VICE Germany - The Seeing Trails Issue

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FREE VICE MAGAZINE VOLUME 6 NUMBER 1

VOLUME 6 NUMBER 1

THE SEEING TRAILS ISSUE

FEBRUAR 2010


Š 2010 adidas AG. adidas, the Trefoil logo and the 3-Stripes mark are registered trademarks of the adidas Group.

The Vice Guide to Liberia. Coming to VBS.TV December 2009.




www.fenchurch.com






Photo by Simon Emmet


Lily Allen Exclusively live in Liverpool This is the Vodafone 360 Heroes experience.


INHALT

Bread, olive, and cheese Marge von Jamie Lee Curtis Taete

VOLUME 6 NUMBER 1 Cover-Foto von Peter Sutherland

DER UR-DJ Ein Interview mit dem (wahrscheinlich) ersten DJ der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

FOTOS AUS DER ZEIT, ALS DIE MUSIK NOCH GUT WAR Hannes Schmid ist der beste Rockfotograf der Welt . . . . 42

DER LOUNGE LIZARD KING Die Rückkehr von Christian Anders, dem befremdlichen Kaiser des deutschen Schlagers . . . . . 24

FOOD AND FACES Fotos von Jaimie Warren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

LIVE FREED OR DIE Ein Interview mit Dolly Freed, Autorin von Possum Living . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 DAS PORNOGRAFISCHE MANIFEST Ein freundschaftlicher Besuch bei Ando Gilardi, Italiens wichtigstem Kurator nackter Personen . . . . . . 34 12

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DAS ISLÄNDISCHE HAUTKRANKHEITENPILZ-MODE-FIASKO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 LOVE AND ROCKERS Alles, was wir über Jamaika wissen, haben wir von Ted Bafaloukos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88


WEAREANIMALS.COM

WE ARE ANIMALS


INHALT

Foto von Jamie Lee Curtis Taete

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 VICE Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 DOs & DON’Ts: Guest-Written by the Fat Jew . . . . . . 52 Fashion: Merkin’ Around . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Fashion: Leichte Jungs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

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Skinema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Games . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Spin Me Round . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Reviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Stockists . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Johnny Ryans Seite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114


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GRÜNDER Suroosh Alvi, Shane Smith CHEFREDAKTEUR Tom Littlewood (tom@viceland.de) STELLVERTRETENDE CHEFREDAKTEURIN Barbara Dabrowska (barbara@viceland.de) MUSIK Andreas Richter (andreas@viceland.de) FASHION Nina Byttebier (nina@viceland.de) REDAKTION Felix Nicklas (felix@viceland.de) ÜBERSETZUNG Benjamin Seibel, Elske Rosenfeld, Barbara Dabrowska LEKTORAT Juliane Liebert LAYOUT inkubator.ca

HERAUSGEBER Benjamin Ruth (benjamin@viceland.de) HEAD OF ADVERTISING Benny Eichelmann (benny@viceland.de) ADVERTISING Carsten Kritscher (carsten@viceland.de) Susanne Bürgers (suzi@viceland.de) ONLINE MARKETING Gabriel Platt (gabriel@viceland.de) EVENTS Nicolas Mönch (nicolas@viceland.de)

WEB DESIGN Solid Sender

PRODUCTION MANAGER Benni Pollach (benni@viceland.de)

TEXTE Amy Kellner, Malte Borgmann, Tasso Berkoulakis, Freddie F., André Pluskwa Hamilton Morris, Tim Small, Felix Nicklas, Benjamin Seibel, Gavin Blackburn

PRODUCTION ASSISTANT Romy Geßner (romy@viceland.de)

FOTOS Hannes Schmid, Arne Hübner, Dolly Freed, Edward Scheller, Jaimie Warren, Ed Zipco, Claudio Campo-Garcia, Peter Sutherland, Arnór Halldórsson, Theodoros Bafaloukus

PRAKTIKANTEN Arne Hübner, Stefan Lauer DISTRIBUTION Miriam von Toffl (distribution@viceland.de)

