? http://www.spektrum. de/news/wie-beeinflussen-navigationssysteme-unser-hirn/1421988 3 Jakicic JM, Davis KK, Rogers RJ et al. Effect of wearable technology combined with a lifestyle intervention on long-term weight loss: the IDEA randomized clinical trial. J Am Med Ass 2016;316:11611171

1,8-Cineol reduziert direkt die Schleimproduktion

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Metastasiertes kolorektales Karzinom: Chance auf mehr Lebenszeit mit Trifluridin/Tipiracil

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Pulmelia® im Elpenhaler® – bewährte Fixkombination Budesonid/Formoterol bei Asthma und COPD

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RUBRIKEN Wissenswertes 148, 171 Kongresse 173

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ORIGINALARBEIT

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ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Diese Beobachtungsstudie wurde durchgeführt, um die Wirksamkeit und Sicherheit eines Komplex-Homö­opathikums (Contramutan® N Saft) mit einer Sirupzubereitung mit derselben Wirkstoffzusammensetzung (Contramutan® Junior Sirup) zu vergleichen. Patienten und Methodik: 80 Erwachsene und 120 Kinder (1–12 Jahre alt), die innerhalb der letzten 48 Stunden an einem fieberhaft grippalen Infekt litten, wurden 7–9 Tage lang mit den beiden Arzneimitteln in Arztpraxen behandelt. Behandlungseffekte, Compliance, Verträglichkeit und der Geschmack der Zubereitungen wurden von den Ärzten sowie anhand von Patiententagebüchern ermittelt. Ergebnisse: Beide Zubereitungen erwiesen sich als effektiv und gut verträglich bei Kindern und Erwachsenen. Ein Vergleich zwischen den beiden Arzneimitteln zeigte Vorteile des Sirups, besonders bei den Kindern: Entsprechend der Tagebuchauswertungen bevorzugten die Kinder bzw. deren Betreuer den Sirup hinsichtlich der Wirkung, des Geschmacks und der Compliance. Schlussfolgerung: Beide Komplex-Homöopathika erwiesen sich als wirksam und sehr gut verträglich bei Kindern und Erwachsenen. Kinder bevorzugen den Sirup. Besonders hinsichtlich Geschmack und Compliance war der Sirup dem Saft überlegen. Schlüsselwörter: Beobachtungsstudie, fieberhaft grippaler Infekt, Erkältung, KomplexHomöopathikum, Sirup

Anwendung eines pflanzlichen KomplexHomöopathikums zur Behandlung des fieberhaft grippalen Infekts: Ergebnisse einer Beobachtungsstudie Susanne Ludwig1, Susanne Kammerer2 1 Kinderarztpraxis, Lübeck 2 Medical Writer, Kirchheim

G

rippale Infekte gehören zu den häufigsten Anlässen für einen Arztbesuch und treten besonders beim Säugling und Kleinkind oft auf [1]. Überwiegend werden diese Infektionen durch Viren, in seltenen Fällen auch durch Bakterien verursacht. Insgesamt werden in zu vielen Fällen Antibiotika verschrieben, was zu einer zunehmenden Anzahl an Antibiotikaresistenzen führt [2, 3]. Symptome eines grippalen Infekts sind häufig zunächst ein Kratzen im Hals, gefolgt von Hustenreiz und Schnupfen, oft begleitet von Kopf- und Gliederschmerzen sowie Fieber. Neben allgemeinen Maßnahmen wie z.B. körperliche Schonung oder Anfeuchten der Atemluft besteht die Therapie in der Aktivierung des körpereigenen Immunsystems und der Behandlung der Symptome. Hierzu stehen auch homöopathische Arzneimittel wie z.B. Contramutan® zur Verfügung. Diese Zubereitung ist seit vielen Jahren bewährt und hat in mehreren Praxisstudien sowohl bei Kindern als

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auch bei Erwachsenen ihre Wirksamkeit und Verträglichkeit unter Beweis gestellt [4, 5, 6]. Contramutan® Junior Sirup ist ein neues Produkt mit denselben Wirkstoffen wie in Contramutan® N Saft und wurde speziell für die Anwendung bei Kindern entwickelt. Es enthält keine Konservierungs- oder Aromastoffe. Mit der im Folgenden beschriebenen Beobachtungsstudie sollten die Compliance und Akzeptanz des Geschmacks sowie die Wirkung und Verträglichkeit dieses neuen Contramutan®-Produkts im Vergleich zu Contramutan® N Saft bei Kindern und Erwachsenen evaluiert werden. Methoden

Die teilnehmenden Ärzte verpflichteten sich, die Studie gemäß dem vorliegenden Beobachtungsplan durchzuführen. Es sollten jeweils 50 % der Patienten mit dem Saft oder dem Sirup behandelt werden. Die Ärzte waren dabei frei in der Zuordnung. Für die ver© VERLAG PERFUSION GMBH


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schiedenen Patientengruppen wurden unterschiedliche Einzeldosierungen empfohlen. Die Häufigkeit der Einnahme war den Patienten bzw. deren Eltern überlassen. An der Studie nahmen 2 Altersgruppen von Patienten beiderlei Geschlechts teil, bei denen innerhalb der letzten 48 Stunden ein akuter fieberhaft grippaler Infekt aufgetreten war. 80 Patienten waren über 18 Jahre alt, 120 Patienten im Alter zwischen 1 und 12 Jahren. Die Studie umfasste einen Therapiezeitraum von 7–9 Tagen mit 2 Visiten. Am Tag 0 erfolgte die Aufnahmeuntersuchung mit Basisdokumentation (Visite 1). Am Studienende nach 7–9 Tagen (Visite 2) wurde die Wirksamkeit der homöopathischen Arzneimittel als Saft und Sirup von den Ärzten skaliert bewertet (sehr gut, gut, mäßig, schlecht). Die Häufigkeit der täglichen Einnahme wurde von den Patienten in einem Patiententagebuch festgehalten. Dabei beurteilten die Patienten auch den Geschmack des Arzneimittels anhand einer Skala (sehr gut, gut, mäßig, schlecht). Die Wirksamkeit des Sirups bzw. des Safts wurde anhand des von den Ärzten dokumentierten Rückgangs der Intensität des akuten fieberhaften grippalen Infekts sowie der globalen Beurteilung der Wirkung durch die Ärzte und Patienten bzw. deren Eltern erfasst. Darüber hinaus wurden unerwünschte Arzneimittelwirkungen dokumentiert und die Verträglichkeit der Medikation von den Ärzten und Patienten bzw. deren Eltern global beurteilt. Ergebnisse

Für die Therapie mit dem Sirup gibt es eine unterschiedliche Dosisempfehlung (nur bezogen auf die Ein-

zeldosis) für Kinder im Alter von 1–6 Jahren und 7–12 Jahren; diese beiden Altersgruppen konnten aufgrund der ähnlichen Ergebnisse für die Auswertung der globalen Beurteilungen zusammengefasst werden. Bei den Patienten, die den herkömmlichen Saft erhielten, wurden die Kinder im Alter von 1–12 Jahren bei allen Parametern gemeinsam ausgewertet. Somit ergaben sich insgesamt 4 Gruppen bei der Auswertung (2 Gruppen beim Sirup und 2 Gruppen beim Saft). 2 Patienten erschienen nicht zur 2. Visite, sodass zum Therapieende für 198 Patienten Angaben vorlagen. Beim Vergleich der Wirksamkeit der beiden Präparate erzielte der Sirup gegenüber dem Saft bessere Ergebnisse. Tabelle 1 zeigt die globale Beurteilung von Wirkung, Verträglichkeit, Compliance und Geschmack durch Ärzte und Patienten. Die Mehrheit der Ärzte bescheinigte aber auch dem Saft eine gute oder sehr gute Wirksamkeit (65,5 % bei den Kindern und 74,1 % bei den Erwachsenen). Die Auswertung der Patiententagebücher ergab, dass sowohl die Wirkung als auch der Geschmack des Sirups in den Kindergruppen signifikant besser beurteilt wurde als der Saft. Bei den Erwachsenen zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der Bewertung. Die mittleren Einnahmehäufigkeiten beider Zubereitungen gingen sowohl in den Kinder- als auch in den Erwachsenengruppen über den Zeitraum der Behandlung deutlich zurück. Die Wiedereinnahme wurde von den Erwachsenen bei beiden Zubereitungen zu je 73 % befürwortet. Im Gegensatz dazu befürworteten 80 % der kleinen Kinder (1–6 Jahre) und 90 % der größeren Kinder (7–12 Jahre) eine Wiedereinnahme des Sirups,

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SUMMARY Background: This observational study was performed to compare efficacy and safety of a complex homeopathic drug (Contramutan® N Saft) with a syrup preparation with the same active compounds (Contramutan® Junior Sirup). Patients and methods: 80 adults and 120 children (1–12 years old) suffering from common cold with fever within the last 48 hours were treated with the two medications for 7–9 days in an outpatient setting. Treatment effects, tolerability, compliance and taste were assessed by the physicians and by patient diaries. Results: Both preparations showed to be effective and well tolerable. However, a comparison between the two complex homeopathic drugs showed advantages of the syrup preparation, particularly in children. Accord­ ing to patient’s diaries, children or their caregivers preferred the syrup regarding effect, taste and compliance. Conclusions: Both homeopathic complex drugs proofed to be tolerable and effective in children and adults. Children prefer the syrup, particularly its taste and compliance was superior compared to the liquid preparation. Key words: observational study, flu-like infection, common cold, complex homeopathic preparation, syrup

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Gute Verträglichkeit bei beiden Produkten

Während der Behandlung mit dem Sirup bzw. dem Saft traten keine unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei den Patienten auf. Die Verträglichkeit in den 4 Untersuchungsgruppen wurde global zwischen 93,1 % und 100 % von den Ärzten und den Patienten bzw. Eltern der Patienten mit „sehr gut“ oder „gut“ beurteilt. Bei der globalen Beurteilung des Geschmacks, d.h. der Akzeptanz durch die Patienten, gab es bei den Erwachsenen keine Unterschiede zwischen den beiden Zubereitungen. Die Kinder bevorzugten jedoch deutlich den Sirup. Bezüglich der Compliance erzielte nach Einschätzung des Arztes der Sirup sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern bessere Ergebnisse.

140 120 100 Patienten (n)

doch nur 63,3 % der Kinder im Alter von 1–12 Jahre des Safts. Vergleichbar war das Ergebnis für die Weiterempfehlung der Prüfpräparate: Auch hier gab es bei den Erwachsenen keine Unterschiede, während die Kinder dem Sirup den Vorzug gaben: 80 % der Kinder im Alter von 1–6 Jahren und 90 % der Kinder im Alter von 7–12 Jahren im Vergleich zu 55 % der mit dem Saft behandelten Kinder würden das Präparat weiterempfehlen. 86,5 % der Patienten beendeten die Therapie regulär. Die mittlere Behandlungsdauer betrug 7,2 Tage. Zur 1. Visite wiesen 70 Patienten (35 %) eine mäßige und 130 Patienten (65 %) eine starke Intensität des akuten fieberhaften grippalen Infekts auf. Zur 2. Visite hatten 92,9 % der Patienten nur noch geringe Symptome bzw. waren frei davon (Abb. 1).

80 60

Visite 1

40

Visite 2

20 0 stark

mäßig

gering

nicht vorhanden

Intensität des grippalen Infekts

Abbildung 1: Veränderung der Intensität des grippalen Infekts von Visite 1 zu Visite 2 in der Gesamtgruppe.

Diskussion

Die vorliegende Praxisstudie zeigt, dass sowohl der Saft als auch der Sirup sehr gut verträglich sind und eine nachvollziehbare Wirkung bei Patienten mit akutem, fieberhaft grippalem Infekt aufweisen. Diese Ergebnisse stehen in Übereinstimmung mit früheren Beobachtungsstudien, die mit dem Komplex-Homöopathikum als Saftzubereitung durchgeführt wurden, sowie mit der praktischen Erfahrung, die mit diesem Saft gesammelt werden konnte, der in Deutschland seit über 40 Jahren auf dem Markt ist [4, 5, 6]. In einer Beobachtungsstudie, in die 4443 Patienten verschiedener Altersgruppen eingeschlossen wurden, kam es unter der Therapie mit dem KomplexHomöopathikum zu einer raschen Besserung typischer Erkältungssymptome (Fieber, Halsschmerzen, Kopf- und Gliederschmerzen, Husten und Schnupfen), die im Mittel nach einer Behandlungszeit von 3,5 Tagen eintrat [4]. In einer weiteren Beobachtungsstudie wurde dieser Saft an je 100 Kin-

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dern in den Altersgruppen 0,5– <1 Jahr, 1–6 Jahre und 7–12 Jahre geprüft [5]. Nach einer Behandlungsdauer von durchschnittlich 3 Tagen kam es bei allen Patienten zu einer deutlichen Besserung der Symptome des grippalen Infekts um 54–93 %. Die Wirkung wurde von 80 % der Ärzte und 81 % der Patienten als sehr gut oder gut befunden [5]. Eine aktuelle Beobachtungsstudie mit 1050 Erwachsenen und Kindern zeigte vergleichbare Ergebnisse [6]. Hier beurteilten 84,9 % der Patienten den Behandlungseffekt als „gut“ oder „sehr gut“ [6]. In allen früher durchgeführten Beobachtungsstudien erwies sich der Saft als sehr gut verträglich [4, 5, 6]. Eine Wirksamkeit ist angesichts der Inhaltsstoffe Echinacea angustifolia, Atropa belladonna, Eupatorium perfoliatum und Aconitum napellus auch plausibel. Echinacea angustifolia wird seit Jahrzehnten als Immunstimulans eingesetzt. Eine Metaanalyse von 14 Studien zeigte, dass durch die präventive Gabe von Echina­ cea die Wahrscheinlichkeit einer Erkältung um 58 % abnimmt © VERLAG PERFUSION GMBH


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ORIGINALARBEIT

Gruppe

Gruppe 1

Gruppe 2

Gruppe 3

Gruppe 4

Alter

Erwachsene ab 18 Jahre (n = 39)

Kinder (1–12 Jahre) (n = 60)

Erwachsene ab 18 Jahre (n = 39)

Kinder (1–12 Jahre) (n = 60)

Prüfpräparat

Contramutan® Junior Sirup

Contramutan® N Saft

Verbesserungsrate für die Intensität des fieberhaft grippalen Infekts in % Ärzte

92,5

100

95,0

86,7

Globale Beurteilung der Wirkung mit „sehr gut“ oder „gut“ (in %) Ärzte

100

98,3

74,1

65,5

Patienten

94,6

95,0

76,3

63,8

Globale Beurteilung der Verträglichkeit mit „sehr gut“ oder „gut“ (in %) Ärzte

100

100

95,3

93,1

Patienten

100

100

97,4

93,1

100

74,4

86,7

98,3

61,5

76,7

Globale Beurteilung der Compliance mit „sehr gut“ oder „gut“ (in %) Ärzte

94,9

Globale Beurteilung des Geschmacks mit „sehr gut“ oder „gut“ (in %) Patienten

63,2

Tabelle 1: Globale Beurteilung von Wirkung und Verträglichkeit, Compliance und Geschmack in allen Behandlungsgruppen bei Einnahme des Sirups (Gruppe 1 und 2) und des Safts (Gruppe 3 und 4).

(p < 0,001). Die Dauer eines grippalen Infekts wird durch die Einnahme um 1,4 Tage verkürzt [7]. Auch Eupatorium perfoliatum kann auf eine lange Tradition als Heilpflanze zurückblicken. Experimentelle und In-vitro-Untersuchungen bestätigen die antiinflammatorische, antivirale und immunmodulierende Eigenschaft des Alkoholextraktes [8, 9, 10]. So hemmt der Extrakt die Lipopolysaccharid (LPS)-induzierte Freisetzung von Interleukin (IL)1, Prostaglandin (PG) E2 und der Matrixmetalloprotease (MMP)-1 in primären humanen Monozyten, was zur antiinflammatorischen Wirkung beiträgt [9]. In einer In-vitro-Untersuchung zeigte der alkoholische Extrakt von Eupatorium perfoliatum eine ausgeprägte antivirale Wirksamkeit: Die in dem Extrakt enthaltenen Polyphenole hemmen die Anheftung von Influenza-A-Virus an die Zellen und schützen diese so vor einer Infektion [10].

Schlussfolgerungen

Der Sirup wurde speziell für die Anwendung bei Kindern entwickelt und enthält als Hilfsstoffe nur Saccharose, gereinigtes Wasser und 3,7 Vol% Alkohol. Der aktuellen Untersuchung zufolge ergeben sich im Vergleich der beiden untersuchten Arzneimittel insbesondere in den Kindergruppen Vorteile für diese Zubereitung. Dies betrifft vor allem den Geschmack und die Compliance. Entsprechend höher war der Prozentsatz der Kinder, die eine erneute Einnahme des Sirups befürworteten. Grundsätzlich ist die Arzneimitteladhärenz bei Kindern und Jugendlichen geringer als bei Erwachsenen [11]. Gerade der Geschmack ist eine wesentliche Barriere, die darüber entscheidet, ob ein Arzneimittel von Kindern eingenommen wird [11]. Bei Kindern ist die geschmackliche Akzeptanz eines Arzneimittels daher ein wesentlicher Faktor für den

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therapeutischen Erfolg. Flüssige Zubereitungen wie ein Sirup sind für Kinder am besten geeignet, da sie auch von Kleinkindern gut geschluckt werden können [12]. Die vorliegende Beobachtungsstudie zeigt, dass der Sirup von Kindern besser akzeptiert wird.

