Journal2017-04

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ISSN 1432-4334 JAHRGANG 26 HEFT 4 September 2017

FÜR PHARMAKOLOGIE UND THERAPIE

JOURNAL OF PHARMACOLOGY AND THERAPY

Pulmonale NTM-Infektionen – eine diagnostische und therapeutische Herausforderung Hereditäres Angioödem: Diagnose meistern, Therapie individuell managen Therapie der ADPKD mit Tolvaptan: Vereinfachte Identifizierung der geeigneten Patienten Zweitlinientherapie des mCRPC: Keine Zeit mit unwirksamen Therapien verschwenden Adipositas: Einstieg in die Gewichtsreduktion mit Cathin Multiples Myelom: Immunmodulierende Therapie mit Lenalidomid in allen Erkrankungsstadien verbessert Prognose IL-Rezeptor-Inhibitor Sarilumab: Eine neue Option zur Therapie der rheumatoiden Arthritis Agomelatin bei Depressionen: Viel mehr als nur Symptomremission

VERLAG

PERFUSION


JINARC® – die Entdeckung der Langsamkeit • Verlangsamt das Zystenwachstum und den Funktionsverlust der Niere1,2 • JINARC® wirkt gezielt auf die pathogenetischen Prozesse bei ADPKD3,4,5 Referenzen 1. Torres VE et al. N Engl J Med 2012;367(25):2407-2418. 2. Torres VE et al. J Am Soc Nephrol 2014;25:SA-OR038. 3. Yamamura Y et al. J Pharmacol Exp Ther 1998;287(3):860-867. 4. Reif GA et al. Am J Physiol Renal Physiol 2011;301(5):F1005-F1013. 5. Aktuelle JINARC® Fachinformation.

Jinarc® 15 mg Tabletten, Jinarc® 30 mg Tabletten, Jinarc® 45 mg Tabletten/ Jinarc® 15 mg Tabletten, Jinarc® 60 mg Tabletten/Jinarc® 30 mg Tabletten, Jinarc® 90 mg Tabletten/Jinarc® 30 mg Tabletten Wirkstoff: Tolvaptan Zusammensetzung: Wirkstoff: eine Tablette enthält Tolvaptan 15 mg, 30 mg, 45 mg/15 mg, 60 mg/30 mg, 90 mg/30 mg; sonstige Bestandteile: Maisstärke, Hyprolose, Lactose-Monohydrat, Magnesiumstearat, mikrokristalline Cellulose, Indigokarmin, Aluminiumlack. Anwendungsgebiete: Verlangsamung der Progression von Zystenentwicklung u. Niereninsuffizienz b. autosomal-dominanter polyzystischer Nierenerkrankung (ADPKD) b. Erwachsenen m. chron. Nierenerkrankung (CKD) (Stad. 1 – 3 zu Behandlungsbeginn m. Anzeichen für rasch fortschreitende Erkrankung). Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gg. Tolvaptan o. sonst. Bestandteile; erhöhte Leberenzyme u./o. Anzeichen oder Symptome von Leberschäden vor Behandlung, die Kriterien für dauerhaftes Absetzen erfüllen; Anurie; Volumendepletion; Hypernatriämie; Patienten, die keinen Durst empfinden/nicht auf Durstgefühl reagieren können; Schwangerschaft; Stillzeit. OPG/0117/JIN/1052

Nebenwirkungen: Sehr häufig: Polydipsie, Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Diarrhoe, Mundtrockenheit, Nykturie, Pollakisurie, Polyurie, Ermüdung, Durst. Häufig: Dehydratation, Hypernatriämie, verminderter Appetit, Hyperurikämie, Hyperglykämie, Schlaflosigkeit, Palpitationen, Dyspnoe, aufgetriebener Bauch, Obstipation, Dyspepsie, gastroösophageale Refluxkrankheit, anomale Leberfunktion, Ausschlag, Pruritus, Muskelspasmen, Asthenie, erhöhte Alaninaminotransferase (ALT), erhöhte Aspartataminotransferase (AST), Gewichtsverlust. Gelegentlich: erhöhtes Bilirubin. Häufigk. nicht bekannt: Anaphylaktischer Schock, generalisierter Ausschlag. Warnhinweise: Enthält Lactose! Arzneimittel für Kinder unzugänglich aufbewahren. Regelmäßige Leberwertkontrollen erforderlich – Sicherheitsvorschriften in der Fachinformation beachten. Pharmazeutischer Unternehmer: Otsuka Pharmaceutical Europe Ltd., Gallions, Wexham Springs, Framewood Road, Wexham, SL3 6PJ - Vereinigtes Königreich. Örtliche Vertretung in D: Otsuka Pharma GmbH, Friedrichstraße 2-6; 60323 Frankfurt. Stand: September 2016 Weitere Informationen siehe Fachinformation. Verschreibungspflichtig!


EDITORIAL

Cortana, lass mal die Jalousien runter! Siri, ist die Garage abgeschlossen? Alexa, ist der Wäschetrockner fertig? Sprachassistenten sind in. Es handelt sich dabei aber nicht, wie die Bezeichnung suggeriert, um Hilfsmittel, die einen beim (korrekten oder elaborierten) Sprechen unterstützen. Es handelt sich vielmehr um „Assistenten“, denen man nicht mit Maus und Tastatur die eigenen Wünsche nahebringen muss, sondern denen man das eigene Anliegen verbal vortragen kann. Versteckt in Smartphones, Laptops oder getarnt als stylischer Zylinder sind Amazons Alexa, Apples Siri, Microsofts Cortana und natürlich, fast hätt ich’s vergessen, Googles Assistant auf dem besten Wege, landauf landab die Gehirne lahmzulegen. Was soll ich noch denken, wenn ich eine Flat Rate für alles und jedes habe, was ich wissen will? Dabei – wollen wir überhaupt noch etwas wissen? Wurde nicht erst im vergangenen Jahr von der Gesellschaft für deutsche Sprache ein Wort zum Wort des Jahres gekürt, das die Substitution von Wahrheit und Fakten durch Gefühle beschreibt: „postfaktisch“? „Es heißt ja neuerdings, wir lebten in postfaktischen Zeiten“, konstatierte unsere Kanzlerin, und das viele Monate bevor im Land der sprichwörtlich unbegrenzten Möglichkeiten eine halbe Nation alternative Fakten für sich und den Rest der Welt schuf. Man muss aber inzwischen längst nicht mehr Präsident werden, um solche alternativen Fakten schnitzen zu können. Bauchgefühle werden getwittert auf Teufel komm raus und „gelikt“, was das Zeug hält – und alles muss so schnell gehen, dass nicht mal Zeit bleibt, um Alexa und Co. zu befragen. Wenn da noch jemand versucht zu argumentieren, dass es Beweise gäbe, die Erde würde um die Sonne kreisen, dann reicht ein kurzes, postfaktisches „Fake News!“, und das Thema ist vom

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Fake News, Fake Times, Fake Age Tisch. Wen wundert es da noch, dass in dem einen großen Elektromarkt, in dem ich nur deshalb einkaufe, weil ich nicht blöd bin, lauter Geschirrspüler mit einem Energieeffizienzlabel A+++ rumstehen, die sich von meinem inzwischen fast volljährigen Modell mit Energielabel E--- nur dadurch unterscheiden, dass es jetzt ein zusätzliches Programm gibt, das mit 5 Liter Wasser bei 30° Celsius 24 Stunden an meinem Geschirr rumnörpelt und deshalb für den Alltag völlig unbrauchbar ist. Es geht eben nicht um Fakten, und wenn doch, dann um beliebige, alternative, gerne auch gerade ausgedachte. Genauso wenig überrascht, dass Opa Schmitz mit seinem alten Benz, dem er jedes Jahr weitere 1500 Kilometer auf den Buckel packt, nun nicht mehr in die Stadt rein darf, damit er möglichst nachdrücklich zum Kauf eines vorgeblich umweltfreundlichen Schlachtschiffs genötigt werden kann, dessen Produktion alleine schon mehr Stickoxide produziert als Opa Schmitz‘ alter Benz in 20 Jahren. Und das zum Kaufpreis von fünf Rentenjahresgehältern minus 2000 Euro Trinkgeld. Man muss eben nur einen Weg finden, das Ganze kreativ zu berechnen – alternative Fakten eben. Und wenn der Beschiss doch einmal herauskommen sollte und es gar nicht mehr anders geht, dann war es eben ein wenig „geschummelt“. In vielen Bereichen sind Wunsch und Wirklichkeit schon lange in einer Weise ineinander aufgegangen, dass oft kaum noch auszumachen ist, welche Fakten nun wirklich welche sind. Wovon ich

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Prof. Dr. med. K.-L. Resch, Bad Elster

spreche? Zum Beispiel vom „Photoshoppen“ von Landschaften, Portraits, Ereignissen. Inzwischen infiziert dieser Virus zunehmend auch bewegte Bilder – nicht erst seit niemand sagen konnte, ob ein deutlich sichtbarer Stinkefinger zum damaligen griechischen Außenminister Varoufakis gehörte oder in Wirklichkeit Teil eines anderen Körpers war. Übrigens, während die Technik des „Fakens“ von Bildern und Videos in den letzten Jahren zum Generalangriff auf die Wirklichkeit zu blasen begann und es bald so weit sein dürfte, dass es de facto unmöglich sein wird, Henne und Ei zum eigentlichen Ursprung zurückzuverfolgen, sei daran erinnert, dass die Geschichte des Fakens schon viel länger zurückreicht. Lange war es allerdings einfacher, Hand an die Wirklichkeit selbst zu legen als an ihre bewegten und unbewegten Abbilder. Beispiele gefällig? Die amerikanische Sängerin Cher, © VERLAG PERFUSION GMBH


INHALT

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die meine Generation durch die Pubertät begleitete, wurde durch kunstfertige Chirurgenhand ebenso perfekt „umgewirklicht“ wie eine Generation später der King of Pop Michael Jackson ... Als die Bilder noch nicht richtig lügen konnten, gab es zu derlei Akteurs-basierten Ansätzen der Gestaltung der Wirklichkeit auch aus juristischen Gründen keine Alternative. Schließlich war es qua Gesetz geächtet, sich als Betrachter der Welt diese selbst zurecht zu biegen, z.B. durch entsprechende (Hilfs-)Mittelchen aus mexikanischen Pilzen oder afghanischen Schlafmohnplantagen. Während ich noch darüber nachdenke, kommen mir jetzt aber doch so langsam ernsthafte Zweifel, ob die geschilderten Symptome nicht am Ende allesamt auf eine infektiöse Pandemie polydimensionaler Wirklichkeiten zurückzuführen sind (was zumindest grundsätzlich die Möglichkeit einer Heilung implizieren würde), oder ob wir am Ende vielleicht doch tatsächlich in ein FaktenMultiversum hineingeboren wurden und künftige Generationen unser Heute als Ära des Fake Age, als Zeit des Übergangs in eine neue, multifaktorielle Dimension aus postfaktischen Geschichtsbüchern ansehen werden. Karl-Ludwig Resch, Bad Elster

ÜBERSICHTSARBEIT Pulmonale NTM-Infektionen – eine diagnostische und therapeutische Herausforderung Brigitte Söllner

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS Hereditäres Angioödem: Diagnose meistern, Therapie individuell managen

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Therapie der ADPKD mit Tolvaptan: Vereinfachte Identifizierung der geeigneten Patienten

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Zweitlinientherapie des mCRPC: Keine Zeit mit unwirksamen Therapien verschwenden

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Adipositas: Einstieg in die Gewichtsreduktion mit Cathin

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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL Multiples Myelom: Immunmodulierende Therapie mit Lenalidomid in allen Erkrankungsstadien verbessert Prognose

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IL-Rezeptor-Inhibitor Sarilumab: Eine neue Option zur Therapie der rheumatoiden Arthritis

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Agomelatin bei Depressionen: Viel mehr als nur Symptomremission

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RUBRIKEN Wissenswertes Kongresse JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 4/2017 · 26. JAHRGANG

116, 124, 140 135 © VERLAG PERFUSION GMBH


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Pulmonale NTM-Infektionen – eine diagnostische und therapeutische Herausforderung Brigitte Söllner, Erlangen

A

ls „nichttuberkulöse Mykobakterien (NTM)“ werden Mykobakterien bezeichnet, die weder dem Mycobacteriumtuberculosis-Komplex noch Mycobacterium leprae zugerechnet werden [1]. Vor allem NTM-Infektionen der Lunge (NTM Lung Disease, NTM-LD) stellen ein zunehmendes klinisches Problem dar [2]. Die chronische NTMLD ist mit 65–80 % der Fälle die häufigste klinische Manifestation einer NTM-Infektion [3]. Besonders Patienten mit vorbestehenden Atemwegserkrankungen oder strukturellen Lungenveränderungen sind hoch empfänglich für NTM-Infektionen [1]. Wie eine Metaanalyse zeigte, litt fast jeder 10. Patient mit Bronchiektasen an einer NTM-Lungeninfektion (Gesamtprävalenz 9,3 %) [4]. Diese Patienten haben, ebenso wie Patienten mit kavernösen Läsionen, generell eine hohe Mortalität [5, 6]. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die zur Verfügung stehende, langwierige Therapie für den Patienten sehr belastend ist und in vielen Fällen versagt. NTM: ubiquitär und resistent

Mykobakterien sind aufgrund ihrer dicken, lipidreichen, hydrophoben

Zellwand und ihrer Fähigkeit zur Bildung von Biofilmen besonders resistent gegen Antibiotika. NTM sind ubiquitär in großen Mengen in der Umwelt verbreitet, wobei die höchsten Konzentrationen im Boden und im Wasser anzutreffen sind [7]. Aktuell sind mehr als 150 Spezies bekannt, wobei 25 von klinischpathologischer Bedeutung für den Menschen sind [8]. Die einzelnen Spezies kommen in verschiedenen Ländern und Regionen in unterschiedlicher Häufigkeit vor. Grob unterschieden werden die NTM anhand ihrer Wachstumsrate in Kulturmedien: Rapidly Growing Mycobacteria (RGM) zeigen ein Wachstum innerhalb von 7–10 Tagen und Slowly Growing Mycobacteria (SGM) innerhalb von 1–3 Wochen oder länger. Entsprechend ist bei NTM-Infektionen eine lange Behandlungsdauer erforderlich [1]. Der mit Abstand am häufigsten für pulmonale NTM-Infektionen verantwortliche Keim ist das langsam wachsende Mycobacterium avium. Diese Spezies umfasst verschiedene Subspezies, weshalb sie auch als Mycobacterium-avium-Komplex (MAC) bezeichnet wird. In einer groß angelegten Studie wurde das Bakterium bei 37 % der NTM-LDFälle in Europa und 52 % der Fälle

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in Nordamerika nachgewiesen [7]. Die wichtigsten Vertreter der Gruppe der schnell wachsenden NTM sind M. abscessus und M. fortuitum. Schnell wachsenden NTM ließen sich bei 16 % der NTM-LD-Fälle in Europa und 20 % der Fälle in Nordamerika nachweisen [7]. Eine NTM-LD wird wahrscheinlich durch Einatmen von Tröpfchenaerosolen übertragen, es gibt bisher keine Hinweise auf eine Übertragung von Mensch zu Mensch. Da die meisten NTM in der Umwelt weit verbreitet sind, kann der Nachweis von NTM in unsterilem menschlichem Probenmaterial (z.B. Sputum) auch auf das zufällige Vorhandensein des Krankheitserregers zurückzuführen sein und muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Patient erkrankt ist [1]. Verifiziert wird die Diagnose durch typische klinische/ radiologische Befunde (s.u.). Prävalenz: weltweit steigend

Die NTM-LD tritt in den meisten industrialisierten Ländern auf, wobei weltweit eine Zunahme beobachtet wird [9]. Laut einer Studie, die die Prävalenz der NTM-LD in Deutschland anhand von Daten der gesetzlichen Krankenkassen aus © VERLAG PERFUSION GMBH


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der Routineversorgung erfasste, nahmen pulmonale NTM-Erkrankungen von 2009 bis 2014 von 2,3 auf 3,3 Fälle/100.000 Einwohner zu [10]. Dabei wurde in den letzten Jahren vor allem ein starker Anstieg von klinisch relevanten pulmonalen Infektionen verzeichnet, die eine stationäre Behandlung erforderlich machten, wobei 64 % der Krankenhauseinweisungen bei Patienten ≥55 Jahren erfolgten [11]. Symptome: variabel und unspezifisch

Die Einordnung von NTM-LDSymptomen bei Patienten mit vorbestehender Lungenerkrankung ist oft schwierig, weil die Symptome unspezifisch sind und als Zeichen der bestehenden Grunderkrankung interpretiert werden können [1]. Aus diesem Grund befindet sich die NTM-LD bei 2 von 3 Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose bereits im mittelschweren bis schweren Stadium [12]. Je nach Art des Erregers können bei Patienten mit NTM-LD eines oder sogar alle der folgenden Symptome auftreten [1, 3]: • Periodischer oder chronischer Husten (mitunter auch als Hämoptyse) • Auswurf • Fatigue • Nachtschweiß und Fieber • Gewichtsverlust • Kurzatmigkeit (Dyspnoe) • Schmerzen in der Thoraxregion • Unwohlsein und eingeschränkter Allgemeinzustand

(DGP), des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) sowie der American Thoracic Society (ATS) und der Infectious Disease Society of America (IDSA) sollte die Diagnose einer NTM-LD immer anhand einer Kombination aus klinischen, radiologischen und mikrobiologischen Befunden gestellt werden [1, 3]. Dabei müssen folgende Kriterien erfüllt sein: Klinisch/radiologisch • Bronchopulmonale Symptome, noduläre oder kavernöse Läsionen im Thoraxröntgenbild • oder multilokuläre Bronchiektasen mit multiplen kleinen nodulären Herden im hochauflösenden Computertomogramm (HRCT) • und Ausschluss anderer möglicher Krankheitsursachen Mikrobiologisch • Positive Kulturen aus mindestens 2 separaten Sputumproben • oder eine positive Kultur aus mindestens einer bronchoskopisch entnommenen Probe • oder eine transbronchiale oder andere Lungenbiopsie mit typischen histopathologischen Befunden und positiver Kultur • oder eine Biopsie mit Nachweis mykobakterieller histopathologischer Befunde und positiver Kultur aus mindestens einem oder mehreren anderen Probenmaterialien NTM-LD: drei typische Krankheitsbilder

Diagnose: klinisch, radiologisch und mikrobiologisch

Laut den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin

Eine pulmonale NTM-Infektion kann sich in verschiedenen klinischen Krankheitsbildern manifestieren [9]. Radiologisch lässt sich unterscheiden zwischen:

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Abbildung 1: Nichttuberkulöse Mykobakteriose bei einer 53-jährigen Patientin mit Bronchiektasen und Nachweis von Mycobacterium avium. a) Thoraxröntgenbild mit Kaverne im linken Oberlappen, b) HRCT mit dickwandiger Kaverne im linken Oberlappen (Quelle: Rademacher J. Atemwegs- und Lungenkrankheiten 2016;42(5):281–288, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Dustri-Verlags).

