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Titelbild: Bildungscampus Handwerk in Brakel. Foto: WESTFALEN-BLATT/Frank Spiegel
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ISBN 978-3-95954-164-0
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Gestaltung: Verlag Jörg Mitzkat
Druck: Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH
Gedruckt auf: Circleoffset Premium White 1.26 (Blauer Engel zertifiziert),
Gemeinsam für Demokratie und Toleranz: „Buntes Fest“ in Warburg
von Dr. Andreas Knoblauch-Flach
Vom Wunder zum Welterbe
Ehemalige Benediktinerabtei Corvey feiert zehnten Jahrestag der Anerkennung – Kirchengemeinde bringt filmische Zeitreise an den Start von Sabine Robrecht
50 Jahre „Die Warte“ von 1973 bis 2023
von Wilhelm Grabe
Das Leben in den Mittelpunkt rücken
Das ehrenamtliche Engagement des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes Paderborn-Höxter von Christian Albroscheit
Erster FrauenOrt NRW im Kreis Höxter feierlich eröffnet – Helmern
Geburtsort von Äbtissin Benedicta von Spiegel (1874-1950) von Dr. Gerlinde Gräfin von Westphalen
30 Jahre ABC-isten in Höxter
ABC-Abwehrbataillon 7 gewährt „Rückblicke.Einblicke.Ausblicke“ von Michael Gorzolka
Pfingstlauf des SV Grün-Weiß Kollerbeck: Lehrer Strathmanns Startsignal löste Erfolgsgeschichte aus
Einblicke in die Entwicklung der ältesten und traditionsreichsten Laufveranstaltung im Kreis Höxter von Franz Meyer
Positive Bilanz beim ersten großen Blaulichttag im Kreis Höxter
Angehende Notfallsanitäter erproben lebensrettende Sofortmaßnahmen bei realitätsnahen Übungen von Matthias Kämpfer
Einzigartiges Lebenswerk: Hinter historischen Mauern entfaltet sich die ganze Welt
425 Jahre Wasserschloss Neuenheerse und 35 Jahre Engagement des Ehepaares Schröder von Sabine Robrecht
„Wir bewegen Bökendorf!“
Die Entwicklung vom SV 21 Bökendorf zum generationenübergreifenden Sportverein und Kulturträger im ländlichen Raum von Dr. Julia Höke & Annabell Starke-Uzun
200 Jahre Schützenbruderschaft St . Bartholomäus Haarbrück von 1824 e .V
von Stefan Bobbert
1 . FC Nieheim – Aufstieg in die Westfalenliga
Motivation, Glaube und ein unerschütterlicher Teamgeist führten zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte von Patrick Schmeier
Vörden – 900 Jahre Geschichte, Tradition und Zukunft
Ein Blick zurück auf die Geschichte und das Jubiläumsjahr einer charmanten Ortschaft von Mathias Schmidt
GESCHICHTE
Als der Kreis Höxter fast zum Kreis Brakel geworden wäre
Kurioses aus dem Kreisarchiv von Hendrik Köplin
Tradition und Zukunft
Die Gründung der Max-Planck-Gesellschaft 1946 in Bad Driburg von Dr. Heinz-Jörg Wiegand
Rebellische Dörfer und eine geplatzte Liebesheirat
Die Entwicklung der Orgelstadt Borgentreich seit 1975 von Hubertus Hartmann
Die Revolutionstage Ende März 1848 zu Bökendorf
Nach einem Bericht des Rentmeisters Anton Meyer von Heinrich Ridder
WIRTSCHAFT
FSB – Die Weltmarke aus der ostwestfälischen Provinz
Design für Türen und Fenster (und manchmal auch Museen) von FSB Franz Schneider Brakel GmbH + Co KG
Rückblick: Ein Jahr im Zeichen des Kreisentwicklungskonzepts
Eine Vision und ein Leitfaden für den Kreis Höxter im Hinblick auf 2040 von Sarah Thiet, Michael Stolte und Jürgen Drüke Glasklar?
Schnelles und stabiles Internet: Die Verbraucherzentrale NRW zum Glasfaserausbau im Kreis Höxter von Ute Delimat
BILDUNG UND KULTUR
Georg Thauern – Einer von hier, einer fürs Wir
Ein Künstler zum Anfassen, ein Dorfkind, ein Westfale. von Uwe Thauern
Bildungscampus Handwerk
Leuchtturm für Lernortkooperation mit Modellcharakter von Florian Derenthal
Forum Anja Niedringhaus mit überregionaler Strahlkraft
Ausstellungs- und Begegnungsort für Fotografie von Silja Polzin
Teilhabe und Chancengleichheit im Fokus
„WIR l(i)eben Vielfalt“ – Zehn Jahre Kommunales Integrationszentrum von Filiz Elüstü
Neue Dauerausstellung im Schloss zu Corvey
„Das Jahrtausend der Mönche – Von der Gründung Corveys bis zum Goldenen Zeitalter“ von Professor Dr. Christoph Stiegemann
Können wir Europa mitgestalten?