Literatur 1 Robert-Koch-Institut. Bevölkerungs­basier­ te Erhebung der Häufigkeit von akuten Atemwegserkrankungen. Epidemiol Bull 2011;37:343-350 2 Kim S, Yong Lee N. Antibiotic resistance and genotypic characteristics of group A streptococci associated with acute pharyngitis in Korea. Microb Drug Resist 2004;10:300-305 3 Sauermann R, Gattringer R, Graninger W et al. Phenotypes of macrolide resistance of group A streptococci isolated from outpatients in Bavaria and susceptibility to 16 antibiotics. Antimicrob Chemother 2003;51:53-57 4 Tradler N, Eckert M. Therapie von fieberhaften grippalen Infekten und Entzündungen der oberen Luftwege mit Contramutan: Eine Anwendungsbeobachtung mit 4.443 Patienten. 7. Phytopharmakakongress der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmakologie und Therapie und der © VERLAG PERFUSION GMBH


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Deutschen Gesellschaft für Phytotherapie, Symposium „Phytopharmaka VII“, Ab­ stracts zu den Vorträgen und Postern; 2001: 23-24 5 Bentley C, Grünwald J. Behandlung von 300 Säuglingen, Kleinkindern und Kindern mit akutem grippalen Infekt: Therapieerfolge einer fixen Wirkstoffkombination (Contramutan). Z Phytother, Kongressband Phytopharmaka Phytotherapie 2006;S19:27-P02 6 Michalsen A, Uehleke B, Stange R. Safety and compliance of a complex homeopathic drug (Contramutan N Saft) in the treatment of acute respiratory tract infections: A large observational (non-interventional) study in children and adults focussing on homeopathy specific adverse reactions versus adverse drug reactions. Regul Toxicol Pharmacol 2015;72:179-184 7 Shah SA, Sanders S, White CM. Evaluation of echinacea for the prevention and treatment of the common cold: a metaanalysis. Lancet Infect Dis 2007;7:473480 8 Hensel A, Maas M, Sendker J et al. Eupatorium perfoliatum L.: Phytochemistry, traditional use and current applications. J Ethnopharmacol 2011;138:641-651 9 Nauert C, Bentley C, Fiebich BL. In-vitroUntersuchungen zur entzündungshemmenden Wirkung von Eupatorium perfoliatum (EP). Z Phytother, Kongressband Phytopharmaka Phytotherapie 2006;S19:27-P28 10 Derksen A, Kühn J, Hafezi W et al. Antiviral activity of hydroalcoholic extract from Eupatorium perfoliatum L. against the attachment of influenza A virus. J Ethno­ pharmacol 2016;188:144-152 11 Venables R, Stirling H, Batchelor M et al. Problems with oral formulations prescribed to children: a focus group study of healthcare professionals. Int J Clin Pharm 2015;37:1057-1067 12 Lajoinie A, Henin E, Kassai B. [Oral formulation of choice for children]. Arch Pediatr 2015;22:877-885

Für die Verfasser: Dr. Susanne Kammerer Medizinjournalistin/Medical Writer Schmiedweg 5 85551 Kirchheim E-Mail: sukammerer@t-online.de

ORIGINALARBEIT / WISSENSWERTES

Deferasirox-Filmtabletten optimieren die Behandlung der Eisenüberladung Bei der Therapie der Eisenüberladung haben sich durch die Einführung von Chelatoren deutliche Fortschritte ergeben. Mit Defera­ sirox (Exjade®) steht seit 2006 in der Europäische Union der einzige, einmal täglich einzunehmende Eisenchelator mit 24-Stunden-Wirkung zur Verfügung. Die Zulassung der neuen Formulierung von Deferasirox als Filmtablette kann zu einer weiteren Verbesserung der Patienten­situation beitragen. Folgen der transfusionsbedingten Eisenüberladung

Eine Eisenüberladung ist eine potenziell lebensbedrohliche Folge wiederholter Bluttransfusionen und kann bereits nach Gabe von 20 Erythrozytenkonzentraten (EK) auftreten. Besonders häufig betroffen sind Patienten mit myelodysplastischem Syndrom (MDS) und Leukämien. Auch polytransfundierte Patienten mit einer Anämie anderen Ursprungs haben ein erhöhtes Risiko, eine Eisenüberladung zu entwickeln. Mit jeder Transfusion werden pro 2 EK ca. 500 mg Eisen zugeführt. Aufgrund fehlender physiologischer Ausscheidungsmechanismen kann der Körper überschüssiges Eisen nicht aktiv eliminieren. Dies führt zur Entstehung von freiem Plasmaeisen, das durch Bildung von Sauerstoffradikalen (ROS) Schäden an Organen wie Herz, Leber sowie Gehirn hervorrufen kann. Die Eisenüberladung ist eine wichtige Ursache für die erhöhte Mortalität

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 5/2016 · 25. JAHRGANG

und reduzierte Lebenserwartung transfusionsbedürftiger MDS-Patienten. Überlebensvorteil durch wirksame Eisenchelation

Chelatoren wie Deferasirox ermöglichen eine zielgerichtete und effektive Behandlung der Eisenüberladung. Sie binden freies Körpereisen und bilden einen Komplex, der anschließend ausgeschieden wird. Deferasirox senkt bei MDS-Patienten nicht nur effektiv das Serumferritin, sondern verbessert auch die Hämatopoese und ist mit einem deutlichen Überlebensvorteil verbunden. Das MDSExpertenpanel des LeukämieKompetenznetzwerks European LeukemiaNet empfiehlt daher die Eisenchelation bei transfusionsabhängigen MDS-Patienten sowie bei MDS-Patienten vor einer allogenen Stammzelltransplantation. Deferasirox-Filmtabletten: vereinfachte Einnahme, gute Wirksamkeit

Eckpfeiler einer erfolgreichen Chelation stellt die langfristige Sicherung der Therapietreue dar. Die neue Formulierung von Defe­ rasirox kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten, denn sie verkürzt den Zeitaufwand im Vergleich zur Herstellung der Suspension: Die Filmtablette kann – mit oder ohne eine begleitende Mahlzeit – mit Wasser eingenommen werden. Da die Bioverfügbarkeit von Deferasirox als Filmtablette gegenüber der alten Formulierung um 30 % höher ist, verringert sich die Initialdosis um 30 %. Fortschritte wurden auch hinsichtlich der Verträglichkeit erreicht: © VERLAG PERFUSION GMBH


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WISSENSWERTES

Durch die neue Laktose- und Natriumlaurylsulfat-freie Formulierung werden gastrointestinale Beschwerden vermindert. Die Filmtabletten sind in den Wirkstärken 90 mg, 180 mg und 360 mg verfügbar. Nach einer Übergangsphase wird die Exjade® Suspensionstablette nach Auflage der EMA vom Markt genommen, um Verwechslungen bei der Dosierung zu vermeiden. B. S.

Schon leicht erhöhte Schilddrüsenwerte sind gefährlich Eine Überfunktion der Schilddrüse erhöht das Risiko auf Schlaganfall oder Herzstillstand. Auch eine Demenz ist möglich. Nach aktuellen Studien sind bereits Menschen mit leicht erhöhten Hormonwerten gefährdet, die bisher als unbedenklich galten. Der Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner e.V. (BDN) rät Menschen mit einer Vergrößerung der Schilddrüse deshalb zu einem Hormon-Check. TSH-Wert als Gradmesser

Die Hormone der Schilddrüse bestimmen die Betriebstemperatur des Stoffwechsels. Bei einem Mangel kommt es zu Abgeschlagenheit, Gedächtnisschwäche, depressiven Verstimmungen, Haarausfall, Verstopfung und Gewichtszunahme. Eine Überfunktion geht mit übermäßigem Schwitzen, Ruhelosigkeit und Durchfällen einher. Der Blutdruck steigt, der Herzschlag beschleunigt und bei einigen Menschen kommt es zu Herzrhythmusstörungen. „Die Risiken für Herz und Kreislauf sind bekannt,

weshalb allen Menschen mit Überfunktion dringend zu einer Behandlung geraten wird“, sagt der BDN-Vorsitzende Professor Detlef Moka. Wann genau eine Überfunktion der Schilddrüse vorliegt, ist auch unter Experten umstritten. Als Gradmesser gilt die Konzentration des Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH). Es wird von der Hirnanhangdrüse gebildet und steigert in der Schilddrüse die Produktion des Hormons T4. Zwischen beiden Hormonen existiert eine negative Rückkoppelung: Ein Anstieg von T4 bremst die Ausschüttung von TSH. Ein niedriges TSH weist deshalb auf eine Überfunktion der Schilddrüse hin. Bisher galten beim Erwachsenen TSH-Werte bis 4,0 mU/l als sicher. Doch neue Untersuchungsergebnisse aus den Niederlanden lassen hieran Zweifel aufkommen. Latente Überfunktion erhöht Risiko für plötzlichen Herztod, Schlaganfall und Demenz

Dr. med. Layal Chaker von der Erasmus Universität in Rotterdam hat die Daten von 10.318 Einwohnern ausgewertet, die im Rahmen der Rotterdam-Studie regelmäßig beobachtet werden. In den ersten neun Jahren starben 261 Teilnehmer an einem plötzlichen Herztod, der in der Regel Folge einer Herzrhythmusstörung ist. „Darunter waren auffällig viele Menschen mit leicht niedrigen TSH-Werten“, erläutert Moka und ergänzt: „Diese Personen haben noch keine Symptome einer Überfunktion, auch die T4-Werte liegen noch im Normalbereich. Wir sprechen deshalb von einer latenten Überfunktion.“ Nach den Ergebnissen von Chaker [1] haben Menschen mit latenter

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Überfunktion ein um den Faktor 2,5 erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Herztod. Das Risiko, innerhalb von 10 Jahren einen plötzlichen Herztod zu erleiden, lag bei nicht weniger als 4 %. In weiteren Untersuchungen zeigte sich, dass auch das Schlaganfallrisiko erhöht ist [2] und dass Menschen mit latenter Überfunktion im Alter auch häufiger an einer Demenz erkranken [3 ]. Auch wenn die Studie nicht beweisen kann, dass eine Behandlung das Risiko der Betroffenen vermindert – dies müsste in einer weiteren Studie gezeigt werden –, sind die Ergebnisse für BDN-Experte Moka aus 2 Gründen besorgniserregend. „Zum einen müssen wir überlegen, wie Menschen mit latenter Überfunktion der Schilddrüse besser geschützt werden können“, sagt der Nuklearmediziner. „Dazu sollte jetzt dringend eine umfassende Studie durchgeführt werden, die den Wert einer Behandlung prüft.“ Konsequenzen dürften die Erkenntnisse aber auch für Menschen haben, die wegen einer Unterfunktion mit Schilddrüsenhormonen behandelt werden. „Die meisten Ärzte streben einen TSH-Wert an, der einer latenten Überfunktion entspricht. Dazu kann nicht mehr geraten werden“, so Moka. BDN Quellen 1 Chaker L, van den Berg ME, Niemeijer MN et al. Thyroid function and sudden cardiac death: a prospective populationbased cohort study. Circulation 2016; 134:713-722 2 Chaker L, Baumgartner C, den Elzen WP et al. Thyroid function within the reference range and the risk of stroke: an individual participant data analysis. J Clin Endocrinol Metab 2016;101:4270-4282 3 Chaker L, Wolters FJ, Bos D et al. Thyroid function and the risk of dementia: the Rotterdam Study. Neurology 2016;87:16881695

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ÜBERSICHTSARBEIT

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ZUSAMMENFASSUNG Mit Teduglutid (Revestive®) ist seit über 2 Jahren die erste medikamentöse Therapieoption bei Kurzdarmsyndrom mit chronischem Darmversagen verfügbar, die direkt auf die Krankheitsursache abzielt. Das Analogon des endogenen Hormons Glucagonlike Peptide-2 (GLP-2) verbessert die resorptive Fähigkeit des Darms. Dadurch können Volumen und Frequenz der häufig beim Kurzdarmsyndrom notwendigen parenteralen Ernährung reduziert werden. Abhängig von der anatomischen Situation des Restdarms ist es bei einigen Patienten sogar möglich, die orale Autonomie wiederherzustellen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin in der S3-Leitlinie: Teduglutid (stabiles Analogon des Glucagon-like Peptide 2) sollte bei Patienten mit stabil infusionspflichtigem Darmversagen mit dem Ziel eingesetzt werden, infu­ sionsfreie Tage zu gewinnen. Denn die parenterale Ernährung ist zwar lebenswichtig für die meisten Patienten, sie ist jedoch häufig mit Komplikationen wie Katheterassoziierten Infektionen oder Lebererkrankungen verknüpft. Eine Reduktion der parenteralen Ernährung sollte daher auch zu einer Reduktion dieser Komplikationen wie auch zu einer Abnahme der psychosozialen Komplika­ tionen führen, was sich positiv auf die Lebensqualität und Mobilität der Patienten auswirken sollte. Schlüsselwörter: Kurzdarm­ syndrom, Teduglutid, parenterale Ernährung, Lebensqualität

Teduglutid – die erste kausale medikamentöse Therapieoption bei Kurzdarmsyndrom mit chronischem Darmversagen Ariane Lüsse, Bad Homburg

Herausforderung Kurzdarmsyndrom: selten, doch häufig kompliziert

Das Kurzdarmsyndrom (KDS) mit chronischem Darmversagen zählt mit einer Prävalenz von 10–34 Fällen pro einer Million Einwohner in Deutschland zu den seltenen Erkrankungen [1]. Gemäß S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) definiert sich das KDS als Darmversagen nach ausgedehnter Resektion, einhergehend mit einer eingeschränkten resorptiven Kapazität des Darms, die nicht durch eine konventionelle Diät kompensiert werden kann [2]. Morbus Crohn, Mesenterialinfarkt oder andere Erkrankungen, bei denen ausgedehnte Dünndarmresektionen durchgeführt werden müssen, können Ursache für ein KDS sein. Die Unfähigkeit des verbliebenen Restdarms, alle notwendigen Mengen an Flüssigkeit, Elektrolyten und Nährstoffen aufzunehmen, ist häufig mit einer lebenslangen parenteralen Ernährungstherapie (PE) verknüpft, um Patienten ausreichend mit Flüssigkeit und Nährstoffen zu versorgen und so das Überleben zu gewährleisten. Infusionshäufigkeit und -volumen korrelieren mit der

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anatomischen Situation des Restdarms. Nach Messing lässt sich der Restdarm 3 anatomischen Idealtypen zuordnen [3]: • Typ I, terminale Jejunostomie: Resektion von (Jejunum und) Ileum und Kolon; akute, kurzfristige und meist selbstlimitierende Erkrankung • Typ II, jejunokolonische Anastomose: Resektion von (Jejunum und) Ileum (und Kolonabschnitten); prolongierter, komplikativer Verlauf • Typ III, ileokolonische Anastomose: Resektion von Ileumabschnitten (und Kolonabschnitten); chronisch adaptierter und metabolisch stabiler Zustand, der eine langfristige PE indiziert. Der Umfang der erforderlichen PE richtet sich außerdem nach dem Verlauf der postoperativen Phase. Diese wird in 3 Abschnitte unterteilt: 1. Hypersekretion: Sie beginnt innerhalb weniger Tage nach der Operation und ist gekennzeichnet durch einen sehr hohen Stoma-Output. Die Resorptionsfähigkeit aller Nährstoffe ist sehr schlecht, die Patienten leiden an Hypergastrinämie und Hyperbilirubinämie. © VERLAG PERFUSION GMBH


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Abbildung 1: Charakterisierung der „anatomischen“ KDS-Typen; adaptiert nach Messing [3].

2. Adaption: Sie setzt frühestens etwa 2 Tage nach der Operation ein und kann bis zu 24 Monate dauern. Der Darm passt sich an – die intestinale Resorption nimmt zu. Die Patienten sind abhängig vom luminalen Nährstoffangebot. 3. Chronisch adaptierte Phase: Meist ist nach spätestens 24 Monaten die maximale Adaption erreicht. In Einzelfällen kann dies auch bis zu 5 Jahre dauern [4, 5]. Das Spektrum reicht von oraler Autonomie bis hin zur totalen parenteralen Ernährung. So lebenswichtig die PE für Patienten ist, so gefährlich können die mit ihr assoziierten Komplikationen sein. Häufig machen sie Krankenhausaufenthalte nötig. Eine Befragung unter KDS-Patienten (n = 228) zeigte, dass sie in den letzten 12 Monaten 2,7-mal stationär aufgenommen waren und das für durchschnittlich 23 Tage [6]. Besonders häufig kommt es zu Katheter-assoziierten Komplikationen. Nach den Befunden von Howard et al. tritt eine Katheterinfektion mit 0,34 Episoden je Katheter und Jahr auf, ein Verschluss des zentralen Venenkatheters mit 0,071 Episoden je Katheter und

Jahr und eine zentrale Venenthrombose mit 0,027 Episoden und Jahr [7]. Diese Komplikationen sind teils lebensbedrohlich. Auch Leber- und Knochenstoffwechsel­ erkrankungen können bei parenteral ernährten Patienten den Verlauf komplizieren [8]. Neben den klinischen Komplikationen stellt die PE auch einen massiven Eingriff in den (Arbeits-) Alltag der Betroffenen dar. Anund Abschluss der Infusionen sowie die Infusion selbst erfordern einen hohen Zeitaufwand und müssen in den Tagesablauf eingebunden werden. Durch nächtliche Infusionen kann es zu Schlafproblemen kommen. Außerdem wird die Mobilität durch die PE eingeschränkt, sodass viele Patienten berufsunfähig sind. Das GLP-2-Analogon Teduglutid

Normalerweise schüttet der Darm während der Nahrungsaufnahme das Hormon Glucagon-like Peptide 2 (GLP-2) aus [9]. Durch die regelmäßige Freisetzung von GLP-2 aus den L-Zellen von Ileum und Kolon wird die Resorptionsfläche vergrößert und die intestinale Resorption in den Darmzotten ange-

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SUMMARY Teduglutide (Revestive®), the first medicinal therapy option for short bowel syndrome with chronic intestinal failure, that targets the cause of disease directly, has been available for two years now. The endogenous hormone GLP-2 (glucagon-like peptide-2) analog is known to increase intestinal and portal blood flow to target gastric malabsorption, and therefore may help to reduce volume as well as frequency of parenteral nutrition, that is often required in patients with short bowel syndrome (SBS). Depending on the anatomical intestinal situation, it is possible to restore the patient’s oral auto­ nomy. In this context, the German Society of Nutritional Medicine (DGEM) indicates in its S3-guideline: the usage of teduglutide (stable glucagon-like peptide-2) is recommended for stable intestinal failure patients liable for infusion, aiming to reduce days of parenteral nutrition. Although parenteral nutrition is crucial ensuring the patient’s survival, it is, however, associated with a number of complications, such as infections or liver diseases. Reducing parenteral nutrition, thus leads to the reduction of the above mentioned as well as psychosocial complications, and therefore may enhance the patient’s independence and health related quality of life. Key words: short bowel syndrome, teduglutide, parenteral nutrition, quality of life

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ÜBERSICHTSARBEIT

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Abbildung 2: Im Vergleich zum natürlichen Hormon GLP-2 wird beim mittels rekombinanter DNA-Verfahren hergestellten GLP-2-Analogon Teduglutid durch den Austausch von Alanin in Position 2 gegen Glycin eine längere Halbwertszeit von etwa 2 Stunden erzielt [10].

regt. KDS-Patienten, die nach einer ausgedehnten Dünndarmresektion auf PE angewiesen sind, sind nicht in der Lage, genügend Flüssigkeit und Nährstoffe über den Darm zu resorbieren. Durch die Gabe von Teduglutid (Revestive®), eines Analogons des natürlichen GLP2, kann die Resorptionsoberfläche über das physiologische Maß hinaus vergrößert und dadurch eine verbesserte Nährstoff- und Flüssigkeitsaufnahme erreicht werden. Damit ist der seit September 2014 in Deutschland zugelassene Wirkstoff die erste kausale medikamentöse Therapieoption bei Kurzdarmsyndrom mit chronischem Darmversagen. Wie GLP-2 ist Teduglutid ein Eiweiß mit einer Länge von 33 Aminosäuren. Um die Halbwertszeit und biologische Potenz von Teduglutid zu erhöhen, wurde an Position 2 der Aminosäurekette Alanin gegen Glycin ausgetauscht (Abb. 2). Dadurch wird der Abbau des Eiweißes durch das Enzym Dipeptidyl-Peptidase-IV erschwert und Teduglutid bleibt länger wirksam als das natürliche GLP-2 (die Halbwertzeit liegt bei 2 Stunden [10]). Wie dieses verbessert auch das Analogon Teduglutid die intestinalen Resorption, indem es zum einen durch Steigerung der Mukosazellproliferation die Darm-

zottenhöhe und die Kryptentiefe der Darmmukosa erhöht (Abb. 3), zum anderen deren Durchblutung verbessert, die Magenentleerung verlangsamt und die Geschwindigkeit, mit der die Nahrung durch den Darm transportiert wird, verringert [10, 11]. Weniger Infusionen, mehr Freiheit

In der randomisierten, placebokontrollierten Zulassungsstudie STEPS – über einen Beobachtungszeitraum von 24 Wochen – konnte bei 54 % der Teduglutid-Patienten die parenterale Ernährung um mindestens einen Tag pro Woche reduziert werden. In der Placebo-Gruppe war das nur bei 23 % der Fall (p ≤ 0,005). Das Infusions-

volumen wurde im Vergleich zu Placebo signifikant gesenkt: Von zu Studienbeginn durchschnittlich 12,4 Liter pro Woche nahm es unter Teduglutid in Woche 24 signifikant um 4,4 Liter/Woche ab versus 2,3 Liter/Woche unter Placebo (p ≤ 0,001). Insgesamt konnte bei 63 % der Patienten das parenterale Infusionsvolumen um mindestens 20 % gesenkt werden. In der Placebo-Gruppe erreichten lediglich 30,2 % der Patienten dieses Ergebnis (p ≤ 0,002) [12]. In der Verlängerungsstudie STEPS 2, in die auch die Placebo-Gruppe überführt wurde, ließ sich das Infusionsvolumen im Verlauf von 24 Monaten noch weiter reduzieren [13]. Einige Patienten konnten mit Teduglutid sogar ganz auf PE verzichten – bei ihnen wurde die

Abbildung 3: Durch die Therapie mit Teduglutid kommt es bei KDS-Patienten zu einer Zunahme der Zottenhöhe und Kryptentiefe [11].

