Digitaler Wandel

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D1G1TALER WANDEL Dokumentation der europäischen Jugend-Konferenz 18. bis 20. Mai 2016 im Bildungszentrum der Arbeiterkammer Wien

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INHALTSVERZEICHNIS VORWORT

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EINLEITUNG: DIGITALER WANDEL – JUNGE REVOLUTION

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ERÖFFNUNG UND GRUSSWORTE

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BERICHTE AUS DEN LÄNDERN:

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Belgien 10 Deutschland

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Finnland

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Großbritannien 13 Italien

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Niederlande

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Österreich

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Schweden

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Schweiz

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Die wichtigsten Themen im Überblick

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VORTRÄGE: 20

Digitaler Wandel – wie gestalten wir ihn gerecht?

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Digitaler Wandel und Nutzung „Sozialer Medien“ in der Arbeitswelt

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WORKSHOPS:

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Workshop 1: Gewerkschaftliche Mitbestimmung im Zuge des digitalen Wandels

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Workshop 2: Arbeitsplatz der Zukunft

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Workshop 3: Notwendige Qualifikationen im digitalen Wandel

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Workshop 4: Gewerkschaftliche Kooperation auf europäischer Ebene im digitalen Wandel

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PODIUMSDISKUSSION: WIE GEHT ES WEITER?

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RESÜMEE DER TEILNEHMERiNNEN

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LITERATUR ZUM THEMA

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IMPRESSUM Medieninhaber und Herausgeber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz-Eugen-Straße 20–22 Konzeption und Kreation: ÖGB-Verlag Redaktion: Irene Steindl Gestaltung: Reinhard Schön, ÖGB-Verlag Lektorat: Karin Flunger, ÖGB-Verlag Fotografie: Fotos Vorträge, Workshops, Diskussion: Daniel Flamme, ÖGB-Verlag Fotos S. 5: Sebastian Philipp, Michael Mazohl Hersteller: © 2016 Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes GmbH, Wien, 1020 Wien, Johann-Böhm-Platz 1 www.oegbverlag.at, office@oegbverlag.at Verlags- und Herstellungsort: Wien, Printed in Austria

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VORWORT

Die Digitalisierung der Wirtschaft und der Arbeitswelt ist keine Zukunftsmusik mehr. Wir befinden uns mitten in diesem großen technologischen Wandel. Schlagwörter wie Industrie 4.0, Crowdworking, Internet der Dinge oder E-Commerce sind längst mehr Menschen als nur einem einschlägigen Kreis von FachexpertInnen bekannt. Die meisten Jugendlichen bewegen sich als soge­ nannte „Digital Natives“ wie selbstverständlich in der digitalisierten ­Arbeits-­und Lebenswelt. Viele Menschen haben jedoch angesichts der tief greifenden Veränderungen ernst zu nehmende Sorgen: Werde ich auch in Zukunft noch einen Arbeitsplatz haben, von dem ich menschenwürdig leben kann? Wir müssen dafür sorgen, dass die künftigen Erträge aus der Digitalisierung fair auf alle Menschen verteilt werden. Bestehende Rechte und Ansprüche müssen erhalten und ausgebaut werden. Dabei geht es um die Stärkung des Daten- und Beschäftigtenschutzes ebenso wie um Bildungsangebote, die vom Kindergarten bis zur Universität grundlegende digitale Kompetenzen vermitteln. Ziel muss es sein, allen Menschen das notwendige Rüstzeug für den digitalisierten Arbeitsmarkt mitzugeben. Nicht zuletzt bedarf es rechtlicher Rahmenbedingungen für die digitale Arbeitswelt, die weiterhin gute Arbeit und soziale Absicherung garantieren. Und wir brauchen Lösungen für neue Modelle wie etwa Crowdworking-Plattformen, damit auch hier faire Arbeitsbedingungen und eine angemessene Entlohnung garantiert werden können. © Michael Mazohl

© Sebastian Philipp

LIEBE KOLLEGINNEN, LIEBE KOLLEGEN!

Die entscheidende Frage ist also: Wie können wir als Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen diesen Wandel gerecht gestalten? Eine wesentliche Rolle nimmt hier die Jugend ein. Junge Menschen sind wichtige ImpulsgeberInnen für gesellschaftliche Entwicklungen. Sie werden wesentlich mitentscheiden, wie die Arbeit der Zukunft und die Zukunft der Arbeit aussehen werden. Umso wichtiger ist es deshalb, sich als junge GewerkschafterInnen so früh wie möglich mit den vielen Facetten des digitalen Wandels zu beschäftigen und eine gesellschaftspolitische Debatte zu führen, in der Menschen und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Ihr, die Jugend, habt es in der Hand, die Debatte zugunsten der europäischen ArbeitnehmerInnen zu führen. Der internationale Austausch ist dafür unabdingbar. Wir hoffen, dass ihr viele frische Ideen von dieser länderübergreifenden Veranstaltung mitnehmen konntet und die internationale Diskussion über eine faire, digitale Arbeitswelt in Bewegung haltet. Wir wünschen euch viel Erfolg dabei!

Rudi Kaske AK-Präsident

Erich Foglar ÖGB-Präsident

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EINLEITUNG DIGITALER WANDEL – JUNGE REVOLUTION In einem internationalen Hotel werden Lehrlinge per Online-Videos eingeschult. PflegepatientInnen in Finnland spielen „Schere, Stein, Papier“ mit Robotern. Ein ausgeklügeltes GPS-System kontrolliert jeden Schritt schwedischer BauarbeiterInnen. Über Online-Plattformen werden Reinigungsjobs vergeben. Wer zuerst kommt, putzt zuerst. Die rasant voranschreitende digitale Entwicklung betrifft aber nicht nur die Arbeitswelt, sondern sie durchdringt nahezu alle Lebensbereiche. Deshalb kann getrost von einer digitalen Revolution gesprochen werden. Diese digitale Revolution macht nicht vor nationalen Grenzen halt. Wollen wir als ArbeitnehmervertreterInnen die digitale Entwicklung aktiv mitgestalten, so dürfen wir unseren Aktionsradius nicht auf althergebrachte Grenzen beschränken, sondern müssen uns mit BündnispartnerInnen anderer Länder austauschen und mit ihnen zusammenarbeiten. Einen solchen Austausch haben wir als Arbeiterkammer Wien, Österreichische Gewerkschaftsjugend und ÖGB-Verlag im Zuge der europäischen Jugend-Konferenz „Digitaler Wandel“ vom 18. bis 20. Mai 2016 in Wien organisiert. 50 gewerkschaftliche JugendvertreterInnen aus neun Ländern kamen erstmals zusammen, um über Herausforderungen des digitalen Wandels länderübergreifend zu diskutieren. Zu Beginn der Veranstaltung stand die Ausgangssituation in den einzelnen Ländern und Organisationen. Wir wollten wissen, welche Rolle Digitalisierung vor Ort spielt und wie Gewerkschaften damit umgehen. In den anschließenden Workshops vertieften die TeilnehmerInnen ihre Erfahrungen im Austausch zu spezifischen Fragen: Wie verändert der digitale Wandel die Mitbestimmung und die Zukunft der betrieblichen Demokratie? Welche Qualifikationen werden zukünftig nötig sein und wie können wir diese bereitstellen? Wie wirkt sich der digitale Wandel auf atypische Arbeitsformen aus? Haben wir für die moderne Arbeitswelt die passenden gewerkschaftlichen Strukturen oder bedarf es Modernisierungen? Die Ergebnisse aus den Workshops wurden in einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion aufgegriffen und weitergesponnen. Gespickt wurde der Meinungsaustausch durch Vorträge und Diskussionen mit ExpertInnen aus den Bereichen Digitalisierung, Datenschutz und Arbeitsrecht. Die gesamte Veranstaltung wurde simultan in Englisch und Deutsch übersetzt. In dieser Broschüre sind die Diskussionen und Ergebnisse dieser europäischen Jugend-Konferenz dokumentiert. Sie darf durchaus als Nachschlagewerk dienen. In erster Linie aber soll sie Inspiration und Motivation für eine vielleicht „junge Revolution“ sein. Wir wollen mit dieser Dokumentation zeigen, dass es sowohl Aufgabe als auch Chance junger GewerkschafterInnen ist, dem digitalen Wandel ein menschengerechtes Antlitz zu verleihen. Nur ein europäischer Austausch ermöglicht eine solche Entwicklung – gerade in Zeiten großer, grenzenloser Veränderungen. Wir wünschen anregendes Lesen und alles Gute bei der Umsetzung!

Dr. Georg Sever AK Wien

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Mag.a Iris Kraßnitzer ÖGB-Verlag

Sascha Ernszt Österreichische Gewerkschaftsjugend


ERÖFFNUNG UND GRUSSWORTE LIEBE KOLLEGINNEN, LIEBE KOLLEGEN! Als Leiter des Bereichs Information in der Arbeiterkammer Wien und als Mitglied des Steuerungsteams „Digitaler Wandel“ darf ich euch sehr herzlich willkommen heißen. Vor Kurzem habe ich alle Tageszeitungen durchgeblättert und etliche Berichte zu Cloud-Computing, Big Data, Crowdworking, Robotik und Industrie 4.0 gefunden – auch in der Gesundheitsbeilage einer Zeitung, wo es sehr stark um das Thema „Mentale Gesundheit und Stress“ ging. Der digitale Wandel unserer Gesellschaft umgarnt uns von allen Seiten. Wir sind von Computern, Smartphones, Tablets, Applikationen umgeben und vieles erleichtert unser Leben. Wir haben das subjektive Gefühl, dass uns das Internet freier werden lässt. Aber was den digitalen Wandel für die Seite der ArbeitnehmerInnen trotzdem gefährlich macht, ist, dass große Unternehmen die Digitalisierung für radikale Kostenspar- und Rationalisierungsmaßnahmen sowie zum Umbau der bisher bekannten Arbeitsformen und Unternehmenszusammensetzung nutzen wollen. Sie sind auch schon intensiv dabei. Hier ein kleiner Auszug aus dem Forderungskatalog „Chancen der Digitalisierung nutzen“ der Bundesvereinigung der deutschen ArbeitgeberInnenverbände: xx keine weitere Regulierung von Werk- und Dienstverträgen, xx keine neuen Belastungen durch Regulierung der Leiharbeit, xx wöchentliche Höchstarbeitszeit statt Regelung der täglichen Arbeitszeit, xx keine weiteren Maßnahmen zum Thema psychische Belastungen, xx kein Gestaltungsbedarf beim Crowdworking, xx keine Verzögerung der technischen Entwicklung durch gewerkschaftliche oder betriebsrätliche Mitbestimmung, xx keine gesetzlichen Beschränkungen bei Arbeitszeitkonten, xx Ausbau der Möglichkeiten unbegründeter Befristung, xx Flexibilität beim Datenschutz. Der digitale Wandel wird also auch dazu benutzt, bestehende ArbeitnehmerInnenrechte auszuhebeln. ­Arbeiterkammern und Gewerkschaften in Österreich sehen es als zentrale Aufgabe an, darauf zu achten, wie sich Arbeitsbedingungen, Arbeitsformen und Arbeitsbeziehungen durch Technik verändern und was das für den Wohlstand und vor allem auch die soziale Sicherheit in unserer Gesellschaft bedeutet. Das ist auch der Grund, warum wir uns sehr intensiv mit dem digitalen Wandel beschäftigen. Wir müssen genau verstehen, was sich in Wirtschaft und Gesellschaft tut und welche Maßnahmen wir als Arbeitnehmerver­ treterInnen rechtzeitig setzen müssen. Ihr seid mit diesem Workshop Teil davon, bringt für unseren gemeinsamen Prozess wichtige Inputs ein und nehmt hoffentlich ganz viel davon wieder mit in eure Länder zurück. Denn es ist vollkommen klar, dass der digitale Wandel nicht an nationalen Grenzen endet. Es liegt an uns allen, dafür zu sorgen, dass von technischen Neuerungen nicht wieder nur eine kleine Elite profitiert, sondern Lasten und Chancen in unserer Gesellschaft fair verteilt werden. Ich wünsche uns allen einen sehr informativen und anregenden Workshop! MAG. GERHARD BRÖTHALER, MBA LEITER DES BEREICHS INFORMATION IN DER ARBEITERKAMMER WIEN

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BERICHTE AUS DEN LÄNDERN 9


BELGIEN THIÉBAUT WEBER, ETUC Der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) ist überzeugt, dass die Europäische Union die Digitalisierung der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft viel aktiver mit politischen Initiativen formen muss, um Arbeitsplatzverluste zu vermeiden. Gleichzeitig muss die EU hochwertige Arbeitsplätze und menschenwürdige Arbeitsbedingungen gewährleisten. Unsere Vorschläge dazu sind insbesondere: xx Eine europäische Rahmenrichtlinie zu Crowdworking, um Mindestlohnsätze, Arbeitszeiten, Sozialschutz und gerechte Besteuerung zu wahren. xx Ein deutlicher Zuwachs bei den Fertigkeiten von Beschäftigten sowie der Aus- und Weiterbildung, einschließlich kontinuierlicher Berufsausbildung in Unternehmen. xx Erhebliche Anstrengungen für einen höheren Frauenanteil in den Informations- und Kommunikationstechnologien, in Mathematik, Wissenschaft und Technik – sowohl in Universitäten als auch in Betrieben. Digitalisierung kann Möglichkeiten bieten. Sie kann viele neue Arbeitsplätze schaffen und wirtschaftliche Erholung fördern, sie kann von gefährlichen, monotonen und sich wiederholenden Aufgaben befreien und eine bessere Work-Life-Balance ermöglichen. Aber diese Entwicklungen können nicht einfach dem Markt überlassen werden. Diese Entwicklungen müssen von der EU geformt werden, ebenso von nationalen und regionalen Behörden und von SozialpartnerInnen. Europa muss diese Chance ergreifen und zugleich die Risiken sehen: Zerstörung vieler Arbeitsplätze, unsichere und prekäre Arbeit, Verlust von Privatsphäre und Kontrolle über persönliche Daten.