• einer vorwiegend fibrokavernösen Erkrankung (Abb. 1), • einer Verlaufsform, die durch ein „Tree-in-bud-Muster“ (Blütenzweigmuster) sowie Bronchiektasen gekennzeichnet ist (nodulär-bronchiektatische Form, Abb. 2) sowie • einer dritten, selteneren Form, der hypersensitiven Pneumonitis (HSP). Die fibrokavernöse, tuberkuloseartige Form tritt häufig bei Patienten mit MAC-Infektion auf, kommt aber auch bei anderen NTM-Infektionen vor [9]. Oft sind Raucher und Patienten mit Tuberkulose und COPD in der Vorgeschichte davon betroffen. Die Patienten klagen über Beschwerden © VERLAG PERFUSION GMBH


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Therapie: schwierig, langwierig, belastend

Abbildung 2: Lungenerkrankung durch Mycobacterium avium bei einer 60-jährigen Patientin mit Lady-Windermere-Syndrom. a) Thoraxröntgenbild p.-a. mit retikulärer, teils fleckig konfluierender Transparenzminderung des Mittellappens und der Lingula. b) Axiale Rekonstruktionen einer nativen hochauflösenden Computertomographie des Thorax mit bronchiolitischen Infiltrationen und Tree-in-bud-Phänomen (Quelle: Ringshausen FC, Rademacher J. Lungenerkrankung durch nichttuberkulöse Mykobakterien. Der Internist 2016;2(57):142–152, Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Springer, © Springer Medizin Verlag).

in den oberen Lungenabschnitten sowie über unspezifische Symptome wie Husten und Atemnot. Fieber und Hämoptyse treten seltener auf als bei Tuberkulose. Diese Form von NTM-Infektion scheint am schnellsten fortzuschreiten und sich innerhalb von Wochen bis Monaten zu verschlimmern. Die nodulär-bronchiektatische Form ist am häufigsten mit MAC assoziiert, aber auch andere Mycobacterium-Spezies einschließlich RGM (vor allem M. abscessus) in den USA sowie M. xenopi und M. malmoense in Europa sind bei dieser Verlaufsform nachzuweisen [9]. Dieses Krankheitsbild tritt vor allem bei Nicht-Raucherinnen mittleren und höheren Alters auf. Die Betroffenen haben meist einen schlanken Körperbau sowie Anomalien des Stütz- und Bewegungsapparates oder der Weichteile, außerdem eine erhöhte Häufigkeit von Mutationen des CFTR*-Gens. Unspezifische Symptome wie chronischer Husten – mit oder ohne Auswurf – stehen im Vor-

dergrund. Die Erkrankung kann langsam über einen Zeitraum von Monaten bis Jahren fortschreiten, im fortgeschrittenen Stadium können sich auch kavernöse Läsionen bilden. Eine hypersensitive Pneumonitis (NTM-HSP) entwickelt sich häufig nach Kontakt mit wässrigen Aerosolen, z.B. im Schwimmbad oder heißen Badewasser [9]. Die Erkrankung kann sich zum einen als subakute Form manifestieren, wobei die Patienten zu Beginn der Exposition über Symptome wie Husten, Atemnot und gelegentlich auch Fieber klagen. Nach Ende der Exposition klingen die Symptome ab und die radiologischen Zeichen sowie die Lungenfunktion bessern sich wieder. Bei einer starken Exposition kann es aber auch zu einem fulminanten Verlauf bis hin zur akuten Atemnot kommen und eine dauerhafte Exposition kann bleibende Lungenschäden, Bronchiolitis und Fibrose verursachen.

* CFTR = Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator

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Welche Mycobacterium-Infektion und welcher Patient wie und wann medikamentös behandelt werden muss, ist eine schwierige und individuelle Entscheidung. Indikatoren für den Start einer NTM-Therapie können das Ausmaß der Krankheit (z.B. niedriger BMI, kavitäre Veränderungen, klinische Symptome, mikrobiologische Belastung) oder der Nachweis einer Progression sein. Auch Komorbiditäten müssen bedacht werden und ob der Patient in der Lage ist, die Behandlung überhaupt durchzustehen. Denn die Therapie von NTM-LD ist mit vielen typischen Schwierigkeiten verbunden: Sie erfordert ein langwieriges, kostenintensives und potenziell toxisches medikamentöses Therapieschema und die meist erforderliche Kombinationstherapie ist mit einem relativ hohen Risiko für unerwünschte Arzneimittelreaktionen und/oder Toxizitäten verbunden [3]. So kommt es bei 10–50 % der Patienten mit pulmonaler MAC-Erkrankung unter der empfohlenen Antibiotikatherapie zu Nebenwirkungen unterschiedlichen Grades [13]. Zudem können auftretende Resistenzen zu Rückschlägen führen und die weitere Therapie erschweren. Daher stellt die Behandlung hohe Anforderungen an die Patienten bezüglich der Therapieakzeptanz. Generell sollte der behandelnde Arzt deshalb vor der Therapieeinleitung zusammen mit dem Patienten das Behandlungsziel festlegen: Heilung, mikrobiologische Verbesserung (Sputumkonversion), klinisch-radiologische Besserung oder Symptomkontrolle bzw. Palliation. © VERLAG PERFUSION GMBH


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Ist die Entscheidung für die Einleitung einer gezielten Therapie der pulmonalen NTM-Infektion gefallen, gilt es das adäquate Therapieregime auszuwählen. Die Empfehlungen, welche Antibiotika im speziellen Fall für die Behandlung eingesetzt werden können, sind aufgrund fehlender statistisch ausreichend aussagekräftiger kontrollierter Studien eingeschränkt. Häufig stützen sich die Therapierichtlinien auf Konsensusmeinungen in Verbindung mit Ergebnissen zur In-vitro-Empfindlichkeit des Antibiotikums [7]. Daher werden Antibiotika eingesetzt, die sich bei der Therapie der Tuberkulose als wirksam erwiesen haben, obwohl die eigentliche NTM-Therapie nicht der Tuberkulosebehandlung entspricht [3]. Da die Patienten auf die initiale NTM-Behandlung am besten ansprechen, muss die Initialtherapie nach einem leitliniengerechten Behandlungsschema durchgeführt werden [14]. Bei Infektionen mit MAC und M. abscessus ist eine Kombinationstherapie über einen längeren Zeitraum anzuraten, da bei einer Monotherapie mit einem Makrolid das Risiko einer schnellen Resistenzentwicklung besteht [3]. Die deutschen Leitlinien und das ATS/IDSA-Statement empfehlen Kombinationstherapien auf der Basis von Makroliden für diese beiden NTM-Infektionen [1, 3]. MAC-Infektionen Zur Behandlung der häufigsten pulmonalen NTM-Infektionen mit dem langsam wachsenden MACKomplex empfiehlt das Statement der ATS/IDSA das folgende Therapieprogramm [3]:

• Noduläre/bronchiektatische Erkrankung Initial 3× wöchentlich eine Kombinationstherapie mit dem Makrolid Clarithromycin 1000 mg (oder Azithromycin 500–600 mg) plus Ethambutol 25 mg/kg plus Rifampicin 600 mg. • Kavernöse Erkrankung oder schwere noduläre/bronchiektatische Erkrankung Bei kavernöser Erkrankung initial einmal täglich Clarithromycin 500**–1000 mg/d (oder Azithromycin 250–300 mg/d) plus Ethambutol 15 mg/kg/d plus Rifampicin 450**–600 mg/d und, falls notwendig, Aminoglykoside wie Streptomycin oder Amikacin. Gemäß dem ATS/IDSA-Statement sollte bei MAC-Infektion und ausgeprägter, insbesondere fibrokavernöser Erkrankung oder bei Patienten nach Therapieversagen eine intermittierende Gabe der Aminoglykoside Amikacin oder Streptomycin generell in den ersten 2–3 Therapiemonaten erwogen werden. Das empfohlene Therapieregime bei Patienten mit schwerer nodulär/bronchiektatischer Erkrankung beinhaltet Clarithromycin 1000 mg/d (oder Azithromycin 250 mg/d) plus Ethambutol 15 mg/ kg/d plus Rifampicin 10 mg/kg/d (höchstens 600 mg/d). Bei vielen Patienten kann es aufgrund von gastrointestinaler Unverträglichkeit nötig sein, die Dosierung von Clarithromycin aufzuteilen (z.B. 500 mg 2× täglich). Bei Patienten mit niedrigem Körpergewicht (<50 kg) oder einem Alter über 70 Jahre kann bei Unverträglichkeit auch eine Reduktion der Clarithromycin-Dosis auf 500 mg/d oder

250 mg 2× täglich notwendig werden. • Fortgeschrittene schwere Erkrankung oder vorbehandelte Erkrankung Tägliche Kombinationstherapie mit Clarithromycin 500**– 1000 mg/d (oder Azithromycin 250–300 mg/d) plus Ethambutol 15 mg/kg/d plus Rifabutin 150**– 300 mg/d (oder Rifampicin 450**– 600 mg/d) und ein Aminoglykosid (Streptomycin oder Amikacin). Im Gegensatz zu ATS/IDSA empfehlen die deutschen Leitlinien [1] unabhängig von der Schwere der Erkrankung generell eine tägliche Therapie. Demnach sollten intermittierende Therapieschemata nur bei Auftreten von Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des individuellen Krankheitsverlaufs als Alternative in Betracht gezogen werden. Bei täglicher Gabe sollte daher eine Dosis von 15 mg Ethambutol/kg/d verabreicht werden [1]. Bezüglich der Anwendung von Aminoglykosiden weisen die deutschen Leitlinien darauf hin, dass die Zugabe von Streptomycin/Amikacin als viertes Arzneimittel bei schweren und ausgedehnten kavernösen MACInfektionen in Erwägung gezogen werden kann, um eine schnellere Reduktion der Keimzahl zu erzielen [1]. Bei der intravenösen Gabe von Aminoglykosiden ist jedoch grundsätzlich darauf zu achten, dass die Anwendung aufgrund möglicher schwerer Nebenwirkungen wie Nephrotoxizität (15 %), Ototoxizität (37 %) und vestibuläre Toxizität (9 %) auf das absolut notwendige Minimum beschränkt wird [15].

** Niedrigere Dosis bei einem Körpergewicht <50 kg

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Infektionen mit Mycobacterium abscessus Die Therapie von Infektionen mit dem häufigsten schnell wachsenden NTM M. abscessus ist besonders schwierig. Die Leitlinien und Empfehlungen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften weisen darauf hin, dass M. abscessus bei den meisten Patienten nicht vollständig eliminierbar ist [1, 3]. Das Therapieziel von negativen Sputumkulturen über 12 Monate unter Therapie erscheint sinnvoll, doch gibt es keine medikamentöse Strategie, mit der dieses Ziel zuverlässig erreichbar wäre [3]. Bei fokalem Befall sollte eine chirurgische Resektion in Betracht gezogen werden [3]. Therapieerfolg: langfristig bescheiden

Primäres mikrobiologisches Therapieziel bei den meisten pulmonalen NTM-Infektionen ist die Fortsetzung der Behandlung nach erreichter Konversion, bis die Sputumkultur über 12 Monate negativ geblieben ist (Sputumkonversion). Deshalb muss die Therapie ausreichend lange fortgesetzt werden [1, 3]. Die Sputumkonversion ist definiert als 3 aufeinanderfolgende negative Sputumkulturen [16]. Während der Therapie einer MACInfektion sollten einmal monatlich Proben entnommen werden. Unter Makrolid-haltiger Kombinationstherapie ist nach 3–6 Monaten eine klinische Besserung zu erwarten und unter Therapie sollte nach 12 Monaten eine Sputumkonversion erfolgen. Falls die Therapie über diesen Zeitraum versagt, sollten die Compliance, aber auch eine Makrolidresistenz überprüft werden [3]. Eine Makrolidresistenz

tritt beispielsweise bei MakrolidMonotherapie oder Kombinationstherapie mit einem Makrolid und Chinolon auf und erschwert die weitere Therapie. MAC-Patienten ohne Sputumkonversion nach einjähriger Therapie hatten eine erheblich höhere Mortalitätsrate [17]. Ein ausbleibender Therapieerfolg ist jedoch auch darauf zurückzuführen, dass Ärzte die NTMLD nicht immer leitliniengerecht behandeln. So zeigte eine vom Dezember 2011 bis Januar 2012 durchgeführte Befragung von Ärzten in den USA, dass nur 13 % der Verordnungen bei MAC-Patienten dem ATS/IDSA-Statement entsprachen [18]. 16 % der Patienten mit NTM-LD erhielten eine Makrolid-Monotherapie, 56 % erhielten kein Makrolid. Ähnliches ergab eine deutsche Umfrage bei einer repräsentativen Stichprobe von Ärzten, bei der Behandlungsdaten aus Krankenakten von NTMLD-Patienten zusammengetragen wurden: Von 123 dokumentierten MAC-Patienten mit NTM-LD erhielten lediglich 5 Patienten (4 %) die empfohlene Dreifach-Antibiotikatherapie unter Einschluss eines Makrolids für mindestens 6 Monate [19]. Aber auch bei einer Umsetzung der Leitlinien bleibt der langfristige Therapieerfolg bescheiden. In einer retrospektiven, monozentrischen Überprüfung der Wirksamkeit von Therapieschemata mit einem Makrolid/Azalid bei pulmonaler nodulär-bronchiektatischer MAC-Erkrankung kam es zwar bei 84 % der Patienten zur Sputumkonversion, nach Abschluss der Therapie wurde jedoch bei 48 % der Patienten ein mikrobiologisches Wiederauftreten der Infektion beobachtet, wobei 25 % ein Rezidiv und 75 % eine Neuinfektion

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mit einem anderen MAC-Genotyp zeigten [20]. Fazit

Die erfolgreiche Behandlung einer pulmonalen NTM-Infektion wird durch zahlreiche Faktoren beeinträchtigt, insbesondere durch eine mangelnde Therapieadhärenz infolge von Nebenwirkungen oder Unverträglichkeit von Medikamenten, die vorangegangene Therapie einer pulmonalen MAC-Erkrankung, fehlendes Ansprechen auf ein Therapieregime oder das Auftreten eines makrolidresistenten MAC-Isolates [3]. Zur effizienteren Therapie und Reduktion von Nebenwirkungen werden daher dringend spezifische antimikrobiotische Mittel benötigt. Ein vielversprechender Ansatz ist eine neue Formulierung von Amikacin: Statt der intravenösen bzw. intramuskulären Gabe wird das Aminoglykosid eingeschlossen in Liposome per inhalationem verabreicht. Die Vorteile liegen auf der Hand: Das relativ schwer membrangängige Antibiotikum gelangt auf diese Weise rasch und in hoher Konzentration in die Lunge und kann dort seine – in vielen Studien belegte – Wirkung entfalten, ohne die häufig beobachteten schweren Nebenwirkungen auszulösen [21, 22].

Literatur 1 Schönfeld N, Haas W, Richter E et al. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie nichttuberkulöser Mykobakteriosen des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Pneumologie 2013;67:605-633 2 Griffith DE, Aksamit TR. Nontuberculous mycobacterial lung disease. Curr Opin lnfect Dis 2010;23:185-190

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3 Griffith DE, Aksamit T, Brown-Elliott BA et al. An official ATS/IDSA statement: diagnosis, treatment, and prevention of nontuberculous mycobacterial diseases. Am J Respir Crit Care Med 2007;175:367-416 4 Chu H, Zhao L, Xiao H et al. Prevalence of nontuberculous mycobacteria in patients with bronchiectasis: a meta-analysis. Arch Med Sci 2014;10:661-668 5 Ito J, Hirai T, Maekawa K et al. Predictors of 5-year mortality in pulmonary Mycobacterium avium-intracellulare complex disease. Int J Tuberc Lung Dis 2012;16: 408-414 6 Loebinger MR, Wells AU, Hansell DM et al. Mortality in bronchiectasis: a long term study assessing the factors influencing survival. Eur Respir J 2009;34:843-849 7 Johnson MM, Odell JA. Nontuberculous mycobacterial pulmonary infections. J Thorac Dis 2014;6:210-220 8 Van Ingen J. Diagnosis of nontuberculous mycobacterial Infections. Semin Respir Crit Care Med 2013;34:103-109 9 Weiss CH, Glassroth J. Pulmonary disease caused by nontuberculous mycobacteria. Expert Rev Respir Med 2012;6:597-613 10 Ringshausen FC, Wagner D, de Roux A et al. Prevalence of nontuberculous mycobacterial pulmonary disease, Germany, 2009– 2014. Emerg Infect Dis 2016;22:11021105 11 Ringshausen FC, Apel RM, Bange FC et al. Burden and trends of hospitalisations associated with pulmonary non-tuberculous mycobacterial infections in Germany, 2005–2011. BMC Infectious Diseases 2013;13:231

12 Wagner D, van Ingen J, Adjemian J et al. Annual prevalence and treatment estimates for nontuberculous mycobacterial pulmonary disease in Europe: A NTM-NET Collaborative Study 2014. Poster #1067, presented at ERS Congress 2014 13 Prevots DR, Shaw PA, Strickland D et al. Nontuberculous mycobacterial lung disease prevalence at four integrated health care delivery systems. Am J Respir Crit Care Med 2010;182:970-976 14 Thomson RM, Yew WW. When and how to treat pulmonary non-tuberculous mycobacterial diseases. Respirology 2009;14: 12-26 15 Olivier KN, Shaw PA, Glaser TS. Inhaled amikacin for treatment of refractory pulmonary nontuberculous mycobacterial disease. Ann Am Thorac Soc 2014;11:30-35 16 Kang HK et al. Treatment outcomes of adjuvant resectional surgery for nontuberculous mycobacterial lung disease. BMC Infect Dis 2015;15:76 17 Griffith DE, Brown-Elliott BA, Langsjoen B et al. Clinical and molecular analysis of macrolide resistance in mycobacterium avium complex lung disease. Am J Respir Crit Care Med 2006;174:928-934 18 Adjemian J, Prevots DR, Gallagher J. Lack of adherence to evidence-based treatment guidelines for nontuberculous mycobacterial lung disease. Ann Am Thorac Soc 2014;11:9-16 19 Wagner, D, Lange B, Kern WV et al. Annual prevalence and treatment estimates of nontuberculous mycobacterial pulmonary disease in Germany: a NTM-NET collaborative study. Presentation at Congress for

Infectious Disease and Tropical Medicine, Cologne, Germany, Jun 28, 2014 20 Wallace RJ Jr, Brown-Elliott BA, McNulty S et al. Macrolide/azalide therapy for nodular/bronchiectatic MAC lung disease. Chest 2014;146:276-282 21 Rose SJ, Neville ME, Gupta R et al. Delivery of aerosolized liposomal amikacin as a novel approach for the treatment of nontuberculous mycobacteria in an experimental model of pulmonary infection. PLoS ONE 2014;9:e108703 22 Olivier KN, Griffith DE, Eagle G et al. Randomized trial of liposomal amikacin for inhalation in nontuberculous mycobacterial lung disease.Am J Respir Crit Care Med 2017;195:814-823

„Bist du Chris?“:

Ein Deutschland ohne Hepatitis C? Dieses Szenario war bis vor kurzem noch undenkbar. Doch dank einer neuen Generation von direkt antiviral wirkenden Kombinationstherapien lässt sich die Erkrankung inzwischen fast immer heilen. Dies eröffnet die Chance, Hepatitis C massiv einzudämmen oder sogar zu eliminieren, wie es sich die Bundesregierung bzw. die Weltgesundheitsorganisation WHO als Ziel gesetzt haben. Bis 2030 soll dieses Ziel erreicht sein.

die schwere gesundheitliche Folgen nach sich ziehen und lebensbedrohlich verlaufen kann. Die WHO schätzt, dass weltweit rund 71 Millionen Menschen mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert sind, etwa 399.000 sterben jährlich an den Folgen. Für Deutschland gehen Experten von etwa 250.000 infizierten Menschen aus, genaue Zahlen gibt es nicht. Professor Michael P. Manns, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Leberstiftung sowie Vorsitzender der Initiative pro Leber, schätzt, dass 40 % der HCV-infizierten Menschen in Deutschland nichts von ihrer Erkrankung wissen. Wesentliches Ziel der neu gegründeten Initiative ist daher, dass sich

Aufklärungskampagne „Deutschland ohne Hepatitis C“ Die Deutsche Leberstiftung, die Deutsche Leberhilfe e.V. und das Arzneimittelunternehmen Gilead Sciences GmbH haben die Initiative pro Leber gegründet und eine bundesweite Aufklärungskampagne gestartet. Das Ziel: Die Öffentlichkeit über die Hepatitis C aufzuklären und damit die Voraussetzung für eine Eindämmung oder Eliminierung dieser Infektionskrankheit zu schaffen. Denn das Wissen in der Bevölkerung über Risiken und Behandlungsmöglichkeiten ist gering.

