Journal Jahrgang 2019, Ausgabe 04

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ISSN 1432-4334 JAHRGANG 28 HEFT 4 Juli 2019

FÜR PHARMAKOLOGIE UND THERAPIE

JOURNAL OF PHARMACOLOGY AND THERAPY

Phenylketonurie: Enzymsubstitution mit Pegvaliase eröffnet neue Perspektiven Parenterale Ernährung von Patienten mit hohem Aminosäurenbedarf Chronische spontane Urtikaria: (Fast) völlige Beschwerdefreiheit dank Omalizumab Multiple Sklerose: Mit Fertigpen die Therapietreue verbessern Hypoglykämien erkennen und behandeln Prostatakarzinom: Hochrisiko-M0CRPC-Patienten profitieren von der Therapie mit dem Androgenrezeptor-Inhibitor Apalutamid Benzydamin-Spray: In-vitro-Daten sprechen für eine direkte antientzündliche Wirkung Neue zielgerichtete Therapien beim NSCLC: Dacomitinib und Lorlatinib erweitern Möglichkeiten der Sequenztherapie Aflibercept/FOLFIRI in der zweiten Therapielinie beim mCRC breit einsetzbar

VERLAG

PERFUSION


Der neue CGRP-Antikörper für die spezifische Migräneprophylaxe1

Weniger Migräne. Mehr vom Leben.

Jakobs Geburtstag Nein, wegen meiner Migräne brauche ich absolute Stille Ja, ich kann mit ihm feiern!

Stark & schnell – Schnell weniger Migränetage1–3 Verträglich – Verträglichkeitsprofil auf Placebo-Niveau1–3

NEU

Flexibel – Flexibles Injektionsintervall: subkutane Gabe 1 x/Monat oder 1 x/Quartal1

DE/FRE/19/0062

1. Fachinformation AJOVY®, Stand: 03/2019. 2. Dodick DW et al. JAMA 2018; 319(19): 1999–2008. 3. Silberstein SD et al. N Engl J Med 2017; 377(22): 2113–2122. AJOVY® 225 mg Injektionslösung in Fertigspritze Wirkstoff: Fremanezumab. Zusammensetzung: Eine Fertigspritze enth. 225 mg Fremanezumab. Fremanezumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der mittels rekombinanter DNA-Technik in Eizellen des chinesischen Hamsters (Chinese Hamster Ovary, CHO) hergestellt wird. Sonst. Bestandt.: Histidin, Histidinhydrochlorid-Monohydrat, Sucrose, Natriumedetat (Ph.Eur.), Polysorbat 80, Wasser für Injektionszwecke. Anwendungsgebiete: Migräneprophylaxe bei Erw. mit mind. 4 Migränetagen pro Monat. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gg. den Wirkstoff od. einen der sonst. Bestandt. Warnhinw.: AM enth. weniger als 1 mmol Natrium (23 mg) pro Dosiereinheit, d. h. es ist nahezu „natriumfrei“. Schwangerschaft/Stillzeit: Anwend. währ. der Schwangerschaft vermeiden. Anwend. währ. der Stillzeit nur in Betracht ziehen, falls diese klinisch erford. ist. Nebenwirkungen: Schmerzen an der Injektionsstelle. Verhärtung an der Injektionsstelle. Erythem an der Injektionsstelle. Juckreiz an der Injektionsstelle. Ausschlag an der Injektionsstelle. Immunogenität. Dosierung: Es stehen zwei Dos.optionen zur Verfügung: 225 mg einmal monatlich od. 675 mg alle drei Monate. Status: Verschreibungspflichtig. Stand: 3/19. TEVA GmbH, Graf-Arco-Str. 3, 89079 Ulm, Deutschland. Weitere Informationen siehe Fachinformation. ▼Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden. Hinweise zur Meldung von Nebenwirkungen, siehe Abschnitt 4.8.


EDITORIAL

Früher brauchte es mindestens Bestien wie Kuno, den Killerwels aus Mönchengladbach, Kaiman Sammy in gattungsfremdem Habitat, einem Baggersee in Dormagen in der Nähe von Düsseldorf, oder, wenn die real existierende Tierwelt mal nicht daran dachte, sich unbotmäßig zu verhalten, Fabelwesen wie Nessy, das Ungeheuer von Loch Ness. Heute, so scheint es, wird jene Zeit des Jahres, in der in Deutschland ein generalisierter Nomadisierungsanfall zu beobachten ist, ganz offensichtlich utilisiert, um geschickt und unbemerkt diverse Botschaften in den Medien zu platzieren, die dann bei Bedarf als Schachtelteufelchen aus der Versenkung hervorgezaubert werden können. So geschehen dieses Jahr z.B. am 15. Juli, als die Bertelsmann Stiftung postulierte, die medizinische Versorgung in Deutschland sei nur mit einem Kahlschlag sicherzustellen [1]: statt 1400 mit idealerweise 600 Kliniken. In das 8-köpfige Kernteam, beherrscht von Mitarbeitern der Bertelsmann Stiftung und dem des Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (iges), hat es gerade mal ein Mediziner geschafft, Reinhard Busse, seines Zeichens Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Management der TU Berlin. Im beratenden „ReviewBoard“ finden sich zwar einige Mediziner, aber allesamt Universitätsprofessoren. Die (vordergründig?) plausible Logik der „Sachverständigen“ kennt deshalb auch nur ein einziges Credo: Nur wer etwas dauernd macht, kann es gut machen („Viele könnten lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall nicht angemessen behandeln“), andere Faktoren, die auf den Heilungsprozess einwirken, gibt es nicht. Am Zitat selbst soll gar nicht gezweifelt werden, wohl aber an der verquasten Logik, die implizit transportiert wird, nämlich der, dass einer stationären Einweisung automatisch und immer ein lebensbedrohender und nur mit technischer Brillanz beherrschbarer Notfall zugrunde liegt. Hätten die Herren nur mal kurz (wie ich für diese Überlegungen) die all-

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Zu viele Krankenhäuser? Zu viele Experten! gemein zugänglichen Statistiken über die Krankenhausaufenthalte zu Rate gezogen [2]! Von den insgesamt 20,1 Millionen „vollstationären Patienten“ im Jahr 2016 waren fast die Hälfte, nämlich 44,7 % „Stundenfälle“ bzw. „Kurzlieger“ (mit einer Verweildauer von 1 bis 3 Tagen), insgesamt 2,1  % aller eingewiesen Patienten starben während ihres Krankenhausaufenthalts [2; Tab. 1.1a]. Dies impliziert, dass fast alle Stundenfälle und Kurzlieger entlassen worden sein müssen, medizinisch betrachtet mit großer Wahrscheinlichkeit, weil es sich im Wesentlichen um „überschaubare“ und ggf. schnell erfolgreich behandelbare Probleme gehandelt haben dürfte. Damit würden aber, wenn man, wie die Bertelsmann-Studie fordert, die Krankenhaus-Landschaft auf ausschließlich Zentren der Maximalversorgung zusammenkürzen würde, alle diese Fälle in einer diagnostisch und therapeutisch bis an die Zähne bewaffneten Umgebung versorgt werden müssen – ein volkswirtschaftlicher Irrsinn! Und ein menschenverachtender zudem! Denn die meisten der vielen „kleineren“ Krankenhäuser, denen die Bertelsmann-Studie an die Wäsche geht, liegen ja typischerweise nicht im engen Dunstkreis universitärer Zentren der Spitzenmedizin, sondern in der Peripherie bzw. auf dem Lande. Die Herren Experten würden, wären sie erfolgreich, die nicht in den Ballungszentren wohnende Hälfte der Bevölkerung in Deutschland vorhersehbar (grundgesetzwidrig) diskriminieren und zumindest für die Hälfte der länger Liegenden (legt man das Vorliegen einer schwereren Erkrankung zugrunde) zusätzliche gesundheitliche Risiken generieren oder in Kauf nehmen, da sich für die Bevölkerung auf dem platten Land der Zugang zur Versorgung grundsätzlich

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Prof. Dr. med. K.-L. Resch, Bad Elster

zeitlich verlängern würde, will man nicht gleichzeitig eine zusätzliche Armada von Rettungshubschraubern nebst entsprechend qualifiziertem Personal vorhalten. In Deutschland erreichen in ländlichen Regionen heute nur gut 64 % der Bevölkerung innerhalb von 15 Minuten das nächste Krankenhaus mit einer Basisversorgung (im Vergleich zu ca. 90 % der in städtischen Regionen lebenden Bevölkerung) [3]. Damit konterkariert der Ansatz nichts weniger als die politisch zunehmend intensiven, nicht zuletzt mit erheblichen EU-Mitteln unterstützten Bemühungen, den ländlichen Raum als Lebensumfeld zu attraktivieren. Auch der Support des familiären und sozialen Umfelds, eine anerkannt bedeutsame Ressource für den Heilungsprozess [4], wäre behindert – mit wohl erheblichen negativen Auswirkungen auf die Wiedergenesung. Schließlich starb 2016 fast jeder Zweite in einem Krankenhaus (419.359 von insgesamt 910.902 Verstorbenen), 6 von 7 Verstorbenen (771.196) waren © VERLAG PERFUSION GMBH


INHALT

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65 Jahre und älter und mehr als die Hälfte (472.855) 80 Jahre und älter. Ich überlasse es Ihnen, für sich selbst zu bewerten, ob Sie für sich oder einen engen Angehörigen nicht die eher familiäre Umgebung eines kleinen, nahe gelegenen Kreiskrankenhauses bevorzugen würden als einen auf biomedizinische Effizienz getrimmten Großbetrieb mit vielleicht 1000 oder mehr Betten ... Wenn unser Gesundheitssystem nicht mittelfristig zum Moloch werden soll, brauchen wir dringend weniger Experten, die mit Patienten jonglieren wie mit Produktionsstandorten in der Automobilindustrie. Wenn wir zu unserem hippokratischen Eid stehen, müssen wir schleunigst eine Bewegung „Friday-for-humanity“ starten, um Bertelsmann & Co zu „überzeugen“, in ihren Analysen den Mensch in den Mittelpunkt zu stellen. Die Methodik ist längst etabliert [5]. Karl-Ludwig Resch, Bad Elster

ÜBERSICHTSARBEIT Phenylketonurie: Enzymsubstitution mit Pegvaliase eröffnet neue Perspektiven Brigitte Söllner

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS Parenterale Ernährung von Patienten mit hohem Aminosäurenbedarf

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Chronische spontane Urtikaria: (Fast) völlige Beschwerdefreiheit dank Omalizumab

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Multiple Sklerose: Mit Fertigpen die Therapietreue verbessern 114 Hypoglykämien erkennen und behandeln

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NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

Quellen 1 h ttps://www.bertelsmann-stiftung.de/ de/themen/aktuelle-meldungen/2019/ juli/eine-bessere-versorgung-ist-nurmit-halb-so-vielen-kliniken-moeglich/ 2 h ttps://www.destatis.de/DE/Themen/ Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Publikationen/DownloadsKrankenhaeuser/diagnosedaten-krankenhaus-2120621167004.html 3 h ttps://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/04/ PD19_163_91.html 4 McCabe M. Impact of family presence in the healthcare setting. 2014 digitalcommons.liberty.edu (http://digitalcommons. liberty.edu/cgi/viewcontent.cgi?article= 1481&context=honors) 5 Dieppe P, Chard J, Tallon D, Egger M. Funding clinical research. Lancet 1999;353:1626

Prostatakarzinom: Hochrisiko-M0CRPC-Patienten profitieren von der Therapie mit dem Androgenrezeptor-Inhibitor Apalutamid

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Benzydamin-Spray: In-vitro-Daten sprechen für eine direkte antientzündliche Wirkung

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Neue zielgerichtete Therapien beim NSCLC: Dacomitinib und Lorlatinib erweitern Möglichkeiten der Sequenztherapie

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Aflibercept/FOLFIRI in der zweiten Therapielinie beim mCRC breit einsetzbar

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RUBRIKEN Wissenswertes 112, 116, 119, 123 Kongresse 128

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ÜBERSICHTSARBEIT

D

Phenylketonurie: Enzymsubstitution mit Pegvaliase eröffnet neue Perspektiven

ie Phenylketonurie (PKU) ist eine seltene, angeborene Stoffwechselerkrankung, die autosomal-rezessiv vererbt wird. In Europa liegt die Prävalenz bei etwa 1 : 10.000 Neugeborenen [1]. Ursache sind Mutationen im Gen für das Enzym Phenylalaninhydroxylase (PAH). Dieses Enzym katalysiert bei Vorhandensein des Kofaktors Tetrahydrobiopterin (BH4) den Abbau von Phenylalanin (Phe) aus Nahrungseiweiß zu Tyrosin [1, 2]. Bei der klassischen Form sind über 950 Mutationen des PAH-Gens bekannt, die mutierten Allele liegen bei 75 % der Erkrankten in heterozygoter Form vor. Die Art der Mutation bestimmt die Ausprägung des Krankheitsgrades [1]. Ist die Aktivität der PAH durch die Mutation stark vermindert oder fehlt vollständig, führt dies zur Akkumulation von Phenylalanin im Gewebe und im Blut zur Hyperphenylalaninämie (HPA). Alternative Abbauprodukte von Phenylalanin wie Phenylpyruvat, Phenylacetat und Phenyllaktat lassen sich im Urin unbehandelter Patienten mit PKU nachweisen und haben der Erkrankung ihren Namen gegeben [1]. Da Phenylalanin die Vorstufe von Tyrosin ist, entsteht ein sekundä­ res Tyrosindefizit. Daraus folgt ein Mangel an den aus Tyrosin gebildeten Biomolekülen: den Katechola­ minen, Dopamin, Melanin sowie den Schilddrüsenhormonen Tyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3). Die normalerweise vom Körper eigenständig hergestellte Aminosäure Tyrosin wird nun essenziell, muss also zugeführt werden [3]. Hohe Phe-Werte im Blut erhöhen auch die Phe-Konzentration im Gehirn [4]. Dort wirkt die Aminosäure neurotoxisch, sodass es zu neurologischen Störungen kommt. Diese reichen in Abhängigkeit von

Brigitte Söllner, Erlangen

der intrazerebralen Phe-Konzentration von Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und epileptischen Anfällen bis hin zu schweren intellektuellen Beeinträchtigungen [5]. In einer Studie verringerte sich der Intelligenzquotient bei 4-jährigen Kindern pro Erhöhung der Phe-Werte um 300 μmol/l um 7 – 10 Punkte [6]. Bleibt die PKU unbehandelt, resultieren chronische, irreversible Hirnschädigungen, geistige Behinderung und Mikrozephalie [1]. Eine verwandte Stoffwechselkrankheit ist der BH4-Mangel. Bei dieser atypischen PKU ist nicht die PAH selbst mutiert, sondern der Kofaktor BH4 des Enzyms, der die Faltung der PAH unterstützt [7]. Etwa 1 – 2 % aller HPA-Fälle sind Folge eines BH4-Mangels [8]. Diagnose und Behandlungsindikation

Für gewöhnlich wird PKU beim Neugeborenen-Screening diagnostiziert, das 3 Tage nach der Geburt durchgeführt wird. Der Test ist seit 1960 Bestandteil der Reihenuntersuchung, damit frühestmöglich mit der Behandlung begonnen werden kann. Der normale Phe-Wert liegt unter 120 μmol/l. Die 2017

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erschienenen europäischen Leitlinien empfehlen eine Behandlung ab Werten über 360 μmol/l. Bei Werten zwischen 360 und 600 μmol/l wird zu einer Behandlung bis zum 12. Lebensjahr geraten, liegen sie über 600 μmol/l, ist diese lebenslang notwendig. Nach Therapiestopp kann ein erneuter Einstieg im Erwachsenenalter indiziert sein, wenn die Werte erneut über 600 μmol/l liegen oder eine Schwangerschaft geplant ist [1]. Diätetische Therapie

Eckpfeiler der Behandlung der PKU ist eine Phe-arme Diät. Dies bedeutet vor allem, dass auf natürliches Protein verzichtet werden muss. Nahrungsmittel wie Nüsse, Fleisch, Wurst, Fisch, Hülsenfrüchte, Milchprodukte, Käse, Getreide, Kartoffeln und Mais müssen gemieden werden, zum Teil kann auf spezielle Phe-freie Produkte zurückgegriffen werden. Aminosäuren sowie durch die limitierte Kost fehlende Vitamine und Mineralien werden durch spezielle, Phefreie Supplemente zugeführt [1]. Bei der lebenslang erforderlichen Phe-freien Diät gestaltet sich die Adhärenz oft schwierig, zumal die spezielle Nahrung und Nahrungsergänzungsmittel meist einen unange© VERLAG PERFUSION GMBH


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nehmen Geschmack aufweisen. Bei strikter Diät entwickeln sich Kinder mit PKU mental und physisch größtenteils unauffällig, jedoch haben PKU-Patienten im Durchschnitt geringere Intelligenzquotienten als ihre Geschwister [9]. Obwohl sich zu hohe Phe-Werte auf die Intelligenz und mentale Fähigkeiten auswirken, geben viele PKU-Patienten im Erwachsenenalter die Diät auf. Das Abbrechen der diätetischen Behandlung kann zudem zu einer Mangelernährung führen, wenn die Patienten keine Aminosäuresupplemente mehr zu sich nehmen. Die Folge ist eine Unterversorgung, vor allem mit Tyrosin. Medikamentöse Therapie mit Sapropterin

2009 wurde das erste Medikament zur Therapie der PKU zugelassen. Dabei handelt es sich um Sapropterin, eine synthetische Form des PAH-Kofaktors (BH4). Bei PKU, vor allem der milden Form, wirkt Sapropterin als Chaperon, das die Faltung und damit die Funktion der PAH unterstützt. Der Wirkstoff kann bei 30 – 50 % der Patienten die Phe-Konzentration um 30 % senken [10]. Bei nachgewiesenem BH4-Mangel ist eine BH4-Substitution essenziell. Zusätzlich müssen die Patienten L-DOPA und 5-Hydroxytryptophan substituieren. Substitutionstherapie mit Pegvaliase

