Nieheimer Gold - SOKO HX Spezial

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-95954-063-6 © Norbert Radler Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Die Handlung dieses Kriminalromans ist frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. Autorenfoto Rückseite: Markus Waldhoff Verlag Jörg Mitzkat Holzminden 2018 www.mitzkat.de


Norbert Radler

Nieheimer Gold SOKO HX spezial

Kriminalroman Verlag Jรถrg Mitzkat Holzminden 2018


Inhalt Prolog 5 Am Tag davor

7

Die Ehefrau und der Feind

36

Die Vermisste und die Detektivin

64

Alles andere als ein klarer Fall

84

Käsemarkt 116 Katjas Leid und Tonis Erleuchtung

143

Ein anonymer Anruf und ein Loch im Apfelbaum

167

Die Spur wird heiß

191

Ein Hauptverdächtiger und ein rätselhafter Fund

209

Und noch eine Überraschung

239

Neue Gewissheiten

266

Die Wende

291

Fall gelöst

321

Erwin goes to Hollywood

357


Prolog Mitglied im Schützenverein, im Karnevalsverein, bei der freiwilligen Feuerwehr, im Stadtrat und, und, und. Es gab wohl keinen Verein in Nieheim, in dem er nicht aktiv war. Roland Fähnrich war beliebt und obwohl er für die CDU im Stadtrat saß, ein über alle Parteigrenzen hoch geschätzter Bürger dieser Stadt. Es gab niemanden, der je schlecht über ihn geredet hat. Daher verwundert es nicht, dass die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Selbst ein Stehplatz ist nicht mehr zu ergattern, als die Trauergemeinde von ihm Abschied nimmt. Roland Fähnrich hatte erst kürzlich seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Natürlich hatte keiner der zahlreichen Gäste geahnt, dass es sein letzter sein würde. Jetzt sind sie hier, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Der Trauergottesdienst ist zu Ende und eine beeindruckende Prozession zumeist in Schwarz gekleideter Menschen bewegt sich über die gesperrte Marktstraße in Richtung Friedhof. Nein, der Grund für die Sperrung der Innenstadt ist nicht Roland Fähnrichs Beisetzung, sondern der Käsemarkt, der am kommenden Wochenende stattfindet. Die Vorbereitungen laufen auf vollen Touren. Verkaufsstände, Zelte und Bühnen werden aufgebaut. Die emsig arbeitenden Aussteller, die aus ganz Europa kommen, nehmen nur beiläufig zur Kenntnis, dass hier jemand zu Grabe getragen wird, dann widmen sie sich wieder ihrer Arbeit - bis zum Wochenende muss alles fertig sein. Derweil haben sich die Trauernden an der Friedhofskapelle eingefunden. Da drinnen nicht genügend Platz für alle ist, müssen die meisten von ihnen draußen warten, bis sie Roland Fähnrich zu seiner letzten Ruhestätte geleiten


können. Am Grab werden weitere ergreifende Reden gehalten. Es fließen erneut unzählige Tränen, als der schwere Eichensarg zu den klagenden Klängen eines alten Trauermarsches, gespielt vom Blasorchester Himmighausen, in die Erde hinabgelassen wird. Schließlich ist auch dieser, für viele Angehörige besonders schmerzliche Teil der Zeremonie Geschichte. Roland Fähnrich ruht bereits in Frieden, während sich die Trauergäste in der nahgelegenen Stadthalle über Kaffee und Kuchen hermachen. Bescheidenere Räumlichkeiten wären diesem Ansturm kaum gewachsen gewesen. Die Witwe, Beate Fähnrich, bedankt sich mit Tränen in den Augen für die überwältigende Anteilnahme und die freundliche Unterstützung, die man ihr in diesen schweren Stunden hat zukommen lassen. Nach ihrem kurzem, aber sehr emotionalen Auftritt, übernehmen zahllose fleißige Hände die Aufgabe, alle Gäste zur Zufriedenheit zu bedienen. Es dämmert schon, als Beate Fähnrich am Grab ihres Mannes steht. Diesmal ist sie ganz allein. Allein mit sich und der erhabenen Stille dieses Ortes. Kein Lüftchen regt sich. Die Welt schweigt. Ihr Blick ruht lange auf dem gewaltigen Berg von Blumen und Kränzen, der für drei Gräber gereicht hätte. Doch das sieht Beate in ihrer tiefen Trauer nicht. Sie sieht nur, wen sie unwiederbringlich verloren hat: Er war die Liebe ihres Lebens. Und schon bald wirken ihre Züge wie versteinert. Ihr Mund öffnet sich und sie beginnt leise zu reden. Keine Träne schimmert in ihren Augen, nur blanker Hass. „Ich werde nicht eher ruhen, bis die Verantwortlichen für deinen Tod ihre gerechte Strafe erhalten. Und wenn es das letzte ist, was ich tue. Das schwöre ich dir.“