Bildungs- und Demokratie-Exkursion nach Straßburg und Offenburg von Filiz Elüstü und Marita Menne
Ein ganz besonderer Tag in Frankfurt am Main
Die Verleihung des Internationalen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2023 an den Schriftsteller Salman Rushdie von Hana Muhamed Abikar
Der Musikverein Ossendorf feiert sein 100-jähriges Bestehen
von Erwin Dübbert
Das Gymnasium Beverungen ist Partnerschule von Yad Vashem
von Christoph Reichardt
NATUR UND LANDSCHAFT
Entdecken und Lernen auf der Obstwiese
Neue Aktionsreihe: Naturpark Teutoburger Wald/Eggegebirge im (Klima-) Wandel macht sich für Umweltbildung stark von Martina Schäfer
Entstehung und Nutzung des „Kräuter- und Obstbaum-Lehrpfades“ Herste
von Tamara Fleischer
Von der Landesgartenschau zum Huxarium Gartenpark
von Claudia Koch
JAHRESRÜCKBLICK
Liebe Leserinnen und Leser,
beim ehrenamtlichen Engagement liegt der Kreis Höxter landesweit an der Spitze. Das belegt der EhrenamtAtlas 2024, der die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung in den 53 Landkreisen und kreisfreien Städten NordrheinWestfalens zusammenfasst. Bei uns im Kulturland engagieren sich 75 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für das Gemeinwohl, während die Quote landesweit bei 54 Prozent liegt, wie die von WestLotto beauftragte forsaStudie für den EhrenamtAtlas ergab. Das ist ein starkes Zeichen für den Zusammenhalt bei uns im Kreis Höxter.
Dieses überragende Engagement ist in vielen Bereichen zu spüren. Sei es im Sport, in Kirchengemeinden und Religionsgemeinschaften, im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz, in der Jugendarbeit, Nachbarschaftshilfe, Seniorenbetreuung, Bewahrung der Heimatgeschichte, im Natur- und Umweltschutz, in Kunst und Kultur oder im Einsatz für die Dorfgemeinschaft. Auch das vorliegende Jahrbuch zeigt, wie breit das bürgerschaftliche Engagement in unserem wunderschönen Kulturland aufgestellt ist. So wären die Jubiläumsveranstaltungen, die Vergangenheit und Gegenwart zusammenführen, ohne den Einsatz vieler ehrenamtlich aktiver Bürgerinnen und Bürger gar nicht durchführbar.
Von unschätzbarem Wert ist auch das ehrenamtliche Engagement des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes Paderborn-Höxter, das in diesem Jahrbuch gewürdigt wird. Dessen ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begleiten Familien, in denen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer lebensverkürzenden Erkrankung leben. Ebenso eindrucks voll ist das bürgerschaftliche Engagement für Demokratie und Toleranz. Ein weiteres Vorbild für das Ehrenamt ist der Aufbau und Betrieb des Forum Anja Niedringhaus als Kultur- und Begegnungsort für Fotografie.
Diese Beispiele werfen nur ein kleines Schlaglicht auf die Themenvielfalt im vorliegenden Jahrbuch. Dazu gehören auch das Künstlerporträt über den erfolgreichen Sänger Georg Thauern, die neue Dauerausstellung über das Jahrtausend der Mönche in Corvey und der innovative Bildungscampus Handwerk. Dieses Gemeinschaftsvorhaben des Kreises Höxter und der Kreishandwerkerschaft Höxter-Warburg ist ein Leuchtturm in der dualen Berufsausbildung.
Das breite Spektrum der Beiträge zeigt sehr anschaulich das vielfältige Wirken engagierter Menschen bei uns im Kulturland und macht das Jahrbuch 2025 zu einer besonderen Heimatlektüre.
Herzlich danken möchte ich einmal mehr den Autorinnen und Autoren und allen weiteren Mitwirkenden, die diese Ausgabe durch Fotos und ihre redaktionelle Mitarbeit möglich gemacht haben.
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich eine informative und unterhaltsame Lektüre.
Herzliche Grüße
Ihr
Michael Stickeln Landrat
Zeitgeschehen
Das „Bunte Fest“ in Warburg 2019: Gemeinsam für Demokratie und Toleranz .
Gemeinsam für Demokratie und Toleranz: „Buntes Fest“ in Warburg
von Dr . Andreas Knoblauch-Flach
Rückblick
Am 6. und 7. Juli 2019 wurde auf dem Warburger Neustadtmarktplatz das erste „Bunte Fest“ gefeiert. Unter dem Motto „Gemeinsam für Demokratie und Toleranz” war der gleichzeitig in der Stadthalle stattfindende Landesparteitag der AfD Anlass für die Durchführung des Festes, um die Offenheit der Warburger Bürgergesellschaft kenntlich zu machen. Gleichzeitig – und das Motto macht das deutlich – war es den Beteiligten wichtig, FÜR bestimmte Werte einzustehen und nicht gegen etwas zu demonstrieren.