Einen großen Fortschritt in der Therapie bedeutet die Zulassung des Enzyms Pegvaliase (Palynziq®), das seit dem 3. Mai 2019 in der EU für die ursächliche Behandlung der PKU verfügbar ist [11]. Die subkutan applizierbare

polyethylenglykosilierte rekombinante Form der Phenylalanin-Ammoniak-Lyase aus dem Cyanobakterium Anabaena variabilis baut Phenylalanin in ähnlicher Weise ab wie die körpereigene Phenylalaninhydroxylase. Pegvaliase wandelt Phenylalanin in Ammoniak und trans-Zimtsäure um, die anschließend primär über den Leberstoffwechsel aus dem Körper eliminiert werden [11]. Dadurch wird die Blut-Phe-Konzentration reduziert und die metabolische Ursache der PKU beseitigt. Die Wirksamkeit und Sicherheit von Pegvaliase wurden in einer offenen parallelgruppen-kontrollierten Phase-III-Studie (PRISM-1) und in einer vierteiligen PhaseIII-Studie (PRISM-2) bei erwachsenen Patienten mit PKU nachgewiesen [12, 13]. PRISM-1-Studie Ziel der unverblindeten multizentrischen PRISM-1-Studie [12] war die Beurteilung der Sicherheit und Verträglichkeit von selbst subkutan applizierter Pegvaliase während der Induktions-, Titrationsund Erhaltungsphase der Therapie, wobei für die Erhaltungsdosis 2 unterschiedliche Zielwerte (20 und 40 mg) vorgegeben wurden. Eingeschlossen wurden 261 PKUPatienten im Alter von 16  –  55 Jahren (im Mittel 29 Jahre) mit einem Blut-Phe-Wert >600 µmol/l. Die mittlere Blut-Phe-Konzentration zu Studienbeginn lag bei 1.233 µmol/l. Die tägliche Proteinaufnahme aus natürlichen Quellen betrug im Mittel 38,5 g, bei medizinischen Proteinquellen 26,3  g. Die mittlere Phe-Aufnahme lag bei insgesamt 1.700,2 mg/Tag. Eine Phe-reduzierte Ernährung war während der Studie nicht erforder-

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lich. Alle Studienteilnehmer waren jedoch angewiesen, eine konsistente Proteinzufuhr aus natürlichen und diätetischen Lebensmitteln innerhalb von 10 % des Ausgangswerts aufrechtzuerhalten. Außerdem mussten sie 500 mg zusätzliches Tyrosin dreimal täglich zu den Mahlzeiten einnehmen. Vor jedem Klinikbesuch protokollierten die Patienten ihre Nahrungsproteinzufuhr für 3 aufeinanderfolgende Tage; das Protokoll wurde von Ernährungswissenschaftlern analysiert. Die Patienten wurden 1 : 1 auf die beiden Studienarme randomisiert. In der Induktionsphase erhielten alle Patienten 2,5 mg Pegvaliase einmal wöchentlich für 4 Wochen (Abb. 1). Danach wurden 131 Studienteilnehmer in den Wochen 5 – 30 auf eine Dosis von 20 mg Pegvaliase/Tag auftitriert und 130 Studienteilnehmer auf 40 mg/Tag (randomisierte Erhaltungsdosis). In der Erhaltungsphase wurde die randomisierte Erhaltungsdosis mindestens 24 Wochen täglich appliziert. Insgesamt erreichten 195 (75 %) Patienten ihre randomisierte Erhaltungsdosis: 103 Patienten im Arm mit einmal täglich 20 mg Pegvaliase innerhalb von 9 – 29 Wochen (Median 10 Wochen) und 92 Patienten im Arm mit einmal täglich 40 mg Pegvaliase innerhalb von 10 – 33 Wochen (Median 11 Wochen). Patienten, die eine Senkung der durchschnittlichen Blut-PheKonzentration von ≥20 % gegenüber dem Ausgangswert erreichten, wechselten in den Teil 1 der PRISM-2-Studie. Unterschritten die Studienteilnehmer diesen Wert, wechselten sie in den Teil 4 der PRISM-2-Studie (Erweiterungsstudie, s.u.).

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Abbildung 1 Schematische Darstellung des Studiendesigns der Studien PRISM-1 und PRISM-2 [12, 13].

PRISM-2-Studie Die Nachfolgestudie der PRISM1-Studie umfasste folgende Abschnitte (Abb. 1) [11]: 1. Eine unverblindete Induktionsphase, in der die Studienteilnehmer, die die Erhaltungsdosis in PRISM-1 erreicht hatten, auf ihre Eignung für die nachfolgende Studienphase überprüft wurden. Hauptkriterium dafür war eine Senkung des BlutPhe-Spiegels um ≥20 % gegenüber dem Baseline-Wert vor Eintritt in die Studie nach einer Weiterbehandlung von bis zu 13 Wochen. Dieses Kriterium erfüllten 86 der 164 an dieser Phase teilnehmenden Patienten. 2. Eine 8-wöchige doppelblinde, placebokontrollierte Absetzprüfung (randomised discontinuation trial, RDT), in der die 86 Patienten 1 : 2 randomisiert wurden: 58 Studienteilnehmer erhielten weiterhin Pegvaliase (20 mg/Tag oder 40 mg/Tag), 28 bekamen Placebo. 3. Eine unverblindete LangzeitVerlängerung, in der die Studienteilnehmer 20 mg/Tag oder 40 mg/Tag Pegvaliase (ge-

Abbildung 2: Ergebnisse der placebokontrollierten Absetzprüfung (RDT) für die Wirksamkeit der Behandlung mit Pegvaliase im Vergleich zu Placebo: Die Blut-Phe-Konzentration veränderte sich in der gepoolten (20 mg/Tag und 40 mg/Tag) Pegvaliase-Gruppe um 26,5 μmol/l (95%-KI: –68,3 bis 121,3; p < 0,0001 gegenüber beiden Placebogruppen) [12, 13].

mäß der Erhaltungsdosis aus PRISM-1) erhielten. 4. Eine offene Erweiterungsstudie, in der die PegvaliaseDosis zwischen 5 mg/Tag und 60 mg/Tag eingestellt wurde, basierend auf der individuellen Wirksamkeit und Verträglichkeit, um dem Patienten eine weitere Reduktion des BlutPhe-Wertes und eine Beibehaltung der zuvor erreichten PheWerte zu ermöglichen.

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Primärer Endpunkt für die Wirksamkeit war die Veränderung der Blut-Phe-Spiegel zwischen der RDT-Baseline und Woche 8 der Absetzprüfung (RDT). Sowohl in der 20 mg/Tag-Gruppe als auch in der 40 mg/Tag-Gruppe verringerte sich die mittlere Blut-Phe-Konzentration im Vergleich zum Ausgangswert. Bei den mit Pegvaliase behandelten Patienten blieb die Reduktion des Blut-Phe-Wertes erhalten, während die Spiegel in der © VERLAG PERFUSION GMBH


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Abbildung 3: Mittelwert der gepoolten Blut-Phe-Spiegel der in den PRISM-Studien mit Pegvaliase behandelten Patienten im Zeitverlauf [11]. Baseline

Monat 12

Monat 18

Monat 24

Monat 36

Blut-Phe-Konzentration Anzahl der Patienten

261

164

125

90

48

Mittlere Blut-Phe-Konzentration (µmol/l)

1.233 ± 386

565 ± 531

390 ± 469

345 ± 453

341 ± 465

Mittlere Veränderung gegenüber Baseline (µmol/l)

−662 ± 558

–883 ± 565

−873 ± 566

−956 ± 536

253

178

175

167

97

9,8 ± 6,1

5 ± 4,9

4,6 ± 4,7

4,2 ± 4,6

3,7 ± 5

n = 172 −4,7 ± 5,6

n = 168 −5,3 ± 5,9

n = 160 −5,9 ± 6,1

n = 92 −6,7 ± 6,4

ADHS-Subskala Unaufmerksamkeit Anzahl der Patienten Mittlerer Punktwert für Unaufmerksamkeit Mittlere Veränderung gegenüber Baseline

Tabelle 1: Wirksamkeitsergebnisse im Verlauf des Phase-III-Studienprogramms PRISM bei den mit Pegvaliase behandelten Patienten im Vergleich zum Ausgangswert [11].

Placebo-Gruppe nach 8 Wochen wieder auf die vor der Behandlung gemessenen Baseline-Werte anstiegen (Abb. 2) [12, 13]. Als einer der sekundären Endpunkte wurde die Veränderung des Konzentrationsvermögens definiert, beurteilt mithilfe der der Subskala für Unaufmerksamkeit der „Attention Deficient Hyperactivity Disorder Rating Scale“ (ADHS RS-IV UAS). Die Punktwerte dieser Skala reichen von 0 bis 27, wobei höhere Werte für einen höheren Behin-

derungsgrad stehen und ein Wert unter 9 bedeutet, dass der Patient asymptomatisch ist, sein Wert also im Normalbereich liegt. Bei Studienteilnehmern mit einem ADHS RS-IV UAS Ausgangswert >9 betrugen die Mittelwertänderungen zwischen der gepoolten Pegvaliase-Gruppe und der 20 mg/Tagbzw. 40 mg/Tag-Placebogruppe 4,7 (95% KI: –0,19 bis 9,5; p = 0,06) bzw. 2,8 (95%-KI: –2,0 bis 7,5; p = 0,24) vom Beginn der RDT bis zur RDT-Woche 8 [12, 13].

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Zusammenfassung der Ergebnisse aus PRISM-1 und PRISM-2 Phenylalaninwerte im Zeitverlauf Im Phase-III-Studienprogramm wur­den die mittleren Phe-Werte im Blut unter der Pegvaliase-Therapie gegenüber dem Ausgangswert von 1233 μmol/l auf 565 μmol/l nach 12 Monaten (n = 164) gesenkt. Nach 24 Monaten betrug die PHE-Konzentration im Mittel 345 μmol/l (n = 90) (Abb. 3, Tab.1). © VERLAG PERFUSION GMBH


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Abbildung 4: In der PRISM-Studie war die Senkung der Blut-Phe-Werte unter der Therapie mit Pegvaliase assoziiert mit einer Verbesserung des Aufmerksamkeitsscores (gemessen mit dem ADHS-RS IV UAS) [11].

Die Reduktion der mittleren BlutPhe-Werte blieb bis Monat 36 (341 µmol/l; n = 48) erhalten (Abb. 3, Tab. 1) [11]. Von 253 Patienten, deren BlutPhe-Werte bei Baseline in Studie 301 unzureichend eingestellt waren (Wert >600 µmol/l), erreichten • 54 %, 69 % und 72 % nach 12, 24 bzw. 36 Monaten einen BlutPhe-Wert von ≤600 µmol/l und • 44 %, 62 % und 66 % nach 12, 24 bzw. 36 Monaten einen BlutPhe-Wert von ≤360 µmol/l [11].

renz für Erwachsene mit ADHS, die als Reduktion um mindestens 5,2 definiert ist (Tab. 1). Die Analyse der Veränderung gegenüber dem Ausgangswert zeigte, dass die 53 Studienteilnehmer mit der größten Senkung des Blut-PheWertes (–2143 ± 1134,5) auch die größte Abnahme des ADHS RS-IV UAS-Wertes aufwiesen: Sie verzeichneten eine mittlere Abnahme von 7,5 ± 5,6 Punkten [11].

ADHS-Unaufmerksamkeit

Jeder Studienteilnehmer berichtete während der PRISM-Studien über mindestens eine Nebenwirkung, die in Zusammenhang mit dem Studienmedikament stand. Die am häufigsten aufgetretenen unerwünschten Ereignisse waren Reaktionen an der Injektionsstelle (93 %), Arthralgie (85 %) und Überempfindlichkeitsreaktionen (75 %). Zu den klinisch bedeutsamsten Überempfindlichkeitsreaktionen gehörten akute systemi-

Die Senkung des Phe-Blutspiegels ging mit einer Verbesserung des Ergebnisses in der ADHS-Unaufmerksamkeits-Subskala einher: Der mittlere Punktwert gegenüber dem Ausgangswert von 9,8 sank in Monat 12 auf 5, in Monat 18 auf 4,6, in Monat 24 auf 4,2 und in Monat 36 auf 3,7 (Abb. 4). Die Senkung lag dabei über der minimalen klinisch relevanten Diffe-

Sicherheit

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sche Überempfindlichkeitsreaktion (6 %), Angioödem (7 %) und Serumkrankheit (2 %). Die meisten Hypersensibilitätsnebenwirkungen (87 %) waren in weniger als 14 Tagen abgeklungen. Alle Studienteilnehmer entwickelten Antikörper gegen das aus einem Bakterium gewonnene Enzym Pegvaliase. Die Titer erreichten ihren Höchstwert 2 Wochen nach der ersten Verabreichung von Pegvaliase und blieben während der Langzeitbehandlung (mehr als 1 Jahr nach Beginn der Behandlung) zwar erhöht, aber stabil, d.h., Dosissteigerungen führten nicht zu einem Anstieg des Antikörpertiters [11]. Nebenwirkungen traten am häufigsten während der Induktionsund Titrationsphase (Zeitraum vor dem Erreichen von Phe-Blutspiegeln <600 µmol/l bei Anwendung einer stabilen Dosis) auf, was mit dem Zeitraum übereinstimmte, in dem die Titer von IgM- und AntiPEG-Antikörpern am höchsten waren. Mit zunehmender Reife der © VERLAG PERFUSION GMBH


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ÜBERSICHTSARBEIT

Literatur

Abbildung 5: Unter der Therapie mit Pegvaliase müssen die Patienten ihre Ernährung nicht einschränken. Nur ist in der Induktions- und Titrationsphase auf eine gleichbleibende Phe-Zufuhr zu achten. Wie die Ergebnisse der PRISM-Studie zeigen, kann danach „normales“ Nahrungseiweiß aufgenommen werden, ohne dass sich das auf den Phe-Spiegel gravierend auswirkt [11].

Immunreaktion nahm die Häufigkeit ab. Die Ereignisrate pro Person und Jahr betrug in der frühen Behandlungsphase 15,6 und sank auf 1,2 in der späten Behandlungsphase (>36 Monate) [11]. Fazit für die Praxis

Patienten mit Phenylketonurie mussten bislang eine strikte Phefreie Diät einhalten, um ihren PheBlutspiegel und damit die schwerwiegenden Auswirkungen dieses Stoffwechseldefekts so niedrig wie möglich zu halten. Mit Pegvaliase, einer pegylierten rekombinanten Phenylalanin-Ammoniak-Lyase, steht nun eine neue Option zur Verfügung, mit der sich die der PKU zugrunde liegende Ursache behandeln lässt: Unter der Enzymsubstitution konnte bei 51,2 % der Patienten nach 24 Monaten der Phe-Blutspiegel auf ≤120 µmol/l gesenkt werden, was dem Wert gesunder Erwachsener entspricht [1]. Während der Therapie mussten die Patienten ihre Ernährung nicht ein-

schränken – die Aufnahme „normaler“ Nahrungsproteine nahm im Verlauf der Behandlung sogar zu, ohne dass dies den Therapieerfolg beeinträchtigte (Abb. 5) [11]. Da Pegvaliase in den PRISM-Studien ein überschaubares Sicherheitsprofil zeigte, können viele PKU-Patienten von der Pegvaliase-Therapie profitieren, die ihnen eine normale Nahrungsaufnahme ermöglicht und sie gleichzeitig vor einer Verschlechterung der Symptome schützt. Pegvaliase (Palynziq®) ist zugelassen für die Behandlung von Patienten mit PKU ab 16 Jahren, deren Phe-Blutspiegel trotz vorangegangener Behandlung mit den verfügbaren Optionen unzureichend kontrolliert ist, d.h. über 600 µmol/l liegt. Der Wirkstoff wird subkutan injiziert, dafür stehen Fertigspritzen mit 2,5 mg, 10 mg und 20 mg Pegvaliase zur Verfügung. Nach Erreichen der Erhaltungsdosis und eingehender Anleitung durch den Arzt können sich die Patienten den Wirkstoff selbst applizieren [11].

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1 van Spronsen FJ, van Wegberg AM, Ahring K et al. Key European guidelines for the diagnosis and management of patients with phenylketonuria. Lancet Diabetes Endocrinol 2017;5:743-756 2 Mütze U, Arélin M, Beblo S. Klassische Phenylketonurie und Tetrahydrobiopterin (BH4)-responsive Hyperphenylalaninämie. Kinder- und Jugendmed 2011;5:243-250 3 Kalsner LR, Rohr FJ, Strauss KA et al. Tyrosine supplementation in phenylketon­ uria: diurnal blood tyrosine levels and presumptive brain influx of tyrosine and other large neutral amino acids. J Pediatr 2001;139:421-427 4 Surtees R, Blau N. The neurochemistry of phenylketonuria. Eur J Pediatr 2000;159: S109-S113 5 Feillet F, van Spronsen FJ, MacDonald A et al. Challenges and pitfalls in the management of phenylketonuria. Pediatrics 2010;126:333-341 6 Smith I, Beasley MG, Ades AE. Effect on intelligence of relaxing the low phenylalanine diet in phenylketonuria. Arch Dis Child 1990;65:311-316 7 Kaufman S, Berlow S, Summer GK et al. Hyperphenylalaninemia due to a deficiency of biopterin. A variant form of phenylketonuria. N Engl J Med 1978;299:673-679 8 Blau N, Hennermann JB, Langenbeck U et al. Diagnosis, classification, and genetics of phenylketonuria and tetrahydrobiopterin (BH4) deficiencies. Mol Genet Metab 2011;104 (Suppl.): S2-S9 9 Viau KS, Wengreen HJ, Ernst SL et al. Correlation of age-specific phenylalanine levels with intellectual outcome in patients with phenylketonuria. J Inherit Metab Dis 2011;34:963-971 10 Levy HL, Milanowski A, Chakrapani A et al. Efficacy of sapropterin dihydrochloride (tetrahydrobiopterin, 6R-BH4) for reduction of phenylalanine concentration in patients with phenylketonuria: a phase III randomised placebo-controlled study. Lancet 2007;370:504-510 11 Palynziq® Produktinformation, BioMarin Pharamceuticals 12 Thomas J, Levy H, Amato S et al. Pegvaliase for the treatment of phenylketonuria: Results of a long-term phase 3 clinical trial program (PRISM). Mol Genet Metab 2018;124:27-38 13 Harding CO, Amato RS, Stuy M et al. Pegvaliase for the treatment of phenylketon­ uria: A pivotal, double-blind randomized discontinuation phase 3 clinical trial. Mol Genet Metab 2018;124:20-26

Anschrift der Verfasserin: Brigitte Söllner Medizinjournalistin und wissenschaftliche Lektorin Lärchenweg 10 91058 Erlangen E-Mail: brigitte.soellner@online.de

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

D

ie Ernährung bestimmter Patientengruppen, wie Intensivpatienten (kritisch Kranken), chirurgischen Patienten, Patienten, die sich in der stationären Nachbehandlung befinden, und – oft langfristig – bei onkologischen Patienten gestaltet sich häufig schwierig. Wenn eine orale oder enterale Ernährung nicht möglich, unzureichend oder kontraindiziert ist, sollte deshalb eine parenterale Ernährungstherapie (PN) zum Einsatz kommen [1]. Hierbei ist auf die Auswahl einer geeigneten Nährstofflösung zu achten, die auf die speziellen Bedürfnisse dieser Patientengruppen zugeschnitten ist. Dabei sollte insbesondere eine an die individuelle metabolische Toleranz angepasste Kalorien- bzw. Aminosäurenzufuhr berücksichtigt, aber auch auf ein adäquates Energie/ProteinVerhältnis sowie eine ausreichend hohe Aminosäurenversorgung geachtet werden [2]. Dies wird nun durch eine neue Therapieoption erleichtert: Olimel 7,6 % Emulsion zur Infusion kombiniert die höchste in Dreikammerbeuteln verfügbare Aminosäurenkonzentration von 76 g/l mit einem zugleich niedrigen Glukosegehalt in minimiertem Volumen. Olimel 7,6 % wird in einem Dreikammerbeutel geliefert. Jeder Beutel enthält eine Glukoselösung mit Kalzium, die auf Olivenöl basierte Lipidemulsion ClinOleic und eine Aminosäurenlösung mit anderen Elektrolyten (Tab. 1). Olimel 7,6 % ist konzipiert für die bedarfsgerechte

Parenterale Ernährung von Patienten mit hohem Aminosäurenbedarf

Ernährung kritisch kranker Patienten mit hohem Proteinbedarf und dem Risiko einer Überladung mit Energie und Flüssigkeit [3]. Besondere Ernährungs­bedürfnisse kritisch Kranker

Durch Sepsis, körperliches Trauma oder andere Formen schwerer Gewebeschädigungen kann es zu einer katabolen Stressreaktion, dem Postaggressionssyndrom, kommen. In dieser Situation ist es entscheidend, an die aktuelle Stoffwechsellage (Akutphase/ Postakutphase) adaptierte Nährstoffe – insbesondere Aminosäuren – zuzuführen, um eine Erschöpfung der Proteinspeicher (Muskelabbau) zu vermeiden [4]. Dies gelingt jedoch nicht immer durch ausschließlich enterale Ernährung. Da die enterale Ernährungstherapie häufig unterbrochen werden muss, werden in der Praxis oft nur weniger als 60 % der empfohlenen Ernährungsziele erreicht.