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Am Tag davor Katja sucht im Internet nach Motorradzubehör. Toni ist in ein Ballerspiel vertieft, dessen Geräuschkulisse das ganze Büro in einen Schauplatz interstellarer Kämpfe verwandelt. Es ist nicht viel los im Kreis Höxter – nur Kleinkram. Die wirklich schweren Jungs scheinen seit einigen Wochen ihren Betriebsurlaub zu genießen. Die Kriminalisten schieben eine ruhige Kugel. Kein Stress, keine Überstunden. Selbst Hauptkommissar Brixmeier nimmt es mit der Pünktlichkeit nicht mehr so genau. Auch heute gönnt er sich die Vorzüge seiner ganz persönlichen Gleitzeit. Es ist fast halb neun, als die Tür leise geöffnet wird und er das Büro betritt. Der hünenhafte Chefermittler schwebt zwar nicht engelsgleich über den Boden, aber er kommt auch nicht hereingepoltert wie eine Herde wilder Elefanten. Und nicht nur das. Sein gefürchtetes „Morjen“ fällt heute um etliche Dezibel leiser aus als sonst. Er wirkt entspannt und Katja glaubt sogar, die Spur eines sanften Lächelns zu erkennen. „Hast du was genommen?“, fragt Toni, dem Brixmeiers Gehabe seltsam, ja, schon fast unheimlich vorkommt. „Nee“, grunzt der. „Ich hab einfach nur chute Laune.“ „Vielleicht solltest du mal zum Arzt gehen.“ „Wieso, nur weil ich chute Laune habe? Hattest du noch nie chute Laune - oder Katja?“ „Doch, aber bei uns ist das normal.“ „Bei mir etwa nich?“ „Nee“, kommt die Antwort zweistimmig. „Euch kann man abba auch charnix recht machen.“ Brixmeier schüttelt verständnislos den Kopf. „Wenn ich mal schlechte Laune hab, kuckt ihr wie die Kühe, wenn‘s don7|


nert und wenn ich chute Laune habe, wollt ihr mich zum Doktor schicken.“ „Darf man den Grund für deine gute Laune erfahren?“, will Katja nun wissen. „Klar, darf man.“ „Ja und?“, hakt Katja neugierig nach, weil von ihrem Chef nichts kommt. „Kein Mord, kein Totschlach, keine Entführung. Nur so ‚n bissken Jeplänkel mit ‚nen paar Kleinkriminellen. Da macht die Arbeit doch richtich Spass.“ „Also, ich find‘s eher langweilig.“ „Wenn et dir hier zu langweilich is, Frau von und zu, dann lass dich doch wieder nach Bielefeld versetzen“, hält Erwin Brixmeier schäbig grinsend dagegen. Katja holt zu einem massiven Gegenschlag aus, doch in diesem Augenblick öffnet sich die Tür und Kriminalrat Lange kommt rein. Er scheint ebenfalls gut gelaunt zu sein. Wenigstens lässt sein entspannter Gesichtsausdruck diesen Schluss zu. Nach einer kurzen Begrüßung trägt er ein Anliegen vor, das auf wenig Gegenliebe stößt. „Meine Dame, meine Herren, auch ihnen ist sicherlich nicht entgangen, dass wir zur Zeit einige Kapazitäten frei haben“, beginnt er seinen Vortrag. „Der Landrat und ich haben daher beschlossen, uns verstärkt dem Thema Prävention zuzuwenden. Beginnen wollen wir mit einer Veranstaltung, bei der es um den wirksamen Schutz vor Wohnungseinbrüchen geht.“ „Eine chute Idee“, stimmt Brixmeier zu. „Wenn se jemanden brauchen, der ‚n paar Takte dazu sagen soll, bin ich sofort dabei, keine Frage.“ „Ihren Enthusiasmus in allen Ehren, Brixmeier“, wehrt der Kriminalrat ab. „Aber ich dachte da eher an ihre char|8


