Literatur auf Porzellan und Steingut und in anderem Kunsthandwerk

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Literatur auf Porzellan und Steingut


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Gefördert von der CeramiCa-StiftunG BaSel

Bibliografische information der Deutschen nationalbibliothek Die Deutsche nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

iSBn 978-3-940751-43-0

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Verlag Jörg mitzkat Holzminden www.mitzkat.de

Druck: lönneker, Stadtoldendorf


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Peter-Christian Wegner

Literatur auf Porzellan und Steingut und in anderem Kunsthandwerk

Holzminden, 2012


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Inhalt Vorwort

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Einleitung

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Wege druckgraphischer Visualisierung von Literatur august von Kotzebue: Die Organe des Gehirns (1806) und august friedrich ernst langbein: Thomas Kellerwurm (1806) friedrich de la motte fouqué: Der Held des Nordens (1810) louis-nicolas-Philippe-auguste comte de forbin: Die Geschichte von Ismayl und Maryam (1819)

Literatur auf Porzellan und Steingut abälard und Heloise Die Leidensgeschichte und die Briefe ariost Der rasende Roland Becker Theseus Cervantes Don Quijote Chateaubriand Atala Cottin Mathilde Defoe Robinson Crusoe fouqué Das mittelalter als ideal Goethe Erlkönig Faust Der Fischer Reineke Fuchs Heine „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ langhorne Theodosius und Constantia metastasio Die Rache der Grazien

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Ovid Metamorphosen Saint-Pierre Paul und Virginie Schiller Die Braut von Messina Die Verschwörung des Fiesco zu Genua Wallensteins Lager Scott Ivanhoe Scribe / auber Die Stumme von Portici Shakespeare König Lear Die lustigen Weiber von Windsor Romeo und Julia Sue Die Geheimnisse von Paris tasso Das befreite Jerusalem uhland Des Goldschmieds Töchterlein, Des Sängers Fluch und Die Vätergruft Weissenthurn Des Malers Meisterstück

Literatur als Motiv anderer kunsthandwerklicher Gegenstände abälard und Heloise Heloise – Schnupftabakdose Byron Mazeppa – uhr und relief Camões Die Lusiaden – uhr Chateaubriand Atala – uhren und Hinterglasbild Cottin Mathilde – uhr Goethe Torquato Tasso – Pfeifenkopf Planché / Weber Oberon – Schnupftabakdose Saint-Pierre Paul und Virginie – Schnupftabakdose

141 152 172 173 177 179 181 184 190 191 193 196 197 201 207 217 220

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Schiller Die Braut von Messina – Schnupftabakdose Wilhelm Tell – tablett Staël Corinne oder Italien – uhr Sully und Collé Die Denkwürdigkeiten und die Jagdpartie Heinrichs IV. – uhren und Schnupftabakdose

Weitere Formen gesellschaftlicher Aneignung von Literatur Cottin Mathilde – Kostümball fouqué Die Löwenjagd, Undine, Die vier Brüder von der Weserburg und Der Zauberring – Kostümball Der Siegeskranz – lebende Bilder Scott Ivanhoe – Kostümball

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Nachweis der Erstpublikation

