Heinrich

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F R LUCIA


HEINRICH GERD WOLF MARTINA SPANGENBERG

Verlag J rg Mitzkat


VORWEG Als ich noch ein Junge war, wohnten wir im Solling. In unserem Dorf gab es einen alten Sch fer, der mit seiner Herde durch das Land zog. Im Winter aber versammelte er alle seine Schafe in einer gro en Scheune. Dort besuchte ich ihn oft. Es war so sch n warm und gem tlich. Es roch nach Wolle, Schwei , Mist, Milch und K se. So richtig schafig“. Die Luft war d mpfig, manchmal ” wie nebelig, obwohl es drinnen war. Vor allem f hlte ich mich nie allein, wenn 300 Schafe bl kten, was das Zeug hielt. Ich mochte Onkel Pieper. So nannten sie den alten Sch fer mit dem langen roten Bart. Onkel Pieper freute sich, wenn ich kam. Manchmal brachte ich ihm Kuchen von meiner Mutter mit. Dazu trank er seinen pechschwarzen Kaffee aus der zerbeulten Thermoskanne. Er roch immer nach Knoblauch. Davon a er jeden Tag mehrere Zehen, denn er wollte 100 Jahre alt werden. ” ”

Knoblauch macht ein langes Leben“, brummelte er freundlich. Und wer das nicht riechen kann, ist selber schuld. Und stirbt dann eben fr her.“

Wenn wir auf den Strohballen sa en, besprachen wir die wichtigen Themen des Lebens. Schafe sind wie Menschen“, sagte er dann, sie sind nicht gern allein ” ” und haben immer was zu erz hlen.“


Und manchmal sagte er auch: Die Menschen sind wie richtige Schafe: Jeder will das beste Futter � und alle laufen hintereinander her.“ Onkel Pieper wusste so viele Geschichten. Traurige und lustige, spannende und langweilige. Die meisten handelten von Schafen, ist ja klar. Eine Geschichte war etwas ganz besonderes. Schier unglaublich. Beinahe verr ckt, kann man sagen. Die muss ich euch erz hlen. Unbedingt.


Es war einmal eine Schafherde, die immer drau en lebte. Der Winter im Lunautal war hart gewesen. Mit den warmen Sonnenstrahlen kam der Fr hling. Die Mutterschafe brachten kleine L mmer zur Welt, auch Zwillinge und Drillinge.

Durch eine Krankheit verlor ein Lamm seine Mutter. Die B uerin nahm das kleine Tier in der Schubkarre mit nach Hause.


Es bekam Milch mit der Flasche. Ein Korb mit Decke zum Schlafen wurde ihm in der K che aufgestellt, neben dem Geschirrsp ler. Es durfte beim Fernsehen auf dem Sofa sitzen im Arm und auf dem Schoss der B uerin. Alois, der 10-j hrige Sohn der Bauersleute, fand das peinlich. Bei solchen Eltern mag man gar keine Freunde mit nach � Hause bringen.“ Er r mpfte die Nase und verdrehte die Augen. Es machte ihm Spa , das Lamm zu rgern. Er stupste es mit den F en an oder warf Socken nach ihm. Dann machte es gro e Spr nge, mit allen vier Beinen gleichzeitig in der Luft. ber die konnte Alois sich kaputtlachen.


Die B uerin wollte das Lamm auch mit ins Bett nehmen, aber da wehrte sich der Bauer. Kommt nicht in Frage, das stinkt. Und nachher pinkelt es uns noch in ” die Kissen.“ Einige N chte hatte die B uerin schon mit dem Schaf auf dem Sofa geschlafen. Aber als es nach ein paar Tagen kr ftiger wurde und immer mit der Nase vorstie und mit den Beinen zappelte, hatte die B uerin genug und kam gern wieder ins eheliche Gro bett zur ck. Sie nannten es Heinrich“, denn er war ein Bock. ”



Heinrich folgte der B uerin wie ein braver“ Hund. � Heinrich sprang auf der Wiese herum beim W scheaufh ngen: beim ersten Mal zog er an einem Nachmittag alle Bettt cher wieder von der W scheleine herunter, sobald die B uerin sie aufgeh ngt hatte. Wahrscheinlich hielt er die T cher f r Gespenster oder er wollte einfach nur helfen. Man wei es nicht.


Danach kaufte die B uerin eine Hundeleine und Heinrich wurde bei bestimmten Gelegenheiten immer an den Fahrradst nder angeleint, damit er keine Dummheiten machen konnte. Heinrich begleitete die B uerin zum Einkaufen: er musste auf dem Parkplatz im Auto bleiben. Und als die B uerin mit Alois wieder zur ckkam mit dem Einkaufswagen und einladen wollte, hatte sich um das Bauersauto eine Traube von Menschen gebildet. Vor allem M tter, die ihre kleinen Kinder vor die Scheibe hielten und in einem fort Wie s , guck mal das L mmchen, wie s !“ riefen. ” Mensch, Mama, wie peinlich“, sagte Alois und schaute sich vorsichtig um, ob er ” nicht doch vielleicht von einem Klassenkameraden entdeckt worden war, dem er dann Erkl rungen h tte liefern m ssen. Heinrich, im Auto auf der R ckbank, sa ganz still. Er hatte - wahrscheinlich aus Angst vor den vielen fremden Gesichtern am Fenster - in den Kindersitz gepinkelt, ein alter von Alois. Der wurde von der B uerin gleich auf dem Parkplatz in einen M llcontainer entsorgt. ”

Mensch, Mama, wie peinlich!“, rief Alois.


Nach einigen Tagen ging Heinrich an der Leine mit den Dorfkindern spazieren: Alois hatte sich zuerst geweigert. Aber unter den Kindern im Dorf hatte sich die Anwesenheit von Heinrich herumgesprochen. Alle, die meist nur einen Hund oder eine Katze zu Hause hatten, fragten Alois neugierig: Darf ich mal kommen, darf ich mal Heinrich sehen? � Ich h tte auch Futter.“ Und als Alois verlegen abwinkte und erz hlte, das bl de Schaf geh re eigentlich seiner Mutter, fingen die M dchen an bei der B uerin anzurufen, ob sie Heinrich mal ausf hren d rften. Das war Alois nun wieder gar nicht recht. Schlie lich war das sein Hof, sein Zuhause und die B uerin seine Mutter. Und eigentlich war er der Chef von allem. Und wenn das Schaf bei den Kindern gut ankam, ok, dann k nnte er ja mal mit ihm im Dorf Gassi gehen, so wie die anderen das mit ihren Hunden machten.


Einmal durfte Heinrich sogar mit dem Bauern auf dem Trecker zum Pfl gen fahren. Als der Bauer nach einer halben Stunde bemerkte, dass Heinrich seine Hustenbonbons angeknabbert hatte, warf er ihn vom Trecker herunter und band ihn am Stra enschild fest. Er rief mit dem Handy zuhause an und die B uerin musste den bl kenden Heinrich abholen. Heinrich fra viel und wuchs schnell.


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