Viele wissen nicht, dass sie infiziert sind

Hepatitis C ist eine chronische Infektionskrankheit der Leber,

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Anschrift der Verfasserin: Brigitte Söllner Medizinjournalistin Lärchenweg 10 91058 Erlangen E-Mail: brigitte.soellner@online.de

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WISSENSWERTES

möglichst viele Menschen mit einem erhöhten Infektionsrisiko testen lassen. „Nur wer weiß, dass er krank ist, kann auch behandelt werden. Und nur wer behandelt wird, hat eine Chance auf Heilung. Ein einfacher Bluttest kann Klarheit schaffen“, so der Leberexperte. Manns betont, dass die Therapie mit den neuen direkt wirkenden antiviralen Substanzen (Direct-Acting Antivirals, DAA) einen Paradigmenwechsel in der Hepatitis-C-Behandlung herbeigeführt hat. „Mit den neuen Medikamenten lassen sich in der Regel innerhalb von 8–24 Wochen Heilungsraten von 95 % und mehr erzielen – bei guter Verträglichkeit und unabhängig vom Genotyp der infizierenden Viren.“ HCV: Zehnmal so ansteckend wie HIV

Das Hepatitis-C-Virus wird in erster Linie durch Blut-zu-BlutKontakt übertragen und ist dabei etwa zehnmal so ansteckend wie das Humane ImmunschwächeVirus HIV. Bis vor gut 20 Jahren war einer der wesentlichen Übertragungswege die Transfusion von kontaminiertem Blut, doch seit 1992 werden in Deutschland Blutprodukte auf HCV-Antikörper getestet, bevor sie zum Einsatz kommen. Heute infizieren sich immer noch Menschen durch unzureichend sterilisierte Medizingeräte, durch mit Blutkontakt assoziierte

Sexualpraktiken, durch Tätowierungen und Piercings, die mit nicht sterilisierten Instrumenten/ Materialien durchgeführt wurden. Das Virus kann in seltenen Fällen auch durch eine Schwangerschaft auf das Baby übertragen werden. In vielen Fällen bleibt der Übertragungsweg jedoch unbekannt. Die Krankheit ist heilbar. Das wissen nur 32 Prozent

„Heilung braucht Erkenntnis“, so fasst Professor Claus Niederau, Vorstandsmitglied der Deutschen Leberhilfe e.V., die Ausgangsbasis der Kampagne „Bist du Chris?“ zusammen. „Wir sehen gewaltige Fortschritte in der Behandlung der Hepatitis C mit in der Regel 95-prozentiger Heilungschance für die meisten Patienten. Wir haben damit die Möglichkeit, die Krankheit zu eliminieren. Die Initiative pro Leber tritt an, um diese Fortschritte und Chancen bestmöglich zu erschließen.“ Nach einer repräsentativen GfKUmfrage (GfK SE 2017), die die Initiative durchgeführt hat, kennt aber nur eine Minderheit der Befragten diese Chancen. Lediglich 32 % haben davon gehört, dass die meisten Patienten komplett geheilt werden können. Ein weiteres Problem: Viele unterschätzen die Erkrankung. „Obwohl 78 % wissen, dass sich jeder anstecken kann, denken nur 7 %, dass sie jemals Kontakt zu dem Virus gehabt

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haben könnten.“ Viele Menschen erkennen offenbar nicht, wie relevant die Erkrankung für sie sein kann. Und die Umfrage enthüllt weitere Wissenslücken. So weiß nur rund ein Drittel (34 %), dass man sich gegen Hepatitis C nicht impfen lassen kann und nur jeder Zweite (50 %) hat Kenntnis davon, dass die Krankheit oft asymptomatisch verläuft, die Infektion also lange unbemerkt bleiben kann. Warum „Chris“?

Chris ist eine international gebräuchliche, häufige und populäre Form eines weiblichen oder männlichen Vornamens. Mit dem Kampagnen-Motto möchte die Initiative dem Irrglauben entgegentreten, dass Hepatitis C eine Infektion ist, die nur „andere“ betrifft, und die Lebererkrankung von ihrem Stigma befreien. Die Menschen sollen motiviert werden, sich über das potenzielle Infektionsrisiko zu informieren, mit ihrem Arzt zu sprechen und sich gegebenenfalls testen zu lassen. Niederau hofft auf rege Unterstützung durch die Hausärzte: „Sie sind die erste Anlaufstelle für gesundheitliche Probleme, kennen ihre Patienten meist gut, können sie beraten und einen Bluttest in die Wege leiten.“ E. W.

Weitere Informationen unter: bist-du-chris.de Pressebüro Initiative pro Leber Tel.: 089 /38 39 30 60 Sprechzeiten: Mo. bis Fr. 9–12 und 14–17 Uhr presse@initiative-pro-leber.de © VERLAG PERFUSION GMBH


AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

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S

chwellungen im Gesicht oder an den Extremitäten (Abb. 1a, b), kolikartige Bauchschmerzen, mitunter auch Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich – Angioödeme können sich vielfältig manifestieren. Sie können auf verschiedenen internistischen Krankheiten beruhen, sind häufig Resultat einer Mastzell-Aktivierung, können aber auch durch Störungen des Bradykinin-Pathways verursacht werden. Im Akutfall sind die beiden Formen anhand des klinischen Bildes kaum zu differenzieren. Für die Therapie ist die Unterscheidung – gerade wenn es schnell gehen muss – jedoch unerlässlich, denn der Mediator bestimmt die Therapie. So sind Antihistaminika und Kortikosteroide zwar bei Mastzell-Aktivierung effektiv, versagen aber bei Bradykinin-vermittelten Formen wie dem hereditären Angioödem (HAE), das durch einen angeborenen Mangel oder eine Funktionsstörung des C1-Inhibitors (C1-INH) verursacht wird. Für die Akuttherapie des HAE steht z.B. der subkutan zu applizierende Bradykinin-B2-RezeptorAntagonist Icatibant (Firazyr®) zur Verfügung [1]. Für alle Formen der Prophylaxe eignet sich das C1INH-Konzentrat Cinryze® [2]. Bei Bauchkrämpfen auch an HAE denken

Bei rezidivierenden Abdominalschmerzen werden häufig allergische Reaktionen oder Intoleranzreaktionen auf Nahrungsmittel oder Medikamente als Ursache vermutet. Doch auch Systemerkrankungen sollten in die Differenzialdiagnose einbezogen werden. Bei fast allen Patienten mit einem hereditären Angioödem treten äußerst schmerzhafte Schleimhautschwel-

Hereditäres Angioödem: Diagnose meistern, Therapie individuell managen Pathophysiologie des HAE Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine Form des nicht allergischen Angioödems, die auf einer autosomal-dominant vererbten Mutation des C1-Inhibitor(C1-INH)-Gens beruht. Hieraus resultiert eine verminderte Synthese von C1-INH oder ein funktionell defektes Protein. Das C1-INH-Protein spielt unter anderem bei der Aktivierung des Kallikrein-Kinin-Systems eine Rolle und reguliert die Produktion des vasoaktiven Peptidhormons Bradykinin, dem zentralen Mediator der HAE-Attacken. Ist zu wenig C1-INH vorhanden, werden große Mengen Kallikrein freigesetzt und die BradykininKonzentration steigt übermäßig an [3].

Plasma-Kallikrein Bradykinin-Metaboliten

Bradykinin bindet an die Bradykinin-B2-Rezeptoren auf den Endothelzellen und führt zu einer Vasodilatation mit erhöhter vaskulärer Permeabilität. Die Folge sind spontane und wiederkehrende Schwellungsattacken der Mukosa und Submukosa in verschiedenen Bereichen des Körpers. Die oft schmerzhaften Symptome sind belastend und können bei Zungenschwellungen und/oder Schwellungen im Hals- bzw. Kehlkopfbereich lebensbedrohlich sein. Die meisten Angioödem-Patienten werden mit Hautschwellungen auffällig. Am häufigsten betroffen sind die Extremitäten, das Gesicht und die Genitalien. Auch der Körperstamm ist manchmal einbezogen. Schätzungsweise rund 70% der Schwellungsattacken betreffen die Schleimhäute der inneren Organe. Vor allem MagenDarm-Attacken sind häufig. Letztere äußern sich als krampfartige Abdominalschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und/oder Durchfall. Unbehandelt dauern die Attacken meist 2–5 Tage an. Zur Abklärung eines HAE werden die C-INH-Konzentration und -Aktivität sowie die Komplementkomponente C4 bestimmt.

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

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Icatibant

a)

b)

Das Dekapeptid Icatibant (Firazyr®) ist ein Antagonist des Bradykinin-B2-Rezeptors. Es weist eine ähnliche Struktur auf wie das Nonapeptid Bradykinin und enthält 5 nicht proteinogene Aminosäuren. Diese Charakteristika bedingen die antagonistische Aktivität, die Selektivität für den Bradykinin-B2-Rezeptor sowie die Resistenz gegenüber einer enzymatischen Spaltung. Firazyr® steht als Fertigspritze zur Verfügung und kann nach entsprechender Schulung der subkutanen Injektion durch medizinisches Fachpersonal vom Patienten selbst appliziert werden [1].

HAE blass, unscharf begrenzt und ohne Juckreiz dar [3]. In den meisten Fällen treten die Attacken ohne erkennbaren Grund auf. Jedoch können Traumata wie Zahnoperationen und Tonsillektomien HAE-Attacken auslösen. Als weitere Auslöser werden unter anderem emotionaler Stress, Infektionskrankheiten und bei Frauen die Menstruation sowie Änderungen der Östrogenspiegel angegeben [3]. Individuelles Therapiemanagement

c)

Abbildung 1: Hereditäres Angioödem: Charakteristisch sind nicht nur eine Schwellung der Lippe [4] sowie Schwellungen an den Extremitäten [5], sondern auch Schleimhautschwellungen innerer Organe wie beispielsweise an der Darmwand [6].

lungen im Gastrointestinaltrakt auf (Abb. 1c). Die damit verbundenen Bauchkrämpfe und kolikartigen Beschwerden bis hin zum Bild des akuten Abdomens führen nicht selten zu Fehldiagnosen (z.B. akute Appendizitis oder Magengeschwür) und nicht indizierten operativen Eingriffen. Im Gegensatz zu allergisch bedingten Schwellungen, die normalerweise papulös, klar umrissen, rot und juckend sind, stellen sich Schwellungen bei

Ziel der Therapie bei bekanntem HAE ist es, die erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität, die Morbidität und die Mortalität der Erkrankung zu reduzieren. Empfohlen wird, jede Attacke zu behandeln, vor allem wenn sie zu einer Funktionseinschränkung führt oder das Gesicht, den Hals oder das Abdomen betrifft. Zur Akutbehandlung, d.h. zum Aufhalten der Ödembildung und zur raschen Symptomlinderung, stehen 2 Therapieansätze zur Verfügung: die Blockade des Bradykinin-B2-Rezeptors mittels Icatibant (Firazyr®), das als subkutan applizierbare Fertigspritze verfügbar ist, und der Ausgleich des C1INH-Mangels durch die intravenöse Gabe von C1-INH-Konzentrat.

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Bei operativen Eingriffen, in Zeiten mit erhöhtem Attackenrisiko oder bei Patienten mit häufigen und schweren Attacken kann eine Kurz- oder Langzeitprophylaxe mit C1-INH-Konzentrat sinnvoll sein, z.B. mit dem C1-INHKonzentrat Cinryze®. Mit den verfügbaren Therapieoptionen ist ein individuelles und auf die Lebenssituation des Patienten abgestimmtes Therapiemanagement möglich. Fabian Sandner, Nürnberg

Literatur 1 Fachinformation Firazyr®, Stand: März 2017 2 Fachinformation Cinryze®, Stand Januar 2017 3 Bork K et al. Allergo J 2012;21:109-118 4 Quelle: Prof. Dr. Murat Bas, Klinikum rechts der Isar der TU München 5 Quelle: Dr. Emel Aygören-Pürsün, Universitätsklinikum Frankfurt am Main 6 Quelle: Prof. Dr. Markus Magerl, CharitéUniversitätsmedizin Berlin

Quelle: Symposium „Angioödeme in der internistischen Praxis – von der Ursache zur Intervention“, am 30. April 2017 im Rahmen des 123. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in Mannheim. Veranstalter: Shire Deutschland GmbH.

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Therapie der ADPKD mit Tolvaptan: Vereinfachte Identifizierung der geeigneten Patienten

D

ie autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) ist eine stark beeinträchtigende, chronische und fortschreitende Erbkrankheit der Nieren. Die sogenannten Zystennieren sind die vierthäufigste Ursache für terminales Nierenversagen [1]. Mit Tolvaptan (JINARC®) steht erstmals in Europa eine Behandlungsmöglichkeit der ADPKD zur Verfügung. Der nierenspezifisch wirkende Vasopressin-V 2-Rezeptor-Antagonist kann die Krankheitsprogression verlangsamen und das Nierenversagen hinauszögern [2, 3]. Indiziert ist Tolvaptan bei erwachsenen Patienten mit Niereninsuffizienzstadium (CKD) 1–3 zu Behandlungsbeginn mit Anzeichen für rasche Krankheitsprogression [2]. Wie die Praxis gezeigt hat, ist die Identifizierung der geeigneten Patienten mit rascher Progression einfacher als bisher angenommen: Als wichtigster Parameter genügt dafür meist schon die Nierenfunktion in Bezug zum Alter. Tolvaptan reduziert Nierenwachstum, Nierenfunktionsverlust und Nierenschmerzen

Bei ADPKD kommt es aufgrund einer Mutation des Gens PKD1 oder PKD2 zur Entwicklung zahlreicher flüssigkeitsgefüllter Nie-

renzysten, deren stetiges Wachstum eine fortschreitende Nierenschädigung bis hin zum terminalen Nierenversagen verursacht. Das klinische Bild ist individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Hypertonie, Hämaturie, Proteinurie und Flankenschmerzen oder Zysteninfektionen sind die häufigsten Symptome, aber auch extrarenale Manifestationen könnten auftreten. Unbehandelt entwickeln die Patienten eine progressive Niereninsuffizienz, die in den meisten Fällen zur Dialysepflichtigkeit führt. Die Aussicht auf eine Dialyse belastet die Betroffenen sehr. Mit dem 2015 bei ADPKD zugelassenen Tolvaptan besteht nun erstmals die Möglichkeit, die Nierenersatztherapie hinauszuzögern. In der randomisierten, placebokontrollierten Phase-III-Studie TEMPO 3/4 führte die ADPKDBehandlung mit Tolvaptan zu einer jährlichen Reduktion des Nierenvolumenwachstums um 49 % und zu einer Reduktion des jährlichen Nierenfunktionsverlusts um 32 % [3]. Auch die klinische Progression (kombinierter sekundärer Endpunkt aus Verschlechterung der Nierenfunktion, Nierenschmerzen, Verschlechterung von Hypertonie und Albuminurie) konnte mit Tolvaptan versus Placebo signifikant verringert werden. Bedeutend für viele Patienten war insbesondere die Reduktion der Nierenschmerzen um 36 % [4]. Um diese The-

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rapieerfolge zu erzielen, sollte die Behandlung mit Tolvaptan möglichst frühzeitig erfolgen – nicht zuletzt, weil ein Mehr an Lebenszeit, ohne auf eine Dialyse angewiesen zu sein, ein Plus an Lebensqualität für den Betroffenen bedeutet. ERA-EDTA-Empfehlungen zur Indikationsstellung können vereinfacht werden

Für die Therapie mit Tolvaptan geeignete Patienten müssen zu Behandlungsbeginn ein CKD-Stadium 1–3 mit Anzeichen für rasche Krankheitsprogression aufweisen [2]. Bisher gibt es aber noch keine etablierte Definition für „rasche Progression“. Die 2016 veröffentlichten Empfehlungen der European Renal Association/European Dialysis and Transplant Association (ERA-EDTA) zur ADPKD-Behandlung mit Tolvaptan enthalten einen hierarchischen Entscheidungsalgorithmus über 5 Kriterien, mit dem die für Tolvaptan geeigneten Patienten mit „rascher“ oder „wahrscheinlich rascher“ Progression identifiziert werden können (Abb. 1) [6]. Allerdings ist die Anwendung des Algorithmus relativ kompliziert. Dank der klinischen Erfahrungen der letzten beiden Jahre haben sich jedoch drei vereinfachte Kriterien bzw. Fragestellungen aus dem ERA-EDTA© VERLAG PERFUSION GMBH


ERA-EDTA-Empfehlungen – PRAXIS Bewertung AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE der Progression

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Abbildung 1: ERA-EDTA-Algorithmus zur Bewertung der ADPKD-Progression [6]. Gansevoort RT et al. Nephrol Dial Transplant. 2016;31:337–348.