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Literaturverzeichnis

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Abbildungsnachweis

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Personenregister

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Vorwort

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lle in der Vergangenheit zum thema dieses Buches vom Verfasser bereits publizierten Beiträge sind hier in durchweg revidierter form, das heißt: oft erheblich erweitert und vor allem berichtigt, wieder aufgegriffen worden. Dennoch wird, ob es sich nun um frühere oder neue Beiträge handelt, nicht jede unzulänglichkeit damit schon beseitigt oder ausgeblieben sein. Das dürfte gerade auch die frage der Datierung der behandelten Objekte betreffen. Bei manchen ist diese frage auf das Jahr genau zu beantworten, bei anderen läßt sich dafür ein einigermaßen schlüssiger indizienbeweis führen, bei vielen jedoch beruht die Datierung auf den erfahrungen und dem stilistischen empfinden des Verfassers, wobei erfahrungen immer unzureichend bleiben werden und das empfinden vor täuschungen nicht bewahren kann. mögen diese sich in Grenzen halten. Objekte und abbildungen, deren Provenienz nicht eigens erwähnt wird, befinden sich in Privatsammlungen oder -archiven, die ungenannt bleiben möchten. für alle anderen Objekte gibt, um die jeweilige Bildlegende nicht zu überfrachten, eine entsprechende anmerkung stets genauen aufschluß über den aufbewahrungsort, die inventarnummer oder Signatur und, sofern erforderlich, den fotografen des betreffenden Objekts. Wo eine Publikationserlaubnis dies ausdrücklich verlangt, wird die Herkunft eines Gegenstands jedoch ebenfalls in der Bildlegende vermerkt. Wenn später der Abbildungsnachweis mit diesen angaben nicht ganz übereinstimmt, so liegt dies daran, daß manche institutionen dem Verfasser erlaubt haben, selber zu fotografieren und von den aufnahmen den gewünschten Gebrauch zu machen. Die Begründung einer ganzen reihe von angaben im Personenregister hätte eines eigenen literaturverzeichnisses und anmerkungsteils bedurft, auf die jedoch verzichtet worden ist. auch ein abkürzungsverzeichnis gibt es nicht, da die wenigen benutzten abkürzungen als geläufig gelten können. Buch- oder Bildtitel und Zitate in fremder Sprache sind so gut wie immer ins Deutsche übersetzt worden, wobei die Übersetzung häufig vom Verfasser stammt. Die Zitate, was überwiegend für die französischen gilt, lassen orthographisch nicht selten zu wünschen übrig. Der leser stößt dann also nicht auf Druckfehler, sondern auf die gebotene exakte Wiedergabe einer textstelle. es erwartet ihn im übrigen eine Beispielsammlung, denn etwas anderes können und wollen, wie sich schnell zeigen wird, die folgenden ausführungen nicht sein. Zu gerne jedoch hätte der Verfasser aus der fülle der ihm bekannten kunsthandwerklichen Gegenstände mit identifiziertem literarischen motiv noch einige wenige aufgegriffen, sofern es ihm möglich gewesen wäre, auch auf das graphische Vorbild dafür zu verweisen, da dieser Verweis in mehrfacher Hinsicht für das Verständnis eines solchen Gegenstands nun einmal unerläßlich ist. Dieses Buch hätte ohne das entgegenkommen der mitarbeiter von museen, Bibliotheken, archiven und forschungsstellen nicht entstehen können. Das sei hier dankbar anerkannt. es hätte aber erst recht nicht entstehen können ohne die Großzügigkeit, den rat und den Zuspruch vieler anderer. mein besonderer Dank gilt deshalb Prof. Dr. Christa Pieske (†), Prof. Dr. Hartmut Berg, Walter und marie-luise Hiemisch und vor allem meiner frau. Daß die Ceramica-Stiftung Basel durch ihren ansehnlichen Druckkostenbeitrag diese Publikation überhaupt erst ermöglicht hat, weiß ich wohl zu schätzen und danke auch dafür an dieser Stelle ausdrücklich.