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Änderungen der wöchentlichen PE-Menge über eine Behandlungsdauer von 30 Monaten 20 Alle TED/TED-Patienten (ITT, n=43) TED/TED-Patienten mit 30 Monaten TED (PP, n=30)

18

PE Menge, L/Woche

16 14 12

12.9 11.6 12.4

10

11.5

10.8

10.1

9.6

10.5 9.6

8

8.9

6

8.7

8.6 7.6

8.0

7.8

7.1

7.2

7.3

6.7

6.8

7.9 7.2

7.2

4 2 0

STEPS

0

4

8

12 16 Wochen

20

24

0

4

8

12

16

20

24

43

40

40

38

39

38

39

1

5.8

5.8

5.9

5.8

6.9

STEPS-2 9

12 Monate

15

5.1 5.2

18

4.8

4.9

4.8

4.9

21

24

2

3

6

1

2

3

6

9

12

15

18

21

24

37

37

36

36

34

33

33

32

32

30

Patientenanzahl Woche/ Monat TED/ TED

Mittlerer Bedarf an parenteraler Ernährung bei Patienten mit bis zu 30 Monaten Teduglutid im Zeitverlauf. Grüne Punkte zeigen ITT-TED/TED-Datensatz (Tabelle unter der Grafik zeigt die Anzahl an Patienten pro jeweiligem Zeitpunkt) und orangene Punkte den Datensatz der 30 TED/TED-Patienten mit Abschluss der Studie (PP). Fehlerbalken stehen für die Standardabweichung. TED/TED = Patienten, die im Rahmen von STEPS und STEPS-2 mit Teduglutid behandelt wurden.

vollständige orale Autonomie wiederhergestellt (Abb. 4) [12]. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die S3-Leitlinie der DGEM zum chronischen Darmversagen, dass Teduglutid bei Patienten mit infusionspflichtigem Darmversagen eingesetzt werden sollte, um infusionsfreie Tage zu gewinnen [2].

Literatur 1 Websky MW, Liermann U, Buchholz BM et al. Das Kurzdarmsyndrom in Deutschland. Geschätzte Prävalenz und Versorgungssituation. Chirurg 2014;85:433-439 2 Lamprecht G et al. S3-Leitlinie der DGEM: Chronisches Darmversagen. Ak-

tuel Ernahrungsmed 2014;39:e57-e71 3 Messing B et al. Long-term survival and parenteral nutrition dependence in adult patients with the short bowel syndrome. Gastroenterology 1999;117:1043-1050 4 Wilmore DW. Indications for specific therapy in the rehabilitation of patients with the short-bowel syndrome. Best Pract Res Clin Gastroenterol 2003;17:895-906 5 Amiot A, Messing B, Corcos O et al. Determinants of home parenteral nutrition dependence and survival of 268 patients with non-malignant short bowel syndrome. Clin Nutr 2013;32:368-374 6 Van Gossum A, Vahedi K, Abdel-Malik et al. Clinical, social and rehabilitation status of long-term home parenteral nutrition patients: results of a European multicentre survey. Clin Nutr 2001;20:205-210 7 Howard L, Ashley C. Management of complications in patients receiving home parenteral nutrition. Gastroenterology 2003;124:1651-1661 8 Hofstetter S, Stern L, Willet J. Key issues in addressing the clinical and humanistic

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burden of short bowel syndrome in the US. Curr Med Res Opin 2013;29:495-504 9 Brubaker PL, Anini Y. Direct and indirect mechanisms regulating secretion of glucagon-like peptide-1 and glucagon-like peptide-2. Can J Physiol Pharmacol 2003; 81:1005-1012 10 Fachinformation Revestive® 5 mg, Stand Oktober 2016. 11 Jeppesen PB, Gilroy R, Pertkiewicz M et al. Randomised placebo-controlled trial of teduglutide in reducing parenteral nutrition and/or intravenous fluid requirements in patients with short bowel syndrome. Gut 2011;60:902-914 12 Jeppesen PB, Pertkiewicz M, Messing B et al. Teduglutide reduces need for parenteral support among patients with short bowel syndrome with intestinal failure. Gastroenterology 2012;143:1473-1481 13 Schwartz LK, O’Keefe SJ, Fujioka K et al. Long-term teduglutide for the treatment of patients with intestinal failure associated with short bowel syndrome. Clin Transl Gastroenterol 2016 Feb 4;7:e142. doi: 10.1038/ctg.2015.69

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DE/C-APROM/TED/16/0088

Abbildung 4: Teduglutid (Revestive®) senkte den Bedarf an parenteraler Ernährung signifikant, sowohl in der Zulassungsstudie STEPS [12] als auch in der Verlängerungsstudie STEPS 2 [13].


AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

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D

ie Fortschritte im Bereich der Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose (MS) haben in den vergangenen Jahren zu einer wesentlichen Verbesserung der Behandlungsergebnisse geführt. Die MS ist zwar eine chronische Erkrankung, jedoch kann der frühe Beginn einer wirksamen Therapie den Verlauf günstig beeinflussen. Aktuell stehen zahlreiche, innovative Arzneimittel zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose (RMS) zur Verfügung, die es ermöglichen, die Behandlung zunehmend an den individuellen Bedürfnissen und der Lebenssituation der Patienten zu orientieren. Bei einer frühzeitigen Diagnose und einem rechtzeitigen Therapiebeginn können Menschen mit MS von einer guten Wirksamkeit profitieren. Die stärker an der Lebenssituation der Patienten orientierten Applikationsformen unterstützen zudem die Therapietreue der Patienten. Neue Therapieziele

Das wachsende Verständnis der Pathophysiologie der MS trägt stetig zur Entwicklung innovativer immunmodulatorischer Therapieformen bei [1]. Dadurch, dass inzwischen sowohl für Patienten mit niedriger als auch mit hoher Krankheitsaktivität sichere und wirksame Therapieoptionen zur Verfügung stehen, hat sich auch ein Umdenken bei der Definition der Therapieziele ergeben: Über lange Zeit stand fast ausschließlich die Reduktion der Schubrate im Fokus, heute ist es das Freisein von messbarer Krankheitsaktivität. Dieses ist charakterisiert durch das Ausbleiben von Schüben, das Ausbleiben einer Behinderungszunahme, bestätigt nach 3 und 6 Mona-

Multiple Sklerose: Mit Innovationen die Therapie gestalten ten, und den fehlenden Nachweis einer radiologischen Krankheitsaktivität mittels Magnetresonanztomografie (MRT) [2, 3]. Langfristige Krankheitsverläufe beeinflussen

Multiple Sklerose tritt bei etwa 85 % der Patienten in der schubförmig remittierenden Form (RRMS) auf [4]. Der Verlauf der Behinderungsprogression kann in 2 Phasen eingeteilt werden: Phase I beschreibt die Zeit vom klinischen Einsetzen bis zum Erreichen eines irreversiblen Behinderungsgrades < EDSS 3 (Expanded Disability Status Scale) [5]. Sie ist durch eine hohe entzündliche Aktivität und eine hohe Schubaktivität gekennzeichnet. Im Vergleich dazu ist die Schubrate in der späteren Phase II geringer, fokale Entzündungsereignisse treten zunehmend weniger auf, während die Neurodegeneration zunimmt. Phase II umfasst die Behinderungsgrade EDSS 3–6 [5]. Diese Beobachtungen stützen die Schlussfolgerung, dass dem frühen Krankheitsverlauf der MS eine besondere Bedeutung für die Prognose zukommt. Insbesondere in der Frühphase der Erkrankung besteht somit offenbar ein therapeutisches Zeitfenster, in dem die Erkrankung besser beeinflussbar ist und mit einer entsprechenden medikamentösen Therapie beson-

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ders nachhaltige Ergebnisse in der Verlangsamung der Behinderungsprogression erzielt werden können. Daher sollte RRMS so früh und so wirksam wie möglich therapiert werden. Früh und wirksam therapieren

In der frühen Phase der MS spielt die Schubaktivität eine wichtige Rolle [2]. So sind häufige Schübe in den ersten 2 Jahren der Erkrankung mit einer beschleunigten Behinderungsprogression verbunden, wie eine retrospektive Untersuchung der Daten von 806 Patienten mit RRMS gezeigt hat [6]. Das vorrangige Behandlungsziel der MS-Therapie ist daher die bestmögliche Freiheit von messbarer Krankheitsaktivität. Häufig sprechen RRMS-Patienten auf eine Therapie mit Interferon beta nicht an. Einer Untersuchung zufolge kann das fehlende Ansprechen bereits innerhalb des ersten Therapiejahres mittels MRT ausgemacht werden [7]. Der Nachweis neuer oder vergrößerter hyperintenser Läsionen in der T2gewichteten Bildgebung kann als Prädiktor dienen. Tritt unter der Therapie weiter Krankheitsaktivität auf, sollten eine Anpassung der Therapie und die Umstellung auf ein effektiveres Therapeutikum – ggf. mit einem anderen Wirkprinzip – erwogen werden. Ange© VERLAG PERFUSION GMBH


AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

strebt werden eine weitgehende Kontrolle der Krankheitsaktivität und damit eine Stabilisierung des Krankheitsverlaufs. Dies trägt zur Aufrechterhaltung der Lebensqualität von Menschen mit MS bei. Optionen für die personalisierte Therapie

Aufgrund der Heterogenität des Krankheitsverlaufs und des unterschiedlichen Ansprechens auf eine Therapie ist eine individualisierte Behandlung der MS herausfordernd, aber entscheidend. Dabei muss die Therapie sowohl auf die Krankheitsaktivität als auch auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten abgestimmt werden [8, 9]. Denn essenziell für den Behandlungserfolg ist die Adhärenz der Patienten, die bei der Therapiewahl entsprechend berücksichtigt werden sollte [10]. So können z.B. je nach den Patientenbedürfnissen oder -wünschen orale oder injizierbare Medikamente verordnet werden. Dimethylfumarat Für eine effektive Kontrolle der RRMS von Anfang an steht den behandelnden Ärzten Dimethylfumarat (Tecfidera®) als das Therapeutikum der Wahl zur Verfügung [11, 12, 13]. Auch wenn der exakte Wirkmechanismus noch nicht bekannt ist, ist Dimethylfumarat bisher der einzige in klinischen Studien untersuchte Wirkstoff für die Behandlung von MS, der vermutlich den Nrf2-Signalweg aktiviert. Der Nrf2-Signalweg ist ein körpereigener Abwehrmechanismus, der Zellen vor potenziell schädlichen Einflüssen wie Entzündungen und oxidativem Stress schützt, die

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Dimethylfumarat Dimethylfumarat (Tecfidera® 120 mg/240 mg magensaftresistente Hartkapseln) ist zugelassen zur oralen Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose. Wirksamkeit und Sicherheit von Dimethylfumarat wurden in einem großangelegten, globalen klinischen Studienprogramm mit mehr als 3.700 Patienten geprüft. Dimethylfumarat kann erwiesenermaßen Schubrate, Behinderungsprogression (Reduktion bestätigt nach 12 Wochen in DEFINE signifikant um 38 %, in CONFIRM nicht signifikant um 21 %) und Gehirnläsionen bei MS reduzieren. Häufigste Nebenwirkungen bei mit Tecfidera® behandelten Patienten waren Hitzegefühl (Flushing) und gastrointestinale Ereignisse. Die Inzidenz dieser Beschwerden war im ersten Behandlungsmonat am höchsten und sank im weiteren Verlauf der Behandlung ab. Weiterhin, können sie aber periodisch auftreten. Die Therapie sollte mit 120 mg Tecfidera® zweimal täglich begonnen und nach 7 Tagen auf die empfohlene Erhaltungsdosis von 240 mg zweimal täglich erhöht werden. Vor einem Therapiestart mit Tecfidera® muss ein aktuelles großes Blutbild, einschließlich Lymphozyten, bestimmt werden, denn Patienten, die mit Tecfidera® behandelt werden, können eine schwere, anhaltende Lymphopenie entwickeln, sodass bei einer Behandlung dieser Patientengruppe Vorsicht geboten ist. Zudem wird empfohlen, die Leber- und Nierenfunktion zu überprüfen. Ebenfalls sollte eine Ausgangs-MRT-Untersuchung (i.d.R. innerhalb von 3 Monaten) als Referenz vorliegen.

unter anderem bei der MS-Pathophysiologie eine Rolle spielen [1]. Dimethylfumarat wird zweimal täglich oral eingenommen [11]. Daclizumab Der monoklonale Antikörper Daclizumab (Zinbryta®) ist eine innovative Behandlungsoption bei RMS [14]. Rationale für die Entwicklung von Daclizumab war die Blockade der Expansion aktivierter T-Zellen und damit auch autoreaktiver T-Zellen, die bei der Entstehung der Krankheit eine Schlüsselrolle spielen: Bei MS-Patienten wandern sie in das zentrale Nervensystem ein und führen dort zu Entzündungen sowie zu einer Schädigung der Myelinschicht von Nervenzellen. Bei der Regulation

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der Immunantwort kommt dem Zytokin Interleukin-2 (IL-2) eine vielfältige Funktion in zu. Der Rezeptor für IL-2 wird unter anderem auf der Oberfläche von aktivierten T-Zellen, darunter auch regulatorischen T-Zellen, exprimiert. Daclizumab ist ein Inhibitor des hochaffinen IL-2-Rezeptors (IL2R): Es bindet selektiv an die α-Untereinheit (CD25) des IL-2R und blockiert so die durch diesen Rezeptor vermittelte IL-2-Signaltransduktion. Dadurch kommt es zu einem Anstieg der lokalen IL-2-Konzentration und zu einer vermehrten IL-2-vermittelten Stimulation und Expansion der CD56bright-natürlichen Killerzellen (NK-Zellen), sodass die Zerstörung der Myelinscheiden und die Entstehung MS-typischer Entzündungsherde eingedämmt werden [14]. © VERLAG PERFUSION GMBH


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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Daclizumab Mit Daclizumab (Zinbryta®) steht ein neues Wirkprinzip zur Verfügung: Es ist der erste Inhibitor des hochaffinen Interleukin-2-Rezeptors (IL-2R) für die Behandlung der MS. Der humanisierte monoklonale Antikörper wurde am 1. Juli 2016 in der Europäischen Union für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose (RMS) zugelassen. Er wird einmal pro Monat mittels einer Fertigspritze in einer Dosierung von 150 mg subkutan angewendet. Der Wirkstoff zeigt die typischen Merkmale eines monoklonalen IgG1-Antikörpers: eine langsame Resorption nach subkutaner Verabreichung mit medianem Tmax-Wert von rund einer Woche, eine geringe systemische Clearance und eine terminale Eliminationshalbwertzeit von etwa 3 Wochen – alles Eigenschaften, die die einmal monatliche Gabe ermöglichen [14]. Unter der Therapie mit Daclizumab wurden binnen 2 Wochen nach der ersten Gabe von Daclizumab eine Zunahme von CD56brightnatürlichen Killerzellen und eine Abnahme der Anzahl regulatorischer T-Zellen (CD4+CD127lowFoxP3+-T-Zellen) beobachtet. Die Anzahl der CD56bright-natürlichen Killerzellen erhöhte sich auf das Fünffache des Ausgangswertes und blieb über die gesamte Therapiedauer auf einem ähnlich hohen Niveau. Nach Beendigung der Therapie fiel sie binnen 20–24 Wochen auf den Ausgangswert zurück. Die regulatorischen T-Zellen waren in der Behandlungsphase um etwa 60 % reduziert [17, 18]. Peginterferon beta-1a Peginterferon beta-1a (Plegridy®) ist ein pegyliertes Interferon beta-1a, das seit 18. Juli 2014 in der EU zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose zugelassen ist. Durch die Pegylierung des Proteins Interferon beta1a wird das Molekül des Proteins vergrößert, sodass sich die renale Clearance verlangsamt. Dadurch verlängert sich die Halbwertzeit des Wirkstoffs und damit die Dauer der Wirkstoffexposition im Körper, was eine geringere Applikationsfrequenz möglich macht. Die empfohlene Dosierung von Plegridy® beträgt 125 µg subkutan alle 2 Wochen, die Injektion erfolgt mittels eines Fertigpens oder einer Fertigspritze. In der ADVANCE-Studie bewirkte Plegridy® gegenüber Placebo eine statistisch signifikante Reduktion der Schubrate, der Behinderungsprogression und der Anzahl der im MRT sichtbaren Läsionen. Häufigste Nebenwirkungen (Inzidenz ≥10 % und um ≥2 % häufiger unter Plegridy® gegenüber Placebo) waren Erytheme an der Injektionsstelle, grippeähnliche Erkrankungen, Fieber, Kopfschmerzen, Myalgie, Schüttelfrost, Schmerzen an der Injektionsstelle, Asthenie, Juckreiz an der Injektionsstelle und Arthralgie. Eine Dosistitration über die ersten 4 Wochen wird empfohlen; sie kann helfen, grippeähnliche Symptome zu mindern, die zu Behandlungsbeginn mit Interferonen auftreten können.

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Die einmal monatliche, subkutane Gabe bietet Patienten ein hohes Maß an Flexibilität in der Applikation des Medikaments und erhöht die Therapieadhärenz [15]. In der Zulassungsstudie DECIDE zeigte Daclizumab gegenüber intramuskulär verabreichtem Interferon beta-1a (Avonex®) eine überlegene Wirksamkeit hinsichtlich des primären Endpunkts, der jährlichen Schubrate: Die ARR verringerte sich signifikant um 45 % (p<0,0001). Unter Daclizumab sank außerdem das relative Risiko einer nach 24 Wochen bestätigten Behinderungsprogression signifikant um 27 % (p<0,03) [16]. Peginterferon beta-1a Seit über 20 Jahren gehören rekombinante Beta-Interferone zu den krankheitsmodifizierenden Medikamenten bei MS. Zu den vermuteten vermittelten biologischen Wirkungen von Interferon beta zählen die Hochregulierung antiinflammatorischer Zytokine (z.B. IL-4, IL-10, IL-27), die Herunterregulierung proinflammatorischer Zytokine (z.B. IL-2, IL-12, IFN-γ, TNF-α) und die Migrationsinhibition aktivierter T-Zellen durch die Blut-Hirn-Schranke. Es können jedoch noch weitere Mechanismen beteiligt sein [19]. Für die Behandlung von Erwachsenen steht neben Interferon beta auch Peginterferon beta-1a (Plegridy®), zur Verfügung. Dieses neue Molekül bietet Patienten eine anhaltende Wirksamkeit über 5 Jahre bei einem positiven Nutzen-RisikoVerhältnis, das mit dem der nicht pegylierten Interferone vergleichbar ist [19, 20]. Durch die Applikation nur alle 2 Wochen kann es zu einer hohen Flexibilität im Alltag beitragen. © VERLAG PERFUSION GMBH


AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Natalizumab Der monoklonale Antikörper Natalizumab (Tysabri®) ist ein selektiver Hemmstoff für Adhäsionsmoleküle, die sich an der Oberfläche von Leukozyten befinden. Es hemmt das Einwandern von weißen Blutzellen in Entzündungsherde. Die Behandlung von MS-Patienten konnte aufgrund der nachgewiesenen Wirksamkeit von Natalizumab deutlich verbessert werden. Tysabri® kann nachgewiesenermaßen das Aufflammen der Krankheit reduzieren und das Fortschreiten von Behinderungen aufhalten [22]. In der PhaseIII-Studie AFFIRM [22] führte eine Behandlung mit Tysabri® nach 2 Jahren zu einer relativen Verringerung der jährlichen Schubrate von 68 % (p < 0,001) im Vergleich zu einer Placebobehandlung und verringerte das relative Risiko der Behinderungsprogression um 42–54 % (p < 0,001). Natalizumab wird einmal alle 4 Wochen als Infusion verabreicht [21]. Nach Marktzulassung haben bis heute weltweit etwa 140.000 Patienten mit mehr als 400.000 Patientenjahren Natalizumab erhalten [23]. Tysabri® erhöht insbesondere bei immunsuppressiv vorbehandelten oder JCV-positiven Patienten und bei Anwendung über 24 Monate hinaus das Risiko einer progressiven, multifokalen Leukenzephalopathie (PML), einer durch das JC-Virus hervorgerufenen opportunistischen Infektion des Gehirns, die zum Tode führen kann oder erhebliche Behinderungen nach sich zieht. Als weitere schwere Nebenwirkungen können allergische Reaktionen und Infektionen auftreten.