Eine supplementierende parenterale Ernährung sollte daher frühzeitig in Betracht gezogen werden, denn Proteinmangel und der Verlust an fettfreier Körpermasse können zu einer längeren Beatmungs- und Klinikverweildauer, höheren Kosten, einer schlechteren Wundheilung und Muskelschwäche führen [5, 6]. Dabei sollten auch Nährstofflösungen mit ausreichendem Aminosäurengehalt appliziert werden. Da eine Hyperglykämie bei Intensivpatienten zu einem Anstieg des Infektionsrisikos und der Mortalität führt, ist auf das Verhältnis von Aminosäuren- zur Glukosezufuhr zu achten, um das Risiko einer Hyperglykämie zu minimieren [7]. Auch die aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) [1], der European Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) [8] und der American Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ASPEN) [9] betonen die Bedeutung einer ausreichenden Aminosäurenversorgung kriInhalt pro Beutel

Zusammensetzung

650 ml

1000 ml

1500 ml

2000 ml

27,5 % Glukoselösung (entspricht 27,5 g/100 ml)

173 ml

267 ml

400 ml

533 ml

14,2 % Aminosäurenlösung (entspricht 14,2 g/100 ml)

347 ml

533 ml

800 ml

1067 ml

17,5 % Lipidemulsion (entspricht 17,5 g/100 ml)

130 ml

200 ml

300 ml

400 ml

Tabelle 1: Qualitative und quantitative Zusammensetzung von Olimel 7,6 % Emulsion zur Infusion [3]. JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 4/2019 · 28. JAHRGANG

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Olimel 7,6 % Emulsion zur Infusion

DECKT DEN ERHÖHTEN AMINOSÄURENBEDARF BEI MINIMIERTER VOLUMENZUFUHR

Mit einem Aminosäurengehalt von 76 g/l kombiniert Olimel 7,6 % den höchsten Aminosäuren- mit dem niedrigsten Glukosegehalt und minimierter Volumenzufuhr.

MIIMIERT DAS HYPERGLYKÄMIE-RISIKO

Mit nur 73 g Glukose pro Liter ist Olimel 7,6 % der DreikammerBeutel mit dem niedrigsten Glukosegehalt pro Gramm Aminosäuren.

ERHÄLT DIE IMMUNFUNKTION

Olimel 7,6 % enthält ClinOleic, die Lipidemulsion auf Olivenölbasis. Diese ist mit weniger Infektionen assoziiert und erhält die Immunfunktion.

Indiziert ist Olimel 7,6 % zur parenteralen Ernährung bei Erwachsenen und Kindern über 2 Jahren, wenn eine orale oder enterale Ernährung nicht möglich, unzureichend oder kontraindiziert ist.

Fachgesellschaft

Body Mass Index (BMI) [kg/m2]

Aminosäurenzufuhr – phasenabhängig [g/kg KG/d]

normalgewichtige Patienten (BMI <30)

0,75 – 1,6

adipöse Patienten (BMI ≥30)

1,4 – 1,8*

ESPEN

nicht angegeben

steigend bis auf 1,3

ASPEN

normalgewichtige Patienten (BMI <30)

1,2 – 2,0

adipöse Patienten (BMI ≥30)

≥2,0*

extrem adipöse Patienten (BMI ≥40)

≥2,5*

DGEM

Tabelle 2: Leitlinienempfehlungen zur Aminosäurenzufuhr bei kritisch kranken Patienten [1, 8, 9]. * Bezogen auf das Idealgewicht.

tisch Kranker (Tab. 2). Die neue deutsche Leitlinie zur Ernährung in der Intensivmedizin empfiehlt eine phasenabhängige Steigerung der Aminosäurenzufuhr [1]. Allerdings gestaltete es sich bislang als schwierig, das von den Leitlinien empfohlene Proteinziel ohne eine zusätzliche Flüssigkeitsüberladung – eine häufige Ursache postoperativer Mortalität – zu erreichen. Diese therapeutische Lücke wird durch den neuen Dreikammerbeutel von Baxter geschlossen, der auch in dem neuen Beutelformat von 650 ml verfügbar ist.

Onkologische Patienten sind häufig mangelernährt

Obwohl eine optimale Versorgung mit Nährstoffen bei Krebspatienten von zentraler Bedeutung für die Prognose ist, aber viele onkologische Patienten nicht in ausreichendem Maße essen oder enteral ernährt werden können, wird eine medizinische Ernährungstherapie in Form von parenteraler Ernährung häufig gar nicht oder wenn, dann erst zu spät eingesetzt. Eine Mangelernährung ist daher oft die Folge, so z.B. bei 67 % der Pankreas- und 60 % der Magen/Öso-

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phaguskarzinom-Patienten [10, 11]. Ein Gewichtsverlust wirkt sich bei Tumorpatienten nicht nur auf die Lebensqualität, sondern auch auf den Therapieerfolg negativ aus. Da dieser entscheidend von einem funktionierenden Immunsystem abhängt, sollte die parenterale Ernährungstherapie rechtzeitig erfolgen, damit auch für den Erhalt der körpereigenen Immunabwehr ausreichend Nährstoffe und funktionelle Bausteine für die stoffwechselintensiven Prozesse bereitgestellt werden. Über den Erhalt der Immunkompetenz kann die parenterale Ernäh© VERLAG PERFUSION GMBH


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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

rung eine auf der körpereigenen Abwehr aufbauende Immuntherapie unterstützen [12]. Dabei spielt die Zusammensetzung der verabreichten Lipidemulsion eine wichtige Rolle: Während Sojabohnenöl immunsuppressiv wirken kann, sind Nährlösungen auf Olivenölbasis mit weniger Infektionen assoziiert und erhalten die Immunfunktion [12, 13]. Olimel 7,6 % weist aufgrund seiner Fettsäurenzusammensetzung – hoher Gehalt an der einfach ungesättigten Ölsäure und niedriger Gehalt an gesättigten und n-6-Fettsäuren – ein niedriges proinflammatorisches und immunsuppressives Risiko auf [3].

Cemiplimab zur Behandlung des fortgeschrittenen kutanen Plattenepithelkarzinoms zugelassen Die Europäische Kommission hat Cemiplimab (Libtayo®) zur Behandlung erwachsener Patienten mit metastasiertem oder lokal fortgeschrittenem kutanem Plattenepithelkarzinom (cSCC), die nicht für eine kurative Operation oder kurative Bestrahlung in Betracht kommen, eine bedingte Marktzulassung erteilt. Cemiplimab ist ein vollständig humaner monoklonaler Antikörper gegen den Immun-CheckpointRezeptor PD-1 (programmed cell death protein-1) und die einzige Therapie, die in der Europäischen Union (EU) für das fortgeschrittene cSCC zugelassen ist. Die empfohlene Dosis von Cemiplimab beträgt 350  mg alle 3 Wochen, verabreicht als intravenöse Infusion über 30 Minuten. Die Behand-

Fazit

Mit dem neuen Dreikammerbeutel Olimel 7,6 % erweitert Baxter sein Portfolio. Die damit mögliche bedarfs- und phasengerechte par­ enterale Ernährung von Intensivund onkologischen Patienten kann den Heilungsprozess zu unterstützen, da Olimel 7,6 % den erhöhten Aminosäurenbedarf bei minimierter Volumenzufuhr deckt, aufgrund seines niedrigen Glukosegehalts pro Gramm Aminosäuren das Hyperglykämierisiko minimiert und mit einer auf Olivenöl basierten Lipidemulsion zum Erhalt der Immunfunktion beitragen kann. Brigitte Söllner, Erlangen

lung kann bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder bis zu einer inakzeptablen Toxizität fortgesetzt werden. Das cSCC ist einer der am häufigsten diagnostizierten Hautkrebsarten weltweit. Schätzungen zufolge nimmt seine Inzidenz in einigen europäischen Ländern erheblich zu. Obwohl die überwiegende Mehrzahl der Patienten mit cSCC eine gute Prognose hat, wenn die Erkrankung frühzeitig entdeckt wird, ist dieser Krebs in fortgeschrittenen Stadien oft besonders schwierig zu behandeln. Patienten mit fortgeschrittenem cSCC haben eine Lebenserwartung von etwa einem Jahr. Die Zulassung durch die Europäische Kommission basiert auf Daten aus der offenen, multizentrischen, nicht randomisierten Phase-II-Schlüsselstudie EMPOWERCSCC-1 (Studie 1540) und wird durch 2 Expansionskohorten mit fortgeschrittenen cSCC-Patienten aus einer multizentrischen, offe-

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Literatur

1 Elke G et al. Aktuel Ernährungsmed 2018;43:341-408 2 Singer P et al. Clin Nutrition 2018. doi. org/10.1016/j.clnu.2018.08.037 3 Fachinformation Olimel 7,6% und Olimel 7,6% E; Stand: Mai 2019 4 Hoffer LJ et al. F1000 Research 2016;5: 2531-2541 5 Elke G et al. Crit Care 2014;18:R29 6 Nicolo M et al. J Parenter Enteral Nutr 2016;40:45-51 7 Van den Berghe G et al. Diabetes 2006; 55:3151-315915 8 Singer P et al. Clin Nutrition 2019;38:4879 9 McClave SA et al. J Parenter Enteral Nutr 2016;40:159-211 10 Hebuterne X et al. J Parenter Enteral Nutr 2014;38:196-204 11 Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie. Ernährungs Umschau 2016;63:43-47 12 Calder PC et al. Intensive Care Med 2010; 36:735-749 13 Cai W et al. Nutrients 15. Juni 2018; 10(6)

nen, nicht randomisierten PhaseI-Studie (Studie 1423) gestützt. Diese Studien liefern den größten prospektiven klinischen Datensatz, der eine systemische Therapie bei Patienten mit fortgeschrittenem cSCC untersucht. Die bedingte Marktzulassung erfolgt in Anerkennung der extrem hohen unerfüllten Therapiebedürfnisse bei Patienten mit fortgeschrittenem cSCC. Im Rahmen dieser bedingten Zulassung werden Sanofi und Regeneron eine neue Patientengruppe in EMPOWER-CSCC-1 aufnehmen, um das Nutzen-Risiko-Profil von Cemiplimab weiter zu untersuchen und die Ergebnisse der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) mitteilen. Wie bei bedingten Zulassungen üblich, überprüft die EMA mindestens einmal jährlich neue Informationen und aktualisiert bei Bedarf die Produktkennzeichnung. F. S.

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Chronische spontane Urtikaria: (Fast) völlige Beschwerdefreiheit dank Omalizumab

J

ucken, Schmerzen, Hautnesseln (Quaddeln) und urtikarische Ödeme über viele Jahre hinweg: Eine chronische spontane Urtikaria (csU) kann die Betroffenen sehr viel länger belasten als bisher angenommen: Über die Hälfte (57 %) der therapierefraktären Patienten leidet mehr als ein Jahr unter der csU, fast jeder Fünfte (18 %) ist sogar mehr als 8 Jahre von der Erkrankung betroffen [1]. Unabhängig von der Erkrankungsdauer ist bei einem Großteil der Patienten die csU zudem immer wieder aktiv und unzureichend kontrolliert. Eine permanent inaktive csU erreicht derzeit nur eine Minderheit der Betroffenen. Für viele bleibt die Erkrankung unberechenbar. Die juckenden, schmerzenden Hautnesseln und Schwellungen, die ohne erkennbaren Grund auftreten, belasten die Patienten oftmals schwer. Schlafstörungen, Depressionen und Angstzustände können die Folge sein. Zwei Drittel (67 %) der Betroffenen fürchten sich vor lebensbedrohlichen Ödemen, die zum Ersticken führen können [2]. Die schwerwiegenden Symptome gefährden nicht nur die aktive Teilhabe am Leben, sondern ebenso die Arbeitsfähigkeit und die Produktivität der Betroffenen: Über ein Viertel (27 %) der Patienten fehlt bei der Arbeit aufgrund

ihrer csU doppelt so häufig wie die Allgemeinbevölkerung [3]. Behandlung nach einem 4-Stufen-Schema

Heute wird die csU als Autoimmunerkrankung verstanden, bei der Immunglobulin E (IgE) im Wechsel zwischen aktiven und inaktiven Phasen die Mastzellen ohne erkennbaren Grund aktiviert und Histamin ins Gewebe treibt [4, 5, 6]. Das Identifizieren und Vermeiden von Modulatoren führt daher nur selten zur Beschwerdefreiheit, sodass eine symptomatische Therapie notwendig ist. Die aktuellen Leitlinien sehen dabei ein 4-Stufen-Schema vor, um Patienten von Jucken, Schmerzen und Beschwerden zu befreien. Tritt auch unter vierfacher Dosierung von H1-Antihistaminika (off-label) keine Besserung ein, ist die zusätzliche Therapie mit Omalizumab (Xolair®) indiziert [7]. Omalizumab senkt Menge an freiem IgE

Seit 2014 ist Omalizumab bei Patienten mit csU ab 12 Jahren zugelassen, die trotz Einnahme von H1-Antihistaminika weiterhin unter der Erkrankung leiden. Der

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humanisierte monoklonale Antikörper bindet an das Urtikariatreibende IgE und senkt die Menge an freiem IgE sowie die dadurch bedingten Effekte auf die zellulären Aktivierungsmechanismen. Damit unterdrückt es die durch Histamin induzierten Hautreaktionen und tieferen Schwellungen. Im Gegensatz zu konventionellen Antihistaminika wirkt es damit nicht reaktiv, sondern proaktiv auf den zentralen Pathomechanismus der csU [8]. Signifikante Symptomkontrolle

In der XTEND-Studie waren bereits nach 4 Wochen 38,2 % der Patienten fast und 17,6 % der Patienten vollständig beschwerdefrei [9]. Bis Woche 24 stieg dieser Anteil auf 73,0 % bzw. 52,0 % an, der UCT-Wert (Urtikariakontrolltest) von 12,1 spiegelt dies als gute Therapiekontrolle wider. Der wöchentliche Urtikaria-Aktivität-Score (UAS7) verringerte sich im Mittel um 80 % [9]. Die Lebensqualität gemessen anhand des Dermatology Life Quality Index (DLQI) verbesserte sich unter der Therapie erheblich, Schlafstörungen gemessen am Insomnia Severity Index (ISI) konnten mit Omalizumab deutlich reduziert werden [10]. 80 % der Patienten © VERLAG PERFUSION GMBH


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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

erzielten nach 48 Wochen eine Krankheitskontrolle gemäß des Urtikariakontrolltests (UCT) [10]. Daten der X-ACT-Studie zeigten zudem, dass die Behandlung mit Omalizumab die Zahl der ödemfreien Tage pro Woche verdreifachte und die Schwere der Schwellungen reduzierte. Die Patienten litten nach 28-wöchiger Therapie mit Omalizumab weniger häufig unter Angst vor Erstickung oder vor lebensbedrohlichen urtikarischen Ödemen [2]. Omalizumab reduzierte zudem die Wahrscheinlichkeit von Depressionen [2]. Selbst subkutan applizieren

Im Dezember 2018 erhielt Omalizumab die Zulassung zur Selbst­ applikation und ermöglicht den Patienten damit eine flexiblere Behandlung. Bei csU werden alle 4 Wochen jeweils 2 Injektionen zu 150 mg subkutan appliziert [8]. Fabian Sandner, Nürnberg

Literatur 1 Maurer M et al. EAACI 2018. Abstract #814 2 Staubach P et al. Allergy 2018;73:576-584 3 Techniker Krankenkasse. Gesundheitsreport 2017 4 Kolkhir P et al. J Allergy Clin Immunol 2017;139:1772-81.e1 5 Wernersson S et al. Nat Rev Immunol 2014 14:478-494 6 Maurer M et al. Ärztl J Dermatol 2018; 2:2-4 7 Zuberbier T et al. Allergy 2018;73:13931414 8 Casale TB et al. J Am Acad Dermatol 2018;78:793-795 9 Maurer M et al. J Allergy Clin Immunol 2018;141:1138-1139.e7 10 Maurer M et al. Allergy 2011;66:317-330

Multiple Sklerose: Mit Fertigpen die Therapietreue verbessern

D

ank jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung in der Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) steht heute eine Vielzahl an Therapieoptionen zur Verfügung. Doch noch immer bleibt eine der zentralen Fragen: Wie gelingt es, dass der Patient seiner MSTherapie langfristig treu bleibt? Non-Adhärenz und ihre Folgen

In der Literatur wird oft bereits eine gute Therapietreue angenommen, wenn mindestens 80 % der verordneten Dosen verabreicht werden [1, 2], wobei das Messen der Adhärenz im Alltag eine Herausforderung darstellt. Wie das „Global Adherence Project” zeigte, ist ein Viertel der spritzenden MS-Patienten non-adhärent [3]. Als zentraler Auslöser für eine mangelhafte Adhärenz in der MS-Therapie werden oft Probleme im Zusammenhang mit Injektionen angesehen – zu Unrecht, denn bei bis zu 2 Dritteln der MS-Patienten hat die Non-Adhärenz andere Gründe [4], wobei am häufigsten das Vergessen der Medikation genannt wird [5], insbesondere wenn bei den Patienten kognitive Beeinträchtigungen und depressive Störungen vorliegen. Aber auch Nebenwirkungen der Therapie können die Adhärenz negativ beeinflussen.