Bei einem ersten Vorbereitungstreffen zu diesem Fest fanden sich etwa 70 Beteiligte ein. Nach nur drei Wochen Vorbereitungszeit war das Fest ein voller Erfolg, den ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure für sich verbuchen konnte. Unter dem organisatorischen Dach der „Bürgerinitiative Lebenswertes Bördeland und Diemeltal” und unterstützt durch viele einheimische Sponsorinnen und Sponsoren sowie mit tatkräftiger Unterstützung durch die Stadtverwaltung wurde ein zweitägiges Musik- und Kabarettprogramm unter anderem mit Max Uthoff, Gerburg Jahnke, Stoppok, Sarah Hakenberg, Aeham Ahmad und vielen weiteren einheimischen Künstlerinnen und Künstlern geboten, das eine große Schar von begeisterten Besucherinnen und Besuchern fand.
Das Fest blieb lange im Gespräch und immer mal wieder kam der Wunsch auf, es ein weiteres Mal auf die Beine zu stellen.
Intermezzo
Die Idee, für die das „Bunte Fest“ stand und steht, lebte nach 2019 weiter in Warburg. Dabei waren die Akteurinnen und Akteure häufig die gleichen, wenn auch der Organisator wechselte.
Zwischen den beiden Festen von 2019 und 2024 fanden verschiedene zivilgesellschaftliche Aktionen unter dem Dach des „Bündnis für Demokratie und Toleranz” in Warburg statt. Dazu gehörten Demonstrationen unter dem Motto „Gemeinsam für Warburg. Für Solidarität in der Coronazeit” in 2021 und 2022 sowie Solidaritätsveranstaltungen für die Ukraine nach dem russischen Überfall auf das Land im Februar 2022.
2024
Im Januar 2024 erregte ein Bericht des Medienhauses „Correctiv” unter dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland” die Aufmerksamkeit, in dem rechte Pläne einer „Remigration” von Millionen von Menschen aus Deutschland enthüllt wurden.
In der Folge regte sich die Zivilgesellschaft in Stadt und Land mit Aktionen zum Schutz der Demokratie – so auch im Kreis Höxter.
In der Diemelstadt wurde für den 27. Januar 2024 eine Demonstration für Demokratie und Toleranz anberaumt. Ein Treffen zur Organisation der Demonstration wurde von etwa 40 Personen besucht. Das Treffen brachte als Ergebnis, dass die Demonstration keine Eintagsfliege bleiben sollte: weitere Aktionen wurden geplant, wobei eine Lichterkette angedacht wurde und eben auch ein zweites Buntes Fest. Für die Demonstration rechneten die Veranstalterinnen und Veranstalter mit 500 bis 600 Teilnehmenden – es wurden schließlich über 2.000.
In der Folge gab es in Warburg eine ganze Reihe von Veranstaltungen, die mittelbar oder unmittelbar im Zusammenhang mit der Demonstration standen. Dazu gehören ohne Anspruch auf Vollständigkeit
• eine Lichterkette um den Neustadt-Marktplatz beziehungsweise die Neustadt-Kirche im Februar 2024
• eine Mosaikaktion der YoungCaritas in der Zweiten Heimat
• ein Workshop der Diakonie gegen Antisemitismus und Rassismus
• die Ausstellung „Toleranzräume” des Projektes „Demokratie leben” im März 2024
• „Warburg singt für Vielfalt & Frieden!” der ErdCharta-Ideenwerkstatt
• die Osterhasen-Rallye gegen Rassismus der Firma Brauns-Heitmann, der Warburger Hanse und der Stadt Warburg
• der Escape-Room zum Thema „Der Weg zur Aufenthaltserlaubnis” der Malteser Betreuung Borgentreich, des Theresia-Gerhardinger-Berufskollegs Warburg-Rimbeck und der Bonner Flüchtlingshilfe.
Vorbereitung des Bunten Festes
Gleichzeitig liefen die Vorbereitungen des Bunten Festes an. Dazu wurde eine dezentrale Organisationsstruktur mit Kleingruppen gebildet. Die große Runde aller Betei-
Das Plakat zum „Bunten Fest“ 2024 .
ligten traf sich etwa einmal monatlich, die Kleingruppen je nach Bedarf. Dabei hatten die Kleingruppen für ihre jeweiligen Aktivitäten weitgehende Entscheidungsfreiheit, so dass nicht alle Organisationsfragen in der großen Runde diskutiert werden mussten.
In der Gesamtgruppe wurde die Entscheidung getroffen, den Warburger Verein „Zweite Heimat” als offiziellen Veranstalter des Bunten Festes fungieren zu lassen.
„Ein gutes Miteinander braucht Begegnung!”, war das Ansinnen von Warburger Bürgerinnen und Bürgern, die ehrenamtlich in der Arbeit mit Geflüchteten tätig waren, so dass sie 2018 den Verein als interkulturelle Begegnungsstätte gründeten und ihr Domizil in der Hauptstraße fanden. Der Verein war aber nicht nur offizieller Organisator, sondern in der weiteren Vorbereitung ein wichtiges Verbindungsglied zur Beteiligung von Migrantenselbstorganisationen in die Ausrichtung des Bunten Festes.