Natalizumab für Patienten mit hoher Krankheitsaktivität

Therapienaive Patienten mit hoher Krankheitsaktivität sowie Patienten mit rasch fortschreitender RRMS können bei bestehender Krankheitsaktivität und Vorliegen entsprechender Aktivitätskriterien in der Magnetresonanztomografie von einer rechtzeitigen Therapieumstellung auf den monoklonalen Antikörper Natalizumab (Tysabri®) profitieren [5, 21]. In der Zulassungsstudie AFFIRM konnte beispielsweise ein vollständiges Sistieren der klinisch und radiologisch messbaren Krankheitsaktivität gezeigt werden, wobei mehr als

fünfmal so viele Patienten, die mit Natalizumab behandelt worden waren, beide Ziele erreichten als Patienten, die ein Placebo erhalten hatten [3, 22]. Fazit

Insgesamt steht Neurologen ein breites Arzneimittelportfolio mit wirksamen und sicheren medikamentösen Optionen zur MSTherapie zur Verfügung. Dieses ermöglicht eine patientenorientierte Behandlung in unterschiedlichen Lebenssituationen und mit individuellen Therapieansprüchen. Oberstes Ziel ist die Freiheit von

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Krankheitsaktivität, die bei einem rechtzeitigen Therapiebeginn inzwischen in vielen Fällen erreicht werden kann. Eine individuell abgestimmte Behandlung trägt dabei zu einer hohen Therapietreue und somit auch zu einer langfristig guten Lebensqualität der Patienten bei. Fabian Sandner, Nürnberg

Literatur 1 Barten LJ et al. Drug Des Devel Ther 2010;24:343-366 2 h t t p : / / w w w. a w m f . o r g / u p l o a d s / t x _ szleitlinien/030-050l_S2e_Multiple_Sklerose_Diagnostik_Therapie_2014-08_verlaengert.pdf (letzter Zugriff: 8. August 2016) 3 Havrdova E et al. Lancet Neurol 2009;8: 254-262 4 Hauser SL, Oksenberg JR. Neuron 2006; 5:261-276 5 Leray E et al. Brain 2010;133:1900-1913 6 Scalfari A et al. Brain 2010;133:1914-1929 7 Prosperini L et al. Eur J Neurol 2009; 16:1202-1209 8 Derfuss T. BMC Medicine 2012;10:116 9 Rieckmann P et al. J Neurol 2013;260: 462-469 10 Patti F. Patient Prefer Adherence 2010;4: 1-9 11 Fachinformation Tecfidera®, Stand: Dezember 2015 12 Yousri T et al. EAN 2015;#P7.262 13 Bar-Or A et al. EAN 2015;#P7.234 14 Fachinformation Zinbryta®, Stand: Juli 2016 15 Pfender N, Martin R. Exp Neurol 2014; 262:44-51 16 Kappos L et al. N Engl J Med 2015;373: 1418-1428 17 Huss DJ et al. J Immunol 2014;194:84-92 18 Elkins J et al. Neurol Neuroimmunol Neuroinflamm 2015;2:e65 19 Fachinformation Plegridy®, Stand: Oktober 2015 20 Fachinformation Rebif®, Stand: Juli 2015 21 Fachinformation Tysabri®, Stand: November 2015 22 Polman CH et al. N Engl J Med 2006;354: 899-910 23 Carrillo-Infante C et al. ECTRIMS 2015; #P1.094

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astrointestinale Stromatumoren (GIST) sind seltene, bösartige Weichteilsarkome des Magen-Darm-Trakts, an denen in Deutschland jährlich rund 1.000 Menschen erkranken [1]. In etwa 90 % der Fälle ist eine konstitutive Aktivierung durch mutierte Formen der Rezeptorkinasen KIT oder PDGFRα (Platelet-Derived Growth Factor Receptor alpha) für die Entstehung von GIST verantwortlich (vgl. Insert) [2]. Während bei kleineren Tumoren gute Heilungschancen durch eine chirurgische Resektion bestehen, kann die Prognose bei inoperabler oder metastasierter Erkrankung seit einigen Jahren durch die Behandlung mit Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) günstig beeinflusst werden. Heute beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate bei auf das Organ begrenzten GIST über 90 %, sind weitere Organe oder Lymphknoten befallen, immerhin noch ca. 75 %. Im metastasierten Stadium überleben heute ca. 45–48 % der Patienten 5 Jahre [1, 3]. Glivec® – auch nach 15 Jahren das einzige für GIST zugelassene Imatinib

Seit fast 15 Jahren ist Glivec® in Deutschland das einzige für die GIST-Erstlinien-Therapie zugelassene Medikament. In dieser Zeit hat es den Verlauf der Erkrankung maßgeblich verbessert: Im Jahr 2000 betrug die mediane Überlebensdauer nach Diagnose 19 Monate [4] und erhöhte sich durch die Einführung von Glivec® um das 2,5-Fache auf 4,5 Jahre [5]. Für Patienten mit primär operablem Tumor gab es bis 2009 ausschließlich die Option der Resektion. Erst mit der Zulassung von Imatinib für die adjuvante Behandlung Erwachsener nach der Resektion c-KIT-

Gastrointestinale Stromatumoren: Patienten profitieren von der Behandlung mit Imatinib (CD117)-positiver GIST mit signifikantem Rezidivrisiko verbesserte sich die Situation erheblich. Auch für Patienten mit metastasierten und/oder nicht resezierbaren GIST gab es bis 2002 keine wirksame Therapie. Die Zulassung des TKI Imatinib ist verbunden mit einer verbesserten Prognose für die Betroffenen: Über 80 % der Patienten profitierten von der ImatinibBehandlung und in über 68 % der Fälle bildete sich der Tumor ganz oder teilweise zurück [5]. Während Glivec® als Originalprodukt in der Indikation GIST noch

bis 2021 patentgeschützt bleibt, investiert der Hersteller Novartis auch 15 Jahre nach Markteinführung weiterhin in Studien, z.B. zum adjuvanten Einsatz bei GIST. Ein zentraler Punkt dabei ist die Frage, über welchen Zeitraum GIST-Patienten mit primär operablen GIST und hohem Rezidivrisiko standardmäßig adjuvant Glivec® erhalten sollten. In diese Studie ist von deutscher Seite Privatdozent Dr. Peter Reichardt involviert. Zu seinen Erwartungen und Erfahrungen gab er im Rahmen eines Interviews Auskunft.

Ätiologie der GIST Auslöser der GIST sind in der Regel Genmutationen im KIT- oder PDGFRα-Gen. Sie entstehen fast immer sporadisch, nur selten werden sie familiär vererbt. Ursprung sind wahrscheinlich die interstitiellen Zellen von Cajal (ICC), die an der Kontrolle der gastrointestinalen Motilität beteiligt sind. Sie exprimieren das Gen c-kit, das für die Rezeptor-Tyrosinkinase KIT (CD117-Protein) kodiert. Diese wird durch die Bindung des Stammzellfaktors aktiviert, woraufhin Signale in den Zellkern gesandt werden, die zur Proliferation und Differenzierung von Stammzellen führen. Dies geschieht über eine intrazelluläre Tyrosinkinasedomäne, die für die Phosphorylierung anderer Proteine verantwortlich ist. Bei GIST wird die KIT-Kinase durch Mutationen im Gen so verändert, dass sie auch beim Fehlen des Stammzellfaktors ständig aktiv ist [3]. Dadurch werden Signaltransduktionskaskaden angeschaltet, die wichtige Funktionen wie Proliferation, Adhäsion, Apoptose und Differenzierung der Zellen steuern. Solche Mutationen sind bei ca. 85 % aller GIST nachweisbar. Weitere 5–7 % der Tumoren haben eine Mutation in der mit KIT verwandten Rezeptorkinase PDGFRα. In etwa 10 % der Fälle ist keine Mutation nachweisbar. Diese Tumoren werden als Wildtyp bezeichnet [1].

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haben inzwischen Kinder, Enkel, unter Umständen Urenkel. Das sind schon sehr eindrucksvolle Erlebnisse. Mittlerweile sind natürlich weitere gute und wichtige Wirkstoffe hinzugekommen, doch noch immer ist Imatinib der unangefochtene Standard in der Erstlinientherapie. PD Dr. Peter Reichardt, Chefarzt an der Klinik für Interdisziplinäre Onkologie und Leiter des Onkologischen Zentrums Berlin-Buch

Herr Dr. Reichardt, bald ist Glivec® 15 Jahre in der Indikation GIST zugelassen. Welche Bedeutung hatte Imatinib in der GISTTherapie zum Zeitpunkt der Einführung und welche hat es heute? Dr. Reichardt: Um die Relevanz von Imatinib bzw. Glivec® erfassen zu können, muss man wissen, dass GIST bei Patienten in einer fortgeschrittenen Erkrankungsphase vor der Verfügbarkeit von Imatinib quasi nicht behandelbar waren. GIST waren von allen Sarkomen jene, die man am allerschlechtesten, nämlich praktisch gar nicht, chemotherapeutisch behandeln konnte. Durch die Einführung von Imatinib in die Behandlung fortgeschrittener GIST wurden schon sehr früh Ansprechraten von 60–80 % berichtet. Nahezu alle Patienten hatten einen klinischen Benefit. Dadurch, dass wir als erstes Zentrum in Deutschland die ersten deutschen GIST-Patienten mit Imatinib behandelten, gibt es aus dieser frühen Phase noch immer einzelne Patienten, von denen wir wissen, dass sie statistisch gesehen ohne Glivec® inzwischen schon seit 13 oder 14 Jahren tot wären. Sie leben aber noch und

Was ist Ihr persönliches Behandlungskonzept bei GIST? Dr. Reichardt: Bei metastasierten oder lokal fortgeschrittenen GIST ist der weltweite Goldstandard 400 mg Imatinib, wobei eine kleine Gruppe der Patienten, deren GIST eine Exon-9-Mutation im c-Kit-(CD 117)-Gen aufweisen, eine höhere Dosierung benötigt [1]. Die Standardtherapie lokalisierter GIST ist hingegen im ersten Schritt die vollständige chirurgische Entfernung. Bei kleineren Tumoren, insbesondere am Magen, ist hier inzwischen die minimalinvasive Chirurgie, zum Teil im „Rendezvous“-Verfahren in Kombination mit Endoskopie, das Vorgehen der Wahl. Es ist klar belegt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls nach kompletter operativer Entfernung eines GIST durch mehrere Faktoren bedingt wird. Einer ist die Größe des Tumors. Je größer er ist, desto höher ist das Rückfallrisiko. Der zweite Faktor ist die Lokalisation, z.B. gehen GIST im Dünndarm mit einem höheren Rückfallrisiko einher als bei einem Befund im Magen. Der dritte und mit Abstand wichtigste Faktor ist die mitotische Aktivität. Was auch eine Rolle spielt, aber bislang keinen Eingang in die Rückfallrisikoklassifikationen gefunden hat, ist der Nachweis relevanter Mutationen. Eine Mutationsanalyse sollte im Vorfeld einer Entscheidung für

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oder gegen eine adjuvante Therapie erfolgen. Das ist eine Therapie, die im Anschluss an die vollständige operative Entfernung eines Tumors verabreicht wird. Und die Mutationsanalyse ist auch relevant hinsichtlich der richtigen Medikamentendosierung. Ein nicht universeller, aber doch mehrheitsfähiger Konsens besteht z.B. in der Empfehlung, Imatinib auch in der adjuvanten Therapie bei einer c-Kit-Exon9-Mutation in einer Dosierung von 800 mg einzusetzen. Wie lange sollten GIST-Patienten mit primär operablen GIST standardmäßig Glivec® erhalten? Dr. Reichardt: Derzeit ist eine dreijährige Behandlung mit Imatinib der weltweit empfohlene Standard. Dies besagen nicht zuletzt auch die aktuellen Leitlinien der European Society for Medical Oncology (ESMO) [6]. Die Empfehlung gilt für Patienten mit einem nach Operation signifikanten Rückfallrisiko. Für diese Patienten belegt eine skandinavisch-deutsche Studie, von der Anfang des Jahres nochmals Langzeit-Follow-up-Daten publiziert wurden, dass eine dreijährige Therapie der einjährigen Therapie signifikant überlegen ist [7, 8]. Ob eine mehr als dreijährige Behandlungsdauer gegebenenfalls noch besser wäre, ist durchaus eine vertretbare Annahme, die aber der Überprüfung in klinischen Studien bedarf. Hierzu laufen derzeit in Europa zwei randomisierte Studien, wobei bei eine nicht zur Stunde null begonnen wird, sondern Patienten eingeschlossen werden, die bereits 3 Jahre mit Imatinib

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vorbehandelt wurden. Für die Studie erhalten die Patienten nach Einschluss weitere 2 Jahre die Behandlung oder werden als Kontrollgruppe weitergeführt. Die Studie wird demnächst auch in Deutschland eröffnet. Welche Rolle spielen die Patienten für den Therapieerfolg mit Glivec®? Dr. Reichardt: Der Behandlungserfolg mit Imatinib sowohl bei fortgeschrittenen GIST als auch in der adjuvanten Indikation hängt natürlich von uns Ärzten, aber auch den Patienten ab. Von ärztlicher Seite ist neben der adäquaten Therapieauswahl entscheidend, dass man die Patienten sorgfältig aufklärt über die Erkrankung GIST, die damit einhergehenden Risiken und was passiert, wenn man nicht behandelt. Das ist wichtig, damit die Patienten verstehen, dass es sich hier um eine Dauertherapie handelt, die nur wirkt, wenn die Tabletten regelmäßig eingenommen werden. Man muss auch über mögliche Nebenwirkungen aufklären. Und darüber hinaus, was Patienten selber tun können, um Nebenwirkungen abzumildern oder möglicherweise ganz zum

Verschwinden zu bringen. Grundsätzlich gilt, dass Imatinib eine sehr gut verträgliche Therapie darstellt, zumindest in der Standarddosierung von 400 mg. Die Doppeldosierung 800 mg führt meist zu ausgeprägteren Nebenwirkungen. Es hat sich aber gezeigt, dass die Verträglichkeit durch eine schrittweise Gewöhnung besser ist, als wenn man direkt von Tag eins mit 800 mg einsteigt. Dann weise ich Patienten im Gespräch auch durchaus auf die Aktivitäten von Patientenorganisationen bzw. Selbsthilfegruppen hin. Diese verrichten wichtige Aufklärungsarbeit, was für die Compliance wiederum sehr förderlich sein kann. Ende 2016 läuft das Patent für Glivec® weitgehend aus, die Indikation GIST bleibt aber patentgeschützt. Inwieweit sehen Sie hier eine Herausforderung für Ärzte und Patienten? Dr. Reichardt: Wir haben mit dem Medikament Glivec®, was den Patentschutz angeht, eine sehr spezielle Situation: Zum Jahresende läuft der Patentschutz teilweise aus, bleibt für die Indikation GIST jedoch bestehen. Was die Patienten betrifft, so können wir sicherlich davon ausgehen, dass Patienten

überwiegend ihr gewohntes Medikament, mit dem sie vielleicht seit 10 oder mehr Jahren anhaltend gut leben, weiter bekommen wollen. Auch wird es so sein, dass sich die Information zur Erkrankung GIST logischerweise nur im Beipackzettel des als einzigem zugelassenem Originalpräparates wiederfinden wird, denn Generika werden aufgrund des Patentschutzes keine Zulassung für GIST haben. Trotz dieser speziellen Patentsituation ändert sich für die GIST-Patienten aber im Prinzip nichts: Die Standardtherapie für Patienten mit GIST bleibt, wenn man Imatinib verwendet, weiterhin Glivec®. Das ist nicht nur für Ärzte und Patienten eine wichtige Information, sondern auch für Apotheker, denn sie sind es ja, die das Präparat an die Patienten ausgeben. Unklarheiten können hier für GIST-Patienten umgangen werden, wenn vom Arzt explizit Glivec® rezeptiert wird, nicht der Wirkstoff Imatinib. Herr Dr. Reichardt, wir danken Ihnen für das informative Gespräch. Fabian Sandner, Nürnberg

Literatur 1 Reichardt P, Schütte J. Leitlinie Gastrointestinale Stromatumore (GIST) der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), Stand Juni 2011. https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/ guidelines/gastrointestinale-stromatumore-gist/@@view/html/index.html 2 Gounder MM, Maki RG. Molecular basis for primary and secondary tyrosine kinase inhibitor resistance in gastrointestinal stromal tumor. Cancer Chemother Pharmacol 2011;67 (Suppl 1):S25-S43 3 American Cancer Society. Gastrointestinal Stromal Tumor (GIST). 2012. http://www.

cancer.org/acs/groups/cid/documents/webcontent/003103-pdf. 4 DeMatteo RP, Lewis JJ, Leung D et al. Two hundred gastrointestinal stromal tumors: recurrence patterns and prognostic factors for survival. Ann Surg 2000; 231:51-58 5 Blanke C, Demetri G, Mehren M et al. Long-term results from a randomised phase II trial of standard versus higher dose imatinib mesylate for patients with unresectable or metastatic gastrointestinal stromal tumours expressing KIT. J Clin Oncol 2008;26:620-625

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6 The ESMO/European Sarcoma Network Working Group. Gastrointestinal stromal tumors: ESMO clinical practice guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2014;25 (Suppl 3):iii21-iii26 7 Joensuu H, Eriksson M, Sundby Hall K et al. One vs three years of adjuvant imatinib for operable gastrointestinal stromal tumor. A randomized trial. J Am Med Ass 2012;307:1265-1272 8 Joensuu H, Eriksson M, Sundby Hall K et al. Adjuvant imatinib for high-risk GI stromal tumor: analysis of a randomized trial. J Am Med Ass 2016;34:244-250

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Therapie der PhiladelphiaChromosom-positiven akuten lymphatischen Leukämie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren

ie akute lymphatische Leukämie (ALL) ist durch die unkontrollierte Proliferation früher lymphatischer Vorläuferzellen im Knochenmark charakterisiert, deren Ausreifung auf einer bestimmten Differenzierungsebene blockiert ist. Mehr als 60 % der erwachsenen ALL-Patienten zeigen zytogenetische Aberrationen, die häufig charakteristisch für bestimmte phänotypische und klinische Ausprägungen sind und zum Teil eine prognostische Bedeutung haben. Sie geben außerdem Hinweise auf Gene, die in Zusammenhang mit der Pathogenese der Erkrankung stehen [1].

erreichen unter der Initialtherapie mit einem TKI der ersten oder zweiten Generation, zum Teil mit Chemotherapie, eine hämatologische Komplettremission [2].