DEUTSCHLAND DANIEL ERBES, ARBEITSKAMMER DES SAARLANDES Die Arbeitskammer des Saarlandes bietet Veranstaltungen, Informationen und Beratungen im Kontext des digitalen Wandels. Zum Beispiel beraten wir in der BEST (Beratungsstelle für sozialverträgliche Technologiegestaltung e. V.) Betriebs- und PersonalrätInnen zu Produktionssystemen (Lean Management, Industrie 4.0), zur Nutzung von Internet, E-Mail und Social Media im Arbeitsverhältnis oder zum Einsatz von IT-Systemen und Kommunikationstechnik (z. B. GPS-Überwachung). Unsere wichtigsten Fragen: xx Welche Arbeitsformen werden entstehen? Wie geht die Entwicklung mit Crowdworking weiter? xx Welche Auswirkungen hat die dynamische Entwicklung der „Freelancer“ auf das Sozialsystem? xx Wie wird sich der digitale Wandel auf die Beschäftigtensituation, den Arbeitsmarkt und einzelne Beschäftigte auswirken? xx Wie müssen Qualifikations- und Ausbildungsprofile weiterentwickelt werden? Welche Verände­ rungen im Weiterbildungssystem sind nötig? xx Wie gestalten wir die Arbeit der Zukunft bzw. die Zukunft der Arbeit? Entscheidet der Mensch oder der Algorithmus?

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xx Wie gewährleisten wir Beschäftigtendatenschutz? Wird es gesetzliche oder EU-weite Regelungen geben, die z. B. den Datenschutz sicherstellen? xx Wie geben wir den Betriebs- und PersonalrätInnen das Rüstzeug, um auf die digitalen Veränderungen vorbereitet zu sein? Was ist mit Betrieben ohne Betriebsrat? xx Wie wird die Mitbestimmung in Zukunft aussehen? LINKTIPP: Forschungsprojekt zu Industrie 4.0: http://bit.ly/1UhXUr2

MANUELA CONTE, IG METALL Die IG Metall setzt sich auf den unterschiedlichsten Ebenen, in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit und in den Fachbereichen mit dem Thema „digitaler Wandel“ auseinander und wirkt aktiv mit. Auswirkungen auf Beschäftigungsformen, die Verfügbarkeit der Beschäftigten und die Mitbestimmung stehen im Vordergrund. Wir wollen eine humane und sozial gerechte digitale Arbeitswelt gestalten. Auf Bundesebene wurde hierzu das Ressort „Zukunft der Arbeit“ geschaffen. Als IG-Metall-Jugend legen wir den Fokus auf die Auswirkungen auf die berufliche Bildung und die Weiterbildung. Mit unserer Bildungskampagne wirken wir auf die Politik zur laufenden Evaluierung und Novellierung des Berufs­ bildungsgesetzes ein. Zu den Berufsbildern in den Industrieberufen hat die IG Metall mit den Wirtschaftsverbänden Gesamtmetall, VDMA und ZVEI eine „Sozialpartnervereinbarung“ geschlossen. Darin wurde vereinbart, die Industrie-4.0-relevanten Ausbildungsberufe sowie die darauf aufbauenden Fortbildungen hinsichtlich sich verändernder Anforderungen und neuer beruflicher Perspektiven zu über­ prüfen. Um die Arbeitsbedingungen auf Crowdsourcing-Plattformen zu verbessern, hat die IG Metall die Internetplattform www.faircrowdwork.org gestartet, auf der sich digitale ArbeiterInnen erstmals in dieser Form untereinander vernetzen, die unterschiedlichen digitalen ArbeitgeberInnen bewerten und sich von ExpertInnen beraten lassen können.

www.faircrowdwork.org (Screenshot)

LINKTIPPS: Bildungskampagne der IG Metall: http://www.modernbilden.de Internetplattform „FairCrowdWork Watch”: www.faircrowdwork.org

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JOSCHKA EBEL, NGG Wir haben in der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) die Kampagne „Faire Arbeit. Gutes Leben“ gestartet, um gemeinsam mit BetriebsrätInnen und Beschäftigten gute Tarifverträge, eine faire Arbeitswelt und den demografischen Wandel zu gestalten. Digitalisierung spielt dabei natürlich auch eine Rolle, da sie die Anforderungen an Ausbildungsberufe verändern wird und wir die Gestaltung dieser Änderungen mit übernehmen müssen. Aber auch die Frage, wie man Rationalisierungen im Zuge von Digitalisierung und weiterer Automatisierung bekämpfen oder sie zumindest sozial verträglich mitgestalten kann, spielt in unseren Überlegungen eine tragende Rolle – besonders die Frage nach Arbeitszeitverkürzung. Gerade im Hinblick auf die Verdichtung und Entgrenzung der Arbeit durch die Digitalisierung stehen wir vor der Aufgabe, dem durch eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit, sowohl auf gesetzlicher Basis, durch leichteren Eintritt in die Rente, als auch durch verstärkte Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung bei Tarifverhandlungen entgegenwirken zu müssen. Dies würde dazu führen, dass junge, schon unter diesen neuen Bedingungen in der Arbeitswelt ausgebildete Fachkräfte verstärkt Zugang zum Arbeitsmarkt erhielten. Wenn es uns nicht gelingt zu verhindern, dass durch die Digitalisierung verstärkt Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, dann werden die Sozialkassen in Europa immer weiter unter Druck geraten und die Gesellschaft wird weiter gespalten. Wir dürfen nicht der Industrie alleine die Gestaltung dieses Wandels überlassen. LINKTIPP: NGG-Kampagne „Faire Arbeit. Gutes Leben”: http://bit.ly/29swGhl

MELANIE HÖSE, IG BCE Im Rahmen der Ausbildung junger Beschäftigter denken wir Digitalisierung in Berufsbildungsausschüssen, runden Tischen und bei der Novellierung von Berufsbildern mit. In Foren und Workshops unserer Gewerkschaft schulen wir BetriebsrätInnen und FunktionärInnen und diskutieren mit ihnen über Chancen und Risiken, auch wie man z. B. entsprechende Rahmenbedingungen durch Betriebsvereinbarungen setzen kann. Wir unterstützen unsere Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) und BetriebsrätInnen aber auch konkret bei der Umsetzung von Projekten zum Thema „Ausbildung 4.0“. Innerhalb der IG-BCE-Jugend nutzen wir sehr stark das Internet, unter anderem mit Facebook, Homepages mit integrierter „social wall“ sowie einem WhatsApp-Service. Unsere Mitglieder sind so gut wie ständig online und somit auch bestens informiert. Unsere aktuelle Kampagne „Be.Wegung“ führt Interessierte mittels Selfie-Videos durch die Aufgaben der IG-BCE-Jugend. Unsere wichtigsten Fragen: xx Digitalisierung in der Ausbildung: Wie läuft das mittlerweile mit den „Versetzungsplänen“ der Lehrlinge/Azubis (per App? E-Mail?)? Wer redet mit? Darüber hinaus ist zu prüfen, inwieweit die jeweiligen Berufsbilder auf die Digitalisierung vorbereitet sind. xx Arbeitszeiterfassung: Wie wird die Zeit erfasst, in der man privat „nur mal schnell“ noch eine E-Mail checkt oder kontrolliert, wo man am Montag nach der Berufsschule hinmuss? xx Mitbestimmung: Grundsätzlich bedarf es einer Reform der betrieblichen Mitbestimmung! Unsere Mitbestimmungsgrundlagen sind auf die Digitalisierung nicht vorbereitet. Wo sind die Daten überhaupt gespeichert?

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xx Berufsschule versus betriebliche Ausbildung: Was passiert nach dem Zeitalter der „Computerräume“ und welche Medien stehen den Schulen zur Verfügung? Das Spannungsfeld (auch an technischen Mitteln) nimmt merklich zu. Wie gehen wir damit um? xx Kommunikation: Wie exklusiv sind unsere Informationen? Was passiert, wenn doch „eh alles“ zu finden ist, z. B. auf Facebook? Schnelllebigkeit und Anonymität – bindet man über digitale Medien Mitglieder? LINKTIPP: Kampagne der IG-BCE-Jugend „Be.Wegung”: http://www.igbce-jugend-bewegung.de/

MICHAEL WAGNER, DGB Unsere wichtigsten Fragen: xx Wie können wir den ArbeitnehmerInnen-Datenschutz weiterentwickeln? xx Von der Industrie 4.0 zur Mitbestimmung 4.0: Wie können wir die Informationsrechte des ­Betriebsrates stärken? xx Qualifizierung: Soll das Recht auf Qualifizierung gesetzlich verankert werden?

FINNLAND SUSANNA HAAPALAINEN, JHL In Finnland gibt es viele Pioniere im digitalen Wandel. Unsere Gewerkschaft gehört nicht dazu. Der digitale Wandel betrifft bei uns stark den öffentlichen Sektor, vor allem in der unterstützenden Pflege. Wir haben GewerkschafterInnen gefragt: „Was glaubt ihr, was Digitalisierung ist?“ Einige meinten, sie hätten das schon längst, z. B. weil sie am Bildschirm zehn Windows-Fenster gleichzeitig offen haben. Dabei ist doch die Idee des digitalen Wandels, nur noch ein Windows-Fenster offen zu haben! In Finnland steht auch eine große Gesundheitsreform an. Digitalisierung ist eines der größten Themen der Regierung. Was das für uns GewerkschafterInnen bedeutet, ist unklar. Im Pflegebereich werden bereits Roboter eingesetzt, die mit den PatientInnen „Schere, Stein, Papier“ spielen. Die Beschäftigten im Gesundheitsbereich haben aber wenig Angst vor Jobverlusten aufgrund der Digitalisierung. Im besten Fall erleichtert sie die körperlich schwere Arbeit.

GROSSBRITANNIEN GUS GRUBB, TRADE UNION EDUCATION CENTRE Ich kann einige Informationen von unserer Lehrergewerkschaft „Educational Institute of Scotland“ zur Verfügung stellen. Die digitale Veränderung ist in den Klassenzimmern sehr deutlich, und zwar in ganz Schottland. In den meisten Klassenzimmern sind neue interaktive Smartboards installiert. Diese digitalen Lehrmittel ersetzen die alten Schultafeln. Die ordnungsgemäße Verwendung dieser neuen Technologien erfordert spezifische Weiterbildungen für Lehrkräfte und Verständnis, wie man sie als Teil der täglichen Unterrichtspraxis nutzen kann. Die jüngere Generation von LehrerInnen ist mit dieser Art von Technologie vertrauter, während ältere LehrerInnen sich nur ungern dafür engagieren.

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Die Ausbildung für diese Technologien wird meist nicht von Schulen oder Universitäten angeboten, sondern von Gewerkschaften. Die Schulungen laufen an Wochenenden, in der Freizeit der LehrerInnen. Ältere fühlen sich zum Teil unsicher, weil sie Schwierigkeiten im Umgang mit den neuen Technologien haben. Dieses Thema steht immer auf der Tagesordnung, wenn es um Verhandlungen mit lokalen Schulen oder der Regierung geht.

ITALIEN ALEXANDER WURZER, ASGB In Südtirol sind die meisten Betriebe klein und in der Landwirtschaft, im Handwerk und im Gastgewerbe angesiedelt. Der digitale Wandel betrifft sie wenig. Größere Industriebetriebe hingegen thematisieren die sogenannte Industrie 4.0 bereits, ebenso die Medien. Gerade deshalb beschäftigten wir uns auch als Gewerkschaft damit. Unsere wichtigsten Fragen: xx Wie geht es mit den Arbeitsplätzen weiter? xx Wie fängt man die Menschen auf? Wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen hilfreich? xx Muss das Schulsystem reformiert werden, um SchulabgängerInnen bestens auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten? xx Wie können wir als Gewerkschaft die Entwicklung zugunsten der ArbeitnehmerInnen beeinflussen? Es braucht diesbezüglich eine faire Lösung zur Arbeitszeiterfassung bei Heimarbeit, genauso wie eine klare Regelung zur Erreichbarkeit von HeimarbeiterInnen. Die permanente Erreichbarkeit hat sich über die Smartphones bereits eingeschlichen. Deshalb muss sie – in welcher Form auch immer – gesetzlich geregelt werden, um Missbrauch seitens der ArbeitgeberInnen zu verhindern.

