Jahrbuch für den Landkreis Holzminden / Jahrbuch 2015/16

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Jahrbuch für den Landkreis Holzminden · Band 33/34 · 2015/2016



Jahrbuch für den Landkreis Holzminden Herausgegeben im Auftrage des Heimat- und Geschichtsvereins für Landkreis und Stadt Holzminden e.V. von Matthias Seeliger

Band 33/34 2015/2016

Holzminden 2015 Verlag Jörg Mitzkat


Allen Mitarbeitern sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Unser Dank gilt auch der Stadt Holzminden und einigen privaten Spendern, die den Druck des Jahrbuches durch Zuschüsse gefördert haben.

Redaktion: Dr. Matthias Seeliger, Stadtarchiv Holzminden Abbildungsnachweise bei den jeweiligen Beiträgen Titelbild: Stammbuchblatt (vgl. S. 23)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Heimat- und Geschichtsverein für Landkreis und Stadt Holzminden e.V. sowie Autoren Satzanpassung, Scans, Layout: Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden ISSN 0176-6538 ISBN 978-3-95954-007-0 Vereinsanschrift: Kulturzentrum „Weserrenaissance Schloss Bevern“, 37639 Bevern www.hgv-holzminden.de Mail: grebe.hol@t-online.de Der Bezugspreis für das Jahrbuch ist im Mitgliedsbeitrag des Heimat- und Geschichtsvereins enthalten.


Inhaltsverzeichnis Aufsätze Die Hochwasserkatastrophe in Kirchbrak am 28. August 1955. Von Detlef Creydt Libellen im Landkreis Holzminden: Beziehungen zwischen Lebensräumen und Artenspektrum. Von Reiner Böke

1–4 5 – 20

Holzmindener Stammbuchblätter aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (II). Von Matthias Seeliger

21 – 34

„Helpt ju selbst“: Wilhelm Hartmann an der Oberweser und in den USA. Von Jürgen Huck

35 – 50

Vor 70 Jahren: Die letzten Kriegstage in Neuhaus, Fohlenplacken, Silberborn, Derental und Schönhagen. Von Detlef Creydt

51 – 66

Oberförster Schiedendüfels Bericht über die Wilddiebe im braunschweigischen Teil des Sollings (1857 bis 1862). Herausgegeben von Detlef Creydt

67 – 74

Rule Britannia! Joachim Heinrich Campe 1802 in London. Ein kulturgeschichtlicher Essay von Reinhard Krebs

75 – 96

Symbolik mit Messfehler? Überlegungen zum Bauplan der Klosterkirche Amelungsborn. Von Thomas Küntzel

97 – 105

Die katholischen Kirchen in Bevern und Neuhaus. Von Maria Kapp

107 – 126

Zwei barocke Kunstwerke aus Lüchtringen in den katholischen Kirchen in Stadtoldendorf und Bodenwerder. Von Maria Kapp

127 – 129

Haus von Lengerke in Dohnsen im Wandel der Jahrhunderte. Von Jürgen Albrecht

131 – 134

Robert Rustenbach, Jurist und „fleißiger“ Forscher aus Eschershausen. Von Andreas Reuschel

135 – 140

V


Stadtarchiv Holzminden „Auf dem Holzminder Marckte gekaufet“: Eintragungen in Büchern der Golmbacher Pfarrbibliothek. Von Matthias Seeliger

141 – 146

Bibliographie zur Geschichte des Landkreises Holzminden (18). Bearbeitet von Matthias Seeliger

147 – 153

Verzeichnis der Mitarbeiter

VI

154


Jahrbuch für den Landkreis Holzminden

Band 33/34 2015/16

S. 1 - 4

Die Hochwasserkatastrophe in Kirchbrak am 28. August 1955 von Detlef Creydt Mit 3 Abbildungen