Recht frühzeitig wurde in der Gesamtgruppe die Entscheidung getroffen, das Fest am Vortag zur Europawahl auf dem Neustadt-Marktplatz zu feiern und mit ihm den Aufruf zu verbinden, das individuelle Wahlrecht bei der Europawahl auch in Anspruch zu nehmen. Dieser Termin wurde abgestimmt mit den Schützen, die an diesem Tag ihr Stadtkönigsschießen abhielten.
Die Dekogruppe
Viel Aufmerksamkeit beim ersten Bunten Fest hatten die unzähligen Wimpel erreicht, die in der Hauptstraße und am Marktplatz aufgehängt waren. Und so stand schnell fest, dass diese Dekoration auch beim neuerlichen Fest nicht fehlen sollte. Die damaligen Wimpel waren nicht mehr vorhanden, so dass neue gefertigt wurden, und zwar insgesamt etwa 3.000 (!) Stück, die in der Form von Wimpelketten zusammengefügt und durch den Bauhof der Hansestadt aufgehängt wurden.
Die Marketinggruppe
Aufgabe der Marketinggruppe war es, ein Logo/Emblem zu schaffen und weitere Werbeaktivitäten zu starten. Dazu gehörte der Entwurf eines Plakats und von Bannern oder das Verfassen von Presseartikeln.
Interessant dabei war ein Postkartenmotiv, das die Verbindung eines alten Motivs von einer Warburger Häuserwand zur Europawahl aufnahm:
Wimpel über Wimpel waren nicht nur am Marktplatz sichtbar . Foto: Dr . Andreas Knoblauch-Flach
Das Logo zur Veranstaltung
Das Kinderfest Schnell war auch klar, dass es vielfältige Aktivitäten für Kinder geben sollte, so dass auch hierfür eine eigene Gruppe gebildet wurde. Um den eigenständigen Cha-
Das „Bunte Fest“ beinhaltete auch den Aufruf zur Teilnahme an der Europawahl am Tag danach . Foto: Design Kathrin Helg, Foto Heinz Wronker
rakter dieser Aktivitäten zu betonen, wurde das Kinderfest organisatorisch unter das Dach des Kulturforums Warburg gegliedert. Damit die Aktivitäten in einem geschützten Raum stattfanden, wurde nach einem Raum am Rande des Neustadt-Marktplatzes gesucht, der schließlich im Pennig-Haus nahe des Marktplatzes gefunden wurde.
Politik-Gruppe
Die Politik-Gruppe befasste sich unter anderem mit dem Einholen von Informationen darüber, wie mit Argumenten von rechten Parteien umgegangen werden kann. Weiterhin initiierte die Gruppe den Auftritt der Stände „Politik zum Anfassen” und des Projekts „Demokratie leben” sowie die Verteilung von 100 Grundgesetz-Exemplaren während des Festes.
Orga-Gruppe
Die Orga-Gruppe suchte zunächst das Gespräch mit dem Warburger Bürgermeister Tobias Scherf, um sich die Unterstützung der Kommune zu sichern. Diese wurde schnell zugesichert und in der Folge auch gewährt. Die Gruppe errechnete einen Kostenrahmen von etwa 15.000 Euro für das Fest, der zu refinanzieren war. Dazu gab es einen Spendenaufruf an die heimische Wirtschaft sowie an gemeinnützige Organisationen. Außerdem wurde festgelegt, dass die Initiativen, die auf dem Fest etwas verkauften, um eine Spende aus ihren Einnahmen für das Fest gebeten wurden. Weiterhin wurden Zuschussanträge gestellt – so wurde eine Unterstützung aus dem Fonds für kleinere kulturelle Projekte des Kreises Höxter bewilligt. Unter dem Strich ist die Refinanzierung gelungen. Die Orga-Gruppe kümmerte sich natürlich auch um die Organisation des Veranstaltungsprogramms sowie darum, eine ausreichende Zahl an Helferinnen und Helfern an den entsprechenden Orten (Getränkewagen, Spülmobil et cetera) zu haben. Die Durchführung des Bunten Festes
Das Wetter stimmte, es waren viele Besucherinnen und Besucher auf dem Platz und in den angrenzenden Gassen, es wurde gegessen, getrunken, geredet, zugehört, getanzt – und über all dem lag die ganze Zeit lang eine Atmosphäre der Zugewandtheit. Mit anderen Worten: das Fest war ein voller Erfolg.
Und das „Bunte Fest“ soll nicht die letzte Aktion in diesem Zusammenhang gewesen sein. Wie es allerdings weitergehen wird, muss noch abgestimmt werden.
Dr . Andreas Knoblauch-Flach
Am Runden Berg 4, 34414 Warburg
Der Samstag begann mit einem Frühstück, zu dem alle Beteiligten etwas mitbrachten Foto: Mahdi Momenimoqadam
In einer Fotobox konnten sich Besucherinnen und Besucher verewigen Foto: Johanna Marie Wiesendahl
Ein wahrhaft großer Kreistanz . Foto: Wilm Pollmann
Perfectum est – Corvey ist Welterbe: Viele Höxteraner haben sich das Plakat zur Welterbeanerkennung vor zehn Jahren eingerahmt .