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Eine unzureichende oder fehlende Adhärenz wirkt sich negativ auf die Wirksamkeit der Therapie aus, was wiederum oftmals in einen Teufelskreis mündet. Mögliche Folgen sind häufigere Schübe, eine raschere Behinderungsprogression und damit auch höhere Krankheitskosten [6]. Begünstigt durch die anhaltende Krankheitsaktivität kann es zu einer schleichenden Progression der MS kommen – ohne dass es der Patient sofort spürt. Glatirameracetat – ein bewährter Bestandteil der MS-Basistherapie

Der Immunmodulator Glatiramer­ acetat (GA, Copaxone®) hat sich seit über 15 Jahren in der RealLife-Therapie der schubförmigen MS bewährt und gibt dem Anwender auch in der Langzeitbehandlung Sicherheit – die Erfahrungen aus über 2 Millionen Patientenjahren mit Copaxone® (20 mg GA/ml 1 × täglich subkutan) sind umfangreich dokumentiert [7]. Auch die Daten der CochraneStudie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Immunmodulatoren und Immunsuppressiva bei schubförmig remittierender multipler Sklerose bestätigen die Wirksamkeit und Sicherheit von Glatiramer­ acetat [8]. © VERLAG PERFUSION GMBH


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Placebo (n=461)

a)

COPAXONE® 40 mg/ml 3 x wöchentlich Relatives Risiko (RR) = 0,656 (95 % Konfidenzintervall (KI): 0,539–0,799); relative Risikoreduktion (RRR) = 34 % (n=943) p < 0,0001

Kumulative Anzahl neuer oder größer werdender T2-Läsionen (nach 6 und 12 Monaten)

Jährliche Schubrate

AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Placebo (n=441)

RR = 0,653 (95 % KI: 0,546–0,780); RRR = 34,7 % p < 0,0001

COPAXONE® 40 mg/ml 3 x wöchentlich (n=884)

b)

Abbildung 1: Die Ergebnisse der GALA-Studie belegen die Wirksamkeit von Glatirameracetat (Copaxone®) 40 mg/ml 3 × wöchentlich: Gegenüber Placebo verringerten sich die annualisierte Schubrate (a) und die kumulierte Anzahl neuer/anreichernder T2-Läsionen in den Monaten 6 und 12 (b) [9].

RR=0,50, p=0,0006

Bereinigte mittlere annualisierte Rate injektionsbedingter AEs

Seit 2015 gibt es Copaxone® in einer neuen Formulierung: als Glatirameracetat 40 mg/ml, das 3 × wöchentlich subkutan injiziert werden muss. Die Evidenz, die für die Wirksamkeit dieser Formulierung bei der schubförmigremittierenden MS spricht, stammt aus der 12-monatigen placebokontrollierten GALA-Studie mit 1404 MS-Patienten [9]. Diese hatten in den 2 Jahren vor dem Screening im Median 2,0 Schübe. Per Randomisierung im Verhältnis 2:1 wurden die Studienteilnehmer einer Behandlung mit entweder Glatirameracetat 40 mg/ml (n = 943) oder Placebo (n = 461) zugewiesen. Das primäre Zielkriterium bestand in der Gesamtanzahl bestätigter Schübe. Sekundäre MRT-Zielkriterien umfassten die kumulierte Anzahl neuer/anreichernder T2Läsionen sowie die kumulierte Anzahl anreichernder Läsionen auf T1-gewichteten Bildern, jeweils beurteilt in den Monaten 6 und 12. Im Vergleich zu Placebo zeigten sich bei Patienten, die mit Glatirameracetat 40 mg/ml 3 × wöchentlich behandelt wurden, bedeutende und statistisch signifikante Verminderungen der primären und

COPAXONE® 20 mg/ml täglich (n=101)

COPAXONE® 40 mg/ml 3 x wöchentlich (n=108)

RR = 0,50; 95 % KI: 0,34–0,74; p=0,0006 Anzahl Ereignisse pro Jahr = Anzahl an Events/Therapie mit der Studienmedikation (in Jahren)

Abbildung 2: Unter Copaxone® 40 mg/ml 3 × wöchentlich verringern sich die annualisierten injektionsbedingten Nebenwirkungen gegenüber Copaxone® 20 mg/ml täglich um 50 % [10].

sekundären Zielkriterien: Die annualisierte Schubrate verringerte sich um 34 %, die T2-Läsionen um 35 % (Abb. 1a und b) [9]. Mit der 3 × wöchentlichen 40-mgDosierung konnte darüber hinaus auch die Häufigkeit der Anwendungen und somit die injektionsbedingten Nebenwirkungen reduziert werden. Im Vergleich zu GA 20 mg (1 × täglich) werden durch

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die nur noch 3  × wöchentliche Anwendung 208 Spritzen jährlich eingespart [9]. Zudem tragen rund 60  % weniger Injektionen und 50 % weniger injektionsbedingte Nebenwirkungen [10] unter der 40-mg-Dosierung im Vergleich zur 20-mg-Dosierung zur Zufriedenheit des Patienten bei (Abb. 2). Dies hat wiederum einen positiven Einfluss auf die Adhärenz des Pati© VERLAG PERFUSION GMBH


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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

enten, sodass sich die Therapieabbruchrate verringern lässt [11, 12]. Neuer Fertigpen vereinfacht die Therapie

Seit März 2019 steht den MS-Patienten auch der Copaxone Pen® 40 mg zur Verfügung [13]. Die Vorteile des Fertigpens bestehen in der schnellen Einsatzbereitschaft sowie in der einfachen Handhabung, die jedem MS-Patienten eine diskrete und flexible Anwendung in allen Lebenssituationen erlaubt. Die Injektion erfolgt durch das Aufsetzen des Injektors auf die Haut ohne Betätigung eines Auslöseknopfes. Durch die verdeckte Nadel wird eine sichere Handhabung gewährleistet. Zwei akustische Klicks bestätigen den Anfang

Teva erwirkt einstweilige Verfügung gegen GlatirameracetatNachfolgeprodukt Der Patentschutz von Copaxone® 40 mg/ml, das zur Behandlung der Multiplen Sklerose eingesetzt wird, wurde Ende März in einer erstinstanzlichen Entscheidung des Europäischen Patentamts in leicht geänderter Form für rechtsbeständig erachtet und aufrechterhalten. In der aufrechterhaltenen Fassung schützt das Patent EP 2 949 335 unter anderem die 3 × wöchentliche subkutane Injektion von

und das Ende der Injektion und eine sichtbare Verfärbung des Displays auf dem Pen signalisiert dem Patienten anschließend die abgeschlossene Injektion. Der Fertigpen ist bereits mit einer Einzeldosis von 1 ml Glatirameracetat 40 mg vorgefüllt und sofort einsatzbereit. Der Wirkstoff wird 3 × wöchentlich an jeweils wechselnden Körperstellen injiziert. Kompliziertes Hantieren mit Nadeln und Spritzen ist damit künftig kein Grund mehr, eine Medikamentengabe auszulassen. Mit dem Copaxone Pen® 40 mg lässt sich die MS-Therapie jetzt noch besser in den Alltag integrieren – eine wichtige Voraussetzung dafür, die Adhärenz der Patienten langfristig zu verbessern. Fabian Sandner, Nürnberg

Literatur 1 Kozma CM et al. Patient Prefer Adherence 2013;7:509-516 2 Karve S et al. Curr Med Res Opin 2009; 25:2303-2310 3 Devonshire V et al. Eur J Neurol 2011; 18:69-77 4 Treadaway K et al. J Neurol 2009;256: 568-576 5 Bayas A et al. Expert Opin Drug Deliv 2015;12:1239-1250 6 Patti F. Patient Prefer Adherence 2010;4:1-9 7 Ziemssen T et al. Expert Opin Drug Saf 2017;16:247-255 8 Tramacere I et al. Cochrane Database Syst Rev 2015;9 9 Khan O et al. Ann Neurol 2013;73:705713 10 Wolinsky JS et al. Mult Scler Relat Disord 2015;4:370-376 11 Halpern R et al. Presented at International Society for Pharmacoeconomics and Outcomes Research (IPSOR) 18th Annual European Congress. Milan, Italy. 7–11 November 2015. Poster PND 100 12 Trenz H et al. Presented at The American Academy of Neurology 2017 Annual Meeting. Boston, Massachusetts, USA. 22–28 April 2017. Poster P366 13 Fachinformation COPAXONE PEN® 40 mg Injektionslösung im Fertigpen; Stand: Februar 2019

40 mg/ml Glatirameracetat für die Behandlung der RMS. Inzwischen liegt eine erstinstanzliche einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf vor, in der dem Pharmaunternehmen Mylan dura GmbH bis auf Weiteres untersagt wird, sein Produkt Clift® 40 mg/ml Injektionslösung in einer Fertigspritze, eine Nachfolge-Version des Moleküls Glatirameracetat 40 mg/ml 3 × wöchentlich, in Deutschland zu vertreiben. Copaxone® 40 mg/ml mit dem Wirkstoff Glatirameracetat ist ein hoch komplexes Molekül, das sich vor allem durch den spezifischen

Produktionsprozess definiert. Glatirameracetat gehört zur Gruppe der NBCDs (Non Biological Complex Drugs). Für die behandelnden Ärzte steht mit dem neuen innovativen Copaxone Pen® 40 mg/ml seit Kurzem eine moderne und gleichzeitig auch wirtschaftliche Therapieoption zur Verfügung. Bei Rückfragen bezüglich einer Therapieumstellung von Patienten mit dem Glatirameracetat 40 mg/ml Nachfolgeprodukt wenden Sie sich bitte an Tevas medizinischen Informationsdienst: medinfo.specialty.DE@teva.de. F. S.

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

B

ei einer Hypoglykämie handelt es sich um einen Abfall der Glukosekonzentration im Blut, der die Funktionsfähigkeit unserer Körperzellen beeinträchtigt. Dies betrifft vor allem die Gehirnzellen, die einen besonders hohen Glukosebedarf haben und im Gegensatz zu anderen Zellen vorrangig diese Energiequelle nutzen. Deswegen werden vom Gehirn auch frühzeitig Alarmsignale in Form von typischen Unterzuckerungssymptomen ausgesendet, wenn der Blutzucker sinkt. Betroffen von Unterzuckerungen sind in erster Linie Menschen mit Typ1-Diabetes, aber auch mit Insulin oder Sulfonylharnstoff behandelte Patienten mit Typ-2-Diabetes. Hypoglykämien sind bei diesen Patienten somit in der Regel die Folge einer absolut oder relativ zu hohen Insulinmenge im Blut [1, 2]. Biochemisch und klinisch unterscheiden die Empfehlungen der American Diabetes Society 3 Schweregrade der Hypoglykämie [3]: • Glukose-Alarmwert: Ab einer Blutglukosekonzentration von ≤3,9 mmol/l (≤70 mg/dl) • Klinisch relevante Hypoglyk­ ämie: Ab einem Wert von <3,0 mmol/l (<54 mg/dl) • Schwere Hypoglykämie: Schwere Bewusstseinsstörung, die Hilfe anderer Personen erfordert Mehr auf die Praxis ausgerichtet ist die Leitlinie der Deutschen Diabetesgesellschaft zum Typ-1-Diabetes. Sie unterscheidet klinisch zwischen milden Formen, die der Patient selbst durch Zufuhr von Kohlenhydraten behandeln kann, und schweren Hypoglykämien, die Fremdhilfe notwendig machen [1]. Das Risiko für schwere Hypoglyk­ ämien ist bei Menschen mit Typ1-Diabetes höher als bei Menschen

Hypoglykämien erkennen und behandeln

mit Typ-2-Diabetes, wegen der stetig wachsenden Patientenzahlen ist die schwere Unterzuckerung aber auch beim Typ-2-Diabetes ein relevantes Problem. Ihre Inzidenz liegt bei Typ-1-Diabetikern bei 0,02 – 3,4 Ereignissen pro Jahr und bei Typ-2 Diabetikern bei 0,01 – 1,3 Ereignissen pro Jahr [1, 4]. Alarm im Körper

Der Organismus versucht sich durch verschiedene Reaktionen vor einer drohenden Unterzuckerung zu schützen. Erste Maßnahme ist der Stopp der Insulinsekretion aus der Bauchspeicheldrüse sobald ein Blutglukosewert <4,6 mmol/l (83 mg/dl) erreicht ist. Sinkt der Wert weiter auf <3,8 mmol/l (68 mg/dl), schüttet die Bauchspeicheldrüse Glukagon und die Nebennieren Adrenalin aus, wodurch die Leber Glukose ins Blut abgibt. Bei einem weiteren Abfall auf Werte zwischen 3,2 und 2,8 mmol/l (55 – 50 mg/dl) zeigen sich dann meist erste körperliche und kognitive Symptome der Unterzuckerung. Sinken die Werte schließlich unter 1,5 mmol/l (27 mg/dl), kann es zu Bewusstseinsstörungen, Krämpfen und Koma kommen [5]. Ohne Behandlung ist eine schwere Hypoglykämie lebensbedrohlich.

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Viele Faktoren erhöhen das Hypoglykämierisiko

Wesentlicher Risikofaktor für schwere Hypoglykämien ist bei Typ-1-Diabetes die Dauer der Erkrankung, bei Typ-2-Diabetes die Dauer der Insulin-Behandlung [1, 2]. Bei beiden Formen steigt die Gefahr schwerer Unterzuckerungen zudem mit der Zahl vorhergehender Hypoglykämien sowie bei stark schwankenden Blutzuckerspiegeln und einer zunehmend eingeschränkten Nierenfunktion [1, 6]. Auch wenn Patienten eine beeinträchtigte Wahrnehmung für die Signale einer Hypoglykämie haben, erhöht sich das Risiko. Diese Fähigkeit wird durch verschiedene Faktoren vermindert, wie etwa die Zahl früherer Hypoglykämien, höheres Alter, längere Dauer des Diabetes oder bestimmte Medikamente (z.B. Betablocker). Menschen mit einer beeinträchtigten Hypoglykämie-Wahrnehmung haben ein sechsmal höheres Risiko für schwere Hypoglykämien [7]. Was kann eine Hypoglykämie auslösen?

Häufigster auslösender Faktor für Hypoglykämien bei Menschen mit Diabetes ist eine unzureichende © VERLAG PERFUSION GMBH


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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Nahrungsaufnahme, gefolgt von physischer Überbelastung (z.B. beim Sport) sowie der fehlerhaften Berechnung der Insulindosis. Weitere wesentliche Faktoren sind Stress und individuell stark schwankende Blutzuckerspiegel [8]. Akutsymptome und Folgen

Die Symptome einer Hypoglyk­ ämie können individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Generell unterscheidet man zwischen autonomen/adrenergen Symptomen, die durch Aktivierung des autonomen Nervensystems hervorgerufen werden, und neuroglykopenischen Zeichen, die auf dem Glukosemangel im Gehirn beruhen [9]. Häufige akute autonome Symptome sind Zittern, Schwitzen, Herzrasen, Heißhunger oder Blässe. Akute neuroglykopenische Zeichen äußern sich hingegen etwa in Benommenheit, kognitiver Beeinträchtigung, Sprach- und Gedächtnisstörungen oder Koordinationsproblemen. Darüber hinaus können auch unspezifische Symptome wie Kopfschmerz, Schwindel oder Übelkeit mit einer Hypoglykämie einhergehen [2, 9]. Die akuten Symptome einer Hypoglykämie können weitere schwere Folgen nach sich ziehen, wie etwa Stürze oder Verkehrsunfälle. Wird eine schwere Unterzuckerung nicht behandelt, kann sie zu Bewusstlosigkeit, Krämpfen, Koma und schließlich zum Tod führen. Da die Aktivierung des autonomen sympathischen Nervensystems zu einer starken Belastung von Herz und Gefäßen führt, steigt insbesondere bei kardiovaskulär vorbelasteten Patienten auch das Risiko für Myokardinfarkte und zerebrale

Schlaganfälle. Letztlich tragen Hypoglykämien somit auch zu einer erhöhten Mortalität der Patienten bei [1, 2, 10]. Darüber hinaus sind die Betroffenen nicht selten mit weiteren langfristigen Konsequenzen konfrontiert, wie etwa der Furcht vor erneuten Hypoglykämien und einer damit einhergehenden verminderten Lebensqualität. Wiederholt auftretende Hypoglykämien können im Lauf der Zeit auch zu einer Abnahme kognitiver Fähigkeiten führen und das Demenzrisiko erhöhen [1]. Problematisch für die Betroffenen können zudem der mögliche Entzug des Führerscheins, Einschränkungen am Arbeitsplatz oder das Wegfallen sozialer Aktivitäten sein [2]. Präventive Maßnahmen

Um Hypoglykämien vermeiden zu können, sollten die Patienten generell eine detaillierte Schulung zu deren Ursachen, Auslösern und Symptomen erhalten. Um die Aufmerksamkeit des Patienten hierfür auch langfristig zu stärken, sollte der Arzt mögliche HypoglykämieEreignisse der letzten Zeit mit ihm detailliert analysieren. Zur Prävention von Hypoglykämien bei Typ-2-Diabetes sollten möglichst Therapieoptionen mit niedrigem Hypoglykämierisiko eingesetzt werden [2]. Menschen, die aufgrund wiederholter Hypoglykämien eine beeinträchtigte Wahrnehmung für die Symptome haben, können hierfür wieder sensibilisiert werden. Dies lässt sich durch strikte Vermeidung von Hypoglykämien sowie Anpassungen der Kalorienaufnahme und der Insulindosis unter intensiver ärztlicher Betreuung innerhalb weniger Wochen erreichen [11].

