Folterkammer

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Norbert Radler

Die Folterkammer


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-95954-058-2 © Norbert Radler Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Verlag Jörg Mitzkat Holzminden 2018 www.mitzkat.de


Norbert Radler

Die Folterkammer SOKO HX III

Kriminalroman Verlag Jรถrg Mitzkat Holzminden 2018


Inhalt Prolog 5 Event-Gastronomie 13 Der Sterne-Koch

31

Feinde an sich und wie man sie sich macht

58

Erpressung und Ratenzahlung

86

Der Chef-Smutje aus dem Schwabenland

107

Belastende Details und bröckelnde Alibis

131

Markus Wienhold

157

Klinkenputzen 178 Verschwunden 193 Es wird eng

212

Das war wohl nix

226

Kommissar Zufall ermittelt

241

Viktor Andrejevs Geständnis

258

Stochern im Nebel

278

Die Zeugin

299

Schlag auf Schlag

319

Zugriff 343 Das Geständnis

367

Fall abgeschlossen

393

Zu früh gefreut

403


Prolog

S

ieh mal an, Frau Oberkommissarin 007 is auch schon da“, grunzt Hauptkommissar Erwin Brixmeier breit grinsend. „Sach ma‘ Katja, isset dir nich ’n bissken unanjenehm, mit deiner selbstfahrenden Kloschüssel hier aufzukreuzen?“ „Solange es dir nicht unangenehm ist, eine überarbeitete Beamtin um ihre wohlverdiente Nachtruhe zu bringen“, keift Katja gereizt zurück. Sie lässt ihren Blick beiläufig über den Parkplatz schweifen: Porsche, Jaguar, Ferrari, Bentley, eine schneeweiße Hummer-Stretchlimo. In der Tat wirkt ihr hellblauer Peugeot 106 hier ein wenig fehl am Platz – aber das stört sie nicht wirklich. „Sach bloß, du hast schon jepennt?“ „Ob du es glaubst oder nicht, das habe ich tatsächlich.“ Katjas Stimme lässt vermuten, dass sie ihre Krallen etwa zur Hälfte wieder eingezogen hat. „Was haben wir denn hier?“ „Einen kopflosen Chefkoch.“ „Hat einem sein Essen nicht geschmeckt?“ „Möchlich“, knurrt Brixmeier. „Abba vielleicht erzählt uns Silke chleich, dat der chute Mann sich aus Versehen selber die Rübe amputiert hat.“ Auf dem Weg über den Parkplatz fällt Katjas Blick auf zwei Rettungswagen, die von einer beachtlichen Anzahl auffallend gut gekleideter Menschen belagert werden. Fast alle wirken sehr verstört. Einige von ihnen werden offenbar von Ärzten, Sanitätern und Polizisten betreut. „Gibt es auch Verletzte?“, will sie von ihrem Chef wissen. „Nich, dat ich wüsste.“ „Und was machen die dann hier?“ Die Oberkommissa-


rin deutet mit einem Kopfnicken auf die Rettungswagen. „Ach die ... Einigen der reichen Pinkel is der Nachtisch nich bekommen. Brauchen jetz ‘n paar Streicheleinheiten.“ Die beiden Beamten erreichen das Gebäude. „Die FOLTERKAMMER?“, liest Katja auf dem Schild über dem Eingang. „Ein seltsamer Name für ein Restaurant.“ „Dat is der anjesachteste und teuerste Chourmet-Tempel in chanz Ostwestfalen“, klärt Brixmeier seine Kollegin auf. „Ich hätte da eher auf so einen finsteren Grufti-Schuppen getippt“, gibt sie misstrauisch zurück. „Mit finster lichste carnich so falsch. Und jetz rein in die chute Stube.“ Erwin Brixmeier geht voran und seine junge Kollegin folgt ihm zunächst noch unbedarft. Das ändert sich schlagartig, als ihr Blick gleich nach dem Betreten des Gebäudes auf ein großes Warnschild fällt: Verehrte Gäste, Sie betreten nun die FOLTERKAMMER. Bitte beachten Sie, dass Sie innerhalb dieser Räumlichkeiten als Gefangene behandelt werden. Nachdem unsere Waffenschmiede Sie fachgerecht in Ketten gelegt haben, erwartet Sie der morbide Komfort eines mittelalterlichen Kerkers. Wundern Sie sich bitte nicht über den ruppigen Umgangston, mit dem der Kerkermeister und seine Gehilfen Ihnen entgegentreten. Er dient lediglich dazu, Sie in die Welt des genüsslichen Schauderns zu entführen. Und nun wünschen wir Ihnen einen guten Appetit bei Ihrer ganz persönlichen HENKERSMAHLZEIT. Jugendlichen unter 18 Jahren ist das Betreten untersagt!