Foto: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht
Ehemalige Benediktinerabtei Corvey feiert zehnten Jahrestag der Anerkennung – Kirchengemeinde bringt filmische Zeitreise an den Start
Vom Wunder zum Welterbe
von Sabine Robrecht
Die ehemalige Benediktinerabtei Corvey am Weserbogen bei Höxter hat kurz nach den glanzvollen Feierlichkeiten zum 1200-jährigen Bestehen im Zeichen eines weiteren großen Jahrestages gestanden: Die Aufnahme des karolingischen Westwerks und des als Bodendenkmal erhaltenen mittelalterlichen Klosterbezirks, der Civitas, in den Olymp der UNESCO-Welterbestätten lag am 21. Juni 2024 genau ein Jahrzehnt zurück. Der Welterbe-Titel weckt Assoziationen zum überlieferten Nimbus Corveys als „Wunder Sachsens und des Erdkreises“. Als solches hatte die Abtei in ihrer Blütezeit nach der Gründung 822 von sich reden gemacht. Vom Wunder zum Welterbe – dieser Meilenstein in Corveys jüngerer Geschichte hat viele Menschen in der Region begeistert.
„Perfectum est“ (Es ist geschafft): Im Corveyer Land verbreitete Glockengeläut am Nachmittag des 21. Juni 2014 die frohe Kunde. Wenige Augenblicke zuvor hatten die Delegierten des UNESCO-Welterbekomitees in Doha, der Hauptstadt des Wüstenstaats Katar, für Corvey votiert. An diese Abstimmung erinnern sich der damalige Pfarrdechant Ludger Eilebrecht und der Hausherr des Schlosses, Viktor Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey, nach wie vor lebhaft. Denn sie waren dabei. In der Metropole am Persischen Golf. Und brachten den Titel, wie sie in der Rückschau so freudig und stolz berichten, als wäre es gestern gewesen, überglücklich mit nach Hause.
Blickten beim Festakt zum zehnten Jahrestag gemeinsam auf die Welterbe-Anerkennung Corveys und die Erfolgsgeschichte seit 2014 zurück: Bürgermeister Daniel Hartmann (von links), stellvertretender Landrat Werner Dürdoth, Landtagsabgeordneter Matthias Goeken, Dr Simone Meyer vom LWL, der Justiziar des Erzbistums, Marcus Baumann-Gretza, Dr Birgitta Ringbeck, Professor Dr . Christoph Stiegemann, Alexandra Herzogin von Ratibor und Fürstin von Corvey, Abt Dr . Cosmas Hoffmann (Abtei Königsmünster in Meschede), Viktor Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey, Pfarrdechant Dr . Hans-Bernd Krismanek, Bruder Justus Niehaus (Abtei Königsmünster) und Kirchenvorstand Josef Kowalski Foto: Kirchengemeinde Corvey/Iris Spieker-Siebrecht
Ludger Eilebrecht repräsentierte bei der entscheidenden Tagung im National Convention Centre von Doha die kleine Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey als Eigentümerin des Westwerks und der Abteikirche. Diskussionen und Redebeiträge sind ihm aus der Sitzung ebenso im Gedächtnis geblieben wie das große Finale – der Aufruf an die 22 Stimmberechtigten, der Reihe nach die Hand zu heben. Ludger Eilebrecht: „Ich habe jedes Mal die Luft angehalten, auch nachdem rechnerisch klar war, dass wir es geschafft haben. Den Moment, als dann der Hammer fiel – adopted (angenommen) –, vergisst man nie. In so einem Augenblick vergeht einem Hören und Sehen.“ Kaum zu glauben, dass diese Momente zehn Jahre her sind.
Dieses Gefühl hat auch Viktor Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey. „Für Corvey hat am 21. Juni 2014 eine neue Ära begonnen“, ordnet er die Entscheidung in Katar als bedeutendes Kapitel der Geschichte des Weserklosters ein. Die Sitzung selbst wird ihm in der Retrospektive ebenso gegenwärtig wie die informellen Treffen und Sondierungsgespräche mit stimmberechtigten Botschaftern im Vorfeld, um die Großwetterlage für Corvey auszuloten. „Wir haben spannende Einblicke in die Gepflogenheiten auf der UNESCO-Ebene bekommen.“ Und die Gewissheit, „dass wir eine Mehrheit erreichen werden“.
„Ja“ zu Corvey war einstimmig
Das Votum fiel am Ende einstimmig aus. „Es war mir eine Freude und Ehre, den Titel in Empfang zu nehmen und vor 1200 Delegierten aus aller Welt die AcceptedSpeech zu halten. Sie musste kurz sein, wie bei der OscarVerleihung“, erinnert sich der Herzog.
Den Oscar – im übertragenen Sinne – hat in Westfalen bis heute nur Corvey. Direkt nach der „Verleihung“ in Katar und dem Einsetzen des Glockengeläuts daheim an der Weser machten sich Corvey-Begeisterte damals auf den Weg zur frisch gekürten Welterbestätte. Viele Zehn Jahre lag die Welterbe-Anerkennung Corveys im Juni 2024 zurück . Mit modernen Medien setzt die Kirchengemeinde Corvey das Jahrtausend der Mönche eindrücklich in Szene .