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Einleitung

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as ausgehende 18. und erst recht die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist in europa unter anderem die Zeit, in der so gut wie alle bedeutenden und zunehmend auch unbedeutenden ereignisse, von der Politik über die Wissenschaft, technik und Kunst bis hin zum alltagsleben, ihren niederschlag auf oder in zum teil höchst anspruchsvollen Gebrauchsgegenständen und Vitrinenobjekten finden; sei es, daß eine allegorie auf die Schlacht von austerlitz als Holzprägearbeit den Deckel einer Schnupftabakdose aus Buchsbaum ziert, daß der entsprechend ausgearbeitete elfenbeinknauf eines Spazierstocks auf Galls Schädellehre verweist oder Szenen aus Goethes Faust in polychromer malerei auf einer Serie von tellern erscheinen. es gibt in dieser Zeit kaum ein kunstgewerbliches erzeugnis, auf das oder in das ein solches ereignis als Dekor nicht umgesetzt worden wäre. Das gilt für Porzellan, tabletts, fächer und Pendülen ebenso wie für tücher, Stickereien, tapeten und trumeaus, ohne daß diese rein willkürliche aufzählung auch nur annähernd Vollständigkeit beanspruchen könnte. literatur auf Porzellan und Steingut stellt demnach lediglich einen ausschnitt aus einer weitaus vielfältigeren erscheinung dar. es wäre ohne weiteres möglich, an Hand dieser Gegenstände die Kulturgeschichte jener epoche1 zu schreiben, wobei der Schnupftabakdose dann eine ganz besondere dokumentarische Bedeutung zukäme. episoden aus literarischen Werken als Dekor auf Gefäßporzellan (womit das figürliche literarische Porzellan ganz bewußt in die Darstellung nicht mit einbezogen wird), das kann es in europa natürlich erst seit dem 18. Jahrhundert geben, nachdem hier 1707/08 Böttger, nicht ohne den Beitrag anderer, die nacherfindung des Hartporzellans geglückt ist2 und daraufhin 1710 in meißen die erste Porzellanmanufaktur gegründet wird. Doch damit läßt sich keineswegs auch schon umgehend das Phänomen konstatieren, um das es hier geht. Denn für eine aufgrund ihrer Häufigkeit nennenswerte Bebilderung von Porzellan mit literarischen motiven müssen weitere Bedingungen erfüllt sein. Was die fertigungstechnischen Voraussetzungen betrifft, die Herstellung eines befriedigenden weißen Scherbens also und dessen Bemalung, so sind sie in meißen, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten, schon bald gegeben. trotzdem wird das hier gemeinte literarische Porzellan aber noch erheblich auf sich warten lassen, nämlich offenbar bis in die siebziger Jahre, ehe von ersten Beispielen dafür die rede sein kann.3 es fallen dann Stücke auf wie etwa eine KPm-Duftvase von 1770/75 mit einer Szene aus molières Komödie Le mariage forcé,4 die erstmals 1664 aufgeführt wird, oder ein KPm-Solitaire von 1772 mit Szenen aus lessings lustspiel Minna von Barnhelm,5 das seine erstaufführung 1767 erlebt, und natürlich die meißner Werther-Porzellane, die schon bald nach erscheinen des romans im Jahre 1774 entstehen,6 wobei eine Soupière zugleich auf Baculard d’arnauds roman Adelson et Salvini von 1772 anspielt,7 der im selben Jahr bereits in einer deutschen Übersetzung vorliegt. Wenn in dieser aufzählung auch der name molières vorkommt, so läßt sich daran schon ablesen, was weiter unten seine Bestätigung finden wird. nicht nur die zeitgenössische literatur, ob nun bedeutend oder trivial, gerät auf Porzellan, sondern immer auch die große europäische literatur der Vergangenheit. Das betrifft Dantes Göttliche Komödie oder ariosts Rasenden Roland, tassos Befreites Jerusalem oder Cervantes’ Don Quijote ebenso wie die Dramen Shakespeares oder Calderóns, Werke also, die durch die Übersetzungsleistungen in dieser Zeit 8 oft erst in den rang der Weltliteratur,9 das heißt eines allen gemeinsamen und zwischen den nationen vermittelnden Besitzes, erhoben werden. Dazu gehören auch die biblischen Stoffe, deren Überlieferung ohnehin nie abreißt, was mit beinahe derselben ausschließlichkeit für die des klassischen altertums gesagt werden kann, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wofür vor allem der name Winckelmanns steht, gerade wieder eine ihrer renaissancen erlebt, die, wenn auch nicht unangefochten, bis etwa 1830 andauert.10 mit der Wiederentdeckung der mittelalterlichen literatur, die ebenfalls in diese Zeit fällt, kommt noch das germanische erbe hinzu, wie es sich für Deutschland besonders im