mante Kollegin, Frau Oberkommissarin von Sternberg.“ Der charmanten Kollegin entgleiten die Gesichtszüge, oder anders ausgedrückt: Katja guckt wie eine Schimpansen-Dame, der sie gerade die Banane geklaut haben. „Wie darf ich mir das vorstellen?“, fragt sie verdattert. „Ganz einfach, sie stehen vor einer Gruppe interessierter Menschen und erklären ihnen, was zu tun ist, um Einbrechern das Leben so schwer wie möglich zu machen.“ „Aber ich weiß nicht, ob ich ...“ „Sie schaffen das schon“, schneidet ihr Lange das Wort ab. „Ich werde ihnen alle nötigen Unterlagen umgehend zukommen lassen. Sie können sich dann in aller Ruhe einlesen. Falls sie dann noch Fragen haben, wenden sie sich vertrauensvoll an mich. Wir werden das Kind schon schaukeln.“ „Brauchen se mich hier noch, Herr Kriminalrat?“, fragt der Hauptkommissar breit grinsend. Er gibt sich keinerlei Mühe, seine Schadenfreude zu verbergen. „Nein“, antwortet Lange knapp. „Chut, ich muss mal schnell raus - hab vorhin wat im Wagen liejenjelassen.“ „Warten sie, ich begleite sie ein Stück.“ Dann wendet sich der Kriminalrat nochmal an Katja. „Und sie haben heute noch die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch – versprochen.“ „Darauf kann ich gern verzichten“, seufzt die Beamtin, als der Kriminalrat und Brixmeier ausser Hörweite sind. „Warum in drei Teufels Namen ich? Wieso nicht Erwin? Der war doch ganz versessen darauf.“ „Alles Taktik“, sagt Toni mit einem seltsamen Unterton. „Taktik? Wie meinst du das?“ „Nun ja, es ist schon einige Jahre her. Lange hatte Erwin 9|


dazu verdonnert, einen Vortrag über Trickbetrug zu halten. Das waren damals alles Rentner und es ging in erster Linie um den sogenannten Enkeltrick. Und was macht Erwin?“ „Ja, und? Mach‘s nicht so spannend.“ Katja ist neugierig. „Den Enkeltrick hatte Erwin bereits nach etwa fünf Minuten abgefrühstückt.“ „Und dann ...?“, bohrt Katja ungeduldig weiter. „... hat er ein mindestens zweistündiges Referat über alte Kartoffelsorten gehalten. Sein Publikum war begeistert.“ „Das glaube ich nicht.“ „War aber so“, bekräftigt Toni. „Du willst mich verarschen“, hält Katja dagegen. „Frag den Kriminalrat, der war weniger begeistert. Er hat Erwin einen Einlauf verpasst, der sich gewaschen hat. Aber für Erwin war das Thema Prävention von dem Tag an passee.“ „Und wieso har er eben spontan seine Hilfe angeboten?“ „Weil er genau weiß, dass Lange nicht darauf eingeht. Und wenn du mich fragst, hat Erwin die Nummer damals genau mit der Absicht durchgezogen.“ „Und dafür darf ich jetzt den Kasper spielen. Einbrechern das Leben schwer machen – das mache ich liebend gern, aber doch nicht so!“, entrüstet sich die Oberkommissarin. „Dann halte doch einfach einen Vortrag über Motorräder.“ „Lange reißt mir den Kopf ab.“ „So, wie der dich immer anguckt, reißt der dir ganz sicher nicht den Kopf ab. Einen kleinen Verweis – höchstens.“ Katja will noch etwas dazu sagen, da fliegt plötzlich die Tür auf und Erwin kommt in guter, alter Manier reingepoltert. | 10


