ISSN 1432-4334 JAHRGANG 28 HEFT 3 Mai 2019
FÜR PHARMAKOLOGIE UND THERAPIE
JOURNAL OF PHARMACOLOGY AND THERAPY
Migräne-Prophylaxe: Mit CGRP-Antikörpern Attacken gezielt vorbeugen Symkevi® plus Kalydeco® – eine neue Kombination zur kausalen Behandlung der Mukoviszidose
Schwindel – der Anfang vom Ende? Neovaskuläre Makuladegeneration: „Treat & Extend“-Behandlung mit Aflibercept verbessert den Visus und mindert die Krankheitslast
Safinamid führend bei der Linderung Parkinson-assoziierter Schmerzen Axicabtagen-Ciloleucel – eine CAR-T-Zelltherapie bei aggressiven Formen des B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphoms
Benralizumab – eine effektive Add-on-Erhaltungstherapie bei schwerem eosinophilem Asthma
Niere, Herz und Darm: Ein orales Eisen für alle
VERLAG
PERFUSION
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M
1. Gasche C, et al. Inflamm Bowel Dis 2015;21:579-588. / 2. Feraccru® Fachinformation Stand Juni 2018. / 3. Barrand MA & Callingham BA. Br J Pharmacol 991;102:408-414. / 4. Stallmach A, et al. Expert Opin Pharmacother 2015;16:2859–2867. / 5. Barrand MA, et al. Br J Pharmacol 1991;102(3):723-729. / 6. Schmidt C, et al. Aliment Pharmacol Ther 2016; 44:259-270. /7. Wallace DF. Clin Biochem Rev 2016;37(2):51–62. FERACCRU®, 30 mg Hartkapseln. Zusammensetzung: Wirkstoff: Jede Kapsel enthält 30 mg Eisen (als Eisen(III)-Maltol). Sonstige Bestandteile: Jede Kapsel enthält 91,5 mg Lactose, 0,5 mg Allurarot (E129) und 0,3 mg Gelborange S (E110). Anwendungsgebiete: Zur Behandlung des Eisenmangels bei erwachsenen Patienten. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile; Hämochromatose und sonstige Überladungssyndrome; Patienten, die wiederholt Bluttransfusionen erhalten. Nebenwirkungen: Erkrankungen des Nervensystems: Gelegentlich: Kopfschmerzen. Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts: Häufig: Bauchschmerzen (einschließlich Oberbauchschmerzen), Flatulenz, Verstopfung, abdominale Beschwerden/aufgetriebener Bauch, Durchfall, Übelkeit. Gelegentlich: bakterielle Überwucherung des Dünndarms, Erbrechen. Erkrankungen der Haut und des Unterhautzellgewebes: Gelegentlich: Akne, Erythem. Skelettmuskulatur-, Bindegewebs- und Knochenerkrankungen: Gelegentlich: Gelenksteifigkeit, Schmerzen in den Gliedmaßen. Allgemeine Erkrankungen und Beschwerden am Verabreichungsort: Gelegentlich: Durst. Untersuchungen: Gelegentlich: Alkalische Phosphatase im Blut erhöht, Thyreotropin (TSH) im Blut erhöht, Gamma-Glutamyltransferase erhöht. Handelsformen: HDPE-Flaschen mit 56 Kapseln. Verschreibungspflichtig. Stand 06/2018 FERACCRU ist eine eingetragene Marke der Shield-Unternehmensgruppe, lizensiert für die Norgine-Unternehmensgruppe. NORGINE und das Norgine-Segel sind eingetragene Marken der Norgine-Unternehmensgruppe. Norgine GmbH, Im Westpark 14, 35435 Wettenberg, Internet: www.norgine.de, e-mail: info@norgine.de
EDITORIAL
„Prügelknabe“, so weiß es Wikipedia, „bezeichnete in feudaler Zeit einen Jungen niederen Ranges, der an Höfen anstelle des adeligen Nachwuchses bestraft wurde“ [1]. Spätestens seit der Änderung des § 1631 II BGB im Jahr 2000 ist das – noch dazu unabhängig von Stand und familiärer Beziehung – nicht mehr statthaft. Allerdings beschränkt sich der Geltungsbereich des genannten Paragraphen unseres Bürgerlichen Gesetzbuchs strikt auf Menschen. Und so kommt es, dass wir im Alltag immer wieder Prügelknaben begegnen, obwohl uns das zumeist nicht bewusst ist. Was leicht zu einer falschen Einschätzung der Situation und in der Folge zu falschen Schlussfolgerungen führt. Um ein besonders gravierendes Beispiel für einen Prügelknaben, das möglicherweise weitreichende Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung auf diesem Globus haben könnte, soll es heute gehen. Dazu ist es notwendig, nicht bei Adam und Eva anzufangen, sondern bereits viel früher. Stellen wir uns das Urmeer vor. Nicht einfach Wasser, vielmehr ein Cocktail von Elementen, die Vulkane ausgespien, Regen ausgewaschen und Flüsse ins Meer transportiert haben oder die direkt aus dem All in die wabernde See geplumpst sind. Besonders gut löslich, das erinnern wohl die meisten zumindest dunkel, waren und sind dabei Atome und Moleküle mit einer Eigenschaft, die im alten Griechenland offensichtlich vor allem bei Bernstein imponierte, nämlich solche, die eine „Ladung“ tragen. Folgerichtig assoziieren wir noch heute in der Physik diese Eigenschaft mit dem griechischen Wort für Bernstein: Elektron. Zurück zum Urmeer, in dem nach aktuellem Stand der Erkenntnis wohl alles Leben entstanden ist. Schon Einzeller wussten die „elektrischen“ Potenziale in vielfältiger Weise zu nutzen, z.B. im Rahmen der Erfindung von Hüllen, die die eigenen Bestandteile gegen den Rest des Universums zuverlässig abtrennen [2]. Typische Eigenschaft solcher Membranen ist bekanntermaßen, dass Wasser frei passieren kann, „Elektrolyte“ aber nicht. Zusammen mit aktiven Pum-
1
Vom Evolutionsprinzip zum Prügelknaben der Energiewende pen in den Membranen, die selektiv bestimmte Elektrolyte nach innen und andere nach außen befördern, ließen sich Konzentrationsunterschiede an den beiden Seiten einer Membran aufbauen. Beim „Ausgleich“ fließt „Strom“, der z.B. die Informationsübertragung durch Nervenzellen ermöglicht oder als Impulsgeber für den Herzschlag fungiert. Warum aber haben wir in der Physiologievorlesung viel über anaerobe Verbrennung gehört und auch über aerobe Verbrennung (die etwa 30-mal so effektiv sein soll)? Warum atmen wir in jeder Minute unseres Lebens 7 – 10-mal ein und aus? Warum speichern unsere Zellen Zucker und Fett, um diese „Brennstoffe“ bei Bedarf in Energie umzuwandeln? War die Natur einfach zu blöd, das Prinzip „Membranpotenzial“ zur Batterie, besser noch zum Akku weiterzuentwickeln? Eine Antwort darauf gibt der simple Vergleich der modernen, mit allen Tricks und viel Grips vorangetriebenen Akkumulatorentechnik mit der Energie aus einem klassischen Verbrennungsprozess. Warum der TrekkingFachhandel zuhauf Flüssiggaskocher anbietet, aber keinen einzigen Akkubetriebenen Elektrokocher? Ganz einfach: Weil (Stand der Technik!) 1 kg Flüssigbrennstoff etwa so viel Energie liefert, wie sich in ca. 100 kg LithiumIonen-Akku speichern lässt [3]! Bevor der Verdacht aufkommt, ich würde die Evolution demagogisch vor den Karren des „weiter so“ spannen wollen, hole ich mir jetzt Unterstützung beim Prügelknaben, der möglicherweise schon etwas außer Sichtweite geraten ist. Und im konkreten Kontext heißt der eindeutig „Verbrennungsmotor“. Der bekommt die Prügel, die gar nichts mit seinem Funktionsprinzip zu tun haben, sondern ausschließlich mit der Quelle des Brennstoffs.
JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 3/2019 · 28. JAHRGANG
Prof. Dr. med. K.-L. Resch, Bad Elster
Sogenannte fossile Brennstoffe, ob Gas, Öl oder Kohle, sind Stoffe, in denen vor langer Zeit Energie „gespeichert“ wurde, die wir heute „aktivieren“. Dabei werden z.B. das „eingebaute“ CO2 frei, das Stoffwechselendprodukt der aeroben Energiegewinnung in technischen wie in biologischen Systemen, sowie Stickstoff-Sauerstoff-Verbindungen (sog. Stickoxide). Übrig bleiben verschiedene Verbrennungsrückstände (Grobstaub, Feinstaub), je nach Beschaffenheit des Ausgangsmaterials. Das Prinzip der Verbrennung (und damit des Verbrennungsmotors) ist aber beileibe nicht auf fossile Brennstoffe angewiesen [4], sondern bietet eine breite Palette an (umweltfreundlichen) Alternativen mit grundsätzlich ziemlich vergleichbarer Energiedichte! Dazu gehört eine Reaktion, die die meisten aus ihrer Schulzeit kennen dürften: die Knallgas-Reaktion. Sauerstoff und Wasserstoff verbinden sich zu Wasser, es wird ziemlich viel Energie frei und es entsteht – Wasser. Sonst nichts!
INHALT
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Mit einer maximal banalen Recherche bei Wikipedia wie für dieses Editorial (die sich übrigens in allen beschriebenen Facetten leicht durch wissenschaftlich renommierte und glaubwürdige Fundstellen verifizieren lässt), müsste es jedem Politiker und jedem Automobil-Boss klar werden, dass derzeit ein Zug der Lemminge läuft, der, wie oben ausgeführt, zutiefst „unnatürlich“ ist und ziemlich unprofessionell dazu. Würden das gesamte Gehirnschmalz, das gesamte Kapital, sämtliche Steuergelder, die derzeit auf diese offensichtlich unnatürliche Karte gesetzt werden, für eine Optimierung des Substrats für Motoren eingesetzt, die nach dem Verbrennungsprinzip arbeiten, statt für Motoren, für die die Physik keine ebenbürtige Energiedichte zulässt, ließe sich die viel beschworene Energiewende mit den dadurch intendierten Veränderungen vielleicht tatsächlich realisieren. Karl-Ludwig Resch, Bad Elster
ÜBERSICHTSARBEIT Migräne-Prophylaxe: Mit CGRP-Antikörpern Attacken gezielt vorbeugen Brigitte Söllner
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS Symkevi® plus Kalydeco® – eine neue Kombination zur kausalen Behandlung der Mukoviszidose
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Neovaskuläre Makuladegeneration: „Treat & Extend“Behandlung mit Aflibercept verbessert den Visus und mindert die Krankheitslast
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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL Safinamid führend bei der Linderung Parkinsonassoziierter Schmerzen
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Axicabtagen-Ciloleucel – eine CAR-T-Zelltherapie bei aggressiven Formen des B-Zell-Non-HodgkinLymphoms 88
Quellen 1 https://de.wikipedia.org/wiki/Prügelknabe 2 https://de.wikipedia.org/wiki/Elektrolyt 3 h ttps://de.wikipedia.org/wiki/Energiedichte 4 h ttps://de.wikipedia.org/wiki/Verbrennung_(Chemie)
Benralizumab – eine effektive Add-on-Erhaltungstherapie bei schwerem eosinophilem Asthma
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RUBRIKEN Kongresse 94 Wissenswertes 77, 98
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Migräne-Prophylaxe: Mit CGRP-Antikörpern Attacken gezielt vorbeugen Brigitte Söllner, Erlangen
D
ie Migräne gehört zu den häufigsten Kopfschmerzformen – in Deutschland sind von dieser neurologischen Erkrankung 8 – 10 Millionen Menschen betroffen [1]. Kennzeichnend sind heftige, häufig einseitige pulsierend-pochende Kopfschmerzattacken, die bei körperlicher Betätigung an Intensität zunehmen und mit Lichtscheu, Lärmempfindlichkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Gerüchen einhergehen. Nach der Definition der internationalen Kopfschmerzgesellschaft (IHS) hält eine Migräneattacke zwischen 4 und 72 Stunden an (Tab. 1) [2]. Für die Patienten ist die Migräne mit einem erheblichen Leidensdruck verbunden, der zu deutlichen Einschränkungen in allen Lebensbereichen führt: Alltagsaktivitäten sind während der Attacken erschwert oder unmöglich. Von der WHO wird die Migräne daher zu den TOP 10 der am stärksten beeinträchtigenden Krankheiten weltweit gezählt [3]. Episodische Migräneattacken können im Verlauf der Zeit immer häufiger auftreten und an Stärke und Länge zunehmen. Leiden die Patienten an 15 oder mehr Tagen an Kopfschmerzen und mindestens 8 Migränetagen pro Monat für mehr als 3 Monate, liegt eine chronische
Migräne vor [1]. Um eine Chronifizierung zu vermeiden, sollte daher frühzeitig mit einer Therapie begonnen werden. Therapeutische Möglichkeiten
Bei der medikamentösen Behandlung der Migräne unterscheidet man zwischen der Akutmedikation, um Symptome der aktuellen Attacke zu reduzieren und die Attacke zu beenden, und einer prophylaktischen Therapie, um Attacken vorzubeugen und deren Häufigkeit, Stärke sowie Dauer zu reduzieren. Bei leichten bis mittelstarken Migräneattacken in der Akutphase empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in ihrer Leitlinie [1] zunächst peripher wirksame Analgetika oder
nicht steroidale Antirheumatika (NSAR). Bei nicht ausreichender Wirksamkeit dieser Wirkstoffe oder starken Migräneattacken sollten im nächsten Schritt Triptane zum Einsatz kommen. Eine prophylaktische Therapie sollte laut Leitlinie bei jenen Patienten mit einer episodischen oder chronischen Migräne erfolgen, die mindestens 3 Attacken im Monat erleiden, deren Attacken sehr stark sind oder zu anhaltenden neurologischen Ausfällen führen. Dies sind immerhin 25 – 30 % aller Migräne-Patienten [1]. Bisher werden aber nur 15 % der Patienten, die von einer Prophylaxe profitieren könnten, vorbeugend gegen Migräne behandelt [4]. Für die Prophylaxe steht eine Reihe von medikamentösen Therapieoptionen zur Verfügung, die ergänzt werden durch nicht medikamen-
Kriterien der International Headache Society (IHS) für Migräne A. Mindestens 5 Attacken (die die Bedingungen B – D erfüllen) B. Kopfschmerzattacken, die (unbehandelt oder erfolglos behandelt) 4 – 72 Stunden anhalten C. Der Kopfschmerz weist mindestens zwei der folgenden Charakteristika auf: 1. einseitige Lokalisation 2. pulsierender Charakter 3. mittlere bis starke Schmerzintensität 4. Verstärkung des Schmerzes durch körperliche Routineaktivitäten (z.B. Gehen oder Treppensteigen), was zur Vermeidung dieser Aktivitäten führt D. Während des Kopfschmerzes besteht mindestens eines der folgenden Symptome: 1. Übelkeit und/oder Erbrechen 2. Photophobie und Phonophobie E. Nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen Tabelle 1 Definition der Migräne laut IHS [2].
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Indikationen zur medikamentösen Migräneprophylaxe Indiziert ist eine medikamentöse Prophylaxe der Migräne bei besonderem Leidensdruck, Einschränkung der Lebensqualität und dem Risiko eines Medikamentenübergebrauchs. Zusätzliche Kriterien (nicht evidenzbasiert) sind [1]: • 3 und mehr Migräneattacken pro Monat, die die Lebensqualität beeinträchtigen • Migräneattacken, die regelmäßig länger als 72 Stunden anhalten • Attacken, die auf eine Akuttherapie (inkl. Triptane) nicht ansprechen • Nicht tolerierbare Nebenwirkungen der Akuttherapie • Zunahme der Attackenfrequenz und Einnahme von Schmerzoder Migränemitteln an mehr als 10 Tagen im Monat • Komplizierte Migräneattacken mit beeinträchtigenden (z.B. hemiplegischen) und/oder lang anhaltenden Auren • Migränöser Hirninfarkt bei Ausschluss anderer Infarktursachen
töse Maßnahmen wie Verhaltenstherapie oder Entspannungsmaßnahmen. Ziel der vorbeugenden Therapie ist es zum einen, die Häufigkeit, Stärke sowie Dauer der Attacken zu reduzieren. Zum anderen soll aber auch ein Übergebrauch von Schmerz- und Migränemedikamenten verhindert werden, der zur Chronifizierung der Migräne führen kann. Dabei gilt eine medikamentöse Prophylaxe als wirksam, wenn die Anfallshäufigkeit pro Monat um mindestens 50 % reduziert wird. Hierfür sollte der Patient mindestens 3 Monate lang ein MigräneTagebuch führen [1]. Für die medikamentöse Migräneprophylaxe werden bislang Substanzen eingesetzt, die nicht speziell für die Migräne entwickelt wurden, wie z.B. die Betablocker Propranolol und Metoprolol, der Kalziumantagonist Flunarizin und die Antikonvulsiva Topiramat und Valproinsäure sowie Amitriptylin und Onabotulinumtoxin A. Die Wirkung dieser Substanzen auf die Attackenfreqenz wurde zufällig entdeckt und daraufhin durch placebokontrollierte klinische
Studien belegt, die schließlich zur Zulassung der Substanzen für die neue Indikation Migräneprophylaxe führten. Als großer Nachteil stellte sich aber heraus, dass diese Medikamente, zumal wenn sie täglich eingenommen werden, auch erhebliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen haben. Dies ist auch einer der Gründe dafür, dass die Compliance bei der Medikamenteneinnahme zur Migräneprophylaxe nach 12 Monaten nur noch etwa 30 % beträgt. Die hohe Abbruchrate beruht zum Teil auf der mangelnden Wirksamkeit, beim überwiegenden Anteil allerdings auf den nicht tolerablen Nebenwirkungen [4]. Daher besteht ein großer Bedarf an neuen Substanzen für die Migräneprophylaxe, die zielgerichtet wirken und gut verträglich sind.