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nibelungenlied und den altnordischen Zeugnissen äußert. und schließlich darf dann auch die aneignung der orientalischen literatur nicht unerwähnt bleiben, die in europa jetzt zunehmend erfolgt. Damit ist nach den fertigungstechnischen Bedingungen schon immer eine weitere Voraussetzung für das literarische Porzellan zur Sprache gekommen, nämlich die einer blühenden literatur. Da die Gegenstände, die weiter unten als Beispiele vorgestellt werden, sämtlich französischen oder deutschen ursprungs sind, dürfte es genügen, lediglich die literatur dieser beiden länder daraufhin zu betrachten. Die Geltung der französischen ist, als das literarische Porzellan in erscheinung tritt, unbestritten. namen wie Voltaire, rousseau oder Diderot haben damals und bis heute universellen Klang. Das läßt sich zur selben Zeit für einen Klopstock, lessing oder Wieland nicht so sagen, und doch begründen sie den einzigartigen rang, den die deutsche literatur schon wenig später einnehmen wird, so daß august Wilhelm Schlegel 1798 ganz selbstverständlich erklären kann: „Deutschland ist unstreitig jetzt die erste unter den schreibenden mächten europa’s“.11 Das wird sogar, obwohl franzosen gerne an der eigenen Kultur ihr Genüge finden, eine madame de Staël schon bald dazu veranlassen, sich an Ort und Stelle selber einen eindruck von der neuen geistigen Vormacht zu verschaffen, und jener august Wilhelm Schlegel wird ihr dabei eine unschätzbare Hilfe sein. literatur existiert nicht schon mit den Schriftstellern und ihren Werken. Will sie überhaupt wahrgenommen werden und womöglich sogar blühen, so bedarf es dazu eines besonders interessierten Publikums, bei dem sie auf resonanz stößt. und diese resonanz findet sie in jener Zeit vor allem bei dem im Zuge der aufklärung sich ökonomisch und kulturell, wenn auch noch nicht politisch, emanzipierenden Bürgertum,12 dem an seinem unteren rand weitere leserschichten zuwachsen. Der jetzt im entstehen begriffene neuzeitliche literarische markt ist im Vergleich zu heute allerdings noch recht überschaubar. Die deutsche Bevölkerung beläuft sich um 1800 nur erst auf 25 millionen,13 von denen die Hälfte weder lesen noch schreiben kann.14 Von einem teil der neuen leser gehen deshalb begreiflicherweise keine großen ansprüche