Vor dem Sonntag am 28. August 1955 hatte es schon tagelang geregnet. Der aufgeweichte Boden konnte keinen Niederschlag mehr aufnehmen und die Lenne führte Hochwasser.1 Die Wassermassen hatten bereits Treibgut mitgenommen, das nun flussabwärts trieb, so z. B. Holz aus Oelkassen. Erschwerend kam hinzu, dass das Heu der rechts und links von der Lenne liegenden Wiesen ebenfalls abgeschwemmt wurde. Die erste Brücke, die von dem weiter ansteigenden Hochwasser und dem Treibgut mitgerissen wurde, befand sich in Osterbrak. Kurze Zeit später folgte die sog. Schäferbrücke. Sie befindet sich südlich von Kirchbrak und diente als Zugang zu den von Groneschen Ländereien. Das Material der beiden Brücken legte sich nun vor die Brücke am Sportplatz, die dem Druck nur kurze Zeit Widerstand leisten konnte. Von Brücke zu Brücke stauten sich die Wassermengen durch das zunehmend mitgeführte Treibgut immer höher an, wobei Heu in die Lücken gepresst wurde, so dass das Wasser keinen Durchgang fand. Das Treibgut von den drei Brücken schoss anschließend über das Gelände des Sägewerks und Holzwarenfabrik „August Müller & Co“ (Amco-Werk) in Kirchbrak und riss die beiden Holzfachwerkbrücken, die die westliche Seite des Betriebes mit dem Hauptwerk verbanden, mit sich. Eine hohe Flutwelle ging über das Gelände der Amco hinweg und staute sich erneut an der großen Brücke, über die die öffentliche Straße zum Bahnhof führte. Die Wassermassen mit dem Treibgut verstopften hier zwar ebenfalls den Durchfluss, jedoch konnte das Wasser über diese massive Brücke abfließen. Neben großem materiellem Schaden gab es durch dieses Hochwasser auch einen Todesfall. Bertha Müller, die Frau des Betriebsinhabers und Sohnes des Gründers des Werkes, August Müller, besuchte an diesem Nachmittag eine Nachbarin. Deren Wohnung lag ca. 150 Meter entfernt von ihrem eigenen Anwesen. Auf dem Nachhauseweg wurde die 70jährige von der Flutwelle überrascht. Vermutlich wurde sie nur 20 bis 30 Meter vor Ihrem Haus von den Wassermassen mit dem Treibgut erfasst und Lenne abwärts mit fortgerissen. Sie wurde später an einer Weide am Ufer der Lenne bei Westerbrak tot aufgefunden. Nach Rückgang des Lennehochwassers stellte sich der Umfang des Schadens am Amco-Werk als sehr beträchtlich heraus. Zwei Brücken waren komplett weggerissen worden, sehr viele auf dem Gelände gelagerte Bohlen, Kanthölzer und Leisten waren in den Fluten verschwunden. Das bereits geschnittene Holz aus den beiden großen Schuppen im Süden des Geländes war ebenfalls zu großen Teilen weggeschwemmt. Das Hochwasser war mit einer Höhe von 1,60 Meter über 1


Detlef Creydt

Abb. 1: Die große Straßenbrücke wird von Soldaten der gerade im Mai 1955 gegründeten Bundeswehr geräumt.

das Werk hinweg gegangen. Auf dem ganzen Betriebsgelände befanden sich große Schuttmengen. Ca. 300 Elektromotoren der im Keller- und Erdgeschoss installierten Maschinen mussten ersetzt werden. Auch die Säuberungsarbeiten der überfluteten Gebäude stellten sich bei dem Schlamm und Dreck als sehr aufwändig dar. Als Erinnerung an dieses Jahrhundertwasser wurden später in einigen Türrahmen Hochwassermarken angebracht.2 Auf dem Gelände des Müllerschen Betriebes wurden nach der Katastrophe die Schäden fotografiert. Einige dieser Aufnahmen befinden sich nun im Besitz des Heimat- und Geschichtsvereins.3 Auf ihnen wird das Ausmaß der Zerstörung und Verwüstung deutlich dokumentiert. Eine kleine Auswahl der Fotos soll hier beispielhaft wiedergegeben werden. Fünf Tage nach dem Hochwasser wurde von dem Amco-Werk eine kurze Darstellung der Schäden am Werk verfasst. 4 Als ein zeitgenössischer Bericht dieser Katastrophe soll er hier wiedergegeben werden: Hochwasser der Lenne am 28.8.1955 Das halbe Frühjahr und der ganze Sommer 1955 waren bereits sehr regenreich. Die Wasseraufnahmefähigkeit des Erdreichs war dadurch sehr gering. In den Morgenstunden des 28.8.1955 hielt über der ostwärtigen Ithbörde, dem Hils und der Homburg, ein Gewitter, das sich mit normalen Wassermassen entlud. In Kirchbrak selbst fiel zu dieser Zeit nicht viel Regen. Gegen Abend hielt über diesem Gebiet erneut ein Gewitter. Während dem Entladen fielen große Regenmengen. In Kirchbrak war zu dieser Zeit (17.45 – 18.45 Uhr) normaler/ starker Gewitterregen. Der Oberflächenanfall war so groß, dass der Bahndamm5 zwischen Scharfoldendorf und Eschershausen zum Zug 18.44 Uhr nicht mehr befahrbar war. Der Triebwagen kam daher nach 2


Hochwasserkatastrophe in Kirchbrak 1955

Abb. 2: Überall liegengebliebenes Treibgut.