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Katja nimmt den Text ungläubig staunend zur Kenntnis. Dann geht es in den Keller. Die schmale Treppe führt durch einen aus Bruchsteinen gemauerten Gang, der von fackelähnlichen Lampen in ein bizarres, flackerndes Licht getaucht wird. Am unteren Ende befindet sich eine Art Schmiede. Hier gibt es eine beeindruckende Auswahl an Hand- und Fußfesseln, sowie Ketten in unterschiedlicher Länge und Ausführung. Der Schmied, ein grobschlächtig aussehender Zeitgenosse mit rußgeschwärztem Gesicht und nacktem, muskelbepacktem Oberkörper, sitzt regungslos auf seinem Hocker und stiert die Beamten mit leeren Augen an. So wie es aussieht, muss Katja nicht befürchten, von ihm heute in Ketten gelegt zu werden. Katja und Brixmeier betreten nun ein Kellergewölbe von imposanter Größe, das als Kulisse für einen blutrünstigen Horrorstreifen bestens geeignet wäre. Auch hier verfehlt die gespenstische Beleuchtung und die von den unverputzten Bruchsteinmauern ausgehende Grabeskälte ihre Wirkung in keinster Weise – der Gänsehautfaktor steigt merklich. Selbst die Möblierung, bestehend aus grob gearbeiteten Tischen und unbequem aussehenden Stühlen und Bänken, passt perfekt in dieses skurrile Ambiente. Plötzlich hört Katja ein Geräusch, das wie das Rasseln schwerer Ketten klingt. „Bist du sicher, dass wir uns in einem Sterne-Restaurant befinden?“, fragt sie ihren Chef zweifelnd. Der hat kaum den Mund geöffnet, als ein markerschütternder Schrei – es ist eindeutig eine weibliche Stimme – durch die finsteren Katakomben gellt und seine Antwort jäh abwürgt. 7|


„Kann endlich mal jemand diese bescheuerte Geräuschkulisse abstellen? Wie soll man bei so einem Spektakel konzentriert arbeiten?“, brüllt eine genervte männliche Stimme aus dem hinteren Teil des Gewölbes, der von starken Scheinwerfern taghell erleuchtet ist. Die beiden Kriminalbeamten steuern schnurstracks auf das Licht zu. Mehrere Gestalten in schneeweißen Schutzanzügen sind emsig dabei, Spuren zu suchen und zu sichern. Katja und Brixmeier nähern sich mit vorsichtigen Schritten, denn sie wissen, dass es die Spurensicherung gar nicht mag, wenn jemand wie ein Elefant durch den Tatort stolpert und ihnen die Arbeit unnötig erschwert. „Stopp, keinen Schritt weiter, da hat einer hingekotzt“, fährt Helmut Escher von der Spusi die Neuankömmlinge an. Er zeigt auf eine Stelle vor Katjas Füßen. Die kann allerdings nichts erkennen, weil eine undurchdringlich milchigweiße Suppe, die bis an ihre Knöcheln reicht, den Blick auf den Fußboden versperrt. Ein Anblick, der den Kollegen Escher nun komplett ausrasten lässt. „Welcher Vollpfosten hat die Scheiß-Nebelmaschine wieder eingeschaltet?“ „Tschuldigung“, kommt es aus einem Nebenraum, „hab wohl den falschen Schalter erwischt.“ „Bin ich denn nur von Schwachköpfen umgeben?!“ Wieder einmal wird Katja deutlich vor Augen geführt, warum sie diesen Escher nicht leiden kann. Dann jedoch fällt ihr Blick auf einen Tisch, der besonders hell beleuchtet wird und auf den Grund, dem sie ihr spätabendliches Erscheinen hier zu verdanken hat. Katja ist noch jung, dennoch hat sie in ihrer beruflichen Laufbahn schon einiges gesehen – aber das hier ... Sie hat plötzlich das unangenehme Gefühl, dass sich der Alaska-Seelachs, den ihr Freund Gregor mit so viel Hingabe zubereitet hat, langsam aber |8