ILLUSTRATION Johnny Ryan US CHEFREDAKTEUR Jesse Pearson (jessep@viceland.com) US STELLVERTRETENDER CHEFREDAKTEUR Chris Cechin (chrisc@viceland.com) EU REDAKTEUR Andy Capper (andy@viceuk.com) EU FASHION Marcus Ross (fashion@viceuk.com) US FOTOS Patrick O’Dell (patrick@viceland.com) VICE GERMANY Schickt uns Briefe, DOs & DON’Ts, CDs, Tidbits, Magazine, Bücher, Filme usw. Brunnenstr. 196, 10119 Berlin, Germany Phone +49 30 4005449-10 Fax +49 30 4005449-20 VICE NEW YORK 97 North 10th Street, Suite 204, Brooklyn, NY 11211 Phone +1 718 599 3101 Fax +1 718 599 1769 VICE LOS ANGELES 722 North Figueroa Street, Los Angeles, CA 90012 VICE MONTREAL 127 B King Street, Montreal, QC, H3C 2P2 Phone +1 514 286 5224 Fax +1 514 286 8220 VICE TORONTO 1349 Queen Street West, Toronto, ON, M6K 1M1 Phone +1 416 596 6638 Fax +1 416 408 1149 VICE UK Send us: Letters, DOs & DON’Ts, all CDs for review, magazines, books, neat stuff, etc. 77 Leonard Street, London, EC2A 4QS Phone +44 20 7749 7810 Fax +44 20 7729 6884 VICE AUSTRALIA PO Box 2041, Fitzroy, Victoria, 3065 Phone +61 3 8415 0979 Fax +61 3 8415 0734 VICE NEW ZEALAND PO Box 68-962, Newton, Auckland Phone +64 9 378 1111 Fax +64 9 378 1113 VICE SCANDINAVIA Rosenlundsgatan 36, SE-118 53 Stockholm Phone +46 8 692 6260 Fax +46 8 692 6274 VICE ITALY Via Watt 32, 20143, Milano Phone +39 02 4547 9185 Fax +39 02 9998 6071

BUCHHALTUNG Karin Helfer (karin@viceland.de) VERANTWORTLICH Tom Littlewood CEO, VICE MEDIA GROUP EUROPE Andrew Creighton (andrew@viceuk.com) VICE BELGIUM Klokstraat12, 2600 Berchem, Antwerp Phone +32 3 232 1887 Fax +32 3 232 4302 VICE FRANCE 21, Place de la République, 75003 Paris Phone +33 953 267 802 Fax +33 958 267 802 VICE SPAIN Joan d’Austria 95 — 97, 5 1, 08018 Barcelona Phone +34 93 356 9798 Fax +34 93 310 1066 VICE AUSTRIA Favoritenstraße 4-6 / III, 1040 Vienna Phone +43 1 9076 766 33 Fax +43 1 907 6766 99 VICE MEXICO Presidente Masaryk 101-1001, C.P. 11570, México DF Phone +52 55 5255 1909 Fax +52 55 5203 4061 VICE BRAZIL Rua Periquito 264, São Paulo, SP, CEP 04514-050 Phone +55 11 2476 2428 Fax +55 11 5049 1314 VICE ARGENTINA Esteban Echeverría 1744, Florida, Buenos Aires, B1602ABR Phone +54 11 4730 0222 Fax +54 11 4760 1121 VICE BULGARIA 12 Anton P. Chehov Str. bl. 87 Iztok, 1113 Sofia Phone +359 2 870 4637 Fax: +359 2 873 4281 VICE SOUTH AFRICA Studio 401, 66 Albert Road, Woodstock, Cape Town Phone +27 72 128 0015 VICE CZECH REPUBLIC Hasˇ talska´ 1, 11000 Praha 1 Phone +420 222 317 230 Fax Phone +420 222 317 230

Phone +81 3 5766 0697 Fax +81 3 5766 0698

VICE GREECE 22 Voulis Street, 6th Floor, 105 63, Athens Phone: +30 210 325 4290 Fax: +30 210 324 9785

VICE NETHERLANDS Postbus 15897 1001 EA Amsterdam Phone +31 20 673 2530 Fax +31 20 673 8751

VICE PORTUGAL Rua Stº António de Contumil, 651, 4350 291 Porto Phone: +351 22830 8442

VICE JAPAN

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MITARBEITER DES MONATS

ARNE HÜBNER

HILARY OLSON

Wenn man Arne sieht gibt es nur zwei Möglichkeiten. Als Mann möchte man mit ihm stundenlang an der Bar stehen und sich mit allen erdenklichen Schnäpsen zuschütten, während man als Frau daran denkt, mit ihm Kinder zu zeugen. Am besten gleich, direkt an der Bar. Man kann also sagen, dass Arne so etwas wie der perfekte Mensch ist. Nun, zumindest ist er der perfekte Praktikant, der sich vom wissbegierigen Grafikknecht zum Homepage-Gott entwickelt hat und über dessen Lippen niemals etwas anderes als „gerne doch“ kommt. Für diese Ausgabe hat er mit Christian Anders im Backstage-Raum eines ausgestorbenen Berliner Konzertsaals Zigarillos gepafft. Ach ja, und Fotos von ihm hat er auch noch gemacht.