Algorithmus herauskristallisiert, anhand derer es bei einem Großteil der Patienten möglich ist, das Progressionsrisiko einzuschätzen [7]: • Zunächst wird betrachtet, ob die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) mehr als 45 ml/min/1,73 m2 beträgt und ob dieser Wert in Bezug zum Alter relativ niedrig ist. Wenn ja, spricht dies bereits für das Vorliegen einer raschen Progression. • Das zweite Kriterium für eine rasche Progression ist eine belegte eGFR-Abnahme von im ≥2,5 ml/min/1,73 m2/Jahr Verlauf von 5 Jahren. • Auf eine wahrscheinlich rasche Progression weisen auch

ein größenadjustiertes Gesamtnierenvolumen (htTKV) entsprechend der Mayo-Klassen [8] 1C–1E oder eine mit Ultraschall gemessene Nierenlänge >16,5 cm vor dem 45. Lebensjahr hin. Anhand der eGFR in Zusammenhang mit dem Alter lassen sich die meisten der für eine Tolvaptan-Therapie infrage kommenden ADPKD-Patienten identifizieren. Nur bei wenigen Patienten ist für die Abschätzung des Progressionsrisikos eine Gesamtnierenvolumenmessung mittels MRT oder die Bestimmung der Nierenlänge mit Ultraschall notwendig [7]. Elisabeth Wilhelmi, München

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Literatur 1 Grantham JJ et al. N Engl J Med 2006; 354:2122-2130 2 Fachinformation JINARC®; Stand September 2016 3 Torres VE et al. N Engl J Med 2012;367: 2407-2418 4 Casteleijn NF et al. Am J Kidney Dis 2017;69:210-219 5 Torres VE et al. Clin J Am Soc Nephrol 2016;11:803-811 6 Gansevoort RT et al. Nephrol Dial Transplant 2016;31:337-348 7 Gansevoort RT. Präsentation anlässlich des 54. Kongresses der European Renal Association/European Dialysis and Transplant Association (ERA-EDTA), Madrid 2017 8 Irazabal MV et al. J Am Soc Nephrol 2015;6:160-172

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Zweitlinientherapie des mCRPC: Keine Zeit mit unwirksamen Therapien verschwenden

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atienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) überleben länger, wenn sie möglichst viele der verfügbaren Therapien in der für den Patienten optimalen Reihenfolge erhalten. Im Krankheitsverlauf anstehende Therapieentscheidungen müssen auf Basis der aktuellen Datenlage, aber auch der individuellen Situation und Präferenz des Patienten getroffen werden. Professor Nicolas Mottet, Saint-Étienne, stellte im Rahmen der 9. Expertise Prostata die aktuellen Alternativen und die Vorteile einer frühzeitigen intensiven Therapie zur Diskussion.

nicht zuletzt angesichts der heute verfügbaren Optionen nicht mehr vertretbar, zumal Patienten mit einer Resistenz – gleichgültig ob primär vorhanden oder therapeutisch erworben – frühzeitig identifiziert werden können“, so Mottet. Als Kriterien für eine Chemotherapie gelten • ein kurzes Ansprechen (<1 Jahr) auf eine primäre Androgendeprivation, aber auch • viszerale Metastasierung, • hohe Tumorlast, • entdifferenziertes Karzinom mit initial hohem GleasonScore und • eine kurze PSA-Verdoppelungszeit.

Kriterien für eine Chemotherapie

Häufig werden Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom in der First Line zunächst mit einer Androgenrezeptor(AR)-gerichteten Therapie behandelt. Laut Mottet vernachlässigt diese Strategie jedoch, dass das Prostatakarzinom ein extrem heterogener Tumor ist und 25 % der Patienten aufgrund einer primären Resistenz gegen AR-gerichtete Substanzen keine wirksame Therapie erhalten. Diese Patienten würden von einer Chemotherapie profitieren. „Eine Zeitverschwendung mit unwirksamen Medikamenten ist

Alle Optionen für eine Chemotherapie berücksichtigen

Schreitet die Tumorerkrankung bei diesen Patienten unter oder nach einer Docetaxel-Therapie fort, dann spricht die Datenlage für die Fortsetzung der Chemotherapie mit Cabazitaxel. Die kontinuierliche Taxan-Sequenz war in retrospektiven Auswertungen von 944 Patienten in 13 Studien im Hinblick auf den Überlebensvorteil allen anderen Sequenzen überlegen: 229 Patienten hatten nach Docetaxel Cabazitaxel, gefolgt von Abirateron/Enzalutamid erhalten, 318 erst Abirateron/Enzalutamid und dann

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Cabazitaxel und 469 Patienten nur AR-gerichtete Substanzen. 74,6 % der Patienten, die nach DocetaxelVersagen direkt mit Cabazitaxel, gefolgt von einer AR-gerichteten Therapie weiterbehandelt wurden, waren nach einem Jahr noch am Leben – im Vergleich zu 61,3 %, die nach Docetaxel Cabazitaxel erst nach einer antiandrogenen Therapie erhalten hatten. Ohne Cabazitaxel-Einsatz (also 2 aufeinanderfolgende AR-gerichtete Therapien nach Docetaxel) lag die Überlebensrate nur bei 28,5 % [1]. Diese Auswertung zeigt, wie wichtig es für das Überleben der Patienten ist, dass alle 3 Therapieoptionen (Docetaxel, Cabazitaxel und Abirateron/ Enzalutamid) bei der Therapieplanung berücksichtigt werden. Regelmäßige Bildgebung ist unerlässlich

Für die Therapieüberwachung wird in der Praxis nach wie vor gerne der PSA-Wert genutzt – auch um z.B. eine Kontroll-Bildgebung zu veranlassen. Die PSA-Progression alleine reicht aber aus verschiedenen Gründen nicht aus. Von ihrer alleinigen Nutzung für das Therapiemonitoring wird daher auch in den Richtlinien der EAU (European Association of Urology) von 2016 abgeraten [2]. Eine Ursache © VERLAG PERFUSION GMBH


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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

ist z.B. die Gefahr von Fehlinterpretationen, da der Tumor durchaus viszeral ohne PSA-Progress fortschreiten kann [3]. Für die Praxis empfiehlt Mottet deshalb grundsätzlich 3 Monate nach Beginn einer AR-gerichteten Therapie eine Kontrolle per Bildgebung. Indiziert ist sie für ihn auch bei einem PSA-Anstieg sowie immer bei symptomatischer Progression. So wird sichergestellt, dass die Patienten frühzeitig auf eine wirksame Therapie mit größeren Chancen auf Überlebensverlängerung umgestellt werden. Wenn durch die regelmäßige Bildgebung der Progress unter Docetaxel bzw. der AR-gerichteten Therapie erkennbar ist, zeigen retrospektive Analysen, dass Patienten, die direkt mit Cabazitaxel weiterbehandelt werden, im Median länger leben. Gegen eine Weiterbehandlung mit einer AR-gerichteten Substanz sprechen die Ergebnisse retrospektiver Analysen, die eine Kreuzresistenz zwischen Abirateron und Enzalutamid zeigen. Ein wichtiger klinischer Hinweis auf eine endokrine Resistenz ist ein kurzes Ansprechen auf die primäre Androgendeprivation. Elisabeth Wilhelmi, München

Adipositas: Einstieg in die Gewichtsreduktion mit Cathin

D

ie Prävalenz der Adipositas ist in den vergangenen Jahrzehnten rapide angestiegen. Die Ergebnis≠se einer kürzlich im Fachblatt Lancet publizierten Studie verdeutlichen die globale Relevanz der Adipositas: Weltweit leben heute mehr Übergewichtige als Unterernährte [1]. Auch in Deutschland ist in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg der Adipositas zu beobachten. Die Zahl von Personen mit einem BMI über 40 stieg zwischen den Jahren 1999 und 2009 um 74 % an [2]. Fast jeder Vierte (23 % der Männer und 24 % der Frauen) gilt hierzulande mittlerweile als adipös [3]. Komorbiditäten wie kardiovaskuläre Erkrankungen sind daher wesentliche Gesundheitsprobleme unserer Gesellschaft. Lebensstiländerung sind meist nicht ausreichend

Literatur 1 Maines F, Caffo O, Veccia A et al. Sequencing new agents after docetaxel in patients with metastatic castration-resistant prostate cancer. Crit Rev Oncol Hematol 2015;96:498-505 2 Mottet N, Bellmunt J, Bolla M et al. EAUESTRO-SIOG Guidelines on Prostate Cancer. Part 1: screening, diagnosis, and local treatment with curative intent. Eur Urol. 2017;71:618-629 3 Pezaro C, Omlin A, Lorente D et al. Visceral disease in castration-resistant prostate cancer. Eur Urol 2014;65:270-273

Die in Deutschland bevorzugte multimodale Strategie mit den Bestandteilen Lebensstilintervention, Veränderung des Ernährungsverhaltens und gesteigerte körperliche Aktivität resultierte bislang nicht in einer deutlichen Senkung der Adipositas-Prävalenz. Nur selten führt eine Änderung des Lebensstils zu einer langfristigen Gewichtsreduktion. Zwei Drit-

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tel der Menschen, die durch eine klassische konservative Therapie Gewicht verloren haben, nehmen das abgenommene Gewicht bereits nach einem Jahr wieder zu – und fast alle haben nach 5 Jahren mindestens wieder ihr Ausgangsgewicht erreicht [4]. Effektive Therapien zur Gewichtsreduktion sollten daher auch medikamentöse Möglichkeiten einbeziehen, wie sie die S3-Leitlinie der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG) vorgibt [5]. Indikationen für die medikamentöse Therapie

Die Therapie der Adipositas basiert gemäß der DAG-Leitlinie, abhängig von BMI und Risikofaktoren, auf den Säulen Ernährung, Bewegung, Verhalten, Medikation und Operation. Die Indikation für eine medikamentöse Adipositas-Therapie besteht, wenn bei Personen mit einem BMI von mindestens 30 kg/m2 die mit Basismaßnahmen erzielte Gewichtsabnahme nicht mindestens 5 % in 3–6 Monaten beträgt. Bei Vorliegen von Komorbiditäten wird eine medikamentöse Therapie bereits ab einem BMI von 28 kg/ m2 empfohlen. Eine Pharmakotherapie kann zudem immer adjuvant zu einer Änderung des Lebensstils eingesetzt werden [5]. © VERLAG PERFUSION GMBH


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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS / WISSENSWERTES

Cathin – ein seit 40 Jahren bewährter Appetitzügler

Eine geeignete Therapieoption zum Start in die medikamentöse Gewichtsreduktion ist das pflanzliche Alkaloid Norpseudoephedrin, das seit mehr als 100 Jahren bekannt ist und in Deutschland vor über 40 Jahren als Alvalin® zugelassen wurde. Das appetitzügelnde Alpha-Sympathomimetikum mit dem Wirkstoff Cathinhydrochlorid ist zur unterstützenden Behandlung von Patienten mit Übergewicht (BMI ≤30 kg/m2) zugelassen, die auf konservative gewichtsreduzierende Maßnahmen alleine nicht angesprochen haben [6]. Alvalin® ist in Tropfenform erhältlich, die empfohlene Dosierung beträgt 8–12 Tropfen einmal täglich nach dem Frühstück. Falls nach 3–4 Wochen keine Gewichtsabnahme festgestellt wird, sollte die Behandlung abgebrochen werden. Bei einer Einnahme über 4 Wochen hinaus sollte der Nutzen gegenüber den möglichen Risiken (vor allem Entwicklung einer pulmonalen arteriellen Hypertonie, kardiovaskuläre oder zerebrovaskuläre Ereignisse) abgewogen werden. Studiendaten belegen Wirksamkeit und Sicherheit

Die Wirksamkeit von Cathin wurde in einer Therapiestudie mit insgesamt 529 Teilnehmern mit einem durchschnittlichen BMI von 36 kg/m2 überprüft [7]. Der mittlere Gewichtsverlust bei einer 52-wöchigen Intervalltherapie (3 12-wöchige Therapieblöcke, dazwischen 2 8-wöchige Behandlungspausen) betrug für die Teil-

nehmer, die die Studie bis zum Ende durchlaufen hatten (n = 496), 6,3 % in der Cathin-Gruppe und 2,7 % in der Placebo-Gruppe. Der Anteil der Teilnehmer, die ihr Gewicht in relevantem Ausmaß um mehr als 5 % reduzieren konnten, lag unter Cathin bei 50,6 %, verglichen mit 23,7 % unter Placebo. Unerwünschte Ereignisse traten in beiden Behandlungsarmen mit vergleichbarer Häufigkeit auf. Lediglich Mundtrockenheit war unter Cathin häufiger zu beobachten [7]. Neben der hohen Wirksamkeit und der – bei Einhaltung der empfohlenen Behandlungsdauer – guten Verträglichkeit ist der niedrige Preis ein weiterer Vorteil von Alvalin®: Mit Tagestherapiekosten von etwa einem Euro ist das Präparat für die meisten Betroffenen nicht budgetbelastend. Fabian Sandner, Nürnberg

Literatur 1 NCD Risk Factor Collaboration (NCDRisC). Lancet 2016;387:1377-1396 2 Mikrozensus 2009, Statistisches Bundesamt 3 http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Themen/Uebergewicht_ Adipositas/Uebergewicht_Adipositas_ node.html (letzter Abruf: 31.05.2017) 4 Raggi MC et al. Diabetol Stoffwechsel Herz 2012;21:321-324 5 http://www.adipositas-gesellschaft.de/fileadmin/PDF/Leitlinien/050-001l_S3_Adipositas_Praevention_Therapie_2014-11. pdf 6 Fachinformation ALVALIN®, Stand Juli 2015 7 RIEMSER Pharma GmbH, Eudra CT Nummer 2012-003426-24

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Neues aus der MS-Forschung:

Cladribin-Tabletten haben bei „High Disease Activity“-Patienten höhere Wirksamkeit MS-Patienten mit hoher Krankheitsaktivität (High Disease Activity, HDA) haben ein erhöhtes Risiko für Schübe und Behinderungsprogression. Im Rahmen der Jahrestagung der American Academy of Neurology (AAN) 2017 in Boston wurde eine Post-hocAnalyse* der CLARITY-Studie präsentiert, die den Effekt des Prüfpräparates Cladribin-Tabletten auf Patienten mit HDA untersuchte. CLARITY war eine zweijährige (96-wöchige), randomisierte, placebokontrollierte internationale Doppelblindstudie, bei der Studienteilnehmer entweder 2 unterschiedliche Dosierungen von Cladribin-Tabletten (3,5 mg/kg und 5,25 mg/kg) oder Placebo erhielten. In der aktuellen Post-hocAnalyse konnte gezeigt werden, dass Patienten mit HDA besser oder vergleichbar auf 3,5 mg/kg Cladribin-Tabletten ansprachen als Patienten ohne HDA. Für die Analyse wurden die Patienten in 2 HDA-Kategorien eingeteilt: Zum einen jene, die unabhängig von ihrer Behandlung mindestens 2 Schübe im vergangenem Jahr hatten. Zum anderen diejenigen, die trotz medikamentöser Behandlung mindestens 2 Schübe oder 1 Schub plus ≥1 T1 Gd+-Läsionen oder ≥9 T2-Läsionen hatten. In der gesamten Studienpopulation reduzierten Cladribin-Tabletten das Risiko für eine nach 6 Monaten bestätigte Behinderungsprogression um 47 % (HR = 0,53; © VERLAG PERFUSION GMBH


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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

95%-KI: 0,36–0,79; p = 0,0016). Bei Patienten in beiden HDAKategorien senkten Cladribin-Tabletten das Risiko einer Behinderungsprogression sogar um 82 % (HR = 0,18; 95%-KI: 0,08–0,44; p = 0,0002 bzw. HR =0,18; 95%KI: 0,07–0,43; p = 0,0001). Dies weist auf ein höheres Ansprechen auf Cladribin-Tabletten bei Patienten mit HDA hin. Cladribin-Tabletten reduzierten zudem das relative Risiko (RR) für Schübe bei den Studienteilnehmern um 58 % vs. Placebo (RR = 0,42; 95%-KI: 0,33–0,52; p < 0,0001); bei Patienten mit HDA sank es sogar um 67 % (RR = 0,32; 95%-KI: 0,22– 0,47; p < 0,0001 bzw. RR = 0,33; 95%-KI: 0,23–0,48), p < 0,0001). F. S.

Idiopathische Lungenfibrose:

Neue Darreichungsform von Esbriet® erleichtert individuelles Therapiemanagement Seit Mitte Juli stehen zur Behandlung der leichten bis mittelschweren idiopathischen Lungenfibrose (IPF) zwei neue Tablettenformulierungen von Esbriet® (Pirfenidon) zur Verfügung: 267-mgFilmtabletten zur Auftitration und zum Therapiemanagement sowie 801-mg-Filmtabletten für die Erhaltungsdosis (3× 801 mg). Flexibles Dosierschema

Nach der IPF-Leitlinie sollten symptomatische Patienten ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung eine antifibrotische Therapie erhalten. Diese kann mit der Esbriet® 267-mg-Tablette initiiert

Abbildung 1: Therapieschema zur Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose mit Pirfenidon (Esbriet®).

werden. Für die Erhaltungsdosis können IPF-Patienten die empfohlene Tagesdosis dann mit 3× täglich einer 801-mg-Tablette einnehmen. Die Auftitration mit den neuen Esbriet®-Tabletten erfolgt analog der mit der Kapsel. Sobald der Patient auf der vollen Dosis (2.403 mg/d) stabil ist und sie gut verträgt, kann er auf 3×1 801-mgTablette am Tag umgestellt werden (Abb. 1). Die 3×3-Gabe mit der 267-mg-Tablette kann jedoch auch beibehalten und bei Bedarf angepasst werden. Dieses individuelle Therapiemanagement ermöglicht es, die Behandlung auf den jeweiligen Patienten und seine Bedürfnisse auszurichten. Leitlinie und Studiendaten belegen therapeutischen Nutzen

Die aktualisierte deutsche S2kLeitlinie zur medikamentösen Therapie der IPF weist Pirfenidon aufgrund des klinisch relevanten Effekts auf den Krankheitsverlauf, insbesondere die signifikante Reduktion des Verlusts der forcierten Vitalkapazität (FVC), den höchsten Empfehlungsgrad (A, 1-a) zu.