„Na, charmante Kollejin, dann erzähl mir mal, wie ich mein Haus vor Langfingern schützen kann“, frohlockt er. „Vielleicht solltest du sie mit Kartoffeln bewerfen – aber nur mit den ganz alten Sorten. Die, die schon so vergammelt sind, dass sie stinken“, giftet Katja zurück. „Ach, hat der wieder mal die Fresse nich halten können?“, Erwin deutet mit dem Daumen in Richtung Toni. Der hat schon eine Antwort parat, wird jedoch vom Klingeln seines Telefons daran gehindert, sie auszusprechen. „Kriminalpolizei Höxter, Oberkommissar Allwisser“, meldet er sich stattdessen lustlos. Doch seine Mimik erwacht schon sehr bald zum Leben und von der anfänglichen Lustlosigkeit ist nichts mehr übrig, als er den Hörer wieder auflegt. „In Nieheim hat es letzte Nacht gebrannt“, verkündet er. „Ja und, ham die keine Feuerwehr?“, grunzt Brixmeier. „Sie haben in den Trümmern eine Leiche gefunden.“ „Sonst noch wat?“ „Hinweise auf Brandstiftung gibt es auch.“ „Spusi?“ „Ist bereits vor Ort. Frau Dr. Pauli auch.“ „Und warum erfahren wir dat erst jetz?“ „Weiß ich nicht.“ „Komm inne Hufe, charmante Kollejin. Wir ham jetz erstmal Wichtijeres zu tun, als Langfinger mit alten Kartoffeln zu beschmeißen“, kommandiert der Hauptkommissar. Dann verlässt er zusammen mit Katja das Büro. Brixmeier hat große Mühe, mit seinem alten Granada zum Ort des Geschehens vorzudringen. Abgestellte Fahrzeuge und eine große Menge Schaulustiger schirmen das nieder11 |


gebrannte Haus fast hermetisch ab. Professionelle sowie freiwillige Helfer versuchen, etwas Ordnung in das Chaos zu bringen, was ihnen leider nur bedingt gelingt. Der Chefermittler gibt entnervt auf, stellt seinen Ford ab und bahnt sich lauthals fluchend zu Fuß einen Weg durch die Menge. Seine Kollegin tut es ihm gleich, nur ohne Fluchen, dafür aber mit beträchtlich mehr Erfolg. Bald stehen beide Kriminalisten vor der Ruine eines Fachwerkhauses, von der immer noch zarte, sich im schwachen Wind kräuselnde Rauchwolken zum Himmel emporsteigen. Der Hauptkommissar hebt das Absperrband hoch, um näher zu treten. Sofort wird er von einem Feuerwehrmann gestoppt. „Kripo Höxter“, grunzt Brixmeier. Dabei wedelt er dem Mann mit seinem Dienstausweis vor der Nase rum. „Alles klar, trotzdem sollten sie nicht ohne Helm da rein gehen. Warten sie einen Moment.“ Brixmeier denkt nicht daran. Er marschiert unbeeindruckt weiter. Katja hingegen nimmt dem aufmerksamen Feuerwehrmann einen Helm ab und bedankt sich mit einem Lächeln. Kurz vor der rauchenden Ruine werden die Ermittler ein weiteres Mal gestoppt. Diesmal von Polizeimeister Bender. „Herr Hauptkommissar, sie sollten einen Helm ...“ „Wo?“, würgt ihn der Angesprochene brutal ab. Bender beschreibt Brixmeier den Weg zum Leichenfundort und tritt zur Seite. Katja und ihr Chef bewegen sich vorsichtig durch den Flur des abgebrannten Hauses, bis sie einen Raum erreichen, der einmal ein Büro war. Hier herrscht ein reges Treiben. Menschen in weißen Schutzanzügen inspizieren jeden Quadratzentimeter des Raumes. Sie markieren, fotografieren, messen und sammeln | 12


