EN 1090 in HEPHAISTOS - Teil 4

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Internationale Zeitschrift f端r Metallgestalter

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»Von Krisen, Werten, Sicherheitsdenken und Tugenden«

Hermann Gradinger Klar-Texter Der frühere Bundesfachgruppenleiter der Metallgestalter findet deutliche Worte zur Stahlbaunorm und zum Verhalten seines ehemaligen Verbandes

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ir reden von Finanzkrisen, Vertrauenskrisen, Bildungskrisen… – Ursache all dieser Krisen sind verloren gegangene Werte wie »Wahrhaftigkeit, Vertrauen, Verlässlichkeit, Treue«. Wir reden auch vom Wertewandel, aber Werte wandeln sich nicht, unsere Einstellung wandelt sich, und diese ist vom Zeitgeist geprägt. Dieser hat den ökonomischen Menschen hervorgebracht, der nur seine eigenen Interessen verfolgt, und diese führen in eine inhumane Gesellschaft. Vor kurzem wurde eine Untersuchung zu Führungspersonen vorgestellt. Narzisstische Persönlichkeiten werden für kompetenter gehalten als nicht-narzisstische. Sie machen deshalb schneller

Karriere, und ihr Anteil an Führungspositionen ist ungewöhnlich hoch. Sie sind aber für die Atmosphäre einer Gruppe nachteilig, sie sind nicht kritikfähig und nachtragend. Das erklärt einiges in Politik und Wirtschaft und auch im Handwerk. Handwerk ist nicht mehr Bestandteil der Kultur. Das klassische Handwerk ist zurückgedrängt in Nischen und hat keine gesellschaftliche Wertschätzung mehr. Gute Arbeit wird nicht wertgeschätzt, ebenso diejenigen nicht mehr, die sie erdenken und ausführen. Die Antwort der Technokraten, die heute im Handwerk das Sagen haben, ist Normierung und Zertifizierung. Das ist angesichts globaler Märkte verständlich und

macht vergleichbare Standards notwendig. Klassisches und gestaltendes Handwerk hat andere Kriterien, und diese sind zu respektieren. »Freiheit und Selbstbestimmung – Arbeit an der eigenen Vollkommenheit und Könnerschaft – Handeln in Harmonie mit der Natur und ethischen Prinzipien – Dauerhaftigkeit und Wertigkeit der Arbeit und des Werkes – Respekt und Wertschätzung der Arbeit und die der anderen« (Christine Ax): Das ist der Maßstab der Metallgestalter. Und nicht Normen und Zertifizierung. Wo die Industrie beteiligt ist, ist Lobbyismus nicht weit weg. Davon profitieren gewiss auch die großen Metallbaubetriebe. Dass hier andere Maßstäbe

Normenübergang verlängert – bayerische Politiker ergreifen Partei für die Kunstschmiede

BRÜSSELER PAUSE UND BAYERISCHE FRAGEN Die Frist, in der sich Metallbauer nach der Norm EN 1090-1 zertifizieren müssen, ist verlängert worden. Wer weiter Stahlkonstruktionen im bauaufsichtlichen Bereich fertigen möchte, hat nun Zeit bis zum 1. Juli 2014 für eine Zertifizierung. Unterdessen finden kritische Stimmen aus den Reihen der Metallgestalter zur europäischen Stahlbaunorm endlich auf politischer Ebene Gehör. HEPHAISTOS-Chefredakteur Tobias Schumacher fasst die jüngsten Entwicklungen zusammen

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ie sogenannte »Koexistenzperiode« regelt den Übergang eines Metallbaubetriebes von den Bestimmungen der »alten« Norm DIN 18800-7 (in Deutschland) zur neuen, europaweit harmonisierten Stahlbaunorm EN 1090-1. Ursprünglich galt als Stichtag der 1. Juli 2012. Doch »auf der Sitzung des Ständigen Ausschusses für das Bauwesen in Europa am 23./ 24. Januar 2012 ist die Verlängerung der Koexistenzperiode der DIN EN 1090-1 um 24 Monate beschlossen worden«, verkündet unter anderem ein »Sonderrundschreiben« der Metallgewerbeverbände Nord und Mecklenburg-Vorpommern vom 31. Januar 2012. Von »Entwarnung« könne aber nach wie vor nicht die Rede sein, heißt es dort weiter. Denn erstens ändere sich nichts »an der großen Anzahl von Metall- und Stahlbaubetrieben, die ihre werkseigene