Foto: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht
hatten die Sitzung in Doha zuvor via Livestream miterlebt. Am Folgetag, einem Sonntag, luden Alexandra Herzogin von Ratibor und Fürstin von Corvey, die damalige Geschäftsführerin der Kulturkreis Höxter-Corvey gGmbH, Dr. Claudia Konrad, und Pastor Frank Grunze für die Kirchengemeinde zusammen mit Bürgermeister Alexander Fischer und Landrat Friedhelm Spieker zur Pressekonferenz ein. Im Anschluss versammelten sich hunderte Menschen auf Initiative der Kirchengemeinde
vor der Doppelturmfassade des Westwerks und waren tief bewegt, als Pastor Frank Grunze offiziell die (Kirchen-) Tür ins neue Weltkulturerbe öffnete und das feierliche Te Deum erklang. „So etwas erlebt man nur einmal“, resümiert der Geistliche.
Kirchenvorstand Josef Kowalski war in diesen denkwürdigen Augenblicken dabei. Er dachte gleich daran, dass mit der Welterbe-Anerkennung auf die kleine Gemeinde eine große Verantwortung zukommen werde.
Die immersive Filmprojektion zur monastischen Geschichte der Weserabtei auf der schaltbaren Glaswand zwischen Westwerk und Abteikirche geht zur Saison 2025 an den Start Auch von der barocken Abteikirche aus betrachtet, beeindrucken die spektakulären Bilder des Films über das Jahrtausend der Mönche . Foto: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht
Denn dieser Titel ist mit der Aufgabe verbunden, ein zum Erbe der Menschheit geadeltes Kulturdenkmal einem breiten Publikum zu erschließen.
„Auf diesem Weg haben wir viel erreicht“, blicken Kirchenvorstand Josef Kowalski, Pfarrdechant Dr. HansBernd Krismanek und Viktor Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey zurück. Die Kirchengemeinde hat für die didaktische Erschließung des karolingischen Westwerks und auch für den Erhalt der sensiblen Bausubstanz profunden Sachverstand gewinnen können: „Wir waren in der glücklichen Lage, mit Professor Dr. Christoph Stiegemann an der Spitze und der heutigen Standortlei-
Corveys Schutzpatron St . Stephanus taucht in Gestalt der frisch restaurierten
Reliquienbüste aus der neu konzipierten Dauerausstellung im Film auf der Glaswand auf . Foto: Kirchengemeinde
Corvey/Sabine Robrecht
Der zweite Schutzpatron, St . Vitus, erscheint in Gestalt der Statue, die das Hochaltarbild der barocken Abteikirche flankiert . Foto: Kirchengemeinde Corvey/ Sabine Robrecht
tung für das karolingische Westwerk und die ehemalige Abteikirche, Annika Pröbe, ein hervorragendes wissenschaftliches Kompetenzteam an unserer Seite zu haben“, bilanziert der Kirchenvorstand. Zu diesem Kreis gehören auch der Architekt der Kirchengemeinde, Albert Henne, die restauratorische Fachbauleitung Karen Keller und der Klimagutachter Dr. Horst Schuh.
Klosterort auf Höhe der Zeit
Bravourstücke der Erfolgsgeschichte seit 2014 sind die Augmented-Reality-Führungen mit virtueller Darstellung der karolingischen Ausgestaltung des Johanneschores im Obergeschoss des Westwerks, die neu konzipierte Dauerausstellung in den Räumen des Schlosses unter der Ägide von Professor Stiegemann und schließlich die immersive filmische Zeitreise in Corveys Klostergeschichte auf der rund 40 Quadratmeter großen Glastrennwand zwischen Westwerk und Abteikirche im Erdgeschoss. Diese markanten Neuerungen bringen Corvey museumsdidaktisch auf Höhe der Zeit und führen den Klosterort mit Weltgeltung ins digitale Zeitalter.
Der innere Zusammenhang der Projekte und gleichzeitig „Substanz und Seele Corveys“ seien die 1000 Jahre benediktinischen Lebens, betont Josef Kowalski. Ihm liegt ebenso wie Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek die geistliche Tiefe dieses Erinnerungs- und Glaubensortes am Herzen. Insofern betrachtet der Geistliche die innovativen Angebote der Kirchengemeinde als einen Weg, um „die Botschaft des Westwerks vom himmlischen Jerusalem durch moderne Technik in die Gegenwart zu übersetzen und dadurch für die Verkündigung des christlichen Glaubens heute stark zu machen“.
Das Evangelium verkünden – in dieser zentralen Mission hatten Mönche aus dem westfränkischen Corbie 822 an der Weser ein neues Kloster gegründet. Mit dem Westwerk schufen sie 873 bis 885 ein Abbild der vom Pfarrdechanten angesprochenen Himmelsstadt aus der Offenbarung des Johannes. Besonders eindrücklich legt
der Johanneschor mit seinem quadratischen Grundriss und den zur ursprünglichen Ausgestaltung gehörenden lebensgroßen Stuckfiguren die Vision des himmlischen Jerusalems aus. Die Emporenkirche und Herzkammer des Welterbes soll möglichst ab der Saison 2025 von einem angrenzenden Domänengebäude aus barrierefrei zu erreichen sein. Die Bauarbeiten laufen derzeit unter der Regie der vom herzoglichen Haus getragenen Corvey gGmbH.