Gegenstände ein, die sie in Plastiktüten verstauen. Zwei von ihnen untersuchen einen Holzbalken. Sie scheinen dort etwas Wichtiges gefunden zu haben. Noch bevor der Hauptkommissar seine Neugier befriedigen kann, wird er ein weiteres Mal gestoppt. „Wir hatten hier ein Feuer, dann das Löschwasser und eine Horde Feuerwehrleute mit schweren Stieflen und jetzt kommt ihr und wollt uns hier die letzten Spuren zertrampeln.“ Die Beamtin erkennt sofort die Stimme von ihrem ganz speziellen Freund. „Halt mal schön die Bälle flach, Escher“, bellt Brixmeier genervt zurück. „Wenn ihr hier schon durchlatschen wollt, dann zieht euch wenigstens die über.“ Escher hält den Neuankömmlingen zwei Paar Überschuhe hin, die sie widerspruchslos überstreifen. „Ohne Helm hätten sie dich überhaupt nicht hier reinlassen dürfen. Nimm dir mal ein Beispiel an deiner Kollegin.“ Der Hauptkommissar überhört den Kommentar und schaut sich im Raum um. Eine der beiden Personen, die eben noch mit dem Holzbalken beschäftigt waren, dreht sich zu ihm um. „Hallo Erwin. Hallo Katja“, grüßt sie freundlich. Es ist Dr. Silke Pauli, die Rechtsmedizinerin. Sie kommt ein paar Schritte auf die beiden Ermittler zu, bleibt aber plötzlich stehen. Brixmeier geht auf sie zu und wird wieder mal gestoppt. „Halt bitte etwas Abstand, Erwin“, sagt sie warnend. „Wieso? Bloß weil ich keinen Helm aufhabe?“, poltert der Hauptkommissar los. „Nein. Mir geht‘s nicht gut. Ich fürchte, ich habe mir so einen Magen-Darm-Virus eingefangen.“ 13 |


„Ach so. Chut, datte mich jewarnt hast. ‚Ne Scheißerei kann ich jetz wirklich nich jebrauchen. Hasse denn schon wat für uns?“ „Ja, eine Leiche, männlich, mit zwei Löchern im Kopf.“ Sie zeigt auf eine übel verkohlte Gestalt, die an einem ebenso verkohlten Möbelstück gelehnt, auf dem Boden hockt. „Wieso zwei?“, fragt der Hauptkommissar. „Ein Einschussloch und eine Austrittsöffnung.“ „Und dat is auch die Todesursache?“ „Wahrscheinlich.“ „Und wann ...?“ „Der Brand wurde um zwei Uhr neunzehn gemeldet. Ich tippe zwischen halb zwei und zwei.“ „Wissen wir schon, wer dat is?“ „Vermutlich Thorsten Kaan“, wirft Escher ein. „Ihm gehört das Haus. Er ist so ein Käsemeister, Käsemacher oder Käser - keine Ahnung, wie man einen nennt, der Käse herstellt.“ „Ich denke, der Herr Kollege hat recht“, stimmt Frau Dr. Pauli zu. „Aber das muss natürlich noch überprüft werden.“ „Suizid?“, fragt die Oberkommissarin. „Vieles spricht dafür. Er hält die Waffe noch in der Hand. Eine Patronenhülse, ein Projektil, die Position der Leiche, der Schusskanal, der Fundort der Kugel.“ Silke Pauli zeigt auf den Holzbalken, den sie zusammen mit einem Kollegen der Spurensicherung inspiziert hat. „Passt alles zusammen.“ „Und wat spricht dachegen?“, will Brixmeier nun wissen. „Ich habe noch nie einen so seltsamen Selbstmord gesehen. Erschießen und verbrennen gleichzeitig?“ „Da wollte einer chanz sicher chehen.“ „Trotzdem, eins von beiden hätte gereicht. Ich hätte die Pistole gewählt“, meint Silke. „Verbrennen ist nicht gerade | 14