NIEDERLANDE KATARZYNA BUCHTA, FNV Zwischen Mai 2015 und Februar 2016 hatten wir in den Niederlanden schwierige Lohnverhandlungen im Metallbereich. Um die Position der Gewerkschaften zu stärken, organisierten wir langfristige Streiks in zahlreichen Unternehmen der Branche, darunter auch bei DAF, einem der größten Lkw-Hersteller. Allein bei DAF legten die ArbeiterInnen zwölfmal die Arbeit nieder, für insgesamt 16 Tage. Während der Streiks verwendeten wir etliche Mittel der digitalen Kommunikation, zum Beispiel Facebook, die FNV-Website oder WhatsApp – aber auch „altmodische“ Instrumente wie SMS. Überraschenderweise haben sich gerade die „altmodischen“ Technologien als wichtiges Kommunikationsinstrument herausgestellt. Warum das? Die sogenannten „Älteren“ der hauptsächlich männlichen Arbeiter waren mit SMS vertrauter. Viele davon benutzen nicht einmal ein Smartphone. SMS verwenden auch Ältere, sie können einfacher in der Produktion neben dem Arbeiten gelesen werden, ohne dafür ins Internet einsteigen zu müssen. Bereits viermal haben wir in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft erfolgreiche SMS-Guerilla-Streiks durchgeführt.

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Unsere wichtigsten Fragen: xx Wie können ältere ArbeitnehmerInnen unterstützt werden, damit sie im digitalen Wandel mithalten? xx Wie können wir als GewerkschafterInnen eine Brücke zwischen Jung und Alt schlagen und ältere ArbeitnehmerInnen motivieren, diese Technologien zu verwenden?

ÖSTERREICH THOMAS KLÖSCH, PRO-GE Wir beschäftigten uns in der PRO-GE seit mehr als zwei Jahren mit dem Thema „digitaler Wandel“ – als Gründungsmitglied der „Plattform Industrie 4.0“ (in der auch die PRO-GE-Jugend eingebunden ist) oder in Form von Konferenzen für unsere FunktionärInnen. Auch die Bundeskonferenz 2016 der ­PRO-GE-Jugend stand unter dem Motto „Industrie 4.0“. 2016 wurde dazu ein einwöchiger Kurs für BetriebsrätInnen in das Bildungsprogramm aufgenommen. Unsere wichtigsten Themen/Fragen: xx Arbeitsplatz der Zukunft: Wo werden wir in Zukunft arbeiten? Werden wir noch in Betriebshallen stehen oder alles von zu Hause aus steuern? Lassen sich durch den digitalen Wandel Familie und Beruf besser vereinbaren oder erwirken wir nur eine weitere Entgrenzung der Arbeitszeit? Werden wir überhaupt noch einen fixen Arbeitsvertrag bekommen oder hin zur Selbstständigkeit bzw. in „short contracts“ getrieben? xx Bildung der Zukunft: Welche Bildung werden wir benötigen, um am zukünftigen Arbeitsmarkt zu bestehen? Ist die duale Berufsausbildung dafür gerüstet? Welcher Lehrberuf wird von der Wirtschaft verlangt oder bilden die Unternehmen nur noch zielgerichtet auf ihr eigenes Unternehmen aus? Welche Rolle spielt das Unternehmen bei der Weiterbildung von FacharbeiterInnen? Wird „Life Long ­Learning“ vom Unternehmen unterstützt? Wie lässt sich das mit Familie und Beruf vereinbaren? Gibt es Entgeltfortzahlung während der Weiterbildung? Was muss sich in der Grundschule ändern, um allen Kindern und Jugendlichen einen fairen und gleichen Einstieg in den digitalen Wandel zu ermöglichen? xx Gewerkschaft der Zukunft: Wie werden wir als ArbeitnehmervertreterInnen unsere KollegInnen in Zukunft erreichen? Müssen wir das Arbeitsverfassungsgesetz neu überdenken? Sind wir als Gewerkschaft, in unserer Kommunikation und Strategie, selbst schon ausreichend vorbereitet? Finden wir bzw. brauchen wir neue Kommunikations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten für unsere Mitglieder? LINKTIPP: Plattform Industrie 4.0: http://plattformindustrie40.at/

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SCHWEDEN KRISTOFER ÅBERG UND JAKOB WAGNER, BYGGNADS Am Bau sind wir nicht an vorderster Front, wenn es um digitalen Wandel geht. Unsere Regierung hat Strategien für eine neue Industrialisierung eingerichtet und verwendet selbst den Begriff Industrie 4.0, obwohl er grundsätzlich nicht weit verbreitet ist. Die schwedischen Industrieunternehmen wollen den digitalen Wandel vorantreiben und das Potenzial der Digitalisierung nutzen. In unserer Baugewerkschaft betrifft Digitalisierung meist Fragen von Integrität und Überwachung. Zum Beispiel können Beschäftigte über GPS-Geräte in ihren Autos überwacht werden. Es gibt digitale Systeme, die aufzeichnen, wer sich auf der Baustelle aufhält und wer dort sein darf bzw. wer nicht. Wir begrüßen viele dieser Schritte, aber sie müssen auf die richtige Art und Weise eingesetzt werden. Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um mehr in Kontakt mit unseren Mitgliedern zu kommen. Denn im Bau ist es viel schwieriger, an die Basis heranzutreten. Unsere wichtigsten Fragen: xx Wie können wir mit Social Media ältere ArbeitnehmerInnen erreichen? xx Wie gelingt uns durch Digitalisierung ein besserer Kontakt zu unseren Mitgliedern?

NATALIE WREDFORS UND LINA YAFI, SEKO Die dringendsten Probleme im digitalen Wandel in Schweden und in unserer Organisation sind die Arbeitsplatzverluste, wenn Unternehmen durch digitale Lösungen Geld einsparen möchten. Anstelle von FahrkartenkontrolleurInnen in Zügen gibt es jetzt Ticketautomaten. Die Unternehmen ermutigen auch Reisende, ihre Tickets über ihre Mobiltelefone oder online zu kaufen. Daher werden keine TicketverkäuferInnen mehr benötigt. Wir sind uns einig, dass der digitale Wandel nicht nur schlecht ist. Er ist in der Tat erforderlich und kann sehr nützlich sein. Aber der Wandel geht zu schnell. Oder vielleicht sind wir diejenigen, die zu langsam reagieren? Daher muss Seko klären, wie wir mit den Veränderungen am besten umgehen. Wir haben bislang noch nicht viel darüber diskutiert. Dank dieser Jugendkonferenz gehen wir das Thema jetzt an. Unsere wichtigsten Fragen: xx Was können digitale Systeme erreichen? xx Welchen Nutzen haben ArbeitnehmerInnen davon?

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SCHWEIZ LENA FRANK, UNIA Wir sind in der Schweiz noch nicht ganz so weit. Im Bau und im Gewerbe ist der digitale Wandel weniger Thema als im Tertiärsektor und in der Industrie. Auch bei der Jugend ist digitaler Wandel noch kein großes Thema. Unsere wichtigsten Fragen: xx Was sind die Berufe der Zukunft? xx Welche Programme gibt es in anderen Ländern, von denen wir lernen können? xx Gibt es rechtliche Hürden? xx Gibt es Open-Source-Plattformen? xx Wie sieht es beim Datenschutz und dem Schutz der Jugend am Arbeitsplatz aus?

NINA VLADOVIC, VPOD Die Arbeitswelt wird zunehmend digitalisiert. Auch die von der Gewerkschaft VPOD vertretenen Branchen des öffentlichen Dienstes werden von dieser Digitalisierungswelle erfasst. So hat z. B. der Bundesrat im Jahr 2007 die Strategie „eHealth Schweiz“ für den Gesundheitsbereich gutgeheißen. Die angekündigte Einführung von elektronischen PatientInnendossiers soll „die Koordination und den raschen Informationsaustausch unter den Akteuren verbessern“. Zusammen mit dem von Toyota-Industrie übernommenen „Lean Management“ sollen die elektronischen Dossiers dazu dienen, den gesamten Arbeitsprozess zu beschleunigen. Entscheidend ist allerdings die Frage, ob die neu gewonnenen Ressourcen tatsächlich für mehr Zeit am PatientInnenbett und für eine bessere Arbeitsqualität eingesetzt werden. Oder werden diese Ressourcen dafür verwendet, um beim Personal weiter zu sparen? Leider lässt die Situation in der Schweiz nicht viel Raum für Optimismus. Die unsolidarische Steuerpolitik stellt die Kantone vor große Herausforderungen. Dabei wird vor allem in Sparmaßnahmen nach Lösungen gesucht. Aus diesem Grund sollten die Gewerkschaften die im Zusammenhang mit der Digitalisierung stehenden Entwicklungen mit wachem Auge verfolgen und diese mitgestalten. Dabei muss das Thema viel breiter und prominenter diskutiert werden. Die Aufgabe der Gewerkschaften ist, durch entsprechende Informationen und Aufklärungsarbeit die Angestellten im Umgang mit den neuen Herausforderungen in der digitalen Arbeitswelt zu unterstützen. Für die Schweizer Gewerkschaften bedeutet das ein großes Verbesserungspotenzial, denn das Thema wurde bisher nur punktuell angesprochen.

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DIE WICHTIG­STEN THEMEN IM ÜBERBLICK

ARBEITSPLATZ DER ZUKUNFT DIGITALISIERUNG IN DER AUSBILDUNG EINSATZ VON SOCIAL MEDIA LEHRBERUF DER ZUKUNFT BERUFSAUSBILDUNG ODER UNTERNEHMENSAUSBILDUNG? DATENSCHUTZ GEWERKSCHAFT DER ZUKUNFT MITBESTIMMUNG 4.0 KOMMUNIKATION MIT MITGLIEDERN ENTGRENZUNG DER ARBEITSZEIT WORK-LIFE-BALANCE ÄLTERE ARBEITNEHMERiNNEN

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VORTRÄGE

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DIGITALER WANDEL – WIE GESTALTEN WIR IHN GERECHT? REFERENTIN MAG. A SYLVIA KUBA ARBEITERKAMMER WIEN, ZUSTÄNDIG FÜR DAS THEMENFELD DIGITALISIERUNG

In der Arbeiterkammer beschäftigen wir uns intensiv mit der Frage, wie wir den digitalen Wandel gerecht gestalten können. Welche Beschäftigungseffekte hat der digitale Wandel? Wer wird das System zukünftig finanzieren, wenn es weniger ArbeitnehmerInnen gibt? In welche Richtung geht die Entwicklung? Wie verändern sich die Bildung, die Industrie und die Arbeitswelt? Wie sieht gute Arbeit der Zukunft aus? Jährlich verdoppelt sich weltweit das digital generierte Datenvolumen. 2005 betrug es noch 130 Exa­byte (eine Milliarde Gigabyte), 2015 waren es bereits 8.591 und laut Prognosen werden 2020 40.026 Exabyte weltweit übertragen. Mit dem Datenvolumen machen Datenkonzerne wie Apple, Amazon, ­Google oder Facebook enormen Profit. Facebook etwa generiert einen jährlichen Umsatz von einer Viertelmillion Euro pro ArbeitnehmerIn. Gleichzeitig sinkt die Anzahl der Beschäftigten.

BEISPIEL „HELPLING” Die Putzkraftvermittlung „Helpling“ ist Teil eines neuen Phänomens. Das Geschäftsmodell: xx Online-Rechner xx Preis: zwischen 11 und 14,90 Euro/Stunde xx Das Unternehmen stellt die Rechnung im Namen der Reinigungskraft xx Rating der Reinigungskraft durch KundInnen xx Reinigungsservice verfügbar von Montag bis Sonntag, 8.00 bis 21.00 Uhr xx Das Unternehmen leitet den Auftrag an die „Helplinge“ weiter xx Laut ihrer Website ist „Helpling“ kein Reinigungsunternehmen, sondern ein „Marktplatz“ (wobei ein fixer Lohn vorgegeben ist) xx Das Unternehmen stellt die Reinigungskräfte nicht an, sondern „kooperiert“ mit ihnen Wer steht hinter dem Unternehmen? Die Mutter von „Helpling Austria“ hat ihren Sitz in Luxemburg, an der deutschen Mutterfirma ist Rocket-Internet beteiligt. Rocket Internet hat die Mission, die weltgrößte Internetplattform außerhalb der USA und Chinas zu werden. Welche Arbeitsverträge haben „Helplinge“? Sylvia Kuba: Hier gibt es Standard-Verträge und Werkverträge. Der Arbeitgeber stellt die Aufträge in einen Pool – die Helplinge fischen sich dort die Aufträge je nach ihrer verfügbaren Zeit. Um bei „Helplinge“ zu arbeiten, benötigen die Reinigungskräfte eine Gewerbeberechtigung.

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Charakteristika von Online-Arbeitsvermittlungsplattformen: xx Vermeidung der Begriffe „Arbeit“ oder „Arbeitende“ xx Widerspruch von (Fix-)Preis und Markt xx Einseitiges Rating (ArbeitnehmerInnen werden bewertet, AuftraggeberInnen nicht) xx Fragwürdiger oder unklarer Umgang mit Feiertagsarbeit, Wochenendarbeit, Freizeit, Steuern, Sozialversicherung Gewerkschaftliche Errungenschaften werden durch solche Praktiken laufend unterminiert. Was können Gewerkschaften dagegen tun? Die IG Metall schlägt die Online-Plattformen mit ihren eigenen Waffen: Auf der Internetplattform „FairCrowdWork Watch“ der IG Metall (www.faircrowdworking.org) können Beschäftigte von Online-Vermittlungsagenturen ermitteln, ob sie fair bezahlt werden, und per Rating ihre ArbeitgeberInnen bewerten.