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In den klinischen Studien verzögerte sich unter Pirfenidon im Vergleich zu Placebo die Verschlechterung der Atemnot und es kam zu einer deutlichen Verringerung der Hustenfrequenz, sodass sich die hustenbezogene Lebensqualität der Patienten signifikant verbesserte. Hohe Adhärenz

Patienten bestätigen auch die gute Verträglichkeit von Esbriet. In einer Befragung unter IPF-Patienten, die Antifibrotika erhielten, gaben 86 % an, auftretende Nebenwirkungen bewältigen zu können. Denn mittels Dosisreduktion lassen sich Nebenwirkungen, die vor allem in den ersten 6 Monaten der Therapie auftreten können, mindern, was sich positiv auf die Adhärenz auswirkt. So kam es in einer Analyse antifibrotischer Therapien unter Pirfenidon zu weniger Therapieabbrüchen und zu einer längeren Medikamenteneinnahme gegenüber der Vergleichsgruppe Nintedanib (23,8 % vs. 33,5 %; p < 0,001). J. S. © VERLAG PERFUSION GMBH


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D

as multiple Myelom ist eine bislang unheilbare hämatologische Erkrankung, bei der es nach Phasen der Remission in der Regel zu einem Rezidiv kommt. Dabei werden die Phasen des Krankheitsstillstandes nach jedem Rezidiv kürzer und die Lebensqualität der Erkrankten verschlechtert sich meist deutlich. Gerade in späteren Therapielinien, d.h. bei Patienten, die bereits mehrere Rezidive hatten, gibt es noch einen hohen Bedarf an Therapieoptionen, die die Immunfunktion verbessern und das Fortschreiten der Erkrankung verzögern können. Mit Lenalidomid (Revlimid®) steht ein immunmodulierender Wirkstoff (IMiD®) zur Verfügung, der für alle Erkrankungsstadien des multiplen Myeloms zugelassen ist und die progressionsfreie Überlebenszeit der Patienten deutlich verlängern kann. Bewährter Wirkstoff für das gesamte Erkrankungskontinuum

Lenalidomid wurde bereits am 14. Juni 2007 zur Therapie des rezidivierten/refraktären multiplen Myeloms (rrMM) zugelassen. Im Februar 2015 folgte die die Indikationserweiterung für die Therapie von unbehandelten, nicht transplantierbaren Patienten und im

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Multiples Myelom: Immunmodulierende Therapie mit Lenalidomid in allen Erkrankungsstadien verbessert Prognose Februar 2017 wurde der immunmodulierende Wirkstoff zur Erhaltungstherapie bei erwachsenen Patienten mit neu diagnostiziertem multiplem Myelom (ndMM) nach einer autologen Stammzelltransplantation (ASCT) zugelassen [1]. Durch diesen Beschluss der Europäischen Kommission können Myelom-Patienten nun in unterschiedlichen Erkrankungsstadien mit Lenalidomid behandelt werden: Patienten mit neu diagnostiziertem multiplem Myelom entweder im Anschluss an eine ASCT oder, wenn sie nicht transplantierbar sind, in der Erstlinienbehandlung sowie Patienten mit rezidivierter/refraktärer Erkrankung (Tab. 1). Diese Zulassungen von Lenalidomid über das gesamte Erkrankungskontinuum des multiplen Myeloms haben die Prognose der

Patienten deutlich verbessert. So beträgt das erwartete Gesamtüberleben von Patienten, die Lenalidomid als Erhaltungstherapie nach einer ASCT erhalten, rund 10 Jahre und ist damit fast 2 Jahre länger als bei Patienten ohne Erhaltungstherapie [2]. Nicht transplantierbare ndMM-Patienten profitieren vom Einsatz von Lenalidomid in der Erstlinientherapie mit einer medianen Überlebenszeitverlängerung von 10,0 Monaten im Vergleich zu MPT (Melphalan – Prednison – Thalidomid; medianes OS im Lenalidomid-Arm: 59,1 Monate, im MPT-Arm: 49,1 Monate; HR 0,78; p = 0,00234) [3]. Auch im Rezidiv profitieren die Patienten von der IMiD®-Therapie durch eine Verlängerung der Zeit bis zur Krankheitsprogression (13,4 vs. 4,6 Monate; p < 0,001) und des Gesamtüberlebens [4, 5].

Indikation

Initialdosis

In Kombination mit Dexamethason zur Behandlung des multiplen Myeloms bei erwachsenen Patienten, die mindestens eine vorausgegangene Therapie erhalten haben

25 mg oral einmal täglich an den Tagen 1–21 in 28-Tage-Zyklen in Kombination mit Dexamethason

Als Kombinationstherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit unbehandeltem multiplem Myelom, die nicht transplantierbar sind

25 mg oral einmal täglich an den Tagen 1–21 in 28-Tage-Zyklen in Kombination mit Dexamethason

Als Monotherapie für die Erhaltungstherapie erwachsener Patienten mit neu diagnostiziertem multiplem Myelom nach einer autologen Stammzelltransplantation

Kontinuierlich 10 mg einmal täglich oral (an den Tagen 1–28 der sich wiederholenden 28-Tage-Zyklen). Die Dosis kann nach 3 Zyklen Lenalidomid-Erhaltungstherapie auf 15 mg einmal täglich oral erhöht werden, sofern der Patient die Behandlung verträgt

Tabelle 1: Indikationen für Lenalidomid (Revlimid®) [1].

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Lenalidomid Lenalidomid (Revlimid®) ist ein oraler Wirkstoff aus der Gruppe der immunmodulierenden Substanzen. Neben seiner immunmodulierenden Wirkung besitzt Lenalidomid direkte antitumorale (tumorizide, antiinflammatorische und antiangiogenetische) Effekte. Bei diesen Prozessen spielt das Molekül Cereblon eine zentrale Rolle, das von Myelomzellen und verschiedenen Immuneffektorzellen exprimiert wird. Cereblon ist Bestandteil einer Ubiquitin-Ligase, die eine Reihe von Proteinen für den proteasomalen Abbau markiert. Durch Bindung von Lenalidomid an Cereblon wird der Ubiquitinierungsprozess gesteigert. Dies beeinflusst die Expression regulatorischer Komponenten des Immunsystems und vermittelt die tumoriziden und immunmodulierenden Effekte von Lenalidomid [1]. Direkte antitumorale Wirkung [13]

Therapeutische Immunmodulation [13]

• Lenalidomid aktiviert Tumorsuppressorgene und reduziert die Expression von Onkogenen (MYC, IRF4). Dadurch wird ein Zellzyklusstopp herbeigeführt. • Die Aktivierung von Caspasen leitet die Apoptose der Myelomzellen ein. • Lenalidomid inhibiert die Bindung von Myelomzellen an Proteine der extrazellulären Matrix des Knochenmarks sowie der Stromazellen und unterbindet damit den Signalaustausch. • Lenalidomid aktiviert verschiedene Immunzellen (T-, NK- und dendritische Zellen) und verstärkt so die T-Zell-basierte zytotoxische Immunantwort. • Durch eine Hemmung regulatorischer T-Zellen, die immunsuppressive Funktionen ausüben, verbessert Lenalidomid die angeborene und adaptive Immunreaktion. In diesem Zusammenhang spielt auch eine Lenalidomid-vermittelte Erhöhung der der Zytokinproduktion (Interleukin-2, Interferon-γ) eine Rolle.

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OS median, Monate (95%-KI) unerreicht LenalidomidErhaltungstherapie 86,0 (79,8–96,0) Kontrolle HR 0,74 /0,62–0,89); p=0,001

100 7-Jahres-OS 80 Patienten (%)

62% 60 50%

40

20

0 0

20

40

60

80

100

120

Monate

Abbildung 1: Die Metaanalyse zeigt eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens (OS) unter der Erhaltungstherapie mit Lenalidomid gegenüber der Placebo-Kontrolle [2].

Lenalidomid in der Myelom-Rezidivtherapie

Lenalidomid als Erhaltungstherapie nach ASCT

Mit Lenalidomid in Kombination mit Dexamethason wurde 2007 die erste orale Anti-MyelomTherapie zugelassen. Basis der Zulassung waren die Ergebnisse der beiden randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden Phase-III-Studien MM-0094 (Nordamerika, n = 353) und MM0105 (Europa, n = 351) [4, 5]. Die Teilnehmer beider Studien waren größtenteils zuvor mit Bortezomib, Thalidomid, hochdosiertem Dexamethason oder Kombinationen dieser Therapien behandelt worden, zudem hatten mehr als 50 % bereits eine Stammzelltransplantation erhalten. Primärer Endpunkt war die Zeit bis zur Krankheitsprogression. Die gemeinsame Analyse beider Studien zeigte, dass Lenalidomid/Dexamethason gegenüber Placebo/Dexamethason zu einer beinahe dreifach längeren progressionsfreien Zeit sowie zu einem signifikanten Vorteil im Gesamtüberleben führte [4, 5].

Patienten mit neu diagnostiziertem multiplem Myelom, die körperlich fit und in einer guten klinischen Verfassung sind, kommen in der Regel für eine autologe Stammzelltransplantation (ASCT) in Betracht. Dies trifft auf etwas mehr als ein Drittel der unbehandelten MM-Patienten zu [6]. Nach der ASCT gab es bis vor Kurzem keine zugelassene Erhaltungstherapie. Zwar konnte die Transplantation die Prognose der Patienten insgesamt verbessern, jedoch kam es bei mehr als der Hälfte der Patienten nach etwa 2–3 Jahren zu einem Krankheitsrezidiv [7, 8]. Die erweiterte Zulassung von Lenalidomid trägt zu einer Verbesserung dieser Situation bei, da der Einsatz des IMiDs® die Zeit bis zur Krankheitsprogression deutlich verlängert. Die Zulassung als Erhaltungstherapie nach ASCT erfolgte aufgrund der Ergebnisse der Phase-III-Studien CALGB 100104 und IFM 200502 [9, 10]. Beide Studien hatten als primären Endpunkt das progressi-

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onsfreie Überleben (PFS), zu dem mittlerweile jeweils Langzeitdaten vorliegen [1]. In CALGB 100104 betrug das mediane PFS nach 81,6 Monaten Follow-up unter Lenalidomid 56,9 Monate, unter Placebo dagegen 29,4 Monate (HR = 0,61; p < 0,001). In IFM 2005-02 lag das mediane PFS nach 96,7 Monaten Follow-up unter Lenalidomid bei 44,4 Monaten im Vergleich zu 23,8 Monaten unter Placebo (HR = 0,57; p < 0,001) [1]. Da beide Studien nicht für eine Auswertung des Gesamtüberlebens (OS) gepowert waren, wurde hierzu – auch aufgrund der Forderung der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA – eine zusätzliche Metaanalyse durchgeführt [2]. Diese umfasst gemäß einer systematischen Literaturrecherche neben den genannten Studien zusätzlich Daten der Studie GIMEMA RV-209. So konnten Daten von insgesamt 1209 Patienten, die eine Lenalidomid-Erhaltungstherapie nach ASCT erhielten, ausgewertet werden. In dieser Metaanalyse wurde das mediane Gesamtüberleben in der Lenalidomid-Gruppe nicht er© VERLAG PERFUSION GMBH


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Senkung des Mortalitätsrisikos – um 34 % vs. VMP (Melphalan, Prednison, Bortezomib) – um 25 % vs. MPT (Melphalan, Prednison, Thalidomid) – um 54 % vs. MP (Melphalan, Prednison) Risikoreduktion hinsichtlich Progression oder Tod im Endpunkt progressionsfreies Überleben – um 30 % vs. VMP (Melphalan, Prednison, Bortezomib) – um 31 % vs. MPT (Melphalan, Prednison, Thalidomid) – um 61 % vs. MP (Melphalan, Prednison) Tabelle 2: Wirksamkeit einer kontinuierlichen Lenalidomid-Therapie in der Erstlinienbehandlung von ndMM-Patienten (Ergbnisse einer Netzwerk-Metaanalyse, in die 20 Publikationen zu 17 randomisierten kontrollierten Studien einbezogen wurden) [12].

reicht (vs. 86 Monate in der Kontrollgruppe; HR = 0,74; p = 0,001). Das erwartete OS unter der Lenalidomid-Erhaltungstherapie beträgt fast 10 Jahre und ist damit im Median mehr als 2 Jahre länger als bei Patienten ohne Erhaltungstherapie (Abb. 1) [2]. Dabei wurde für den immunmodulierenden Wirkstoff – konsistent mit anderen Auswertungen – ein gut handhabbares, vorwiegend hämatologisches Sicherheitsprofil dokumentiert. Kontinuierliche Firstline-Therapie mit Lenalidomid bei nicht transplantierbaren Patienten

Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sind jedoch nicht alle Patienten mit multiplem Myelom für eine Stammzelltransplantation geeignet, sei es aufgrund des Alters, bestehender Komorbiditäten oder

des Allgemeinzustands. Seit Februar 2015 ist Lenalidomid auch zur Erstlinienbehandlung dieser nicht transplantierbaren Patienten zugelassen [1]. Basis der Zulassung war unter anderem die FIRST-Studie, in der eine kontinuierliche Lenalidomid-Therapie* Vorteile gegenüber einer zeitlich begrenzten Lenalidomid-Therapie sowie dem MPT-Regime (Melphalan, Prednison, Thalidomid) zeigte [11]. Zudem belegt eine kürzlich durchgeführte Netzwerk-Metaanalyse, dass die kontinuierliche Lenalidomid-Therapie auch anderen etablierten Erstlinientherapien wie z.B. VMP (Melphalan, Prednison, Bortezomib) überlegen ist: Die Analyse der Daten ergab ein signifikant reduziertes Progressions- sowie Mortalitätsrisiko unter der kontinuierlichen Lenalidomid-Therapie verglichen mit allen anderen Therapieregimen (Tab. 2) [12].

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Die Autoren folgern, dass diese Ergebnisse darauf hindeuten, dass die kontinuierliche LenalidomidTherapie* bis zum Progress vermutlich die beste Option für neu diagnostizierte Myelom-Patienten ist, die transplantationsungeeignet und/oder älter als 65 Jahre sind. Brigitte Söllner, Erlangen Literatur 1 Fachinformation REVLIMID®, Stand Februar 2017 2 Attal M et al. J Clin Oncol 34;2016 (Suppl.): Abstract #8001 and oral presentation at ASCO 2016. Abrufbar unter http://www. myelomabeacon.com/docs/asco2016/8001. pdf; letzter Zugriff: 08.06.2017 3 Facon T et al. ASH 2016, Abstract #241 4 Weber DM et al. N Engl J Med 2007; 357:2133-2142 5 Dimopoulos MA et al. N Engl J Med 2007;357:2123-2132 6 Merz M et al. Ann Hematol 2017;96:987993 7 Attal M, et al. Blood 2006;108:3289-3294 8 Child JA, et al. N Engl J Med 2003; 348:1875-1883 9 McCarthy PL et al. N Engl J Med 2012; 366:1770-1781 10 Attal M et al. N Engl J Med 2012; 366:1782-1791 11 Benboubker L et al. N Engl J Med 2014; 371:906-917 12 Weisel K et al. Leuk Lymphoma 2017;58: 153-161 13 Mitsiades N et al. Blood 2002;99:45254530

* 25 mg Lenalidomid an den Tagen 1–21 und niedrig dosiertes Dexamethason (40 mg) an den Tagen 1, 8, 15 und 22 in 28-TageZyklen bis zum Progress

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T

rotz der zahlreichen verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten haben 45 % der Patienten, die an rheumatoider Arthritis (RA) leiden, eine moderate oder hohe Krankheitsaktivität [1]. Eine effektive und verträgliche Therapie zu finden, ist oft langwierig und belastend für den Patienten. Zudem besteht das Risiko, dass Patienten in Remission nach längerer Behandlungsdauer nicht mehr ausreichend auf ihre Therapie ansprechen. Neue Wirkstoffe wie der IL-6-Rezeptor-Inhibitor Sarilumab (Kevzara®) können die Therapieoptionen dieser Patienten erweitern. Sarilumab ist ein voll humaner monoklonaler Antikörper, der an den Interleukin-6-Rezeptor (IL6R) bindet und den proinflammatorischen IL-6R-vermittelten Signalweg hemmt. Die Europäische Kommission hat Sarilumab im Juni 2017 zugelassen. Indiziert ist Sarilumab in Kombination mit Methotrexat (MTX) zur Behandlung der mittelschweren bis schweren aktiven rheumatoiden Arthritis bei erwachsenen Patienten, die auf ein oder mehrere krankheitsmodifizierende antirheumatische Arzneimittel (conventional synthetic disease-modifying anti-rheumatic drugs, DMARDs) unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben. Wenn MTX nicht vertragen wird oder wenn eine Behandlung mit MTX ungeeignet ist, kann Sarilumab auch als Monotherapie gegeben werden [2]. Interleukin-6 – ein geeignetes Target in der RA-Therapie

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IL-Rezeptor-Inhibitor Sarilumab: Eine neue Option zur Therapie der rheumatoiden Arthritis Rheumatoide Arthritis: Auf der Suche nach der geeigneten Therapie Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine Autoimmunerkrankung, deren Pathogenese durch die Einwanderung von Immunzellen in die Gelenke und die dortige Freisetzung proinflammatorischer Botenstoffe (Zytokine), z.B. Tumornekrosefaktor alpha (TNFα) oder Interleukin-6 (IL-6), gekennzeichnet ist. Infolgedessen kommt es zu einer chronischen Entzündungsreaktion im Gelenk, die zunächst zur Hyperplasie, Gefäßneubildung und später zur Bildung von entzündlichen Wucherungen der Gelenkschleimhaut (Pannusgewebe) führt. Es folgt die Gelenkerosion: Knochen- und Knorpelgewebe werden durch Enzyme des Pannusgewebes zerstört, sodass die Gelenkfunktion immer mehr eingeschränkt wird [7]. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie empfiehlt in ihren Leitlinien [8] eine initiale Monotherapie mit einem synthetischen DMARD, gegebenenfalls mit gleichzeitiger Gabe eines gering dosierten Glukokortikoids bei therapienaiven Patienten. Bleibt der Therapieerfolg aus, kann eine Kombinationstherapie mit verschiedenen synthetischen DMARDs zum Ziel führen und den Patienten in Remission bringen oder das Fortschreiten der Erkrankung zumindest verlangsamen. Ist die Behandlung erfolgreich und hält die Remission an, kann die Therapie unter engmaschiger Überwachung des Patienten schrittweise reduziert werden, um möglichen Arzneimittelnebenwirkungen vorzubeugen oder sie zu reduzieren. Sind diese Therapieversuche erfolglos, wird nach 6 Monaten eine Kombination aus synthetischen DMARDs und Biologika empfohlen. Diese biotechnologisch hergestellten Biomoleküle wirken als Antagonisten für Zytokine wie TNFα, IL-6 oder hemmen direkt Zellen des Immunsystems und bremsen oder stoppen so die chronische Entzündungsreaktion.