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Therapieempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft

Detaillierte Empfehlungen zur Behandlung von Hypoglykämien gibt die S3-Leitlinie der DDG zur Therapie des Typ-1-Diabetes, die mit wenigen Ausnahmen auf Menschen mit Typ-2-Diabetes übertragbar sind. Die Therapieoptionen richten sich in beiden Fällen jeweils nach dem klinischen Bild [1, 2]: • Milde Hypoglykämie, die der Patient selbst behandeln kann: Zufuhr von 20 g Kohlenhydraten (vorzugsweise Glukose). Bleibt die Blutglukosekonzentration weiterhin niedrig (50 – 60 mg/dl), sollte die Maßnahme nach 15 Minuten wiederholt werden. • Schwere Hypoglykämie, bei einem Patienten, der bei Bewusstsein ist, sich aber nicht mehr selbst helfen kann: Verabreichung von 30 g Glukose durch einen Angehörigen oder Fremdhelfer. Bleibt die Blutglukosekonzentration weiterhin niedrig (50 – 60 mg/dl), sollte die Maßnahme nach 15 Minuten wiederholt werden. • Schwere Hypoglykämie bei bewusstlosem Patienten, Fremdhilfe notwendig: Gabe von 50 ml 40%iger Glukose im Bolus i.v. oder alternativ (wenn i.v. Zugang nicht verfügbar ist) 1 mg Glukagon i.m. oder s.c. Bei fehlendem Ansprechen sollte die Therapie nach spätestens 5 Minuten wiederholt werden. Während die Glukoseinjektion von ausgebildetem medizinischem Personal vorgenommen werden muss, kann Glukagon auch von medizinischen Laien, wie etwa Angehörigen des Patienten, mittels eines speziellen Glukagon-Injekti© VERLAG PERFUSION GMBH


AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

onssets verabreicht werden. Einer aktuellen Studie zufolge nutzten jedoch die meisten Patienten oder ihre Bezugspersonen kein Glukagon bei der letzten schweren Hypoglykämie, hauptsächlich weil keine Verordnung vorlag oder kein Kit zur Hand war [12]. Angehörige sind zudem häufig nicht in der Lage, eine Injektion mit einer Glukagonspritze erfolgreich durchzuführen. So zeigte eine Simulationsstudie, dass nur 13 % der zuvor instruierten Personen in der Lage waren, die vollständige Glukagondosis zu injizieren, während dies keiner der nicht instruierten Personen gelang [13]. Umso wichtiger ist es, das Thema Hypoglykämien im Gespräch mit den Patienten und ihren Angehörigen aktiv anzusprechen und das richtige Vorgehen bei schweren Hypoglykämien zu schulen. Elisabeth Wilhelmi, München Literatur 1 Deutsche Diabetes Gesellschaft. S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes, 2. Auflage 2018 2 Landgraf R et al. Diabetologie 2018;13 (Suppl. 2):S144-S165 3 American Diabetes Association. Diabetes Care 2018;41(Suppl. 1):S55-S64 4 Deutsche Diabetes Gesellschaft S2e-Leitlinie Diabetes und Straßenverkehr, 1. Auflage 2017 5 Frier BM. In: Frier BM, Heller S, McCrimmon R (eds.). Hypoglycaemia in Clinical Diabetes. 2014:114-144 6 International Hypoglycaemia Study Group (IHSG): Causes and Risk Factors. https:// ihsgonline.com/understanding-hypoglyc­ aemia/causes-and-risk-factors 7 Graveling AJ et al. Diabet Metab 2010;36 (Suppl. 3):S64-S74 8 Lammert M, Hammer M, Frier BM. J Med Econ 2009;12:269-280 9 McAuley V et al. Diabet Med 2001;18: 690-705 10 Goto A et al. Br Med J 2013;347:f4533 11 Seaquist ER et al. Diabetes Care 2013; 36:1384-1395 12 Balogh E et al. Poster #145 presented at Advanced Technologies & Treatments for Diabetes (ATTD), Berlin, 20.–23. February 2019 13 Yale JF et al. Diabetes Technol Ther 2017; 19:423-432

Reisen in die Ferne? Impfschutz nicht vergessen! Mehr denn je zieht es deutsche Urlauber in die Ferne und der Trend des spontanen, flexiblen Reisens nimmt zu. Dabei kann es passieren, dass die sorgfältige Vorbereitung in puncto Reisemedizin und Impfschutz auf der Strecke bleiben. Nicht nur die unterschätzte Bedrohung durch Infektionskrankheiten wie Typhus und Hepatitis A stellt sich als große Herausforderung für Ärzte dar, auch an eine Grippeimpfung wird selten gedacht.

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kann die Nutzung von Antibiotika reduziert und die Entwicklung neuer resistenter Salmonellatyphi-Stämme begrenzt werden. Dies wird zunehmend wichtiger, denn die WHO hat die AntibiotikaResistenz zu einer der 10 größten Gefahren für die globale Gesundheit erklärt. Beliebte Urlaubsländer wie Südostasien bergen ein Risiko für Typhus-, aber auch für Hepatitis-AInfektionen. Beide Erkrankungen haben den gleichen Übertragungsweg über kontaminierte Nahrung und Wasser. Der Kombinationsimpfstoff ViATIM® von Sanofi Pasteur kann vor beiden Infektionen bereits 2 Wochen nach der Impfung schützen.

Typhus und Hepatitis A im Urlaub – Übertragung durch Wasser und Lebensmittel

Influenza-Impfung vor der Reise – wozu denn?

Pro Jahr erkranken bis zu 21 Millionen Menschen weltweit an Typhus; geschätzte 128.000 – 161.000 Fälle enden tödlich. Besonders vor Reisen in die Endemiegebiete wie Asien oder Afrika empfiehlt die STIKO daher die Impfung gegen Typhus. Einmal mit dem Bakterium Salmonella enterica Serotyp Typhi infiziert, reichen die unspezifischen Symptome von Kopfschmerzen, Erschöpfung, Fieber, bis hin zu Obstipation und Diarrhö. In schweren Fällen kann es zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie Darmblutungen kommen. Typhus macht eine antibiotische Therapie notwendig. Doch eine steigende Zahl an Antibiotika-Resistenzen weltweit erschwert eine erfolgreiche Behandlung der Erkrankung. Durch Prävention durch Impfung und andere Maßnahmen

Bei Reisenden ist die Influenza die häufigste durch Impfung vermeidbare Infektion; die Inzidenz der symptomatischen Grippe liegt bei 1 % pro Monat. Doch obwohl die Grippe mit schwerwiegenden Komplikationen einhergehen und sogar zum Tod führen kann, wird die Grippeimpfung in der Reisemedizin bislang stark vernachlässigt. Das Risiko, sich als Reisender mit Influenza zu infizieren, ist vor allem in den Tropen und Subtropen das ganze Jahr gegeben. Besonders gefährdet sind ältere Menschen und Personen mit Vorerkrankungen. Dabei ist die Grippe die häufigste durch Impfung vermeidbare Infektion. Vaxigrip Tetra® von Sanofi Pasteur ist für Kinder ab 6 Monaten und Erwachsene zugelassen. E. W.

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M

it Apalutamid (Erleada®) steht für Patienten mit nicht metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (M0CRPC, nm-CRPC) und hohem Risiko für die Entwicklung von Metastasen seit Januar eine neue Therapie zur Verfügung. In den Leitlinien wurde Patienten mit M0CRPC-Patienten bisher ein abwartendes Vorgehen unter Beibehaltung der klassischen Androgendeprivationstherapie (ADT) empfohlen [1, 2]. Die Betroffenen hatten sich daher damit abfinden müssen, bis zum Nachweis von Metastasen nur regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen zu gehen, ohne effektiv in das Krankheitsgeschehen eingreifen zu können, denn die modernen systemischen Therapien waren zunächst nur für das metastasierte kastrationsresistente Prostatakarzinom (mCRPC) zugelassen. Dies hat sich erst kürzlich geändert. Kastrationsresistenz und Metastasierung erhöhen Progressions- und Mortalitätsrisiko

Das bedeutet einen großen Fortschritt, weil sowohl die Kastrationsresistenz als auch die Metastasierung das Progressions- und das Mortalitätsrisiko erheblich erhöhen [3]. So liegen nach Schätzung eines Progressionsmodells bei einem neu diagnostizierten, lokalen oder lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinom die jährliche Progressionsrate und die jährliche Gesamtmortalität jeweils bei 5 % [3]. Erfolgt im lokal begrenzten oder lokal fortgeschrittenen nicht metastasierten Stadium eine ADT und schreitet die Erkrankung hierunter weiter fort zum M0CRPC, ist die Prognose nach dem Modell noch schlechter: Die jährliche Pro-

Prostatakarzinom: Hochrisiko-M0CRPC-Patienten profitieren von der Therapie mit dem AndrogenrezeptorInhibitor Apalutamid gressionsrate erhöht sich auf 34 %, die jährliche Mortalitätsrate beträgt 16 % [3]. Geht ein M0CRPC in das metastasierte CRPC über, wird die jährliche Progressionsrate auf 74 % und die Mortalitätsrate auf 56 % geschätzt (Abb. 1) [3]. Hohes Metastasierungsrisiko bei kurzer PSA-Verdopplungszeit

Ein M0CRPC liegt vor, wenn unter einer ADT trotz eines Serum-Testosteronspiegels auf Kastrationsniveau (<50 ng/dl) ein biochemisches Rezidiv auftritt und in der

Bildgebung keine Fernmetastasen nachweisbar sind [3]. Das Metastasierungsrisiko ist bei diesen Patienten, die etwa 7 % aller Männer mit Prostatakarzinom in Europa ausmachen, besonders hoch, wenn sie eine kurze PSA-Verdopplungszeit (PSADT) haben. So war in einer retrospektiven Analyse der Daten von 347 M0CRPC-Patienten das Risiko für die Entwicklung von Knochenmetastasen um das 12-Fache (p < 0,0001) und die Sterblichkeit um das 4-Fache (p = 0,0034) erhöht, wenn ihre PSADT unter 10 Monaten lag (vs. ≥10 Monate) [4]. Der Therapiebedarf bei diesen Patienten ist demnach sehr hoch.

Durchschnittliche Krankheitsdauer mit PCa: ~13 Jahrea Hormonsensitiv Kastrationsresistent

Biochemisches Neu Neu Rezidiv nach diagnostiziertes diagnostiziertes lokaler Therapie/ PCa; b PCa ansteigender PSA metastasierte Erkrankung

M0CRPC

mCRPC

Jährliche Progression des klinischen Stadiums

5%

11%

14%

34%

74%

Jährliche Gesamtmortalität im klinischen Stadium

5%

6%

16%

16%

56%

M0CRPC

mCRPC

Neu diagnostiziertes PCab Biochemisches Rezidiv nach lokaler Therapie/ansteigender PSA Neu diagnostiziertes PCa; metastasierte Erkrankung

Abbildung 1: Dynamisches Progressionsmodell für den Patientenfluss zwischen den klinischen Mod. nach Scher HI, et al. PLoS One. 2015;10:e0139440. Stadien des Prostatakarzinoms (PCa). a: gewichtete Durchschnittswerte der Patienten mit lokal begrenzter, lokal fortgeschrittener und metastasierter Erkrankung, b: lokal begrenzte oder lokal fortgeschrittene Erkrankung, mCRPC: metastasiertes kastrationsresistentes Prostatakarzinom, M0CRPC: nicht metastasiertes CRPC [3].

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Apalutamid verlängert das metastasenfreie Überleben signifikant

Der Androgenrezeptor-Inhibitor Apalutamid konnte in der zulassungsrelevanten Studie SPARTAN bei M0CRPC-Patienten mit hohem Metastasierungsrisiko das metastasenfreie Überleben (MFS) im Vergleich zu Placebo (jeweils plus ADT) signifikant um mehr als 2 Jahre verlängern (HR: 0,30; p < 0,0001) [5]: Während unter Apalutamid im Median mehr als 3 Jahre bis zum Auftreten von Metastasen oder bis zum Tod vergingen (41 Monate), dauerte dies unter Placebo nur 16 Monate (Abb. 2). Der Vorteil des MFS war hierbei unabhängig vom Ort der Metastasierung [6]. Neuer Studienendpunkt MFS

Die 1.207 Teilnehmer der PhaseIII-Studie SPARTAN hatten ein CRPC, keine Metastasen in der konventionellen Bildgebung und eine PSADT von 10 Monaten oder darunter [6]. Das MFS ist ein neuer primärer Endpunkt für Studien zum M0CRPC, da in frühen Stadien der Erkrankung zwischen dem Wiederanstieg des PSA-Werts und dem Versterben der Patienten viele Jahre liegen können [7]. Zudem könnten Unterschiede beim Gesamtüberleben (OS) durch nachfolgende hochwirksame Sequenztherapien eventuell verringert werden. In früheren Studien korrelierte beim lokal begrenzten Prostatakarzinom das MFS und beim mCRPC der radiographische Progress der Metastasen (rPFS) stark mit dem OS, was dafür spricht, dass der Progress der Metastasen beim Prostatakarzinom ein guter Sur-

Median

Abbildung 2: Ergebnisse der SPARTAN-Studie: Bei Patienten mit M0CRPC wurde das mittlere metastasenfreie Überleben (MFS) durch die Therapie mit Apalutamid + ADT gegenüber Placebo + ADT um mehr als 2 Jahre (41 vs. 6 Monate) verbessert [5].

rogatmarker für das Überleben ist [8, 9]. Eine entsprechende Assoziation von MFS und OS zeigte sich jetzt auch in der SPARTAN-Studie beim M0CRPC [6]. Überlegenheit auch bei sekundären Endpunkten

Die sekundären Endpunkte Zeit bis zur symptomatischen Progression (HR: 0,45; p < 0,0001), Zeit bis zum Auftreten von Metastasen (HR: 0,28; p < 0,0001) und progressionsfreies Überleben (HR: 0,30; p < 0,0001) waren unter Apalutamid ebenfalls signifikant länger als unter Placebo [5]. Neben der Verbesserung der Prognose spiele insbesondere das Verzögern von Symptomen für die Patienten im Alltag häufig eine entscheidende Rolle. Beim Gesamtüberleben (OS) zeigte sich zum Zeitpunkt dieser Analyse ein nicht signifikanter Trend für eine Überlegenheit (median NE vs. 39,0 Monate; HR: 0,70; p = 0,0742) [5].

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PFS2-Vorteil in der Sequenztherapie

Auch der exploratorische Endpunkt progressionsfreies Überleben 2 (PFS2), d.h. die Zeit zwischen Randomisierung und Krankheitsprogression oder Tod in der ersten Folgetherapie des anschließenden, metastasierten Stadiums (mCRPC), war unter Apalutamid signifikant länger als unter Placebo (nicht erreicht vs. 39,0 Monate; HR 0,49; p<0,0001) [5, 6]. Dies weist darauf hin, dass sich die Sequenz Apa­ lutamid im M0CRPC gefolgt von der Erstlinientherapie des mCRPC günstiger auswirkt als die bislang übliche, verzögerte Therapie, die erst bei Auftreten von Metastasen (nach fortgesetzter alleiniger ADT im M0CRPC) begann. Außerdem ist die Überlegenheit beim PFS2 ein Hinweis darauf, dass die Wirksamkeit der Folgetherapie nach Apalutamid erhalten bleibt und nicht beispielsweise durch Resistenzen beeinträchtigt wird. Das ist ein wichtiges Ergebnis, weil der Einwand, ob neue und teure Therapien wirklich vor dem Auftreten von Metastasen einge© VERLAG PERFUSION GMBH


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Apalutamid Apalutamid (Erleada®) ist ein oral anzuwendender selektiver Androgenrezeptor(AR)-Inhibitor, der direkt an die Ligandenbindende Domäne des AR bindet. Apalutamid verhindert die nukleäre Translokation des AR, hemmt die DNA-Bindung sowie die AR-vermittelte Transkription und zeigt keine agonistische Aktivität am Androgenrezeptor. Die Behandlung mit Apalutamid vermindert die Proliferation der Tumorzellen und steigert die Apoptose, wodurch es zu einer ausgeprägten antitumoralen Aktivität kommt. Ein Hauptmetabolit, NDesmethylapalutamid, zeigte in vitro ein Drittel der Aktivität von Apalutamid. Erleada® ist indiziert zur Behandlung erwachsener Männer mit nicht metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (M0CRPC, nm-CRPC), die ein hohes Risiko für die Entwicklung von Metastasen aufweisen [5].

setzt werden sollen, gerechtfertigt war und es erst durch die PFS2Daten Hinweise auf eine Entkräftigung dieses Einwands gibt. Gute Lebensqualität und Verträglichkeit

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQoL) der Patienten lag zu Studienbeginn in beiden Gruppen auf Niveau der Allgemeinbevölkerung in den USA und blieb im Therapieverlauf zunächst stabil. Erst beim symptomatischen Progress, der unter Placebo signifikant früher eintrat als unter Apalutamid, kam es jeweils zu einer Verschlechterung [10]. Dies zeigt die insgesamt gute Verträglichkeit von Apalutamid. Zu den Nebenwirkungen, die am häufigsten auftraten bzw. den größten Unterschied zu Placebo zeigten, und zu Nebenwirkungen von besonderem Interesse gehörten Haut-

ausschlag (23,8 % vs. 5,5 % unter Placebo), Gewichtsverlust (16,1 % vs. 6,3 %), Ermüdung (30,4 % vs. 21,1 %), Arthralgie (15,9 % vs. 7,5 %), Stürze (15,6 % vs. 9 %), Hypothyreose (8,1 % vs. 2 %) und Frakturen (11,7% vs. 6,5%) [5, 6]. Auch ältere, komorbide Patienten profitieren

Patienten mit Prostatakarzinom sind häufig in einem fortgeschrittenen Alter und/oder haben Komorbiditäten, weshalb die Auswertung von Daten entsprechend dieser Parameter wichtige Informationen für die Behandlungsentscheidung liefern kann. Im Zuge einer Subgruppenanalyse wurden außer dem MFS auch die Zeit bis zum symptomatischen Progress und das PFS2 sowie das Sicherheitsprofil bei Patienten untersucht, die bei Studieneinschluss Komorbiditäten aufgewiesen hatten. Folgende

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Komorbiditäten wurden gezielt untersucht: Diabetes mellitus/ Hyperglykämie, kardiovaskuläre Erkrankungen, Bluthochdruck und Niereninsuffizienz. Die Auswertung zeigte eine Überlegenheit von Apalutamid in Kombination mit einer kontinuierlichen ADT im Vergleich zu Placebo plus ADT für alle 3 Endpunkte und alle untersuchten Begleiterkrankungen (mit Ausnahme des PFS2 bei Patienten mit Diabetes mellitus/Hyperglyk­ ämie). Der Vorteil wurde zudem unabhängig von der Anzahl der vorhandenen Komorbiditäten (0, 1, 2, ≥3) beobachtet [11]. Eine zweite Subgruppenanalyse der SPARTAN-Studie ergab eine gute Wirksamkeit unabhängig vom Alter der Patienten [12]: Hier war die Therapie mit Apalutamid der Gabe von Placebo (jeweils plus ADT) im Hinblick auf die oben genannten Endpunkte in allen 3 untersuchten Alters-Subgruppen (<65 Jahre, 65 – 74 Jahre, ≥75 Jahre) signifikant überlegen (je p ≤ 0,03; eine Ausnahme stellte die Zeit bis zur symptomatischen Progression bei Patienten über 75 Jahren dar: p = 0,072). Das Sicherheitsprofil war unabhängig von den Komorbiditäten bzw. vom Alter der eingeschlossenen Patienten konstant, wobei die Inzidenz der Nebenwirkungen mit zunehmendem Alter anstieg – allerdings in beiden Studienarmen. Fazit

Apalutamid ist für M0CRPC-Patienten mit hohem Metastasierungsrisiko eine wichtige neue Therapieoption, die in der Zulassungsstudie Metastasierung und Tod um mehr als 2 Jahre hinauszögern konnte. Denn zum einen bedeutet das Fortschreiten der Erkrankung mit Auf© VERLAG PERFUSION GMBH


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treten von Metastasen einen Wendepunkt der Erkrankung, der die Mortalität erhöht und Beschwerden sowie weitere Therapien nach sich zieht. Zum anderen stellte das lange übliche alleinige Fortführen der ADT bei Anstieg des PSAWertes für Männer mit M0CRPC häufig eine psychische Belastung dar, weil sie wissen, dass dies ein wichtiger Marker für den Verlauf der Erkrankung ist. Basierend auf der SPARTAN-Studie empfehlen das NCCN (National Comprehensive Cancer Network) und die AUA (American Urological Association) Apalutamid in ihren Leitlinien bereits seit 2018 als eine Option für Patienten mit Hochrisiko-M0CRPC [13, 14]. Fabian Sandner, Nürnberg