Gene-Related Peptide (CGRP) gerichtet sind [5]. Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass der CGRP-Spiegel bei Migräneattacken erhöht ist, außerdem lassen sich durch CGRP-Injektionen bei Migränikern Anfälle auslösen [6]. Daher lag die Vermutung nahe, dass das Neuropeptid bei der Entstehung der Migräne eine maßgebliche Rolle spielt und seine Blockierung einen positiven Effekt haben könnte. Mittlerweile wurden in Europa 4 monoklonale humanisierte Antikörper entwickelt, die gegen CGRP gerichtet sind [5]: Fremanezumab, Erenumab, Galcanezumab und Eptinezumab. Fremanezumab, Galcanezumab und Eptinezumab binden direkt an CGRP (Ligandenantikörper), während Erenumab den CGRP-Rezeptor blockiert [7]. Bisher lassen sich keine klinisch relevanten Unterschiede der beiden Wirkkonzepte erkennen. In placebokontrollierten Phase-II- und Phase-III-Studien zur Prophylaxe der episodischen und chronischen Migräne erwiesen sich alle 4 Antikörper als signifikant wirksamer gegenüber Placebo. Als wichtigster Vorteil gegenüber den bisher zur Prophylaxe eingesetzten Medikamenten ist die sehr gute Verträglichkeit der CGRP-Antikörper hervorzuheben, die auf dem spezifischen Wirkmechanismus sowie der fehlenden Interaktion mit anderen Neurotransmittern und Medikamenten beruht [7]. Vorteile von Fremanezumab
CGRP-Antikörper mit kausalem Wirkprinzip
Ein vielversprechender neuer Ansatz in der Prophylaxe sind monoklonale, humanisierte Antikörper, die gegen das Calcitonin
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Mit Fremanezumab (Ajovy®) ist in Deutschland seit dem 1. April 2019 der erste monoklonale Antikörper für die spezifische Migräneprophylaxe verfügbar, der neben der monatlichen Injektion
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Wirkprinzip der CGRP-Antikörper Das aus 37 Aminosäuren bestehende Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) findet sich in verschiedenen Bereichen im zentralen und peripheren Nervensystem und fungiert gleichermaßen als Neurotransmitter und Modulator der zerebrovaskulären Nozizeption [7]. CGRP wird sowohl im ZNS als auch von trigeminalen Fasern in der Peripherie freigesetzt und ist zum einen an der Weiterleitung des Schmerzsignals sowie der zentralen Sensitivierung und zum anderen an der Vasodilatation und neurogenen Entzündung beteiligt. Durch das Binden des CGRP-Antikörpers an den Botenstoff kann es zu einer Reduktion der Migräne kommen, da die CGRP-Level gesenkt werden. Dieses Wirkprinzip findet sich bei Fremanezumab, Galcanezumab und Eptinezumab. Ein weiterer Wirkstoff, Erenumab, bindet dagegen an den CGRP-Rezeptor und verhindert damit das Andocken des CGRP an seinen Rezeptor [6]. Der genaue Mechanismus und Wirkort der CGRP-Hemmung sind derzeit noch nicht vollständig geklärt; man geht davon aus, dass die Migräneattacke durch die Modulierung des Trigeminussystems verhindert wird [7]. Wirkprinzip der CGRP-Antikörper (calcitonin gene-related peptide) Vasodilation CGRP Antikörper Meningiale Gefäße
Neurogene Inflammation
CGRP Schmerz Photophobie Phonophobie
CGRP
Trigeminale Nervenfasern
Schädel Dura mater Arachnoida Subarachnoidaler Raum
Cortex
Pia mater Weiße Substanz
Vasodilation
Trigeminus-Nerv caudalis
CGRP Antikörper CGRP Antikörper Ganglion trigeminale
Quelle: modifiziert nach Russell FA et al. Physiol Rev 2014;94:1099-1142
(Quelle: Teva)
Laut Zulassungen durch die EMA ist die Behandlung mit CGRP-Antikörpern bei erwachsenen Patienten mit episodischer oder chronischer Migräne indiziert, die an mindestens 4 Tagen pro Monat an Migräne leiden.
auch eine Quartalsdosis bietet, da er eine Halbwertszeit von 32 Tagen hat [8]. Fremanezumab überzeugte in den HALO-Zulassungsstudien mit insgesamt 2.000 Patienten in beiden Dosierungsintervallen
durch eine hohe Ansprechrate, eine gute Verträglichkeit und einen schnellen Wirkeintritt sowohl bei der chronischen als auch bei der episodischen Migräne. Die meisten Nebenwirkungen waren
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injektionsbedingt und von milder oder moderater Stärke [9, 10]. Studienergebnisse bei Patienten mit chronischer Migräne Die Studie HALO CM [9] verglich die Wirksamkeit einer monatlichen (225 mg) und einer vierteljährlichen (675 mg) Gabe von Fremanezumab im Vergleich zu Placebo bei insgesamt 1.130 Patienten mit chronischer Migräne. Die Patienten litten zu Beginn der Studie durchschnittlich an 13,2 Tagen pro Monat an Migräne (monatliche Fremanezumab-Gabe) bzw. an 12,8 Tagen (vierteljährliche FremanezumabGabe) und in der Placebogruppe an 13,3 Tagen. Primärer Studienendpunkt war die Verringerung der durchschnittlichen Kopfschmerztage pro Monat. Ein Kopfschmerztag lag vor, wenn die Patienten mehr als 4 Stunden Beschwerden hatten oder migränespezifische Arzneimittel benötigten. Bei der Behandlung der chronischen Migräne konnte mit der monatlichen Dosierung von Fremanezumab die Anzahl der monatlichen Kopfschmerztage im Vergleich zur Baseline um 4,6 Tage reduziert werden; bei der Quartalsdosis lag die Reduktion bei 4,3 Tagen (p < 0,0001 vs. Placebo mit einer Reduktion um 2,5 Tage) (Abb. 1). Unter der monatlichen Gabe konnte bei 40,8 % der Patienten die Anzahl der Kopfschmerztage halbiert werden, mit der Quartalsdosis gelang dies bei 37,6 % (Abb. 2). Auch die Anzahl der Tage, an denen die Patienten auf eine Kopfschmerz-Akutmedikation zurückgreifen mussten, konnte unter Fremanezumab signifikant reduziert werden (monatliche Gabe: –4,2 Tage, Quartalsdosis: –3,7 Tage, Placebo: –1,9 Tage; p < 0,001 je© VERLAG PERFUSION GMBH
ÜBERSICHTSARBEIT
Mittlere Veränderung der monatlichen Kopfschmerztage zur Baseline
Chronische Migräne: Fremanezumab reduziert im Vergleich zu Placebo die Anzahl der Kopfschmerztage signifikant
Abbildung 1: Ergebnis der Studie HALO CM bei Patienten mit chronischer Migräne für den primären Studienendpunkt: Fremanezumab (Ajovy®) reduzierte sowohl bei monatlicher als auch bei vierteljährlicher Gabe die Anzahl der Kopfschmerztage signifikant gegenüber der Placebo-Gruppe [9] (Quelle: Teva).
Patienten mit Ansprechen (%)
Chronische Migräne: Hohe Ansprechrate unter Fremanezumab
Abbildung 2: Ergebnis der Studie HALO CM bei Patienten mit chronischer Migräne für die Ansprechrate: Unter Fremanezumab (Ajovy®) halbierte sich bei beiden Dosierungsintervallen die Anzahl der Kopfschmerztage bei signifikant mehr Patienten als in der Placebo-Gruppe [9] (Quelle: Teva).
weils im Vergleich zu Placebo) [9]. Hervorzuheben ist das schnelle Ansprechen unter Fremanezumab. So konnten in der Studie zur chronischen Migräne bereits nach einer Woche im Vergleich zu Placebo signifikante Verbesserungen erzielt werden [9].
Studienergebnisse bei Patienten mit episodischer Migräne In die 12-wöchige placebokontrollierte, randomisierte Phase-IIIStudie HALO EM [10] wurden insgesamt 875 Patienten eingeschlossen, die zuvor mindestens
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4 Migränetage pro Monat aufwiesen. 290 Teilnehmer erhielten 225 mg Fremanezumab zur einmal monatlichen Gabe über 3 Monate, 291 Teilnehmer bekamen zu Beginn 675 mg Fremanezumab und anschließend zweimal Placebo (= vierteljährliche Gabe) und 294 Patienten wurde ausschließlich Placebo verabreicht. Primärer Endpunkt war die mittlere Veränderung der durchschnittlichen monatlichen Zahl der Migränetage in den 12 Wochen nach der ersten Anwendung von Fremanezumab gegenüber Baseline (28-tägige Vorbehandlungsphase). Auch bei der episodischen Migräne konnte in den beiden Verumgruppen die Anzahl der monatlichen Migränetage (gegenüber Baseline) im Vergleich zu Placebo signifikant um 3,7 (monatliche Gabe) bzw. 3,4 Tage (Quartalsdosis) reduziert werden (p < 0,0001 vs. Placebo) (Abb. 3) [10]. Der Anteil der Patienten mit ≥50%iger Verringerung der durchschnittlichen monatlichen Zahl der Migränetage in den 12 Behandlungswochen war unter Fremanezumab signifikant höher als unter Placebo: Bei der monatlichen Dosierung wiesen 47,7 % eine mindestens 50%ige Verbesserung auf, bei der Quartalsdosis waren es 44,4 % (p = 0,0001 vs. Placebo). Auch die Zahl der Tage, an denen eine Akutmedikation benötigt wurde, konnte in beiden Fremanezumab-Armen signifikant reduziert werden (p < 0,0001 vs. Placebo) (Abb. 4) [10]. Einem Teil der Patienten war es erlaubt, während der Studie weitere prophylaktische Medikamente einzunehmen. In Subanalysen konnte gezeigt werden, dass die Wirksamkeit von Fremanezumab unabhängig von der Begleitmedikation ist. Für den klinischen Alltag bedeutet
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Episodische Migräne: Fremanezumab reduziert die monatlichen Migräne-Tage signifikant Placebo Fremanezumab (225 mg, monatl. Dosis) Fremanezumab (675 mg, Quartalsdosis)
Mittlere Veränderung der monatlichen Migräne-Tage zur Baseline
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Woche
Anzahl der Patienten bei Baseline und in den Wochen 4, 8 und 12: Placebo: 290, 290, 272, 267 Fremanezumab mg:Studie 287, 286, 271, 258 3: Ergebnis225der HALO EM bei Patienten Fremanezumab 675 mg: 288, 285, 272, 267 ®
12
Monatliche Dosis: 95 % CI, –2,01 bis –0,93 Tage; P<0,001 Quartalsdosis: mit episodischer Migräne 95 % CI, –1,79 bis –0,72 Tage; P<0,001
Abbildung für den primären Studienendpunkt: Fremanezumab (Ajovy ) reduzierte sowohl bei monatlicher als mod. nach Dodick DW et al. JAMA 2018;319(19):1999-2008 auch bei vierteljährlicher Gabe die Anzahl der Kopfschmerztage signifikant gegenüber der Placebo-Gruppe [10] (Quelle: Teva).
Patienten mit einer ≥ 50 %igen Reduktion der durchschnittl. Anzahl der monatl. Migräne-Tage
Episodische Migräne: Patienten mit ≥ 50 % Reduktion der durchschnittlichen monatlichen Migräne-Tage Placebo Fremanezumab (225 mg, monatl. Dosis) Fremanezumab (675 mg, Quartalsdosis)
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Anzahl der Patienten in den Wochen 4, 8 und 12:
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8
12
Woche
Unterschied zu Placebo nach 12 Wochen:
290, 274, Monatliche Dosis: 19,8% (95% CI, 12,0-27,6; 27,6%; P<0,001) Abbildung 4: Placebo: Ergebnis der268Studie HALO EM bei Patienten mit episodischer Migräne für die Fremanezumab 225 mg: 287, 274, 263 Quartalsdosis: 16,5% (95% CI, 8,9%-24,1%; P<0,001) Ansprechrate:Fremanezumab Unter Fremanezumab (Ajovy®) halbierte sich mit beiden Dosierungsintervallen 675 mg: 288, 274, 269 die Anzahl der Kopfschmerztage nach 12 Therapiewochen bei signifikant mehr Patienten als in mod. nach[10] Dodick(Quelle: DW et al. JAMA 2018;319(19):1999-2008 der Placebo-Gruppe Teva).
das, dass Vortherapien ohne Probleme und ohne Zeitdruck nach Einstellung der Patienten auf Fremanezumab ausgeschlichen werden können. Patient-related Outcomes In den HALO-Studien wurden nicht nur die Wirkungen von Fremanezumab auf die Kopfschmerzattacken untersucht, sondern auch
verschiedene Patienten-orientierte Parameter wie Behinderungsgrad, Lebensqualität, Produktivität am Arbeitsplatz und psychische Gesundheit, wobei unter der Fremanezumab-Therapie zum Teil signifikante Verbesserungen erzielt werden konnten [9, 10]. Bei der episodischen Migräne, bei der die Patienten in der Regel geringere Behinderungsgrade aufweisen, wird das Scoring gemäß MIDAS (Migraine Disabi-
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lity Assessment) verwendet. Der validierte Fragebogen umfasst 5 von den Patienten beurteilte Items zur Quantifizierung der Tage, an denen in den letzten 3 Monaten die Leistungsfähigkeit in folgenden Bereichen vermindert war: Arbeit bzw. Schule, Hausarbeit sowie Familie, Sozialleben und Freizeitaktivitäten. Je höher der Score, desto schwerer ist die Behinderung. Unter beiden Fremanezumab-Dosierungsschemata wurden im Vergleich zu Placebo zwischen Baseline und Woche 12 signifikante Besserungen der Behinderung gemäß MI-DAS beschrieben [10]. Bei chronischen Migräne-Patienten wird der HIT-6-Test (Headache Impact Test) für die Validierung der kopfschmerzbedingten Beeinträchtigungen herangezogen. Der HIT-6 umfasst 6 Items zur Beurteilung der kopfschmerzbedingten Beeinträchtigung mehrerer HRQoL-Domänen im Vormonat: • Schmerz (Schweregrad des Kopfschmerzes) • Sozialfunktion • Rollenfunktion (u.a. Arbeit, Schule, Hausarbeit) • Vitalität (Fatigue und Bedürfnis, sich hinzulegen) • Kognitive Funktion (Konzentration) • Psychische Belastung (Reizbarkeit) Während der MIDAS-Score die Zahl der Tage mit kopfschmerzbedingter Behinderung quantifiziert, wird beim HIT-6 das Ausmaß der kopfschmerzbedingten Beeinträchtigung des Lebens der Patienten subjektiv beurteilt. Unter beiden Fremanezumab-Dosierungsschemata wurden im Vergleich zu Placebo 4 Wochen nach der letzten Dosis Besserungen der Behinderung gemäß HIT-6 beschrieben (p < 0,0001) [9]. © VERLAG PERFUSION GMBH
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ÜBERSICHTSARBEIT
Darüber hinaus wurden im HALOStudienprogramm weitere patientenorientierte Parameter gemessen, wie z.B. migränespezifische Lebensqualität, Work Productivity and Activity Impairment (WPAI), Allgemeiner Gesundheitszustand (EQ-5D), Psychische Gesundheit (PHQ-2, PHQ-9) und Patient Global Impression of Change (PGIC). Unter Fremanezumab konnten in allen Kategorien Verbesserungen erzielt werden.
Selbstapplikation durch den Patienten, die bei Fremanezumab aufgrund dessen langer Halbwertszeit nicht nur monatlich, sondern auch nur einmal pro Quartal mit 675 mg Fremanezumab in der dreifachen Monatsdosis à 225 mg erfolgen kann [8]. Das vereinfacht die Gabe und erhöht die für eine anhaltende Therapieadhärenz erforderliche Akzeptanz. Literatur
Fazit Fremanezumab zeichnet sich wie auch die anderen CGRP-Antikörper vor allem durch seine Wirksamkeit und gute Verträglichkeit aus. Besonders hervorzuheben ist das schnelle Ansprechen auf die Fremanezumab-Therapie: Verbesserungen zeichnen sich bereits nach einer Woche ab [10]. Ein großes Plus ist die Möglichkeit der
Neu: Mogamulizumab zur Behandlung von Mycosis fungoides und Sézary-Syndrom Im Verlauf dieses Jahres wird Kyowa Kirin schrittweise sein Medikament Mogamulizumab (Poteligeo®) auf dem europäischen Markt einführen. Der humane monoklonale Antikörper mit direkter Wirkung auf den CC-Chemokin-Rezeptor 4 (CCR4) wurde bereits im November 2018 von der EMA für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit Mycosis fungoides oder Sézary-Syndrom, die mindestens eine systemische Vorbehandlung erhalten haben, zugelassen.
1 Diener HC, Gaul C, Kropp P et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie, 2018. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Hrsg. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Im Internet: www.dgn.org/leitlinien /3583-ll-030-057-2018-therapie-dermigraeneattacke-und-prophylaxe-der-migraene 2 Steiner T, Stovner L, Vos T. GBD 2015: migraine is the third cause of disability in under 50s. J Headache Pain 2016:17:104 3 Headache Classification Committee of the International Headache Society (IHS). The international classification of headache disorders, 3rd edition. Im Internet: https:// www.ichd-3.org/
Mogamulizumab wird mit einer Dosierung von 1,0 mg/kg Körpergewicht intravenös verabreicht, im ersten Monat wöchentlich, danach alle 2 Wochen. Mycosis fungoides und SézarySyndrom sind die beiden häufigsten Subtypen des kutanen T-ZellLymphoms, einer seltenen Form der Non-Hodgkin-Lymphome. Bei diesen schweren Erkrankungen, die die Patienten sprichwörtlich auf der Haut tragen, können in späteren Stadien auch das Blut, die Lymphknoten und innere Organe betroffen sein. Kennzeichnend für kutane T-Zell-Lymphome ist, dass die malignen T-Lymphozyten auf ihrer Oberfläche den Rezeptor CCR4 exprimieren, der die Extravasation der T-Lymphozyten in die Haut unterstützt. Indem Mogamuli-
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4 Hepp Z, Dodick DW, Varon SF et al. Persistence and switching patterns of oral migraine prophylactic medications among patients with chronic migraine: A retro spective claims analysis. Cephalalgia 2017;37:470-485 5 Neeb L, Reuter R, Israel H. CGRP als therapeutisches Ziel in der Therapie von primären Kopfschmerzen. Nervenheilkunde 2017;5:334-343 6 Goadsby P, Edvinsson L. The trigemino vascular system and migraine: studies characterizing cerebrovascular and neuropeptide changes seen in humans and cats. Ann Neurol 1993;33:48-56 7 Meßlinger K, Dux M. Neue Therapieoptionen bei Migräne. Nervenheilkunde 2016; 7/8:492-500 8 Fachinformation AJOVY®; Stand: März 2019 9 Silberstein SD, Dodick DW, Bigal ME et al. Fremanezumab for the preventive treatment of chronic migraine. N Engl J Med 2017;377:2113-2122 10 Dodick DW, Silberstein SD, Bigal ME et al. Effect of fremanezumab compared with placebo for prevention of episodic migraine. A randomized clinical trial. JAMA 2018;319:1999-2008
Anschrift der Verfasserin: Brigitte Söllner Lärchenweg 10 91058 Erlangen E-Mail: brigitte.soellner@online.de
zumab gezielt an die CCR4-exprimierenden T-Zellen im Blut und in der Haut bindet, löst es eine Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität aus, wodurch die Population der markierten T-Lymphozyten verringert wird. Dabei kommt es nach Binden von Mogamulizumab an das CCR4-Protein auf der Oberfläche der Zielzelle zur Aktivierung von natürlichen Killerzellen, die als Effektorzellen des Signalwegs anschließend die Zerstörung der Zielzelle vermitteln. Durch die Behandlung mit Mogamulizumab konnte in der Zulassungsstudie das progressionsfreie Überleben im Vergleich zur Chemotherapie mit Vorinostat signifikant verlängert (Hazard-Ratio = 0,53) werden. B. S.
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
ukoviszidose, auch als zystische Fibrose bezeichnet, ist eine genetisch bedingte, seltene, lebensverkürzende Krankheit, von der rund 6.000 Menschen in Deutschland betroffen sind [1]. Ursache sind Mutationen im Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator (CFTR)Gen, die zur Ausbildung eines defekten oder fehlenden CFTRProteins führen. CFTR-Proteine finden sich auf der Oberfläche von Zellen, die die Lungen, das Verdauungssystem, die Schweißdrüsen sowie andere Organe auskleiden, und regulieren dort den Ein- und Austritt von Chloridionen und Wasser [2]. Sind zu wenig oder ein dysfunktionales CFTRProtein vorhanden, kommt es zur Ansammlung von abnorm dickem, klebrigem Schleim, der in der Lunge die Atemwege verstopft und das bakterielle Wachstum fördert. Chronische Infektionen und fortschreitende Entzündungen führen schließlich zum Tod des Patienten [3]. In Deutschland verstirbt etwa die Hälfte aller an Mukoviszidose erkrankten Menschen vor dem Erreichen des 35. Lebensjahres [1].
Symkevi® plus Kalydeco® – eine neue Kombination zur kausalen Behandlung der Mukoviszidose Erste Behandlungsoption für Patienten mit einer Kopie der F508del-Mutation und einer von weiteren 14 Mutationen
Um an Mukoviszidose zu erkranken, muss ein Kind 2 defekte CFTR-Gene – von beiden Eltern jeweils eines – geerbt haben. Mittlerweile sind etwa 2.000 Mutationen im CFTR-Gen bekannt, wovon 312 im Verdacht stehen, Mukoviszidose zu verursachen [4]. Diese Mutationen können mittels Gentest bzw. Genotypisierung nachgewiesen werden. Seit 2016 ist der Test auf Mukoviszidose Teil des Neugeborenen-Screenings, denn je früher der Defekt erkannt und behandelt wird, desto besser ist die Prognose des Patienten.