Interleukin-6 (IL-6) spielt eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Entzündungen und agiert über eine Reihe von Signalwegen, die auch bei der RA von zentraler JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 4/2017 · 26. JAHRGANG

ca. 8–12 Wochen

ca. 3–6 Monate

ca. 3–6 Monate

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Studienprogramm Sarilumab bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver RA

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MTX IR EXTEND1 Sarilumab-Langzeitbeobachtung zu Sicherheit und Wirksamkeit in MTX-INT/IR-RA-Patienten; n >2400

MOBILITY Teil B3

TNF IR/INT

Sarilumab/MTX-Kombination bei unzureichendem MTX-Ansprechen; n=1197

MOBILITY Teil A2

H2H; Monotherapie

TARGET4 Sarilumab bei unzureichendem TNFiAnsprechen oder Intoleranz; n=546

Sarilumab Dosisfindung

MONARCH7

ASCERTAIN5 SarilumabSicherheitskalibrator vs. Tocilizumab IV; n=200

Monotherapy studies Monotherapie-Studien Combination studies Kombinations-Studien

Sarilumab vs. Adalimumab in MTXINT/IR-RA-Patienten; n=369

ONE8

EASY6 SarilumabFertigpen

2010

2011

2012

2013

2014

2015

Sarilumab-Immunogenität und Sicherheit; n=120

2016

2017

TNF=tumor necrosis factor; IR= inadequate response (unzureichendes Ansprechen); H2H=head to head; INT= intolerability (Unverträglichkeit/ Intoleranz). 1 Clinical trials.gov NCT01146652. Accessed September 4, 2015; 2 Huizinga TWJ et al. Ann Rheum Dis 2014;

73: 1626–34; 3 Genovese MC et al. Arthritis Rheum 2015; 67(6):RA. 1424–37; Fleischmann R et al. Arthritis H2H = head to Abbildung1: Sarilumab-Studienprogramm bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver IR =4 inadequate response, Rheumatol 2017; 2 69(2): 277–90; 5 Clinical trials.gov NCT01768572. Accessed June 29, 2016; 6 Clinical 3 Huizinga TWJ et al. Ann Rheum Dis et2014;73:1626-1634, Genovese1MC et al. head, INT = intolerability; 1 Clinical trials.gov NCT01146652, trials.gov NCT02057250. Accessed June 29, 2016; 7 Burmester GR al. Ann Rheum Dis 2017; 76: 840–847; 4 5 et al. trials.gov Arthritis Rheumatol 2017;69:277-290, Clinical trials.gov NCT01768572, 6 Clinical Arthritis Rheum 2015;67:1424-1437, Fleischmann R 8 Clinical NCT02121210. Accessed June 29, 2016. trials.gov NCT02057250, 7 Burmester GR et al. Ann Rheum Dis 2017;76:840-847, 8 Clinical trials.gov NCT02121210.

Bedeutung sind: In der Gelenkflüssigkeit aktiviert IL-6 neben proinflammatorischen Zellen des Immunsystems auch Synovialund Knorpelzellen und fördert die Ausschüttung von Enzymen, die Knorpel und Bindegewebe abbauen. Außerdem stimuliert IL-6 die Bildung und Aktivierung von knochenabbauenden Zellen und induziert die Produktion weiterer proinflammatorischer Zytokine durch Makrophagen. IL-6 trägt damit entscheidend zur chronischen Gelenkentzündung, Gelenkerosion, Pannusbildung und Entstehung der typischen artikulären Symptome der RA bei. Entsprechend zeigen RA-Patienten einen 100- bis 1000fach erhöhten IL-6-Spiegel in den Gelenken, sodass IL-6 eines der am häufigsten vorkommenden Zytokine in der Synovialflüssigkeit darstellt [3]. Daher lag es nahe, Medikamente zu entwickeln, die

die Signalwirkung von IL-6 gezielt hemmen, indem sie entweder an das Zytokin binden oder die IL6-Rezeptoren blockieren. Effektive zielgerichtete Therapie durch selektive IL-6Rezeptorblockade

Sarilumab ist ein humaner monoklonaler Antikörper, der selektiv an den Interleukin-6-Rezeptor (IL6R) bindet und damit den proinflammatorischen IL-6R-vermittelten Signalweg hemmt. Dass sich dadurch die Symptome reduzieren, die Funktionsfähigkeit der Gelenke verbessern und das Fortschreiten struktureller Schäden vermindern lässt, zeigen die Ergebnisse von 7 Phase-III-Studien des globalen klinischen SARIL-RA-Entwicklungsprogramms (Abb. 1). Diese Studien umfassen Daten von etwa

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2880 erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver RA, die auf eines oder mehrere biologische oder nicht biologische DMARDs nur unzureichend angesprochen haben oder diese nicht vertragen [2]. In der ersten Studie, MOBILITY, wurde Sarilumab hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit mit Placebo (jeweils plus MTX) verglichen. Unter der Behandlung mit Sarilumab nahmen nicht nur die RA-Krankheitszeichen ab und verbesserten sich die physischen Funktionen, nach 52 Wochen hatte sich auch das Fortschreiten struktureller Schäden um 91 % (200 mg Sarilumab) bzw. 68 % (150 mg Sarilumab) verringert (Tab. 1) [4]. Vergleichbare Ergebnisse wurden in der TARGET-Studie erzielt, die die Behandlung mit Sarilumab plus DMARDs im Vergleich zu Placebo plus DMARDs bei Pati© VERLAG PERFUSION GMBH


NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

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MOBILITY Sarilumab 150 mg Q2W + MTX (n = 400)

Sarilumab 200 mg Q2W + MTX (n = 399)

–14,38

–19,25***

–19,00***

–17,18

–17,30*

–20,58***

Geschwollene Gelenke (0–66)

–8,70

–11,84***

–12,43***

–12,12

–13,04**

–14,03***

Schmerzen gemäß VAS (0–100 mm)

–19,43

–30,75***

–34,35***

–27,65

–36,28**

–39,60***

Globalurteil des Arztes VAS (0–100 mm)

–32,04

–40,69***

–42,65***

–39,44

–45,09***

–48,08***

Globalurteil des Patienten VAS (0–100 mm)

–19,55

–30,41***

–35,07***

–28,06

–33,88**

–37,36***

HAQ-DI (0–3)

–0,43

–0,62***

–0,64***

–0,52

–0,60*

–0,69**

CRP

–0,14

–13,63***

–18,04***

–5,21

–13,11***

–29,06***

Einzelkomponenten (Bereich) Gelenke mit Druckschmerz (0–68)

Placebo + MTX (n = 398)

TARGET Placebo + DMARDs (n = 181)

Sarilumab 150 mg Q2W + DMARDs (n = 181)

Sarilumab 200 mg Q2W + DMARDs (n = 184)

Tabelle 1: Ergebnisse der Phase-III-Studien MOBILITY [4] und TARGET [5]: Mittlere Reduktion gegenüber Baseline hinsichtlich der Einzelkomponenten der ACR-Response-Kriterien bis Woche 24 [2]. Q2W = alle 2 Wochen, VAS = visuelle Analogskala, DMARDs = conventional synthetic disease-modifying anti-rheumatic drugs. * p<0,01, ** p<0,001, *** p<0,0001, jeweils hinsichtlich des Unterschieds gegenüber Placebo.

enten mit einem unzureichenden Ansprechen auf TNFα-Inhibitoren untersuchte (Tab. 1). Auch hier zeigte Sarilumab eine schnelle und anhaltende Wirksamkeit [5]. Ein Head-to-Head-Vergleich mit dem etablierten TNFα-Inhibitor Adalimumab wurde in der MONARCH-Studie durchgeführt [6]. Hierbei war die Monotherapie mit 200 mg Sarilumab der Monotherapie mit 40 mg Adalimumab hinsichtlich der Reduktion der Krankheitsaktivität und der Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit überlegen: Innerhalb eines Zeitraums von 24 Wochen erreichten unter Sarilumab mehr Patienten eine klinische Remission: • Die mit Sarilumab behandelten Patienten zeigten einen stärkeren Rückgang der Krankheitsaktivität gegenüber dem Ausgangswert, beurteilt anhand der Veränderungen im Disease Activity Score, in dessen Rahmen 28 Gelenke und die Erythrozyten-Sedimentationsrate untersucht wurden (DAS28-ESR;

primärer Studienendpunkt): Sarilumab: –3,28, Adalimumab: –2,20 (p < 0,0001). • Die mit Sarilumab behandelten Patienten erreichten höhere DAS28-ESR-Remissionsraten (Score <2,6): Sarilumab: 26,6 %, Adalimumab: 7,0 % (p <0,0001). • Unter Sarilumab kam es zu einer stärkeren Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit gegenüber dem Ausgangswert, beurteilt anhand des Health Assessment Questionnaire – Disability Index (HAQ-DI; einer der sekundären Endpunkte): Sarilumab: –0,61, Adalimumab: –0,43 (p = 0,0037). • Bei den Patienten der Sarilumab-Gruppe wurde eine stärkere Verbesserung der RAKrankheitszeichen und -symptome beobachtet; beurteilt wurde dies anhand des Prozentsatzes der Patienten, bei denen sich die Kriterien des American College of Rheumatology (ACR20) um 20 % verbessert

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hatten: Sarilumab: 71,7 %; Adalimumab: 58,4 % (p = 0,0074). Auch der Anteil der Patienten, die ein ACR50-Ansprechen erreichten, war unter Sarilumab höher: Sarilumab: 45,7 %, Adalimumab: 29,7 % (p = 0,0017), ebenso der Prozentsatz der Patienten, die ein ACR70-Ansprechen erreichten: Sarilumab: 23,4 %, Adalimumab: 11,9 % (p = 0,0036). Erwartungsgemäßes Verträglichkeitsprofil

Sarilumab wurde gut toleriert und zeigte ein Sicherheitsprofil, wie es bei einer IL-6R-Blockade zu erwarten ist. Die in den klinischen Studien am häufigsten beobachteten unerwünschten Reaktionen waren Neutropenie, Anstieg der Alaninaminotransferase, Hautrötungen an der Injektionsstelle, Infektionen der oberen Atemwege und Harnwegsinfektionen. Die häufigsten schwerwiegenden un© VERLAG PERFUSION GMBH


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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

erwünschten Reaktionen waren Infektionen. Um abnorme Laborwerte (Neutropenie, Thrombozytopenie und erhöhte Leberenzymwerte) zu kontrollieren, kann die empfohlene Sarilumab-Dosis von 200 mg alle 2 Wochen, verabreicht als subkutane Injektion mit einer Fertigspritze oder einem Fertigpen, bei Bedarf auf 150 mg alle 2 Wochen gesenkt werden [2]. Bei Patienten, die eine schwerwiegende Infektion entwickeln, sollte die Behandlung mit Sarilumab so lange verschoben werden, bis die Infektion unter Kontrolle ist. Bei Patienten mit zu niedriger Neutrophilenzahl (absolute Neutrophilenzahl [ANC] <2× 109/l) und Patienten mit Thrombozytenzahl unter 150× 103/μl ist eine Therapieeinleitung mit Sarilumab nicht zu empfehlen [2]. Fabian Sandner, Nürnberg

Literatur 1 Albrecht K et al. Z Rheumatol 2017;76:5057 2 Summary of Product Characteristics (Annex I to the Commission Decision granting the marketing authorisation) http://ec.europa.eu/health/documents/community-register/html/h1196.htm 3 Desgeorges A et al. J Rheumatol 1997; 24:1510-1516 4 Genovese MC et al. Arthritis Rheum 2015; 67:1424-1437 5 Fleischmann R et al. Arthritis Rheumatol 2017;69:277-290 6 Burmester GR et al. Ann Rheum Dis 2017;76:840-847 7 McInnes IB et al. N Engl J Med 2011; 365:2205-2219 8 Krüger K et al. S1-Leitlinie der DGRh zur sequenziellen medikamentösen Therapie der rheumatoiden Arthritis 2012. Adaptierte EULAR-Empfehlungen und aktualisierter Therapiealgorithmus. Z Rheumatol 2012;71:592-603

Agomelatin bei Depressionen: Viel mehr als nur Symptomremission

A

gomelatin (Valdoxan®) ist ein melatonerger Agonist und 5-HT2c-Antagonist, der zirkadiane Rhythmen resynchronisiert und antidepressive Effekte zeigt. Zugelassen ist Agomelatin zur Behandlung einer Major Depression bei Erwachsenen [1]. Das günstige Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil von Agomelatin ist sowohl durch klinische Studien im Vergleich zu Placebo und zu SSRIs sowie dem SNRI Venlafaxin als auch durch metaanalytische Daten belegt und wird durch die Ergebnisse nicht interventioneller Studien sowie Erfahrungen aus dem klinischen Alltag untermauert. In randomisierten, kontrollierten Studien zeigte Agomelatin eine mit verschiedenen SSRIs und Venlafaxin mindestens vergleichbare Wirksamkeit auf alle Kernsymptome der Depression [2–7]. Außerdem führte Agomelatin zu einer Verbesserung von Anhedonie und Angstsymptomen im Rahmen einer Depression [4, 8, 9]. Eine Cochrane-Analyse [10] und eine umfangreiche Metaanalyse von allen veröffentlichten sowie unveröffentlichten placebo- und aktiv kontrollierten klinischen Studien mit Agomelatin [11] ergaben eine gegenüber Placebo signifikant überlegene und mit anderen Antidepressiva vergleichbare antidepressive Wirksamkeit von Agomelatin bei zugleich guter Verträglichkeit. Therapieabbrüche auf-

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grund von Nebenwirkungen waren nicht häufiger als unter Placebo [11] – das ist hervorzuheben, denn nur extrem selten hat ein Medikament eine ähnliche Verträglichkeit wie Placebo. Im Gegensatz zu vielen anderen Antidepressiva hat Agomelatin keine relevanten Auswirkungen auf den Serotoninspiegel. Sexualfunktion, Körpergewicht, Blutdruck, Herzfrequenz und die QTc-Zeit werden in der Regel nicht beeinflusst [1, 4, 5, 6, 11]. In puncto Remission sehr gute Effekte

Für die Therapieentscheidung im Praxisalltag sind die Ergebnisse einer neuen Netzwerk-Metaanalyse besonders aufschlussreich. Im Rahmen dieser Datenanalyse wurden 76 relevante Studien mit den 10 am häufigsten verordneten Antidepressiva einem kombiniert direkten und indirekten Vergleich unterzogen, der ein Ranking in Bezug auf verschiedene OutcomeParameter ermöglichte, wie z.B. Response, Remission und Verträglichkeit [2]. Wurde nur der Aspekt Response betrachtet, so erwiesen sich Agomelatin, Escitalopram und Mirtazapin als die effektivsten Antidepressiva, wobei sich Agomelatin durch seine besonders gute Verträglichkeit von den übrigen Substanzen abhob. In Bezug © VERLAG PERFUSION GMBH


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auf die Remissionsrate in Verbindung mit der Verträglichkeit zeigte Agomelatin im Vergleich zu den anderen Antidepressiva eine hohe Effektivität [2]. Wiederherstellung von Lebensfreude, Interesse und Alltagsfunktionen

Zusätzlich zur Symptomremission und Verhinderung von Rückfällen rücken die Wiederherstellung des prämorbiden Funktionsniveaus und die Verbesserung der Anhedonie zunehmend in den Fokus der Behandlung. Für die betroffenen Patienten ist eine Verbesserung des mentalen Wohlbefindens, der Funktionsfähigkeit im Alltag und der Lebensfreude unter der antidepressiven Therapie sogar noch wichtiger als eine Reduktion der depressiven Kernsymptome [12]. Mit Agomelatin besteht die Möglichkeit, zusätzlich zur depressiven Stimmung auch die häufig mit der Depression assoziierte Anhedonie und das psychosoziale Funktionsniveau zu verbessern. Dies beruht auf dem besonderen Wirkmechanismus der Substanz: Agomelatin wirkt als Agonist an melatonergen MT1- und MT2-Rezeptoren und als Antagonist an serotonergen 5HT2cRezeptoren. Die 5HT2c-antagonisten Eigenschaften werden mit einer vermehrten Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin im präfrontalen Kortex in Verbindung gebracht, was wiederum die antidepressiven und antianhedonen Effekte erklären kann [8, 13, 14]. Nach den Ergebnissen der nicht interventionellen HEDONIE-

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Studie besteht eine starke Korrelation zwischen der mithilfe der Snaith-Hamilton-Pleasure-Skala (SHAPS) erfassten Anhedonie und dem mit der Sheehan-DisabilitySkala (SDS) erfassten psychosozialen Funktionsniveau (r = 0,642; p < 0,0001) [15]. Das zeigt, dass sich der Anstieg von Lebensfreude und Interesse in einer besseren Funktion in Alltag, Familie und Beruf widerspiegelt. Auch diese Wirkung ist wahrscheinlich auf den synergistischen Wirkmechanismus von Agomelatin zurückzuführen. Auch bei Komorbiditäten effektiv und gut verträglich

Eine Herausforderung im Management von Depressionen ist die hohe Rate an Begleiterkrankungen. Agomelatin kann aufgrund seines günstigen Verträglichkeitsprofils auch für depressive Patienten mit Komorbiditäten eine sinnvolle Therapieoption darstellen. Denn Agomelatin zeigt aufgrund seines Rezeptorprofils ein günstiges Interaktionsprofil und kann somit in der Regel gut kombiniert werden. Des Weiteren ist es weitestgehend gewichtsneutral und hat keinen relevanten Einfluss auf die Sexualfunktion sowie kardiale Parameter wie Blutdruck, Herzfrequenz und QTc-Zeit. Die gute Kombinierbarkeit konnte sowohl bei Patienten mit kardiovaskulären als auch neurologischpsychiatrischen Erkrankungen, die an einer Depression leiden, festgestellt werden (16, 17, 18). In allen Untersuchungen waren die