aus. Das dürfte, neben anderen ursachen, der entstehung der trivialliteratur sehr entgegengekommen sein,15 die sich von nun an trotz aller Verurteilungen, die sie regelmäßig erfährt, stets eines größeren Zuspruchs erfreuen wird als die später in den literaturgeschichten kanonisierte. um bei den damaligen deutschen Verhältnissen zu bleiben: Während der sechsundzwanzig Jahre, von 1791 bis 1817, in denen Goethe das Weimarer Hoftheater leitet, kann selbst er nicht umhin, Kotzebue bei weitem am häufigsten zu spielen, von dem in diesem Zeitraum 87 Stücke, von Goethe selbst hingegen nur 19 aufgeführt werden.16 für frankreich stellen sich die Verhältnisse, zumal nach 1789 unter dem andrang ganz neuer Schichten, nicht viel anders dar. Sie fallen hier, aufgrund der Konzentration des französischen Geisteslebens und seiner ausdrucksmöglichkeiten in Paris, das fast schon eine millionenstadt ist, nur noch sehr viel deutlicher ins auge.17 Wenn das Gefällige auch den meisten Beifall erhält, so muß es bei der abbildung auf Porzellan hinter der großen literatur jedoch entschieden zurückstehen. literarisches Porzellan als eine aufgrund seiner Häufigkeit nennenswerte erscheinung, das setzt ebenfalls voraus, daß es für die daran interessierten auch bezahlbar ist. Das wird für die entsprechenden frühen meißner Stücke etwa, deren entstehung noch in die anfänge der marcolini-Zeit fällt, ihrer ungewöhnlichen Qualität wegen kaum gegolten haben. ihr erwerb dürfte eine angelegenheit des adels und des wohlhabenderen teils des Bürgertums geblieben sein. Doch ändert sich dies in dem maße, wie ab 1757 in thüringen, franken und Böhmen eine ganze reihe neuer manufakturen entsteht, die Porzellan in großen mengen und so preiswert herstellen, daß es in die bürgerlichen Haushalte einziehen kann. Das betrifft zunächst ganz überwiegend das Kaffee- und teegeschirr,18 das in erster linie als praktischer Gebrauchsgegenstand fungiert, aber zunehmend auch als aufwendig dekoriertes Vitrinenobjekt in erscheinung tritt, dessen motive auf vielfältige Weise ein neues, und zwar keineswegs mehr höfisch orientiertes, kulturelles Selbstverständnis spiegeln. und daß solche Stücke erschwinglich bleiben, dafür gibt es die selbständigen Hausmaler, die sich an vielen Orten und nicht nur dort niederlassen, wo bereits manufakturen bestehen.19