Zur kausalen Behandlung des CFTR-Proteindefekts steht seit November 2018 mit Tezacaftor/ Ivacaftor (Symkevi®) eine neue Therapieoption zur Verfügung, die in Kombination mit dem bereits 2012 zugelassenen Ivacaftor (Kalydeco®) zum einen zur Behandlung von Patienten ab 12 Jahren mit einer homozygoten F508del-Mutation (der häufigsten Mutation) eingesetzt werden kann, wenn diese für die eine Behandlung mit Lumacaftor/Ivacaftor (Orkambi®) nicht infrage kommen. Zum anderen können mit der neuen Kombinationstherapie erstmals Patienten kausal behandelt werden, die eine Kopie mit der F508del-Mutation und eine Kopie mit einer von 14 anderen Mutati-
Symkevi® + Kalydeco® (Tezacaftor/Ivacaftor plus Ivacaftor) Bei Patienten mit Mukoviszidose führen einige Genmutationen zu einem defekten CFTR-Protein, das in der Zelle nicht normal verarbeitet oder gefaltet wird und daher zumeist nicht die Zelloberfläche erreicht. Die beiden Wirkstoffe Tezacaftor und Ivacaftor tragen auf unterschiedliche Weise zur Verbesserung der Funktion des CFTR-Proteins bei [8]: • Tezacaftor ist ein selektiver CFTR-Korrektor, der an die erste membrandurchspannende Domäne (MSD-1) des CFTR-Proteins bindet. Tezacaftor verbessert die zelluläre Verarbeitung und den Transport von normalem CFTR-Protein sowie diversen mutierten CFTR-Formen (einschließlich F508delCFTR) und erhöht dadurch die Menge von CFTR-Protein an der Zelloberfläche, was zu einem verstärkten Chloridionentransport in vitro führt. • Ivacaftor ist ein CFTR-Potentiator, der die die Öffnungswahrscheinlichkeit des CFTR-Kanals (oder Gating-Aktivität) auf der Zelloberfläche erhöht und somit den Chloridionentransport verstärkt. Damit Ivacaftor seine Wirkung entfalten kann, muss auf der Zelloberfläche CFTR-Protein vorhanden sein. In der Kombination kann Ivacaftor die Funktion des von Tezacaftor an die Zelloberfläche beförderten CFTR-Proteins verbessern und somit zu einer weiteren Erhöhung des Chloridionentransports im Vergleich zu einem der beiden Wirkstoffe allein führen.
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Studiendesign
Ergebnis für den primären Endpunkt: mittlere absolute Verbesserung der Lungenfunktion (ppFEV1) Ergebnisse für wichtige sekundäre Endpunkte
EVOLVE
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EXPAND
• Randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte • 2 4-wöchige, randomisierte, doppelblinde, placebo24-wöchige Crossover-Phase-III-Studie mit 2 Behandkontrollierte Studie lungsphasen von je 8 Wochen zu Wirksamkeit und • Tezacaftor/Ivacaftor in Kombination mit Ivacaftor Sicherheit vs. Placebo • 5 04 Mukoviszidose-Patienten im Alter von 12 Jahren • Behandlung mit Tecacaftor/Ivacaftor in Kombination mit Ivacaftor oder Ivacaftor allein im Vergleich zu und älter mit 2 Kopien der F508del-Mutation Placebo • 244 Mukoviszidose-Patienten im Alter von 12 Jahren und älter mit einer Kopie mit der F508del-Mutation und einer Kopie mit einer Mutation, die zu einer Restaktivität des CFTR-Proteins führt, die empfindlich gegen Tezacaftor/Ivacaftor ist + 4,0 Prozentpunkte vs. Placebo (p < 0,0001) + 6,8 Prozentpunkte vs. Placebo (p < 0,0001)
Veränderung in den respiratorischen Domänen des CFQ-R*: + 5,1 Punkte vs. Placebo (nominal p < 0,0001) gegenüber Baseline bis Woche 24
Mittlere absolute Veränderung in den respiratorischen Domänen des CFQ-R*: + 11,1 Punkte vs. Placebo (p < 0,0001)
Anzahl der pulmonalen Exazerbationen: Reduktion der annualisierten Rate um 35 % gegenüber Baseline bis Woche 24 vs. Placebo (IRR: 0,65; p = 0,0054)
* CFQ-R = Cystic Fibrosis Questionnaire-Revised
Tabelle 1: Design und Ergebnisse der Phase-III-Studien EVOLVE [6] und EXPAND [7] mit Symkevi® (Tezacaftor/Ivacaftor) in Kombination mit Kalydeco® (Ivacaftor).
onen tragen, die zu einer Restaktivität des CFTR-Proteins führen (P67L, R117C, L206W, R352Q, A455E, D579G, 711+3A→G, S945L, S977F, R1070W, D1152H, 2789+5G→A, 3272-26A→G und 3849+10kbC→T) [5]. Dies ist ein riesiger Fortschritt, denn für Patienten mit einer „Residual Function“-Mutation, bei der das CFTR-Protein noch eine Restaktivität aufweist, standen bisher nur symptomatische Therapien zur Verfügung. Signifikante Verbesserung der Lungenfunktion
Die Zulassung der neuen Kombinationstherapie mit Tezacaftor/ Ivacaftor plus Ivacaftor beruht auf den Ergebnissen der PhaseIII-Studien EVOLVE [6] und EXPAND [7]. In die Studien ein-
bezogen wurden insgesamt 748 Mukoviszidose-Patienten im Alter von ≥12 Jahren mit 2 Kopien der F508del-Mutation oder mit einer F508del-Mutation und einer zweiten Mutation, die mit einer Restaktivität des CFTR-Proteins assoziiert war. In beiden Studien kam es bei den Patienten, die mit Tezacaftor/Ivacaftor in Kombination mit Ivacaftor behandelt wurden, gegenüber der Placebogruppe zu einer statistisch signifikanten Verbesserung der Lungenfunktion, gemessen an der Einsekundenkapazität in Prozent des Sollwerts (ppFEV1) (Tab. 1) [6, 7]. Die Behandlung wurde grundsätzlich gut vertragen. Die häufigsten Nebenwirkungen, die in einer gepoolten Analyse der beiden PhaseIII-Studien identifiziert wurden, waren Kopfschmerzen (14 % versus 12 % unter Placebo) und Na-
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sopharyngitis (12 % versus 10 % unter Placebo) [5]. Brigitte Söllner, Erlangen Literatur 1 Mukoviszidose e.V. Deutsches Mukoviszidose-Register. Im Internet: https://www. muko.info/fileadmin/user_upload/angebote/qualitaetsmanagement/register/berichtsband_2016.pdf 2 Sosnay PR et al. Defining the disease liability of variants in the cystic fibrosis transmembrane conductance regulator gene. Nat Genet 2013;45:1160-1167 3 National Organization for Rare Disorders. Cystic Fibrosis. Im Internet: https://raredis eases.org/rare-diseases/cystic-fibrosis/ 4 Clinical and Functional Translation of CFTR. List of current CFTR2 variants. Im Internet: https://cftr2.org/mutations_history 100 mg/ 5 Fachinformation Symkevi® 150 mg Filmtabletten; Stand: Oktober 2018 6 Taylor-Cousar JL et al. Tezacaftor-ivacaftor in patients with cystic fibrosis homozygous for Phe508del. N Engl J Med 2017: 377: 2013-2023 7 Rowe SM et al. Tezacaftor-ivacaftor in residual-function heterozygotes with cystic fibrosis. N Engl J Med 2017:377:20242035 8 Vertex Pharmaceuticals. Summary of product characteristics Symkevi®
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Schwindel – der Anfang vom Ende?
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edes Jahr stürzen ältere Menschen aufgrund von Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. Die Folgen können gravierend sein: So sind es nicht selten Oberschenkelhalsbrüche mit daraus resultierenden Thrombosen sowie Infektionen mit multiresistenten Krankenhauskeimen, die letztlich sogar zum Tode führen. Daher sollte chronischer Schwindel im Alter ernst genommen und die Betroffenen durch eine frühzeitige und wirksame Therapie vor den gefährlichen Folgen geschützt werden. Schwindel im Alter kann tödlich enden
Schwindel und Gleichgewichtsstörungen gehören zu den häufigsten Gründen, warum Patienten einen Arzt aufsuchen. Insbesondere ältere Menschen sind von chronischem Schwindel betroffen, der sich als Taumeligkeit oder Unsicherheit beim Gehen und Stehen anfühlt. Viele Patienten, aber auch Ärzte, bagatellisieren jedoch die Beschwerden und meinen, Schwindel und die zunehmende Gangunsicherheit sind eine unvermeidliche Begleiterscheinung des normalen Alterns. Dies ist ein gefährlicher Trugschluss, denn Studiendaten zeigen eindeutig einen Zusammenhang zwischen Schwindel und Mortalität. So kam eine an der Harvard Medical School in Boston
erstellte Querschnittsanalyse zu dem Ergebnis, dass das Mortalitätsrisiko für Schwindelpatienten um 70 % über dem Risiko von Personen ohne Schwindel lag [1]. Die Wissenschaftler wiesen außerdem darauf hin, dass Schwindel eine vergleichbare Mortalitätsrate wie z.B. Krebs, Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat. Mit diesen alarmierenden Ergebnissen begründen die Autoren der Studie ihre Forderung, dass Vorsorgeuntersuchungen auf Schwindel als Risikofaktor für eine erhöhte Mortalität genauso berechtigt und wichtig zu nehmen sind wie Untersuchungen auf Krebs, Diabetes oder kardio- bzw. zerebralvaskuläre Erkrankungen. Denn jede einzelne dieser 4 Haupttodesursachen hat eine vergleichbar hohe Mortalitätsrate wie Schwindel [1]. Die Tragweite der Studiendaten gewinnt an Relevanz, wenn man bedenkt, dass Schwindel und Gleichgewichtsstörungen zu den häufigsten Gründen zählen, warum gerade ältere Patienten ihren Arzt aufsuchen. So liegt die 1-Jahres-Prävalenz für signifikanten Schwindel, der die Alltagsaktivität einschränkt, für die über 65-Jährigen bereits bei 20 % [2]. Fatale Folgen von Stürzen
Die Gefahr, die von einem Schwindel im Alter ausgeht, liegt in den
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oft fatalen Folgen von Stürzen begründet: So sind es nicht selten Oberschenkelhalsbrüche, daraus resultierende Thrombosen sowie Infektionen mit multiresistenten Krankenhauskeimen, die letztlich zum Tode führen. Über die erhöhte Mortalität hinaus sind ältere Menschen mit Schwindel auch massiv in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Das Selbstvertrauen in die eigenen motorischen Fähigkeiten schwindet, sodass sich viele Schwindelpatienten nicht mehr aus dem Haus trauen. Die Angst vor weiteren Stürzen wird in einer britischen Studie als wichtiger Indikator für ein notwendiges ärztliches und physiotherapeutisches Eingreifen gewertet, um fatale Folgen mit langen Krankenhausaufenthalten nach Sturz mit oft tödlich endenden Komplikationen abzuwenden [3]. Durch die eingeschränkte Mobilität geraten ältere Patienten sehr schnell in eine soziale Isolation mit all ihren negativen Begleiterscheinungen. Diese Abwärtsspirale gilt es zu verhindern, indem in der niedergelassenen Haus- und Facharztpraxis dem Schwindel eine viel höhere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dem müssten auch die Maßnahmen der Kostenträger und der Politik in Deutschland dringend Rechnung tragen. Würde Schwindel frühzeitig diagnostiziert und ernst genommen, ließen sich mit einer wirkungsvollen Therapie © VERLAG PERFUSION GMBH
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Duales Wirkprinzip der Fixkombination Synergistische Wirkung von Cinnarizin / Dimenhydrinat Haarzellen im Gleichgewichtsorgan
Peripherer Schwindel
Cinnarizin Reguliert die periphere Reizaufnahme in den Haarzellen des Gleichgewichtsorgans
Schwindel im Alter
Dimenhydrinat Zentraler Schwindel Reguliert die zentrale Reizverarbeitung in den Vestibulariskernen der Medulla oblongata Vestibulariskerne der Medulla oblongata
Arlevert ® ist das einzige Antivertiginosum, das an allen Schlüsselpositionen der Schwindelentstehung eingreift:
Abbildung 1: Arlevert®in, den die Haarzellen Fixkombination aus 20 mg Cinnarizin und 40 mg imDimenhydriVon der Reizaufnahme des Gleichgewichtsorgans bis zur Reizverarbeitung Gehirn. nat, ist das First-Line-Medikament (Evidenzgrad Ia) bei multimodalem Schwindel. Es ist das einzige Antivertiginosum, das an allen Schlüsselpositionen der Schwindelentstehung angreift.
sehr viel Unheil und hohe Folgekosten für die Versicherten und die gesellschaftliche Gemeinschaft vermeiden. Fixkombination zur symptomatischen Behandlung des multimodalen Schwindels
Die Mehrzahl der älteren Patienten weist als Ursache für Gleichgewichtsprobleme eine synergistische Störung durch mehr als 2 Diagnosen auf, die in der Regel nur zum Teil aufgedeckt werden. Störungen des komplexen Gleichgewichtssystems (vestibuläres System) aus Gleichgewichtsorganen im Innenohr mit nachgeschalteten Nervenbahnen, Sehen und Sensibilität in Gelenken und Muskeln müssen berücksichtigt werden. Die Therapie der Wahl, um dem Teufelskreis eskalierender Sturzgefährdung zu entkommen, ist die Kombination aus einem zielgerichteten Gleichgewichtstraining (sensomotorisches Training) und
einer effektiven medikamentösen, in Einzelfällen auch operativen Behandlung, die das Durchführen der Übungen zumeist erst möglich machen. Da der multimodale Schwindel im Alter meist sowohl auf einer peripher-vestibulären als auch auf einer zentral-vestibulären Störung beruht, eignet sich die Fixkombination aus 20 mg Cinnarizin und 40 mg Dimenhydrinat (Arlevert®) für die medikamentöse Indikation besonders gut. Denn der Kalziumantagonist Cinnarizin reguliert die periphere Reizaufnahme in den Haarzellen der Gleichgewichtsorgane, indem er dort den Kalziumeinstrom hemmt. Durch die zusätzliche gefäßerweiternde Wirkung normalisieren sich der Endolymphfluss im Innenohr sowie die Durchblutung im Gehirn und Innenohr [4]. Das H1-Antihistaminikum Dimenhydrinat reguliert vor allem die zentrale Reizverarbeitung in den Vestibulariskernen der Medulla oblongata und vermindert die den Schwindel auslösende
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Reizanflutung sowie die Reizweiterleitung (Abb. 1). Die Kombination beider Substanzen entwickelt dabei einen synergistischen Effekt, der über die Wirkung der einzelnen Wirkstoffe hinausgeht. Dadurch können Cinnarizin und Dimenhydrinat verglichen mit einer Monotherapie mit den Einzelsubstanzen deutlich niedriger dosiert werden und führen so zu keiner Sedierung. Auch die vestibuläre Kompensation bleibt erhalten [5]. Da auch bei rein peripheren Ursachen das Symptom Schwindel erst bei der zentralen Verarbeitung entsteht, gewährleistet dieses duale Wirkprinzip eine rasche und effiziente Therapie. Das gilt unabhängig davon, ob eine periphere Ursache (Störung der peripheren Reizaufnahme), eine zentrale Ursache (Störung der zentralen Reizverarbeitung) oder eine Kombination von beidem vorliegt, wie dies insbesondere beim multimodalen Schwindel älterer Patienten häufig der Fall ist. Fundierte Studienlage begründet First-Line-Therapie
Für das Kombinationspräparat Arlevert® liegen insgesamt 15 klinische und experimentelle Studien vor, hierunter 9 randomisierte Doppelblindstudien. Fünf dieser Studien wurden einer Meta-Analyse unterzogen [6, 7]. Insgesamt wurden hierfür die Daten von 715 Patienten (62 % Frauen, mittleres Alter 52 ± 12 Jahre) ausgewertet. Die Dauer der Erkrankung lag bei 52,2 % der Patienten zwischen 1 und 10 Jahren, bei 36,0 % unter einem Jahr. Die Verumgruppe erhielt jeweils die Standard-Dosierung mit 3 × 1 Tablette Arlevert® täglich. Ver-
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Abnahme der Schwindelbeschwerden
Vertigo Summenscore (Mittelwert)
im Verlauf der Therapie
20
Placebo (n=69)
16
Betahistin-Dimesilat 3 x 12 mg pro Tag (n=40) Cinnarizin 3 x 50 mg pro Tag (n=118)
12 8
Dimenhydrinat 3 x 100 mg pro Tag (n=116)
4 0 0
1
2
3
4
Therapiedauer (Wochen)
Arlevert® 3 x 20 mg / 40 mg pro Tag (n=216) Weitere Studienarme hier nicht dargestellt (n = 156)
Die Ergebnisse der Meta-Analyse bestätigen eindrucksvoll mit dem höchstmöglichen Evidenzgrad Ia die in den Einzelstudien belegte hohe Wirksamkeit der Fixkombination Arlevert® bei Schwindel mit peripherer und/oder zentraler Ursache. Die statistisch signifikante Überlegenheit gegenüber den Vergleichsmedikationen bereits nach einer Woche spricht zusätzlich für einen sehr schnellen Wirkeintritt. Elisabeth Wilhelmi, München
Abbildungvon 2: 5Die Ergebnisse der Meta-Analyse von 5 Studienvon mitArlevert insgesamt Patienten zei® Metaanalyse Studien mit 715 Patienten zeigt signifikante Überlegenheit bei 715 Schwindel verschiedener ® beisehr Schwindel verschiedener gen die signifikante Überlegenheit der Fixkombination Genese gegenüber allen Vergleichssubstanzen (p<0,001). BetahistinArlevert hat nur einen geringen Effekt, vergleichbar mit Placebo (Waldfahrer Genese gegenüber allen Vergleichssubstanzen [6, 7]. 2011).
gleichsmedikationen waren die Einzelsubstanzen Cinnarizin (20 mg bzw. 50 mg) und Dimenhydrinat (40 mg bzw. 100 mg) sowie der Wirkstoff Betahistindimesilat (12 mg). In 2 Studien wurde auch eine Placebo-Gruppe mit eingeschlossen. Untersuchte Indikationen waren im Fall von Cinnarizin und Dimenhydrinat Schwindel verschiedener Genese (zentral und/ oder peripher) sowie Innenohrschwindel im Fall von Betahistin. Hauptzielkriterium war die Veränderung bzw. der Rückgang der Schwindelsymptomatik im Verlauf einer 4-wöchigen Behandlung. Die Schwindelsymptomatik wurde als die Summe der Intensität von 5 Schwindelsymptomen und der Intensität des Schwindels nach 5 Auslösefaktoren beurteilt (Vertigo-Summenscore). Die einzelnen Symptome wurden von den Patienten anhand einer verbalen Skala
oder einer visuellen Analogskala (von Minimum 0 bis Maximum 4) beurteilt. Bei der Auswertung wurden die Mittelwerte des Vertigo-Summenscores aller Patienten einer Behandlungsgruppe vor Beginn der Behandlung, nach 1 Woche sowie nach 4 Wochen miteinander verglichen. Dabei verbesserten sich die Schwindelbeschwerden am stärksten unter der Therapie mit Arlevert® (Abb. 2) [7]. Der statistische Vergleich von Arlevert® mit den Vergleichsmedikationen belegt bereits nach 1 Woche ebenso wie nach 4 Wochen die eindeutige Überlegenheit der Fixkombination sowohl gegenüber Betahistin und Placebo als auch gegenüber den Einzelsubstanzen in der 2,5fach höheren Dosierung. Die Unterschiede gegenüber den Vergleichsgruppen waren dabei alle hoch signifikant (p < 0,001) [7].