sicher die Speiseröhre aufwärts bewegt. Eine kleine Konzentrationsübung und einige tiefe Atemzüge sind vonnöten, um ihr inneres Gleichgewicht wiederherzustellen und dafür zu sorgen, dass der Seelachs da bleibt, wo er hingehört. Doch leider ist ihr flüchtiger Durchhänger nicht ganz unbemerkt geblieben. „Na, Frau Oberkommissarin, haben Sie Ihr Abendessen schon verdaut, oder werden Sie uns noch damit beglücken?“ Arschloch, denkt Katja, während sie verärgert in Eschers schäbig grinsende Visage schaut. „Darf ich bekannt machen“, fährt er ungerührt fort, „der Chefkoch und Inhaber dieses urgemütlichen Etablissements: Herr Gunvald Gustavson. Na, ja ... eigentlich nur ein Teil von ihm, wie Sie unschwer erkennen können.“ Katja hat in ihren kriminalistischen Profimodus geschaltet und begutachtet das grauenhafte Szenario eingehend. Auf dem Tisch liegt ein fachgerecht abgetrennter menschlicher Kopf, der die Neuankömmlinge mit weit aufgerissenen, entsetzten Augen anstarrt. Das heißt, eigentlich starrt nur das rechte Auge, denn im linken steckt ein Messer, an dem ein Fetzen blutbeflecktes Papier hängt, so, als wolle der Täter eine Botschaft hinterlassen. „Wo is der Rest?“, knurrt Brixmeier, nachdem er sich die grauenhafte Szene von allen Seiten angesehen hat. „Im Kühlraum“, sagt Escher. Er deutet auf eine Tür. „Da durch und dann rechts. Sie können es nicht verfehlen.“ Die Kriminalbeamten folgen der Wegbeschreibung und finden sich schon bald im begehbaren Kühlschrank des Restaurants wieder. Auch hier sind mehrere Personen in weißen Overalls im Einsatz. Eine von ihnen beugt sich über den kopflosen Körper, der hinter einem Regal inmitten einer beachtlichen Blutlache liegt. 9|


„Schöne Schweinerei“, grunzt Brixmeier. „‘n Abend Silke, ham se dich auch aussem Bett jeschmissen?“ „Ich nehme mal an, das ist eine rhetorische Frage.“ Die Rechtsmedizinerin Dr. Silke Pauli richtet sich langsam auf und schaut Brixmeier und Katja mit müden Augen an. „Das mit dem Bett stimmt zwar nicht, aber der Rest schon. Euch auch einen guten Abend – obwohl ...“, sie deutet auf das Opfer, „was ist an so einem Abend gut?“ „Tod durch Rübe ab hatten wa noch nie. Jedenfalls nich, solange ich hier bin“, sinniert der Hauptkommissar. „Oder kannst du dich an einen Fall erinnern?“ „Nein, das kann ich nicht. Aber an Rübe ab ist er nicht dahingeschieden.“ „Sach bloß.“ „Der Tod trat durch einen Stich ins Herz ein“, erklärt Frau Dr. Pauli. „Erst danach wurde er enthauptet. Außerdem hat man seine Leber entfernt.“ „Wie abartig ist das denn?“, wirft Katja angeekelt ein. „Du müsstet sowat doch jewöhnt sein ... Nach ‘n paar Jahren Kripo Bielefeld.“ „Sag mal, Herr Chefermittler, was glaubst du eigentlich, was in Bielefeld abgeht?“, ereifert sich Katja. „Denkst du wirklich, dass da nur Psychopathen rumlaufen, die Menschen köpfen und halb ausweiden? Du solltest mal ... Ach, vergiss es!“ Dann wendet sie sich wieder an die Rechtsmedizinerin: „Habt ihr seine Leber gefunden?“ „Bisher nicht, unsere Leute suchen noch. Aber wenn ihr mich fragt ... Ich denke, der Täter hat sie als einen Art Souvenir mitgenommen.“ „Nich zu fassen“, knurrt Brixmeier. „Und wie lange is der schon kopf- und leberlos?“ „Seit zwei ... höchstens drei Stunden. Genaueres ...“ | 10