erstrebenswert. Nee, Erwin, wenn das wirklich ein Suizid ist, dann ist der schon sehr speziell.“ „Dieser Kaan war ein sehr spezieller Typ“, weiß Escher zu berichten. „Wer sacht dat?“, fragt der Hauptkommissar. „Einer der Feuerwehrleute. Er meinte, dass der Kerl etwas spleenig war – nicht ganz richtig in der Birne.“ „Was glauben sie, wie hat es sich abgespielt?“, will Katja von Helmut Escher wissen. „Ganz einfach. Er hat hier ordentlich Benzin verschüttet. Dann hat er sich da hingesetzt und hat sich das restliche Benzin über den Balg gekippt“, Escher deutet zuerst auf die Leiche, dann auf den zerbeulten Metallkanister zur Rechten des Toten. Danach lenkt er die Aufmerksamkeit der Ermittler auf einen unscheinbaren, metallischen Gegenstand, der ohne das Schild mit der Nummer neun in dem ganzen Durcheinander untergegangen wäre. „Das Feuerzeug hat er in die linke Hand genommen und mit der Rechten hat er sich die Pistole an den Kopf gehalten.“ „Eine Makarow“, bemerkt Katja. „Oh, da kennt sich jemand aus“, erwidert Escher spöttisch. Arschloch, denkt die Oberkommissarin. „Wo waren wir stehengeblieben?“, fährt Helmut Escher fort. „Ach ja, dann hat er das gute Zippo Feuerzeug betätigt. Es hat BUFF gemacht und er hat abgedrückt – Game over.“ „Zippo? Da kennt sich jemand aus“, kontert Katja. „Nicht wahr“, bekräftigt Escher grinsend. „Also, wenn sie noch jemand für die Mordkommission suchen ...“ „... sind sie der letzte, der es erfahren wird.“ Damit ist das Gespräch beendet und der Spusi-Mann begibt sich wieder auf Spurensuche. 15 |


„So könnte es sich tatsächlich abjespielt ham“, resümiert Erwin Brixmeier. „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht“, entgegnet seine junge Kollegin bockig. „Lass mal chut sein, wir wissen alle, dat du den Burschen nich abkannst. Trotzdem – immer schön objektiv bleiben.“ „Gib es zu, dein Freund ist er auch nicht.“ „Wer zum Teufel sind sie und was machen sie hier“, brüllt Helmut Escher plötzlich wie von Sinnen. Alle drehen sich neugierig zu ihm um. Der Spusi-Mann steht vor einer Frau mittleren Alters und stiert sie fassungslos an. Er sieht aus wie eine Schlange, die im nächsten Moment ihre Beute in einem Stück zu verschlingen droht. Brixmeier und Katja sind augenblicklich zur Stelle um Schlimmeres zu verhindern. Der Hauptkommissar schiebt den wutschnaubenden Kollegen zur Seite und baut sich vor der eingeschüchterten Frau auf. „Wer sind sie?“, will auch er wissen. „Kathi ... Katharina ... Strüger ... ähm, ich wollte sagen Strüberg-Doll ... Dollinger“, würgt die verschüchterte Frau bröckchenweise hervor. „Können sie sich ausweisen?“, fragt nun Katja mit strenger Stimme. „J ... ja.“ Sogleich beginnt die Frau in ihrer Handtasche zu suchen. Obwohl die recht klein ist, scheint sie in ihrem Inneren ein halbes Universum zu beherbergen. Die Polizistin nutzt die Zeit, um die ungebetene Besucherin etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Sie ist nicht groß - eins sechzig vielleicht. Auf alle Fälle etwas zu klein für ihr Gewicht. Ihr Gesicht ist ebenfalls etwas rundlich und es würde sympathisch aussehen, wenn sie nicht wie ein verschrecktes Huhn gucken würde. Die Haare sind ziemlich | 16


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