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Literatur 1 Corrales CE, Bhattacharyya N. Dizziness and death: an imbalance in mortality. Laryngoscope 2016;126:2134-2136 2 Lin HW, Bhattacharyya N. Balance disorders in the elderly: Epidemiology and functional impact. Laryngoscope 2012; 122:1858-1861 3 National Institute of Clinical Excellence NICE, GB, 2004 4 Düwel P, Haasler T, Jüngling E et al. Effects of cinnarizin on calcium and pressure-dependent potassium currents in guinea pig vestibular hair cells. NaunynSchmiedeberg’s Arch Pharmacol 2005; 371:441-448 5 Scholz AW, Ilgner J, Loader B et al. Cannarizine and dimenhydrinate in the treatment of vertigo in medical practice. Wien Klin Wochenschr 2016;128:341-347 6 Schremmer D, Bognar-Steinberg I, Baumann W et al. Efficacy and tolerability of a fixed combination of cinnarizine and dimenhydrinate in treatment of vertigo. Analysis of data from five randomised, double-blind clinical studies. Clin Drug Invest 1999;18:355-368 7 Waldfahrer F. Evidenz-basierte Schwindeltherapie. In: Iro H, Waldfahrer F, Hrsg. Vertigo – Kontroverses und Bewährtes. Wien: Springer Verlag 2011; 197-203
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auptursache für einen hochgradigen Sehverlust und die Erblindung im fortgeschrittenen Alter ist die neovaskuläre (exsudative oder „feuchte“) altersabhängige Makuladegeneration (nAMD). Als Therapiestandard hat sich die intravitreale Injektion (Abb. 1) von Angiogenese-Inhibitoren wie Aflibercept (Eylea®) etabliert, die die übermäßige Expression des Vascular Endothelial Growth Factors (VEGF) hemmen. Die bahnbrechenden Behandlungsergebnisse, die mit dem Einsatz von VEGF inhibierenden Substanzen erzielt werden können, wurden in zahlreichen randomisierten klinischen Studien hinreichend belegt. So konnten bereits die Aflibercept-Zulassungsstudien VIEW 1 und 2 die Wirksamkeit verlängerter Therapieintervalle im zweiten Behandlungsjahr unter Beweis stellen [1]. Nach dem ersten Behandlungsjahr mit 3 initialen monatlichen und darauf folgend 4 Injektionen in 2-monatlichen Abständen wurden die Patienten im zweiten Studienjahr weiterhin monatlich untersucht, erhielten die Injektionen aber nach Bedarf, jedoch mindestens alle 3 Monate*. Bis zum Ende des zweiten Studienjahres gelang es bei 48 % der Patienten, die Visusverbesserung des ersten Behandlungsjahres auch mit ausgedehnten Injektionsintervallen von bis zu 12 Wochen zu erhalten.
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Neovaskuläre Makuladegeneration: „Treat & Extend“-Behandlung mit Aflibercept verbessert den Visus und mindert die Krankheitslast die ALTAIR zu überprüfen, ob eine Ausweitung der Injektionsintervalle bereits im ersten Behandlungsjahr möglich ist [3]. Da die Nachhaltigkeit des Therapieerfolgs von VEGF-Inhibitoren maßgeblich von einer konsequenten und kontinuierliche Behandlung abhängt, die dem chronischen Charakter der nAMD gerecht wird, wurde dabei ein proaktiver Therapieansatz nach Treat & Extend (T&E) mit individuell verlängerten Injektionsintervallen verfolgt: Nach 3 monatlichen Injektionen zu Beginn der Behandlung, gefolgt von einer Injektion
nach 2 Monaten, wurden die Injektionsintervalle in Abhängigkeit von funktionellen und/oder morphologischen Kriterien des jeweiligen Patienten schrittweise um 2 (Behandlungsarm T&E-2W) oder 4 Wochen (Behandlungsarm T&E4W) verlängert. Bei einer Krankheitsaktivität wurden die Intervalle wiederum um 2 oder 4 Wochen verkürzt. Dabei betrug das kürzeste Intervall 8 Wochen, die maximale Dauer lag bei 16 Wochen. Zum Ende des ersten Studienjahres konnte bei fast 60 % der Patienten (56,7 % bei 2-wöchigen und
Gute Therapieerfolge mit Aflibercept und dem T&E-Konzept
Die positiven Ergebnisse aus den Zulassungsstudien waren Anlass, im Rahmen der offenen randomisierten prospektiven Phase-IV-Stu* Abweichung vom Therapieregime gemäß EU-Zulassung
Abbildung 1: Bei der intravitrealen Injektion wird der Wirkstoff direkt in den Glaskörper injiziert (Quelle: Bayer Vital GmbH).
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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
Vier Schlüssel für die ideale Anti-VEGF-Behandlung der nAMD Bei der Übersetzung der positiven Resultate aus klinischen Studien in die Praxis unter Alltagsbedingungen sollten einige Bedingungen der Routineversorgung berücksichtigt werden, um vergleichbare Erfolge zu erzielen. Für ein ideales Anti-VEGF-Behandlungskonzept wurden deshalb von der internationalen Expertengruppe der Vision Academy praxisbezogene Therapieempfehlungen ausgearbeitet [2]. Die 4 Leitsätze aus dem Expertenkonsens des unabhängigen Entscheidungsgremiums lauten: • Sehschärfe maximieren und erhalten • Planung der Behandlung statt situativer Behandlungsentscheidung • Anpassung der Behandlungsintervalle an Patientenbedürfnisse • Behandlung bei jeder Kontrollvisite Diese Kriterien werden bei der Behandlung mit Aflibercept (Eylea®) und dem proaktiven Therapieansatz nach Treat & Extend (T&E) mit individuell verlängerten Injektionsintervallen berücksichtigt.
Abbildung 2: 1-Jahres-Ergebnisse der ALTAIR-Studie: Die Behandlung mit Aflibercept (Eylea®) nach dem Treat&Extend-Prinzip erlaubte bereits im ersten Behandlungsjahr nach einer Initialphase die Erweiterung der Behandlungsintervalle auf 12 und mehr Wochen, ohne dass es zu funktionellen Einbußen kam [3] (Quelle: Bayer Vital GmbH).
57,8 % bei 4-wöchigen Anpassungsschritten) die Zeit bis zum nächsten geplanten Injektionstermin auf 12 Wochen und mehr verlängert werden. Dabei blieb der erzielte mittlere Visusgewinn (in der Gruppe T&E-2W 9,0 Buchstaben, in der T&E-4W 8,4 Buchstaben) erhalten (Abb. 2). Aufgrund dieser Ergebnisse wurde Aflibercept im Juli 2018 europaweit für die The-
rapie einer nAMD unter Anwendung eines proaktiven Behandlungsansatzes nach T&E bereits im ersten Behandlungsjahr nach einer Initialphase zugelassen [4]. Die 2-Jahres-Daten von ALTAIR** zeigen, dass die Ergebnisse auch im zweiten Behandlungsjahr weitest** Vorgestellt beim EURETINA-Kongress 2018 und auf der Jahrestagung 2018 der American Academy of Ophthalmology
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gehend aufrechterhalten werden. Die Mehrzahl der Patienten erreichte auch bei ihrer letzten Visite nach 2 Jahren ein Behandlungsintervall von 12 Wochen und mehr. Insgesamt lag die mittlere Anzahl der Injektionen bis zur Woche 96 in beiden Gruppen bei 10,4. Die mittlere Anzahl der Injektionen von Woche 52 bis Woche 96 betrug 3,7 im T&E-4W-Arm und 3,6 im T&E-2W-Arm. Die auftretenden Nebenwirkungen nach 96 Wochen entsprachen dem bekannten Sicherheitsprofil von Aflibercept. Nur die konsequente und kontinuierliche Behandlung sichert Therapieerfolg
Die positiven Ergebnisse kontrollierter klinischer Studien ließen sich in den frühen Real-WorldStudien aus der Anfangszeit der Anti-VEGF-Therapie der nAMD allerdings nicht reproduzieren. Der wesentliche Grund dafür ist, dass die Patienten meist unterbehandelt waren. Wie die 12-Monats-Ergebnisse der PERSEUS-Studie belegen, lassen sich auch in der Routinepraxis die guten Ergebnisse der klinischen Studien erreichen – wenn bislang unbehandelte Patienten von Anfang an kontinuierlich mit Aflibercept behandelt werden [5]. Die in die prospektive nicht interventionelle Real-World-Studie eingeschlossenen 848 Patienten (vorbehandelt und nicht vorbehandelt) erhielten nach 3 monatlichen Injektionen zu Beginn regelmäßig alle 8 Wochen eine Injektion (mindestens 7 Injektionen im ersten Therapiejahr***). Unter der Afli*** Vor Studienbeginn wurden Injektionstoleranzen während des initialen Loadings von –1/+2 Wochen und im weiteren Verlauf des Behandlungsjahres von –2/+4 Wochen definiert. © VERLAG PERFUSION GMBH
AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
Aflibercept Die Aflibercept-Injektionslösung (Eylea®) enthält ein rekombinantes Fusionsprotein, das den Endothelwachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) hemmt, der im gesunden Organismus die Bildung neuer Blutgefäße (Angiogenese) anregt und beim Wachstum von Geweben und Organen eine Rolle spielt. Das Fusionsprotein besteht aus 2 Polypeptidketten, die die extrazellulären Teile der VEGF-Rezeptoren 1 und 2 enthalten, die mit dem Fc-Anteil von humanen IgG1-Antikörpern fusioniert wurden. Aflibercept bindet VEGF-A und den Plazenta-Wachstumsfaktor (PGF) mit höherer Affinität als deren natürliche Rezeptoren. Dadurch verhindert es die Aktivierung dieser VEGF-Rezeptoren und damit die pathologische Neubildung von Blutgefäßen mit abnormal erhöhter Durchlässigkeit, die im Auge zu Ödemen führen kann. Eylea® ist speziell für die Injektion in den Glaskörper des Auges (intravitreale Injektion) als isoosmotische Lösung formuliert. Die empfohlene Dosis beträgt 2 mg Aflobercept (50 ml) [4].
bercept-Therapie konnten die vormals therapienaiven und dann kontinuierlich behandelten Patienten am Ende des ersten Jahres einen Visusgewinn von 8,0 Buchstaben verzeichnen, bei den therapienaiven und unregelmäßig behandelten Patienten betrug der Gewinn nur 4,0 Buchstaben. Diese Ergebnisse sowie die derzeit zur Publikation aufgearbeitete Analyse der 24-Monats-Daten von PERSEUS weisen darauf hin, dass die längerfristige Therapieadhärenz ganz entscheidend für die Wirksamkeit der Behandlung ist. Die Zahl der Patienten, die kontinuierlich behandelt wurden, nahm allerdings – wie in anderen Beobachtungsstudien auch – stetig ab. Die Ursachen für einen Behandlungsabbruch sind vielfältig, oft erscheint der Aufwand den Patienten und Angehörigen zu groß.
Fazit für die Praxis
Die Diskrepanz zwischen den positiven Ergebnissen klinischer Studien und den teilweise ernüchternden Erfahrungen mit der VEGF-Therapie im Praxisalltag ließe sich durch eine Optimierung des Therapieablaufs beseitigen. Große Vorteile bietet dabei das Treat&Extend-Behandlungskonzept – statt wie bislang „situativ reaktiv“ zu behandeln (z.B. bei einem Funktionsverlust oder Rezidiv), sollte der Arzt vorausschauend auf die individuelle Krankheitsaktivität eingehen. Dieses „proaktive“ T&E-Konzept basiert auf im Voraus geplanten, in den Praxisalltag integrierten Injektionsterminen. Die Aflibercept-Behandlung startet zeitnah nach der Diagnose mit initial monatlichen Injektionen, bis ein stabiler Be-
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fund vorliegt. Danach entscheiden aktuell erhobene OCT-Befunde und Visusmessungen je nach individuell festgestellter Krankheitsaktivität über eine Verlängerung oder Verkürzung der Zeit bis zum darauffolgenden Termin. Grundsätzlich erhalten die Patienten bei jedem Arztbesuch eine Injektion. Damit wird sowohl dem fortbestehenden Krankheitsprozess als auch der sich stets verändernden Krankheitsaktivität Rechnung getragen. Die Chance für einen Visusgewinn bzw. -erhalt wird dadurch erhöht – bei Minimierung des Gesamtaufwands und gleichzeitiger Kostenoptimierung. Für den Patienten ergibt sich zudem eine höhere Planungssicherheit, da er bei jedem Arztbesuch behandelt wird. Auf diese Weise verbessert sich auch die Therapieadhärenz und damit die Chance, durch die kontinuierliche Therapie den Visus erhalten und in vielen Fällen sogar verbessern zu können. Brigitte Söllner, Erlangen
Literatur 1 Schmidt-Erfurth U et al. Ophthalmology 2014;121:193-201 2 Lanzetta P et al. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 2017;255:1259-1273 3 Bayer EYLEA – Zusammenfassung der Produktcharakteristika; Okada ePoster AAO 2017 4 Fachinformation Eylea®; Stand: Juli 2018 5 Framme C et al. Ophthalmol Retina 2018; 2:539-549
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S
chmerzen sind bei Patienten mit Morbus Parkinson ein sehr häufiges Krankheitssymptom, das in vielen Fällen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität beiträgt. Um zu klären, welche Therapieformen zur Linderung von Parkinson-assoziierten Schmerzen am effektivsten sind, hat ein internationales Team eine Meta-Analyse klinischer Studien mit verschiedenen ParkinsonTherapien durchgeführt. Zur deutlichsten Schmerzlinderung kam es unter der Add-on-Therapie mit Safinamid (Xadago®) [1]. Schmerzen werden oft nicht adäquat behandelt
68 – 95 % der von der ParkinsonKrankheit betroffenen Menschen leiden an Schmerzen [2 – 5]. Häufig entstehen sie als primäre Schmerzen infolge der frühmorgendlichen Dystonie oder aufgrund von motorischen Fluktuationen. Auch sekundäre Schmerzen treten auf, die sich überwiegend als muskuloskelettale Beschwerden manifestieren. Trotz der hohen Prävalenzraten erhalten 25 – 50 % der ParkinsonPatienten keine Schmerztherapie [2 – 4]. Zudem war bisher ungeklärt, welche Therapie zur Reduzierung der Schmerzproblematik am besten geeignet ist. Diese Frage wurde nun im Rahmen einer unabhängigen Meta-Analyse genauer untersucht [1].
Safinamid führend bei der Linderung Parkinsonassoziierter Schmerzen komplementäre Therapien der Parkinson-Krankheit untersucht hatten. Dazu gehörten Studien zu Dopaminagonisten, Cannabinoiden und Opioiden, zu chirurgischen Eingriffen, zur Elektrotherapie bzw. traditionellen chinesischen Medizin, zu Pardoprunox, Safinamid, COMT-Hemmern, zur Versorgung durch ein multidisziplinäres Team und zu „sonstigen Therapien“ wie z.B. Hydrotherapie, Massage, Power-Yoga und Achtsamkeitstraining. Die Studien schlossen insgesamt 1.744 Patienten mit Morbus Parkinson ein, die sich einer der genannten therapeutischen Interventionen unterzogen hatten und mit Kontrollgruppen bestehend aus 1.610 Patienten verglichen wurden. Zur Erhebung der Schmerz-Symptomatik wurden in den untersuchten Studien unterschiedliche Fragebögen eingesetzt, darunter die Schmerz-Subskala der visuellen Analogskala VAS, Item 39 des Parkinson’s Disease Questionnaire, die Likert-Schmerz-Skala und weitere Erhebungs-Bögen [1]. Die deutlichste Schmerzlinderung wurde unter Safinamid beobachtet (p < 0,0001), gefolgt von Cannabi-
noiden und Opioiden (p < 0,0001). Den geringsten Effekt auf Schmerzen hatten die „sonstigen Therapien“ (p < 0,0001) [1]. Duales Wirkprinzip von Safinamid ausschlaggebend
Die Studie zeigt in beeindruckender Weise, dass Safinamid im Vergleich zu anderen Dopaminergika und sogar mit Opiaten und Cannabinoiden besonders geeignet ist, um Schmerzen von ParkinsonPatienten zu lindern. Safinamid, das als Add-on zu Levodopa und ggf. weiteren Anti-ParkinsonMedikamenten eingesetzt wird, zeichnet sich durch einen dualen Wirkmechanismus aus: Es hemmt selektiv und reversibel die Monoaminooxidase B (MAO-B) und reguliert die abnorm hohe Freisetzung von Glutamat, die Erkrankte häufig aufweisen. Da bekannt ist, dass Schmerzen auf Störungen des dopaminergen und glutamatergen Systems beruhen können, ist es durchaus berechtigt, davon auszugehen, dass die duale Wirkung von Safinamid auf diese beiden Neuro
Für die Behandlung mit Safinamid geeignet sind Parkinson-Patienten mit Levodopa
Meta-Analyse zeigt Überlegenheit gegenüber anderen Therapieformen
Das Team um Abdul Qureshi bezog in seine Analyse 25 randomisierte kontrollierte Studien ein, die medikamentöse, chirurgische und
• d ie täglich mehr als 400 mg Levodopa plus Dekarboxylasehemmer benötigen • und einem MAO-B-Hemmer/verschiedenen Anti-Parkinson-Medikamenten, die eine Medikamentensteigerung benötigen • die erste motorische Komplikationen wie Wearing-off zeigen • die leichte Dyskinesien haben • die über nicht motorische Symptome klagen • die Anzeichen von depressiven Verstimmungen zeigen Tabelle 1: Empfehlungen zum Einsatz von Safinamid [6].
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Safinamid Safinamid (Xadago®) ist ein neuer Wirkstoff mit einem einzigartigen dualen Wirkmechanismus, der zugleich dopaminerge und nicht dopaminerge Systeme beeinflusst: Einerseits sorgt der Wirkstoff für eine selektive und reversible Hemmung der Monoaminooxidase B (MAO-B) und verlängert somit die dopaminerge Wirkung, andererseits kommt es durch die Blockade der spannungsabhängigen Natrium- und Kalziumkanäle zu einer Hemmung der Glutamatausschüttung.
© Zambon
Safinamid stellt daher die erste und einzige Behandlungsoption dar, die der Dysbalance zwischen dem verringerten dopaminergen Tonus und der erhöhten Glutamatkonzentration entgegenwirkt, welche zur Progression des Morbus Parkinson beiträgt. Klinische Studien haben bestätigt, dass Safinamid eine ausgewogene Kontrolle sowohl nicht motorischer und motorischer Symptome als auch motorischer Komplikationen ermöglicht, die auch langfristig (über 2 Jahre) anhält. Die Ergebnisse aus einer langfristigen doppelblinden, placebokontrollierten Studie über 24 Monate zeigen, dass Safinamid eine signifikante Wirkung auf die motorischen Fluktuationen (ON-/OFF-Zeit) hat, ohne das Risiko für Dyskinesien zu erhöhen. Dieser positive Effekt beruht auf dem dualen Wirkmechanismus. Safinamid wird oral, einmal täglich als Begleitmedikation zu Levodopa und gegebenenfalls Dopaminagonisten, verabreicht. Der Wirkstoff ist sicher und gut verträglich, hat ein geringes Nebenwirkungsprofil und ist einfach anwendbar durch eine einmalige tägliche Dosierung, keine Anpassung der L-Dopa-Dosis, keine bedeutsamen Arzneimittelwechselwirkungen und es müssen aufgrund seiner hohen MAO-B/MAO-A-Selektivität keine diätetischen Einschränkungen beachtet werden.