Kirchengemeinde ehrt Dr. Birgitta Ringbeck Sie runden ab, was die Corvey gGmbH mit dem 2019 eröffneten neuen Besucherzentrum in der Vorburg begonnen hat. An diesen einladenden Willkommensbereich erinnert Viktor Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey in seiner Rückschau ebenso wie an die Herrichtung des Parkplatzes, die neuen Fahrradstellplätze und die Dachflächen-Sanierungen. „Als Welterbestätte haben wir Zugang zu Förderprogrammen bekommen, die uns viele Projekte ermöglicht haben“, betont der Hausherr des Schlosses. „Wir können dem Bund, dem Land NRW, dem Kreis und der Stadt nicht dankbar genug sein.“ Die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand, aber auch mit der Kirchengemeinde sei hervorragend.
Die Kirchengemeinde ist froh, so Josef Kowalski, mit dem Erzbistum Paderborn einen starken Partner und Fördergeber an der Seite zu haben. Der Kirchenvorstand bekräftigt den Dank des Herzogs und schließt außerdem die NRW-Stiftung und den Förderverein „Karolingisches Westwerk“ mit ein. Mit großer Wertschätzung denkt er zehn Jahre nach der Welterbe-Anerkennung auch an das bürgerschaftliche Engagement für die Restaurierung der bedeutenden Andreas-Schneider-Orgel in der ehemaligen Abteikirche zurück. Das kostbare Instrument hat die Hoffnungsbotschaft des Evangeliums sowohl im Jubiläumsjahr „1200 Jahre Corvey“ als auch im Kontext des Zehnjährigen 2024 eindrucksvoll zur Entfaltung gebracht.
Der Jahrestag der Welterbe-Anerkennung war für die Kirchengemeinde aber auch Anlass, an verstorbene Ideengeber und Väter des Erfolgs zu erinnern: Der ehemalige Landrat Hubertus Backhaus († 2012) und der frühere Bundesumweltminister und Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms, Ehrenbürger Professor Dr. Klaus Töpfer († 2024), haben sich um den Aufstieg Corveys in die Champions League der Welterbestätten verdient gemacht.
Töpfer war bei der entscheidenden Sitzung in Katar dabei. Ebenso wie Ministerialrätin a.D. Dr. Birgitta Ringbeck, Kopf und Motor der Bewerbung des Benediktinerklosters. Als Angehörige der Deutschen Delegation im Welterbekomitee konnte sie in Doha mit durchs Ziel bringen, was sie in den Jahren zuvor so beherzt und fachkundig vorbereitet hatte. Die Kirchengemeinde dankte ihr zehn Jahre später mit Überreichung der Corvey-Verdienstmedaille.
Der Festakt zum Jahrestag der Welterbe-Anerkennung bildete den stilvollen Rahmen für diese hohe Auszeichnung. Seit 1998 hatte die Weserabtei auf der Vorschlagsliste des Bundes für die Aufnahme in die Liste gestanden. Am Fortgang des Verfahrens und am Antrag hatte Dr. Ringbeck als Beauftragte der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland für das Welterbe (2002 bis 2022) sowie als Leiterin der Koordinierungsstelle Welterbe im Auswärtigen Amt in Berlin (2012 bis 2022) maßgeblichen Anteil. „Sie saß am Puls, war bestens vernetzt und kannte sich wie keine zweite in den Hürden, Schwierigkeiten und Untiefen der Nominierungsverfahren aus“, berichtete Professor Dr. Christoph Stiegemann beim Festakt. Mit ihrer großen Erfahrung habe Dr. Ringbeck zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Team zusammengeführt, „um auf der Grundlage ihrer Beiträge den umfangreichen Welterbeantrag unter Berücksichtigung der bahnbrechenden Ergebnisse der Corvey-Forschung speziell von Hilde Claussen und Uwe Lobbedey zu verfassen“.
Forschungen belegen weltweite Bedeutung
Dr. Ringbeck selbst verwies ebenfalls auf Hilde Claussen (1919 – 2009) und Uwe Lobbedey (1937 – 2021), Hauptkonservatoren bei der LWL-Denkmalpflege: „Ohne ihre langjährigen Forschungen hätte die weltweite Bedeutung Corveys nicht belegt werden können“, betonte sie.
Diese Einordnung hatte Birgitta Ringbeck bereits im November 2019 bei einer ICOMOS-Tagung in Paderborn und Corvey getroffen. Sie selbst war Ideengeberin dieses Symposions zum Einsatz neuer Technologien in der Vermittlung von Welterbe gewesen und verortete Corvey mit seinen innovativen didaktischen Konzepten vor den hochrangigen Teilnehmenden der Tagung im Kreis der internationalen „Best practise“-Beispiele.