„Ich weiß, nache Obduktion.“ „Wo ist eigentlich Toni?“, will Katja plötzlich wissen. „Der befracht die Chäste und dat Personal. Kann ja wohl nich sein, dat unser Killer in aller Seelenruhe hier rein marschiert, dem Chefkoch die Birne amputiert, dann mitsamt seiner blutijen Trophäe durch die vollbesetzte Bude tapert, sie dekorativ auf ‘nem Tisch plaziert und wieder hier raus marschiert, und keiner hat wat mitjekricht.“ „Versprich dir nicht zu viel davon“, meint Katja. „Nach dem Dessert, das die heute serviert bekommen haben, werden nicht wenige unter Gedächtnisstörungen leiden.“ „Mal den Teufel nich anne Wand.“ Plötzlich wird es unruhig auf dem Gang vor dem Kühlraum. Ein Mitarbeiter der Spurensicherung kommt aufgeregt rein. „Frau Doktor, könnten Sie mal kommen, wir haben noch einen Kopf gefunden.“ „Ach du Scheiße!“, dröhnt der Hauptkommissar wütend. Er, Katja und Frau Dr. Pauli folgen dem Kollegen in einen Raum am Ende des Ganges – das Büro des Inhabers. Hier treffen sie auf zwei weitere Männer von der Spurensicherung. Der eine zeigt mit betroffener Miene auf eine Kiste, die auf dem Schreibtisch steht. Die Rechtsmedizinerin nimmt sie in Augenschein. Katja und Brixmeier verfolgen neugierig jede Bewegung. Dr. Pauli öffnet vorsichtig den lose aufgelegten Deckel. Dieser gibt den Blick auf blutverschmierte, dunkle Kopfhaare frei. Silke Pauli leuchtet mit einer Taschenlampe in die Kiste hinein. Die Kriminalbeamten treten näher und versuchen, einen Blick zu erhaschen. Und tatsächlich, es scheint sich um einen menschlichen Kopf zu handeln, der auf einem blutdurchtränkten Tuch ruht. Vom Gesicht ist nichts zu erkennen, da man ihn nur 11 |


von oben sieht. Als sich die Rechtsmedizinerin anschickt, den grausigen Fund behutsam aus der Kiste zu nehmen, treten alle Umstehenden ein paar Schritte zurück. Eine unerträgliche Spannung liegt in der Luft. Katja ist fest davon überzeugt, dass sie heute Abend nichts mehr schocken kann, aber was sie in diesem Moment zu sehen bekommt, stellt sogar ihre fürchterlichsten Albträume in den Schatten. Den Kollegen geht es offenbar genauso. Die Jungs von der Spusi wenden angewidert den Blick ab und auch Brixmeier wirkt ungewöhnlich blass um die Nase. Der Kopf, den Dr. Pauli in den Händen hält, zeigt ein auf entsetzlichste Weise entstelltes Gesicht. Von den einstmals menschlichen Zügen ist so gut wie nichts übrig geblieben. Die Haut ist von hässlichen, eiternden Wunden übersät, ein Auge wurde aus der Höhle gerissen und hängt nur noch an ein paar Fasern und die Nase fehlt ganz. Als dann auch noch das blutige Tuch, das zunächst am Hals klebengeblieben war, mit einem ekligen, suppenden Geräusch in die Kiste zurückfällt, meldet sich bei Katja der Alaska-Seelachs ein weiteres Mal. Mit geschlossenen Augen versucht sie, ihre Übelkeit in den Griff zu bekommen, was ihr wider Erwarten gelingt. Als sie die Augen wieder öffnet, fällt ihr Blick unwillkürlich auf die Rechtsmedizinerin, die das grausige Fundstück eingehend untersucht. Ihr scheint der Anblick nicht viel auszumachen – Kunststück, bei dem Beruf. Plötzlich bemerkt Katja eine seltsame Veränderung, die sie nicht zu deuten vermag, in Silke Paulis Gesichtszügen. Die Rechtsmedizinerin schaut nachdenklich in die Runde und mit dem harmlosen Satz „Ach, Erwin, halt doch mal.“, drückt sie dem nichts Böses ahnenden Hauptkommissar den abhackten Kopf in die Hände.