Quelle: https://www.mturk.com/mturk/welcome

Crowdwork Beim Crowdworking wird die Arbeit online vermittelt und erledigt. Hier variiert die Entlohnung zwischen unterbezahlt und gut bezahlt. Die größte Arbeitsvermittlungsplattform für digitale Arbeit weltweit ist Amazon Mechanical Turk.

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Die meisten CrowdworkerInnen sind eher jung mit leichtem Männer-Überhang, überdurchschnittlich gebildet mit unterdurchschnittlichem Verdienst. Viele CrowdworkerInnen betreiben Crowdwork als ­Nebenjob. Problematisch ist, dass bei solchen Plattformen die Grenzen zwischen selbstständiger und unselbstständiger Arbeit verschwimmen. Für CrowdworkerInnen heißt das: xx Hoher Konkurrenzdruck xx Hoher Lohndruck xx Keine Mitbestimmung xx AGBs ersetzen den Arbeitsvertrag xx Ständige Ratings Die Veränderungen durch die Digitalisierung der Arbeitswelt ziehen sich quer durch alle Branchen: xx Verkehr, Transport (Google Cars), Logistik (Sensoren und Datenverfügbarkeit) xx Büro- und Verwaltungsbereich xx Dienstleistung (Banken); Verkauf (Selbstbedienungsschnittstellen), Online-Handel ­(Wertschöpfungsabfluss); Bau (vorgefertigte Bauteile) xx Industrie: manuelle Tätigkeiten, Angestelltenjobs (Produktionsplanung) Industrie 4.0 „Industrie 4.0“ ist ein Marketing-Begriff, um leichter Fördergelder zu lukrieren. Dennoch hat der Begriff eine reale Basis. In der Industrie 4.0 fallen viele Tätigkeiten weg. Hochqualifizierte sind davon weniger betroffen als gering qualifizierte ArbeitnehmerInnen. Derzeit ist die Diskussion um Industrie 4.0 stark technikorientiert. Aus gewerkschaftlicher Sicht sind folgende Fragen zentral: xx Was heißt das für den Menschen in der Fabrik? xx Arbeitsorganisation: Leitet der Mensch die Maschine oder umgekehrt? xx Welche Beschäftigungseffekte ergeben sich dadurch? xx Welche Ausbildung werden Beschäftigte brauchen?

AIRBNB Airbnb ist die größte P2P-Unterkunftsplattform weltweit. Sie bietet kurzfristig und einfach Unterkünf-

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te und Übernachtungen an. Seit der Entstehung 2007 in San Francisco ist die Plattform rapide angewachsen (2010: 47.000 Übernachtungen, 2015: 17 Millionen Übernachtungen). 2012 wurde das Unternehmen globaler Marktführer der Online-Vermietungsvermittlung. Der Unternehmenswert wird auf 20 Billionen Dollar geschätzt (02/2015). Das Geschäftsmodell basiert auf Vermittlungsgebühren für Gäste und GastgeberInnen. Umverteilung: Alte Fragen neu gestellt Airbnb ist, wie viele andere Online-Vermittlungsplattformen, schick, hip und erleichtert den NutzerInnen das Leben und die Arbeit. Unternehmen erzielen gute Gewinne, während gleichzeitig sozial- und arbeitsrechtliche Standards untergraben werden. Ziel muss es sein, neu entstehende Erträge, Produktivitätsund Effizienzgewinne gerecht zu verteilen. Digitaler Wandel: Was BetriebsrätInnen sagen Die Arbeiterkammer Wien hat in einer Umfrage BetriebsrätInnen großer Betriebe gefragt, welchen digitalen Wandel sie im Unternehmen feststellen und ob sie diesen eher positiv oder negativ bewerten. Die Ergebnisse zeigen, dass die meisten BetriebsrätInnen dem digitalen Wandel durchaus positiv gegenüberstehen. Vor allem die Kommunikation mit den KollegInnen werde dadurch erleichtert. Negativ bewerten BetriebsrätInnen die steigenden Arbeitsbelastungen. Immer weniger Beschäftigte müssen immer mehr leisten, und das in kürzerer Zeit. Unter diesem Druck gelingt das Abschalten nur schwer. Darunter leidet die Vereinbarkeit von Beruf- und Privatleben. Vor allem für ältere Beschäftigte bewerten BetriebsrätInnen die Situation vorwiegend negativ. Wer treibt den digitalen Wandel voran? Konzerne und Geschäftsführungen sind die wesentlichen Treiber der Digitalisierung in den Betrieben. Das heißt: Der Mächtigere setzt den digitalen Wandel im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen um, mit dem Argument, dass danach alles besser wird. Es handelt sich somit um „Top-down-Ansätze“. Im Vordergrund stehen betriebswirtschaftliche Erwägungen.

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Fragen in Bezug auf Mitbestimmung Ortsunabhängiges Arbeiten verändert Betriebsgrenzen und BR-Gründungen. xx Wie lässt sich online Solidarität entwickeln? xx Steuert der Mensch die Maschine oder die Maschine den Menschen? xx Wie können wir betrieblichen Datenschutz sichern? Für die gewerkschaftliche Debatte heißt das: xx Unternehmerische Strategien problematisieren xx Steuer-, sozial- und arbeitsrechtliche Standards verteidigen und erweitern xx Der Monopolbildung entgegentreten xx Beitrag der Digitalisierungsgewinner sichern xx Digitalen Wandel von technikzentrierter zu arbeitsmarktzentrierter Debatte machen xx Von einer marktzentrierten zu einer menschzentrierten Debatte kommen xx Schutz- und Gestaltungsaufgaben wahrnehmen LESETIPP: AK-Wien (2015):Wie gestalten wir den digitalen Wandel gerecht? Visionen und Forschungsfragen aus der Perspektive von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. https://media.arbeiterkammer.at/wien/PDF/studien/Digitaler_Wandel.pdf

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DIGITALER WANDEL UND NUTZUNG „SOZIALER MEDIEN” IN DER ARBEITSWELT REFERENT PROF. DR. PETER WEDDE PROFESSOR FÜR ARBEITSRECHT UND RECHT DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT AN DER FRANKFURT UNIVERSITY OF APPLIED SCIENCES

Über die Digitalisierung der Arbeitswelt reden wir bereits seit über 20 Jahren. Es wird immer wieder befürchtet, dass die Digitalisierung zu einem intensiven Abbau von Arbeitsplätzen führen könnte. Wie hoch tatsächliche Arbeitsplatzverluste sind, ist nicht klar. Fest steht: Der digitale Wandel wird für Beschäftigte positive wie negative Auswirkungen haben.

1. ARBEITSWELT IM DIGITALEN WA NDEL Kein Arbeitsfeld ist vor grundlegenden Veränderungen geschützt. Rationalisierung als Folge der Digitalisierung beschränkt sich nicht auf bestimmte Bereiche. BüromitarbeiterInnen kann es ebenso treffen wie beispielsweise ProduktionsmitarbeiterInnen, DienstleisterInnen, HandwerkerInnen oder LehrerInnen. Welche konkreten Veränderungen es geben wird, lässt sich mittelfristig begrenzt und langfristig nur sehr vage abschätzen.

Entwicklungsschritte der letzten dreißig Jahre xx Vor 30 Jahren arbeiteten die MitarbeiterInnen im IBM-Rechnungszentrum mit 10-MB-Speicherbändern. xx Vor 25 Jahren stand dem Betriebsrat ein gebrauchter PC mit einem gebrauchten Drucker und einer gebrauchten Software zur Verfügung. xx Vor 20 Jahren hat Toshiba ein Notebook mit Farbauflösung herausgebracht. Kosten: 15.000 Euro. xx Vor 10 Jahren kamen die ersten Smartphones und vor 5 Jahren die iPads. xx Heute haben wir das „Internet der Dinge”. Das Tempo der Entwicklung neuer Endgeräte verlangsamt sich zwar derzeit. Dafür nimmt die Entwicklung neuer Anwendungen und Verarbeitungsmöglichkeiten weiter Fahrt auf. Es gilt: Was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert, und was sich vernetzen lässt, wird vernetzt.

2. SOZIALE NETZWERKE Für viele Menschen sind „soziale Netzwerke“ im privaten Bereich ein zentrales Kommunikationsmedium geworden. Werden diese Netzwerke auch dienstlich genutzt, verschwimmt die Grenze zwischen Beruf und Privatleben immer mehr.

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Soziale Netzwerke erobern die Betriebe Inzwischen werden öffentliche soziale Netzwerke auch für betriebliche Zwecke genutzt. Interne betriebliche Netzwerke (etwa Yammer, Connect oder Facebook at Work) werden zu zentralen Arbeitsmitteln. Ihr Einsatz wird mittelfristig zu grundlegenden Veränderungen der Arbeitswelt führen. Yammer beispielsweise ist eine Social-Business-Plattform zur internen Anwendung in der Arbeit, ähnlich Facebook im privaten Bereich. Die ArbeitgeberInnen sagen: „Ach, das ist doch nicht schlimm. Nur gamification!“ Ich behaupte: Das ist genauso eine Revolution wie damals, als E-Mails eingeführt wurden, die konventionelle Briefe und Umlaufmappen verdrängten. Die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber postet die Aufgaben, alles passiert über diese Anwendung. Jeder kann über ein Ampelsystem beispielsweise sehen, „wie weit der Wedde mit der Aufgabe ist“. Ich muss mir die Arbeit auf der Plattform abholen und kann sogar mit „gefällt mir“ bewerten oder fünf Sterne dafür vergeben.

Der individuelle Arbeitsplatz verändert sich xx „Arbeitsplatzunabhängigkeit” wird in vielen Bereichen der Regelfall xx Verbleibende betriebliche Arbeitsplätze verändern sich: • Desk-Sharing • Minimalistische Arbeitsplatzausstattung • Verzicht auf Akten • Arbeitsmittel im Container xx Mobile Arbeit breitet sich aus und hat Folgen: • Reduzierung betrieblicher Arbeitsplätze • Wegfall des „Sozialorts Betrieb”

3. DER NÄCHSTE SCHRITT: ALLES 4.0? 4.0 sind selbstlernende Fabriken, Internet der Dinge, Bluetooth 4.0 usw. Die Maschinen sagen dann „Wedde, ich muss geschmiert werden“ oder „Wedde, ich laufe heiß“. Die Medaille hat zwei Seiten. Wenn das alles so funktioniert, kann jeder von uns überall arbeiten. Das ist eine völlige Flexibilisierung der Arbeitswelt. Siemens hat seinen MitarbeiterInnen vorgeschlagen, dass sie freiwillig auf ihre Festnetztelefone verzichten und stattdessen nur noch Mobiltelefone nutzen können. Das Unternehmen erwartet als Folge finanzielle Einsparungen im Millionenbereich. Aber: Wenn alle nur noch Mobiltelefone haben, sind sie auch leichter außerhalb des Betriebs zu erreichen. Ein weiterer Trend ist Desk-Sharing: Es gibt keinen festen Arbeitsplatz mehr, das spart zusätzlich Geld.

4. DIE PRAXIS Einige Beschäftigte mussten bereits schmerzlich erfahren, welche Möglichkeiten ArbeitgeberInnen aus der Digitalisierung und aus der Nutzung sozialer Netzwerke ziehen:

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Fall 1: Eine Betriebsrätin bekommt eine Abmahnung, weil sie auf Facebook einen Beitrag „geliked” hat, der sich kritisch mit Arbeitsbedingungen bei der Konzernmutter ihres Unternehmens befasst hatte.

Fall 2: In einer Bank werden KundenbetreuerInnen aufgefordert, mit KundInnen über soziale Netzwerke zu kommunizieren. Ein Kundenbetreuer wird in der Folge von KundInnen verklagt, weil diese eine Äußerung des Betreuers auf Facebook als Kauftipp verstanden hatten. Damit verloren die KundInnen Geld, das sie vom Betreuer zurückfordern. Die Bank verweist auf die Verantwortung des Betreuers und will nicht für den entstandenen Schaden aufkommen.

Fall 3: Ein Unternehmen möchte die „Bewertungspunktzahlen” zu den einzelnen Beschäftigten in einem ­internen Social Business Network auch dazu verwenden, einen Teil der Provisionen zu berechnen. Ein Teil der Beschäftigten findet das gut, andere lehnen das Streben nach vielen Punkten ab.

Fall 4: In einem Unternehmen hat die Geschäftsführung den Verdacht, dass leitende MitarbeiterInnen Informationen an den Betriebsrat weitergeben. Aufgrund einer Analyse der Kommunikationsbeziehungen werden zwei leitende MitarbeiterInnen gekündigt.

5. PROBLEMFELDER Die Digitalisierung und der Einsatz neuer Kommunikationsmittel werfen zahlreiche Probleme auf: xx Wie können die Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten geschützt werden? xx Wie kann die Gleichbehandlung sichergestellt werden? Nicht jeder „darf“ von zu Hause aus ­arbeiten. xx Wie können persönliche Entfaltungsmöglichkeiten einzelner Beschäftigter gesichert werden, die sich für oder gegen die neue Technik entscheiden? xx Wie kann das Kontrollpotenzial der Technik ausgeschlossen oder begrenzt werden?