Fusionsprotein als Target für Tyrosinkinase-Inhibitoren

Therapieresistenzen aufgrund von Mutationen

Bei etwa 25 % aller erwachsenen ALL-Patienten liegt eine Translokation zwischen den Chromosomen 9 und 22 vor, wobei die Bruchstellen im Bereich des ABL- (auf Chromosom 9) bzw. BCR-Gens (auf Chromosom 11) liegen. Ergebnis ist ein verkürztes Chromosom 22, das sog. Philadelphia-Chromosom. Es enthält das neu entstandene BCR-ABLFusionsgen, das den Bauplan für eine abnorme Tyrosinkinase bein­ haltet, die dauerhaft aktiviert ist und das unkontrollierte maligne Zellwachstum antreibt [1]. Mit Entwicklung der Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) steht eine zielgerichtete Therapie für die Philadelphia-Chromosom-positive akute lymphatische Leukämie (Ph+ ALL) zur Verfügung, die die Prognose der Patienten erheblich verbessert: Durch den Einsatz von TKI ist die Überlebensrate von zuvor nur 10–20 % auf heute über 50 % deutlich gestiegen. Etwa 90 % der Patienten mit Ph+ ALL

Trotz des initial guten Therapieansprechens rezidivieren 45–75 % dieser Patienten und haben dann eine deutlich schlechtere Prognose [3–6]. Für das Therapieversagen unter der Erstlinientherapie sind in vielen Fällen Mutationen in der Kinasedomäne des krebsauslösenden BCR-ABL-Fusionsgens verantwortlich, häufig die Punktmutation T315I [4, 7]. In diesen Fällen erweitert Ponatinib (Iclusig®), ein pan-BCR-ABL-Inhibitor der dritten Generation, die bislang zur Verfügung stehenden Therapieoptionen [8]. Ponatinib überzeugt im Rezidiv

Als einziger der derzeit zugelassenen TKI hemmt Ponatinib die multiresistente T315I-Mutation sowie auch sämtliche weiteren klinisch relevanten Einzelmutationen der BCR-ABL-Kinase [8]. In der Phase-II-Studie PACE, der Zulassungsstudie für Ponatinib bei

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rezidivierter oder refraktärer chronischer myeloischer Leukämie (CML) und Ph+ ALL, zeigte Ponatinib bei den eingeschlossenen 32 stark vorbehandelten Ph+ ALLPatienten (81 % ≥2 TKI, 41 % ≥3 TKI, 28 % nach allogener Transplantation, 88 % mit Resistenzmutation) gute Ansprechraten: 41 % der Patienten erreichten innerhalb der ersten 6 Monate eine hämatologische Remission (MaHR), 47 % eine gute zytogenetische Remission (MCyR), 38 % eine komplette zytogenetische Remission (CCyR) und 10 % eine tiefe molekulare Remission (CMR) [9]. Den relativ hohen Ansprechraten unter Ponatinib steht bei Einsatz in späteren Therapielinien aber nur eine oftmals begrenzte Remissionsdauer gegenüber, was durch das Auftreten von weiteren Mutationen im bereits mutierten BCR-ABL-Gen und dadurch entstehende sogenannte „CompoundMutationen“ verursacht sein könnte. Es wird vermutet, dass „Compound-Mutationen“ sowie andere Resistenzmechanismen im Verlauf der Erkrankung rasch akkumulieren. Die im Behandlungsverlauf entstehenden mehrfach mutierten Subklone stellen daher in der klinischen Praxis ein erhebliches Problem dar, denn sie sind mit TKI kaum mehr inhibierbar [10, 11, 12]. © VERLAG PERFUSION GMBH


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Erste Daten zur Initialtherapie mit Ponatinib

Aufgrund der guten Wirksamkeit von Ponatinib gegen klinisch relevante BCR-ABL-Mutationen sowie der bestehenden Resistenzproblematik in späteren Therapielinien wird gegenwärtig in Studien geprüft, ob sich Ponatinib auch für den derzeit nicht zugelassenen Einsatz in frühen Therapielinien der Ph+ ALL eignet. So untersuchte die Arbeitsgruppe von Jabbour et al. Ponatinib in Kombination mit dem hyperCVAD-Regime in einer Phase-II-Studie mit 37 unbehandelten Patienten: Alle Patienten (100 %) erreichten eine komplette hämatologische Remission (CHR) sowie CCyR, 95 % eine gute molekulare Remission (MMR) und 78 % eine CMR bei einer Nachbeobachtungszeit von im Median 3 Jahren. Das Gesamtüberleben lag nach 3 Jahren bei 82 % [13]. Diese Ergebnisse wurden mittels Propensity-Score-Analyse mit jenen von Dasatinib plus hyperCVAD-Regime verglichen, um zu prüfen, welcher TKI sich in der Initialtherapie besser als Kombinationspartner für die Chemotherapie eignen würde. Ponatinib war Dasatinib überlegen, denn es zeigte ein signifikant verlängertes ereignisfreies 3-Jahres-Überleben (73 % vs. 50 %; p = 0,035) und 3-JahresGesamtüberleben (83 % vs. 60 %; p = 0,041) [14]. Ob Ponatinib bereits in frühen Therapielinien eingesetzt werden soll, kann aber nur eine prospektive Vergleichsstudie beantworten. Außerdem müssen aufgetretene und potenzielle Toxizitäten bei der Kombination von Ponatinib mit einer intensiven Chemotherapie beachtet werden.

Ponatinib Ponatinib (Iclusig®) ist ein hochwirksamer pan-BCR-ABL-Inhibitor mit strukturellen Besonderheiten, wie z.B. einer Kohlenstoff-Kohlenstoff-Dreifachbindung, die eine hochaffine Bindung an natives BCR-ABL und Mutationsformen der ABL-Kinase ermöglicht [20]. Ponatinib hemmt die Tyrosinkinase-Aktivitäten von ABL und T315I-mutiertem ABL mit IC50-Werten von 0,4 nM bzw. 2,0 nM. In Zellassays konnte Ponatinib die durch Mutationen der BCR-ABLKinasedomäne vermittelte Imatinib-, Dasatinib- und Nilotinib-Resistenz überwinden. In präklinischen Mutagenitätsstudien wurden 40 nM als die Ponatinib-Konzentration ermittelt, die ausreicht, um die Lebensfähigkeit derjenigen Zellen um >50 % zu hemmen, die sämtliche getesteten BCR-ABL-Mutationen (einschließlich T315I) exprimierten, und auch, um die Entwicklung von Mutantenklonen zu supprimieren [20, 21]. Ponatinib hemmt die Aktivität weiterer klinisch relevanter Kinasen mit IC50-Werten <20 nM und zeigt nachweislich eine zelluläre Aktivität gegen RET, FLT3 und KIT sowie Mitglieder der FGFR-, PDGFRund VEGFR-Kinasefamilien [22].

Dosisanpassung unter Ponatinib

Im Follow-up der PACE-Studie lag das 2-Jahres-Gesamtüberleben für Ph+ ALL-Patienten bei 18 % [15]. Zu den häufigsten Nebenwirkungen Grad 3 oder 4 zählten bei den Ph+ ALL-Patienten Neutropenie (22 %) sowie Thrombozytopenie und Anämie (je 19 %), bei 16 % der Patienten traten vaskuläre Verschlussereignisse auf [16]. In einer Post-hoc-Analyse der PACE-Studie wurde eine deutliche Korrelation zwischen den unter Ponatinib beobachteten vaskulären Verschluss­ereignissen und der verabreichten Dosis gefunden [17]. Eine Verringerung der klinischen Dosis könnte somit mit einer Risikoreduktion bezüglich des Auftretens von vaskulären Verschlussereignissen einhergehen. Eine Dosisanpassung unter Ponatinib erwies sich auch in der von Jabbour et al. durchgeführten Studie zur Kombination von Ponatinib und hyperCVAD-Regime [13] als erfolgreich: Im Verlauf der Stu-

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die wurde aufgrund auftretender vaskulärer Ereignisse die vorher einheitlich verabreichte PonatinibDosis von 45 mg/Tag nur noch in den ersten 14 Tagen des ersten von 8 Behandlungszyklen gegeben, die Dosis wurde ab dem zweiten Zyklus auf 30 mg/Tag und nach Erreichen der CMR auf 15 mg/Tag reduziert. Den Autoren zufolge sind nach der Dosisanpassung keine vaskulären Verschlussereignisse mehr aufgetreten [13, 14, 15]. Die Post-Hoc-Analyse der PACEStudie zeigte ebenfalls, dass nahezu bei allen CMLPatienten unter Ponatinib das einmal erreichte Remissionsziel auch nach einer Dosisreduktion aufrechterhalten wird [21]. Allerdings reichen die verfügbaren Daten noch nicht aus, um offizielle Empfehlungen zur Dosisreduktion zu geben. Auch für Patienten mit Ph+ ALL gibt es derzeit noch keine ausreichende Datenlage, um eine Dosisreduktion zu empfehlen, wenn keine unerwünschten Ereignisse vorliegen. Elisabeth Wilhelmi, München © VERLAG PERFUSION GMBH


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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Literatur 1 Gökbuget N et al. Onkopedia-Leitlinie Akute Lymphatische Leukämie (ALL), Stand Februar 2012. https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/akutelymphatische-leukaemieall/@@view/html/ index.html 2 Gökbuget N. Aktuelle Therapie der akuten lymphatischen Leukämie des Erwachsenen. Internist 2015;56:344-353 3 Malagola M, Papayannidis C, Baccarani M. Tyrosine kinase inhibitors in Ph+ acute lymphoblastic leukaemia: facts and perspectives. Ann Hematol 2016;95:681-693 4 Rousselot P, Coudé MM, Gokbuget N et al. Dasatinib and low-intensity chemotherapy in elderly patients with Philadelphia chromosome-positive ALL. Blood 2016; 128:774-782 5 Ottmann OG, Wassmann B, Pfeifer H et al. Imatinib compared with chemotherapy as front-line treatment of elderly patients with Philadelphia chromosome-positive acute lymphoblastic leukemia (Ph+ALL). Cancer 2007;109:2068-2976 6 Bassan R, Rossi G, Pogliani EM et al. Chemotherapy-phased imatinib pulses improve long-term outcome of adult patients with Philadelphia chromosome-positive acute lymphoblastic leukemia: Northern Italy Leukemia Group protocol 09/00.J Clin Oncol 2010;28:3644-3652 7 Daver N, Thomas D, Ravandi F et al. Final report of a phase II study of imatinib mesylate with hyper-CVAD for the front-line treatment of adult patients with Philadelphia chromosome-positive acute lymphoblastic leukemia. Haematologica 2015; 100:653-661 8 Fachinformation Iclusig®, Stand August 2016 9 Cortes JE, Kim DW, Pinilla-Ibarz J et al. A phase 2 trial of ponatinib in Philadelphia chromosome-positive leukemias. N Engl J Med 2013;369:1783-1796 10 Zabriskie MS, Eide CA, Tantravahi SK et al. BCR-ABL1 compound mutations combining key kinase domain positions confer clinical resistance to ponatinib in Ph chromosome-positive leukemia. Cancer Cell 2014;26:428-442 11 Shah NP, Skaggs BJ, Branford S et al. Sequential ABL kinase inhibitor therapy selects for compound drug-resistant BCRABL mutations with altered oncogenic potency. J Clin Invest 2007;117:2562-2569 12 Parker WT, Yeung DT, Yeoman AL et al. The impact of multiple low-level BCRABL1 mutations on response to ponatinib. Blood 2016;127:1870-1880 13 Jabbour E et al. Combination of hyperCVAD with ponatinib as first-line therapy for patients with Philadelphia chromosome-positive acute lymphoblastic leukaemia: a single-centre, phase 2 study. Lancet Oncol 2015;16:1547-1555 14 Sasaki K, Kantarjian HM, Ravandi F et al. Propensity score analysis: Frontline therapy with hyper-CVAD (HCVAD) + ponatinib vs. HCVAD + dasatinib in patients

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Jetzt Pate werden: sos-kinderdorf.de with Philadelphia chromosome-positive (Ph+) acute lymphoblastic leukemia. J Clin Oncol 2016;34 (Suppl):abstr #7025 15 Kantarjian HM, Kim DW, Pinilla-Ibarz J et al. Ponatinib in patients with Philadelphia chromosome-positive (Ph+) leukemias resistant or intolerant to dasatinib or nilotinib, or with the T315I mutation: longerterm follow up of the PACE trial. J Clin Oncol 2014;32 (Suppl):abstr #7081 16 Dorer DJ, Knickerbocker RK, Baccarani M et al. Impact of dose intensity of ponatinib on selected adverse events: Multivariate analyses from a pooled population of clinical trial patients. Leuk Res 2016;48:84-91 17 Sasaki K, Kantarjian HM, Ravandi F et al. Updated results from phase II study of combination of hyper-CVAD (HCVAD) with ponatinib in frontline therapy of patients with Philadelphia chromosome-positive (Ph+) acute lymphoblastic leukemia (ALL). J Clin Oncol 2016;34 (Suppl):abstr #7036 18 Sasaki K, O’Brien S, Ravandi F et al. Frontline hyper-CVAD with ponatinib for

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patients with Philadelphia chromosome positive acute lymphoblastic leukemia: results of a phase II study. Blood 2015; 126:abstract #2496 19 Cortes JE et al. Ponatinib in patients with chronic myeloid leukemia (CML) and Philadelphia chromosome-positive acute lymphoblastic leukemia (Ph+ ALL) resistant or intolerant to dasatinib or nilotinib, or with the T315I BCR-ABL mutation: 2-year follow-up of the PACE trial. Blood 2013;122:abstr #650 20 Zhou T et al. Structural mechanism of the Pan-BCR-ABL inhibitor ponatinib (AP24534): lessons for overcoming kinase inhibitor resistance. Chem Biol Drug Des 2011;77:1-11 21 O’Hare et al. AP24534, a pan-BCR-ABL inhibitor for chronic myeloid leukemia, potently inhibits the T315I mutant and overcomes mutation-based resistance. Cancer Cell 2009;16:401-12 22 Cortes JE, Kantarjian H, Shah NP et al. Ponatinib in refractory Philadelphia chromosome-positive leukemias. N Engl J Med 2012;367:2075-2088

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

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r. Jens-Uwe Röhnisch ist stellvertretender Chefarzt und Leiter des Fachbereichs Kardiologie und kardiologische Funktionsdiagnostik am VivantesKlinikum Kaulsdorf in Berlin. Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern (nvVHF) sehen er und seine Kollegen täglich. Am Beispiel einer 72-jährigen Patientin schildert er die wesentlichen Schritte von der Diagnose bis zur risikoadaptierten Einleitung einer oralen Antikoagulation. Ein Notfall

Die Patientin wurde frühmorgens mit Dyspnoe und starken Palpitationen in die Rettungsstelle des Klinikums eingeliefert. Sie hatte die Beschwerden bereits seit mehreren Tagen, zuletzt stark zunehmend. Der Arzt stellte einen Blutdruck von 119/78 mmHg sowie einen unregelmäßigen Ruhepuls mit einer Frequenz von 120–140 Schlägen/ min fest. „Bei der Patientin waren die Beschwerden massiv und deuteten bereits auf eine Rhythmusstörung hin“, kommentiert Röhnisch. „Besteht der Verdacht auf Vorhofflimmern, schließt sich ein EKG an, das in diesem Fall die Diagnose VHF bestätigte. Ein VHF muss aber nicht symptomatisch sein, manche Patienten merken nichts davon.“ Befunde und Nebendiagnosen

Das Thoraxröntgenbild stellte ein vergrößertes Herz und eine Lungenstauung dar, die wahrscheinlich als Folge der Tachyarrhythmie entstanden war. Das Echokardiogramm zeigte – bei intakter linksventrikulärer Pumpfunktion – eine linksventrikuläre Hypertrophie,

„An dieser Patientin ist alles typisch!“ Kasuistik zur Schlaganfallprävention bei nicht valvulärem Vorhofflimmern vergrößerte Vorhöfe und eine sekundäre Mitralklappeninsuffizienz. Weitere Nebendiagnosen waren eine arterielle Hypertonie und ein Diabetes mellitus Typ 2 mit Nephropathie, weshalb die Patientin bereits Amlodipin plus Val­ sartan sowie eine konventionelle Therapie mit Mischinsulin erhielt. Laborparameter mit außerhalb der Norm liegenden Werten waren Kreatinin 1,4 mg/dl, glomeruläre Filtrationsrate 41 ml/min, Blutzucker 160 mg/dl (8,9 mmol/l), hochsensitives Troponin T (75 ng/l). Alle weiteren Laborparameter lagen im Normbereich. Die Patientin hatte zusätzlich zum nvVHF weitere Risikofaktoren für einen Schlaganfall: weibliches Geschlecht, hohes Alter, Hypertonie und Diabetes mellitus [1]. „Wegen der erhöhten Konzentration für das hochsensitive Troponin T bestand zudem der Verdacht auf einen Infarkt“, berichtet Röhnisch. Dies konnte durch eine Koronarangiografie ausgeräumt werden. Die Schlaganfall-Prophylaxe

Im Rahmen der individuellen Risikoabschätzung ergab sich für die Patientin ein CHA2DS2-VASc-

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Score von 4 [1]. Sie wurde auf Rivaroxaban (Xarelto®) einmal täglich 15 mg eingestellt, die erste Gabe erfolgte 12 Stunden nach der Enoxaparin-Injektion. Mit einem Score von 4 hatte die Patientin ein hohes Schlaganfallrisiko, eine orale Antikoagulation ist laut den geltenden ESC Leitlinien bei Frauen bereits ab einem Score von 3 indiziert und sollte bei einem Score von 2 in Erwägung gezogen werden (außer bei dem einzigen Risikofaktor weibliches Geschlecht) [1]. „Ersteinstellungen erfolgen bei uns immer mit neuen oralen Antikoagulanzien“, sagt Röhnisch und ergänzt: „Sie haben einen vorhersagbaren Effekt, sodass kein routinemäßiges Gerinnungsmonitoring erforderlich ist, einen schnellen Wirkeintritt und sind einfacher zu handhaben als Vitamin-K-Antagonisten. Der entscheidende Vorteil ist aber das geringere Risiko für intrazerebrale Blutungen.“ [2] Die geringfügige Nierenfunktionsstörung ist bezogen auf Rivaroxaban keine Kontraindikation. Eine Subgruppenanalyse der ROCKETAF-Studie bestätigte, dass Patienten mit moderater Niereninsuffizienz bei entsprechend angepasster Dosierung (von 15 mg) ebenso von © VERLAG PERFUSION GMBH


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einer Therapie mit Rivaroxaban profitierten wie das Gesamtkollektiv [3]. Die Kardioversion

Aufgrund des fortbestehenden symptomatischen nvVHF beschlossen die Ärzte, die Patientin zu kardiovertieren. In der vorangestellten transösophagalen Echokardiografie (TEE) zeigte sich kein Thrombus, sodass die Maßnahme durchgeführt werden konnte. Bei VHF-Episoden unter einer Dauer von 48 Stunden und bereits begonnener Antikoagulation ist eine sofortige Kardioversion möglich. [1]. Dieser Zeitraum war im vorliegenden Fall jedoch überschritten. Alternativen sind eine drei- bis vierwöchige Antikoagulation vor der Kardioversion oder eine sofortige Kardioversion mit vorherigem Thrombenausschluss in der TEE [1]. „Aufgrund der subjektiven Belastung durch das VHF bei der Patienten entschieden wir uns für die zweite Alternative“, erläutert Röhnisch. Der Nutzen von Rivaroxaban bei diesem Vorgehen wurde in der X-VeRT-Studie [4] bei Patienten mit nvVHF und elektrischer oder pharmakologischer Kardioversion gezeigt. Rivaroxaban ist derzeit das einzige neue, bzw. nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulans (NOAK) mit spezifischer Anwendungsempfehlung für die frühzeitige und die verzögerte Kardioversion [5]. Die Patientenführung

Die Antikoagulation sollte nach der Kardioversion für mindestens 4 Wochen fortgeführt werden, bei Hochrisikokonstellationen, wie bei

der beschriebenen Patientin, oder aber ab einem CHA2DS2-VAScScore von 2 langfristig [1]. Die Patienten müssen über die Langzeitprophylaxe mit Antikoagulantien entsprechend aufgeklärt werden. „In erster Linie ist es wichtig, das Schlaganfallrisiko durch nvVHF deutlich zu kommunizieren“, betont Röhnisch. „Die Patienten müssen wissen, dass sie das Schlaganfallrisiko mit einer Antikoagulation deutlich senken können und der Nutzen der Therapie das Risiko von Blutungen meist überwiegt.“ Auch Patienten mit einem Blutungsrisiko, gemessen anhand des HAS-BLED-Scores, sollten antikoaguliert werden. Bei einem HAS-BLED-Score von >3 sind Blutungsrisiken besonders zu beachten und potenziell reversible Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie zu behandeln. Wichtig sind auch die Adhärenz und Persistenz fördernde Maßnahmen in Bezug auf die Antikoagulation, denn nur wer seine Medikation einnimmt, ist auch geschützt. Im Falle der hier vorgestellten Patientin war zudem die Nierenfunktionsstörung bedeutsam. „Sie sollte auf eine ausreichende Trinkmenge achten und die Kreatinin-Clearance regelmäßig beim Hausarzt kontrollieren lassen, insbesondere wenn akute Erkrankungen hinzukommen“, empfiehlt Röhnisch. Fazit

„An Kasuistiken wie dieser ist nahezu alles typisch“, resümiert Röhnisch. „Vom nvVHF, der bei älteren Menschen häufigsten Herzrhythmusstörung, über die Symptome Dyspnoe und Herzstolpern, bis hin zu den Komorbiditäten.