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Event-Gastronomie

U

nd wie hat er reagiert?“, will Toni am nächsten Morgen voll freudiger Erwartung von seiner Kollegin wissen. „Er war von jetzt auf gleich kreidebleich und kriegte keinen Ton mehr raus“, gibt Katja bereitwillig Auskunft. „Er guckte, als sei ihm der Leibhaftige höchstpersönlich über den Weg gelaufen. Ich sage dir, so habe ich ihn noch nie gesehen. Habe schon befürchtet, gleich ist es soweit und wir müssten ihn reanimieren.“ „Brixmeier reanimieren? Übertreib mal nicht so maßlos, so schnell haut den nichts aus den Latschen.“ „Vertu dich nicht, bei dem Anblick hat sich sogar mir fast der Magen umgedreht – und ich bin auch einiges gewohnt.“ „Und wie hat er reagiert, als er gemerkt hat, dass er ‘ne Attrappe in den Händen hält?“, bohrt Toni neugierig weiter. „Kannst du dir das nicht denken. Unsere liebe Frau Doktor brauchte für den Rest des Abends Personenschutz.“ „Das glaube ich gern.“ Toni nickt grinsend. „Aber wenn ihr das nächste mal so eine scharfe Nummer durchzieht, sagt mir doch bitte vorher Bescheid – ich hätte gern mitgelacht ...“ Die Tür fliegt auf und das entspannte Gespräch der beiden Oberkommissare wird vom dröhnenden „Morjen“ eines miserabel gelaunten Hauptkommissars abgewürgt. „Schönen guten Morgen Erwin, hast du schlecht geschlafen?“ Toni tut, als könne er kein Wässerchen trüben. „Überlech dir jenau, watte sachst“, faucht Brixmeier ihn wütend an. „Is besser für deine Jesundheit, chlaub mir. 13 |


Und hör jefällichst auf, so blöd zu chrinsen.“ Dann fällt sein Blick auf Katja. „Und für dich chilt dat chleiche.“ Katja und Toni sagen nichts. Der Hauptkommissar setzt sich an seinen Schreibtisch und kramt in irgendwelchen Papieren. Die ganze Aktion wirkt ein bisschen konfus. In der nächsten Sekunde lässt er unvermittelt beide Fäuste mit voller Wucht auf die Tischplatte krachen. „Verfluchte Scheiße!“, brüllt er, dass die Wände wackeln. Danach ist es einen Augenblick lang totenstill im Büro. „So, jetz cheht‘s mir besser“, brummt er, dann wendet er sich in normaler Lautstärke an Toni. „Ihr habt doch letzte Nacht die Chäste und dat Personal befracht.“ „Ja, das haben wir. Ist aber nicht viel bei rausgekommen. Die waren alle komplett durch den Wind. Keiner war zu einer brauchbaren Aussage fähig.“ Toni zuckt mit den Schultern. „Abba irjendjemand muss mitjekricht haben, wie einer den abjehackten Kopp auf‘n Tisch plaziert hat.“ Brixmeier wird wieder lauter. „Herrchott nochmal, die verdammte Hütte war brechend voll.“ „Das ist abgelaufen wie immer – nichts Ungewöhnliches.“ „Wie immer? Toni, willste mich jetz verarschen? Willste mir weismachen, dat da jeden Abend einer jeköpft wird?“ „Nein, natürlich nicht. Das ist alles nur Show.“ „Show?“ „Event Gastronomie nennt man das.“ „Ivent Chastronomie?“ Brixmeier guckt etwas ungläubig. „Na ja, da kommen die Leute nicht nur zum Essen hin. Die wollen was erleben – eine Show eben. Du hast doch gesehen, wie es da aussieht. Da werden die Gäste angekettet, | 14


