Apokalypse 1626

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J. F. Schrรถder

Apokalypse 1626


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-940751-88-1 © J. F. Schröder Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden www.mitzkat.de


J. F. Schröder

Apokalypse 1626 Mitten im Dreißigjährigen Krieg zwischen Harz und Weser

Verlag Jörg Mitzkat Holzminden 2014



Prolog – Ein gar merkwürdig Ding

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pätsommerliche Hitze lag über dem Land. Die meisten Soldaten befanden sich in ihren Zelten oder lagen unter Bäumen, die ihnen Schatten gaben. Kein Marsch war angesetzt, kein Exerzieren, keine Übungen mit der Pike oder Muskete. Die Männer ruhten sich aus nach der großen Schlacht. Manchen ihrer Kameraden hatte der Feind auf dem Feld niedergestreckt. Andere waren später ihren Blessuren erlegen oder von Krankheiten dahingerafft worden. Die Schanzsoldaten hatten Tage zu tun gehabt, um die vielen Toten, auch die des geschlagenen Gegners unter die Erde zu bringen. Die Strapazen waren vielen noch anzumerken. Am Eingang des Zeltlagers entstand Bewegung. Laute waren zu hören, erst undeutlich das leise Wiehern und Schnauben eines Pferdes, nun menschliche Stimmen. Ein höherer Offizier zu Pferde näherte sich. Soldaten, die um eine Marschtrommel lagerten, ließen hastig die Spielkarten verschwinden. Des Teufels Gebetbuch wurde nicht geduldet. Kam derartiges gar dem obersten Feldherrn zu Ohren, so setzte es drakonische Strafen. Der Offizier verhielt sein Pferd, stieg ab und band es mit den Zügeln an einen Baum. Er fragte nach ihrem Feldwebel. Man wies ihn zu einem entfernt stehenden Zelt. Der Obrist, denn um einen solchen handelte es sich, rief nach dem Mann, sprach mit ihm. Der Feldwebel zuckte einige Male ratlos mit den Schultern. Der Oberst redete um so dringlicher auf ihn ein. Die Männer bei der Trommel schauten sich fragend an. Nur wenige Wortfetzen wehten zu ihnen herüber. Zu gerne hätten sie etwas erfahren, so wichtig, wie die Angelegenheit dem hohen Offizier zu sein schien. Der Ton des Obristen wurde nun sehr bestimmt, der Feldwebel fügte sich. Beide schritten eine

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Reihe von Zelten ab, in denen die Schanzsoldaten untergebracht waren. Immer wieder sprachen sie mit einzelnen Männern, immer wieder ein Kopfschütteln. Nun trat einer der Soldaten auf den Obristen zu, sagte etwas, wies mit der Rechten eine Richtung. Die Züge des Offiziers hellten sich auf. Er legte dem Mann eine Hand auf die Schulter und führte ihn ein Stück von den Kameraden weg. Ein längerer Wortwechsel entspann sich. Der Soldat griff in seine Jacke und förderte einen merkwürdigen Gegenstand zu Tage. Dieser war ein wenig kleiner als eine ausgestreckte Männerhand, an zwei Seiten hing eine Schnur herab. Der Obrist nickte, nahm das Ding und steckte es ein. Der Soldat sprach weiter, mit ausholenden Gebärden schien er dem Offizier etwas zu erklären. Sein Gegenüber nickte erneut. Nicht erfreut, aber beinahe erleichtert wirkte er. Der Obrist langte in sein Lederkoller und zog einen Beutel heraus. Ein Geldstück wechselte den Besitzer. Der Obrist war kaum davongeritten, als einige Soldaten neugierig zu dem Feldwebel traten. Aber dieser gab sich wortkarg, winkte ab. Erst der Soldat, der die Münze für diesen seltsamen Gegenstand erhalten hatte, berichtete seinen erstaunten Kameraden über jenes ungewöhnliche Anliegen, das den Offizier zu ihm geführt hatte.