6. DIE RECHTLICHE EBENE – LÖSUNGEN? Ein „Arbeitsrecht 4.0“ wird leider derzeit weder in Deutschland noch auf EU-Ebene entwickelt. Deshalb steht für die Bewältigung der Probleme, die sich für die „schöne neue digitale Arbeitswelt“ abzeichnen, nur das „alte Arbeitsrecht“ zur Verfügung. Wo es rechtliche Neuerungen gibt, die auf die Digitalisierung zielen, werden die Rechte von Beschäftigten nicht in den Vordergrund gestellt. Dies zeigt sich etwa an der neuen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die gerade verkündet wurde und die ab dem 25. Mai 2018 in allen EU-Staaten zwingend gültig sein wird. Die DSGVO hat zwei Zielsetzungen: 1. Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten: Wahrung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. 2. Freier Datenverkehr: Unternehmerisches Interesse an einer einfachen Übermittlung und Verar­ beitung personenbezogener Daten im europäischen Rahmen.

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Das Problem: Dem freien Datenverkehr wird sehr viel Raum eingeräumt, ohne dass zugleich personenbezogene Daten von Beschäftigten herausragend geschützt werden.

Kritische Aspekte in der DSGVO xx ArbeitgeberInnen dürfen Beschäftigtendaten bei mündlicher Einwilligung verarbeiten xx Möglichkeiten zur Verarbeitung von Beschäftigtendaten werden ausgeweitet, ohne zugleich ­entsprechende Schutzmechanismen zu schaffen xx Abweichungen von der DSGVO sind per Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag zulässig

7. HERAUSFORDERUNGEN FÜR BETRIEBSRÄTINNEN ArbeitgeberInnen gestehen betrieblichen Interessenvertretungen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten auch bezogen auf die digitale Arbeitswelt nicht freiwillig zu. Die tatsächlich bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten hängen damit unmittelbar von den gesetzlich verankerten Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten ab.

Was könnten/sollten BetriebsrätInnen tun? BetriebsrätInnen sollten die positiven Möglichkeiten der Digitalisierung für die Beschäftigten nutzbar machen und absichern, wie etwa xx Zugang zu neuen Kommunikations- und Austauschformen, xx aktive Mitwirkung an der Ausgestaltung von Arbeitsprozessen, xx Selbstorganisation von Arbeitsgruppen, xx Flexibilisierung der Arbeitssituationen (mobile Arbeit, Homeoffice) usw., xx Abschätzung von Langzeitfolgen der Digitalisierung und Schaffung vorausschauender ­Regelungsmechanismen (IT-Folgenabschätzung) etwa durch • Vereinbarungen, durch die bestimmte mögliche Kontrollmechanismen für die Zukunft ­ausgeschlossen werden, • Qualifikation von Beschäftigten für neue Aufgaben usw., xx Sicherung von Wahlmöglichkeiten und Alternativen, insbesondere für die Beschäftigten, die mit bestimmten neuen Anwendungen nicht arbeiten können oder wollen, durch • Erhalt redundanter Strukturen, • Verpflichtung der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers und der Vorgesetzten, bestimmte ­Informationen auf verschiedenen Wegen zu vermitteln, • Festschreibung von Wahlmöglichkeiten usw., xx Forderung der Nutzung neuer Techniken, um Anwendungen sicher und gesetzeskonform zu gestalten, etwa durch • Einsatz von Mobile Device Management Software zur Sicherung von gesetzlichen ­Arbeitszeitvorgaben, • Verschlüsselungssoftware zur Sicherung der Vertraulichkeit, • Löschungsfristen zur Vermeidung unzulässiger Auswertungen usw., xx Verbot bestimmter Anwendungen und Möglichkeiten, wenn damit verbundene Risiken und Gefahren überwiegen.

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8. HERAUSFORDERUNGEN FÜR GEWERKSCHAFTEN Aus gewerkschaftlicher Sicht verbinden sich mit der Digitalisierung positive wie negative Aspekte. Positiv sind beispielsweise die Möglichkeiten, über soziale Netzwerke Beschäftigte anzusprechen, neue Mitglieder zu werben und bereits organisierte Kolleginnen und Kollegen zu informieren und zu organisieren. Negativ zu bewerten sind hingegen die angesprochenen Gefahren wie Jobverlust oder zunehmende Kontrolle.

Was könnten/sollten Gewerkschaften tun? xx Konzepte entwickeln, wie Nachteile entweder vermieden oder wie Vor- und Nachteile fair v­ erteilt werden könnten, xx digitale Kommunikationsmöglichkeiten aktiv für ihre Arbeit nutzen, xx dabei aber Vorbild sein und deshalb beispielsweise auf „datenschutzfeindliche” Anwendungen (etwa WhatsApp) verzichten und stattdessen auf „datenschutzfreundliche” Alternativen (etwa Threema) setzen, xx bestimmte Standards (etwa im Bereich Arbeitsschutz/Arbeitszeitschutz) fordern und sichern, auch wenn ArbeitgeberInnen und Gruppen von Beschäftigten diese für überholt halten, xx sowohl für „technikbegeisterte” als auch für „technikkritische” Beschäftigte Lösungswege aufzeigen.

9. FAZIT Nach mehr als zwanzigjähriger Diskussion steht uns die Digitalisierung „immer noch bevor“. Dies ist einerseits beruhigend, weil es wohl doch nicht so schlimm kommen wird, wie oft prognostiziert wird. Andererseits zeichnet sich derzeit ab, dass die Veränderungen massiver sein werden als bisher, weil diese auch von Beschäftigten gewollt sind. Deshalb müssen die kollektiven Interessenvertretungen den Ball aufnehmen und die sich bietenden Möglichkeiten mitgestalten, bevor dies andere tun.

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WORKSHOPS 32


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WORKSHOP 1

GEWERKSCHAFTLICHE MITBESTIMMUNG IM ZUGE DES DIGITALEN WANDELS MODERATION: BETTINA MAUSER, MA, ÖGB-VERLAG DOKUMENTATION: MAG. SIMON SCHUMICH, AK WIEN TEILNEHMERiNNEN: KRISTOFER ÅBERG (SE), FLORIAN BAUMGARTNER (AUT), JOSCHKA EBEL (DE), PATRICIA FUCHS (AUT), MEHMET KABAKCI (AUT), MALTE LÜCKERT (DE), BENJAMIN PFALZ (DE), VANESSA RADU (AUT), KLAUS SCHIER (IT), NINA VLADOVIC (CH), KRUNOSLAV ZUPARIC (AUT)

SITUATION IN DEN JEWEILIGEN ORGA NISATIONEN/LÄ NDERN xx Das Thema „Digitalisierung und Demokratie“ spielt in allen Ländern und Organisationen eine Rolle mit unterschiedlicher Betroffenheit. In Deutschland und Österreich ist die Diskussion stark von der Industrie-Debatte geprägt, mit aktuellen Auswirkungen auf die Produktion. Bei der Gewerkschaft vida ist es eher noch ein Zukunftsthema. Auf schwedischen Baustellen geht es vor allem um Datenschutz und Verhaltenskontrolle im Bau. xx Grundsätzlich sind der Arbeits- und Gesundheitsschutz, der Datenschutz und die Arbeitsorganisation wichtige Themen. Auch Infrastruktur spielt eine wichtige Rolle: Schnelles Internet ist eine Grundvoraussetzung, aber auch öffentliche Investitionen wie z. B. Straßenbau sind zentral. xx Neue Beschäftigungsformen müssen berücksichtigt werden. xx BetriebsrätInnen sollten bessere Informationsrechte über Werkverträge bekommen. xx Entgrenzung von Arbeit: Was ist Arbeitszeit, was nicht? Wenn Betriebsvereinbarungen einen Riegel vorschieben, kann es dazu kommen, dass Beschäftigte andere Wege suchen, um ihre Arbeit zu erledigen. xx Welche Ausbildungsplätze, Inhalte und Werkzeuge brauchen wir zum Thema Mitbestimmung?

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xx Social Media und andere Trends im Bereich der digitalen Netzwerke sind nicht wegzudenken. Seminare, wie man sich in sozialen Medien verhalten sollte, werden von Gewerkschaften und Betrieben bereits angeboten. Man kann sich via Social Media auch organisieren! Jedoch ist das nicht so einfach – wie kann man das verbessern? xx Arbeitsplatzwechsel und Individualisierung nehmen zu. Die Frage der gewerkschaftlichen Organisierung ist für die Mitbestimmung ein wichtiges Thema. xx Aus- und Weiterbildung in den Betrieben: In Deutschland gibt es gute Möglichkeiten der Mitbestimmung, z. B. beim Bedarf an Bildungsmaßnahmen. Diese Möglichkeiten bräuchte es auch in anderen Ländern. xx Wie können ArbeitnehmerInnen in der Kontrolle der Arbeit und Überwachung sowie bei Bereitschaftsdiensten (on demand) mitwirken? Nur über Betriebsvereinbarungen oder gibt es andere Kommunikationsmöglichkeiten?

CHA NCEN UND RISIKEN Chancen: xx Schnelle Kommunikation innerhalb der Organisation xx Weiterbildung xx Humanisierung der Arbeit xx Maschinenabgabe (Wertschöpfungsabgabe) xx Bessere Arbeit (im Zuge von Arbeitsschutz) xx Arbeitszeitverkürzung xx Ausweitung der Mitbestimmung Risiken: xx Psychische Belastung xx Finanzierung der Sozialversicherung xx Schwache ArbeitnehmerInnen bleiben oft auf der Strecke xx Datenschutzbedenken xx Verlust der direkten Kommunikation xx Angst vor Arbeitsplatzverlust xx Work-Life-Balance leidet xx Weitere Umverteilung nach oben (Verteilungseffekte) xx Rentenbeiträge sinken xx Arbeitszeit Viele Risiken ergeben zugleich Chancen und umgekehrt.

LÖSUNGSANSÄTZE, FORDERU NGEN U ND RESSOURCEN Auf Basis der Chancen-Risiken-Analyse erarbeiteten die TeilnehmerInnen in Kleingruppen Lösungsvorschläge, Forderungen und Ressourcen zum Thema Mitbestimmung im digitalen Wandel.

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Chancen und Risiken

Lösungsansätze

Forderungen

Ressourcen

Umverteilung nach oben und Finanzierung der Sozialversicherung

kein weiterer Abbau von Sozialleistungen

paritätische Finanzierung der Sozialsysteme

internationale Initiative zur Rettung des Sozialstaates

Rationalisierung und Arbeitszeitverkürzung

kein Arbeitsplatzabbau durch Digitalisierung

Arbeitszeitreduktion bei vollem Lohnausgleich

Bewusstsein schaffen, Mitglieder, Kontakte

Rentenbeiträge sinken

Rentenkürzung verhindern

Digitalisierungs­ abgabe

Bewusstsein schaffen, Weiterbildungsangebote schaffen, Mitglieder, Kontakte

Work-Life-Balance

Gesundheit fördern

betriebliche Gesundheitsförderung

BetriebsrätInnen, Bewusstsein schaffen

Maschinenabgabe, Datenproblem

politischen Druck erhöhen, Datenschutz diskutieren

gesetzliche Regelungen zur wirtschaftlichen Umverteilung

Mitglieder und FunktionärInnen

Qualifikationen

mehr Geld für BilBildungsfonds, dung und mehr Recht Freistellungsanauf Bildung spruch erweitern

Ausbildung

MultiplikatorInnen und Stakeholder (Lehrkräfte, Eltern usw.) miteinbeziehen

neue Ausbildungspläne

Arbeitsverfassung und Tarifvertrag dementsprechend adaptieren in internen Gruppen weiterdiskutieren, internationale Gruppe zur Koordination

Bei der anschließenden Diskussion konkretisierte sich in Bezug auf die „Maschinenabgabe“ und das Datenproblem die Forderung einer „Digitalisierungsabgabe“ zur wirtschaftlichen Umverteilung.

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WORKSHOP 2

ARBEITSPLATZ DER ZUKUNFT MODERATION: ROBERT HOFMANN, GEWERKSCHAFT VIDA DOKUMENTATION: MAG. A MARIA SCHMIDT, AK WIEN TEILNEHMERiNNEN: KATARZYNA BUCHTA (NL), MANUELA CONTE (DE), DANIEL ERBES (DE), MATTIA FABBRICOTTI (IT), LENA FRANK (CH), SUSANNA HAAPALAINEN (FL), MELANIE HÖSE (DE), BARBARA KASPER (AUT), BERNHARD SCHMID (AUT), JAKOB WAGNER (SE), MICHAEL WAGNER (DE), NICOLAI WOHLMUTH (AUT), NATALIE WREDORFS (SE), LINA YAFI (SE)

SITUATION IN DEN JEWEILIGEN ORGA NISATIONEN/LÄ NDERN In Schweden werden Lkw-FahrerInnen per GPS überwacht. Zudem können ArbeitgeberInnen mittels einer App feststellen, wo sich die MitarbeiterInnen aufhalten und wie lange sie arbeiten. Gleichzeitig erleichtern gerade am Bau Roboter die Arbeit, etwa durch das Heben schwerer Lasten. In Finnland spielen Pflegeroboter „Schere, Stein, Papier“ mit den PatientInnen. In der Schweiz werten Roboter Pflegedaten aus. Gerade im Gesundheitsbereich fährt der Schweizer Staat ein striktes Sparprogramm und forciert daher Digitalisierung. In Wien ist bald die erste fahrerlose U-Bahn realisiert. Schon jetzt haben in vielen Ländern Ticketautomaten Personal ersetzt, das für die Sicherheit der Reisenden in öffentlichen Verkehrsmitteln wichtig wäre. Der Gesetzgeber hinkt bei diesen Entwicklungen nach. Digitaler Wandel muss nicht per se negativ sein, aber es gibt jede Menge Bedenken. Nicht nur Arbeitsplätze gehen verloren, auch Menschlichkeit fällt weg.