Literatur 1 S3-Leitlinie Prostatakarzinom. Version 5.0 – April 2018. AWMF-Registernummer 043/022OL. Im Internet: www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/prostatakarzinom/ 2 EAU Guidelines Prostate Cancer 2018. Im Internet: http://uroweb.org/guideline/prostate-cancer/ 3 Scher HI et al. PLoS One 2015;10: e01394408 4 Metwalli AR et al. Urol Oncol 2014;32: 761–768 5 Fachinformation Erleada®; Stand: Januar 2019 6 Smith MR et al. N Engl J Med 2018; 378:1408-1418 7 Beaver JA et al. N Engl J Med 2018; 378:2458-2460 8 Xie W et al. J Clin Oncol 2017;35:30973104 9 Morris MJ et al. J Clin Oncol 2015;33: 1356-1363 10 Saad F et al. Lancet Oncol 2018;19:14041416 11 Small EJ et al. J Clin Oncol 2019;37 (Suppl.): Abstract 5023 12 Graff JN et al. J Clin Oncol 2019;37 (Suppl.): Abstract 5024 13 NCCN Guidelines Prostate Cancer. Version 4.2018. Im Internet: www.nccn.org/professionals/physician_gls/pdf/prostate.pdf 14 AUA Guideline 2018: Castration-Resistant Prostate Cancer. Im Internet: www.auanet. org/guidelines/castration-resistant-prostate-cancer-(2013-amended-2018)

Die Ergebnisse der TITAN-Studie im Einzelnen Metastasiertes hormonsensitives Prostatakarzinom:

Signifikante Verbesserung des medianen Überlebens unter Apalutamid plus ADT In der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten PhaseIII-Studie TITAN* verlängerte der orale selektive AndrogenrezeptorInhibitor Apalutamid (Erleada®) in Kombination mit einer Androgendeprivationstherapie (ADT) bei Patienten mit metastasiertem hormonsensitivem Prostatakarzinom (mHSPC) im Vergleich zu Placebo plus ADT die koprimären Endpunkte Gesamtüberleben (OS) und radiographisch progressionsfreies Überleben (rPFS) signifikant. Basierend auf diesen Ergebnissen hat Janssen die Zulassungserweiterung für Apalutamid für das mHSPC bei der U.S. Food and Drug Administration (FDA) sowie der European Medicines Agency (EMA) beantragt. Apalutamid ist derzeit für die Therapie von Männern mit nicht metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom zugelassen, die ein hohes Risiko für die Entwicklung von Metastasen aufweisen. Für die Subgruppe der Patienten mit neu diagnostiziertem Hochrisiko-mHSPC gibt es zwar moderne, hocheffektive Therapieoptionen, die Zulassungsstudie TITAN für Apalutamid schließt jedoch alle mHSPC-Patienten ein (d.h., die Erkrankung musste nicht neu diagnostiziert und das Progressionsrisiko konnte auch gering sein). * Chi KN, Agarwal N, Bjartell A et al. Apalut­ amide for metastatic, castration-sensitive prostate cancer. N Engl J Med 2019;381:1324

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Das Sterberisiko wurde unter der Therapie mit Apalutamid plus ADT gegenüber Placebo plus ADT um 33 % verringert (medianes OS in beiden Armen noch nicht erreicht [NR]; HR: 0,67; 95%-KI: 0,51 – 0,89; p = 0,0053). Das Risiko, einen radiographischen Progress zu erleiden oder zu versterben, war um 52 % reduziert (NR vs. 22,1 Monate; HR: 0,48; 95%KI 0,39 ‑ 0,60; p < 0,0001). Die 2-Jahres-Überlebensrate betrug im Apalutamid-Arm 82 %, im Placebo-Arm hingegen 74 %. Beim sekundären Endpunkt Zeit bis zum Beginn einer zytotoxischen Chemotherapie kam es zu einer 61%igen Risikoreduktion gegenüber Placebo (Median in beiden Armen noch nicht erreicht; HR: 0,39; 95%-KI:0,27 – 0,56; p < 0,0001). Des Weiteren zeigte sich ein signifikanter Vorteil von Apalutamid bei den exploratorischen Endpunkten Zeit bis zur PSA-Progression (NR vs. 12,9 Monate; HR: 0,26; 95%-KI 0,21 – 0,32; p < 0,0001) sowie Zeit von der Randomisierung bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder Tod unter der ersten Folgetherapie (PFS2; Median in beiden Armen noch nicht erreicht; HR: 0,66; 95%-KI: 0,50 – 0,87; p = 0,0026). Das Sicherheitsprofil von Apalut­ amid war vergleichbar mit dem Profil, das bereits in der Zulassungsstudie SPARTAN für das nicht metastasierte kastrationsresistente Prostatakarzinom mit hohem Risiko (M0CRPC) erhoben wurde. Die Rate an Therapieabbrüchen aufgrund von Nebenwirkungen lag im Apalutamid-Arm bei 8,0 %, verglichen mit 5,3 % im Placebo-Arm. F. S. © VERLAG PERFUSION GMBH


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alsschmerzen sind meist das erste Anzeichen dafür, dass Erkältungsviren die Rachenschleimhaut besiedelt und einen Entzündungsprozess initiiert haben. Spray gegen Halsschmerzen kann gezielt in den Mund- und Rachenraum gesprüht werden. Da es nicht durch den Speichel verdünnt wird, lässt sich eine konzentrierte lokale Wirkung erreichen. Wie klinische Erfahrungen bei Patienten mit Halsschmerzen zeigen, reduziert Spray mit dem Wirkstoff Benzydamin­hydrochlorid (neo-angin® Benzydamin) Entzündungssymptome und Schluckbeschwerden deutlich. Die Ergebnisse pharmakologischer Untersuchungen sprechen dafür, dass Benzydamin einen zentralen Mechanismus im Netzwerk der akuten Entzündung adressiert. Entzündungskaskade und Immunantwort

Bei einer akuten Entzündung kommt es zu einer Aktivierung von Makrophagen, die in der Folge Effektormoleküle freisetzen, die die typischen Entzündungssymptome auslösen. Die Freisetzung solcher Mediatoren und damit auch die Entzündungskaskade können durch verschiedene Substanzen beeinflusst werden. Makrophagen entwickeln sich aus den im Knochenmark gebildeten Monozyten. Diese Zellen werden in die Zirkulation geschwemmt und während einer Infektion durch Chemotaxis vom Infektionsort angezogen. Unter dem Einfluss von Zytokinen und Antigenen differenzieren sie sich im Gewebe zu Makrophagen. Diese werden durch den Kontakt mit Pathogenen aktiviert, z.B. durch Lipopolysaccharide (LPS). Die Aktivierung erfolgt über Pat-

Benzydamin-Spray: In-vitro-Daten sprechen für eine direkte antientzündliche Wirkung tern-Recognition-Rezeptoren, unter anderem den Toll-like-Rezeptor 4 (TLR4), der bereits durch geringe LPS-Mengen aktiviert wird. Die Bindung von LPS an TLR4 löst eine Signalkaskade aus, die schließlich zur Aktivierung von Transkriptionsfaktoren wie STAT3 (Signal Transducer and Activator of Transcription 3), NF-κB (Nuclear Factor κ-light-chain-enhancer of activated B-cells) und AP-1 (Activator protein 1) führt. Am Ende des TLR4-Signalweges steht das Zytokin Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), das eine Vielzahl immunregulatorischer und proinflammatorischer Eigenschaften besitzt und als ein zentraler Mediator der Immunantwort gilt. Hemmende Wirkung auf die Aktivierung proinflammatorischer Transkriptionsfaktoren

Vor diesem Hintergrund wurde in einem In-vitro-Makrophagenmodell die hemmende Wirkung von neo-angin® Benzydamin gegen akute Halsschmerzen Spray auf LPS-stimulierte Transkriptionsfaktoren (STAT3, NF-κB und AP1) untersucht. Der Einfluss auf die 3 Transkriptionsfaktoren wurde in 3 entsprechenden Assays gemessen. Zunächst wurden die Makrophagen mit spezifischen Plasmiden transfiziert. Jeweils

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1 ml des Sprays wurde in jeweils 5 ml Zellkulturmedium aufgelöst und die Lösungen in ansteigenden Konzentrationen (1  µg/ml, 5 µg/ ml, 10 µg/ml, 25 µg/ml, 50 µg/ml, 75 µg/ml und 100 µg/ml) zu den Makrophagen gegeben und diese mit LPS stimuliert. Alle 3 untersuchten Transkriptionsfaktoren wurden dosisabhängig gehemmt. Bereits ab Konzentrationen von 25  µg/ml wurden inhibitorische Effekte auf die LPS-induzierte Aktivierung der Transkriptionsfaktoren STAT3, NF-κB und AP1 nachgewiesen. Dabei erwies sich das Spray in dieser In-vitro-Untersuchung als sehr gut zellverträglich. Selbst in Konzentrationen von 50 µg/ml zeigte sich keine Zytotoxizität. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Benzydamin an einer zentralen Schaltstelle im LPS/TLR4-Signalweg ansetzt. Beispielsweise könnte Benzydamin die Bindung von LPS an das spezifische Bindeprotein im Serum verhindern oder vorgeschaltete Kinasen hemmen, die mit dem TLR4-Rezeptor interagieren. Die Folge wäre ein direkter antiinflammatorischer Effekt, der wiederum die im klinischen Alltag beobachtete schnelle und effektive Wirkung von neo-angin® Benzydamin bei akuten Halsschmerzen erklärt. Dr. Kirsten Westphal, Kirchheim © VERLAG PERFUSION GMBH


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Neue zielgerichtete Therapien beim NSCLC: Dacomitinib und Lorlatinib erweitern Möglichkeiten der Sequenztherapie

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ährlich erkranken in Deutschland etwa 50.000 Menschen am nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) [1]. Im fortgeschrittenen Stadium ist das NSCLC meist nicht heilbar, jedoch hat die Identifizierung von Treiber-Mutationen zur Entwicklung zielgerichteter Wirkstoffe wie den Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) beigetragen, die ein verlängertes Überleben beim fortgeschrittenen EGFR-mutierten und ALK-positiven NSCLC ermöglichen können [2]. Erworbene Resistenzen unter TKI-Behandlung können das Ansprechen jedoch limitieren. Für beide Mutationstypen stehen mit Dacomitinib (Vizimpro®) und Lorlatinib (Lorviqua®) seit Kurzem neue Behandlungsoptionen zu Verfügung, die innerhalb einer sequenziellen Therapie zusätzliche Perspektiven für die Patienten schaffen können. EGFR-mutiertes NSCLC: Längeres Gesamtüberleben mit Dacomitinib

Dacomitinib ist eine neue, hocheffektive Therapieoption für Patienten mit einer nachgewiesenen aktivierenden Mutation des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR) [3]. Der Wirkstoff

führt im Vergleich zum bekannten EGFR-TKI Gefitinib zu einer signifikanten und klinisch relevanten Verlängerung des Gesamtüberlebens. So lebten Patienten in der Phase-III-Studie ARCHER 1050 unter Dacomitinib im Median 7,3 Monate länger als unter Gefitinib und insgesamt im Median fast 3 Jahre (34,1 versus 26,8 Monate; HR: 0,760; 95%-KI: 0,582 – 0,993; p = 0,0438) [4]. Außerdem entwickelten unter Dacomitinib weniger Patienten Gehirnmetastasen als unter Gefitinib (1 versus 11) [4]. Das Nebenwirkungsprofil ist aufgrund der möglichen Dosisreduktionen moderat und handhabbar. Hervorzuheben dabei ist, dass Dosisreduktionen im Rahmen des in der Fachinformation [3] beschriebenen Therapiemanagements nicht zu einem Verlust der Wirksamkeit führten. Dacomitinib als neue Erstlinienoption in einer EGFR-TKI-Sequenztherapie

Aktuell stehen mehrere EGFRTKI zur Verfügung, wobei es unter allen dieser zielgerichteten Wirkstoffe im Behandlungsverlauf zum Progress kommt [1]. Je nachdem, welche Resistenzmutationen jeweils ursächlich sind, kann die

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Reihenfolge, in welcher die EGFRTKI eingesetzt werden, relevant sein. Hier ergänzt Dacomitinib das aktuelle Behandlungsspektrum: Schreitet die Erkrankung unter diesem TKI voran, so besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine T790M-Mutation ursächlich ist [5]. Diese kann wiederum mit dem TKI Osimertinib behandelt werden [1], sodass sich die Indikation für eine Chemotherapie aufschieben lässt. ALK-positives NSCLC: Lorlatinib bietet gute Ansprechraten bei intensiv vorbehandelten Patienten

Auch beim anaplastische Lymphomkinase(ALK)-positiven NSCLC sind Resistenzen und Progress unter TKI eine therapeutische Herausforderung. Der Progress geht häufig mit einer ZNSBeteiligung einher, die bislang schwer zu behandeln war [6]. Für solche mitunter stark vorbehandelten Patienten gab es bisher wenige therapeutische Perspektiven. Mit Lorlatinib (Lorviqua®) steht nun ein Wirkstoff zur Verfügung, der als Folgetherapie bei ALK-TKIResistenzen wie der häufigen und klinisch problematischen G1202RMutation eingesetzt werden kann. Lorlatinib ist ein ALK-TKI der © VERLAG PERFUSION GMBH


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Dacomitinib Der TKI Dacominitib (Vizimpro®) ist indiziert zur Erstlinienbehandlung von erwachsenen Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem nicht kleinzelligem Lungenkarzinom mit einer nachgewiesenen aktivierenden EGFR-Mutation [3].

Lorlatinib Lorlatinib (Lorviqua®) ist angezeigt zur Monotherapie erwachsener Patienten mit Anaplastische Lymphomkinase (ALK)-positivem, fortgeschrittenem nicht kleinzelligem Lungenkarzinom, deren Erkrankung fortgeschritten ist nach: • Alectinib oder Ceritinib als erste Therapie mit ALK-TKI oder • Crizotinib und mindestens einem anderen ALK-TKI [7].

dritten Generation und der einzige TKI, der nach Progress unter anderen TKI wie Alectinib zugelassen ist [7]. Wirksamkeit und Verträglichkeit von Lorlatinib wurden in einer Phase-I/II-Studie bei 139 Patienten mit fortgeschrittenem ALK-positiven NSCLC untersucht, die zuvor einen oder mehrere ALK-TKI erhalten hatten [8]. Die Ansprechrate lag bei 42,9 % (95%-KI: 24,5 – 62,8) und 39,6 % (95%-KI: 30,5 – 49,4) für Patienten, die mit einem bzw. mindestens 2 ALK-TKI behandelt worden waren. Die intrakranielle Wirksamkeit betrug in den Gruppen 55,6 % (95%-KI: 21,2 – 86,3) bzw. 53,1 % (95%-KI: 38,3 – 67,5) – bei diesen teils mehrfach vorbehandelten Patienten bedeutet das eine effektive Therapie. Das Sicherheitsprofil von Lorlatinib war in der Studie gut handhabbar; auch bei Lorlatinib sind Dosisanpassungen möglich [7]. Fazit

Dacomitinib und Lorlatinib stellen wichtige neue Behandlungsoptionen dar, die die Therapiesequenzen beim EGFR-mutierten und ALK-positiven NSCLC entschei-

dend bereichern. Die beiden TKI erweitern die Möglichkeiten der Sequenztherapie und können damit zusätzliche therapeutische Perspektiven für Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC eröffnen. Elisabeth Wilhelmi, München

Literatur 1 Onkopedia Leitlinien. Lungenkarzinom nicht-kleinzellig, Stand Juni 2019.Im Internet: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/lungenkarzinom-nichtkleinzellignsclc/@@view/html/index.html 2 Stinchcombe TE. Cancer Treat Res 2016;17:165-182 3 Fachinformation Vizimpro® 15/30/45 mg Filmtabletten; Stand: April 2019 4 Mok TS, Cheng Y, Zhou et al. J Clin Oncol 2018;36:2244-2250 5 Cabanero M, Sangha R, Sheffield BS et al. Curr Oncol 2017;24:111-119 6 Rothenstein JM, Chooback N. Curr Oncol 2018;25(Suppl. 1):59-67 7 Fachinformation Lorviqua® 25/100 mg Filmtabletten; Stand: Mai 2019 8 Solomon BJ, Besse B, Bauer TM et al. Lancet Oncol 2018;19:1654-1667

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ie Kombination aus Aflibercept (Zaltrap®) und FOLFIRI (5-FU/Folinsäure, Irinotecan) ist eine wirksame Zweitlinientherapie für mit Oxaliplatin vorbehandelte Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom (mCRC). Das ist aus der Zulassungsstudie VELOUR bekannt und bestätigt sich auch im klinischen Alltag – unabhängig vom RAS- und BRAF-Mutationsstatus sowie der primären Tumorlokalisation [1, 2, 3]. Unerheblich ist auch, ob die Patienten first-line zusätzlich zur Chemotherapie einen anti-EGFR-Antikörper (epidermal growth factor receptor) oder anti-VEGF-Antikörper (vas­ cular endothelial growth factor) erhalten haben. Die Therapieentscheidung beim mCRC orientiert sich für die Erstlinientherapie zunächst an der Fitness, d.h. dem Allgemeinzustand des Patienten. Daraus ergibt sich das Therapieziel. Darüber hinaus sind der RAS- und BRAF-Mutationsstatus sowie die Lokalisation des Primärtumors wichtige Kriterien. Die Lokalisation des Primärtumors im linken oder rechten Kolon hat einen molekularbiologischen Hintergrund. Prognostisch ungünstige Faktoren, wie eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI), eine BRAFMutation oder der Nachweis einer Hypermethylierung, sind mehrheitlich mit einer Lokalisation im rechten Kolon assoziiert [4]. Aflibercept unabhängig vom RAS- und BRAF-Status einsetzbar

RAS-Wildtyp-Patienten mit linksseitigem mCRC erhalten in der ersten Linie zusätzlich zur Chemotherapie in der Regel einen antiEGFR-Antikörper. Bei rechtsseitigem mCRC und RAS-Wildtyp © VERLAG PERFUSION GMBH