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Die Widerborstigen

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in nebliger Morgen im November des Jahres 1625. Zwei Männer waren im Solling unterwegs. Die Straße, die von Uslar herführte, hatten sie lange hinter sich gelassen. Etwa bei der Wüstung Winnefeld waren sie auf einen schmalen Waldweg eingebogen. Der erste der beiden Männer erschien eher schmächtig und klein. Etwa zwanzig Lenze mochte er zählen. Der zweite, vielleicht zehn Jahre älter, war von kräftiger Statur. Seinen Gefährten überragte er um gut einen Kopf, er maß wohl an die sechs Fuß. Gekleidet waren die beiden in derbe Kittel und Hosen aus graubraunem grobgewebtem dickem, dichten Leinen. Die Füße steckten in schweren Lederstiefeln. Auf ihren Köpfen trugen sie breitrandige dunkle Hüte. Allerdings zeigten die ungewöhnlichen Werkzeuge, die sie mit sich führten, dass es sich hier nicht um gewöhnliche Bauern oder Holzfäller handelte. Während der Schmächtige zwei Wurfspieße hielt, trug der Kräftige auf seiner rechten Schulter eine große unhandliche Armbrust. Die Winde zum Spannen der Sehne und die Tasche mit den zugehörigen Bolzen wurden an einem Riemen auf dem Rücken des Mannes gehalten. Von den Gürteln der beiden hingen Messer in langen Lederscheiden. Begleitet wurden die Männer von einem großen Hund mit zottigem schwarzen Fell. Nur an der Nase des Vierbeiners mehrten sich die weißen Haare und verrieten, dass seine besseren Zeiten bereits vorüber waren. Die Augen waren jedoch hell und blank wie früher und die aufgestellten Ohren zeugten von der Wachsamkeit des Tieres. Der Waldweg, den sie entlang schritten, führte in Biegungen und sanften Wellen westwärts nach Derental. Es hatte tagelang geregnet und der Waldboden war aufgeweicht, bisweilen sogar morastig und glitschig. Nur wenige schon vom Regen verwa-

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schene Abdrücke von Stiefeln und Hufen verrieten, dass dieser Weg eher selten benutzt wurde. Gelegentlich waren Karrenspuren zu sehen. Für schwere Fuhrwerke war dieser Weg nicht geeignet. Der Große deutete auf eine uralte umgestürzte Buche ein Stück abseits des Weges. Einer der letzten Stürme hatte sie gefällt. Der kräftige Stamm hatte nicht nachgegeben und so war die Wurzel aus der Erde geworfen worden. Gewaltig ragte sie aus dem Boden hervor. „Das ist die Stelle, Hannes,“ sagte der Große und setzte seine Armbrust ab. „Die Grube hinter der Wurzel nimmt uns bequem auf. Vom Wege aus werden wir nicht zu sehen sein!“ Der Schmächtige sah ihn fragend an. „Glaubst du allen Ernstes, Christoffel, dass wir hier gute Beute machen? Wir hätten uns besser an die Straße nach Beverungen legen sollen. Dort hat es öfter Kundschaft!“ „Klar, damit wir uns gleich einer Reiterschwadron gegenüber sehen! Heut’ sind wir nur zu zweit. Darum lass’ es uns hier versuchen!“ Sie trugen etwas Laub in die Grube, um sich bequem darauf zu lagern. Der Hund rollte sich zu ihren Füßen zusammen. „Jetzt schläft er schon wieder,“ knurrte Hannes. „Meinst du nicht, dass er allmählich zu alt wird für solche Unternehmungen?“ „Sag’ nichts gegen meinen guten alten Flax. Der hat uns allemal treue Dienste geleistet. Seine Augen und Ohren tun es noch und seine Zähne hat er mehr als einmal in die Arme und Beine dieses Söldnergesindels geschlagen.“ Langsam drang die Sonne durch den Hochnebel. Die Zeit verrann und die Schatten der Bäume hatten bereits einen Achtelkreis zurückgelegt, während sie hier warteten. Allmählich kroch die Kälte durch die Kleider. Plötz-