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ab 1815 kann, als facette dieses bürgerlichen Selbstverständnisses, das literarische Porzellan in Deutschland als etabliert gelten, wobei die napoleonischen Jahre hier einen weiteren Schub in diesem Sinne bewirkt haben. Denn das durch sie erzwungene erwachen des nationalen Selbstbewußtseins begünstigt nachhaltig das erwachen des kulturellen interesses, zumal die politischen Bedürfnisse vorerst ungestillt bleiben. auch in frankreich werden Beispiele für literarisches Porzellan schwerlich vor den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts anzutreffen sein, zumal wenn es, wie in dieser Darstellung, um Hartporzellan gehen soll, dessen Herstellung in frankreich, von einem kurzen Vorspiel abgesehen, erst ab 1766 möglich ist.20 in einem ganz anderen ausmaß als in Deutschland tritt mit dem beginnenden 19. Jahrhundert hier nun aber das im umdruckverfahren dekorierte und natürlich auch mit literarischen episoden bebilderte cremefarbene Steingut in Konkurrenz zum Porzellan. es handelt sich dabei um eine englische erfindung (creamware), die auf Booth zurückgeht, der dieses Steingut in den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts in Staffordshire erstmals herstellt.21 und auch die Bebilderung solchen Steinguts im umdruckverfahren gelingt zuerst in england, wo man dieses Verfahren, das Sadler und Green entwickeln, spätestens seit 1756 beherrscht,22 lange bevor seine Bedeutung in den anderen europäischen ländern richtig erkannt wird. unter diesen ist frankreich das erste, das sich beides, die erfindung des cremefarbenen Steinguts und dessen Dekorierung im umdruckverfahren, zunutze zu machen versucht. mit englischer Hilfe ist französisches Bildergeschirr dieser art seit 1808 auf dem markt.23 und von anfang an ist es auch mit literarischen Szenen dekoriert, wie zum Beispiel solchen aus den fabeln von la fontaine und florian24 oder aus Chateaubriands roman Atala,25 wobei die manufakturen von Creil, Choisy und montereau als Produktionsstätten besonders auffallen. Wenn, aufgrund seiner Kostbarkeit und folglich Kostspieligkeit, Porzellan zunächst eine angelegenheit der Höfe und des adels bleibt, deren geschmackliche Präferenzen auch seine form und sein Dekor bestimmen, und wenn erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts das Selbstverständnis eines sich kulturell emanzipierenden Bürgertums ebenfalls seinen niederschlag auf Porzellan zu finden beginnt, dann bedeutet das Bildergeschirr aus Steingut einen ganz unerhörten Schub im Sinne dieser bürgerlichen Selbstfindung: es ermöglicht endgültig den preiswerten anschluß an eine höhere lebensart, wobei es auf unkomplizierte Weise die geradezu unbegrenzte möglichkeit kultureller Selbstdarstellung eröffnet.26 Bei alledem ist die wichtigste Voraussetzung für den hier betrachteten Vorgang noch gar nicht zur Sprache gekommen, die Druckgraphik nämlich als unerläßlicher Vermittler zwischen literatur und Kunsthandwerk ganz allgemein und folglich auch zwischen literatur und Porzellan oder Steingut im besonderen. Damit ist gemeint, daß bestimmte, und zwar nicht selten die markanten episoden belletristischer Stoffe einen Zeichner oder maler zur Visualisierung anregen und daß eine derartige Verbildlichung, druckgraphisch reproduziert und auf diese Weise leicht verfügbar gemacht, dem Kunsthandwerker dann als Vorlage für seine nachgestaltende arbeit dient. Dieser erste Schritt, daß literatur also zunächst verbildlicht werden muß, ehe sie auf oder in einen kunsthandwerklichen Gegenstand umgesetzt werden kann, denn der Kunsthandwerker ist dabei nie selber erfinderisch tätig, sondern bleibt weitgehend Kopist, dieser erste Schritt vom text zum Bild wird in dem hier ins auge zu fassenden Zeitraum durch eine bestimmte tendenz in der bildenden Kunst, ihre literaturbezogenheit nämlich,27 noch besonders begünstigt. eine Bemerkung Johann Gottfried Schadows faßt diesen Sachverhalt einmal treffend zusammen. 1818 notiert er anläßlich des im selben Jahr in der Berliner akademie-ausstellung gezeigten Gemäldes Die Bötticher Werkstatt von Carl Wilhelm Kolbe d. J.: „Die maler pflegen sonst nach den Dichtungen zu arbeiten, hier ward es umgekehrt, indem nach diesem Bilde der Dichter eine wohlgeratene novelle schrieb.“28 Schadow spielt damit auf e.t.a. Hoffman und dessen durch Kolbe angeregte erzählung Meister Martin der Küfner und seine Gesellen an,29 aber eben als ausnahme von der regel. aufklärerischer Bildungsdrang trägt wesentlich dazu bei, daß es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem unerhörten aufschwung in der Buch- und almanachproduktion kommt und daß schon