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Aflibercept/FOLFIRI in der zweiten Therapielinie beim mCRC breit einsetzbar sollten in der Erstlinientherapie keine anti-EGFR-Antikörper in Kombination zur Chemotherapie eingesetzt werden. RAS-mutierte Patienten profitieren nicht von einer anti-EGFRTherapie. Die antiangiogene Therapie verbessert die Ergebnisse der Chemotherapie bei Patienten mit RAS-mutierten Tumoren auch nur unzureichend, sodass in dieser Patientengruppe ein hoher „medical need“ besteht. Für die Zweilinientherapie ist unabhängig vom firstline eingesetzten Antikörper die Weiterbehandlung mit Aflibercept/ FOLFIRI eine wirksame Option – vorausgesetzt der Patient hatte first-line eine Oxaliplatin-haltige Chemotherapie. In der Phase-III-Zulassungsstudie VELOUR [1] hat die zusätzliche Gabe von Aflibercept zu FOLFIRI im Vergleich mit Placebo plus FOLFIRI das mediane progressionsfreie Überleben (mPFS: HR 0,76; p < 0,0001) und das mediane Gesamtüberleben (mOS: HR 0,82; p  =  0,0032) der mit Oxaliplatin vorbehandelten Patienten signifikant verlängert. Das zeigte sich auch bei zusätzlich antiangiogen mit Bevacizumab vorbehandelten Patienten sowie unabhängig vom Lebensalter der Patienten. Etwa 30 % der VELOUR-Patienten waren mit Bevacizumab vorbehandelt und 36 % waren mindestens 65 Jahre alt (davon 16 % mindestens 75 Jahre) [1, 5]. Weder beim

progressionsfreien (PFS) bzw. Gesamtüberleben (OS) noch bei den Nebenwirkungen zeigten sich klinisch relevante Nachteile für ältere Patienten (Interaktionstest: PFS: p = 0,93; OS: p = 0,68) [6]. Eine retrospektive Biomarkeranalyse unterstreicht, dass die Patienten in VELOUR unabhängig vom RAS- und BRAF-Mutationsstatus oder der primären Tumorlokalisation von Aflibercept/FOLFIRI profitieren [3, 7]. Besonders bedeutsam sind die Ergebnisse für BRAF-mutierte Patienten, da die Therapieoptionen für diese Patienten mit meist aggressiv wachsenden Tumoren limitiert sind. Die BRAF-mutierten Patienten erreichten im Aflibercept-Arm einen besonders deutlichen Überlebensvorteil (mOS: 10,3 vs. 5,5 Monate; HR: 0,42; Interaktion: p = 0,08). Aufgrund der retrospektiven Auswertung und der kleinen Patientenzahl sind die Daten derzeit allerdings noch „hypothesengenerierend“. Konsistente Daten im klinischen Alltag

Die aktuellen Ergebnisse einer Interimsanalyse der nicht interventionellen QoLiTrap-Studie [2, 8] untermauern die Wirksamkeit und Sicherheit von Aflibercept/ FOLFIRI unter klinischen Alltagsbedingungen. Die Krankheitskon­

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trollrate in der Zweitlinie (CR, PR, SD) beträgt derzeit 74,7 % – unabhängig davon, welcher Antikörper in der Vorbehandlung eingesetzt wurde [2]. Ausdruck der guten Verträglichkeit ist, dass sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität unter der Behandlung nicht klinisch signifikant verschlechterte. Aflibercept/FOLFIRI wurde mehrheitlich (47,6 %) in der zweiten Therapielinie eingesetzt und im Mittel über 7 Zyklen verabreicht [2, 8]. Elisabeth Wilhelmi, München

Literatur 1 van Cutsem E et al. JCO 2012;30:34993506 2 Zahn MO et al. Ann Oncol 2018;29 (Suppl. 5):P260a 3 Wirapati P et al. JCO ASCO 2017;35 (Suppl.):3538a 4 Lee et al. ASCO 2016, Abstr. 3506 5 Tabernero J et al. EJC 2014;50:320-331 6 Ruff P et al. J Geriat Oncol 2018;9:32-39 7 van Cutsem E et al. Ann Oncol 2017;28 (Suppl. 3):O-012 8 Scholten F et al. Oncol Res Treat 2017;40 (Suppl. 3):163

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Alkoholische Leberzirrhose im Spannungsfeld zwischen Therapie, Recht und Ethik Ein unsicherer Gang, Sprachstörungen oder Konzentrationsschwäche – treten diese Symptome bei Patienten mit einer alkoholinduzierten Leberzirrhose auf, werden sie oftmals dem jahrelangen Alkoholabusus zugeschrieben. Doch häufig steckt mehr dahinter: Etwa die Hälfte der rund 1.000.000 Leberzirrhotiker in Deutschland entwickelt im Krankheitsverlauf eine hepatische Enzephalopathie (HE), für die solche Symptome, besonders in frühen Stadien, typisch sind. Hier ist eine schnelle und differenzierte Diagnose entscheidend, denn die HE gilt bei Patienten mit alkoholischer Leberzirrhose als Prädiktor für eine sehr hohe Sterblichkeitsrate. Wie sich die HE von alkoholbedingten kognitiven Defiziten abgrenzen lässt, wie es um die Rechte alkoholkranker Patienten in Deutschland bestellt ist und welche Behandlungsoptionen die aktualisierte S2k-Leitlinie der DGVS „Komplikationen der Leberzirrhose“ empfiehlt, wurde im Rahmen des 125. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin ausführlich diskutiert. Bei Anfangsverdacht unbedingt die Diagnose sichern

„Nur wenn bei einer Leberzirrhose auch an die HE gedacht wird, kann rechtzeitig eine Therapie eingeleitet werden. An dieser Stelle kommt den Hausärzten eine besondere Verantwortung zu“, betonte der Kieler Gastroenterologe Dr. Holger Hinrichsen. Ein Blick auf

die Mortalitätsrate unterstreicht die große Bedeutung einer frühzeitigen Diagnose: Bereits einen Monat nach Diagnosestellung sterben 45 % der Patienten. „Die S2k-Leitlinie empfiehlt, jeden Leberzirrhose-Patienten auch auf klinische Anzeichen einer HE zu untersuchen. Auch wenn bei einem Patienten ein schädigender Alkoholkonsum vermutet wird, ist bei kognitiven Defiziten eine Differenzialdiagnostik notwendig. Bei einem Anfangsverdacht kann dann ein simpler Zahlenverbindungstest oder Animal Naming Test, bei dem in einer Minute mindestens 15 Tiernamen genannt werden sollten, durchgeführt werden. Bestätigt sich der Verdacht, sollte der Patient an einen Gastroenterologen oder Hepatologen überwiesen werden, um die Diagnose zu sichern und gegebenenfalls eine Rezidivprophylaxe einzuleiten.“ „Jeder Patient hat den gleichen Anspruch auf die bestmögliche Therapie“

Nach wie vor herrscht – in der deutschen Gesellschaft allgemein, aber teilweise auch in der Medizin – ein ambivalentes Verhältnis zu Alkohol und alkoholkranken Patienten. „Das sieht man beispielhaft an den derzeitigen Richtlinien zur Organverteilung bei Lebertransplantationen“, erklärte der Rechtsprofessor für Medizinrecht und medizinische Ethik Thomas Gutmann. „In Deutschland sterben Menschen, die in anderen Ländern nicht sterben. Ein Alkoholkranker muss nachweisen, dass er 6 Monate abstinent war – ansonsten hat er kein Recht auf eine Spenderleber. Das verstößt gegen den allerwichtigsten Grundsatz, auf dem unsere Bundesrepublik beruht: Je-

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der hat das Recht auf Leben, und jedes Leben ist gleich viel wert.“ Grundsätzlich müsse man festhalten, dass jeder Patient mit einer Leberzirrhose den gleichen Anspruch auf die bestmögliche Therapie hat – unabhängig von der Genese der Erkrankung. Leitlinien empfehlen Rifaximin bei Lactulose-Unverträglichkeit sowie zur Sekundärprophylaxe

Die aktualisierte Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) empfiehlt für die medikamentöse Therapie einer HE Rifaximin, sollte Lactulose nicht vertragen werden. Darüber hinaus sollte weiteren Rezidiven durch eine Sekundärprophylaxe vorgebeugt werden, und zwar durch eine Kombinationstherapie mit Lactulose und Rifaximin, wenn unter alleiniger Gabe von Lactulose ein Rezidiv aufgetreten ist. Die Leitlinie betont außerdem, dass die Therapie auch in der hausärztlichen Praxis dauerhaft fortgeführt werden sollte: Dadurch können weitere HE-Episoden langfristig vermieden und die Lebensqualität des Patienten verbessert werden. Im Vergleich zur Lactulose-Monotherapie senkt Rifaximin-α (Xifaxan® 550 mg) das Rezidivrisiko signifikant um 58 % und ist dabei langfristig gut verträglich; klinisch relevante Resistenzen sind bislang nicht bekannt. Im Rahmen einer HE-Therapie mit Rifaximin-α (1200 mg/d) konnte zudem festgestellt werden, dass auch das Risiko für weitere Komplikationen der Leberzirrhose wie spontan bakterielle Peritonitis und Varizenblutungen signifikant zurückging. Durch diese Risikoreduktion sank das © VERLAG PERFUSION GMBH


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Sterblichkeitsrisiko und das Gesamtüberleben der Patienten verlängerte sich – bei Patienten ohne hepatozellulärem Karzinom – signifikant. Fabian Sandner, Nürnberg

Eines der wichtigsten Therapieziele bei Asthma und COPD: Exazerbationen reduzieren! Viele Asthma-Patienten erreichen keine vollständige Kontrolle über ihre Erkrankung und nicht wenige Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenkrankheit (COPD) sehen sich wiederholt instabilen Phasen gegenüber, obwohl es in der Erforschung von Atemwegs­ erkrankungen in den letzten Jahren große Fortschritte gab. Auch wenn sich die Erkrankungen immunpathologisch voneinander unterscheiden, spielen bei beiden Entzündungsprozesse in den kleinen Atemwegen eine wichtige Rolle: Sie tragen wesentlich zur Progredienz bei und sind mit einem erhöhten Exazerbationsrisiko sowie einem Anstieg der Mortalitätsrate assoziiert. Daher sind Therapiestrategien anzustreben, mit denen die Deposition der Wirkstoffe bis in die Peripherie erreicht werden kann. Akute Krankheitsschübe zu vermeiden muss daher das oberste Ziel in der Therapie respiratorischer Erkrankungen sein – darüber waren sich die Referenten beim Symposium der Firma Chiesi im Rahmen des ERS in Paris einig. „Respiratorische Erkrankungen sind ein Feind der Menschen und Exazerbationen bei Asthma und COPD sind es umso mehr. Diese gilt es daher zu besiegen“, leitete Professor Bartolome R. Celli

Croquer, Boston (USA), seinen Vortrag ein. Dabei hilft eine gute Prävention – sie allein reicht jedoch nicht aus. „Durch verschiedene Darreichungsformen und ein ausgewogenes Partikelgrößenspektrum ist heute ein zunehmend personalisiertes Vorgehen bei der Therapie des Asthmas und der COPD über viele Schweregrade hinweg möglich. Somit kann die Behandlung jeweils an die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Patienten angepasst werden“, so der Experte weiter. Es steht schlecht um die Asthmakontrolle

Nach den Empfehlungen der Global Initiative for Asthma (GINA) zielen heutige Therapiestrategien bei Asthma bronchiale darauf ab, die Symptome bestmöglich in den Griff zu bekommen und das Risiko für künftige Komplikationen (z.B. Exazerbationen oder Asthmaanfälle) zu reduzieren. Trotz wirksamer Behandlungsoptionen ist das Kontrollniveau nicht zufriedenstellend: In Kanada sind einer Studie zufolge 59 % aller Asthmatiker unzureichend kontrolliert. „Nur 19 % sind als gut und 23 % als vollständig kontrolliert beschrieben“, brachte es Dr. Paul M O’Byrne, Hamilton (Kanada), auf den Punkt. Häufig irren Asthmapatienten, wenn sie meinen, ihre Erkrankung sei gut kontrolliert. Wie O’Byrne ausführte, gilt hier die 50:50:50-Regel: „50  % der Asthmatiker nehmen 50 % ihrer Medikamente in 50 % der Zeit. Adhärenz ist das große Thema!“ Ist ein Patient unzureichend kontrolliert, ist zunächst die Inhalationstechnik zu überprüfen und eventuelle Handhabungsfehler mit dem Inhalator zu korrigieren. Für eine gute Asthmakontrolle

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spielen aber auch der Wirkstoff, die Dosis des inhalativen Kortikosteroids (ICS) und die Partikelgröße eine wichtige Rolle. Gleich mehrere Asthma-Studien verglichen die Wirksamkeit von ICS bei Kombinationstherapien in Bezug auf die Partikelgröße. Bei Patienten, die ein ICS in extrafeiner Formulierung, wie z.B. die extrafeine Fixkombination aus Beclometason und Formoterol (BDP/FF 100/6 μg, Foster®) erhielten, zeigte sich, dass der Anteil an Patienten mit guter Asthmakontrolle in jener Gruppe deutlich größer war als bei Patienten mit ICS in konventioneller Teilchengröße. „Extrafeine Inhalativa adressieren den gesamten Bronchialbaum – also auch Inflammationen in den kleinen Atemwegen. Eine gute Lungendeposition mit spürbarer Symptomreduktion ist die Folge“, so das Fazit des Experten. Exazerbationen erhöhen die Mortalität

Auch bei der COPD kennzeichnen inflammatorische Prozesse der kleinen Atemwege das Krankheitsgeschehen und sind mit vermehrter Symptomatik und erhöhtem Exazerbationsrisiko assoziiert. „Die sogenannte Small Airways Disease (SAD) ist ein Biomarker für Exazerbationen“, führte Professor Alberto Papi, Ferrara (Italien), aus. Exazerbationen sind vielfach mit einer sprunghaften und nachhaltigen Verschlechterung der Lungenfunktion verbunden. Untersuchungen weisen darauf hin, dass diese akuten Krankheitsschübe für rund 25 % des Lungenfunktionsverlusts verantwortlich sind. Hinzu kommt, dass sich mit jeder Exazerbation das exazerbationsfreie Intervall weiter verkürzt. „Dabei erhöhen © VERLAG PERFUSION GMBH


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insbesondere rezidivierende Akut­ ereignisse die Morbidität und Mortalität“, so Papi weiter. Der Experte untermauerte dies mit einer Posthoc-Analyse zur Reduzierung der Mortalität bei der Behandlung von COPD mit und ohne antientzündlicher Komponente auf Basis der Studien TORCH (Towards a Revolution in COPD Health) und SUMMIT (Study to Understand Mortality and Morbidity in COPD). „ICS-haltige Therapien zeigen Vorteile bei der Exazerbationsprävention. Das ist insofern wichtig, als akute Verschlechterungen nicht selten das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und damit die Mortalität erhöhen“, kommentierte der Pneumologe. So ist beispielsweise das akute Herzinfarktrisiko in den ersten Tagen einer Exazerbation mehr als doppelt so hoch wie in einer stabilen Erkrankungsphase. „Das Vermeiden von COPD-Exazerbationen ist daher lebenswichtig“, betonte Papi. Dreifach-Fixkombination kann Exazerbationen reduzieren

Die Bedeutung ICS-haltiger Kombinationstherapien bei der Prävention von Exazerbationen wurde schon durch die FORWARD-Studie unterstrichen: Darin konnte unter BDP/FF eine signifikante Reduktion der Exazerbationsrate um 28 % gegenüber der LABA-Monosubstanz (FF) erreicht werden. Geraten vortherapierte COPDPatienten der GOLD-Gruppe D in instabile Phasen, empfiehlt sich die Erweiterung auf eine DreifachTherapie mit ICS-Komponente. Schon die Zulassungsstudien TRINITY und TRILOGY zeigten, dass die Dreifach-Fixkombination Trimbow® (Glycopyrronium/Formoterol/Beclometason, GB/FF/

BDP 9/5/87 μg) bei instabilen Patienten Exazerbationen reduzieren kann: • In der TRILOGY-Studie wurde die Wirksamkeit der extrafeinen Dreifach-Fixkombination im Vergleich zu einer BDP/ FF-Therapie (ICS/LABA) untersucht: GB/FF/BDP erreichte eine statistisch signifikante Reduktion der Exazerbationsrate um 23 % über 52 Wochen (moderate bis schwere Exazerbationen) im Vergleich zu BDP/FF. • In der TRINITY-Studie reduzierte die Dreifach-Fixkombination signifikant die Rate moderater bis schwerer Exazerbationen um 20 % verglichen mit der Tiotropium-Monotherapie, in der Subgruppe der Häufig-Exazerbierer signifikant um 28 % verglichen mit der freien Dreifach-Therapie aus BDF/FF plus Tiotropium. „Die Studien zeigen konsistent einen positiven Effekt der extrafeinen Dreifach-Fixkombination auf die Reduktion von Exazerbationen. Der substanzielle Vorteil für instabile COPD-Patienten ist enorm“, fasste der Experte zusammen. Jedoch umfasst auch die GOLDGruppe B einen signifikanten Anteil symptomatischer COPD-Patienten mit Exazerbationsrisiko, die von dieser Behandlung profitieren können. Trimbow® ist derzeit zur Erhaltungstherapie bei erwachsenen Patienten mit moderater bis schwerer COPD vorgesehen, die unter einer Kombination aus ICS/ LABA oder aus LAMA/LABA nicht ausreichend eingestellt sind. Post-hoc-Analysen der Studien TRILOGY und TRINITY, die auf dem diesjährigen DGP präsentiert wurden, zeigen, dass jeweils 55 % (TRILOGY) und 49 % (TRINITY) des Patientenkollektivs gemäß GOLD 2017 nur eine Exazerbation

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im Vorjahr ohne Hospitalisierung hatten und somit zur Gruppe der GOLD-B-Patienten zählten. ICS bei Häufig-Exazerbierern unumgänglich

Dass die Dreifach-Fixkombination den entscheidenden Impuls bei instabiler COPD setzen kann, unterstrich Dr. Florence Schleich, Lüttich (Belgien), anhand der Kasuistik eines 70-jährigen COPD-Patienten. Unter einer ICS/LABA-Kombinationstherapie (Budesonid/Formoterol 320/9 μg; 1–0–1) war die Symptomatik des starken Rauchers (52 PY) dauerhaft nicht unter Kontrolle zu bringen. Der zunehmend kachektische, amyotrophe Patient (BMI 17) litt unter Dyspnoe (MRC2) sowie Husten mit Auswurf und zeigte eine hohe Exazerbationsfrequenz (>3/Jahr), die wiederholt eine Hospitalisierung erforderte. Dem fortbestehenden Exazerbationsrisiko wurde zunächst mit einer freien Dreifach-Therapie aus ICS/LABA (Foster® 100/6 μg, BDF/FF) plus LAMA (Glycopyrronium 44 μg), verabreicht aus 2 Devices, begegnet. „Eine passende Therapieoption, jedoch anspruchsvoll in der Umsetzung“, so die Pneumologin. Vor 6 Monaten erfolgte daher die Umstellung auf die Dreifach-Fixkombination (GB/FF/BDP 9/5/87 μg; 2–0–2), worunter sich das Allgemeinbefinden und die Lungenfunktion des Patienten verbesserten. „Die COPD-Symptomatik ist stabil, ein Exazerbationsrezidiv blieb bei meinem Patienten bislang aus“, resümierte Schleich. Elisabeth Wilhelmi, München

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Studien mit 3D-Haut­ modellen untermauern vielfältigen Einsatz der Bepanthen®-Präparate Dreidimensionale Modellsysteme der menschlichen Haut können an verschiedene dermatologische Indikationen angepasst werden und ermöglichen die Untersuchung von Topika, ohne Menschen oder Tiere zu belasten. Auf der 50. Haupttagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft wurden aktuelle Studien mit Hautmodellen präsentiert, bei denen eine atopische Dermatitis simuliert wurde oder denen oberflächliche Verletzungen durch einen Laser zugefügt wurden. Die Ergebnisse unterstreichen den Wert der Therapie mit Bepanthen® Sensiderm Creme bzw. Bepanthen® Wundund Heilsalbe. Vollhautmodelle aus Keratinozyten und Fibroblasten