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HERAUSFORDERUNGEN xx Wie gehen Gewerkschaften damit um, dass mehr Jobs wegfallen als neue entstehen? xx Wie wird die Arbeitswelt effizienter? xx Wie kann Arbeit besser verteilt werden? (Vorschlag: Arbeitszeitverkürzung!) xx Datenschutz und „Big Data“: Wie wird erfasst, wer hat Zugriff? xx Keine Berücksichtigung des speziellen Bedarfsfalls (menschliches Ermessen fällt weg) xx Digitalisierung als Umsatzoptimierung für Unternehmen xx Bestrebungen, Menschen näher an den Roboter zu bringen xx Arbeitsplatzverlust wird passieren – dieser muss jedoch gestaltet werden. xx Gewerkschaften sind noch nicht so richtig im Thema drin (Vorbereitungsarbeit nötig). Besondere Diskussionspunkte waren ein Mindesteinkommen und der soziale Faktor von Arbeit für das Selbstwertgefühl von Menschen. CHA NCEN UND RISIKEN Chancen: xx Work-Life-Balance: Auch in Unternehmen ändert sich das Bewusstsein dafür. xx Bessere Lebensqualität durch Arbeitszeitverkürzung oder Freizeitoption (z. B. mittels Kollektivvertrag) xx Arbeitserleichterung durch Apps (schnellere Verbreitung von Informationen, z. B. bei Streik) xx Arbeitserleichterung durch Roboter (z. B. Schwerlasten heben am Bau) xx Arbeit eingrenzen/verkürzen: In den USA ist die Vier-Tage-Woche Thema. Könnte ein mobiler Server die Endgeräte am Abend einfach ausschalten? xx Schwarmwissen anzapfen, um Wissen aufzubauen xx Gewerkschaften können Vorreiterrolle übernehmen xx Kontakt zur Politik verstärken Risiken: xx Menschlichkeit geht verloren xx Soziale Kontakte gehen verloren (z. B. durch Homeoffice) – kein Pausenaustausch zwischen KollegInnen xx Zunehmende Polarisierung zwischen „FaulenzerIn“ und Workaholic xx Wissen geht verloren, wenn Maschinen die Arbeit von Menschen übernehmen. xx Wo sind die Grenzen der Arbeit? Wenn abends noch Mails beantwortet werden, ist die Privatsphäre in Gefahr. xx Wo bleibt der Solidaritätsgedanke? xx Gewerkschaften haben derzeit noch zu wenig Macht. xx MitarbeiterInnen müssen geschult werden. xx Arbeitsplatzverluste Im Zuge der Diskussion über Chancen und Risiken ergaben sich auch diese Fragen: xx Verläuft der Wandel zu schnell oder handeln GewerkschafterInnen zu langsam? xx Welche Jobs können aus ethischer Sicht von Robotern übernommen werden? Ist es vertretbar, dass Roboter in Altersheimen den älteren Menschen Lieder vorsingen?

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FORDERUNGEN xx Gewerkschaften: • Mehr agieren statt reagieren • Mehr Infos für ArbeitnehmerInnen und BetriebsrätInnen aufbereiten • Klare Standpunkte vertreten • Mehr Mitbestimmung bei Gesetzgebung xx Datenschutz: • Einheitliche Standards zum Datenschutz in der EU schaffen • Unabhängige Kontrollorgane für Datenschutz schaffen (aus Gewerkschaft, Betriebsrat, Kammern) xx KonsumentInnenschutz ausbauen xx Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich

RESSOURCEN xx Weiterbildungen und Schulungen (z. B. von FacharbeiterInnen) xx Wissen länderübergreifend teilen (Netzwerke bilden, Netzwerktreffen etablieren) xx Infoveranstaltungen (Ängste nehmen) xx ExpertInnen in den Gewerkschaften ausbilden, die das Thema mitbetreuen und den KollegInnen zur Seite stehen

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WORKSHOP 3

NOTWENDIGE QUALIFIKATIONEN IM DIGITALEN WANDEL MODERATION: MAG. A EVELYN BEYER, ÖGB-VERLAG DOKUMENTATION: ANDREAS KASTNER, AK WIEN TEILNEHMERiNNEN: ANDREAS BRANTNER (AUT), PAUL GERSCHT (DE), MARVIN HOPP (DE), SYLVIA JOGEMS (NL), THOMAS KLÖSCH (AUT), NICOLE TUSCHAK (AUT), ALEXANDER WURZER (IT)

SITUATION IN DEN JEWEILIGEN ORGA NISATIONEN/LÄ NDERN Eine Frage, die sich vor allem in Deutschland stellt: Welcher ist „der“ Beruf der Zukunft, der den digitalen Wandel am besten beschreibt? Könnten das MechatronikerInnen sein? In Italien wird Digitalisierung der Arbeitswelt noch stiefmütterlich behandelt, nicht nur im Bereich der Qualifizierung. Alle Länder befürchten einen starken Bildungs-Gap (digital divide), vor allem ab 45 Jahren. Diese Lücke gibt es schon länger, sie wird durch Digitalisierung jedoch verstärkt. Bildungsbenachteiligte verlieren immer mehr den Anschluss, der Zugang zur Berufsbildung sinkt. Wo sind welche E-Qualifikationen gefragt? Wie kann man auf dem zweiten Bildungsweg studieren? Welche Stipendienmöglichkeiten gibt es (auch vonseiten der Gewerkschaften)? Ein weiteres Problem: Zugang zu technischen Hilfsmitteln. Daher ist im Zusammenhang mit digitalem Wandel auch die Verteilung von Ressourcen und die Selektion im Bildungsweg zu diskutieren. Probleme ergeben sich zudem beim Arbeitsplatzwechsel, wenn Beschäftigte für den Arbeitsplatz anstelle des Arbeitsmarktes ausgebildet werden.

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CHA NCEN UND RISIKEN Chance: Faire Aus- und Weiterbildung

Handlungsoptionen: xx Barrierefreier Zugang zu digitalen Medien (digital access), unabhängig von der sozialen Schicht xx Gamification (spielend lernen) xx Kostenloser und freier Zugang zu den Plattformen xx Unterstützung für digitale Lernmedien (z. B. Finanzierung von Tablets) xx Fachkräftemangel entzaubern: mehr betriebliche Bildung, mehr Ausbildungsplätze schaffen Forderungen: xx Ausbau digitaler Lernmöglichkeiten xx Ausstattung aller Schulen mit digitalen Lernmitteln (Notebook-Klassen) xx Unterrichtsfach „Medienkompetenz“ ausbauen xx Aus- und Weiterbildung darf nicht in unbezahlte Zeit verschoben werden. Was ist legitimes Selbststudium, was muss bezahlte Lernzeit sein? xx Weiterbildungszeit als Teil der Arbeitspflicht xx ArbeitgeberInnen müssen motivierende Rahmenbedingungen für Weiterbildung schaffen, da sie hochqualifizierte Beschäftigte brauchen xx Weiterbildungskollektivvertrag xx Qualifizierungsauftrag muss bei der Arbeitgeberin/beim Arbeitgeber liegen xx Ausbildungsziele auf aktuellem Status anpassen Ressourcen: xx Verstärkter Austausch über notwendige Qualifikationen xx Betriebsvereinbarungsvorlagen zu „Datenschutz“ und „mobiles Arbeiten“ xx Know-how und Expertise von ArbeitnehmervertreterInnen xx Befähigung von BetriebsrätInnen zu dem Thema xx Expertise an Hochschulen einholen xx Austausch über Gesamtbetriebsvereinbarung zu „Weiterbildungsregelungen“ (Beispiel VW) xx Digitale Möglichkeiten für gewerkschaftliche Weiterbildung nutzen Risiko: Arbeitsplatzverlust

Handlungsoptionen: xx Qualifikationen anpassen, IT-Kenntnisse vermitteln xx Studien über die Folgen von Digitalisierung xx Klärung ethischer Fragen: Was wollen wir zulassen (z. B. Roboter in der Pflege)? xx Kompensation von Arbeitsplatzverlust durch Wachstum (ist das noch möglich?) xx Produktivitätssteigerung verteilen – was passiert mit den rationalisierten Beschäftigten? xx Berufsbilder überarbeiten xx Unternehmen nutzen Krisen zur Digitalisierung (z. B. VW) – Gewerkschaften und BetriebsrätInnen können sich darauf vorbereiten

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Forderungen: xx Digitale Lernmöglichkeiten ausbauen xx Beruflichkeit sicherstellen xx Duale Berufsausbildung für alle ermöglichen xx Keine Schmalspurausbildung xx Keine Modularisierung (wie in Deutschland) Risiko: Datenschutz

Handlungsoptionen: xx Regeln für einen guten Datenschutz schaffen xx Digitale Lernbegleiter zur Kontrolle von Lernaktivität in der Freizeit (Hausübungen) Conclusio: Weiterbildung spielt in jedem Bereich eine große Rolle und muss eindeutig ausgebaut werden.

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WORKSHOP 4

GEWERKSCHAFTLICHE KOOPERATION AUF EUROPÄISCHER EBENE IM DIGITALEN WANDEL MODERATION: BANU CELIK, ÖGB DOKUMENTATION: MAG. A LISA SINOWATZ, AK WIEN TEILNEHMERiNNEN: FABIAN BEUTEL (AUT), MATTHIAS BÖHM (AUT), ALI DOGAN (AUT), ­DARIUS EIGENMANN (CH), SALOME GROLIMUND (CH), GUS GRUBB (GB), CHRISTINA HÖFERL (AUT), JOSEF HOLNBURGER (DE), THOMAS HOLY (AUT), MAGDALENA KRÜGER (DE), DANIEL LACHMAYR (AUT), NINA TIKKANEN (FL), LUKAS ÜTZ (CH)

SITUATION IN DEN JEWEILIGEN ORGA NISATIONEN/LÄ NDERN Eine Kollegin aus Deutschland berichtete, dass ein Großteil der Berufsausbildung im Hotel Hilton über Digitalisierung erfolgt. Bis zu 200 Videos müssen sich die Lehrlinge/Azubis ansehen: vom richtigen Einchecken bis zu Kochprozessen. Die Videos ersetzen die AusbildnerInnen. Es gibt nur Ansprechpersonen, die nachfragen, ob die KollegInnen die Lernvideos angesehen haben. Das Beispiel zeigt den Prozess weg von der Berufsbildung hin zu einer spezifischen Unternehmensausbildung. Was geschieht, wenn die KollegInnen nicht mehr in diesem Hotel arbeiten? Die Videos werden in Amerika für alle Beschäftigten der weltweiten Unternehmenskette produziert. Nicht alle KollegInnen, die anhand dieser Videos eingeschult werden, sprechen jedoch Englisch, zum Beispiel eine Köchin in Polen. Dieser Punkt wurde in der Gruppe heftig diskutiert. Muss die Kollegin dieses Video dann überhaupt ansehen? Wer die Videos in der Privatzeit ansieht, wird mit einem Gutschein belohnt. Das ist jedoch kein Entgelt und greift in die Work-Life-Balance der Beschäftigten ein. In Österreich wurde der digitale Wandel vor allem im Bankenbereich und bei den Wiener Linien diskutiert (Beispiel: fahrerlose U-Bahn). E-Learning wird in

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mehreren Ländern auch in der gewerkschaftlichen Bildung eingesetzt, jedoch als Ergänzung und nicht als Ersatz für Bildungsmaßnahmen. Im finnischen Gesundheitsbereich erleichtert die Digitalisierung unter anderem schwere körperliche Arbeit.