Damals noch in der Planungsphase, sind die gelobten Best-practise-Angebote inzwischen ausdrucksstarke Realität. Nach den Tablet-Führungen im Johanneschor geht
Pfarrdechant Dr . Hans-Bernd Krismanek (links) und Kirchenvorstand Josef Kowalski verliehen Dr . Birgitta Ringbeck in Würdigung ihres unermüdlichen Einsatzes für die WelterbeAnerkennung die Corvey-Verdienstmedaille der Kirchengemeinde .
in der Saison 2025 auch die immersive Filmprojektion zur monastischen Geschichte der Weserabtei auf der schaltbaren Glaswand zwischen Westwerk und Abteikirche an den Start.
Dieser Acht-Minuten-Film ist großes Kino. Die Zuschauenden erleben das Jahrtausend der Mönche lehrreich und zugleich sinnenfreudig. Sie tauchen sogar regelrecht ein in das Leben der Benediktiner – sind hautnah dabei, wenn der Bau des Westwerks beginnt (873), werden Teil der künstlerischen Produktivität im mittelalterlichen Skriptorium des Klosters und gehen mit Ansgar, dem Apostel des Nordens, bei seinen Missionsreisen im neunten Jahrhundert auf Tuchfühlung.
Aus dem Auge, aus dem Sinn
Die sagenhafte Sogwirkung dieser Medieninstallation geht nicht nur von den bildgewaltigen Szenen und der Raffinesse ihrer Dramaturgie samt spannend erzählten Erläuterungen aus, sondern auch von der Örtlichkeit des grandiosen Spektakels. Denn die Gäste stehen bei ihrer Zeitreise im Westwerk, dem eigentlichen Welterbe – also im frühen Mittelalter. Zur barocken TriumphalArchitektur der ehemaligen Abteikirche fühlen sie sich nicht, wie sonst, direkt hingezogen. Die Sichtbeziehung zur prachtvollen Altartrias wird nämlich unterbrochen, sobald die Zeitreise beginnt. Per Knopfdruck wird die Glaswand für den Film zu 95 Prozent blickdicht geschaltet.
Das geschieht in Sekundenschnelle. Genauso rasch ist der Barock nach seinem Verschwinden aus dem Auge, aus dem Sinn. Und stiehlt der Erdgeschosshalle des Westwerks in ihrer vergleichsweise dezenten, aber hochbedeutenden Architektur nicht mehr die Show. So muss der Raumeindruck bis vor dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) gewesen sein, als sich ein schlichter mittelalterlicher Kirchenbau an die quadratische Erdgeschosshalle anschloss.
Die Wandlungsfähigkeit der Glaswand bringt also die Architektur des Mittelalters an Ort und Stelle neu zur Geltung. Transparent geschaltet, erlaubt sie den Durchblick, trennt aber trotzdem die Kirche als Ort des Gebets vom touristischen Betrieb. Multifunktional ist sie also – ersonnen von Professor Stiegemann. Am christlichen Hochfest, das die Menschen beflügeln soll, Pfingsten, hatte der renommierte Kunsthistoriker und ehemalige Direktor des Diözesanmuseums Paderborn 2016 die Idee für diesen grandiosen Coup. „Es gab kein Projekt, mit dem ich mich so lange und intensiv beschäftigt habe“, blickt der Wissenschaftler zurück.
Was lange währt, wird endlich gut. Trotzdem bleibt in Corvey immer viel zu tun. Westwerk und Abteikirche sind vergleichbar mit einer Dombauhütte. Standortleitung Annika Pröbe fährt mehrgleisig – behält die von ihr mitentwickelten didaktischen Angebote im Blick, setzt Forschungsarbeiten fort und koordiniert die permanenten restauratorischen Erfordernisse. In Brühl, wo sich die sechs Welterbestätten Nordrhein-Westfalens – also auch Corvey – zur Feier des 40. Jahrestages der Anerkennung der Schlösser Augustusburg und Falkenlust im Juni 2024 präsentierten, bekamen Annika Pröbe und das gesamte Team Rückenwind für ihre Arbeit: „Das karolingische Westwerk Corvey – wer da noch nicht war, sollte unbedingt hinfahren.“ Diese Empfehlung gab keine Geringere als NRW-Ministerin Ina Scharrenbach.
Stellten im Juni 2024 die Festschrift zum Corvey-Jubiläum vor: Hans-Werner Gorzolka (von links, Redaktionsteam), Kirchenvorstand Josef Kowalski, Pfarrdechant Dr Hans-Bernd Krismanek und Verleger Jörg Mitzkat
Foto: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht
Eine Empfehlung hat auch die Kirchengemeinde am Ende der vielen Feierlichkeiten: Zum 1200-jährigen Bestehen hat sie eine Festschrift herausgegeben. Im Verlag Jörg Mitzkat erschienen, dokumentiert das Buch in Wort und Bild das Jubiläumsjahr und ist eine erbauliche Lektüre für all jene, die ihr unvergängliches Corvey lieben.
Sabine Robrecht
Am Bielenberg 59, 37671 Höxter
Das „Geburtshaus“ der „Warte“: Die Buchdruckerei Th Thiele in Paderborn in den 1930er-Jahren Foto: Stadt- und Kreisarchiv Paderborn