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entsprechend der Fachinformation vorgeschriebenen Kontrollen der Lebertransaminasen [1] in der Regel unauffällig. Agomelatin bietet somit die Möglichkeit, die Erkenntnisse der evidenzbasierten Medizin auf den Praxisalltag zu übertragen und dabei gleichzeitig den Bedürfnissen depressiver Patienten nach Wiederherstellung positiver Emotionen und Alltagsfunktionalität gerecht zu werden. Elisabeth Wilhelmi, München

Literatur 1 Fachinformation Valdoxan®, Stand: November 2016 2 Khoo AL et al. CNS Drugs 2015;29:695712 3 Hale A et al. Int Clin Psychopharmacol 2010;25:305-314 4 Kasper S et al. J Clin Psychiatry 2010; 71:109-120 5 Lemoine P et al. J Clin Psychiatry 2007; 68:1723-1732 6 Kennedy S et al. J Clin Psychopharmacol 2008;28:329-333 7 Quera-Salva Met al. Int Clin Psychopharmacol 2011;26:252-262 8 Di Giannantonio M et al. Eur Neuropsychopharmacol 2012;22 (Suppl. 3):S505S510 9 Stein DJ et al. Hum Psychopharmacol Clin Exp 2013;28:151-159 10 Guaiana G et al. Cochrane Database Syst Rev 2013;12:CD008851 11 Taylor D et al. Br Mrd J 2014;348:g1888 12 Zimmerman M et al. Am J Psychiatry 2006;163:148-150 13 Racagni G et al. World J Biol Psychiatry 2011;12:574-587 14 Stahl SM. CNS Spectr 2014;19:207-212 15 Llorca PR, Gourion D. Eur Neuropsychopharmacol 2014;24(Suppl. 2):S468 16 Englisch S et al. J Clin Psychopharmacol 2016;36:597-607 17 Medvedev VL. Neuropsychiatric Disease and Treatment 2017;13:1141-1151 18 Avila A et al. J Clin Psychopharmacol 2015;35:719-723

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Effektive Rauchentwöhnung: Individuelle Gesundheit und deutsches Gesundheitssystem profitieren Knapp 20 Millionen Erwachsene in Deutschland rauchen. Die Konsequenzen sind häufig Begleitbzw. Folgeerkrankungen wie HerzKreislauf-Krankheiten, Krebs sowie nicht zuletzt Atemwegserkrankungen wie die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Die direkten und indirekten Kosten, die durch tabakbedingte Krankheiten und Todesfälle entstehen, werden in Deutschland auf über 33 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Im Rahmen eines Pressegesprächs in Berlin diskutierten namhafte Experten die Folgen der Suchterkrankung und die Notwendigkeit wirksamer Maßnahmen zur Rauchentwöhnung. Anteil der Raucher ist immer noch sehr hoch

Deutschland liegt unter den Staaten mit dem höchsten Tabakkonsum weltweit. Der Anteil der Raucher ist unter Männern zwischen 18 und 79 Jahren mit rund 33 % höher als unter Frauen (27 %). Bei jüngeren Erwachsenen ist der Raucheranteil am höchsten: 47 % der 18–29-jährigen Männer und 40 % der Frauen in dieser Altersspanne rauchen. Jeder 7. Deutsche stirbt an den Folgen des Tabakkonsums

Rauchen schädigt nahezu jedes Organ im Körper. Besonders stark

betroffen sind die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System: So ist Rauchen zum Beispiel die häufigste Ursache für die Entwicklung chronisch obstruktiver Lungenerkrankungen (COPD). Im schlimmsten Fall ist Rauchen tödlich – jeder 7. Deutsche stirbt an den Folgen der Nikotinsucht. Insgesamt sind rund 80–90 % der COPD-Erkrankungen direkt auf das Rauchen zurückzuführen. Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie ist darum ein unverzüglicher Rauchstopp das wirksamste und kosteneffektivste Mittel, um eine COPD zu vermeiden oder um deren Verschlechterung zu verhindern. „Doch Rauchen entwickelt sich schnell zur Sucht. Nikotin und andere Tabakinhaltsstoffe bewirken im Gehirn unter anderem eine Ausschüttung des Botenstoffes Dopamin, der ein subjektives Gefühl von Wohlbefinden und Lust erzeugt. Der menschliche Körper gewöhnt sich schnell an die Nikotinzufuhr und im Gehirn werden vermehrt Nikotin-Rezeptoren gebildet, sodass das körperliche Verlangen nach Nikotin zunimmt“, erläuterte Professor Wulf Pankow, Chefarzt für Pneumologie und Infektiologie, Vivantes Klinik Neukölln. Im Verlauf des regelmäßigen und anhaltenden Tabakkonsums wird vom Organismus immer mehr Nikotin benötigt, um Entzugssymptome zu vermeiden. Als Substanzabhängigkeit und Suchterkrankung muss der Tabakkonsum deshalb entsprechend medizinisch behandelt werden. Insbesondere für COPD-Patienten gilt: Die aussichtsreichste Methode, um langfristig abstinent zu bleiben, ist die Rauchentwöhnung unter ärztlicher und psychologischer Anleitung. „Verbindet man eine medikamentöse Therapie mit psychologischen Behandlungsfor-

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men, erhöhen sich die Abstinenzaussichten bei Patienten mit einer COPD erheblich“, so Dr. Thomas Hering, Facharzt für Pneumologie aus Berlin. „Daher ist diese therapeutische Kombination auch Bestandteil der aktuellen S3-Leitlinien.“ Nichtraucherpolitik in Deutschland hinkt weltweiter Entwicklung hinterher

Doch obwohl einschlägige Leitlinien klar empfehlen, eine professionelle Rauchentwöhnung bei abhängigen und gesundheitlich belasteten Patienten im Regelfall mittels medikamentöser und psychotherapeutischer Methoden durchzuführen, ist die Situation in Deutschland grundlegend anders als z.B. im europäischen Umfeld: Gemäß §34 Abs. 1 S. 7 SGB V sind auch formell zugelassene und verschreibungspflichtige Arzneimittel zur medikamentösen Rauchentwöhnung von der Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen. Die informelle Bezeichnung des §34 Abs. 1 S. 7 SGB V als „Lifestyle-Paragraph“ vermittelt dabei den Eindruck, Tabakabhängigkeit sei lediglich ein Frage des Lebensstils und keinesfalls eine Krankheit. Die Bedeutung und die Konsequenzen einer Nikotinsucht sowohl für den einzelnen Patienten als auch für die Gesellschaft werden so nicht ganzheitlich erfasst. Deutschlands Nichtraucherpolitik bleibt damit hinter der weltweiten Entwicklung zurück: Die Tobacco Control Scale (TCS) vergibt in ihrem Ranking 100 Punkte für die Umsetzung wirksamer Strategien der Tabakkontrolle. Darin belegt Deutschland mit 37 Punkten im europäischen Vergleich © VERLAG PERFUSION GMBH


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den vorletzten Platz. Auch bei den darin enthaltenen Programmen zur Rauchentwöhnung schneidet Deutschland schlecht ab – ein wichtiges Bewertungskriterium ist dabei die kostenfreie Unterstützung bei den verschiedenen Maßnahmen zur Rauchentwöhnung. Rauchentwöhnung spart dem Gesundheitssystem bares Geld

Ob medikamentöse oder psychotherapeutische Behandlungsformen, Maßnahmen zur Rauchentwöhnung gehören zu den kosteneffektivsten gesundheitlichen Interventionen überhaupt. Die Kosten durch tabakbedingte Krankheiten und Todesfälle pro Jahr in Deutschland werden auf mehr als 33 Milliarden Euro geschätzt. Davon entfallen etwa ein Drittel der Kosten direkt auf das Gesundheitswesen, etwa zwei Drittel auf „indirekte Kosten“ wie Produktionsausfälle und Frühverrentungen. Die Gesundheitskasse AOK PLUS bietet mit dem Pilotprojekt „Rauchfrei durchatmen“ seit 2013 erstmals eine ganzheitliche Unterstützung für von COPD betroffene Raucher. Professor Stephan Mühlig, Inhaber der Professur für Klinische Psychologie an der TU Chemnitz und Experte für Rauchentwöhnung, sowie die Pneumologen Dr. Jakob Bickhardt und Dr. Thomas Heindl entwickelten das Konzept für das Projekt gemäß der S3-Leitlinie Tabakentwöhnung bei COPD. Das Programm wird unter Realbedingungen in Facharztpraxen der Modellregion erprobt und evaluiert. Zielgruppe sind dabei Patienten mit Raucherbronchitis und COPD, für die die Rauchentwöhnung eine der wichtigsten Behandlungskomponenten ist. An

der Studie nahmen bereits mehrere hundert Raucher in Sachsen und Thüringen teil, die an einer COPD oder an chronisch persistierendem Husten leiden. „Im deutschen Gesundheitswesen fehlt aktuell eine systematische und flächendeckende Ansprache von gefährdeten Rauchern, um die Motivation zur Rauchentwöhnung mithilfe evaluierter Kurzmotivierungskonzepte zu stärken. Auch fehlen nach wie vor qualifizierte Angebote zur professionellen Rauchentwöhnung mit den entsprechenden Anreizsystemen auf der Anbieterseite in der stationären und ambulanten Versorgung. Diese Lücken werden durch das Pilotprojekt der AOK PLUS adressiert“, erläuterte Mühlig und ergänzte: „Dies kann jedoch nur ein erster Schritt sein. Hier muss ein grundsätzliches Umdenken stattfinden, um schwerwiegende tabakassoziierte Erkrankungen und vorzeitigen Tod durch eine frühzeitig eingeleitete Rauchentwöhnung rechtzeitig zu verhindern.“ Die klinische Studie läuft voraussichtlich noch bis 2018. Fabian Sandner, Nürnberg

Gastrointestinale Beschwerden: Gluten in Betracht ziehen Glutenunverträglichkeiten werden oft erst spät erkannt oder nicht korrekt diagnostiziert. Bei einem Symposium des Unternehmens Dr. Schär im Rahmen des 123. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Mannheim beleuchtete Professor Martin Storr, Starnberg, die zugehörigen Krankheitsbilder und zeigte anhand eines Fallbeispiels notwendige Diagnoseschritte auf.

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Im anschließenden Vortrag informierte Dr. med. Michael Schumann, Berlin, über den aktuellen Stand der Forschung zur Gluten-/ Weizensensitivität. Im Fokus standen dabei Studienergebnisse zu Vorkommen und Ursachen der Erkrankung sowie zur Therapie mit glutenfreier Ernährung. Welche Diagnostik ist erforderlich?

Eine Frau mittleren Alters mit häufigen Bauchschmerzen, Blähungen und Kopfschmerzen – dieser Patiententyp begegnet Gastroenterologen und Hausärzten oft in ihrer Praxis. Die unspezifische Symptomatik von Glutenunverträglichkeiten und die Vielzahl an Differenzialdiagnosen erschweren die Diagnosefindung und Beratungssituation – so auch im Fallbeispiel von Professor Storr. „Medizinisch stellt sich in einem solchen Fall die Frage, welche Form der Unverträglichkeit dahinter stecken könnte“, so der Experte. Eine Ausschlussdiagnose kann, abhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung, Klarheit bringen. „Bei der Gluten-/ Weizensensitivität haben wir weder ein eindeutiges Symptombild noch gute Biomarker, um die betroffenen Patienten zu erkennen.“ Zunächst sollte der Gesundheitszustand im Rahmen einer ausführlichen Anamnese untersucht werden. Zu den weiterführenden basisdiagnostischen Schritten gehören ein psychosoziales Screening, körperliche Untersuchungen, Basislabor, ein Ultraschall des Abdomens sowie gynäkologische Untersuchungen bei Frauen. Wichtig ist der Ausschluss von Nahrungsunverträglichkeiten auf Substanzen wie Laktose, Fruktose, Sorbit sowie von Dünndarmfehl© VERLAG PERFUSION GMBH


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Gluten Gluten ist Bestandteil vieler Getreidesorten der Familie der Süßgräser, zu denen u.a. Weizen, Dinkel, Kamut, Gerste und Roggen zählen. Gluten kommt im stärkehaltigen Endosperm, dem Mehlkörper, vor und dient dort als wichtiges Speicherprotein. Das auch als „Klebereiweiß“ bezeichnete Gluten hat wichtige Aufgaben bei der Lebensmittelproduktion. Es bildet bei der Zugabe von Wasser zum Mehl eine elastische Masse – den Teig. Beim Backvorgang hält Gluten entstehendes Gärgas im Teig, sodass dieser aufgehen kann. Im fertigen Backerzeugnis sorgt das geronnene Klebergerüst dafür, dass das Gebäck seine Form behält. Gluten selbst hat einen geringen Nährwert, ist aber ein guter Emulgator und Träger für Aromastoffe und macht den Teig locker und die Kruste kross. Es geliert, bindet Wasser und stabilisiert. Daher wird Gluten vielseitig bei Fertiggerichten und Saucen sowie in der Lebensmitteltechnologie als Hilfsstoff eingesetzt. Toxisch für Zöliakie-Patienten Gluten setzt sich aus 2 Eiweiß-Fraktionen zusammen: den Prolaminen und den Glutelinen. Prolamine sind reich an Prolin und Glutamin, zwei schwer verdauliche, nicht essenzielle Aminosäuren. Diese führen bei Menschen mit einer entsprechenden Prädisposition zur Entstehung der Erkrankung Zöliakie. Dabei binden sie an die Oberfläche von Zellen der Dünndarmschleimhaut. Diese Bindung löst eine kaskadenartige Aktivierung des Immunsystems aus, die in einer Entzündung der Darmschleimhaut resultiert. In deren Folge werden unterschiedliche Antikörper ausgeschüttet, die zum Teil gegen körpereigenes Gewebe gerichtet sind. Als Folge kommt es zu schweren Schädigungen der Darmzotten des Dünndarms und einer Beeinträchtigung der Nährstoffaufnahme. Glutenfreie Ernährung Schon Spuren von Gluten sind dabei schädlich. Von Zöliakie Betroffene müssen daher lebenslang auf glutenhaltige Lebensmittel verzichten, auch auf solche, die nur geringe Mengen Gluten enthalten. Von Natur aus glutenfrei sind zum Beispiel Mais, Reis, Hirse, Buchweizen, Quinoa, Amarant, Johannisbrotkernmehl, Tapioka, Maniok, Kartoffeln und Kastanien. Zöliakie-Patienten können bedenkenlos alle von Natur aus glutenfreien und deutlich als „glutenfrei“ oder „gluten-free“ gekennzeichneten Lebensmittel genießen. Zusätzliches Erkennungsmerkmal für glutenfreie Produkte ist die durchgestrichene Ähre. Dieses von den Zöliakiegesellschaften vergebene Symbol ist eine freiwillige Angabe.

besiedlungen. Können dann, wie im Fallbeispiel, laborchemisch und histologisch Zöliakie und Weizenallergie ausgeschlossen werden, besteht der Verdacht auf eine Gluten-/Weizensensitivität. Die Diagnose kann dann über eine probatorische, glutenfreie Ernährung mit standardisiertem Protokoll bestätigt oder ausgeschlossen werden. Gluten-/Weizensensitivität: Schnittmenge zum Reizdarmsyndrom

Was ist inzwischen über diese schwer zu diagnostizierende Er-

krankung bekannt? Die Prävalenz liegt internationalen Studien zufolge etwa auf der Höhe der ZöliakiePrävalenz (≥1 %) mit einer hohen Anzahl an weiblichen Betroffenen. Als Auslöser für die gastrointestinalen und extraintestinalen Beschwerden werden unter Experten aktuell sowohl fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole (FODMAP) als auch Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) diskutiert. Als wirksame Therapieoption hat sich, wie bei der Zöliakie, in verschiedenen Studien eine glutenfreie Ernährung erwiesen. „Es gibt klare Evidenzen für die

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Gluten-/Weizensensitivität. Die Erkrankung hat offenkundig eine Schnittmenge mit dem Reizdarmsyndrom“, erläuterte Dr. Schumann. Auch beim Reizdarm kann bei einer Untergruppe der Patienten mit einer glutenfreien Ernährung eine gute Symptomlinderung erreicht werden. In der aktuellen „Gluten sensitivity in irritable bowel syndrome (GIBS)“-Studie* der Charité, bei der Schumann als Co-Autor beteiligt war, ga* Barmeyer S et al. Long-term response to gluten-free diet as evidence for non-celiac wheat sensitivity in one third of patients with diarrhea-dominant and mixed-type irritable bowel syndrome. Int J Colorectal 2017;32:29-39

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tenfreie Ernährung über einen längeren Zeitraum empfehlenswert“, schlussfolgerte Schumann. Ernährungstherapie: Glutenfrei mit Geschmack

Abbildung 1: Ergebnis der GIBS-Studie*: Ansprechen von Patienten mit Reizdarmsyndrom (RDS) auf eine glutenfreie Ernährung (GFD), je nach HLA-DQ2- und HLA-DQ8-Status und Subtyp (RDS-D = Diarrhö-prädominantes RDS, RDS-M = RDS mit wechselnden Stuhlgewohnheiten).

ben 34 % der Studienteilnehmer eine deutliche oder vollständige Verbesserung ihrer Reizdarmbeschwerden sowohl in Bezug auf abdominelle Symptome als auch hinsichtlich der Lebensqualität an (Abb. 1). Alle Responder ernährten sich in der Nachbeobachtungsperiode weiter glutenfrei.

Sogar 55 % der Non-Responder hielten sich nach einem Jahr weiter an eine glutenfreie Ernährung, da sie eine symptomatische Verbesserung empfanden. „Einige der Teilnehmer zeigten erst nach zwei Monaten signifikante Verbesserungen. Um ein Ansprechen festzustellen, ist daher eine glu-

„Eine Ernährungsberatung ist bei der Umstellung zentral, um die Betroffenen gut zu instruieren, etwa hinsichtlich einer ausreichenden Ballaststoffaufnahme“, unterstrich Storr. Seit 2014 gelten Produkte bis zu einem Richtwert von höchstens 20 mg Gluten pro Kilogramm als glutenfrei. Diese sind im Handel zur Orientierung speziell gekennzeichnet. Die glutenfreien Produkte von Dr. Schär basieren auf jahrzehntelanger wissenschaftlicher Forschung und Erfahrung. Die große Vielfalt und der gute Geschmack der Produkte vereinfachen es Patienten, ihre Ernährung umzustellen und sich besser zu fühlen. Das breite Sortiment reicht von Brot, Pasta und Keksen bis hin zu Mehlen, Cerealien, Tiefkühlprodukten und verschiedenen Snacks. Fabian Sandner, Nürnberg

MIT IHRER HILFE RETTET ÄRZTE OHNE GRENZEN LEBEN.