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lich setzte sich der Hund auf und seine Ohren fuhren in die Höhe. Er blaffte leise. „Hannes, wir kriegen Besuch!“ Christoffel rüttelte seinen Begleiter an der Schulter. „Ach wo, der Flax wittert ein Kaninchen!“ Hannes gähnte herzhaft. „Dann hätte er die Nase ganz anders in der Luft! Nein, da kommt jemand!“ Christoffel ergriff die Armbrust und stellte sie kopfüber fast senkrecht auf ein abgerissenes Wurzelstück. Er trat mit seinem linken Fuß in den Bügel, der sich vorne an der Waffe befand und setzte die Winde an. Er hatte immer darauf geachtet, dass der Mechanismus gut gefettet war und sich fast geräuschlos bewegen ließ. Unter stetigem Drehen der Kurbel spannte er die Bogensehne, bis er sie in den Haken, der oberhalb des Abzugsbügels gelagert war, einrasten ließ. Sorgfältig legte er einen langen gefiederten Eisenbolzen in die geteilte Metallschiene seiner Waffe. „Wo hast du dieses uralte Ding eigentlich her?“ fragte Hannes. „Eine Muskete wäre viel besser! Wir haben doch schon welche erbeutet!“ „Die Dinger sind mir zu laut. Die Armbrust habe ich von meinem Großvater!“ antwortete Christoffel. „Und der hat mal einen erschlagen, weil er zuviel gefragt hat! Nun halt dein Maul!“ Von der östlichen gerade noch erkennbaren Wegbiegung ertönte ein Rascheln, Knacken, Schlürfen und Schmatzen. Zwei Reiter näherten sich. Die Pferde gingen in gemächlichem Schritt, immer wieder mit den Hufen im feuchten Boden einsinkend. Die Reiter waren Soldaten, in Lederkollern mit breiten Schultergurten, geschlitzten bunten Jacken und Hosen. Stulpenhandschuhe schützten die Hände. Füße und Beine steckten in schweren ledernen Reitstiefeln. Sie trugen Barette mit Federn. Ihre Bewaff-

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nung bestand aus Stoßdegen und langläufigen Reiterpistolen. Der eine, der eine schöne Fuchsstute ritt, verharrte, schwang sich aus dem Sattel und wandte sich zum Wegesrand. Der zweite sagte etwas zu ihm. „Was reden die da?“ flüsterte Hannes. „Unsere Sprache ist das nicht!“ „Was weiß ich?“ gab der Stoffel ebenso leise zurück. „Dieses Pack kommt aus aller Herren Länder. Der Tilly ist nicht wählerisch. Nicht nur Bayern, auch Schotten, Franzosen, Italiener, Kroaten – such dir was aus! Protestantische sind derzeit nicht in der Gegend!“ „ ... por favor!“ klang es halblaut herüber. „Das sind Spanier, gütiger Gott!“ giftete der Christoffel mit grimmigem Gesicht. „Diese Laute werde ich nie vergessen! Die haben Bodenfelde, Lippoldsberg, Nienover, Uslar und andere Dörfer verwüstet und abgebrannt, die Leute totgeschlagen und totgequält und die Frauen ... .“ Er fasste die Armbrust fester. „Und meine Familie war auch darunter!“ Der abgesessene Reiter nestelte derweil an seinen Beinkleidern, während der andere seinen Rappen parierte, mit der Zunge schnalzte und langsam weiter ritt. „Hannes, den lassen wir vorbei! Flax, ganz still!“ Der Hund legte sich flach auf den Bauch und die beiden Männer drückten sich tiefer in die Deckung. Der Spanier trieb sein Pferd gemächlich den Weg entlang. Bald hatte er die umgestürzte Buche passiert und nach wenigen Augenblicken war er hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden. Inzwischen hatte sich der zweite erleichtert, stieg wieder auf sein Pferd und brachte es in den Schritt. Die Buche lag schon hinter ihm, da zischte es heran. Der Mann brach lautlos im Sattel zusammen und sackte seitlich vom Pferd. Er schlug auf dem Waldboden auf, wo er ohne jede Regung liegen blieb. Die Fuchsstute blieb stehen

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