„Seit einigen Jahren werden in der dermatologischen Forschung vermehrt dreidimensionale Hautäquivalente eingesetzt, die in ihrer speziellen Funktion und Beschaffenheit mit der menschlichen Haut vergleichbar sind. Eines der Ziele dabei ist es, Untersuchungen an Tieren und Menschen zu vermeiden“, berichtete Professor JensMalte Baron, Aachen, und ergänzte: „An der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Uniklinikum Aachen ist es uns gelungen, ein 3D-Hautmodell mit einem mehrschichtigen verhornenden und nicht verhornenden Epithel zu entwickeln.“ Yvonne Marquardt, Aachen, erklärte: „Dreidimensionale Vollhautmodelle aus Keratinozyten und Fibroblasten normaler humaner Haut sowie aus Zellen

der humanen Mundschleimhaut entsprechen weitgehend den anatomischen und physiologischen Eigenschaften menschlicher Haut bzw. Schleimhaut. Die Modelle bieten ein besseres Verständnis der Hautphysiologie und ermöglichen die Untersuchung verschiedener Erkrankungszustände und ihrer Behandlung.“ Bepanthen® Sensiderm stellt die Hautbarriere bei atopischer Dermatitis wieder her

Dr. Sebastian Huth, Aachen, präsentierte Untersuchungen an einem standardisierten 3D-Hautmodell, bei dem durch Zugabe von Interleukin 31 eine deutliche Schädigung der Hautbarriere, wie sie bei der atopischen Dermatitis auftritt, simuliert wurde. Im Rahmen der Studie wurde das Hautmodell mit Bepanthen® Sensiderm Creme oder einem Vergleichs-Basistherapeutikum behandelt. „Histologische sowie Immunfluoreszenz-basierte Untersuchungen zeigten, dass die Behandlung des Modells mit Bepanthen® Sensiderm, einem Ceramid- und Dexpanthenol-haltigen Topikum, über einen Zeitraum von 6 Tagen mit einer deutlich besseren Regeneration von Barrierestruktur und -funktion assoziiert war als ein Ceramid- und Dexpanthenol-freies Vergleichs-Basistherapeutikum“, so Huth. Bepanthen® Wund- und Heilsalbe fördert Wundheilung nach Lasertherapie

In einer anderen Untersuchung wurde das 3D-Hautmodell mit einer ablativen Lasertherapie geschädigt – einem chirurgischen Verfahren zur Abtragung oberflächlicher

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Gewebeschichten. Die topische Behandlung dieses Hautmodells mit der Dexpanthenol-haltigen Bepanthen® Wund- und Heilsalbe führte im Vergleich zu Vaseline zu einer deutlichen Verbesserung des Wundverschlusses. „Die stimulierenden Effekte von Dexpanthenol auf die Wundheilung lassen sich sowohl auf der Ebene der Genexpression als auch in histologischen Untersuchungen nachweisen“, erläuterte Baron und ergänzte: „Die Behandlung von oberflächlichen Hautverletzungen mit Dexpanthenol-haltigen Salben wirkt in vivo und in vitro auf die Expression von Genen, die insbesondere in den frühen Phasen der Wundheilung involviert sind.“ Eine im März 2019 publizierte klinische Studie bestätigt die deutlichen Effekte von Bepanthen® Wund- und Heilsalbe auf die Beschleunigung der Wundheilung. Danach ist die Dexpanthenol-haltige Salbe auch nach der Anwendung von modernen Lasersystemen ein evidenzbelegtes Arzneimittel zur verbesserten Wundheilung. Elisabeth Wilhelmi, München HR+, HER2– metastasiertes Mammakarzinom:

CDK4/6-Inhibitoren überzeugen in der klinischen Anwendung Die Einführung von CDK4/6-Inhibitoren als Kombinationspartner zu einer endokrinen Therapie hat gegenüber der alleinigen Hormontherapie zu einer deutlichen Verbesserung der Behandlungssituation beim Hormonrezeptorpositiven (HR+), HER2-negativen (HER2–) metastasierten Mammakarzinom geführt. Die höheren © VERLAG PERFUSION GMBH


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Ansprechraten, eine verlängerte Hemmung des Tumorwachstums sowie das Aufrechterhalten einer guten Lebensqualität machen die Kombinationstherapie zur Therapie der Wahl bei dieser Indikation, wie Professor Achim Wöckel, Würzburg, und Professor Bahriye Aktas, Leipzig, bei einem „Meet the Expert“ im Rahmen des DGSKongresses in Berlin erläuterten. Umfassende klinische Erfahrung mit Palbociclib

Schon etwa ein Jahr nachdem Palbociclib (Ibrance®) als erster CDK4/6-Inhibitor in Deutschland verfügbar wurde, hatte sich die endokrinbasierte Kombinationstherapie mit CDK4/6-Inhibitor als eine Standardtherapie beim Hormonrezeptor-positiven (HR+), HER2-negativen (HER2-) metastasierten Mammakarzinom etabliert. Mittlerweile ist Palbociclib seit ca. 2,5 Jahren in Deutschland und seit knapp 4,5 Jahren in den USA zugelassen. Mehr als 210.000 Patientinnen erhielten Palbociclib inzwischen weltweit. Neue Sicherheitssignale gab es dabei nicht. Die Erkrankung länger aufhalten – ohne Einbußen der Wirksamkeit von Folgelinien

Mittlerweile sind 3 CDK4/6-Inhibitoren in Deutschland zugelassen, die in großen Studien eine der endokrinen Monotherapie überlegene Wirksamkeit unter Beweis gestellt haben. Zu 2 Phase-IIIStudien liegen bereits finale Daten zum Gesamtüberleben (OS) vor. „Die Evidenzlage ist eindeutig und wird durch diese ersten OS-Daten weiter erhärtet“, unterstrich Wöckel. „Denn entscheidend ist zum

einen, dass wir das Fortschreiten der Erkrankung mit Hinzugabe eines CDK4/6-Inhibitors zu einer endokrinen Therapie deutlich länger aufhalten können, aber auch, dass die Optionen nach einer CDK4/6-Therapie unbeeinträchtigt bleiben.“ Für Palbociclib wurde beispielsweise in der PALOMA-2-Studie gezeigt, dass die Kombination mit Letrozol die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung signifikant verlängern konnte: Das mediane progressionsfreie Überleben lag mit Palbociclib plus Letrozol bei 27,6 Monaten gegenüber 14,5 Monaten unter Letrozol plus Placebo (HR: 0,56; 95%-KI: 0,46 – 0,69; p < 0,0001). Die Daten zu den Folgelinien in derselben Studie zeigen, dass unter der Palbociclib-Kombination beispielsweise die Indikation für eine Chemotherapie um 10 zusätzliche Monate herausgezögert werden konnte: Unter Palbociclib plus Letrozol vergingen im Median 40,4 Monate (Bereich: 34,7 – 47,3) gegenüber 29,9 Monaten unter Letrozol plus Placebo (Bereich: 25,6 – 35,1), bevor eine Chemotherapie zum Einsatz kam. Je früher der Einsatz, desto länger bleibt die Lebensqualität stabil

„Die Ergänzung eines CDK4/6Inhibitors zu Letrozol in der Erstlinie bedeutete hier also, dass den Patientinnen die Chemotherapie mehr als 3 Jahre lang erspart werden konnte“, resümierte Aktas. „Die meisten meiner Patientinnen sind sehr froh, wenn ich ihnen die Chance auf mehrere Jahre mit einer allgemein gut verträglichen Therapie in Aussicht stellen kann, bevor eine Therapie notwendig wird, an die viele auch keine guten Erinnerungen haben.“ Die Exper-

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tin setzt die Kombinationstherapie bevorzugt in der Erstlinie ein: „Um die Erkrankung so lange wie möglich zu kontrollieren und die Lebensqualität auf gutem Niveau stabil zu halten, handele ich nach dem Prinzip ,CDK4/6-Inhibitoren so früh wie möglich‘, damit die Patientinnen bestmöglich von deren Potenzial profitieren.“ Die Wirksamkeit hängt weder vom Alter noch vom Metastasierungsmuster ab

Beide Referenten begrenzen den Einsatz der endokrinbasierten Kombinationstherapie mit einem CDK4/6-Inhibitor nicht auf bestimmte Altersgruppen oder Muster der Metastasierung. „Auch bei Patientinnen mit viszeralen Metastasen habe ich gute Erfahrungen“, berichtete Wöckel. Als eine Bestätigung sieht er die kürzlich beim ASCO vorgestellten Daten von Park et al. zu einer Phase-II-Studie mit prämenopausalen Patientinnen aus dem asiatischen Raum: Nach einem medianen Follow-up von 17 Monaten war das mediane PFS im endokrinen Kombinationsarm mit Palbociclib dem Chemotherapie-Arm signifikant überlegen (20,1 gegenüber 14,1 Monate, p = 0,00469; HR: 0,659; 95%-KI: 0,437 – 0,994). „Für mich bestätigt dieser erste Head-to-Head-Vergleich, dass eine Chemotherapie in der Erstlinie beim HR+, HER2– metastasierten Brustkrebs nur in Ausnahmefällen notwendig ist“, sagte Wöckel. Auch die S3-Leitlinie sowie die Kommission Mamma der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) empfehlen eine endokrinbasierte Therapie als Mittel der ersten Wahl bei dieser Indikation. © VERLAG PERFUSION GMBH


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Gute Verträglichkeit begünstigt hohe Zufriedenheit der Patientinnen

„Die CDK4/6-Inhibitoren zeichnen sich durch ihre Wirksamkeit, aber auch durch ein gut handhabbares Verträglichkeitsprofil aus“, betonten beide Experten und Aktas ergänzte: „Die bei allen 3 verfügbaren Wirkstoffen häufig auftretenden Neutropenien sind meist sogar asymptomatisch. Durch die Möglichkeiten eines Therapiemanagements mit Dosisreduktionen

und Pausen sind nebenwirkungsbedingte Abbrüche extrem selten.“ Wie beide Referenten bestätigten, sind die Rückmeldungen ihrer Patientinnen zu ihrem Leben mit der Therapie sehr positiv. Dies belegt auch eine webbasierte Umfrage unter Patientinnen mit HR+, HER2– metastasiertem Brustkrebs aus 6 Ländern (100 Patientinnen aus Deutschland). Dabei berichteten mehr als 96 % der Patientinnen, die mit Palbociclib in der Erst- oder Folgelinie behandelt wurden, dass die Kombinations-

therapie ihre Erwartungen erfüllte oder übertraf, 92 % beschrieben die Nebenwirkungen wie erwartet oder besser als erwartet. „Die gute Wirksamkeit und hohe Patientenzufriedenheit unterstreichen, dass die endokrine Kombinationstherapie plus CDK4/6-Inhibition ‚State of the Art‘ beim HR+, HER2– metastasierten Mammakarzinom ist“, lautete daher auch das Fazit der Referenten. Fabian Sandner, Nürnberg

Titelbild: Pixabay

Herausgeber: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Univ.-Prof. Dr. med. Hermann Eichstädt, Leiter Bereich Kardiologie RZP Potsdam und Geschäftsführer BBGK e.V. Berlin Konstanzer Straße 61 10707 Berlin Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. M. Alexander, Infektiologie, Berlin Prof. Dr. L. Beck, Gynäkologie, Düsseldorf Prof. Dr. Berndt, Innere Medizin, Berlin Prof. Dr. H.-K. Breddin, Innere Medizin, Frankfurt/Main Prof. Dr. K. M. Einhäupl, Neurologie, Berlin Prof. Dr. E. Erdmann, Kardiologie, Köln Prof. Dr. Dr. med. E. Ernst, University of Exeter, UK Prof. Dr. K. Falke, Anästhesiologie, Berlin Prof. Dr. K. Federlin, Innere Medizin, Gießen Prof. Dr. E. Gerlach, Physiologie, München Prof. Dr. H. Helge, Kinderheilkunde, Berlin Prof. Dr. R. Herrmann, Onkologie, Basel Prof. Dr. W. Jonat, Gynäkologie, Hamburg Prof. Dr. H. Kewitz, Klin. Pharmakol. Berlin Prof. Dr. B. Lemmer, Pharmakologie, Mannheim/Heidelberg

Prof. Dr. med. R. Lorenz, Neurochirurgie, Frankfurt Prof Dr. J. Mann, Nephrologie, München Dr. med. Veselin Mitrovic, Kardiologie, Klinische Pharmakologie, Bad Nauheim Prof. Dr. R. Nagel, Urologie, Berlin Prof. Dr. E.-A. Noack, Pharmakologie, Düsseldorf Prof. Dr. P. Ostendorf, Hämatologie, Hamburg Prof. Dr. Th. Philipp, Innere Medizin, Essen Priv.-Doz. Dr. med. B. Richter, Ernährung – Stoffwechsel, Düsseldorf Prof. Dr. H. Rieger, Angiologie, Aachen Prof. Dr. H. Roskamm, Kardiologie, Bad Krozingen Prof. Dr. E. Rüther, Psychiatrie, Göttingen Prof. Dr. med. A. Schrey, Pharmakologie, Düsseldorf Dr. Dr. med. C. Sieger, Gesundheitspolitik u. Gesundheitsökonomie, München Prof. Dr. E. Standl, Innere Medizin, München Prof. Dr. W. T. Ulmer, Pulmologie, Bochum Schriftleitung: Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch, FBK Deutsches Institut für Gesundheitsforschung gGmbH, Kirchstraße 8, 08645 Bad Elster Telefon: 037437 557-0 Bibliothek: 037437 2214 [Library] E-Mail DIG: info@d-i-g.org E-Mail persönlich: k.l.resch@d-i-g.org

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Die erste und einzige zugelassene Therapie beim fortgeschrittenen kutanen Plattenepithelkarzinom (cSCC)1 1. Fachinformation LIBTAYO® (Cemiplimab), Stand Juni 2019. Libtayo 350mg Konzentrat Wirkst.: Cemiplimab. Zusammens.: Arzneil. wirks. Bestandt.: 350mg Cemiplimab/ Durchstechflasche. Cemiplimab wird mittels rekombinanter DNA-Technologie in einer Zellsuspensionskultur aus Ovarialzellen des Chinesischen Hamsters (CHO) hergestellt. Sonst. Bestandt.: Histidin, Histidinhydrochlororid-Monohydrat, Sucrose, Prolin, Polysorbat 80, Wasser für Injektionszwecke. Anw.-geb.: als Monotherapie zur Behandl. von Erw. mit metastasiertem od. lokal fortgeschrittenem kutanen Plattenepithelkarzinom, die für eine kurative Operation od. kurative Strahlentherapie nicht in Betracht kommen. Gegenanz.: Überempfindlichk. geg. d. Wirkst. od. sonst. Bestandt. Warnhinw. u. Vorsichtsmaßn.: Zur Verbesserung der Rückverfolgbarkeit Name u. Chargenbez. des angew. Produkts eindeutig dokumentieren. Behandelnde Ärzte müssen mit dem Schulungsmaterial vertraut sein. Behandl. von immunvermittelten Nebenw. bzw. infusionsbedingte Reaktionen s. FI. Aufgrund fehlender Daten Cemiplimab bei Pat. mit aktiven Infektionen od. immunsupprimierte Pat. nur mit Vorsicht nach sorgfältiger Bewertung des Nutzen-Risiken-Verhältnisses anwenden. Eine systemische Anw. von Kortikosteroiden od. Immunsuppressiva vor Therapiebeginn, außer physiologische Dosen systemischer Kortikosteroide (≤ 10 mg/Tag Prednison od. Äquivalent), aufgrund mögl. Beeinträchtigungen der pharmakodynamischen Aktivität u. der Wirksamkeit von Cemiplimab vermeiden. Systemische Kortikosteroide od. andere Immunsuppressiva können nach Beginn der Therapie mit Cemiplimab zur Behandl. von immunvermittelten Nebenw. angewendet werden. Fertilit., Schwangersch. u. Stillz.: Es sind keine klin. Daten zu Auswirkungen auf die Fertilität verfügbar. Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung u. mind. 4 Monate nach der letzten Cemiplimab-Dosis eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Anw. während der Schwangersch. u. b. Frauen im gebärfähigen Alter, die keine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden, nicht empfohlen, es sei denn der klinische Nutzen überwiegt das potenzielle Risiko. Es ist nicht bekannt, ob Cemiplimab in die Muttermilch übergeht. Ein Risiko für das gestillte Neugeborene/Kind kann nicht ausgeschlossen werden. Wenn sich eine Frau für die Behandl. mit Cemiplimab entscheidet, darf sie während der Behandlung mit Cemiplimab u. mind. 4 Monate nach der letzten Dosis nicht stillen. Nebenw.: Immunsyst.: Häufig infusionsbedingte Reaktion. Gelegentl. Sjögren-Syndrom, Immunthrombozytopenische Purpura, Vaskulitis. Endokrine Erkr.: Häufig Hypothyreose, Hyperthyreose. Gelegentl. Diabetes mellitus Typ 1, Nebenniereninsuffizienz, Hypophysitis, Thyreoiditis. Nerven: Gelegentl. paraneoplastische Enzephalomyelitis, chron. entzündl. demyelinisierende Polyradikuloneuropathie, Enzephalitis, Meningitis, Guillain-Barré-Syndrom, Entzündung d. ZNS, periphere Neuropathie, Myasthenia gravis. Augen: Gelegentl. Keratitis. Herz: Gelegentl. Myokarditis, Perikarditis. Atemw./Brustr./Mediast.: Häufig Pneumonitis. Leber/Galle: Häufig Hepatitis. Haut/Unterhautzellgewebe: Sehr häufig Ausschlag, Pruritus. Skelett/Bindegew./Knochenerkrank.: Häufig Arthralgie, Schmerzen d. Muskel- u. Skelettsystems, Arthritis. Gelegentl. Muskelschwäche. Nieren/Harnwege: Gelegentl. Nephritis. Allgem./Beschw. a. Verabreichungsort: Sehr häufig Fatigue. Untersuchungen: Häufig Alanin- u. Aspartataminotransferase erhöht, alkalische Phosphatase u. Kreatinin im Blut erhöht. Hinweis: Patienten über Patientenpass u. Vorgehen, wenn bei ihnen Symptome immunvermittelter Nebenw. u. infusionsbedingte Reaktionen auftreten, informieren. Verschreibungspflichtig. Inhaber der Zulassung: Regeneron Ireland U.C., Europa House, Harcourt Centre, Harcourt Street, Dublin 2, Irland. Örtlicher Vertreter: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH. Stand: Juni 2019 (SADE.LIB.19.07.1759)

Sanofi und Regeneron arbeiten gemeinsam an einem globalen Produktentwicklungsprogramm und an der Vermarktung von LIBTAYO®. © 2019 Regeneron Pharmaceuticals, Inc., and Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Potsdamer Straße 8, 10785 Berlin, Telefon 0800 0436996, www.sanofi.de. All rights reserved. SADE.LIB.19.06.1702 06/19 1901_CEM_B Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden.

Mit wegweisenden Therapien komplexen Erkrankungen begegnen.


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