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bald, nicht nur aus dem Verlangen nach schmückendem Beiwerk, sondern auch aus dem didaktischen Bestreben nach mehr anschaulichkeit, die mehrzahl der erscheinenden Bücher abbildungen aufweist.30 Hier stößt der Kunsthandwerker auf einen ersten bedeutenden und sich zudem unablässig vermehrenden fundus an druckgraphisch visualisierter literatur, aus dem er sich bedienen kann. aber es ist nicht der einzige. Besonders Christa Pieske hat ihr augenmerk immer wieder auf die graphischen Vierersuiten konzentriert,31 die sich in frankreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Wandbilder, ob gerahmt oder ungerahmt, außerordentlicher Beliebtheit erfreuen. Bislang kann für die dortige einschlägige Produktion, allein was die literarischen Stoffe betrifft, auf etwa vier- bis fünfhundert geschlossen werden,32 aus denen dann jeweils immer vier episoden isoliert und in unterschiedlichen graphischen techniken wiedergegeben und nicht selten mit einer legende in mehreren Sprachen versehen worden sind. Dies ist der zweite bedeutende fundus an druckgraphisch verbildlichter literatur, auf den der Kunsthandwerker in dem hier betrachteten Zeitraum zurückgreifen kann. Der dritte besteht in den zahlreichen Bildergalerien zu den Werken der populärsten Dichter der Zeit, wie sie im Gefolge von retzschs 1816 erstmals publizierten Umrissen zu Goethes Faust dann in mode kommen. im Vergleich zu diesen Quellen spielen entsprechende einzelblätter, etwa der Kunstvereine, oder auch Pendants eine weitaus geringere rolle bei der Vermittlung zwischen literatur und Kunsthandwerk. Das niveau der französischen Druckgraphik ist im europa des 18. Jahrhunderts unerreicht. Das gilt ebenso für das französische illustrierte Buch,33 das auch im folgenden Jahrhundert an Qualität nichts einbüßt, wofür zunächst Pierre Didot (Didot l’aîné) der Garant ist.34 Diese Qualität strahlt, wie sich unter anderem bei der Besprechung der Ovid-Porzellane zeigen wird, auf Deutschland aus, das selber in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als bedeutenden Zeichner und radierer lediglich einen Chodowiecki aufzuweisen hat, dessen Stil und thematik ihn hier unter anderem zu einem überaus produktiven almanach-illustrator machen, worin ihn ramberg im 19. Jahrhundert ablösen wird. auf Chodowiecki gehen denn auch die Vorlagen für das eingangs erwähnte KPm-Solitaire mit Szenen aus lessings lustspiel Minna von Barnhelm zurück, die sich im Genealogischen Calender auf das Jahr 1770 befinden, sowie diejenigen für die meißner Werther-Porzellane mit den Porträts von Werther und lotte, die ab 1775 in den illustrierten Werther-ausgaben anzutreffen sind. an Chodowiecki zeigt sich auch, was ebenfalls schon erwähnung fand, daß die Visualisierung der literatur nicht nur die Werke der Gegenwart betrifft, sondern stets auch den großen Werken der Vergangenheit gilt. Chodowiecki illustriert Gellert, lessing oder Schiller ebenso wie ariost, Cervantes oder Shakespeare.35 nicht immer scheinen die Porzellanmanufakturen sich des Besten bedient zu haben, was an Vorlagen greifbar gewesen wäre. Überhaupt sieht es so aus, als habe die literatur als erklärtes Dekorationsprogramm keine besondere rolle für sie gespielt. Denn selbst bei angelika Kauffmann, deren Gestaltungen literarischer episoden besonders in meißen und Wien geschätzt werden,36 fragt sich, ob die resonanz beim Publikum hier in erster linie der literatur gilt, in der angelika Kauffmann selber sich sehr wohl auskennt, oder nicht vielmehr ihrem Stil, der ganz allgemein gefällt, zumal in der ebenso kostbaren wie handlichen Präsentation auf Porzellan. und wenn in nymphenburg ab etwa 1810, und nicht nur dort, sondern auch in Berlin oder Sèvres Kopien von Gemälden, überwiegend alter meister, auf Porzellan entstehen, wofür eins der berühmtesten Beispiele die Wiedergabe ist, die marie-Victoire Jaquotot 1825/29 von Girodet-triosons 1808 im Pariser Salon ausgestellten Gemälde Atala au tombeau vornimmt,37 dann ist das literarische thema dabei eher bloß Zufall. Denn das interesse an solchen abbildungen auf Porzellan besteht hier vor allem darin, der nachwelt das aussehen der empfindlichen Originalgemälde auf dem für zeitbeständiger erachteten Porzellan zu erhalten.38 Die wirklichen impulse für das literarische Porzellan dürften eher von dem im 19. Jahrhundert sich dann als solches verstehenden Bildungsbürgertum ausgegangen sein, was auch erklären könnte, daß viele Stücke in Hausmalerei entstanden sind und sich überdies keiner manufaktur zuordnen lassen. Der auftrag und seine erledigung bleiben hier im rahmen des Privaten.