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transmittersysteme ausschlaggebend für dessen gute Wirkung gegen Schmerzen ist. Übereinstimmung mit Berichten aus der Praxis
Die positive Wirkung von Safinamid auf das Schmerzgeschehen war bereits aus anderen Studien bekannt, zudem entsprechen die Ergebnisse der Meta-Analyse den Beobachtungen, die bisher in der praktischen Anwendung gemacht wurden. Dabei kam es insbesondere zu Verbesserungen des dystonen und zentralen Schmerzes. Außerdem konnte basierend auf der guten rigorsenkenden Wirkung von Safinamid eine Reduktion von schmerzlindernden Medikamenten erreicht werden [6]. Aus diesen Ergebnissen lassen sich für die Praxis folgende Empfehlungen ableiten: Safinamid ist eine gute Ergänzung zur medikamentösen Standardtherapie, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Parkinson-Patienten, bei denen unter der Therapie mit Levodopa leichte Fluktuationen auftreten, sollten Safinamid erhalten. Neu ist die Überlegung, dass bei Patienten mit Parkinson-Krankheit, die über Schmerzen klagen, der Einsatz von Safinamid erwogen werden sollte (Tab. 1). Elisabeth Wilhelmi, München Literatur 1 Qureshi A et al. Neuroepidemiology 2018; 51:190-206 2 Buhmann C et al. J Neurol 2017;264:758769 3 Broen MP et al. Mov Disord 2012; 27:480484 4 Beiske AG et al. Pain 2009;141:173-177 5 Valkovic P et al. PLoS One 2015;10: e01365541 6 Symposium „Therapeutisches Potenzial von Safinamid und Verbesserung der Lebensqualität von Parkinson-Patienten“, Deutscher Kongress für Parkinson und Bewegungsstörungen, 7. – 9. März 2019
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Axicabtagen-Ciloleucel – eine CAR-T-Zelltherapie bei aggressiven Formen des B-Zell-Non-HodgkinLymphoms
D
ie Chimäre-Antigenrezeptor-T(CAR-T)-Zelltherapie gewinnt in der Krebsbehandlung zunehmend an Bedeutung. Dabei handelt es sich um eine personalisierte Therapie, die das körpereigene Immunsystem nutzt, um bestimmte Blutkrebsformen zu bekämpfen. Dafür werden dem Patienten T-Zellen entnommen und außerhalb des Körpers genetisch so modifiziert, dass sie synthetische Immunrezeptoren (chimäre Antigenrezeptoren, CAR) exprimieren. Die extrazelluläre Domäne des CAR erkennt spezifisch Moleküle auf der Zelloberfläche der Zielzellen [1]. Nach der Reinfusion können diese CAR-T-Zellen spezielle Zellen identifizieren und zerstören. Dieses Verfahren kann Patienten mit aggressiven Formen von B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphomen neue Therapieoptionen bieten [2] und zeigt bei einer Reihe von Krebserkrankungen bereits ermutigende Ergebnisse [3]. Hoher ungedeckter klinischer Bedarf bei DLBCL und PMBCL
Für Patienten mit refraktären oder rezidivierten Formen des B-ZellLymphoms, einschließlich des diffus großzelligen B-Zell-Lym-
phoms (DLBCL) und des primär mediastinalen großzelligen BZell-Lymphoms (PMBCL), besteht ein großer Bedarf an neuen Therapien. Dies verdeutlichen die Ergebnisse der retrospektiven SCHOLAR-1-Analyse, in der Patienten mit aggressivem DLBCL oder PMBCL untersucht wurden, die auf die Chemotherapie nicht ansprachen oder nach einer autologen Stammzelltransplantation einen Rückfall erlitten [4]. Unter den bislang verfügbaren Therapieoptionen wiesen diese Patienten eine Ansprechrate von 26 % auf, nur 7 % zeigten ein komplettes Ansprechen. Das mediane Gesamtüberleben lag in dieser Gruppe bei nur 6,3 Monaten [4]. Axicabtagen-Ciloleucel
Axicabtagen-Ciloleucel (Yescarta®) ist eine CAR-T-Zelltherapie, die für Patienten mit refraktärem oder rezidiviertem DLBCL und PMBCL entwickelt wurde. Hierbei werden die weißen Blutzellen des Patienten per Leukapherese gewonnen und daraus T-Zellen isoliert. Diese werden ex vivo mittels retroviraler Transduktion so modifiziert, dass sie chimäre Antigenrezeptoren ausbilden, de-
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ren extrazelluläre CAR-Domäne das Molekül CD19 erkennt, das sich auf der Oberfläche von BZellen befindet. Nach dieser Vorbehandlung werden die lebensfähigen Anti-CD19 CAR-positiven T-Zellen expandiert und dem Patienten zurückinfundiert. Im Körper können sich die CAR-T-Zellen vermehren und die CD19-exprimierenden B-Zellen angreifen und eliminieren [5]. In der zulassungsrelevanten Studie ZUMA-1 war die Herstellung der Anti-CD19 CAR-positiven T-Zellen bei einer medianen Bereitstellungszeit in den USA von 17 Tagen zu 99 % erfolgreich [6]. Während des gesamten Produktionsprozesses ist die Rückverfolgbarkeit durch das Programm Kite Konnect™ gewährleistet. Ärzten ist es somit möglich, den Prozess von der Blutentnahme bis zur Lieferung der CAR-T-Zellen (Vein to Vein) zu verfolgen [7]. In den USA wurde Yescarta® am 18. Oktober 2017 zugelassen. Am 23. August 2018 erteilte die Europäische Kommission die Zulassung für die EU. Yescarta® ist indiziert zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem DLBCL und PMBCL nach 2 oder mehr systemischen Therapien [5]. © VERLAG PERFUSION GMBH
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Hohe Ansprechraten mit der Chance auf vollständige Remission
Ausschlaggebend für die Zulassung von Axicabtagen-Ciloleucel waren die Ergebnisse der ZUMA1-Studie [5, 6]. Diese Phase-I-/II-Studie untersuchte die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Axicabtagen-Ciloleucel bei Patienten mit refraktärem oder rezidiviertem DLBCL und PMBCL. In Phase I wurden 7 Patienten und in Phase II 101 Patienten mit DLBCL oder PMBCL eingeschlossen, die eine progrediente oder stabile Erkrankung als bestes Ansprechen auf die zuletzt angewendete Therapielinie oder eine Progression innerhalb von 12 Monaten nach autologer Stammzelltransplantation aufwiesen. Die Teilnehmer erhielten vor der Behandlung mit Axicabtagen-Ciloleucel eine Vorbehandlung zur Lymphodepletion. Primärer Studienendpunkt war die objektive Ansprechrate (komplettes und teilweises Ansprechen). Sekundäre Endpunkte beinhalteten die Dauer des Ansprechens, das Gesamtüberleben (Overall Survival, OS) und die Schwere der unerwünschten Ereignisse [5]. Bei der 1-Jahres-Analyse mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von mindestens 12 Monaten lag die objektive Ansprechrate der behandelten Patienten bei 72 % (95%-KI: 62 – 81 %). Davon erzielten 51 % eine vollständige Remission. Die mediane Dauer bis zum Ansprechen betrug 1,0 Monate (Spanne: 0,8 – 6,3 Monate). Das mediane Gesamtüberleben wurde bei der Nachbeobachtungszeit von 12 Monaten nicht erreicht, das 12-Monats-Gesamtüberleben lag bei 60,4 % (95%KI: 50,2 – 69,2 %) [5].
In der 2-Jahres-Analyse mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 27,1 Monaten zeigten 39 % der Patienten weiterhin ein Ansprechen [8]. Bei 93 % der Patienten, die nach 12 Monaten in Remission waren, wurde nach 24 Monaten ein anhaltendes Ansprechen festgestellt, das mediane Gesamtüberleben wurde weiterhin nicht erreicht [8]. Das mediane progressionsfreie Überleben betrug 5,9 Monate für die gesamte Studienpopulation und wurde bei Patienten mit partiellem oder vollständigem Ansprechen nicht erreicht [8].
konnte. Während der zusätzlichen Nachbeobachtungszeit gab es keine weiteren Fälle eines CRS, auf Axicabtagen-Ciloleucel rückführbare neurologische Nebenwirkungen oder neue behandlungsbedingte Todesfälle [8]. Brigitte Söllner, Erlangen
Nebenwirkungen
Zum Zeitpunkt der 1-Jahres-Analyse waren die schwerwiegendsten und am häufigsten auftretenden beobachteten Nebenwirkungen Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS) (93 %), Enzephalopathie (58 %) und Infektionen (38 %). Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen mit Grad 3 oder höher waren unter anderem Enzephalopathie (30 %), Infektionen mit nicht weiter spezifizierten Erregern (19 %), CRS (12 %), bakterielle Infektionen (8 %), Aphasie (7 %), Virusinfektionen (6 %), Delirium (6 %), Hypotonie (6 %) und Hypertonie (6 %). Neurologische Nebenwirkungen wurden bei 65 % der Patienten beobachtet, bei 31 % mit Grad 3 oder höher. Ein CRS mit Grad 3 oder höher trat bei 12 % der Patienten mit CRS auf [5]. Bis zur 24-Monats-Analyse erlitten 4 Patienten weitere schwere Nebenwirkungen (je einmal Veränderungen des Geisteszustands Grad 3, ein myelodysplastisches Syndrom Grad 4, eine Lungeninfektion und 2 Bakteriämien Grad 3), von denen aber keine auf die Behandlung zurückgeführt werden
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Literatur 1 Roberts Z et al. Axicabtagene ciloleucel, a first-in-class CAR t cell therapy for aggressive NHL. Leukemia & Lymphoma 2017;59:1785-1796 2 Jain M et al. Axicabtagene ciloleucel (KTE-C19), an anti-CD19 CAR T therapy for the treatment of relapsed/refractory aggressive B-cell non-Hodgkin’s lymphoma. Therapeutics and Clinical Risk Management 2018;14:1007-1017 3 Heymach J et al. Clinical Cancer Advances 2018: Annual Report on Progress Against Cancer from the American Society of Clinical Oncology. J Clin Oncology 2018;36:1020-1044 4 Crump M et al. Outcomes in refractory diffuse large B-cell lymphoma: results from the international SCHOLAR-1 study. Blood 2017;130:1800-1808 5 Fachinformation Yescarta®; Stand: August 2018 6 Neelapu S et al. Axicabtagene Ciloleucel CAR T-Cell therapy in refractory large B-cell lymphoma. N Engl J Med 2017; 377:2531-2544 7 https://www.kitekonnect.com/ 8 Locke FL et al. Long-term safety and activity of axicabtagene ciloleucel in refractory large B-cell lymphoma (ZUMA-1): a single-arm, multicenter, phase 1-2 trial. Lancet Oncol 2019;20:31-42
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atienten mit eosinophilem, oft unkontrollierbarem Asthma haben einen extrem hohen Leidensdruck. Sie sind in ihrem Alltag durch die entzündliche Erkrankung nicht nur erheblich eingeschränkt, sondern haben aufgrund der häufigen Exazerbationen und der Einschränkungen der Lungenfunktion auch ein erhöhtes Sterberisiko. Umso wichtiger ist daher der Einsatz von Medikamenten, die die Ursache der Entzündung – in diesem Fall die eosinophilen Granulozyten – adressieren und damit die belastenden Symptome auch langfristig verringern. Eine seit über einem Jahr verfügbare und mittlerweile auch durch die Behandlungsergebnisse in der täglichen Praxis als effektiv bestätigte Behandlungsoption ist der Anti-IL-5-Rezeptor-Antikörper Benralizumab (Fasenra®). Benralizumab ist indiziert als Add-on-Erhaltungstherapie bei erwachsenen Patienten mit schwerem eosinophilem Asthma, das trotz hochdosierter inhalativer Kortikosteroide (ICS) plus lang wirksamer BetaAgonisten (LABA) unzureichend kontrolliert ist [1]. Zielgerichteter Wirkmechanismus
Im Lungengewebe von Patienten mit schwerem eosinophilem Asthma findet sich eine hohe Konzentration von eosinophilen Granulozyten, die normalerweise eine wichtige Rolle bei der Immun abwehr spielen, aber auch die für das allergische Asthma charakteristischen entzündlichen Prozesse auslösen, die zu einer Atemwegs obstruktion, Atemwegshypersensitivität und erhöhten Schleimproduktion führen. Der Lebenszyklus eosinophiler Granulozyten wird hauptsächlich durch Interleukin-5
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Benralizumab – eine effektive Add-on-Erhaltungstherapie bei schwerem eosinophilem Asthma (IL-5) reguliert [2]. Das Zytokin stärkt die Proliferation und Differenzierung eosinophiler Vorläuferzellen und fördert das Überleben von reifen Eosinophilen [3]. Um die Wirkungskaskade in Gang zu setzen, bindet IL-5 an den IL5-Rezeptor, der auf der Oberfläche von eosinophilen (und basophilen) Granulozyten exprimiert wird. Ein plausibler Therapieansatz für eosinophile Erkrankungen besteht daher darin, die Bindung von IL-5 an seinen Rezeptor zu verhindern. Dies gelingt mit Benralizumab, einem antieosinophilen, humanisierten, afucosylierten, monoklonalen Antikörper (IgG1, kappa), der mit hoher Affinität an die Alpha-Untereinheit des humanen Interleukin-5-Rezeptors (IL-5Rα) bindet. Gleichzeitig besitzt Benralizumab eine hohe Affinität zu FcγRIIIRezeptoren auf Immuneffektorzellen, wie z.B. den natürlichen Killerzellen (Abb. 1). Die Bindung an diese Rezeptoren führt über eine verstärkte antikörperabhängige zellvermittelte Zytotoxizität (antibody-dependent cell-mediated cytotoxicity, ADCC) zur Apoptose von Eosinophilen und Basophilen, wobei aber keine toxischen Mediatoren freigesetzt werden [1, 4]. Die Behandlung mit Benralizumab induziert innerhalb von 24 Stunden nach der ersten Dosis eine nahezu vollständige Depletion der Eosino-
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philen im Blut, die über die gesamte Behandlungsperiode aufrechterhalten wird, nach Absetzen des Antikörpers aber reversibel ist [5]. Die Depletion der Eosinophilen im Blut geht einher mit einer Reduktion der eosinophilen Granula-Proteine im Serum, des Eosinophilderived Neurotoxins (EDN) und des eosinophilen kationischen Proteins (ECP) sowie einer Reduktion der Basophilen im Blut [1]. Umfassendes Phase-IIIStudienprogramm bestätigt Wirksamkeit
Die klinische Wirksamkeit von Benralizumab wurde in 3 randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studien mit einer Dauer zwischen 28 und 56 Wochen bei Patienten im Alter von 12 – 75 Jahren untersucht. Dabei wurde der Antikörper in einer Dosis von 30 mg alle 4 Wochen für die ersten 3 Dosen und anschließend alle 4 oder 8 Wochen als Add-on zur Hintergrundtherapie verabreicht. Als Kontrolle diente jeweils eine Placebo-Gruppe. Die beiden zulassungsrelevanten Studien SIROCCO [4] und CALIMA [6] zeigen, dass vor allem Patienten mit schwerem, unzureichend kontrolliertem Asthma unter einer hochdosierten ICS/LABA© VERLAG PERFUSION GMBH
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Abbildung 1: Wirkweise von Benralizumab (Fasenra®) [1]. Einzelheiten siehe Text (Quelle: AstraZeneca).
Therapie, einer Eosinophilenzahl von ≥300 Zellen/μl und mindestens 2 Exazerbationen in den vorangegangenen 12 Monaten von einer Behandlung mit Benralizumab profitieren. Die Behandlungsdauer betrug 48 Wochen (SIROCCO) bzw. 56 Wochen (CALIMA). Primärer Endpunkt war die jährliche Rate klinisch signifikanter Asthma-Exazerbationen bei Patienten mit Eosinophilenzahlen von ≥300 Zellen/
μl im Vergleich zur Baseline unter der Behandlung mit hochdosierten ICS und LABA. In beiden Studien wurde der Endpunkt erreicht: Das zusätzlich zur Hintergrundtherapie verabreichte Benralizumab führte zu einer signifikanten Reduktion der jährlichen Exazerbationsrate im Vergleich zu Placebo: in der SIROCCO-Studie um 51 % (p < 0,001) und in der CALIMA-Studie um 28 % (p = 0,019) (Tab. 1).
Reduktion der oralen Kortikosteroiddosis unter der Add-on-Therapie
Die dritte zulassungsrelevante Phase-III-Studie ZONDA [7] untersuchte den Einfluss der Behandlung mit Benralizumab auf die zur Aufrechterhaltung der Asthmakontrolle benötigte orale Kortikosteroid(OCS)-Dosis bei Patienten mit schwerem, eosino-
SIROCCO [4] Eosinophilenzahl im Blut ≥300 Zellen/μl
CALIMA [6]
Benralizumab
Placebo
Benralizumab
Placebo
n = 267
n = 267
n = 239
n = 248
1,52
0,73
Klinisch signifikante Exazerbationen Anzahl
0,74
1,01
Differenz
–0,78
–0,29
Rate Ratio (95%-KI)
0,49 (0,37 – 0,64)
0,72 (0,54 – 0,95)
<0,001
0,019
p-Wert FEV1 vor Bronchodilatation (l)
Baseline-Mittelwert
1,660
1,654
1,758
1,815
Verbesserung gegenüber Baseline
0,398
0,239
0,330
0,215
Differenz (95 %-KI)
0,159 (0,068 – 0,249)
0,116 (0,028 – 0,204)
0,001
0,010
p-Wert
Tabelle 2. Ergebnisse der Studien SIROCCO [4] und CALIMA [6] zur jährlichen Exazerbationsrate und Lungenfunktion unter der Add-onTherapie mit Benralizumab (Fasenra®) bei Patienten mit schwerem, unzureichend kontrolliertem Asthma unter einer hochdosierten ICS/LABATherapie und einer Eosinophilenzahl von ≥300 Zellen/μl. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 3/2019 · 28. JAHRGANG
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philem Asthma. Primärer Endpunkt war die mediane prozentuale Reduktion der täglichen OCS-Dosis, die zur Aufrechterhaltung der Asthmakontrolle benötigt wurde. Unter Benralizumab konnte die tägliche mediane OCS-Dosis um 75 % und in der Placebo-Gruppe um 25 % reduziert werden. Mehr als die Hälfte (52 %) der infrage kommenden Patienten* unter Benralizumab, im Vergleich zu 19 % in der Placebo-Gruppe, konnten ihre OCS-Therapie Verlauf der 28-wöchigen Behandlung komplett absetzen. Im sekundären Endpunkt zeigte sich eine signifikante Reduktion der Exazerbationsrate im Vergleich zu Placebo (70 %, p < 0,001) [7]. Auch Langzeitergebnisse zur Sicherheit überzeugen
Benralizumab 30 mg s.c. alle 8 Wochen wies in den zulassungsrelevanten Phase-III-Studien SIROCCO [4], CALIMA [6] und ZONDA [7] ein gutes Verträglichkeitsprofil auf. Die Anzahl und die Art unerwünschter und schwerer unerwünschter Ereignisse waren ähnlich wie die in den PlaceboArmen. Die am häufigsten während der Behandlung berichteten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen (8 %) und Pharyngitis (3%) [1]. Die Ergebnisse zur Sicherheit wurden durch die PhaseIII-Studie BORA [5] bestätigt, in die Patienten eingeschlossen wurden, die ihre Behandlung in den Studien SIROCCO, CALIMA und ZONDA abgeschlossen hatten und diese weiter fortsetzten. Patienten, die zuvor Placebo erhalten * Nur Patienten mit einer optimierten OCSDosis zur Baseline von 12,5 mg oder weniger konnten während der Studie eine OCSDosisreduktion von 100 % erreichen.
hatten, wurden im Verhältnis 1 : 1 randomisiert und erhielten 30 mg Benralizumab s.c. alle 4 Wochen oder 30 mg Benralizumab s.c. alle 8 Wochen (die ersten 3 Dosen alle 4 Wochen) jeweils als Add-on zur bisherigen ICS/LABA-Erhaltungstherapie. Die Behandlungsdauer betrug 56 Wochen für erwachsene Patienten und 108 Wochen für jugendliche Patienten (12 – 17 Jahre). In der BORA-Studie wurde kein Zusammenhang zwischen der anhaltenden Eosinophilen-Depletion und potenziellen Nebenwirkungen festgestellt. Die Inzidenz des Auftretens unerwünschter Ereignisse, darunter opportunistische Infektionen und schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, war im ersten und zweiten Behandlungsjahr vergleichbar [5]. 74 % der Patienten mit einem Ausgangswert der Blut-Eosinophilenzahl von ≥300/μl blieben im zweiten Behandlungsjahr mit Benralizumab exazerbationsfrei. Auch die zuvor in den Zulassungsstudien SIROCCO und CALIMA beobachtete Verbesserung der Lungenfunktion konnte erhalten werden [5].