und die machen das mit – ganz freiwillig. Und während sie sich den kulinarischen Genüssen hingeben, bekommen sie eine Folter- und Horror-Show geboten. Da werden Menschen ausgepeitscht, oder auf die Streckbank geschnallt, oder mit ‘nem glühenden Eisen oder anderen grausamen Foltergerätschaften traktiert. Aber das ist alles nicht echt. Nur eine perfekt inszenierte Show. Da kommt niemand zu Schaden, und die Gäste haben halt ihren Spaß daran.“ „Und ‘n abjehackter Kopp jehört auch dazu?“ „Ja. Der Chef des Hauses geht ein paarmal am Abend durch das Restaurant, als Henker verkleidet – mit ‘ner schwarzen Kapuze über‘m Kopf, in einer Hand eine blutige Axt und in der anderen den abgetrennten Kopf. Der ist natürlich nicht echt ... sieht aber täuschend echt aus. Aber – wem sag ich das.“ Der Hauch eines Grinsens huscht über Tonis Gesicht. „Vorsichtich, Toni, du bewechts dich auf verdammt dünnem Eis“, grunzt Brixmeier drohend. „Und den Kopp lecht er dann bei irjendeinem Chast auf dem Tisch ab?“ „Ja, das ist richtig“, antwortet Toni. „Gestern Abend lief es wie immer ab. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass beim letzten Auftritt jemand anders in dem Henker-Kostüm steckte und Gunvald Gustavson durch das Restaurant getragen wurde – na ja, wenigstens ein Teil von ihm.“ „Und wer hat seinen Kopp zum Nachtisch serviert bekommen?“ „Wolfgang und Amanda Rüther aus Kassel. Er ist Sparkassen-Direktor und sie ist eine erfolgreiche Designerin.“ „Und denen is nix aufjefallen?“ „Zunächst nicht. Sie haben gedacht, es gehört alles zur Show. Erst, als sich unter dem Kopf ein Blutlache bildete, haben sie genau hingesehen. Frau Rüther ist dann schrei15 |


end aufgesprungen und rausgerannt. Die anderen Gäste haben das zunächst auch für einen Teil der Inszenierung gehalten und applaudiert. Erst als ein anwesender Arzt erkannte, dass es sich um einen echten menschlichen Kopf handelte, brach die Hölle los und alle haben fluchtartig den Raum verlassen.“ „Und wat war mit dem Henker?“, will Brixmeier wissen. „Der konnte in dem ganzen Durcheinander offenbar unbemerkt verschwinden.“ „Dat heißt, wir ham charnix“, bringt es der Hauptkommissar auf den Punkt. „So würde das nicht sagen“, meldet sich Katja nun zu Wort. „Wir können davon ausgehen, dass der Täter ein sehr großer, kräftiger Mann ist. Sonst hätte man ihn kaum für Gustavson gehalten. Abgesehen davon ist die Spurensicherung noch bei der Arbeit. Das gleiche gilt für die Rechtsmedizin. Und ich denke, dass wir noch ein paar verwertbare Aussagen bekommen werden, sobald die Zeugen ihren Schock überwunden haben. Du solltest nicht vergessen, die meisten mussten psychologisch betreut werden, und die arme Frau, die den Kopf zum Dessert serviert bekommen hat, wurde mit einem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert.“ „Immerhin hat die arme Frau jetz wat, wat se ihren Enkeln erzählen kann. Ivent-Chastronomie“, knurrt Erwin Brixmeier kopfschüttelnd. „Menschen foltern ... sozusagen als Beilage zum Sterne-Menü. Ich frach mich, wat für ein dejeneriertes Hirn so ‘ne Scheiße ausjebrütet hat. Und dann chibt es noch Leute, die für sowat perverses bezahlen.“ „Und die zahlen verdammt gut dafür“, sagt Toni. „Wie meinste dat?“ „Hast du mal bei denen in die Speisekarte geguckt?“ | 16


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