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Fürs erste war die Kardioversion erfolgreich, ein VHF-Rezidiv ist jedoch nicht unwahrscheinlich. Bei einem VHF-Rezidiv und daher bedingtem Leidensdruck bei der Patientin wäre eine medikamentöse Therapie denkbar, bei ansonsten guter Herzfunktion kann man auch eine Pulmonalvenenisolation per Katheterablation anstreben und so kausal behandeln.“ Elisabeth Wilhelmi, München

Literatur 1 Kirchhof P, Benussi S, Kotecha D et al. 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation developed in collaboration with EACTS. Eur Heart J 2016; 37:2893-2962 2 Ruff CT, Giugliano RP, Braunwald E et al. Comparison of the efficacy and safety of new oral anticoagulants with warfarin in patients with atrial fibrillation: a metaanalysis of randomised trials. Lancet 2014;383:955-962 3 Fox KA, Piccini JP, Wojdyla D et al. Prevention of stroke and systemic embolism with rivaroxaban compared with warfarin in patients with non-valvular atrial fibrillation and moderate renal impairment. Eur Heart J 2011;32:2387-2394 4 Cappato R, Ezekowitz MD, Klein AL et al. Rivaroxaban vs. vitamin K antagonists for cardioversion in atrial fibrillation. Eur Heart J 2014;35:3346-3355 5 Fachinformation Xarelto® 15  mg/20  mg, Stand: September 2016

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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

1,8-Cineol reduziert direkt die Schleimproduktion

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ntzündliche Atemwegserkrankungen wie Bronchitis, Rhinosinusitis, Asthma bronchiale oder chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD) sind durch eine erhöhte Schleimbildung gekennzeichnet. Die Hypersekretion von Mukus stellt eine unspezifische Abwehrreaktion der Atemwege auf verschiedenste Noxen dar. Das Sekret wird von Becherzellen gebildet, die sich intraepithelial zwischen den normalen Zellen des respiratorischen Flimmerepithels befinden, und auf dem Epithel abgelagert. Dort bildet es einen idealen Nährboden für Bakterien. Sekretolytika sind daher eine wichtige Therapiesäule bei entzündlichen Atemwegserkrankungen, um bakteriellen Sekundärinfektionen vorzubeugen. Für den reinen Naturstoff 1,8-Cineol (nur in Soledum® in Reinform als Monosubstanz enthalten) sind ausgeprägte entzündungshemmende und schleimlösende Wirkungen belegt. Erstmals konnte nun

gezeigt werden, dass 1,8-Cineol auch direkt die Schleimproduktion reduziert [1]. 1,8-Cineol – bewährt bei entzündlichen oberen und unteren Atemwegserkrankungen

Das Monoterpen 1,8-Cineol, der wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoff des Eucalyptusöls, hat sich in klinischen Studien und im Praxisalltag in der Behandlung von entzündlichen Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege bewährt. Randomisierte placebokontrollierte Studien zeigen, dass die Behandlung mit 100 % reinem Cineol (Soledum® Kapseln forte) die Symptome bei akuter Bronchitis und akuter Sinusitis bereits nach wenigen Behandlungstagen klinisch relevant und statistisch signifikant bessert [2, 3, 4]. Vielfältige Effekte wurden bisher nachgewiesen: So wirkt 1,8-Cineol durch seine antiinflammatorischen

Eigenschaften der Entzündung in den Atemwegen entgegen und verhindert durch seine sekretolytischen Wirkungen, dass sich in den Atemwegen Sekret festsetzt. Darüber hinaus erhöht Cineol die Schlagfrequenz der Zilien des respiratorischen Epithels, sodass das von den Becherzellen produzierte Sekret besser abtransportiert werden kann. In vitro wurden zudem direkte antimikrobielle Effekte belegt. Erstmals konnte nun gezeigt werden, dass 1,8-Cineol auch direkt die Schleimproduktion reduziert. Neu entdeckter zusätzlicher Wirkmechanismus

Mithilfe einer speziellen Technik gelang es, humane Nasenschleimhaut unter vollständigem Erhalt der epithelialen Integrität zu kultivieren, mit intakter zilientragender Oberfläche und mukusgefüllten Becherzellen. Mithilfe von Lipo-

Abbildung 1: In einem innovativen Ex-vivo-Modell kultivierter Nasenschleimhaut reduzierte 1,8-Cineol nach experimentell induzierter Rhinosinusitis signifikant die Anzahl der schleimproduzierenden Becherzellen. A: Schnitt durch die normale, Alcian-Blau-gefärbte Nasenschleimhaut mit nur wenigen schleimgefüllten Becherzellen (Pfeil). B: Durch Behandlung mit Lipopolysacchariden (LPS) in der Nasenschleimhaut induzierte Rhinosinusitis mit typischen Entzündungszeichen und einer Zunahme der schleimproduzierenden Becherzellen. C: Bei gleichzeitiger Gabe von LPS und 1,8-Cinneol zeigten sich signifikant weniger mukusgefüllte Becherzellen. D: Ergebnis der quantitativen Auswertung der mit LPS bzw. LPS plus 1,8-Cinneol behandelten Zellkulturen von 4 Donoren (*p < 0,05, **p < 0,01, ns = nicht signifikant) [1]. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 5/2016 · 25. JAHRGANG

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polysacchariden (LPS) wurde in dem Gewebe der Zustand einer Rhinosinusitis induziert, mit typischen Entzündungszeichen und einer Zunahme der Anzahl der schleimproduzierenden Becherzellen. Anschließend wurde 1,8-Cineol auf die kultivierte nasale Schleimhaut aufgebracht und der Effekt in dünnen Schnittpräparaten untersucht. Das Ergebnis: Die Anzahl der schleimgefüllten Becherzellen nahm signifikant ab (Abb. 1). Auf molekulargenetischer Ebene zeigte sich eine signifikante Reduktion der Expression von Genen, die für die strukturgebenden Bestandteile des Schleims kodieren (MucinGene). Damit einhergehend zeigte sich eine signifikant reduzierte Aktivität des Nuklearfaktors NK-kappaB. Dieser Komplex von Transkriptionsfaktoren ist für die Übermittlung einer Vielzahl von Signalen wie Zytokinen, Wachstumsfaktoren und Hormonen verantwortlich. Anzunehmen ist, dass die durch 1,8-Cineol signifikant reduzierte NF-kappaB-Aktivität zur reduzierten Expression der MucinGene führte. Fabian Sandner, Nürnberg Literatur 1 Sudhoff H, Klenke C, Greiner JFW et al. 1,8-Cineol reduces mucus production in a novel human ex vivo model of late rhinosinusitis. PLOS one 2015. DOI:10.1371/ journal.pone.0133040 2 Kehrl W, Sonnemann U, Dethlefsen U. Therapy for acute non purulent rhinosinusitis with cineole: results of a double-blind, randomized, placebo-controlled trial. Laryngoscope 2004;114:738-742 3 Juergens UR, Dethlefsen U, Steinkamp G et al. Anti-inflammatory activity of 1.8-cineol (eucalyptol) in bronchial asthma: a double-blind placebo-controlled trial. Respir Med 2003;97:250-256 4 Worth H, Schacher C, Dethlefsen U. Concomitant therapy with cineole (eucalyptole) reduces exacerbations in COPD: a placebo-controlled double-blind trial. Respir Res 2009;10:69-69

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Metastasiertes kolorektales Karzinom: Chance auf mehr Lebenszeit mit Trifluridin/Tipiracil

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ür intensiv vorbehandelte Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom (mCRC), bei denen alle bisher verfügbaren Therapieoptionen ausgeschöpft wurden, steht seit Kurzem mit Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®) ein neues orales Zytostatikum zur Verfügung. Diese neue Therapielinie gibt diesen Patienten die Chance auf mehr Lebenszeit und Lebensqualität. In der zulassungsrelevanten RECOURSE-Studie hatte Lonsurf® nicht nur das Gesamtüberleben verlängert und das Sterberisiko im Vergleich zu Placebo um 32 % reduziert (jeweils in Kombination mit „Best Supportive Care“, BSC), sondern sich auch als eine sehr gut verträgliche Therapie erwiesen, mit der Lebensqualität und Allgemeinzustand der intensiv vorbehandelten Patienten lange erhalten werden konnten [1]. Continuum of care bei mCRC-Patienten

Die in Phase-II/III-Studien erzielten Überlebenszeiten von Patienten mit mCRC haben sich in den letzten 15 Jahren deutlich verbessert. So können mit Chemotherapien wie FOLFIRI, FOLFOX oder FOLFOXIRI in Kombination mit EGFR- oder VEGF-Antikörpern mediane Gesamtüberlebenszeiten um die 30 Monate erzielt werden.

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Diese Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit ist multifaktoriell. Sie ist – neben Maßnahmen wie dem multi-disziplinärem Tumorboard für jeden einzelnen Patienten – dem „Continuum of Care“, der Anwendung verschiedener zytostatischer und molekularbiologisch gezielter Therapielinien in der richtigen Sequenz geschuldet. Durch die neuen Erkenntnisse bezüglich der Tumorbiologie ist die Behandlung des mCRC komplexer geworden. Nach den aktuellen Leitlinien der ESMO (European Society for Medical Oncology) [2] erfolgt die Therapieentscheidung basierend auf dem RAS- und BRAF-Status der Patienten: RASWildtyp-Patienten sollen eine Kombination aus 2 Zytostatika („Chemotherapiedoublette“) plus eine anti-EGFR-Therapie erhalten und Patienten mit RAS-mutiertem Tumor eine Chemotherapiedoublette in Kombination mit Bevacizumab. Die ESMO empfiehlt darüber hinaus auch die Testung des BRAF-Status der Patienten und rät bei dieser Subgruppe, die etwa 10 % der mCRC-Patienten ausmacht und die schlechteste Prognose hat, zu der aggressiven Dreifachchemotherapie FOLFOXIRI mit oder ohne Bevacizumab, um eine möglichst frühe Reduktion der Tumorlast zu erreichen. Problematisch dabei ist, dass nicht alle Patienten diese aggressive Thera© VERLAG PERFUSION GMBH


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pie erhalten könnten – der typische Darmkrebspatient ist um die 70 Jahre alt und weist bereits Komorbiditäten auf. Auch die Testung auf eine Mismatch Repair Defizienz (MRD) der Tumoren ist heute Standard. Bei Tumoren mit einer solchen Mikrosatelliteninstabilität (MSI) kommt eine immuntherapeutische Therapie mit PD-1-Inhibitoren in Betracht [2]. Zielsetzung ist in jedem Fall eine frühe Reduktion der Tumorlast und eine möglichst tiefe Remission, d.h. eine lange Krankheitskontrolle bei akzeptabler Lebensqualität. Therapie um einen weiteren Schritt verlängern

Was bleibt aber an Behandlungsmöglichkeiten, wenn der mCRCPatient bereits viele Therapielinien durchlaufen hat, trotzdem in gutem Allgemeinzustand und motiviert ist, eine rein palliative Therapie mit „Best Supportive Care“ für ihn also nicht infrage kommt? In dieser Situation bietet die Kombination aus Trifluridin (FTD) und Tipiracil (TPI) (Lonsurf®) eine neue vielversprechende Option. Die zytotoxische Aktivität des oralen Zytostatikums beruht auf dem Einbau des antineoplastischen Nukleosid-Analogons FTD in die DNA (Abb. 1), was die Funktion der DNA beeinträchtigt und zu einer langfristigen Hemmung des Tumorwachstums führt [3]. Die FTD-Konzentration im Blut wird durch TPI, einen Inhibitor des FTD-abbauenden Enzyms Thymidin-Phosphorylase, aufrechterhalten [4]. Phase-II-Daten einer japanischen, doppelblinden und placebokontrollierten Studie, die Trifluridin/ Tipiracil in Kombination mit Best Supportive Care bei 172 Patienten

Abbildung 1: Wirkmechanismus von Trifluridin/Tipiracil.

mit vorbehandeltem mCRC untersuchte, waren vielversprechend [5]: Im Vergleich zu Placebo reduzierte Trifluridin/Tipiracil das Sterberisiko der Patienten, verbesserte signifikant das progressionsfreie Überleben, erhöhte die Rate der Patienten mit einer Krankheitskontrolle im Vergleich zu Placebo und verlängerte das mediane Gesamtüberleben von 6,6 auf 9,0 Monate (p = 0,0011). Verbesserung des Gesamtüberlebens bei vorbehandelten Patienten

Zulassungsrelevant für Lonsurf® waren die Daten der Phase-IIIStudie RECOURSE [1]. Primärer Endpunkt der Studie war das Gesamtüberleben, basierend auf der Intention-to-treat-Population. Ziel war eine 25%-ige Reduktion des Sterberisikos. Als sekundäre Endpunkte wurden das progressionsfreie Überleben, die Gesamtansprechrate sowie die Krankheitskontrolle definiert. Die

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Patienten mussten mindestens 2 Standardchemotherapien erhalten und innerhalb von 6 Monaten ein Rezidiv oder innerhalb von 3 Monaten einen Krankheitsprogress erlitten haben. Außerdem mussten sie einen ausreichenden Fitnesszustand aufweisen (ECOG-Status von 0–1). Eingeschlossen wurden insgesamt 800 Patienten, die zuvor eine Fluoropyrimidin-, Oxaliplatin- bzw. Irinotecan-basierte Chemotherapie sowie Bevacizumab (Cetuximab oder Panitumumab bei Patienten mit KRAS-Wildtyp) erhalten hatten. Die Patienten erhielten BSC und entweder zweimal täglich Trifluridin/Tipiracil (35 mg/m2); n = 534) oder Placebo (n = 266) an den Tagen 1–5 und 8–12, danach waren 16 Tage Pause. Diese Behandlung wurde alle 4 Wochen wiederholt bis zur ersten Krankheitsprogression bzw. inakzeptablen Toxizität. Maximal 3 Dosisreduktionen waren erlaubt. Die radiologische Untersuchung des Tumors zur Beurteilung des Ansprechens erfolgte alle 8 Wochen. © VERLAG PERFUSION GMBH


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Gesamtüberleben (OS)

Abbildung 2: Ergebnisse der RECOURSE-Studie [1] sowie der Follow-up-Analyse mit den Daten bis Oktober 2014 [6].

Der primäre Endpunkt der Studie wurde erreicht: Im Trifluridin/ Tipiracil-Arm war das mediane Gesamtüberleben um 1,8 Monate von 5,3 auf 7,1 Monate verlängert (Abb. 2). Dies entsprach einer statistisch signifikanten Reduktion des Sterberisikos um 32 % (HR 0,68 [0,58–0,81]; p < 0,001). Finale Analyse bestätigt Vorteil für Trifluridin/Tipiracil

Erhebungsdatum für die im New England Journal publizierten Daten [1] war Januar 2014. Auf dem Gastrointestinal Cancers Symposium der ASCO wurde im Januar 2016 eine Follow-up-Analyse des Ge-

samtüberlebens mit den Daten bis Oktober 2014 präsentiert [6]. 89 % der Patienten waren bis zu diesem Zeitpunkt verstorben. Das mediane Gesamtüberleben unter Trifluridin/ Tipiracil hatte sich in dieser finalen Analyse der Überlebensdaten noch einmal leicht verbessert und lag bei 7,2 Monaten gegenüber 5,2 Monaten im Placebo-Arm. Die 1-JahresÜberlebensrate verbesserte sich absolut um 10,5 % (Abb. 2). Das Nebenwirkungsprofil von Trifluridin/Tipiracil erwies sich als gut beherrschbar. Unterschiede zur reinen Best Supportive Care zeigten sich in der RECOURSE-Studie neben gastrointestinalen Ereignissen vor allem bei den Laborbefunden sichtbar, also bei den hämatologi-

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schen Ereignissen. Der Anteil an Patienten mit febriler Neutropenie betrug 3,8 %. Hinsichtlich der subjektiv belastenden Nebenwirkungen wurde Trifluridin/Tipiracil als sehr gut verträglich bewertet. Elisabeth Wilhelmi, München Literatur 1 Mayer RJ et al. N Engl J Med 2015;372: 1909-1919 2 Van Cutsem E et al. Ann Oncol 2016;27: 1386-422 3 Tanaka N et al. Oncol Rep 2014;32:23192326 4 Emura T et al. Int J Oncol 2004;25:571578 5 Yoshino T et al. Lancet Oncol 2012;13: 993-1001 6 Mayer et al. J Clin Oncol 2016; 34 (Suppl 4S; Abstr. 634) © VERLAG PERFUSION GMBH


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in wesentlicher Grundpfeiler in der Behandlung sowohl von Asthma bronchiale als auch von COPD (Chronic Ob­structive Pulmonary Disease) ist die Inhalationstherapie. Dabei stehen dem Patienten im Wesentlichen drei unterschiedliche Technologien zur Verfügung: Neben Verneblern, die in der Praxis bei Erwachsenen eine eher untergeordnete Rolle spielen, und Dosieraerosolen nehmen Trockenpulver-Inhalatoren einen bedeutenden Stellenwert in der inhalativen Therapie ein. Denn sie sind normalerweise einfacher zu bedienen, da sie im Vergleich zu den meisten Druckgasdosieraerosolen durch den Atemzug selbst aktiviert werden können und keine Koordination zwischen gleichzeitiger Einatmung und Auslösung eines Hubes erfordern. Außerdem erfordern Trockenpulver-Inhalatoren keine Treibmittel mehr. Das Pulver zur Inhalation befindet sich entweder in einem Behältnis, in dem ein interner Mechanismus die erforderliche Dosis des Pulvers abmisst (Multidosissysteme), oder ist in Einzeldosen (Blistern) verpackt. Ein innovativer Vertreter der Trockenpulver-Inhalator ist der Elpenhaler®, der für Patienten mit Asthma und COPD eine gute Option für die Inhalation eines langwirksamen Beta-2-Agonisten (LABA) in Kombination mit einem inhalativen Kortikosteroid (ICS) darstellt. Neben Rolenium® (Salmeterol/Fluticason) steht seit Oktober 2016 mit Pulmelia® (Budesonid/ Formoterol) eine weitere bewährte Wirkstoffkombination zur Inhalation mit dem Elpenhaler® zur Verfügung, deren Wirksamkeit bereits in zahlreichen Studien belegt werden konnte. Pulmelia® ist für die Erhaltungs- und Bedarfstherapie von Asthma bronchiale sowie

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Pulmelia® im Elpenhaler® – bewährte Fixkombination Budesonid/Formoterol bei Asthma und COPD für die symptomatische Behandlung von Patienten mit schwerer COPD (FEV < 50 %) zugelassen und in insgesamt 3 Dosisstärken (97/5,5 μg, 194/5,5 μg, 380/11 μg) erhältlich. Die Wirkstoffe sind separat in einem Blisterstreifen versiegelt und somit vor Lichteinwirkung und Luftfeuchtigkeit geschützt. Die Bioäquivalenz der verabreichten Dosis von Pulmelia® im Elpenhaler® – im Vergleich zum Referenzprodukt Symbicort® im Turbohaler® – wurde in mehreren pharmakokinetischen Studien mit Gesunden und Asthmatikern belegt [1, 2, 3]. Einfache und sichere Anwendung dank innovativer Technologie