oralen Kortikosteroiden (OCS) deutlich reduziert und teilweise sogar komplett vermieden werden kann [7] – angesichts der möglichen schwerwiegenden OCS-Nebenwirkungen ein nicht unerheblicher Vorteil. Brigitte Söllner, Erlangen
Fazit
Die zur Add-on-Therapie mit Benralizumab durchgeführten klinischen Studien bestätigen konsistent, dass die Gabe des Antikörpers die Eosinophilen-Zahl im Blut sicher und wirksam senken und im Vergleich zu Placebo die AsthmaKontrolle verbessern kann. Dabei profitieren Patienten mit hohen Eosinophilen-Zahlen potenziell am meisten von einer Therapie mit Benralizumab. Ein positiver Nebeneffekt dieser Biologika-Therapie ist, dass die Verabreichung von
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Literatur 1 Fachinformation Fasenra®; Stand: März 2019 2 Menzella F et al. Ther Adv Respir Dis 2016;10:534-548 3 Kouro T, Takatsu K. Int Immunol 2009;21: 1303-1309 4 Bleecker ER et al. Lancet 2016;388:21152127 5 Busse WW et al. Lancet Respir Med 2019; 7:46-59 6 FitzGerald JM et al. Lancet 2016;388: 2128-2141 7 Nair P et al. N Engl J Med 2017;376:24482458
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Niere, Herz und Darm: Ein orales Eisen für alle
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lutungen bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, verminderte Erythrozytenbildung bei chronischer Niereninsuffizienz oder eine verminderte Eisenaufnahme bei Herzinsuffizienz – die Ursachen eines Eisenmangels stellen Ärzte unterschiedlicher Fachgruppen immer wieder vor die Herausforderung einer adäquaten Eisensubstitution. Denn häufig ist sie nur ein Kompromiss aus Verträglichkeit, Wirksamkeit und einem möglichst simplen Verabreichungsschema. Diese Lücke in der Eisensubstitution schließt Feraccru® (EisenIII-Maltol): Erstmals vereint ein Eisenpräparat die Vorteile einer oralen Therapie mit einer guten Verträglichkeit und Wirksamkeit [1, 2], ohne parenteral substituieren zu müssen [3, 4]. Dank der erweiterten allgemeinen Zulassung für erwachsene Patienten mit Eisenmangel können jetzt Patienten unabhängig von ihrer Grunderkrankung von dieser Therapieoption profitieren. Darmblutungen erfordern gut verträgliches Eisenpräparat
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind für Patienten schon allein aufgrund der gastrointestinalen Symptome wie Bauchschmerzen, blutschleimige Durchfälle, Übelkeit und Erbrechen eine große Belastung. Blutungen im Darm und eine verminderte
Nährstoffaufnahme können dann außerdem noch einen Eisenmangel hervorrufen. Um den Darm nicht noch zusätzlich mit den für herkömmliche orale Eisenpräparate typischen gastrointestinalen Nebenwirkungen zu belasten, ist die Behandlung mit einem effektiven und vor allem gut verträglichen Eisenpräparat angezeigt. Diesen Bedarf deckt das oral einzunehmende Feraccru®: Dank seines neuartigen Wirkmechanismus, basierend auf einem stabilen EisenIII-Maltol-Komplex, ist es ausnehmend nebenwirkungsarm und gut verträglich [1, 2]. So konnte in einer Studie mit CED-Patienten, die zuvor eine Eisensubstitution wegen Unverträglichkeiten abgebrochen hatten, unter Eisen-III-Maltol ein schneller und signifikanter Anstieg der Hämoglobinkonzentration um 2,25 g/dl nach 12 Wochen gezeigt werden [1]. Der renalen Anämie mit Eisen entgegenwirken
Patienten, die an einer chronischen Niereninsuffizienz (Chronic Kidney Disease, CKD) leiden, weisen häufig einen Eisenmangel auf, da durch die gestörte Nierenfunktion die Bildung von Erythropoetin eingeschränkt ist. In diesem Fall können im Knochenmark nicht ausreichend rote Blutkörperchen gebildet werden, um den Körper mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Durch die Dialyse und eine verringerte Aufnahme von Eisen
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durch die Nahrung wird der Eisenmangel noch verstärkt. Eine effektive Eisensubstitution, wie etwa mit Eisen-III-Maltol, kann deshalb entscheidend dazu beitragen, die Folgen der renalen Anämie zu verringern. Ein simples orales Verabreichungsschema wird dabei in der Regel besonders von Dialysepatienten bevorzugt. Eine multizentrische, doppelblinde, randomisierte Studie untersucht derzeit die Veränderung des Hämoglobin(Hb)-Wertes unter Eisen-III-Maltol bei Patienten mit CKD des Grades 3 und 4, die an Eisenmangelanämie leiden. Eine Zwischenauswertung zeigt einen signifikanten, klinisch relevanten Anstieg der Hb-Konzentration und damit eine klare Überlegenheit von Feraccru® gegenüber Placebo bei anhaltend guter Verträglichkeit [5]. Herzinsuffizienz: Bei Eisenmangel droht schlechte Prognose
Doch auch bei kardiologischen Grunderkrankungen ist es wichtig, den Eisenhaushalt im Auge zu behalten. So ist Eisenmangel eine häufige Begleiterkrankung bei chronischer Herzinsuffizienz: Rund 40 % der Patienten mit dieser Herzschwäche weisen einen Eisenmangel auf [6]. Dabei ist ein Defizit des Spurenelements mit einer schlechteren Prognose assoziiert – und das bereits bei präanämischem Eisenmangel [7, 8]. Eisen ist für den Transport von Sauerstoff im Blut essenziell. Liegt ein
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Eisenmangel vor, muss das Herz mehr Arbeit leisten, um den Körper mit Sauerstoff zu versorgen – eine enorme Belastung für das bereits geschwächte Organ. Gleichzeitig wirkt sich der Eisen- und damit der Sauerstoffmangel auch negativ auf den Herzmuskel selbst aus. Doch nicht nur die Prognose verschlechtert sich, auch die Belastbarkeit ist stark eingeschränkt und damit die Lebensqualität. Daher sollte bei Herzinsuffizienz-Patienten der Eisenstatus immer überprüft werden. Wird der Eisenmangel rechtzeitig erkannt und eine entsprechende Therapie eingeleitet, kann eine Anämie noch verhindert werden. Ansonsten drohen vermehrte Hospitalisierungen und ein erhöhtes Sterberisiko. Elisabeth Wilhelmi, München
Literatur 1 Gasche C et al. Inflamm Bowel Dis 2015;21:579-588 2 Schmidt C et al. Aliment Pharmacol Ther 2016;44:259-270 3 Santiago P et al. Scientific World Journal 2012;846824 4 Makker J et al. Case Rep Gastroenterol 2015;9:7-14 5 Kopyt N et al. J Am Soc Nephrol 29; 2018:72-73 6 von Haehling S et al. Clin Res Cardiol 2017;106:436-443 7 Ponikowski P et al. Eur J Heart Fail 2016; 18:891-975 8 Anker SD et al. N Engl J Med 2009; 361:2436-2448
Teriflunomid bei MS: Evidenz aus dem Alltag unterstützt Therapieentscheidungen Real-World-Daten spiegeln die Evidenz im Alltag von neurologischen Facharztpraxen und Kliniken wider: „Die aktuellen RealWorld-Daten zur MS-Therapie mit Teriflunomid bestätigen das positive Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil aus den Zulassungs- und Langzeit-Studien und geben keine Hinweise für unerwartete Nebenwirkungen“, so das Fazit von Professor Luisa Klotz, Münster, auf einer Pressekonferenz von Sanofi Genzyme in Köln. Real-World-Datenerhebungen können einen wichtigen Beitrag leisten, um Therapieentscheidungen im Praxisalltag zu unterstützen, da sie im Gegensatz zu Zulassungsstudien klinisch relevante Informationen beispielsweise zum Langzeittherapieerfolg oder zu seltenen Nebenwirkungen liefern. Randomisierte, kontrollierte Studien (RCTs) sind nach wie vor der Goldstandard, insbesondere für Zulassungen, wie Klotz schilderte: „Denn nur im experimentellen Setting können die Wirksamkeit und Sicherheit einer möglichen Behandlungsoption anhand von vorselektierten Patientengruppen im Placebo-Vergleich unter randomisierten, verblindeten und kontrollierten Bedingungen herausgefiltert werden.“ Evidenz aus dem Alltag gewinnt an Bedeutung
Reale Evidenzstudien beispielsweise mit Registerdaten gewin-
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nen durch die Beantwortung von alltagsrelevanten Fragestellungen, die RCTs nicht abdecken, immer mehr an Bedeutung, so Klotz. Real-World-Daten liefern klinisch relevante Informationen nicht nur zum Thema Nebenwirkungen, sondern auch zur Mediationseffizienz, zur (verbleibenden) Krankheitsaktivität und zu den Gründen für einen Wechsel der Medikation. Das kann nur anhand der realen Versorgungssituation und mit größeren und heterogeneren Patientengruppen analysiert werden. Real-World-Daten zu Therapiewechseln
Dies verdeutlichte Klotz unter anderem am Beispiel der Untersuchungen von Sacca et al. (2018), die bei 3.025 MS-Patienten an 24 verschiedenen Standorten in Italien die prognostischen Faktoren für einen Therapiewechsel von der Ersttherapie analysierten. Innerhalb von 3 Jahren vollzog knapp die Hälfte der Patienten mindestens einen Medikamentenwechsel, etwa gleich häufig aus Gründen der Ineffizienz oder aufgrund von Nebenwirkungen. Dabei wurden substanzspezifische und applikationsspezifische Unterschiede verzeichnet: „Ein Therapiewechsel vollzog sich beispielsweise öfter unter Injektionstherapie als unter oraler Anwendung“, berichtete Klotz. Klinische Studienergebnisse zu Teriflunomid
Zum oralen Teriflunomid (Aubagio®) liegen laut Dr. Stefan Ries, Erbach, konsistente Wirksamkeitsund Sicherheitsdaten aus den Zulassungsstudien TEMSO und © VERLAG PERFUSION GMBH
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TOWER vor, in denen jeweils eine signifikante Reduktion der Behinderungsprogression im Vergleich zu Placebo gezeigt wurde. Eine Post-hoc-Analyse der gepoolten Daten aus TEMSO und TOWER ergab darüber hinaus eine signifikante Reduktion der jährlichen Rate an Schüben mit Residuen um 53 % im Vergleich zu Placebo*. Hinsichtlich der Verhinderung eines Schubes ist die NNT (Number Needed to Treat) von Teriflunomid vergleichbar mit der von Dimethylfumarat (DMF) (Teriflunomid in TOWER und TEMSO: 5,6 und 5,9; Dimethylfumarat in DEFINE und CONFIRM: 5,3 und 5,6). Aktuelle Langzeitdaten der gepoolten Daten der Zulassungsstudien und einer Phase-II-Extensionsstudie belegen außerdem die Langzeitwirksamkeit und -sicherheit des Immunmodulators mit einer niedrigen jährlichen Schubrate und einem stabilen EDSS (Expanded Disability Status Scale) über 12 Jahre. Real-World-Daten zu Teriflunomid versus Dimethylfumarat
In einer prospektiven, multizentrischen, Industrie-unabhängigen Beobachtungsstudie aus Italien wurde der Frage nachgegangen, wie viele Patienten unter realen Bedingungen mit Teriflunomid oder Dimethylfumarat den NEDA (No Evidence of Disease Activity)-Status erreichten. In dieser Analyse wurden 468 Patienten mit schubförmig-remittierender Multipler Skle* In den Zulassungsstudien TEMSO und TOWER betrug die Schubratenreduktion als primärer Endpunkt 31,5 % bzw. 36,3 %. Unterschiedliche Werte zwischen Zulassungsstudien und Post-hoc-Analyse der gepoolten Daten beider Zulassungsstudien aufgrund unterschiedlicher Fragestellungen und statistischer Voraussetzung.
rose (RRMS) zu Therapiebeginn mit Dimethylfumarat oder Teri flunomid entsprechend den Zulassungen in die Studie eingeschlossen und über 12 Monate hinweg verfolgt. In diesem Real-WorldSetting zeigte sich ebenfalls, dass Teriflunomid und Dimethylfumarat vergleichbar hinsichtlich der Wirksamkeit waren, jedoch mit signifikant besserer Verträglichkeit unter Teriflunomid: Mit Dimethylfumarat behandelte Patienten berichteten mit einem Anteil von 26,5 % signifikant häufiger von unerwünschten Nebenwirkungen als diejenigen unter Teriflunomid (12,0 %). Aus der Sicht von Ries ist dieses Ergebnis äußerst praxisrelevant, da das Auftreten von Nebenwirkungen ein häufiger Grund für einen Therapiewechsel darstellen kann. Bestätigung im klinischen Alltag in Deutschland
Dr. Thorsten Rosenkranz, Hamburg, präsentierte eine aktuelle Auswertung der TAURUS-MSI-Studie zum Einsatz von Teriflu nomid im klinischen Alltag in Deutschland. Dabei handelt es sich um eine zweijährige nicht interventionelle prospektive Beobachtungsstudie mit 1.128 RRMSPatienten, die auf Teriflunomid eingestellt wurden. Die Datenerhebungen erfolgten im Rahmen der klinischen Routine zu Studienbeginn (ca. 4 Wochen nach Einstellung), an den Monaten 3 und 6 sowie danach halbjährlich bis Monat 24. „Etwa 3 Viertel der eingestellten Patienten waren vorbehandelt, hauptsächlich mit InjektionsTherapien, und wechselten unter anderem aufgrund von Spritzenmüdigkeit oder grippeähnlichen
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Nebenwirkungen auf eine orale Gabe“, berichtete Rosenkranz. Über 24 Monate hinweg ging die Behandlung mit Teriflunomid mit signifikant reduzierten Schubraten, stabilen FSS-Werten (Fatique Severity Scale) und einer gesteigerten Patientenzufriedenheit im Vergleich zur Baseline einher. Die Patientenzufriedenheit wurde gemessen am TSQM (Treatment Satisfaction Questionnaire for Medication). Nach den Auswertungen von Rosenkranz wurde Teriflunomid im Allgemeinen gut vertragen, das Nebenwirkungsprofil entsprach dem der klinischen Studien. Als häufigste Nebenwirkungen traten eine Erhöhung des ALT-Wertes, Kopfschmerzen, Diarrhöen, Übelkeit und eine meist reversibel verminderte Haardichte** auf. „Das Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil von Teriflunomid aus den Zulassungsstudien findet sich auch hier im klinischen Alltag wieder: Wobei die gesteigerte Patientenzufriedenheit ein Resultat der einfachen Anwendung und der guten Verträglichkeit bei anhaltender Wirksamkeit sein kann“, schlussfolgerte Rosenkranz. Fabian Sandner, Nürnberg