Kirchbrak zurück und versah den Dienst des Zuges 19.35 Uhr ab Kirchbrak. Zu dieser Zeit war die Mauer an der Straßenseite der Lenne bei Gades Haus nur noch ca. 10 cm frei. Auf der Lenne schwammen schon mehrere Hausratsgegenstände, u. a. auch Handwagen, die aus den Ortschaften Eschershausen, Scharfoldendorf, Oelkassen oder Osterbrak stammen mussten. Gegen 19.45 Uhr war die Straße vor dem Pfarrgarten bereits überschwemmt. Nur ca. 10 Minuten später war die Straße vor dem Gemeindehaus schon nicht mehr trockenen Fußes zu passieren. Das Wasser stand auf der anderen Seite des Pfarrgartens gegen 20.00 Uhr bis zum Eisenmasten des E-Werkes, der zwischen dem Mühlengraben und dem Stallgebäude des Wohnhauses 79 steht. Bis zu dieser Zeit war niemand im Betrieb, der dort die einzelnen Wasserhöhen festhalten konnte. Im Wohnhauskeller drückte um diese Zeit das Wasser durch die Kanalisation hoch. Um 20.00 Uhr trat das Wasser aus den Abflussschächten an den beiden Waschhausecken und zwischen den Fahrradständern auf den Hof. Gleichzeitig kam eine größere Flutwelle unter der Krananlage herunter. Diese Welle wird wahrscheinlich durch Rückstau vor den beiden Brücken entstanden sein. Die Wassermassen sind dann scheinbar zum Werksgelände hin abgedrückt. Nach kurzer Zeit müssen sich dann die Brückenteile in Bewegung gesetzt haben. Die Teile der unteren Brücke sind noch unter der Straßenbrücke am Bahnhof hindurchgegangen und lagen im großen Kamp und zwischen Bahndamm und Lenne in der Pappelpflanzung. Die obere Brücke war nur in drei große Teile gebrochen, von denen sich die beiden Seitenteile mit dem Brückengeländer in Straßenrichtung vor die große Brücke setzten. In diesem Augenblick stürzte auch die Lichtleitung vor dem Pfarrgarten zusammen. Von der Lenne mitgeführtes Gestrüpp und Hafer- und Weizengarben müssen sich in Sekundenschnelle in den Brückenteilen festgesetzt und in ca. 2 Minuten einen Rückstau von über einem Meter verursacht haben. Gegen 20.10 Uhr drückten die Wassermassen die zum Späneschuppen führende Bürohaupttür ein und ergossen sich ins Büro und in den Keller, der gegen 20.15/20.20 Uhr eingetretene 3


Detlef Creydt

Abb. 3: Die große Säuberung nach der Flut.

Höchststand reichte ca. 2 cm vor die Kellerdecke im Bürogebäude und ca. 8 cm unterhalb des vor dem Haupteingang befindlichen Treppenpodestes. Auf dieser Höhe hat es sich ca. ½ Std. gehalten und ging dann sehr langsam zurück. Aufgrund des Höchstwasserstandes stürzte die vor dem Haus 79 stehende Einfriedigungsmauer ein. Das Wasser stand auf dem Bahnhofsgelände noch einige Zentimeter unter dem überdachten Vorraum. Im Kesselhaus lief das Wasser durch die Feuerungsöffnung, im Maschinenhaus standen die Sockel der Dampfmaschinen im Wasser. Im Treppenhaus des Hochbaues I reichte das Wasser bis zur 6.ten Treppenstufe. In der Zuschneiderei stand das Wasser ca. 1,50 Meter hoch. Zwischen 22.00 und 23.00 Uhr fiel das Wasser ein Stück und reichte vor dem Haupteingang bis an den Bürgersteig. Während dieser Zeit war der Rückstau vor der großen Brücke noch so stark, dass das Wasser an der Tankstelle vorbei auf den Fabrikhof zurückfloss und um die Tränkanlage herum wieder in die Lenne gelangte. Gegen 23.00 Uhr wurde dann die große Brücke wieder frei. Um 24.00 Uhr konnte man bis zum Hoftor von Haus 79 kommen. Die gesamte Straße wurde erst gegen 03. Uhr frei. Kirchbrak, 2.9.1955 Anmerkungen

1 Allgemein zum Thema vgl. Reuschel, Andreas: Das Wasser kommt: Überschwemmungen im Lennetal bei Eschershausen seit dem 18. Jahrhundert. In: Jahrbuch für den Landkreis Holzminden 27 (2009), S. 1–12. 2 Diese Informationen verdanke ich Angela Stiebe und Hans-Georg Scholz. Beide waren langjährige Mitarbeiter im Werk. 3 Für das Überlassen der Aufnahmen sei auch an dieser Stelle Frau Angela Stiebe herzlich gedankt. 4 Der Bericht wurde dem Verfasser freundlicherweise von Angela Stiebe, Kirchbrak, zur Verfügung gestellt. Frau Stiebe ist Enkelin des Firmengründers und war im Werk beschäftigt. 5 Zu den Hochwasserschäden der Vorwohle-Emmerthaler Eisenbahn vgl. Döpner, Meinhard: Die Deutsche Eisenbahn-Betriebs-Gesellschaft AG: Geschichte, Strecken und Fahrzeuge. Gülzow 2002, S. 125.

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