HERAUSFORDERUNGEN Nachdem die meisten TeilnehmerInnen kaum betriebliche Erfahrungen zum Thema einbringen konnten, diskutierten die Kleingruppen die betriebliche Berufsausbildung am Beispiel des Hotelkonzerns Hilton. Die Kollegin aus dem Hotelfach erläuterte, wie die betriebliche Ausbildung auf Basis einer digitalisierten Lernkultur funktioniert. Digitale Technologien bieten eine breite Palette positiver Potenziale, sicherlich auch für Lernprozesse (selbstbestimmt abrufbar, Flexibilität). So werden etwa Lernräume geschaffen und notwendige Hard- und Software werden vor Ort im Betrieb bereitgestellt. Gleichzeitig gibt es mehrere Knackpunkte: Kontrollnetze werden enger: Gerade im Bereich global wirtschaftender Unternehmen ermöglichen diese neuen Technologien und ihre Möglichkeiten zur lückenlosen Erfassung auch eine zentrale Verwaltung von Bildungslaufbahnen. Im diskutierten Fall werden zum Beispiel alle digitalen Videokurse, die von Lehrlingen/Azubis absolviert werden müssen, zentral verzeichnet. Wenn die Kurse innerhalb einer gewissen Zeit nicht abgerufen wurden, meldet sich die Zentrale aus den USA bei der Betriebsleitung und weist darauf hin, dass diese den Lehrling/Azubi dazu bringen muss, diese Kurse noch anzusehen. Zeit- und Leistungsdruck erhöhen sich: Insgesamt macht das Volumen der Onlinekurse einen erheblichen Stundenanteil aus und es werden angefangen vom Zimmerservice und Housekeeping (wie werden die standardisierten Zimmer am besten gereinigt und vorbereitet) bis hin zu Berufsbildinhalten wie etwa Tranchieren etc. zahlreiche Inhalte vermittelt. Auf diese Weise wird die Verantwortung vom Ausbildungsbetrieb vermehrt auf die Lehrlinge/Azubis verlagert. Soziale Auswirkungen von Technik mehr in den Blick nehmen: In breitenwirksamen Medien liegt ein starker Fokus auf den technologischen Machbarkeiten innerhalb des digitalen Wandels. Die sozialen und soziologischen, in weiterer Folge gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen (im Positiven wie im Negativen) werden weniger thematisiert. Produktivitätsgewinne verteilen: Die Wirkungen der Digitalisierung von Güterproduktion und Dienstleistungserbringung für Mensch, Gesellschaft und Umwelt sind politisch gestaltbar – es ist also vor allem eine politische Frage, wie die unterschiedlichen Produktivitätsgewinne aus dieser technologischen Revolution verteilt werden und welche Potenziale man nutzt oder vernachlässigt. Dieser Punkt muss aus interessenpolitischer Sicht viel stärker in die Debatte einfließen. Bildung und soziale Sicherungssysteme neu organisieren: Der Stellenwert von Bildung in der Arbeitsmarktpolitik wird wichtiger werden. Auch Training on the Job wird weiter zunehmen. Wie geht man mit den sich daraus vermutlich ergebenden Bildungszeiten (Lebenslanges Lernen) um? Führt man Maßnahmen ähnlich einer Bildungskarenz ein, die die Menschen im Laufe ihres Erwerbslebens in Anspruch nehmen können? Durch die zunehmende Segmentierung des Arbeitsmarktes werden die Erwerbsmöglichkeiten mit gutem Einkommen, guten Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten weniger, während prekäre Beschäftigung zunimmt. Weiters ist mit dem „Arbeitsmarktplatz Internet“ (Crowdwork,

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Microjobs) hohe Unsicherheit verbunden, ob und von wem, wo, auf welcher Bemessungsbasis und in welchem Ausmaß Beiträge zur Finanzierung von Sozialversicherungssystemen geleistet und Ansprüche erworben werden. Flexiblere Arbeitsbeziehungen und instabile Beschäftigungsverhältnisse verwischen die Grenzen zwischen klassischer unselbstständiger und selbstständiger Erwerbsarbeit. Es wird zunehmend schwieriger, Höhe und Dauer von Sozialversicherungsleistungen an vorgängige Beschäftigungsperioden zu koppeln. Systeme der sozialen Sicherheit müssen daher adaptiert werden. KonsumentInnen auf die Seite der ArbeitnehmerInnen ziehen: Als mögliche „Sicherheitsleine“ wurde auch die Rolle der KonsumentInnen (als potenzielle Verbündete) diskutiert. Die Qualität einer Dienstleistung hängt wesentlich von der persönlichen Betreuung der Gäste ab – besonders im Gastro- und Tourismusbereich. Der Wunsch von KonsumentInnen nach qualitätsvollem Service kann für unsere interessenpolitischen Ziele genutzt werden. Zum Beispiel durch das Argument „echte Gastlichkeit“ versus Automatisierung/Rationalisierung. Viele Gäste ziehen eine freundliche und kompetente Dienstleistung durch qualifizierte MitarbeiterInnen einer automatisierten Dienstleistung vor. Dieses gemeinsame Interesse von KonsumentInnen, MitarbeiterInnen und Gewerkschaften lässt sich potenziell nutzen.

CHA NCEN UND RISIKEN Chancen: xx Internationale Gewerkschaftsbewegung: nicht nur Möglichkeit, sondern Notwendigkeit, international mehr zu einer gemeinsamen Bewegung zu werden xx Arbeitszeitverkürzung: zwischen den Nationalstaaten gibt es zwar unterschiedliche Arbeitsrechte, aber das Vorgehen bei den Forderungen kann vereinheitlicht werden xx Erleichterung schwerer körperlicher Arbeit xx Chancen für die Organisierung von atomisiert arbeitenden KollegInnen (räumlich, zeitlich atomisiert) xx Arbeitsmarktintegration von benachteiligten, beeinträchtigten KollegInnen xx Mehr Lebensqualität: Stichwort „Arbeitszeitverkürzung“ Risiko: xx Arbeitsplatzverlust: Gehen wirklich viele Jobs verloren oder kommt es zu einer Verschiebung?

HA NDLUNGSOPTIONEN xx Geräte abschalten („cool down“), um das Abrufen geschäftlicher E-Mails nach der Arbeitszeit zu verhindern xx Internationale ArbeiterInnenbewegung xx Auf europäischer Ebene braucht es einen ArbeitnehmerInnenfonds unter dem Titel „Solidarische Lernformen“ (ähnlich dem waff in Wien) xx Mehr Empathie in den Gewerkschaften xx Solidarisierung mithilfe des digitalen Wandels xx Europäische Onlinepetitionen, die innerhalb kürzester Zeit unterzeichnet werden können xx Regelung des internationalen Rechts zu Mindeststandards, die für alle gültig sind; z. B. sollte das Asylverfahren in Europa einheitlich sein, damit das Arbeitsrecht und soziale Rechte in Europa verbindlich sind

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FORDERUNGEN xx Internationale Kampagnen (z. B. Arbeitszeitverkürzung) xx Europäische Höchstarbeitszeit xx Europäische Arbeitsplattform xx Nachhaltiges Konzept zur Finanzierung von Sozial- und Wohlfahrtsstaat: Beschäftigtenanzahl geht zurück – wie können wir den Wohlfahrtsstaat aufrechterhalten? xx Mut zu radikalen Forderungen: europaweite Kommunikationsplattformen, Gesetze anpassen (viele werden überflüssig, andere müssen angepasst werden) xx Internationale Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften, die sichtbar ist xx Revolution! xx Kapitalismus abschaffen

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PODIUMS­ DISKUSSION

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PODIUMSDISKUSSION: WIE GEHT ES WEITER? Ausgangspunkt der Podiumsdiskussion waren die Ergebnisse aus den vier Workshops. DISKUTANTiNNEN: MAG. GERHARD BRÖTHALER, MBA BEREICHSLEITER INFORMATION DER ARBEITERKAMMER WIEN MAG. A IRIS KRASSNITZER, GESCHÄFTSFÜHRERIN DES ÖGB-VERLAGS PETER SCHLEINBACH, BUNDESSEKRETÄR DER PRODUKTIONSGEWERKSCHAFT MISCHA TERZYK, JUGENDVERTRETER DES GEWERKSCHAFTSDACHVERBANDS ­I NDUSTRIALL MODERATION: STEFAN HURT, LANDESSEKRETÄR DER GEWERKSCHAFT VIDA WIEN

Telearbeit und Crowdworking haben massiv die Arbeitswelt verändert. Was können wir tun, um die davon betroffenen Menschen einerseits zu erreichen und andererseits zu organisieren? Peter Schleinbach: Das Geschäftsmodell von Gewerkschaften lautet: Menschen kollektivieren. Wir müssen jedoch lernen, dass Interessen zunehmend in unterschiedliche Segmente verfallen, etwa die Individualisierung von Lebenswünschen. Vieles, das wir heute diskutieren, klingt unglaublich neu, ist es aber nicht. In der Textilindustrie hat es vor rund 130 Jahren viele HeimarbeiterInnen gegeben. „Home­ office“ ist über hundert Jahre alt! Das Heimarbeitsgesetz auch für digitale ArbeitnehmerInnen auszudehnen wäre durchaus möglich. Ein wichtiger Ansatz ist auch, dass typisch atypisch Beschäftigte einen arbeitnehmerInnenähnlichen Status erhalten. Damit wären viele Themen vom Tisch. Was ich euch versprechen kann: Es geht unglaublich schnell, all die Forderungen, die auf dieser Veranstaltung entstehen, umsetzen zu müssen. Bereitet euch vor! Wie kann der Arbeitsplatz der Zukunft eingeschätzt werden? Wird es zukünftig noch Bereiche geben, in denen wir mit der Hand produzieren und Dienstleistungen erbringen? Iris Kraßnitzer: Ich sehe vor allem zwei Entwicklungen: einen weiteren Schub an Automatisierung und die örtliche und zeitliche Entgrenzung. Homeoffice, Clickwork und Crowdwork nehmen zu. Das wird uns oft als Freiheit verkauft, doch das große Risiko ist die Entmenschlichung im Betrieb. Ein Beispiel: Eine Bank wurde komplett umgestellt. Niemand der Beschäftigten hat mehr einen Schreibtisch, nur der Manager. Damit geht die soziale Einbindung der ArbeitnehmerInnen ins Unternehmen verloren. Wenn wir die Arbeit in der Hosentasche immer dabei haben, verursacht das mitunter Stress und führt zu psychischen Belastungen. Arbeitszeiten sind ein wichtiger Aspekt in der Diskussion, dafür braucht es einen rechtlichen Rahmen. Es gibt Horrorszenarien, wie zukünftig nur bei einem Roboter einkaufen zu können oder sich von einem ­Roboter die Haare schneiden zu lassen. An diese vollständige Entmenschlichung glaube ich nicht, obwohl es bereits Roboter gibt, die in Spitälern operieren. Ich glaube schon, dass es spürbare Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt geben wird. Ebenso glaube ich, dass wir das nützen müssen, zum Beispiel

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für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Der digitale Wandel ist eine Chance, Arbeit fair zu verteilen. Wie können wir diese Chancen nutzen? Im ÖGB-Verlag unterstützen wir Beschäftigte und Gewerkschaften durch Literatur und Informationen zu diesem Thema. Im Grunde geht es stark um prekäre Arbeitsformen. Mich wundert, dass das Wort „prekär“ im Rahmen des Workshops bisher so selten gefallen ist. Vielleicht ist es in unserem Alter schon so normal geworden, dass wir das gar nicht mehr erwähnenswert finden? Derzeit arbeiten wir beispielsweise an einem Buch, in dem wir den Arbeit­ nehmerInnenbegriff beleuchten: Kann man bei Crowdwork noch von einem Arbeitsverhältnis sprechen? Wir beschäftigen uns auch intensiv mit dem Thema Datenschutz und der Vermittlung von digitalen Skills. Wohin müssen sich schulische, aber auch akademische Einrichtungen entwickeln, um den Bedarf an qualifizierten Personen decken zu können? Gerhard Bröthaler: Man muss sich das immer branchenspezifisch ansehen. Einige Skills werden wichtiger, zum Beispiel Planungs- und Organisationsfähigkeit, Kommunikation und Projektmanagement, dafür verlieren Fachausbildungen an Bedeutung. Die Fachhochschulen sind im Vergleich zu den Berufsschulen besser aufgestellt. Oft hakt es an der Infrastruktur und an Investoren. Was heißt „smart factory“? Was muss ein Lehrberuf, der in diese Richtung geht, können? Wir haben einen Bereich in der Arbeiterkammer, der sich mit dem Thema Lehre beschäftigt. Da sieht man, dass bei den AusbildnerInnen große Chancen liegen. Wir vergessen, dass wir auch jene Personen mitnehmen müssen, die Wissen vermitteln. Das ist der Fokus der nächsten vier Jahre: eine Infrastruktur zu schaffen und alle Vortragenden mitzunehmen. Uns helfen keine technischen Neuerungen, wenn die Personen, die das vortragen sollen, diese Technik nicht einsetzen. Sind internationale Gewerkschaftsverbände bereits ausreichend gut vernetzt oder gibt es da viele Baustellen? Werden die bestehenden Netzwerke genutzt? Mischa Terzyk: Die Vernetzung mit den politischen SekretärInnen in den Mitgliedstaaten und in Brüssel ist äußerst wichtig und funktioniert auch sehr gut. Auf europäischer Ebene startete letztes Jahr ein Jugendprojekt in Kroatien. Da ging es um die Möglichkeit für junge ArbeitnehmerInnen, sich in der ­Gewerkschaft einzubringen und sich über Best Practice auszutauschen. Der Austausch über Erfahrungen und Resultate ist hilfreich und gut für andere Gewerkschaften. Wir müssen ein Telefonbuch sein, um die Leute und die politische Arbeit untereinander zu vernetzen, – und bei der Realität der Jugend ­ansetzen. In Europa sehen wir immer mehr Prekariat seit dem Ausbruch der europäischen Wirtschafts­ krise. Junge ArbeitnehmerInnen haben zunehmend Schwierigkeiten, überhaupt in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Zum Beispiel gibt es „0-hour-contracts“ in Schweden oder in Großbritannien, wo die Beschäftigten nicht wissen, wann sie arbeiten. Sie haben ihr Handy ständig abrufbereit in der Tasche. Wenn sie nicht rechtzeitig auf einen Auftrag antworten, bekommt ihn jemand anderer. Da wird Duschen ohne Handy existenzgefährdend. Auch Mobilität ist ein Thema. Wir haben einen europäischen Arbeitsmarkt, da wird viel Flexibilität gefordert. Aus Spanien, Italien, Griechenland und den osteuropäischen Staaten wandern junge Leute massiv ab, vor allem die gut ausgebildeten. Das verursacht eine Schief­ lage, die wir nicht wollen, denn das spielt die einen gegen die anderen aus. Da müssen wir gehörig aufpassen! Wir müssen gut miteinander kommunizieren, denn das Standortgerangel findet auf europäischer Ebene statt. Es braucht daher einen Ansprechpartner, um das europaweit zu koordinieren und sich untereinander abzusprechen. Wenn wir nicht miteinander reden, lassen wir uns gegeneinander ausspielen.