** 87,1 % der Fälle unter Teriflunomid 14 mg bildeten sich zurück. Bei 1,3 % kam es zu einem Behandlungsabbruch.
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Metastasiertes Prostatakarzinom:
Alle lebensverlängernden Therapien einsetzen! Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) sollten im Krankheitsverlauf alle verfügbaren lebensverlängernden Therapien erhalten, so das Resümee der Experten anlässlich der „11. Expertise Prostata – neue Perspektiven ab 2019“ in Berlin. Für den klinischen Alltag bedeute das, in Therapiesequenzen zu denken und diese so zu wählen, dass die Patienten im weiteren Therapieverlauf sowohl Docetaxel als auch Cabazitaxel (Jevtana®) erhalten können. Dank der Erweiterung an Substanzen und Therapiesequenzen konnte die mediane Überlebenszeit von Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom seit den 1990er Jahren vervierfacht werden, berichtete Professor Gero Kramer, Wien. Heute überleben diese Patienten deutlich länger als 4 Jahre. Diese Chance gelte es zu nutzen und alle verfügbaren lebensverlängernden Therapien, inklusive Chemotherapie, einzusetzen. Resistenzmechanismen bei der Therapieplanung berücksichtigen
Neben patienten- und tumorbezogenen Kriterien müssen bei der Therapieentscheidung Resistenzmechanismen unter endokriner Therapie beachtet werden. Laut Kramer ist etwa ein Viertel der Patienten primär resistent gegenüber einer gegen den Androgenrezeptor gerichteten Substanz (ARTA). Zudem bestehen zwischen den beiden ARTAs (Abirateron und Enzalutamid) Kreuzresistenzen. Bei Versagen einer ARTA sollte auf die Chemotherapie gewechselt
werden, da die Patienten auf eine zweite ARTA in der Regel nicht oder nur sehr kurz ansprechen (<3 Monate im Median). Um eine Resistenz frühzeitig zu erkennen, empfiehlt Kramer eine regelmäßige Bildgebung. Die alleinige PSAWert-Kontrolle reicht gerade unter einer ARTA nicht aus, da es trotz PSA-Ansprechens bzw. stabilen PSA-Werts zu einem sog. „stillen radiologischen Progress“ kommen kann. „Ein nur kurzes Ansprechen (<12 Monate) auf die primäre ADT ist derzeit der wichtigste Hinweis auf eine primäre ARTA-Resistenz“, ergänzte Professor Axel Merseburger, Kiel. Diese Patienten sollten daher im mCRPC-Stadium mit Docetaxel, gefolgt von Cabazitaxel, weiterbehandelt werden. Therapiesequenzen intelligent planen
Für Patienten mit metastasiertem hormonnaivem Prostatakarzinom (mHNPC) hat sich die Kombinationstherapie aus Androgendeprivationstherapie (ADT) plus Docetaxel/Prednison oder plus Abirateron/Prednison als Standard etabliert. „Beide Kombinationen haben die mediane Überlebenszeit gegenüber der alleinigen ADT deutlich verlängert und gelten als gleichwertig“, erläuterte Professor Gunhild von Amsberg, Hamburg. Die Kombination ADT/Docetaxel hat den Vorteil, dass die Therapie dauer deutlich kürzer ist (4,5 vs. 33 Monate). Der Prozentsatz an Nebenwirkungen vom Grad 3 oder 4 ist unter ADT/Docetaxel nicht höher als unter ADT/Abirateron. Klassische Kriterien, die im mCRPC-Stadium für den Einsatz der Chemotherapie sprechen, sind – unabhängig von Resistenzmechanismen – tumorbedingte
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Beschwerden und/oder viszerale Metastasen sowie generell eine aggressive Tumorbiologie. Ausdruck dessen können eine kurze PSAVerdopplungszeit (<55 Tage), ein hoher Gleason-Score oder ein hoher LDH- bzw. ALP-Wert sein. Nach Docetaxel-Versagen ist Cabazitaxel eine wichtige Folgetherapie. Retrospektive Analysen haben für die Therapiesequenz Docetaxel gefolgt von Cabazitaxel einen kumulativen Überlebensvorteil gegenüber dem zwischenzeitlichen Wechsel auf eine AR-gerichtete Substanz gezeigt. Daten aus dem klinischen Alltag belegen, dass die Lebensqualität unter Cabazitaxel in der Regel erhalten bleibt oder sich sogar bessert. In der CAPRISTANA-Studie war dies bei einem Drittel der Patienten der Fall. Cabazitaxel wird nach von den Patienten oft besser vertragen als Docetaxel. In der randomisierten Phase-III-Studie CABADOC induzierte Cabazitaxel insbesondere weniger Fatigue, Alopezie, Schmerzen, Diarrhö und Nagelveränderungen als Docetaxel, weshalb die Patienten Cabazitaxel sogar gegenüber Docetaxel favorisierten (43 % vs. 27 %). Auch ältere Patienten profitieren von der Chemotherapie
Cabazitaxel ist auch für fitte ältere Patienten mit mCRPC eine wichtige Therapieoption, wie Professor David Pfister, Köln, ausführte. Gerade die frühzeitig eingesetzte Taxan-basierte Chemotherapie wird meist gut vertragen, da der Allgemeinzustand der Patienten in der Regel gut ist und sie weniger durch Vortherapien belastet sind. Das gilt auch für ältere Patienten und muss bei der Therapiesequenz bedacht werden. Fabian Sandner, Nürnberg © VERLAG PERFUSION GMBH
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Therapie der ADPKD mit Tolvaptan lässt sich meist problemlos in den Alltag integrieren Die nephrologische Abteilung des Westpfalz-Klinikums in Kaiserslautern ist eine wichtige Anlaufstelle für Patienten mit autosomal-dominanter polyzystischer Nierenerkrankung (ADPKD). Diese chronische, fortschreitende, stark die Lebensqualität beeinträchtigende Erbkrankheit ist die vierthäufigste Ursache für Nierenversagen. Erst seit knapp 4 Jahren steht in Europa eine spezifische Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung, die die Krankheitsprogression verlangsamen kann: Der Vasopressin-V2-Rezeptor-Antagonist Tolvaptan (Jinarc®) reduziert das Nierenwachstum und verzögert die Abnahme der Nierenfunktion. Im Rahmen des von Otsuka Pharma GmbH unterstützten NephroInsight Klinik-Workshops am Westpfalz-Klinikum stellte Dr. Thomas Rath neue Studienerkenntnisse zu Tolvaptan vor und berichtete über die praktischen Erfahrungen mit dem Präparat. Wie man das Leben mit Zystennieren meistern und die Tolvaptan-Therapie in den Alltag integrieren kann, diskutierte er mit einer ADPKD-Patientin. Verzögerung der Krankheitsprogression auch im Langzeitverlauf
„Frühere Therapiekonzepte bei ADPKD konnten keinen längerfristigen Benefit erzielen. Erst Tolvaptan (Jinarc®) hat uns die Möglichkeit gegeben, frühzeitig in das Krankheitsgeschehen einzugreifen und das Fortschreiten zu verlangsamen“, berichtete Rath. Tolvaptan reduziert das Nierenvo-
lumenwachstum jährlich um 49 % und den jährlichen Nierenfunktionsverlust um 32 %, wie die zulassungsrelevante Studie TEMPO 3/4 bei ADPKD-Patienten mit Niereninsuffizienzstadium (CKD) 1–3 gezeigt hat. Dass sich diese Erfolge auch bei höheren CKD-Stadien (2–4) sowie bei Patienten im Alter bis zu 55 Jahren erzielen lassen, konnte in der Phase-IIIb-Studie REPRISE nachgewiesen werden. Ergänzend bestätigte nun die Studie der Mayo-Klinik, dass auch bei der Langzeit-Anwendung der verlangsamende Effekt von Tolvaptan auf den Nierenfunktionsverlust bestehen bleibt. In diese Studie waren Patienten mit teilweise über 11 Jahre Tolvaptan-Behandlung eingeschlossen. „Ein weiterer, nicht zu unterschätzender und vor allem spürbarer Vorteil für die Patienten ist, dass Tolvaptan die Nierenschmerzen deutlich reduziert“, ergänzte Rath. Für Tolvaptan geeignete Patienten identifizieren
Laut Zulassung ist Tolvaptan indiziert bei erwachsenen ADPKDPatienten mit CKD-Stadium 1–4 zu Behandlungsbeginn mit Anzeichen einer raschen Krankheitsprogression. „Um die für Tolvaptan geeigneten Patienten zu identifizieren, muss daher deren Progressionsrisiko abgeschätzt werden“, erklärte Rath. Als wichtiger Prädiktor wurde das Gesamtnierenvolumen in Bezug auf die Körpergröße identifiziert. Auf dieser Erkenntnis aufbauend wurde die Mayo-Klassifizierung erarbeitet. „Die Klassen 1C – 1E deuten auf eine hohe Progressionsgeschwindigkeit hin und können damit für eine Entscheidung zur Tolvaptan-Therapie herangezogen werden“, erläuterte Rath. Auch eine
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in jungen Jahren aufgetretene Hypertonie, eine frühe Abnahme der Nierenfunktion sowie der genetische Nachweis einer PKD1-Mutation sind weitere Hinweise auf eine rasche Progression. Individuelles Beratungsgespräch hilft, die Therapie in den Alltag zu integrieren
Die Entscheidung für die Tolvaptan-Therapie wird immer gemeinsam mit dem Patienten gefällt, so Rath weiter. Zunächst muss der Patient über die durch den Wirkmechanismus von Tolvaptan bedingte Steigerung der Aquarese informiert werden. „Der Patient kann nur selbst beurteilen, ob er häufige Toilettengänge und eine höhere Trinkmenge in seinen (Arbeits-)Alltag integrieren kann. Erfahrungsgemäß ist das aber in den meisten Fällen gut möglich.“ Dies bestätigte auch eine Patientin, die seit ca. 3,5 Jahren mit Tolvaptan behandelt wird. Sie berichtete, dass die Angst vieler Patienten, eine große Trinkmenge zu bewältigen, ganz unbegründet sei, denn man habe ausreichend Durst. Sie hat sich schnell an den Umgang mit der Tolvaptan-Therapie gewöhnt und in Bezug auf Zugang zu Trinkwasser und Toiletten gelernt, den Tagesablauf – auch auf Reisen – vorausschauend zu planen. Den Satz eines Schweizer Nephrologen „Organisiere nicht dein Leben um Tolvaptan, sondern Tolvaptan um dein Leben!“ sollte man dennoch nicht aus den Augen verlieren. TEMPO 3/4 ergab ein gutes Sicherheitsprofil für Tolvaptan: Das Auftreten unerwünschter Ereignisse war unter Tolvaptan vergleichbar mit Placebo. Dennoch muss der Patient über mögliche Leberwerterhöhungen aufgeklärt werden, die
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in TEMPO 3/4 beobachtet wurden, aber nach Absetzen bzw. Unterbrechung der Therapie reversibel waren. Daher ist in den ersten 18 Behandlungsmonaten monatlich, danach alle 3 Monate eine Leberwertkontrolle notwendig. „Diese Termine, bei denen zudem die Nierenfunktion überprüft wird, sind wichtig, auch wenn das Einhalten manchmal lästig erscheint. Aber um ein neues Tolvaptan-Rezept zu bekommen, muss ich sowieso zum Arzt“, ergänzte die Patientin. ADPKD verursacht viele körperliche und psychische Probleme
„Das Management der APDKD umfasst viele Bereiche“, betonte Rath. Denn ADPKD-Patienten sind – neben der chronisch voranschreitenden Verschlechterung der Nierenfunktion – immer wieder von akuten Beschwerden wie Zysteninfektionen, Hämaturie oder Harnwegsinfekten betroffen. Zusätzlich können extrarenale Manifestationen der ADPKD wie Leber- und Pankreaszysten oder Aneurysmen Probleme bereiten. Beachtet werden muss auch die hohe psychische Belastung bei den Betroffenen, meist verursacht durch die Angst vor der Dialyse, Probleme im Alltag sowie die Befürchtung, die ADPKD zu vererben. Zustimmend berichtete die Patienten, dass diese Ängste ihr Leben erheblich beeinflusst hätten: unter anderem bei der Berufswahl und der Familienplanung. „Die ADPKD betrifft nicht nur den Patienten selbst, sondern sie tangiert alle Familienmitglieder in irgendeiner Form. Das sollte man nicht vergessen“, so Rath abschließend. Fabian Sandner, Nürnberg
Aggressives Non-HodgkinB-Zell-Lymphom: CHMP empfiehlt Vollzulassung von Pixantron Das aggressive Non-Hodgkin-BZell-Lymphom (B-NHL) ist eine schwere Erkrankung, deren Behandlungsmöglichkeiten nach intensiver Vortherapie sehr begrenzt sind. Angesichts des Fehlens eines Therapiestandards und der schlechten Prognose der betroffenen Patienten erteilte die Europäische Arzneimittelagentur EMA im Jahr 2012 eine bedingte Zulassung (conditional approval) für Pixantron (Pixuvri®) als Monotherapie für die Behandlung erwachsener Patienten mit mehrfach rezidiviertem oder therapierefraktärem B-NHL. Für diese Patientenpopulation ist Pixantron seitdem eine Behandlungsoption in späteren Therapielinien. Am 15. April 2019 hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) der EMA eine positive Bewertung für Pixantron abgegeben und empfohlen, die bedingte Zulassung mit Auflagen in eine Vollzulassung umzuwandeln. Die Stellungnahme des CHMP wird an die Europäi-
sche Kommission weitergeleitet, die dann die Entscheidung über die Annahme der Empfehlung trifft. Auch neue Studie bestätigt klinischen Nutzen
Die positive Bewertung des CHMP basiert auf Daten des internationalen klinischen Entwicklungsprogramms von Pixantron. Die Zulassungsstudie PIX301 war eine offene, randomisierte PhaseIII-Studie, bei der Pixantron als Monotherapie mit einer Therapie nach Wahl des Prüfarztes verglichen wurde. Untersucht wurden dabei 140 Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem aggressivem B-NHL, von denen 50 % zuvor mit Rituximab behandelt worden waren. Es konnte gezeigt werden, dass Pixantron von Nutzen war: Die Ansprechrate der Patienten, die Pixantron erhielten, betrug 20 % im Vergleich zu 5,7 % bei den Patienten, die mit anderen Substanzen behandelt wurden (p = 0,021). Um die Auflagen der bedingten Zulassung zu erfüllen, wurde mit PIX306 eine weitere klinische Phase-III-Studie durchgeführt, die zusätzliche Daten zur Bestätigung der therapeutischen Wirksamkeit von Pixantron bei Patienten lieferte, die zuvor mit Rituximab behandelt wurden. Obwohl in die-
Pixantron Pixantron (Pixuvri®) ist ein zytotoxisches Aza-Anthracendion, das in den Wachstumszyklus von Zellen eingreift, die sich in einer aktiven Replikationsphase befinden. Dabei alkyliert Pixantron direkt DNA und bildet stabile DNA-Addukte und Doppelstrangbrüche. Im Gegensatz zu den Anthrazyklinen wirkt Pixantron nur minimal kardiotoxisch. In der EU ist Pixantron zugelassen als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit mehrfach rezidivierten oder therapierefraktären aggressiven Non-Hodgkin-B-Zell-Lymphomen.
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ser pivotalen Studie Pixantron gegenüber der Vergleichsmedikation nicht überlegen war, sind die dort erhobenen Daten bei Patienten mit 2 und mehr vorhergehenden Therapielinien bezüglich Gesamtüberleben und progressionsfreiem Überleben durchaus mit den Daten aus der PIX301-Studie vergleichbar. Die häufigsten Nebenwirkungen von Pixantron waren Neutropenie, Leukopenie, Lymphopenie, Anämie, Thrombozytopenie, Übelkeit, Erbrechen, Hautverfärbung, Alopezie, Chromaturie und Asthenie. S. M.
Schubförmig-remittierende Multiple Sklerose:
Real-World-Daten bestätigen die nachhaltige Wirksamkeit von Alemtuzumab Wie eine aktuelle Interimsanalyse der TREAT-MS-Studie ergab, zeigt Alemtuzumab (Lemtrada®) auch im klinischen Alltag eine nachhaltige Wirksamkeit und führt bei Patienten mit aktiver schubförmig-remittierender Multipler Sklerose (RRMS) langfristig zu einer anhaltend niedrigen Schubrate und insgesamt zu einer langfristigen Krankheitsstabilisierung. Die Daten belegen außerdem die Sicherheit des monoklonalen Antikörpers – auch unter den Real-World-Bedingungen waren bis zum Zeitpunkt der Auswertung keine neuen oder unerwarteten Sicherheitssignale zu beobachten. Behandlung unter Alltagsbedingungen
Bei TREAT-MS handelt es sich um eine nicht interventionelle
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Alemtuzumab Alemtuzumab (Lemtrada®) ist ein monoklonaler Antikörper, der selektiv an CD52 bindet, ein Protein, das auf T- und B-Zellen in großer Menge vorkommt. Die Behandlung mit Alemtuzumab führt zu einer Depletion zirkulierender T- und B-Zellen, von denen man annimmt, dass sie für den schädigenden Entzündungsprozess bei MS verantwortlich sind. Alemtuzumab hat nur minimale Auswirkungen auf andere Immunzellen. Auf die akute antiinflammatorische Wirkung von Alemtuzumab folgt sofort eine in charakteristischem Muster ablaufende, anhaltende T- und B-Zell-Repopulation. Auf diese Weise kommt es zu einer Reorganisation im Immunsystem, wodurch die MS-Krankheitsaktivität reduziert werden kann. Alemtuzumab ist in der Europäischen Union indiziert für die Behandlung von Erwachsenen mit schubförmig-remittierender MS mit aktiver Erkrankung, definiert durch klinischen Befund oder Bildgebung.
longitudinale Beobachtungsstudie bei Patienten mit RRMS, die mit Alemtuzumab (Lemtrada®) unter Alltagsbedingungen behandelt werden. Entsprechend der Zulassung des Wirkstoffs erhalten sie meistens 2 Behandlungsphasen im Abstand von einem Jahr. In der ersten Behandlungsphase wird Alemtuzumab an 5 aufeinanderfolgenden Tagen als Infusion verabreicht, ein Jahr später, in der zweiten Behandlungsphase, bekommen die Patienten eine Therapie mit 3 Infusionen an aufeinanderfolgenden Tagen. In der Zwischenzeit erfolgt in der Regel keine MS-spezifische Therapie. Die Studie, für die weiterhin Patienten rekrutiert werden, ist auf eine Dauer von 5 Jahren angelegt und es sollen die Behandlungsergebnisse von 1.600 Patienten erfasst und ausgewertet werden. Niedrige Schubrate, anhaltende Krankheitsstabilisierung
In einer ersten Interimsanalyse wurden die Daten von 702 Patienten ausgewertet, die die erste Behandlungsphase abgeschlossen
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haben, und von 454 Patienten, die bereits auch die zweite Behandlungsphase beendet haben. Die Patienten weisen eine mittlere Erkrankungsdauer von 8,1 Jahren auf. 21,3 % der Patienten erhielten vorher eine Therapie mit Fingolimod und ebenfalls 21,3 % eine vorherige Therapie mit Natalizumab. Der Anteil der First-LinePatienten liegt bei 19 %. Die klinische Wirksamkeit von Alemtuzumab wird in der TREATMS-Studie bestätigt: Die Patienten hatten in den 12 Monaten vor der Alemtuzumab-Behandlung durchschnittlich 1,6 Schübe. In der durchschnittlichen Beobachtungszeit von 1,7 Jahren nach Beginn der Alemtuzumab-Therapie lag die jährliche Schubrate bei 0,23. 87,4 % der Patienten waren zwischen den beiden Behandlungsphasen schubfrei und 84,7 % waren auch darüber hinaus über einen durchschnittlichen Nachbeobachtungszeitraum von 1,1 Jahren schubfrei. Der EDSS sowie der gesamt-klinische Eindruck (CGIS, Clinical Global Impression-Severity Scale Score) der Patienten blieben über den ganzen Beobachtungszeitraum stabil.
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Konsistentes Sicherheitsprofil
Die TREAT-MS-Studie liefert keine Hinweise auf neue Sicherheitssignale. Das Sicherheitsprofil von Alemtuzumab entsprach den Studiendaten über nunmehr 8 Jahre. Diese dokumentieren ein konsistentes Sicherheitsprofil, wobei das Auftreten von Nebenwirkungen über die Zeit abnahm. Die häufigsten Nebenwirkungen unter Alemtuzumab sind infusionsbedingte Reaktionen (wie Ausschlag, Kopfschmerzen und Fieber) sowie Infektionen von leichtem bis mittlerem Schweregrad. Außerdem können sekundäre Autoimmunereignisse wie Schilddrüsenerkrankungen, eine idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP) und Nephropathien auftreten. Nach der Zulassung von Alemtuzumab wurden Autoimmunereignisse im Allgemeinen seltener berichtet, als durch die klinischen Studien erwartet wurde. S. M.