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Produktionskontrolle zeritifizieren lassen müssen«; Schätzungen gehen allein in Deutschland von rund 40.000 Firmen aus. Und zweitens sei »auch der Informationsbedarf zur Umsetzung der Norm, zum Aufwand, zur Erstellung des Handbuches, zu den Kosten und zum Inhalt der Normenreihe (CE-Kennzeichnung, Schweißen, Schraubverbindungen, Korrosionsschutz, Toleranzen usw.) weiterhin groß«, schreiben die norddeutschen Metallverbände – nach gut einem Jahr »Informationsoffensive« des Bundesverbandes Metall (BVM). Weiter ist in dem »Sonderrundschreiben« zu lesen: »Der Einsatz des BVM für die Verlängerung der Koexistenzperiode hat den gewünschten Erfolg gebracht.« Waren die nun festgestellten Schwierigkeiten nicht in den acht Jahren absehbar, in denen an der EN 1090 gearbeitet wurde, auch unter Beteiligung des BVM?

Mit der längeren Übergangsfrist reagiert der »Ausschuss für das Bauwesen« nur auf die Unmöglichkeit, den Metallbau durchs Nadelöhr »Zertifizierungsstau« zu bringen. Die Zertifizierer in Deutschland sprießen dabei zugleich wie Pilze aus dem Boden: Die Zahl der »notifizierten Stellen« hat sich 2011 verdreifacht (siehe Kasten Seite 13). Doch die Kunstschmiede befürchten durch die EN 1090 nach wie vor »die Ausgrenzung der klein strukturierten Metallhandwerksbetriebe aus dem bauaufsichtlichen Bereich«. So lautete der zentrale Satz eines Appells des IFGS zum »EuropaSymposium des Bayerischen Handwerkstages« am 2. Dezember 2011 in München, der auch an bayerische Europa-Abgeordnete verschickt wurde. Als erste reagierte die FDP-Europa-Abgeordnete Nadja Hirsch. Sie bemängelt in einer Anfrage an das Europaparlament,

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Gastkommentar von Hermann Gradinger Dass auch Metallgestalter dazu gezwungen werden sollen, ist, ich sage es noch mal, Erpressung. Die EN 1090 ist der Tod der kreativen Metallgestaltung, und die Verbände sind ihre Totengräber. Sie vertreten nicht unsere Interessen. Es gibt eine tradierte Kompetenz aus Können, Erfahrung und Wissen. Wo diese gelebt und danach gehandelt wird, entsteht höchste Qualität ohne Kontrolle – allein aus Verantwortung. Aristoteles und Platon haben zur Zeit der alten Griechen und Römer von Tugenden gesprochen. Dieser Begriff ist leider im 18. und 19. Jahrhundert in Verruf gekommen. Dennoch lohnt es sich, sie anzuschauen. Denn sie machen eine humane Ökonomie aus. Erste Tugend ist

dass in der EN 1090 »Fachkenntnisnachweis, Meisterbrief und Schweißnachweis nicht mehr« ausreichen und die »Veränderungen insbesondere die klein strukturierten Metallhandwerksbetriebe mit Tätigkeiten im Privatkundenbereich« beträfen. Das bedeutet nach den Worten von Hirsch »einen Verlust von kreativer Handwerkskultur bei Treppen, Geländern, Balkonen und Überdachungen«. Vor allem aber hätten kleine Handwerksbetriebe »die Folgen der Zertifizierungswirtschaft zu tragen und würden wettbewerblich benachteiligt bzw. völlig zurückgedrängt«. Hirsch richtete die Bitte nach Brüssel, von vorneherein »die Meister für eine Zertifizierung zuzulassen und den Privatkundenbereich aus der Stahlbaunorm EN 1090 herauszunehmen«. Ende Januar stellte dann der Fraktionsvorsitzende und wirtschaftspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag, Dr. Martin Runge, eine Anfrage mit ähnlicher Stoßrichtung an die Bayerische Staatsregierung. Runge schreibt zu EN 1090 einleitend, dass »viele der kleinen und mittleren Metallbaubetriebe in Bayern fürchten, dass sie weder die materiellen noch personellen Voraussetzungen für eine Zertifizierung erfüllen können und ohne Zertifizierung künftig vom Wettbewerb ausgeschlossen sein werden«. Und weiter: »Kleinere Betriebe wie etwa Kunstschmiedehandwerker können dann keine Produkte aus dem bauaufsichtlichen Bereich (Treppengeländer u.ä.) mehr anbieten und verlieren damit eine wichtige Einnahmemöglichkeit. Die Existenz solcher Betriebe wird durch die Einführung der Zertifizierung gefähr-