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Gerhard Bröthaler: Zurück zum Thema Bildung: Gewerkschaftliche Bildung ist etwas anderes als andere Ausbildungen. Was wäre eine gewerkschaftliche Bildung, die nichts mit Kontakten oder Gesichtern zu tun hat? Kontakte und Infrastrukturen bereitzustellen und Organisationsarbeit zu leisten ist unsere Aufgabe, damit sich unsere FunktionärInnen untereinander vernetzen. Um im internationalen Kontakt zu stehen, ermöglichen wir jährlich 25 TeilnehmerInnen der Sozialakademie, für einen Monat ins Ausland zu gehen. Dabei unterstützen wir sie auch finanziell, denn diese 25 Personen bringen wieder 25 Personen aus anderen Ländern hierher. Das ist eine große Investition, die sich aber lohnt. Wir müssen das Interesse für Europa wecken. Wer nie in Brüssel war und die Übermacht der Institutionen gesehen hat, kann sich das nicht vorstellen. Daher gibt es auch eine Reise mit den AbsolventInnen der BetriebsrätInnen-Akademie, um sich anzusehen, was Lobbying in Brüssel bedeutet. Wie sind wir aufgestellt und wie sind es die Banken? Das sind kleine Bausteine, um auf der Seite der ArbeitnehmerInnen Verständnis zu bekommen, um sich international zu vernetzen und Europäische Betriebsräte zu gründen. Ein ehemaliger Absolvent der Sozialakademie versucht derzeit, einen Weltbetriebsrat zu etablieren. Solche Bestrebungen müssen wir weiter forcieren. Aufgrund der derzeitigen politischen Situation in Österreich entfernen wir uns Schritt für Schritt vom internationalen Gedanken. Wie viel Handlungsspielraum haben wir wirklich auf gewerkschaftlicher Ebene? Mischa Terzyk: IG BCE, IG Metall und belgische Gewerkschaften haben viel Geld. Es gibt aber Gewerkschaften, die nicht mal 1.000 Mitglieder haben. Da ist es nicht einfach, internationale Arbeit zu betreiben. Wir greifen dann auf die Möglichkeiten zurück, die wir über das Europäische Gewerkschaftsinstitut oder die Friedrich-Ebert-Stiftung haben. Wir unternehmen alles Mögliche, um internationale Arbeit voranzutreiben. In Europa stehen wir auch in Konkurrenz zu rechten Organisationen, die mit Fingern auf Sündenböcke zeigen und sich als Protektoren der kleinen Leute geben. Wir müssen diese Attacken ernst nehmen, das Problem dekonstruieren und darauf hinweisen, was diese Organisationen im Bereich der Sozialpolitik anstellen. Das ist Kommunikation von Person zu Person!

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Peter Schleinbach: Wie man miteinander arbeiten kann, ist sicherlich auch ein Generationenthema. An der internationalen Arbeit führt kein Weg vorbei, wir sind aber noch weit davon entfernt. Veranstaltungen wie diese tragen dazu bei, diese Entfernungen zu verringern. Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten, intensiver zu kommunizieren. Damit müssen wir erst lernen umzugehen. Langsam, aber doch, kann sich das zum Positiven verändern. Wir haben oft den Eindruck, Kapital sei viel weiter als Gewerkschaften. Das glaube ich nicht. Dass die ManagerInnen eines großen internationalen Konzerns gut miteinander kommunizieren, ist wahrscheinlich. Aber dass sich die ManagerInnen der Firma A aus Deutschland mit der Firma B aus Polen vernetzen, ist unwahrscheinlicher. Da sind wir als Gewerkschaften berufsübergreifend und länderübergreifend besser organisiert, zumindest was das kollektive Handeln betrifft. Das gibt Hoffnung! Wie können wir in Zukunft einfachen Mitgliedern die Möglichkeit zur Mitbestimmung und Mitgestaltung bieten? Ist so etwas angedacht oder gar nicht gewollt? Peter Schleinbach: Vermutlich wird die Frage in den nächsten Jahren weniger lauten, wie wir einzelne Mitglieder mitwirken lassen können, sondern eher: Was können wir als Gewerkschaften dazu beitragen, dass Menschen sich und andere überhaupt organisieren – auch im Telearbeit-Bereich? Mischa Terzyk: Im Juni 2016 findet der zweite industriAll-Kongress statt, auf dem ein neues Komitee gegründet wird: „Building international trade union power“. Wir möchten uns besser mit MultiplikatorInnen vernetzen und haben dafür eine eigene Plattform geschaffen. Über das EUCOBA-Netzwerk tauschen wir uns europaweit über Kollektivvertragsabschlüsse aus. Diese Ansätze müssen wir Stück für Stück ausbauen. Das Austauschen von Positionen ist oft das einzige Mittel, das wir haben. „Eco Comics“ bereitet das Thema Ökonomie auf Comic-Basis auf. Gibt es Pläne, das Thema Digitalisierung für BetriebsrätInnen lockerer aufzubereiten? Iris Kraßnitzer: Am Thema „digitaler Wandel“ arbeiten wir gerade auf mehreren Ebenen. Eine Leitschiene ist die rechtliche Beleuchtung von Crowdworking. Wie sind die rechtlichen Informationen auf Plattformen? Was sind Gewerkschaftsstrategien? Comics haben wir in diese Richtung noch nicht geplant, aber das ist eine sehr gute Idee! Für unsere Gesamtstrategie in der Vermittlung von Wissen und in der Kommunikation gilt aber: niedrigschwelliger und visueller, mit Kurzzusammenfassungen zum Thema. Wir müssen es auch als Verlag schaffen, die richtigen Informationen in der richtigen Granulierung aufzubereiten, damit sie angenommen werden. Welche Schritte werden als Nächstes gesetzt? Worauf kommt es als Interessenvertretung an? Gerhard Bröthaler: Wir sind gerade in einem großen Prozess. Gewerkschaften, ÖGB und Arbeiterkammer entwickeln gemeinsam Positionen zum digitalen Wandel bis Ende des Jahres. Dann wird es auch ein Follow-up dieser Veranstaltung geben, damit wir nicht nur einen Impuls geben, sondern uns mit den Inputs von jetzt in einem Jahr nochmal treffen und uns ansehen, was wir seither getan und wahrgenommen haben. Wir sind sehr bestrebt, nachhaltige Prozesse zusammenzubringen und nicht kleine Explosionen, von denen hintennach nichts bleibt. Peter Schleinbach: Das Wesentlichste ist, die Debatte zu führen und sich anzusehen, was hinter der Digitalisierung steckt. Wer von euch betritt noch ein Reisebüro? Wenn das niemand tut, brauchen wir uns nicht wundern, dass dort Beschäftigung verloren geht. Industrie 4.0 ist kein großer Spielplatz für Ingenieure, das ist ein Projekt! Da geht es ums Geldverdienen – Menschen sind da völlig egal. Aber: Industrie 4.0 ist auch eine Chance! Die Entwicklung ist beeinflussbar. Super, wenn die Maschine meine Arbeit macht. Nur wem nutzt das? Diese Debatte müssen wir führen! Vor allem die Jungen!

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Iris Kraßnitzer: Wir wollten schon vor einiger Zeit eine Publikation über die Situation in den Betrieben herausbringen. Das ist vor allem deshalb nicht gelungen, weil die Diskussion gerade erst zu laufen begonnen hat. Gerade im letzten halben Jahr ist aber viel dazu passiert. Ich kann nur von Österreich sprechen, von der Arbeiterkammer und den Gewerkschaften, die dazu Positionen finden und politische Handlungsanleitungen erarbeiten. Es gibt eine Fülle von Handlungen und Problemstellungen: Datenschutz, ArbeitnehmerInnenschutz, Prekarisierung, Homeoffice. Ist das überhaupt etwas Neues? Hat das mit digitalem Wandel zu tun? Oder haben alte Themen nur einen neuen Drive bekommen? Die Themen sind umfangreich, wo soll man am besten anpacken? Zum Beispiel bei der Arbeitszeitverkürzung oder bei der Wertschöpfungsabgabe. Eines scheint mir jedoch auch zentral: Wenn sich etwas ins Netz verlagert, muss auch die Vernetzung übers Netz erfolgen. Es ist wichtig, dort Maßnahmen zur Vernetzung zu finden, wo die Leute arbeiten, wo man sie abholen kann. In Deutschland wurde viel Pionierarbeit geleistet, in Österreich stehen wir hier teilweise noch am Anfang.

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ZITATE AUS DER PODIUMSDISKUSSION

„Vieles, das wir heute diskutieren, klingt unglaublich neu, ist es aber nicht.” Peter Schleinbach

„Ich sehe vor allem zwei Entwicklungen: einen weiteren Schub an ­Automatisierung und die örtliche und zeitliche Entgrenzung.” Iris Kraßnitzer

„Einige Skills werden wichtiger, zum Beispiel Planungs- und ­Organisations­fähigkeit, Kommunikation und Projektmanagement, dafür verlieren Fachausbildungen an Bedeutung.” Gerhard Bröthaler

„Wir müssen gut miteinander kommunizieren, denn das Standortgerangel findet auf europäischer Ebene statt.” Mischa Terzyk

„Als Gewerkschaften sind wir berufsübergreifend und länderübergreifend besser organisiert, zumindest was das kollektive Handeln betrifft. Das gibt Hoffnung!” Peter Schleinbach

„Wenn sich etwas ins Netz verlagert, muss auch die Vernetzung übers Netz erfolgen.” Iris Kraßnitzer

„Wir sind gerade in einem großen Prozess. Gewerkschaften, ÖGB und ­Arbeiterkammer entwickeln gemeinsam Positionen zum digitalen Wandel bis Ende des Jahres.” Gerhard Bröthaler

„Das Austauschen von Positionen ist oft das einzige Mittel, das wir haben.” Mischa Terzyk

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RESÜMEE DER TEILNEHMERiNNEN xx Unterschiedliche Geschwindigkeiten in den Ländern xx Viele Chancen, viele Risiken xx Internationale, digitale Vernetzung nötig xx Strategien entwickeln xx Agieren statt reagieren xx Digitales Prekariat xx Revolution! xx Abgrenzung – sich selbst schützen und Limits setzen xx Organize! xx Mitbestimmung 4.0 xx Re-Taylorisierung versus Humanisierung xx #digisolidarity

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LITERATUR ZUM THEMA Die digitale Bildungsrevolution Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können Dräger, Jörg/Müller-Eiselt, Ralph http://www.besserewelt.at/draeger-joerg-mueller-eiselt-ralph-die-digitale-bildungsrevolution

Aufstieg der Roboter Wie unsere Arbeitswelt gerade auf den Kopf gestellt wird – und wie wir darauf reagieren müssen Ford, Martin http://www.besserewelt.at/ford-martin-aufstieg-roboter

Out of Office Warum wir die Arbeit neu erfinden müssen Frank, Elke/Hübschen, Thorsten http://www.besserewelt.at/frank-out-of-office

Arbeit der Zukunft Möglichkeiten nutzen – Grenzen setzen Hoffmann, Reiner/Bogedan, Claudia (Hrsg.) http://www.arbeit-recht-soziales.at/hoffmann-arbeit-zukunft

Crowdwork – zurück in die Zukunft? Perspektiven digitaler Arbeit Benner, Christiane http://www.arbeit-recht-soziales.at/crowd-work-zurueck-zukunft

Die 4. Revolution Wie die Infosphäre unser Leben verändert Floridi, Luciano http://www.besserewelt.at/floridi-luciano-die-4-revolution

Die Vierte Industrielle Revolution Schwab, Klaus http://www.besserewelt.at/schwab-klaus-die-vierte-industrielle-revolution

Smarte Maschinen Wie künstliche Intelligenz unser Leben verändert Eberl, Ulrich http://www.besserewelt.at/eberl-ulrich-smarte-maschinen

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Inside Big Data Unsere Daten zeigen, wer wir wirklich sind Rudder, Christian http://www.besserewelt.at/rudder-christian-inside-big-data

Arbeit 4.0 Was Beschäftigte und Unternehmen verändern müssen Wetzel, Detlef http://www.arbeit-recht-soziales.at/wetzel-arbeit-4-0

Soziale Netzwerke und Kommunikationsprozesse im Unternehmen Neue Impulse für die Betriebsratsarbeit Schönbauer, Ulrich/Vlastos, Michael (Hrsg.) http://www.arbeit-recht-soziales.at/soziale-netzwerke-kommunikationsprozesse-unternehmen

Soziale Bewegungen und Social Media Handbuch für den Einsatz von Web 2.0 Voigt, Hans C./Kreiml, Thomas (Hrsg.) http://www.arbeit-recht-soziales.at/soziale-bewegungen-social-media

Digital Detox Wie Sie entspannt mit Handy & Co. Leben Otto, Daniela http://www.arbeit-recht-soziales.at/otto-daniela-digital-detox

Digitaler Burnout Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist Markowetz, Alexander http://www.besserewelt.at/markowetz-alexander-digitaler-burnout

Cyberkrank! Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert Spitzer, Manfred http://www.besserewelt.at/spitzer-manfred-cyberkrank

Die heimlichen Revolutionäre Wie die Generation Y unsere Welt verändert Hurrelmann, Klaus /Albrecht, Erik http://www.besserewelt.at/die-heimlichen-revolutionaere1

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