Ausschlaggebend für den Therapieerfolg ist jedoch nicht nur der zu inhalierende Wirkstoff, sondern auch die praktische Handhabung des Inhalationsgerätes – entscheidend ist, dass der Wirkstoff auch wirklich dort ankommt, wo er ankommen soll. Die Auswahl eines passenden Inhalators, mit dem der Patient gut zurechtkommt, ist daher von großer Bedeutung. Der Einzeldosen-TrockenpulverInhalator Elpenhaler® erleichtert dem Patienten dank seiner einfach zu erlernenden Handhabung den

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Inhalationsvorgang. Seine einfache und robuste Konstruktion schützt den Anwender vor dem versehentlichen Verschlucken loser Komponenten, was den Inhalator für weite Patientenkreise nutzbar macht. Der spezifische Aufbau des Gerätes verhindert zudem durch die Einzelblister eine versehentliche Überdosierung des Medikaments. Denn um den Elpenhaler® auszulösen, ist ein aktiver Prozess des Patienten nötig, sodass das Gerät nicht versehentlich ausgelöst werden kann. Ein wesentlicher Vorteil des Elpenhaler® ist die Möglichkeit der visuellen Kontrolle nach dem Einatmen. Hier kann der Patient einfach überprüfen, ob der ob der Blister vollständig geleert, d.h. die gesamte Dosis inhaliert wurde. Die tatsächlich inhalierte Wirkstoffdosis ist nicht nur vom Gesamtvolumen, mit dem der Patient einatmet, abhängig, sondern auch von verschiedenen physikalischen Faktoren, insbesondere vom inspiratorischen Fluss. Der Elpenhaler® gewährleistet einen konstanten Partikel-Flow über ein breites Spektrum von Luftströmen – die optimale Bereitstellung des Medikaments wird bei inspiratorischen Flüssen von 30–90 l/min erreicht. In In-vitro-Tests konnte gezeigt werden, dass der Elpenhaler® stets © VERLAG PERFUSION GMBH


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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

die vorgesehene Wirkstoffdosis während der gesamten Dauer der Anwendung (von Dosis 1 bis Dosis 60) bereitstellt. Dabei sammelten sich keine Pulverreste im Mundstück, was besonders wichtig für die Sicherheit der Patienten ist. Hohe Patientenzufriedenheit

Dass die Patienten gut mit dem Elpenhaler® zurechtkommen zeigte sich in einer Beobachtungsstudie, in der unterschiedliche Geräte im Hinblick auf ihre Handhabung und das Erlernen der richtigen Inhalationstechnik untersucht wurden [4, 5]. Als primäres Studienziel wurde mithilfe eines FSI-10-Fragebogens die Patientenzufriedenheit und Handhabung von 3 Inhalations-

Crizotinib erhält Zulassungserweiterung zur Therapie des ROS1positiven NSCLC Der Tyrosinkinase-Inhibitor Crizotinib (Xalkori®) wurde Ende August 2016 auch für die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem ROS1-positivem nicht kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) zugelassen. Damit ist Crizotinib die erste und einzige zielgerichtete Therapie, die in der EU sowohl für die Therapie des fortgeschrittenen ALK-positiven als auch des fortgeschrittenen ROS1-positiven NSCLC ab der Erstlinie verfügbar ist. In der der ROS1-Zulassung zugrunde liegenden Phase-I-Studie PROFILE 1001 überzeugte Crizotinib durch einen schnellen Wirkeintritt und eine sehr lange Wirkdauer. Primärer Endpunkt der offenen, einarmigen Phase-

geräten (Diskus®, Turbohaler®, Elpenhaler®) gemessen und miteinander verglichen. Sowohl von Asthma- als auch COPD-Patienten erhielt der Elpenhaler® im Vergleich insgesamt den höchsten Gesamtscore. In einer weiteren Beobachtungsstudie zeichnete sich der Elpenhaler® neben einer geringen Quote an Handhabungsfehlern zudem durch die sehr gute Trainierbarkeit seiner Anwendung aus. Denn nach 4 Wochen reduzierten sich die Handhabungsfehler mit dem Elpenhaler® um mehr als die Hälfte (–56,9 %; p < .05) und damit deutlicher als mit den anderen beiden Inhalationsgeräten (Diskus®, Turbohaler®) [6]. Brigitte Söllner, Erlangen

Literatur

I-Studie mit 53 Teilnehmern war die Ansprechrate (overall response rate, ORR). Im Median betrug die ORR nach RECIST (response evaluation criteria in solid tumors) 70 % (95%-KI 56–82) bei einem gleichzeitigen progressionsfreien Überleben von 19,3 Monaten (95%-KI 14,8 bis nicht erreicht [not reached, NR]). Bei 5 Patienten kam es zu einem vollständigen und bei 32 zu einem partiellen Ansprechen. Die ORR war anhaltend (mediane Dauer des Tumoransprechens NR [95%-KI 15,2 bis NR]).

Bedeutung der optimalen Therapiesequenz, die dem Patienten die maximale Ausschöpfung aller therapeutischen Optionen erlaubt. Mittlerweile stehen in Deutschland für die Behandlung des fortgeschrittenen ALK-positiven NSCLC zwei zugelassene Inhibitoren zur Verfügung, weitere sind in der Erprobung. Die Reihenfolge, in der die verfügbaren TKI verordnet werden, ergibt sich noch aus dem Zulassungsstatus. Kommt es im Verlauf der Behandlung mit Crizotinib – wie bei anderen zielgerichteten Therapien auch – zur Resistenzbildung (z.B. S1206Y), kann ein Wechsel auf einen anderen Inhibitor erfolgen. Auf diese Weise lässt sich das Potenzial von Crizotinib ab dem Behandlungsbeginn voll ausschöpfen und der Zeitraum, in dem der Tumor kontrollierbar ist, so lange wie möglich ausdehnen. B. S.

Therapiesequenz bei der Behandlung mit ALK-Inhibitoren

Crizotinib ist beim ALK-positiven NSCLC etablierter Standard in der Erstlinientherapie. Mit der wachsenden Zahl an Therapiemöglichkeiten bei Tumoren mit dieser Treibermutation steigt die

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1 Athanassiou K et al. Pharmacokinetic study for the estimation of bioequivalence of two different inhalation treatments containing budesonide 400 μg plus formoterol 12 μg. Poster, 5th BBBB International Conference, September 2013, Athen 2 Athanassiou K et al. Pharmacokinetic studies for the estimation of bioequivalence of two DPIs containing budesonide and formoterol. Poster, ERS International Congress, September 2015, Amsterdam 3 Grekas N et al. Pharmacokinetic study for the establishment of bioequivalence of two inhalation treatments containing budesonide plus formoterol. J Pharm Pharmacol 2014;66:1677-1685 4 Gillissen A. Patientenpräferenz von Inhalern. Pneumologie 2014;68:727-736 5 Zervas E et al. Assessment of satisfaction with different dry powder inhalation devices in Greek patients with COPD and asthma: the ANASA study. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2016;11:1845-1855 6 Bouros D, Evangeliou MN. Critical steps: A non-interventional, multicenter, prospective, observational study on critical handling errors with DPI use, in asthma and COPD patients. J Pulm Respir Med 2016;6:360

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WISSENSWERTES

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Immunthrombozytopenie

Eltrombopag – jetzt auch für die Behandlung von Kindern mit chronischer Immunthrombozytopenie zugelassen Die Europäische Kommission hat die Zulassungserweiterung von Eltrombopag (Revolade®) zur Behandlung von Kindern ab einem Jahr mit chronischer Immunthrombozytopenie (ITP) erteilt, die auf vorangegangene Therapien (z.B. Kortikosteroide und Immunglobuline) nicht ausreichend angesprochen haben. Die Zulassung umfasst die Formulierung von Eltrombopag als Tablette sowie als Pulver zur Herstellung einer oral einzunehmenden Suspension, die seit Kurzem in Deutschland verfügbar ist. Eltrombopag ist in der EU bereits seit 2010 zur Behandlung von Erwachsenen in derselben Indikation zugelassen. Deutlicher und lang anhaltender Anstieg der Thrombozytenzahlen

Eltrombopag ist ein einmal täglich oral einzunehmender Thrombopoetinrezeptor-Agonist, der die Differenzierung von Megakaryozyten aus dem Knochenmark stimuliert und so zu einer verstärkten Thrombozytenproduktion führt. Dies wurde bestätigt durch die Ergebnisse der beiden zulassungsrelevanten randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studien PETIT (Phase-II-Studie) und PETIT2, der größten Phase-III-Studie zu dieser Patientengruppe. Einge-

Die Immunthrombozytopenie (ITP; Morbus Werlhof) ist eine Autoimmunerkrankung, bei der sich Autoantikörper gegen Thrombozyten bilden und diese vermehrt abgebaut werden. Zudem kann es zu einer Störung der Thrombozytopoese kommen. Das klinische Bild ist demzufolge durch verstärkte Blutungsneigung bzw. schwer zu stoppende Blutungen charakterisiert, die bereits durch leichte Prellungen ausgelöst werden können. Man unterscheidet die primäre ITP, bei der keine auslösenden Faktoren erkennbar sind, von sekundären Formen, die durch Arzneimittel oder andere Grunderkrankungen ausgelöst werden. Hinsichtlich des Verlaufs werden 3 Stadien unterschieden: • neu diagnostiziert (bis zu 3 Monate nach Diagnosestellung), • persistierend (3–12 Monate nach Diagnosestellung) und • chronisch (mehr als 12 Monate nach Diagnosestellung). Die Inzidenz beträgt bei Erwachsenen wie bei Kindern ca. 20 – 40 Neuerkrankungen pro 100.000/Jahr. Im Kindesalter ist die ITP die häufigste Ursache einer Blutungsneigung (ca. 3–5/100.000 pro Jahr). Etwa 13 % aller Kinder mit ITP entwickeln eine chronische Verlaufsform.

schlossen wurden Kinder im Alter von 1–7 Jahren (PETIT) bzw. 1–17 Jahren (PETIT2) mit vorbehandelter chronischer ITP über mindestens 6 Monate und Thrombozytenzahlen von <30 x 109/Liter. Sie erhielten randomisiert Eltrombopag oder Placebo und konnten während der Teilnahme ihre Begleittherapien teilweise fortführen. Primärer Endpunkt beider Studien war der Anteil der Kinder, der ohne Notfalltherapie Thrombozytenzahlen ≥50 x 109/Liter über mindestens 6 Wochen innerhalb der Wochen 5–12 aufrechterhalten konnte. Diesen Endpunkt erreichten in der PETIT-Studie 62 % der mit Eltrombopag behandelten Kinder; im Placebo-Arm lag der Anteil bei 32 % (p = 0,011). In der PETIT2-Studie wurde der Endpunkt von 40 % der Patienten unter Eltrombopag-Therapie erreicht,

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dagegen nur von 3 % im PlaceboArm (p < 0,0004). Die Kinder sprachen dabei altersunabhängig gut auf die Behandlung mit Eltrombopag an. Außerdem zeigte sich im Eltrombopag-Arm ein reduzierter Bedarf an Notfalltherapien (19 % unter Eltrombopag versus 24 % im Placebo-Arm). Einige Patienten konnten die Dosis ihrer Begleittherapien (zumeist Kortikosteroide) reduzieren oder diese absetzen. Die in den Studien beobachteten unerwünschten Ereignisse waren konsistent mit dem Profil bei erwachsenen ITP-Patienten. Es wurden keine neuen Sicherheitssignale beobachtet. Zu den häufigsten unerwünschten Ereignissen (≥10 % im Vergleich zum Placebo-Arm) zählten Infektionen des oberen Respirationstrakts, Diarrhö, Rhinitis und Nasopharyngitis. B. S.

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KONGRESSE

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Nilotinib

Therapiefreie Remission bei CML Wie aktuelle Studienergebnisse zu Nilotinib (Tasigna®) zeigen, besteht bei bestimmten Patienten mit chronischer myeloischer Leukämie (CML) die Chance auf Absetzen der TKI-Therapie, sodass die therapiefreie Remission (TFR) für einen Teil der Patienten ein realistisches Behandlungsziel darstellt. Doch wie sieht ein umfassendes TFR-Behandlungskonzept in der klinischen Praxis aus? Diese Frage diskutierten Dr. med. Ekkehard Eigendorff und PD Dr. med. Thomas Ernst vom Universitätsklinikum Jena anlässlich der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinischen Onkologie Das Konzept der therapiefreien Remission

Eigendorff hob bei seinen Ausführungen hervor, dass unter Nilotinib fast doppelt so viele Patienten die Voraussetzungen für ein Absetzen der Therapie erfüllen wie unter Imatinib. In den Studien ENESTfreedom und ENESTop wird nun die therapiefreie Remission nach Nilotinib in Erst- bzw. Zweitlinientherapie untersucht, ein großer Teil der Patienten stammt aus Deutschland und Österreich (50/215 bzw. 13/163). Kürzlich präsentierte Daten einer Subgruppenanalyse zeigen, dass 51,6 % (ENESTfreedom) bzw. 57,9 % (ENESTop) der Studienteilnehmer 48 Wochen nach Absetzen der Therapie in einer TFR, definiert als gutes Ansprechen (Major Molecular Response, MMR ≤ 0,1 % BCR-ABLIS), ver-

Nilotinib (Tasigna®) ist ein Tyrosinkinase-Inhibitor der zweiten Generation mit selektiver Hemmung der Tyrosinkinase BCR-ABL, die die unkontrollierte Zellproliferation der Granulozyten bei Ph+ CML und Ph+ ALL auslöst. BCR-ABL kann bei 95 % der CML-Patienten und 20–30 % der Ph+ ALL-Patienten nachgewiesen werden und ist der wichtigste Angriffspunkt für die medikamentöse Therapie dieser Leukämiearten. Gegenüber älteren Wirkstoffen wie Imatinib (linkes Bild) lagert Nilotinib (rechts) sich selektiver an die BCR-ABL-Bindungstasche an. Außerdem sind die Bindungen von Nilotinib weniger anfällig für kleine Änderungen in der Bindungsoberfläche, die zu Resistenzen führen können.

blieben. Bei fast allen Patienten mit Verlust des Ansprechens konnte eine MMR durch Wiederaufnahme der Behandlung erneut induziert werden (98,8 % bzw. 98 %). Die mediane Behandlungsdauer mit Nilotinib lag in der ENESTfreedomStudie bei 3,6 Jahren – im Vergleich zu 7,6 Jahren in Absetzstudien mit Imatinib. Nilotinib kann somit nach relativ kurzer Therapiedauer bei über der Hälfte der Teilnehmer eine anhaltende TFR induzieren und ist auch nach Verlust des Ansprechens wirksam. Schlüsselfaktoren eines erfolgreichen Absetzkonzepts

Das Erreichen eines tiefen molekularen Ansprechens (MR4* bzw. MR4,5**) gilt als Pfeiler des TFRKonzepts, bietet jedoch keine alleinige Sicherheit, wie Ernst erklärte. So sind unter anderem die initiale

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Geschwindigkeit dieses Ansprechens, die Dauer sowie der Zeitraum der vorausgegangenen TKITherapie von zentraler Bedeutung. Auch während der Absetzphase ist ein engmaschiges standardisiertes Monitoring notwendig, um bereits frühzeitig auf einen Verlust des Ansprechens reagieren zu können. Dies stellt hohe Anforderungen an die Messtechnik sowie an die Logistik zwischen Arzt, Patient und Labor. Grundsätzlich ist die Behandlung mit Nilotinib so lange fortzusetzen, wie der Patient einen therapeutischen Nutzen daraus zieht. Kommt ein Patient für das Absetzen der Therapie infrage, so sollte dies aktuell nur im Rahmen klinischer Studien durchgeführt werden, schloss Dr. Ernst. Fabian Sandner, Nürnberg * MR4: Molecular Response ≤0,01% BCRABLIS ** MR4,5: Molecular Response ≤0,0032% BCR-ABLIS

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KONGRESSE

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Hepatische Enzephalopathie:

Versorgungskontinuität gewährleisten! Jeder dritte Patient mit Leberzirrhose entwickelt im Krankheitsverlauf eine manifeste hepatische Enzephalopathie (HE). Dieses für Patienten und Angehörige beeinträchtigende Ereignis erfordert in fortgeschrittenen Krankheitsstadien in der Regel einen Klinikaufenthalt. Nach der Akuttherapie werden die Patienten auf eine dauerhafte Rezidivprophylaxe eingestellt und zurück an den Hausarzt überwiesen. Welche Konsequenzen eine Beendigung der vorbeugenden Behandlung haben kann, was erneute Episoden für Lebensqualität und Prognose der Patienten bedeuten und wie die Schnittstellen zwischen Klinik und Praxis optimiert werden können – darüber wurde bei der 71. Jahrestagung der DGVS lebhaft diskutiert. Professor Marcus Schuchmann, Konstanz, fasste die Appelle seiner Kollegen zusammen: „Wir können die Versorgung von HE-Patienten erheblich verbessern, wenn wir die Kommunikation zwischen klinischem und ambulantem Sektor im kollegialen Dialog optimieren.“ Bessere Verzahnung zwischen Klinik und Hausarzt

Der diesjährige Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) stand unter dem Motto „Spezialisiert – Interdisziplinär – Kooperativ“ und bot damit eine gute Gelegenheit, die Versorgungssituation von HE-Patienten zu betrachten. Im Rahmen eines Symposiums der Norgine GmbH erläuterten Dr. Gisela Labenz, Burbach, und Pro-

Rifaximin-α Rifaximin-α (Xifaxan® 550 mg) ist ein darmselektives Antibiotikum, das seit Februar 2013 in Deutschland zur Verminderung des Wiederauftretens von Episoden einer manifesten Hepatischen Enzephalopathie zugelassen ist. Bereits 2008 erhielt Rifaximin-α in der Dosierung 200 mg in Deutschland die Zulassung zur Behandlung der Reisediarrhö. Durch die bakterizide Wirkung auf ammoniakproduzierende Bakterien wirkt Rifaximin-α kausal der Pathogenese der HE entgegen. In einer placebokontrollierten randomisierten Studie wurde das relative Risiko für wiederkehrende Episoden der HE im Verlauf von 6 Monaten durch Rifaximin-α signifikant um 58 % gesenkt. Die Nebenwirkungen bewegen sich dabei auf Placebo-Niveau. Daher ist das Antibiotikum für die Langzeittherapie besonders gut geeignet – in einer Studie über 24 Monate waren 92 % der Patienten über 24 Monate therapietreu.

fessor Manfred Gross, München, wie im Langzeitmanagement der HE eine optimale Zusammenarbeit der behandelnden Ärzte aussehen könnte. Gleichzeitig machten sie deutlich, mit welchen Argumenten Hausärzte für eine dauerhafte prophylaktische Behandlung zu gewinnen sind. Denn zur Vermeidung kumulativer Schäden stehen wirksame und verträgliche Medikamente zur Verfügung wie z.B. Rifaximin-α (Xifaxan® 550 mg). Auch in der Langzeittherapie zeigen Patienten eine hohe Therapietreue, wenn sie Rifaximin-α erhalten – dazu ist aber die Betreuung durch den Hausarzt unerlässlich. Ansonsten sind erneute Episoden und Klinikaufenthalte vorprogrammiert. Professor Ralf Kiesslich, Wiesbaden, beschrieb die Dramatik der Leberzirrhose anhand ihrer Komplikationen. Dazu zählen neben der HE auch Ösophagusvarizen oder Aszites, die für die Betroffenen häufig unerwartet auftreten. Er forderte dazu auf, alle diese Komplikationen stärker in den Fokus zu rücken, denn 45 % der nicht behandelten Patienten mit alkoholin-

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duzierter Leberzirrhose versterben innerhalb eines Monats nach der Diagnose, wenn sie zusätzlich zu anderen Komplikationen noch eine HE aufweisen. Rezidivprophylaxe verbessern

Professor Joachim Labenz, Siegen, zeigte Wege auf, um die Prognose und die Lebensqualität von Patienten mit HE zu verbessern. Er schloss sich den Forderungen seiner Vorredner nach einer optimierten Schnittstellenkommunikation zwischen Klinik und Praxis an und machte deutlich, welche enormen Vorteile die Patienten von einer dauerhaften, konsequenten Rezidivprophylaxe haben. Denn von rund einer Million Menschen mit Leberzirrhose in Deutschland entwickeln über 80 % im Krankheitsverlauf eine HE und mit jeder Episode sind kumulative Effekte verknüpft – die kognitiven und motorischen Fähigkeiten der Patienten verringern sich daher zunehmend. Zur Rezidivprophylaxe der HE steht mit Rifaximin-α seit 2013 ein wirksames und verträgliches, © VERLAG PERFUSION GMBH


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darmselektives Antibiotikum zur Verfügung, welches das relative Risiko für wiederkehrende Episoden der HE signifikant senkt und die Lebensqualität der Betroffenen steigert. Der Wirkstoff moduliert das Darmmikrobiom, indem er unter anderem die Konzentration ammoniakbildender Bakterien reduziert. Dadurch entstehen weniger Toxine, die im Gehirn schädigend wirken können. Rifaximin-α wird praktisch nicht resorbiert und weist ein gutes Verträglichkeitsprofil auf. Eine aktuelle Multi-Center-Studie zeigt, dass die prophylaktische, dauerhafte Gabe von Rifaximin-α durch die Verminderung der Inzidenz und Intensität von HE-Episoden auch die Dauer der Krankenhausaufenthalte verkürzt und diesbezüglich gegenüber der derzeitigen Standardtherapie (Lactulose) klare Vorteile zeigt. Im Vergleich zu Lactulose waren bei der Langzeittherapie über 24 Monate außerdem weniger Hospitalisierungen erforderlich (0,5 versus 1,6 bei Lactulose; p < 0,001). Elisabeth Wilhelmi, München

Multiple Sklerose: Neue Daten zu Cladribin-Tabletten Das zunehmend komplexere Umfeld moderner MS-Therapien stellt eine Vielzahl von Behandlungsoptionen zur Verfügung. Dennoch besteht bei vielen MS-Patienten ein großer ungedeckter Bedarf – sogenannte „unmet needs“ – vor allem im Hinblick auf Sicherheit, Wirksamkeit und Therapielast. Zukünftige Therapieoptionen – z.B. mit Immunmodulatoren – sollten sich daher noch stärker auf die Patientenbedürfnisse konzentrieren.