det«, schreibt Runge und fragt dann (immer mit Bezug auf Bayern) nach Anzahl und Größe der zertifizierten Betriebe, nach den Kosten einer Zertifizierung mit all ihren Einzelposten und will auch wissen, wie viele öffentliche Aufträge im Freistaat an kleine und mittlere Metallhandwerker 2011 vergeben wurden. Außerdem möge die Staatsregierung abschätzen, wie viele Betriebe »von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen sein werden«, weil hier die höhere Ausführungsklasse (EXC 2) gilt, und ob es »durch die Zertifizierungspflicht nicht zu einer Schließung des Marktes und damit zu weniger Wettbewerb« komme. Auch die Staatsregierung möge prüfen, ob die »Gleichstellung des Metallbaumeisters (Fachrichtung Metallgestalter) mit der Qualifikation für die Ausführungsklasse (EXC 1) der EN 1090« möglich ist. In Bayern ist der Schutz des traditionellen Kleinhandwerkes vor Übergriffen von Bürokratie und Verwaltung in Artikel 153 der Landesverfassung verankert. In diesem Sinne ist Runges weitere Frage zu verstehen, ob »durch die EN 1090 die Überlieferung alter Handwerkskunst verloren geht und es damit zu einem kulturellen Verlust kommt?« Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe hatten weder Nadja Hirsch noch Martin Runge Antworten erhalten. Der Landesfachverband Metall Bayern reagierte auf das sich regende Engagement der Politiker mit Richard Taubers »Editorial« (siehe auch Seite 3). Für den 8. März ist eine IFGS-Delegation zu einem Gespräch ins Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) nach Berlin eingeladen. Die EN-1090-Geschichte geht weiter – vermutlich mindestens bis 1. Juli 2014.

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die Urteilskraft. Wir brauchen Menschen, deren Urteil verlässlich ist. Das sind nicht diejenigen, die ihr Fähnchen in den Wind hängen, sondern die Widerständigen. Als zweites ist es Entscheidungsstärke: Menschen die in der Lage sind, das Richtige in die Praxis umzusetzen. Die dritte Tugend ist Besonnenheit: Sie verlangt, eigene Fähigkeiten realistisch einzuschätzen und anderen höhere Kompetenz zuzubilligen. Generationen von BWL- und VWL-Studierten erzählen uns, der kapitalistische Markt ohne Grenzen sei ideale Welt: »Wenn jeder nur an sich denkt, dann ist an alle gedacht.« Wenn das die Botschaft ist, dann dürfen wir uns über vorgenannte Krisen nicht wundern.

Ökonomischer Erfolg hat kulturelle und moralische Bedingungen (siehe oben). Um der Wirklichkeit näher zu kommen, sollten die Geschäftsführer und Mitarbeiter der Verbände dem Beispiel von Bundesbahnchef Rüdiger Grube folgen und mindestens einen Tag im Jahr in den Werkstätten der Betriebe mitarbeiten: Dem bayerischen Hauptgeschäftsführer empfehle ich einen Garagenbruzzler und Arbeit als Zuschläger. In meine Ausführungen sind Gedanken von Christine Ax eingeflossen, deren Buch »Die Könnensgesellschaft« eine Pflichtlektüre für alle Metallgestalter und »Verbands-Fuzzis« sein sollte, und Gedanken des Philosophen Julian NidaRümelin. Hermann Gradinger

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Quelle: Bundesverband Metall (BVM), Stand Oktober 2011; Internet-Recherche HEPHAISTOS, ohne Gewähr

und Anforderungen gegenüber den Auftraggebern notwendig sind, ist verständlich. Unverständlich ist, dass man diese Normen und Zertifizierungen auf Produkte übertragen will, die überwiegend weder messbar noch normbar sind. Es ist wie überall auf der Welt: Die Kleinen werden von den Großen beherrscht, vielleicht noch geduldet. Ich kenne das Gefühl noch von früheren Innungsversammlungen, wo die Großen sagten, »mit den paar Mark Innungsbeitrag von euch können wir den Laden zumachen, also tanzt gefälligst nach unserer Pfeife«. Dieser Umgang mit den Kleinen passiert zurzeit in den Metallbauverbänden und ist Erpressung. Zertifizierung sollte freigestellt werden.


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