MALAWI © Luca Sola

WIE DAS DER SCHWANGEREN PATIENTIN YANESI FULAKISON: Nach einer Flutkatastrophe in der Region Makhanga in Malawi brauchen viele Menschen medizinische Hilfe. ärzte ohne grenzen startet einen Noteinsatz. Unser Team bringt die hochschwangere Frau per Helikopter ins Krankenhaus, denn das Leben von Mutter und Baby sind in akuter Gefahr. Schließlich rettet ein Kaiserschnitt beiden das Leben. Wir hören nicht auf zu helfen. Hören Sie nicht auf zu spenden.

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SPENDENKONTO Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE 72 3702 0500 0009 7097 00 BIC: BFSWDE33XXX www.aerzte-ohne-grenzen.de / spenden

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Impfstoffe entwickeln, Leben schützen: Ein Impfstoff-Pionier geht neue Wege Seit dem 1. Januar 2017 ist Sanofi Pasteur in Deutschland mit einer eigenen Impfstoffstrategie in Europa unterwegs. Die Prioritäten sind klar gesetzt: „Wir entwickeln neue Impfstoffe und verbessern permanent die bereits verfügbaren. Hierbei setzen wir auf innovative Technologien und auf Partnerschaften, um die komplexen Herausforderungen optimal zu bewältigen und vor allem, um die erforderliche Qualität zu bieten“, zieht Judith Kramer, BU Communications General Medicines bei Sanofi, das positive Fazit für einen gelungenen Start der neuen Business Unit Sanofi Pasteur. Weltweit kümmern sich 15.000 Mitarbeiter um das Impfstoffgeschäft, jedes Jahr werden eine Milliarde Impfdosen für 500 Millionen Menschen bereitgestellt. Sanofi Pasteur ist damit einer der weltweit führenden Anbieter von Humanimpfstoffen. In Deutschland vermarktet die Geschäftseinheit mit Sitz in Berlin Impfstoffe für Kinder, Auffrischimpfstoffe für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sowie für die Bereiche Reisemedizin und Grippeschutz. Wie wichtig eine wirksame Immunisierung im heutigen Zeitalter werden kann, zeigt sich am Beispiel Pertussis. Bei impfprävalenten Erkrankungen ist gerade Keuchhusten mittlerweile ein Problem. Pertussis: Bedrohung trotz wirksamer Impfstoffe

Aktuelle Zahlen des Robert KochInstituts (RKI) belegen einen deutlichen Anstieg von Pertussiser-

krankungen: 2016 wurden rund 22.000 Keuchhustenfälle registriert. Rund 14.000 Fälle waren es 2015 und 16.500 Fälle 2014. Dies ist, so der Berliner Kinderarzt Holger Röblitz, auf den ersten Blick umso unverständlicher, da es sichere und gut wirksame Impfstoffe gibt. Zwar sind die Impfquoten bis zur Einschulung sehr gut. Doch bereits für Jugendliche und erst recht für Erwachsene gilt das nicht mehr. Über einen ausreichenden Impfschutz gegen Pertussis verfügen lediglich 7,6 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland. Da besonders Säuglinge durch Keuchhusten gefährdet sind, ist ein möglichst frühzeitiger Impfschutz angeraten. „Im Fokus sollte der Schutz für besondere Risikogruppen wie Säuglinge stehen. Es gilt Säuglinge konsequent früh und 3+1 (= 3 Impfungen im Lebensmonat 2–3–4 und eine Auffrischimpfung im Alter von 11–14 Monaten) zu impfen. Die Impfungen für Klein- und Schulkinder müssen je einmal aufgefrischt werden“, so Dr. Röblitz weiter. Hierfür stehen Sechsfach-Impfstoffe wie z.B. Hexyon® von Sanofi Pasteur zur Verfügung. Damit können Säuglinge ab einem Alter von 6 Wochen gleichzeitig nicht nur gegen Pertussis, sondern auch gegen Diphtherie, Tetanus, Hepatitis B, Poliomyelitis und Haemophilus influenzae Typ b (Hib) immunisiert werden. Neben Immunogenität und Verträglichkeit spielt in der ärztlichen Praxis auch die Anwendungssicherheit eine entscheidende Rolle. So bietet Sanofi Pasteur seinen Sechsfach-Impfstoff in einer Fertigspritze an, die nach den Bedürfnissen der Anwender entwickelt und optimiert wurde. Zudem wird die Handhabung des Impfstoffes dank der integrierten

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Hib-Komponente einfacher, da kein Anmischen mehr erforderlich ist. „Hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit können wir uns bei den einzelnen Komponenten auf unsere langjährige Erfahrung verlassen, alle Impfstoffkomponenten sind als Mono- oder Kombinationsimpfstoffe schon lange im Einsatz“, führte Dr. Carolin Gödde, Marketing Kinder- und Auffrischimpfstoffe Sanofi, weiter aus. Geändertes Informationsverhalten bei den Eltern

Der Kinderarzt als wichtigste Informationsquelle zum Thema Impfen wurde mittlerweile abgelöst – immer mehr Eltern informieren sich im Netz. Zur Information werden Suchmaschinen und Onlinemagazine gelesen, vor allem aber Blogs. Die Bloggerin und Familienredakteurin Silke R. Plagge (ELTERN, liliput-lounge) geht davon aus, dass es ca. 3.000 Elternblogs in Deutschland gibt, darunter Seiten mit sehr großen Reichweiten, aber auch kleine private Tagebuchblogs. Begeisternd für den Leser ist vor allem die Authentizität der schreibenden Eltern. „Den Bloggern selbst ist häufig gar nicht klar, dass sie als Vorbilder weniger hinterfragt werden, wenn sie ihre ganz persönliche Meinung kundtun“, so Plagge, die die Elternschaft in den sozialen Medien als sehr engagiert, aber auch als leicht zu verunsichern erlebt. Ihr Fazit: „Eine Herausforderung der Zukunft wird sicher sein, eine Art Kodex zu entwickeln, zu welchen Themen wie im Netz berichtet wird.“ Elisabeth Wilhelmi, München © VERLAG PERFUSION GMBH


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Neu: Erelzi®, ein Etanercept-Biosimilar Mit Erelzi® bringt der BiosimilarPionier Hexal ein neues Produkt im Bereich Rheumatologie auf den Markt. Die Zulassung durch die Europäische Kommission erfolgte im Juni dieses Jahres und umfasst alle Indikationen, für die auch das Etanercept-Referenzpräparat Enbrel® zugelassen ist. Etanercept ist ein humanes, lösliches RezeptorFusionsprotein, das an freies TNFα bindet und es dadurch neutralisiert. Die für die Zulassung von Erelzi® relevante Multi-Crossover-Studie EGALITY wurde in der Indikation Plaque-Psoriasis durchgeführt. Wie die Ergebnisse belegen, ist das Etanercept-Biosimilar in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Immunogenität mit dem Referenzprodukt Enbrel® bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer chronischer Plaque-Psoriasis äquivalent. Biosimilars – die bioäqivalenten Alternativen

Biosimilars sind biotechnologisch hergestellte Folgepräparate von etablierten Biopharmazeutika (auch „Biologics“ oder „Biologika“ genannt), deren Patentschutz abgelaufen ist. Grundlage der Entwicklung eines Biosimilars ist die analytische und funktionale Vergleichbarkeit mit dem Referenzprodukt, die mittels biologischer Assays und analytischer State-ofthe-art-Technologien erzielt wird. Nach der Entwicklung folgen präklinische und klinische Studien zur Bestätigung der Äquivalenz in Bezug auf Pharmakokinetik und Pharmakodynamik sowie eine

Abbildung 1: Studiendesign der EGALITY-Studie bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis. Ziel der Behandlungsphase 1 (BP1) war der Nachweis der Äquivalenz hinsichtlich der Wirksamkeit und Vergleichbarkeit in den Sicherheits- und Immunogenitätsprofilen von Erelzi® versus Enbrel®. In der Behandlungsphase 2 (BP2) wurden Wirksamkeit, Sicherheit und Immunogenität zwischen den fortgeführten, den gepoolten fortgeführten und den gepoolten Behandlungsarmen mit mehrfachen Umstellungen verglichen.

Phase-III-Studie in einer sensitiven Indikation (hohe Effektgröße, immunkompetente Patientenpopulation) zum Nachweis der Äquivalenz hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit. „Äquivalenz“ bedeutet dabei, dass keine klinisch bedeutsamen Unterschiede zwischen Biosimilar und Referenzprodukt bestehen. Dem folgend kann – bei fundierter wissenschaftlicher Begründung und unter der Annahme, dass sich dasselbe Molekül in allen Indikationen des Referenzprodukts und bei allen Patientengruppen gleich verhält – von der klinisch geprüften (sensitiven) Indikation auf weitere Indikationen des Referenzproduktes extrapoliert werden. Aufgrund der Extrapolation kann die EMA dem Biosimilar die Zulassung für alle Indikationen erhalten, in denen das Referenzprodukt zugelassen ist. Es gibt jedoch keine automatische Extrapolation: Jede Indikation muss durch eine fundierte wissenschaftliche Begründung unterstützt und von den Regulierungsstellen im Einzelfall bewertet werden.

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Wegweisende konfirmatorische Studie mit Multi-Crossover-Design

In EGALITY, einer randomisierten, doppelblinden, multizentrischen, Parallelgruppen-kontrollierten Phase-III-Studie, wurde das Etanercept-Biosimilar Erelzi® hinsichtlich Wirksamkeit, Sicherheit und Immunogenität „head to head“ mit dem Referenzpräparat Enbrel® bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis verglichen. Als innovatives Studiendesign wurde erstmals in einer konfirmatorischen Studie für ein Biosimilar ein 3-faches CrossoverDesign gewählt: Zunächst wurden die 531 eingeschlossenen Patienten 1:1 randomisiert, um zweimal wöchentlich subkutan entweder 50 mg Erelzi® oder 50 mg Enbrel® zu erhalten. Nach 12 Wochen wurden die Patienten, die mindestens ein PASI-50-Ansprechen erreicht hatten (mindestens 50%ige Verbesserung des Psoriasis Area and Severity Index), erneut in 4 Gruppen randomisiert und erhielten bis Woche 30 entweder kontinuierlich © VERLAG PERFUSION GMBH


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die primär zugeordnete Behandlung (einmal wöchentlich) oder 3 sequenzielle Therapiewechsel zwischen Erelzi® und Enbrel®. Von Woche 31 bis 52 wurden die Patienten dann in einer Extensionsphase mit dem jeweils zuletzt eingesetzten Wirkstoff weiterbehandelt (Abb. 1). Primärer Endpunkt war die Wirksamkeitsäquivalenz, gemessen an der PASI-75-Ansprechrate (Psoriasis Area and Severity Index) nach 12 Wochen. Klinische Äquivalenz zu Enbrel® bestätigt

Die PASI-75-Ansprechrate in den beiden Studienarmen unterschied

sich nach 12 Wochen nicht signifikant: Unter Erelzi® betrug sie 73,4 % und unter dem Referenzpräparat 75,7 %. Damit wurde der primäre Endpunkt erreicht und die klinische Äquivalenz zwischen beiden Arzneimitteln bestätigt. Auch alle sekundären Endpunkte wurden erreicht. Das Sicherheitsprofil von Erelzi® war mit dem von Enbrel® vergleichbar und es wurden keine neuen oder unerwarteten sicherheitsrelevanten Aspekte beobachtet. Insbesondere die Inzidenz von Anti-Drug-Antikörpern war niedrig. Durch das Multi-Crossover-Design konnte zudem gezeigt werden, dass ein (auch mehrfacher) Wech-

sel zwischen Referenzprodukt und Biosimilar und umgekehrt keinen klinisch relevanten Einfluss auf Wirksamkeit, Sicherheit und Immunogenität hat. Fazit

Mit dem Biosimilar Erelzi® steht nun eine zusätzliche Behandlungsoption zur Verfügung, die als qualitativ und klinisch äquivalente Alternative zum Referenzprodukt einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen und wirtschaftlichen Versorgung chronisch kranker Patienten leisten kann. B. S.

Titelbild: © Fotolia. Herausgeber: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Univ.-Prof. Dr. med. Hermann Eichstädt, Leiter Bereich Kardiologie RZP Potsdam und Geschäftsführer BBGK e.V. Berlin Konstanzer Straße 61 10707 Berlin Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. M. Alexander, Infektiologie, Berlin Prof. Dr. L. Beck, Gynäkologie, Düsseldorf Prof. Dr. Berndt, Innere Medizin, Berlin Prof. Dr. H.-K. Breddin, Innere Medizin, Frankfurt/Main Prof. Dr. K. M. Einhäupl, Neurologie, Berlin Prof. Dr. E. Erdmann, Kardiologie, Köln Prof. Dr. Dr. med. E. Ernst, University of Exeter, UK Prof. Dr. K. Falke, Anästhesiologie, Berlin Prof. Dr. K. Federlin, Innere Medizin, Gießen Prof. Dr. E. Gerlach, Physiologie, München Prof. Dr. H. Helge, Kinderheilkunde, Berlin Prof. Dr. R. Herrmann, Onkologie, Basel Prof. Dr. W. Jonat, Gynäkologie, Hamburg Prof. Dr. H. Kewitz, Klin. Pharmakol. Berlin Prof. Dr. B. Lemmer, Pharmakologie, Mannheim/Heidelberg

Prof. Dr. med. R. Lorenz, Neurochirurgie, Frankfurt Prof Dr. J. Mann, Nephrologie, München Dr. med. Veselin Mitrovic, Kardiologie, Klinische Pharmakologie, Bad Nauheim Prof. Dr. R. Nagel, Urologie, Berlin Prof. Dr. E.-A. Noack, Pharmakologie, Düsseldorf Prof. Dr. P. Ostendorf, Hämatologie, Hamburg Prof. Dr. Th. Philipp, Innere Medizin, Essen Priv.-Doz. Dr. med. B. Richter, Ernährung – Stoffwechsel, Düsseldorf Prof. Dr. H. Rieger, Angiologie, Aachen Prof. Dr. H. Roskamm, Kardiologie, Bad Krozingen Prof. Dr. E. Rüther, Psychiatrie, Göttingen Prof. Dr. med. A. Schrey, Pharmakologie, Düsseldorf Dr. Dr. med. C. Sieger, Gesundheitspolitik u. Gesundheitsökonomie, München Prof. Dr. E. Standl, Innere Medizin, München Prof. Dr. W. T. Ulmer, Pulmologie, Bochum

Schriftleitung: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Telefon: 037437 557-0 Bibliothek: 037437 2214 [Library] E-Mail DIG: info@d-i-g.org E-Mail persönlich: k.l.resch@d-i-g.org

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EIN GUTES BAUCHGEFÜHL BEI DER SCHMERZTHERAPIE MIT OPIOIDEN MOVENTIG® ist der erste oral verfügbare, peripher wirkende µ-OpioidrezeptorAntagonist (PAMORA) zur kausalen Therapie der Opioid-induzierten Obstipation (OIC).1 > Rasche Wirksamkeit innerhalb von 7,6 Stunden im median nach der ersten Dosis2 > Gute Verträglichkeit auch in der Langzeittherapie3 > Erhöht die Lebensqualität von OIC-Patienten4

G® I T N E V O M e Die clever bei Therapie OIC

OIC lindern – Schmerzkontrolle erhalten5

1 MOVENTIG® Fachinformation, Stand Sept. 2016. 2 Tack J et al. UEG Journal 2015;3(5):471–480. 3 Webster L et al. Aliment Pharmacol Ther 2014;40(7):771–779. 4 Lawson R et al. Adv Ther 2016; DOI 10.1007/ s12325-016-0365-y. 5 Bell TJ et al. Pain Med 2009; 10(1):35–42. Moventig® 12,5 mg Filmtabletten und Moventig® 25 mg Filmtabletten: Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden. Wirkstoff: Naloxegol. Verschreibungspflichtig. Zus.setzung: 1 Filmtablette Moventig® 12,5 mg enthält Naloxegoloxalat, entsprechend 12,5 mg Naloxegol. 1 Filmtablette Moventig® 25 mg enthält Naloxegoloxalat, entsprechend 25 mg Naloxegol. Sonstige Bestandt.: Tablettenkern:

Mannitol (Ph.Eur.) (E421), Mikrokristalline Cellulose (E460), Croscarmellose-Natrium (E468), Magnesiumstearat (Ph.Eur.) (E470b), Propylgallat (Ph.Eur.) (E310) Tablettenüberzug: Hypromellose (E464), Titandioxid (E171), Macrogol 400 (E1521), Eisen-(III)-oxid (E172) und Eisen(II, III)-oxid (E172). Anw.geb.: Moventig® ist indiziert zur Behandlung von Opioid-induzierter Obstipation (OIC) bei erwachsenen Patienten, die unzureichend auf ein oder mehrere Laxanzien angesprochen haben. Zur Definition eines unzureichenden Ansprechens auf ein oder mehrere Laxanzien, siehe Abschnitt 5.1 der Fachinformation. Gegenanz.: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile oder gegen einen anderen Opioid-Antagonisten. Patienten mit bekanntem oder vermutetem gastrointestinalem (GI) Verschluss oder bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für einen rezidivierenden Verschluss wegen des möglichen

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Auftretens einer gastrointestinalen Perforation. Patienten mit zugrundeliegender Krebserkrankung, die ein erhöhtes Risiko für eine GI Perforation haben, wie z. B. solche mit bestehenden Malignomen des Gastrointestinaltrakts oder des Peritoneums, rezidivierendem oder fortgeschrittenem Ovarialkarzinom, Therapie mit Inhibitoren des Gefäßwachstumsfaktors (VEGF). Gleichzeitige Anwendung von starken CYP3A4-Inhibitoren (z. B. Clarithromycin, Ketoconazol, Itraconazol oder Telithromycin, Proteasehemmer wie Ritonavir, Indinavir oder Saquinavir; Grapefruitsaft, wenn er in großen Mengen konsumiert wird). Nebenw.: Sehr häufig: Abdominaler Schmerz, Diarrhö. Häufig: Nasopharyngitis, Kopfschmerzen, Flatulenz, Übelkeit, Erbrechen, Hyperhidrose. Gelegentlich: Opioid-Entzugssyndrom. Weitere Hinweise: siehe Fachinformation. Kyowa Kirin GmbH, Monschauer Str. 1, 40549 Düsseldorf, Stand: Dezember 2016

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