EGFR+ metastasiertes NSCLC: Dacomitinib erhält EU-Zulassung zur Erstlinienbehandlung In Europa liegt bei etwa 15 % der Fälle eines nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) eine Mutation des Epidermal Growth Factor Receptor (EGFR)-Gens zugrunde. Patienten mit einer solchen Mutation kommen für eine Therapie mit EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitoren infrage. Dacomitinib ist ein solcher Wirkstoff der zweiten Generation und wurde nun in der Europäischen Union zur Erstlinienbehandlung erwachsener Patienten mit lokal fortgeschrittenem
oder metastasiertem NSCLC und aktivierenden EGFR-Mutationen zugelassen. Unter dem Markennamen Vizimpro® ist Dacomitinib seit dem 2. Mai 2019 in Deutschland verfügbar. Signifikante Überlegenheit gegenüber Gefitinib
Grundlage für die EU-Zulassung von Dacomitinib ist die PhaseIII-Studie ARCHER 1050, in die 452 Patienten mit nicht resezierbarem, metastasiertem oder rezidivierendem NSCLC mit EGFRGenalterationen eingeschlossen wurden. Sie erhielten randomisiert entweder 45 mg Dacomitinib oder 250 mg Gefitinib pro Tag. Dacomitinib verlängerte das mediane progressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt), gegenüber Gefitinib signifikant um 5,5 Monate (14,7 versus 9,2 Monate, HR: 0,59, 95%-KI: 0,47 – 0,74; p < 0,0001). Eine weitere Auswertung nach im Median 31,3 Monaten Follow-up belegte, dass Dacomitinib auch das Gesamtüberleben verlängerte: So überlebten die mit Dacomitinib behandelten Patienten im Median 7,3 Monate länger und insgesamt im Median fast 3 Jahre (34,1 versus 26,8 Monate; HR: 0,760, 95%KI: 0,582 – 0,993, p = 0,0438). Die häufigsten Nebenwirkungen bei Patienten, die Dacomitinib erhielten, waren gastrointestinale und dermatologische Störungen, z.B. Diarrhö (88,6 %), Ausschlag (79,2 %), Stomatitis (71,8 %), Nagelerkrankung (65,5 %), trockene Haut (33,3 %), verminderter Appetit (31,8 %), erniedrigtes Gewicht (24,3 %), Alopezie (23,1 %), Pruritus (22,4 %), erhöhte Transaminasen (22,0 %) und Übelkeit (20,4 %). Das flexible Therapiemanagement umfasst mögliche Unterbrechun-
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gen und Dosisanpassungen nach der zugelassenen Startdosis von 45 mg/d auf 30 mg/d oder 15 mg/d und ist in der Fachinformation beschrieben. In der zulassungsrelevanten Studie ARCHER 1050 wirkte sich diese Adaption nicht auf die Wirksamkeit hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens oder des Gesamtüberlebens aus. F. S. Mukoviszidose-Forschung im Fokus:
Neue Förderausschreibung des Mukoviszidose e.V. Die Lebensqualität und/oder Lebenserwartung von Menschen mit Mukoviszidose (zystischer Fibrose, CF) zu verbessern, ist ein zentrales Anliegen der Forschungsförderung des Mukoviszidose e.V. Daher schreibt der Verein auch in diesem Jahr wieder Fördergelder für Forschungsprojekte und klinische Studien aus, die einen Nutzen für CF-Patienten erwarten lassen. Bis zum 15. Juli 2019 können Wissenschaftler ihre Anträge in den Bereichen Projektförderung und Nachwuchsförderung einreichen. Insgesamt stehen hierfür 500.000 Euro zur Verfügung. Projektförderung
Mit dem Modul „Projektförderung“ werden CF-relevante Forschungsprojekte gefördert, die eine klinische Anwendung bei CF-Patienten und/oder die Schaffung von neuem, krankheitsbezogenem Wissen erwarten lassen. Die Ausschreibung ist zwar themenoffen, eine reine Grundlagenforschung ohne klinische Anwendungsperspektive ist allerdings nicht möglich. Antragsberechtigt sind Forscher und © VERLAG PERFUSION GMBH
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Kliniker aus Arbeitsgruppen, die in Deutschland ansässig sind. Die Anträge können sich im Rahmen des insgesamt zur Verfügung gestellten Budgets bewegen. Alle Anträge werden in einem zweistufigen Evaluierungsverfahren begutachtet, das rund ein Jahr in Anspruch nimmt. Anhand des eingereichten Kurzantrags entscheidet der Vorstand der Forschungsgemeinschaft Mukoviszidose (FGM) im Mukoviszidose e.V., ob der Antragsteller einen ausführlichen Antrag einreichen soll. Diesen evaluieren anschließend externe Gutachter. Für kleinere Fragestellungen können Arbeitsgruppen die Förderung
Herausgeber: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Univ.-Prof. Dr. med. Hermann Eichstädt, Leiter Bereich Kardiologie RZP Potsdam und Geschäftsführer BBGK e.V. Berlin Konstanzer Straße 61 10707 Berlin Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. M. Alexander, Infektiologie, Berlin Prof. Dr. L. Beck, Gynäkologie, Düsseldorf Prof. Dr. Berndt, Innere Medizin, Berlin Prof. Dr. H.-K. Breddin, Innere Medizin, Frankfurt/Main Prof. Dr. K. M. Einhäupl, Neurologie, Berlin Prof. Dr. E. Erdmann, Kardiologie, Köln Prof. Dr. Dr. med. E. Ernst, University of Exeter, UK Prof. Dr. K. Falke, Anästhesiologie, Berlin Prof. Dr. K. Federlin, Innere Medizin, Gießen Prof. Dr. E. Gerlach, Physiologie, München Prof. Dr. H. Helge, Kinderheilkunde, Berlin Prof. Dr. R. Herrmann, Onkologie, Basel Prof. Dr. W. Jonat, Gynäkologie, Hamburg Prof. Dr. H. Kewitz, Klin. Pharmakol. Berlin Prof. Dr. B. Lemmer, Pharmakologie, Mannheim/Heidelberg
eines Kleinprojekts (bis maximal 20.000 Euro) beantragen. Hier ist das Antragsverfahren einstufig und eine Entscheidung wird in der Regel innerhalb von 6 Monaten getroffen. Nachwuchsförderung
Darüber hinaus finanziert der Mukoviszidose e.V. Personalmittel für junge und engagierte Forscher während ihrer Qualifikationsphase. Für das Modul „Nachwuchsförderung“ können sich Ärzte mit abgeschlossener Promotion, die sich in der Facharztausbildung befinden und sich gleichzeitig wis-
Prof. Dr. med. R. Lorenz, Neurochirurgie, Frankfurt Prof Dr. J. Mann, Nephrologie, München Dr. med. Veselin Mitrovic, Kardiologie, Klinische Pharmakologie, Bad Nauheim Prof. Dr. R. Nagel, Urologie, Berlin Prof. Dr. E.-A. Noack, Pharmakologie, Düsseldorf Prof. Dr. P. Ostendorf, Hämatologie, Hamburg Prof. Dr. Th. Philipp, Innere Medizin, Essen Priv.-Doz. Dr. med. B. Richter, Ernährung – Stoffwechsel, Düsseldorf Prof. Dr. H. Rieger, Angiologie, Aachen Prof. Dr. H. Roskamm, Kardiologie, Bad Krozingen Prof. Dr. E. Rüther, Psychiatrie, Göttingen Prof. Dr. med. A. Schrey, Pharmakologie, Düsseldorf Dr. Dr. med. C. Sieger, Gesundheitspolitik u. Gesundheitsökonomie, München Prof. Dr. E. Standl, Innere Medizin, München Prof. Dr. W. T. Ulmer, Pulmologie, Bochum Schriftleitung: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Telefon: 037437 557-0 Bibliothek: 037437 2214 [Library] E-Mail DIG: info@d-i-g.org E-Mail persönlich: k.l.resch@d-i-g.org
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senschaftlich weiterqualifizieren wollen (z. B. Habilitation), sowie naturwissenschaftliche Doktoranden oder Post-Docs bewerben. Die maximale Fördersumme liegt bei 150.000 Euro. Reisekosten in Höhe von jährlich 1.000 Euro können zusätzlich beantragt werden. S. M. Informationen zur Antragstellung (inkl. Formulare) finden Sie auf der Internetseite des Mukoviszidose e.V.: https:// www.muko.info/angebote/ forschungsfoerderung/foerdermoeglichkeiten/
Die Zeitschrift erscheint 6mal im Jahr; Jahresabonnement € 66,00 inkl. MwSt. zzgl. Versandspesen. Einzelheft € 11,00 inkl. MwSt. zzgl. Versandspesen. Studenten-Abo zum halben Preis. Der Abonnementpreis ist im Voraus zahlbar. Stornierungen sind bis 6 Wochen vor Ablauf eines Kalenderjahres möglich. Abonnementbestellungen direkt beim Verlag. Geschäftsführerin: Sibylle Michna Anschrift wie Verlag
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Journal
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* XTANDI ist angezeigt zur Behandlung erwachsener Männer mit ▶ nicht metastasiertem kastrationsresistentem Hochrisiko-Prostatakarzinom (castration-resistant prostate cancer, CRPC) ▶ metastasiertem CRPC mit asymptomatischem oder mild symptomatischem Verlauf nach Versagen der Androgenentzugstherapie, bei denen eine Chemotherapie klinisch noch nicht indiziert ist. Referenzen: 1 XTANDI Fachinformation, Stand: Oktober 2018. | 2 Beer TM et al., Eur Urol. 2017;71:151–154. | 3 Beer TM et al., N Engl J Med. 2014;371(5):424–33. | 4 Hussain M et al. New Engl J Med 2018; 378:2465-74; untersucht wurde jeweils Enzalutamid plus ADT vs. Placebo plus ADT. XtandiTM 40 mg Filmtabletten; XtandiTM 80 mg Filmtabletten. Wirkstoff: Enzalutamid. Zusammensetzung: Xtandi 40/80 mg Filmtabletten: Jede Filmtablette enthält: Wirkstoff: 40/80 mg Enzalutamid. Sonstige Bestandteile: Tablettenkern: Hypromelloseacetatsuccinat, Mikrokristalline Cellulose, Hochdisperses Siliciumdioxid, Croscarmellose-Natrium, Magnesiumstearat; Tablettenüberzug: Hypromellose, Talkum, Macrogol (8000), Titandioxid (E 171), Eisen(III)-hydroxid-oxid x H2O (E 172). Anwendungsgebiete: Behandlung erwachsener Männer mit nicht metastasiertem kastrationsresistentem Hochrisiko-Prostatakarzinom (castration-resistant prostate cancer, CRPC) (siehe Abschnitt 5.1 „Pharmakodynamische Eigenschaften“ in der Fachinformation), erwachsener Männer mit metastasiertem CRPC mit asymptomatischem oder mild symptomatischem Verlauf nach Versagen der Androgenentzugstherapie, bei denen eine Chemotherapie klinisch noch nicht indiziert ist (siehe Abschnitt 5.1 „Pharmakodynamische Eigenschaften“ in der Fachinformation), sowie Behandlung erwachsener Männer mit metastasiertem CRPC, deren Erkrankung während oder nach einer Chemotherapie mit Docetaxel fortschreitet. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Frauen, die schwanger sind oder schwanger werden können (siehe Abschnitte 4.6 „Fertilität, Schwangerschaft und Stillzeit“ und 6.6 „Besondere Vorsichtsmaßnahmen für die Beseitigung und sonstige Hinweise zur Handhabung“ in der Fachinformation). Nebenwirkungen: Zusammenfassung des Sicherheitsprofils: Die am häufigsten auftretenden Nebenwirkungen sind Asthenie/Fatigue, Hitzewallungen, Frakturen und Hypertonie. Weitere wichtige Nebenwirkungen schließen Stürze, kognitive Störungen und Neutropenie ein. Ein Krampfanfall trat bei 0,4 % der mit Enzalutamid behandelten Patienten, bei 0,1 % der Patienten, die Placebo erhielten und bei 0,3 % der mit Bicalutamid behandelten Patienten auf. Seltene Fälle des posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndroms wurden bei mit Enzalutamid behandelten Patienten berichtet (siehe Abschnitt „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“). Zusammenfassung der Nebenwirkungen (tabellarische Auflistung der Nebenwirkungen: siehe Tabelle 1 in der Fachinformation): Im Folgenden werden die Nebenwirkungen, die in klinischen Studien beobachtet wurden, nach ihrer Häufigkeit aufgeführt. Bei den Häufigkeitsangaben werden folgende Kategorien zugrunde gelegt: sehr häufig (≥ 1/10); häufig (≥ 1/100, < 1/10); gelegentlich (≥ 1/1.000, < 1/100); selten (≥ 1/10.000, < 1/1.000); sehr selten (< 1/10.000); nicht bekannt (Häufigkeit auf Grundlage der verfügbaren Daten nicht abschätzbar). In jeder Häufigkeitskategorie werden die Nebenwirkungen in abnehmendem Schweregrad dargestellt. Nebenwirkungen, die in kontrollierten klinischen Studien und nach Markteinführung aufgetreten sind (Organklasse nach dem MedDRA System/Häufigkeit): Erkrankungen des Blutes und des Lymphsystems: Gelegentlich: Leukopenie, Neutropenie; nicht bekannt (Spontanmeldungen nach Markteinführung): Thrombozytopenie. Erkrankungen des Immunsystems: Nicht bekannt (Spontanmeldungen nach Markteinführung): Gesichtsödem, Zungenödem, Lippenödem, Pharynxödem. Psychiatrische Erkrankungen: Häufig: Angst; gelegentlich: visuelle Halluzinationen. Erkrankungen des Nervensystems: Häufig: Kopfschmerzen, Gedächtnisstörung, Amnesie, Aufmerksamkeitsstörung, Restless-Legs-Syndrom; gelegentlich: kognitive Störung, Krampfanfall (Beurteilt mit Hilfe der narrow SMQs von ‘Konvulsionen’, einschließlich Krampfanfall, Grand-Mal-Anfall, komplexe partielle Krampfanfälle, partielle Krampfanfälle und Status epilepticus. Dies schließt seltene Fälle von Krampfanfällen mit tödlich verlaufenden Komplikationen ein); nicht bekannt (Spontanmeldungen nach Markteinführung): posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom. Herzerkrankungen: Häufig: ischämische Herzerkrankung (Beurteilt mit Hilfe der narrow SMQs von ‘Myokardinfarkt’ und ‘Andere ischämische Herzerkrankung’, einschließlich der folgenden bevorzugten Bezeichnungen, die in randomisierten placebokontrollierten Phase III-Studien bei mindestens zwei Patienten beobachtet wurden: Angina pectoris, koronare Herzkrankheit, Myokardinfarkte, akuter Myokardinfarkt, akutes Koronarsyndrom, instabile Angina pectoris, Myokardischämie und Koronaratherosklerose); nicht bekannt (Spontanmeldungen nach Markteinführung): QT-Verlängerung (siehe Abschnitte „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“ und 4.5 „Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstige Wechselwirkungen“ in der Fachinformation). Gefäßerkrankungen: Sehr häufig: Hitzewallungen, Hypertonie. Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts: Nicht bekannt (Spontanmeldungen nach Markteinführung): Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö. Erkrankungen der Haut und des Unterhautzellgewebes: Häufig: trockene Haut, Juckreiz; nicht bekannt (Spontanmeldungen nach Markteinführung): Hautausschlag. Skelettmuskulatur-, Bindegewebs- und Knochenerkrankungen: Sehr häufig: Frakturen (beinhalten alle bevorzugten Bezeichnungen mit dem Wort ‚Fraktur‘ der Knochen); nicht bekannt (Spontanmeldungen nach Markteinführung): Myalgie, Muskelkrämpfe, muskuläre Schwäche, Rückenschmerzen. Erkrankungen der Geschlechtsorgane und der Brustdrüse: Häufig: Gynäkomastie. Allgemeine Erkrankungen: Sehr häufig: Asthenie, Fatigue. Verletzung, Vergiftung und durch Eingriffe bedingte Komplikationen: Häufig: Stürze. Beschreibung ausgewählter Nebenwirkungen: Krampfanfall: In den kontrollierten klinischen Studien kam es bei 13 von 3.179 Patienten (0,4 %), die mit einer täglichen Dosis von 160 mg Enzalutamid behandelt wurden, zu einem Krampfanfall, wohingegen ein Patient (0,1 %), der Placebo erhielt und ein Patient (0,3 %), der Bicalutamid erhielt einen Krampfanfall erlitt. Die Dosis scheint einen entscheidenden Einfluss auf das Anfallsrisiko zu haben, wie präklinische Daten und Daten aus einer Dosiseskalationsstudie zeigen. Aus den kontrollierten Studien wurden Patienten mit einem Krampfanfall in der Vorgeschichte oder mit Risikofaktoren für einen Krampfanfall ausgeschlossen. In der einarmigen Studie 9785-CL-0403 (UPWARD) zur Beurteilung der Inzidenz von Krampfanfällen bei Patienten mit prädisponierenden Faktoren für einen Krampfanfall (davon hatten 1,6 % Krampfanfälle in der Vorgeschichte) erlitten 8 von 366 (2,2 %) Patienten, die Enzalutamid erhielten, einen Krampfanfall. Die mediane Behandlungsdauer betrug 9,3 Monate. Über welchen Mechanismus Enzalutamid möglicherweise die Krampfschwelle senkt, ist nicht bekannt, könnte aber mit Daten aus In-vitro-Studien erklärt werden, die zeigten, dass Enzalutamid und sein aktiver Metabolit an den GABA-aktivierten Chloridkanal binden und diesen inhibieren können. Ischämische Herzerkrankung: In randomisierten placebokontrollierten klinischen Studien trat bei 2,5 % der Patienten, die mit, Enzalutamid plus Androgenentzugstherapie behandelt wurden, eine ischämische Herzerkrankung auf im Vergleich zu 1,3 % der Patienten, die Placebo plus Androgenentzugstherapie erhielten. Meldung des Verdachts auf Nebenwirkungen: Die Meldung des Verdachts auf Nebenwirkungen nach der Zulassung ist von großer Wichtigkeit. Sie ermöglicht eine kontinuierliche Überwachung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Arzneimittels. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Abt. Pharmakovigilanz, Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, D-53175 Bonn, Website: http://www. bfarm.de anzuzeigen. Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung: Risiko von Krampfanfällen: Die Entscheidung, die Behandlung fortzusetzen, sollte bei Patienten, die Krampfanfälle entwickeln, von Fall zu Fall getroffen werden. Posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom: Es liegen seltene Berichte über posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom (PRES) bei Patienten vor, die mit Xtandi behandelt werden (siehe Abschnitt „Nebenwirkungen“). PRES ist eine seltene, reversible neurologische Störung, die mit schnell entstehenden Symptomen, einschließlich Krampfanfall, Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Blindheit und anderen visuellen und neurologischen Störungen, mit oder ohne assoziierter Hypertonie, auftreten kann. Die Diagnose eines PRES bedarf der Bestätigung durch eine bildgebende Untersuchung des Gehirns, vorzugsweise Magnetresonanztomographie (MRT). Es wird empfohlen, Xtandi bei Patienten, die PRES entwickeln, abzusetzen. Gleichzeitige Anwendung mit anderen Arzneimitteln: Enzalutamid ist ein potenter Enzyminduktor und kann zu einem Verlust der Effektivität vieler gängiger Arzneimittel führen (siehe Beispiele in Abschnitt 4.5 „Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstige Wechselwirkungen“ in der Fachinformation). Bevor die Behandlung mit Enzalutamid begonnen wird, sollte man sich einen Überblick über die gleichzeitig angewendeten Arzneimittel verschaffen. Die gleichzeitige Anwendung von Enzalutamid mit Arzneimitteln, die empfindliche Substrate für viele metabolisierende Enzyme oder Transporter sind (siehe Abschnitt 4.5 „Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstige Wechselwirkungen“ in der Fachinformation), sollte grundsätzlich vermieden werden, falls deren therapeutische Wirkung für den Patienten sehr wichtig ist und falls Dosisanpassungen, basierend auf der Bestimmung der Effektivität oder der Plasmakonzentrationen, nicht einfach durchzuführen sind. Die gleichzeitige Behandlung mit Warfarin und Cumarin-artigen Antikoagulanzien sollte vermieden werden. Wird Xtandi gleichzeitig mit einem Antikoagulans gegeben, das durch CYP2C9 metabolisiert wird (wie z. B. Warfarin oder Acenocumarol), sollte der International Normalised Ratio-(INR)-Wert zusätzlich kontrolliert werden (siehe Abschnitt 4.5 „Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstige Wechselwirkungen“ in der Fachinformation). Nierenfunktionsstörung: Da bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung keine klinischen Erfahrungen mit Enzalutamid vorliegen, ist bei diesen Patienten Vorsicht geboten. Schwere Leberfunktionsstörung: Bei Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung wurde eine verlängerte Halbwertszeit von Enzalutamid, möglicherweise bedingt durch eine Zunahme der Verteilung ins Gewebe, beobachtet. Die klinische Relevanz dieser Beobachtung ist weiterhin unbekannt. Eine Verlängerung der Zeit bis zum Erreichen der Steady State-Konzentrationen ist jedoch zu erwarten, und die Zeit bis zum maximalen pharmakologischen Effekt sowie die Zeit bis zum Einsetzen und Rückgang der Enzyminduktion (siehe Abschnitt 4.5 „Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstige Wechselwirkungen“ in der Fachinformation) kann verlängert sein. Kürzliche kardiovaskuläre Erkrankungen: Patienten mit einem vor Kurzem erlittenen Myokardinfarkt (innerhalb der vergangenen 6 Monate) oder mit instabiler Angina pectoris (innerhalb der vergangenen 3 Monate), mit Herzinsuffizienz im NYHA-(New York Heart Association-)Stadium III oder IV (außer bei einer linksventrikulären Auswurffraktion [LVEF] ≥ 45 %), mit Bradykardie oder mit unkontrolliertem Bluthochdruck wurden aus den Phase-III-Studien ausgeschlossen. Dies sollte berücksichtigt werden, falls Xtandi für solche Patienten verschrieben wird. Androgendeprivationstherapie kann das QT-Intervall verlängern: Bei Patienten mit einer Vorgeschichte einer QT-Verlängerung oder mit Risikofaktoren für eine QT-Verlängerung und bei Patienten, die als Begleitmedikation Arzneimittel erhalten, die das QT-Intervall verlängern können (siehe Abschnitt 4.5 „Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstige Wechselwirkungen“ in der Fachinformation), sollten die Ärzte das Nutzen-Risiken-Verhältnis einschließlich dem möglichen Auftreten von Torsade de Pointes abwägen, bevor die Behandlung mit Xtandi begonnen wird. Anwendung zusammen mit Chemotherapie: Die Sicherheit und Wirksamkeit von Xtandi bei gleichzeitiger Anwendung mit einer zytotoxischen Chemotherapie ist nicht erwiesen. Die gleichzeitige Anwendung von Enzalutamid hat keinen klinisch relevanten Einfluss auf die Pharmakokinetik von intravenösem Docetaxel (siehe Abschnitt 4.5 „Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstige Wechselwirkungen“ in der Fachinformation); jedoch kann ein vermehrtes Auftreten von durch Docetaxel induzierter Neutropenie nicht ausgeschlossen werden. Überempfindlichkeitsreaktionen: Unter Enzalutamid wurden Überempfindlichkeitsreaktionen beobachtet, die sich durch Symptome, wie zum Beispiel Hautausschlag oder Ödem von Gesicht, Zunge, Lippen oder Pharynx manifestierten (siehe Abschnitt „Nebenwirkungen“). Warnhinweise: Für Kinder unzugänglich aufbewahren. Verschreibungspflichtig. Weitere Einzelheiten enthalten die Fach- und Gebrauchsinformation. Pharmazeutischer Unternehmer: Astellas Pharma Europe B.V., Sylviusweg 62, 2333 BE Leiden, Niederlande; Deutsche Vertretung des Pharmazeutischen Unternehmers: Astellas Pharma GmbH, Ridlerstraße 57, 80339 München. Stand: Oktober 2018_V2-Dezember 2018.
www.xtandi.de | www.fortbildung.astellas-med.de | www.meine-prostata.de
XTD/2018/0115/DE(1) | Erstellt: Januar 2019