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Das schließt nicht aus, daß in den namhaften manufakturen die Spitzenstücke des literarischen Porzellans entstehen, so in Paris 1789 in der manufaktur des Herzogs von angoulême (rue de Bondy) der Samowar mit Szenen aus Ovids Metamorphosen,39 so in Sèvres 1807 das Vasenpaar mit episoden aus Vergils Bucolica und Georgica,40 so in Berlin 1821 und 1822 die 24 Faust-teller41 und ebenfalls in Berlin 1821 und in den folgenden Jahren die Lalla Rukh-Porzellane, die, auf dem umweg über ein am 27. Januar 1821 am preußischen Hof stattfindendes fest, auf die 1817 erschienene orientalische erzählung Lalla Rookh von thomas moore zurückgehen.42 in eine reihe damit gehören auch die 49 teller mit Darstellungen aus dem nibelungenlied und anderen deutschen Heldensagen, die 1842/43 in nymphenburg entstehen.43 aber diese Stücke verdanken sich alle fürstlichem auftrag und haben fürstliche empfänger. Von ihnen wird im folgenden nicht die rede sein, sondern eher von solchen, mit denen der Bürger sich umgeben konnte. und das war ihm natürlich auch besonders beim Steingut möglich. Das literarische Porzellan und Steingut hat seine Blütezeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in einigen fällen noch deutlich darüber hinaus. Das gebildete, aber auch das weniger gebildete Publikum lebt zu jener Zeit durchaus mit den Werken seiner großen und öfter noch seiner nicht so großen, jedoch um so populäreren Dichter und betrachtet sie als kulturelle und zunehmend, was in Deutschland besonders für Goethe und Schiller gilt, als nationale Güter. in einer fülle von kunsthandwerklich nicht selten höchst anspruchsvollen Zier- und Gebrauchsgegenständen setzt es seinen Dichtern und deren Werken sozusagen Denkmäler im Kleinen, woran das Porzellan und Steingut, oft als Vitrinenobjekt, einen keineswegs unbedeutenden anteil hat. Diese Zeiten sind spätestens gegen ende des 19. Jahrhunderts vorbei, was nicht ausschließt, daß auch dann versprengte Beispiele für diese tradition noch vorkommen. aber sie ist nicht mehr lebendig und wird in der form auch schwerlich wieder aufleben. Das literarische Porzellan und Steingut gehört heute der Vergangenheit an und ist nur mehr eine angelegenheit für Sammler und museen und ein thema für kulturhistorische untersuchungen. nicht daß damit die Visualisierung von literatur grundsätzlich aufgehört hätte, denn dagegen spräche allein schon ihre nach wie vor anzutreffende illustrierung, sowohl als Buchschmuck als auch als selbständige Graphik. aber von einer weiteren umsetzung in Gegenstände des täglichen Gebrauchs oder in erlesene kunsthandwerkliche Objekte, mit denen das Bildungsbürgertum sich gerne umgab, kann nicht mehr ohne weiteres die rede sein. Jedenfalls hätten sich die motive dafür gründlich gewandelt. Denn wenn beispielsweise meißen um 1960 auf Tausendundeine Nacht, Don Quijote oder Münchhausen als Dekor zurückgreift44 oder wenn dreißig Jahre später rosenthal ebenfalls Porzellan mit Darstellungen zu Tausendundeiner Nacht herausbringt,45 so liegt dem nicht länger das Verlangen eines kundigen Publikums nach Konkretisierung seiner lese- oder theatererlebnisse zugrunde, sondern die unternehmerische notwendigkeit, mit einem möglichst vielfältigen und ausgefallenen angebot den markt auf die Verkäuflichkeit der eigenen Produkte abzutasten. und wenn Harry Potter auf ein t-Shirt oder einen trinkbecher gerät, so entspringt das ebenfalls nicht mehr in erster linie einem aus der lektüre erwachsenen Publikumsbedürfnis, sondern ist von vornherein teil einer das erscheinen des Buches begleitenden Vermarktungsstrategie. Überdies ist die vorherrschende form der Veranschaulichung von literatur heutzutage der film, dessen Zuschauer das verfilmte Werk oft gar nicht mehr gelesen haben. Was in dieser einleitung verallgemeinernd und damit vereinfachend ausgedrückt worden ist, das wird weiter unten bei der Vorstellung von Beispielen für das literarische Porzellan und Steingut erheblich an Genauigkeit gewinnen und auf diese Weise das kulturhistorische Panorama jener Zeit um manchen reizvollen Zug ergänzen. Dem werden ebenfalls die ausblicke dienen, die zeigen sollen, daß literatur damals stets auch als motiv anderer kunsthandwerklicher Gegenstände auftritt und noch in ganz anderen formen gesellschaftlicher aneignung ihren ausdruck findet. um mehr als Beispiele wird es sich allerdings in keinem falle handeln können, denn das feld, das hier betreten wird, ist unabsehbar.

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