Hierbei gilt es besonders die therapeutische Last im Alltag der MSPatienten zu verringern. Gelingen könnte dies mit Behandlungsoptionen, die sich durch einen geringen Monitoring-Aufwand sowie eine einfache, patientenfreundliche Darreichungsform – z.B. über Kurzzeit-Einnahmephasen – auszeichnen. Einen Schritt in diese Richtung geht Merck mit den in der Zulassung befindlichen Cladribin-Tabletten, einem oralen niedermolekularen Prodrug, das selektiv und periodisch auf Lymphozyten abzielt, die maßgeblich am Krankheitsgeschehen bei MS beteiligt sein sollen. Auf dem 32. ECTRIMS-Kongress (European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis) wurden in 2 Vorträgen aktuelle Daten aus Phase-III-Studien präsentiert, die belegen, dass die 20-tägige Einnahme von Cladribin-Tabletten über einen Zeitraum von 2 Jahren die Häufigkeit von Schüben und die Behinderungsprogression bis zu 4 Jahre lang wirksam reduziert. Anhaltende Senkung der Schubrate

Wie Professor Giancarlo Comi, Mailand, auf dem Kongress in London hervorhob, bestätigen die Ergebnisse aus der Phase-IIIStudie CLARITY und der Erweiterungsstudie CLARITY EXTENSION sowie aus der offenen Erhaltungsphase der Phase-IIIStudie ORACLE-MS neben einem gut charakterisierten Sicherheitsprofil die anhaltende Wirksamkeit von Cladribin-Tabletten bei MSPatienten. „Die Ergebnisse, die diese Woche vorgestellt wurden, zeigen, dass der klinische Nutzen

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von Cladribin-Tabletten bei den meisten Patienten 2 weitere Jahre lang aufrecht erhalten werden kann, ohne dass eine erneute Verabreichung erforderlich ist“, erläuterte der leitende Prüfarzt der Studien und ergänzte: „Es stehen zwar viele Therapien für MS-Patienten zur Verfügung, doch gibt es nach wie vor einen großen ungedeckten Bedarf innerhalb dieser Patientengemeinschaft. Unter anderem fehlen Therapien, die einen dauerhaften Nutzen bieten.“ Im ersten Vortrag präsentierte Comi Daten aus der zweijährigen Phase-III-Studie CLARITY und ihrer zweijährigen Erweiterungsstudie CLARITY EXTENSION. Sie belegten, dass bei Patienten mit schubförmiger MS, die Placebo in der CLARITY-Studie erhielten und auf Cladribin-Tabletten in der CLARITY EXTENSION umgestellt wurden, signifikant verringerte jährliche Schubraten verzeichnet wurden (0,26 vs. 0,10, p < 0,0001) und sie am Ende der Erweiterungsphase mit einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit schubfrei waren (58,0 % vs. 79,6 %, p < 0,0001). Die jährliche Schubratenreduktion wurde bei Patienten beibehalten, die Cladribin-Tabletten 2 Jahre lang in der CLARITY-Studie erhielten und dann auf die zweijährige Gabe von Placebo in der Erweiterungsphase umgestellt wurden. Signifikante Senkung des Progressionsrisikos

Im zweiten Vortrag wurden Daten aus der offenen Erhaltungsphase der Phase-III-Studie ORACLEMS vorgestellt. Sie zeigen, dass die Behandlung mit CladribinTabletten bei Patienten mit einem ersten demyelinisierenden Ereig© VERLAG PERFUSION GMBH


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nis das Risiko der Progression zu einer klinisch gesicherten MS im Vergleich zu Placebo signifikant senkte. Im offenen Teil der Studie wurden Patienten, die während der anfänglichen Behandlungsphase in eine klinisch gesicherte MS übergingen, auf eine Therapie mit Rebif® umgestellt. Wie die neuen, auf dem ECTRIMS-Kongress vorgestellten Ergebnisse zeigen, wiesen Patienten, die Cladribin-Tabletten in der anfänglichen Behandlungsphase erhalten hatten, in der gesamten Erhaltungsphase niedrigere jährliche Schubraten (mediane Zeit unter Rebif® = 56,0 Wochen) im Vergleich zu jenen auf, die Placebo in der anfänglichen Behandlungsphase erhalten hatten (0,14 für Cladribin-Tabletten 3,5 mg/kg [n = 25], 0,24 für Cladribin-Tabletten 5,25 mg/kg [n = 24] und 0,42 für Placebo [n=60]). „Das orale Dosierungsschema von Cladribin-Tabletten ist mit lediglich 2 kurzen Behandlungszyklen in Jahr 1 und 2 einzigartig. Zusammen mit mehr als 10.000 Patientenjahren an Sicherheitsdaten und Phase-III-Wirksamkeitsdaten untermauern diese Ergebnisse zu anhaltenden Verringerungen der Schubraten unsere Überzeugung, dass Cladribin-Tabletten im Falle einer Zulassung ein wichtiger neuer Fortschritt für Patienten mit schubförmig-remittierender MS sein können“, kommentierte Luciano Rossetti, globaler Leiter der Forschung und Entwicklung im Biopharma-Geschäft von Merck. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat den Antrag auf Zulassung des in der Prüfung befindlichen Präparats Cladribin-Tabletten zur Behandlung von schubförmigremittierender MS bereits zur Prüfung angenommen. Fabian Sandner, Nürnberg

Unkomplizierte Zystitis: Mikrobiom-schonend therapieren mit pflanzlicher Dreierkombination Die Einnahme von Antibiotika zur Behandlung von akuten unkomplizierten Zystitiden (AUZ) ist mit einer Reihe von Nebenwirkungen verbunden. So führt neben steigenden Resistenzraten jede antibiotische Therapie zu einer starken Verschiebung des Mikrobioms, wie Professor André Gessner, Regensburg, auf einer Pressekonferenz des Komitees Forschung Naturmedizin e.V. in München ausführte. Dennoch ist die sofortige empirische Antibiotikatherapie immer noch der Standard. Hier muss laut Gessner ein Umdenken stattfinden. Als sinnvolle symptomatische, aber Mikrobiom-schonende Therapieoption bei AUZ kommt z.B. die pflanzliche Dreierkombination in Canephron® N infrage. Nachteile der Antibiotikatherapie

„Die Antibiotikatherapie schlägt richtige Löcher ins Mikrobiom; es

können sogar Narben zurückbleiben“, mahnte Gessner. Diese „Mikrobiomlöcher“ können Allergien, Durchfälle und andere gastrointestinale Beschwerden verursachen. Im schlimmsten Fall kann sich durch Überwuchern mit Clostridium-difficile-Bakterien eine lebensbedrohliche pseudomembranöse Kolitis entwickeln. „Mikrobiomnarben“ werden inzwischen sogar für chronische Erkrankungen wie Morbus Crohn, Asthma und Fettleibigkeit verantwortlich gemacht. Trotz dieser Erkenntnisse wird bei AUZ eine sofortige empirische Antibiotikatherapie gemäß der aktuellen S3-Leitlinie, die sich derzeit in Überarbeitung befindet, empfohlen. Diese Empfehlung möchte Gessner mit einem Fragezeichen versehen – denn es mehren sich die Hinweise, dass es bei der Therapie von AUZ ausreicht, die unangenehme Symptomatik zu lindern. Hier eignet sich eine sinnvoll kombinierte Multi-Target-Therapie, die sowohl Schmerzen und Brennen beim Wasserlassen, die unangenehmen Krämpfe, als auch die Anheftung der Bakterien vermindert und deren Ausspülung unterstützt.

Abbildung 1: Intestinales Mikrobiom von Mäusen nach Gabe von Fosfomycin, Nitrofurantoin oder Canephron® N.

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98 % der Patientinnen benötigten unter Canephron® N-Therapie kein Antibiotikum Eine solche Therapieoption ist die pflanzliche Dreierkombination in Canephron® N, das als traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur unterstützenden Behandlung und zur Ergänzung spezifischer Maßnahmen bei leichten Beschwerden im Rahmen entzündlicher Erkrankungen der Harnwege zugelassen ist. Eine offene Pilotstudie an 125 Frauen mit AUZ zeigte während der 7-tägigen Therapie mit dem Phytotherapeutikum einen konti-

nuierlichen Rückgang der Symptome. 98 % der Frauen benötigten kein Antibiotikum; die Canephron® N Therapie war ausreichend. Bis zum Tag 37 kam es weiterhin zu keinem erneuten Aufflammen des Infekts. Ein weiterer Vorteil der symptomatischen Therapie mit Canephron® N ist die geringe Mikrobiomschädigung im Vergleich zur antibiotischen Therapie, wie Gessner anhand neuer Forschungsergebnisse am intestinalen Maus-Mikrobiom erläuterte. Die „Single-shot“Therapie mit Fosfomycin führte in diesen Versuchen zu einer sehr starken Verschiebung des DarmMikrobioms. Auch die Therapie

mit Nitrofurantoin resultierte in sehr deutlichen Mikrobiomänderungen. Die Therapie mit Canephron® N hingegen führte kaum zu einem Mikrobiomshift (Abb. 1), was mit der sehr guten Verträglichkeit in der Pilotstudie in Einklang steht. Gessners Fazit: „Meiner Meinung nach sollte bei AUZ – wenn medizinisch vertretbar – so lange wie möglich auf eine antibiotische Therapie verzichtet und stattdessen symptomorientiert behandelt werden. Und dies sollte sich dann auch in der überarbeiteten Leitlinie widerspiegeln.“ Fabian Sandner, Nürnberg

Titelbild: Multiple Sklerose: Nach ihrem Eintritt ins ZNS werden die autoreaktiven Lymphozyten reaktiviert. Die nachfolgende Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine verstärkt den Autoimmunangriff. Dabei werden weitere Immunzellen wie beispielsweise Makrophagen und B-Lymphozyten, die Antikörper gegen Myelin ausschütten, rekrutiert. Die resultierende entzündliche Reaktion führt zu einer Demyelinisierung (Quelle: Genzyme GmbH).

Herausgeber: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Univ.-Prof. Dr. med. Hermann Eichstädt, Leiter Bereich Kardiologie RZP Potsdam und Geschäftsführer BBGK e.V. Berlin Konstanzer Straße 61 10707 Berlin Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. M. Alexander, Infektiologie, Berlin Prof. Dr. L. Beck, Gynäkologie, Düsseldorf Prof. Dr. Berndt, Innere Medizin, Berlin Prof. Dr. H.-K. Breddin, Innere Medizin, Frankfurt/Main Prof. Dr. K. M. Einhäupl, Neurologie, Berlin Prof. Dr. E. Erdmann, Kardiologie, Köln Prof. Dr. Dr. med. E. Ernst, University of Exeter, UK Prof. Dr. K. Falke, Anästhesiologie, Berlin Prof. Dr. K. Federlin, Innere Medizin, Gießen Prof. Dr. E. Gerlach, Physiologie, München Prof. Dr. H. Helge, Kinderheilkunde, Berlin Prof. Dr. R. Herrmann, Onkologie, Basel Prof. Dr. W. Jonat, Gynäkologie, Hamburg Prof. Dr. H. Kewitz, Klin. Pharmakol. Berlin Prof. Dr. B. Lemmer, Pharmakologie, Mannheim/Heidelberg

Prof. Dr. med. R. Lorenz, Neurochirurgie, Frankfurt Prof Dr. J. Mann, Nephrologie, München Dr. med. Veselin Mitrovic, Kardiologie, Klinische Pharmakologie, Bad Nauheim Prof. Dr. R. Nagel, Urologie, Berlin Prof. Dr. E.-A. Noack, Pharmakologie, Düsseldorf Prof. Dr. P. Ostendorf, Hämatologie, Hamburg Prof. Dr. Th. Philipp, Innere Medizin, Essen Priv.-Doz. Dr. med. B. Richter, Ernährung – Stoffwechsel, Düsseldorf Prof. Dr. H. Rieger, Angiologie, Aachen Prof. Dr. H. Roskamm, Kardiologie, Bad Krozingen Prof. Dr. E. Rüther, Psychiatrie, Göttingen Prof. Dr. med. A. Schrey, Pharmakologie, Düsseldorf Dr. Dr. med. C. Sieger, Gesundheitspolitik u. Gesundheitsökonomie, München Prof. Dr. E. Standl, Innere Medizin, München Prof. Dr. W. T. Ulmer, Pulmologie, Bochum Schriftleitung: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Telefon: 037437 557-0 Bibliothek: 037437 2214 [Library] E-Mail DIG: info@d-i-g.org E-Mail persönlich: k.l.resch@d-i-g.org

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Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und einem oder mehreren Risikofaktoren. ‡ Schwere Blutung war ein wichtiger sekundärer Endpunkt in der ARISTOTLE-Studie und wurde entsprechend einer vorab festgelegten hierarchischen Test-Strategie getestet, um den Typ-I-Fehler in der Studie möglichst niedrig zu halten.

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Literaturangaben: 1. Granger CB et al. N Engl J Med 2011; 365: 981–992. Eliquis 2,5 mg Filmtabletten. Eliquis 5 mg Filmtabletten. Wirkstoff: Apixaban. Zusammensetzung: Wirkstoff: 2,5 mg bzw. 5 mg Apixaban. Sonst. Bestandteile: Lactose, Mikrokristalline Cellulose, Croscarmellose-Natrium, Natriumdodecylsulfat, Magnesiumstearat, Lactose-Monohydrat, Hypromellose, Titandioxid, Triacetin, Eliquis 2,5 mg zusätzlich: Eisen(III)-hydroxid-oxid x H2O; Eliquis 5 mg zusätzlich: Eisen(III)-oxid. Anwendungsgebiete: Prophylaxe v. Schlaganfällen u. systemischen Embolien bei erw. Pat. mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern u. einem o. mehreren Risikofaktoren, wie Schlaganfall o. TIA in der Anamnese, Alter ≥75 Jahren, Hypertonie, Diabetes mellitus, symptomatische Herzinsuffizienz (NYHA Klasse ≥II). Behandlung v. tiefen Venenthrombosen (TVT) u. Lungenembolien (LE) sowie Prophylaxe v. rezidivierenden TVT und LE bei Erw. Eliquis 2,5 mg zusätzlich: Prophylaxe venöser Thromboembolien bei erw. Pat. nach elektiven Hüft- o. Kniegelenksersatzoperationen. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gg. den Wirkstoff o.e.d. sonst. Bestandteile; akute klinisch relevante Blutung; Lebererkrankungen, die mit einer Koagulopathie u. einem klinisch relevanten Blutungsrisiko verbunden sind. Läsionen o. klinische Situationen, falls sie als signifikanter Risikofaktor für eine schwere Blutung angesehen werden (z.B. akute o. kürzl. aufgetretene gastrointestinale Ulzerationen, maligne Neoplasien m. hohem Blutungsrisiko, kürzl. aufgetretene Hirn- o. Rückenmarksverletzungen, kürzl. erfolgte chirurgische Eingriffe an Gehirn, Rückenmark o. Augen, kürzl. aufgetretene intrakranielle Blutungen, bekannte o. vermutete Ösophagusvarizen, arteriovenöse Fehlbildungen, vaskuläre Aneurysmen o. größere intraspinale o. intrazerebrale vaskuläre Anomalien. Gleichzeitige Anwendung anderer Antikoagulanzien z.B. unfraktionierte Heparine, niedermol. Heparine, Heparinderivate, orale Antikoagulanzien außer bei Umstellung der Antikoagulation von o. auf Apixaban o. unfraktioniertes Heparin in Dosen, um die Durchgängigkeit e. zentralvenösen o. arteriellen Katheters zu erhalten. Nebenwirkungen: Häufig: Anämie; Blutungen am Auge (einschließlich Bindehautblutung); Blutungen, Hämatome; Epistaxis; Übelkeit; Gastrointestinale Blutung; Rektalblutung, Zahnfleischblutung; Hämaturie; Kontusion. Gelegentlich: Thrombozytopenie; Überempfindlichkeitsreaktionen, allergisches Ödem, anaphylaktische Reaktion; Pruritus; Gehirnblutung; Hypotonie (einschließlich Blutdruckabfall während des Eingriffs); Intraabdominalblutung; Hämoptyse; Hämorrhoidalblutung, Blutung im Mundraum, Hämatochezie; Erhöhung der Transaminasen, erhöhte Aspartat-Aminotransferase, erhöhte γ-Glutamyltransferase, abnormale Leberfunktionstests, erhöhte Blutwerte für alkalische Phosphatase, erhöhte Blutwerte für Bilirubin; Hautauschlag; Abnormale vaginale Blutung, urogenitale Blutung; Blutung an der Applikationsstelle; Okkultes Blut positiv; Postoperative Blutung (einschließlich postoperatives Hämatom, Wundblutung, Hämatom an Gefäßpunktionsstelle und Blutung an der Kathetereinstichstelle), Wundsekretion, Blutungen an der Inzisionsstelle (einschließlich Hämatom an der Inzisionsstelle), intraoperative Blutung; Traumatische Blutung, Blutung nach einem Eingriff, Blutung an einer Inzisionsstelle. Selten: Blutung der Atemwege; Retroperitoneale Blutung; Muskelblutung; Weitere Hinweise: siehe Fachinformation. Verschreibungspflichtig. Pharmazeutischer Unternehmer: Bristol-Myers Squibb/Pfizer EEIG, Bristol-Myers Squibb House, Uxbridge Business Park, Sanderson Road, Uxbridge, Middlesex UB8 1DH Vereinigtes Königreich. Stand: Q1/2016


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