Wir sahen uns mit ein paar ernsthaften Problemen konfrontiert, als wir uns entschlossen, für diese Ausgabe eine Fashionstrecke mit handgemachten Merkins (aka Schamhaarperücken) zu machen. Hast du schon mal einen Perückenmacher gebeten, ein Vaginatoupet für dich zu machen? Du erntest ziemlich komische Blicke. Zum Glück haben wir Kostümdesign-Koryphäe Hilary Olson gefunden. Seit ihrem Abschluss am Art Institute of Chicago hat Hilary Kostüme für alle von den Stones über Velvet Revolver bis hin zu Tim and Eric und Ashton Kutcher gemacht. Und sie ist ein bisschen gestört, also wussten wir, dass wir ihr getrost die Aufgabe, ein paar Fakeschamhaare zu machen, anvertrauen können. Und sie sind wirklich großartig geworden—kleine dreieckige Kunstwerke.

Siehe DER LOUNGE LIZARD KING, Seite 24.

Siehe MERKIN’ AROUND, Seite 60.

MALTE BORGMANN

PETER SUTHERLAND

Malte hat sich der Tortur eines Redaktionspraktikums bei uns ausgesetzt und erstaunlicherweise in drei Monaten kein bisschen Schaden genommen. Er ist unser Lieblings-Slacker. Wir haben uns lange und intensiv gesorgt, da der Junge immer so müde wirkte, wenn er aus der Studentenverbindung, bei der er in Berlin untergekommen war, ins Büro geschlappt kam. Vielleicht ist er auch ein paar Mal auf seinem Stuhl eingenickt — wir wissen es nicht, weil er so groß ist, dass wir von hier unten nie sehen konnten, ob seine Augen noch offen sind. Für diese Ausgabe hat er sein friedliches Gemüt beiseite geschoben und sich von Christian Anders den fiesesten Schlag unter die Gürtellinie erklären lassen.

Keine Ahnung, wie es euch geht, aber ich hatte in der letzten Zeit so meine Schwierigkeiten mit dieser Blogsache. Ich finde einfach nicht die richtige Nische. Ich hing eine Weile auf godisabj.blogspot.com herum, bevor Peter mir diesen Traum von Seite zuschickte. idrawdicks.tumblr.com hat mich umgehauen. Danke, Peter! Du hast meinen Glauben ans Internet (und den Schwanz) gerettet. Außerdem sollte ich vielleicht erwähnen, dass Peter neulich in Berlin mit uns an einem supergeheimen Projekt zusammengearbeitet hat, das ihr im Laufe des Jahres noch auf den unterschiedlichsten Wegen zu sehen bekommt. Anstatt einfach nur zu warten, könnt ihr euch aber genauso gut irgendwo hinten in dieser Ausgabe den Bericht über seine Islandexpedition mit unserem schnittigen Drogenconnoisseur Hamilton Morris anschauen.

Siehe DER LOUNGE LIZARD KING, Seite 24.

Siehe DAS ISLÄNDISCHE HAUTKRANKHEITEN-PILZ-MODE-FIASKO, Seite 80.

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FOUR STAR DISTRIBUTION (EUROPE) AG - +41 (71) 644 9900 - info@c1rca.com

THESHYS.COM


VICE MAIL

KRACH

KNAST

Hallo, Ich muss für meine Abschlussarbeit im PR-Bereich einen fiktiven Presseverteiler für ein fiktives Buch zum Thema Techno und Berlin erstellen. Ich bräuchte dazu den vollständigen Namen eines Redakteurs von euch, der für den Bereich Kultur/ Buchneuerscheinungen oder so was zuständig ist und seine E-MailAdresse. Wäre nett wenn ihr mir da weiterhelfen könntet!! Wie gesagt, ist eine fiktive Sache, ihr würdet dann keine Post bekommen! Danke im Voraus! :) LAURA Via Email Statt diesen Monat die Leserbriefe zu beantworten, haben wir uns überlegt, einfach die Passagen zu zitieren, auf die wir uns konzentriert hätten, wenn wir uns die Mühe hätten machen wollen, tatsächlich Antworten zu schreiben. Oder anders ausgedrückt, wir zitieren genau die Zeilen, die zeigen, wie furchtbar derjenige, der uns geschrieben hat, wirklich ist. Für den Brief oben wäre das zum Beispiel: „Techno und Berlin.“

Sehr geehrte Herrschaften: Ich habe heute zum ersten Mal Ihr Magazin gesehen und mich sofort verliebt. Ich gehöre zur älteren Generation. Damals in den 80gern waren wir Punks, jetzt Goths und, Gott, damals hatten wir nichts, was mit Vice vergleichbar war. Ich liebe die Artikel und verdammt, sogar die Werbung ist großartig. Scheiße, ich war immer ehrlich und anständig. Ich möchte um zwei Dinge bitten. Bitte geben Sie mir ein Abo. Ich fürchte, ich bin gerade mittellos, also kann ich es mir nicht leisten. Sobald ich wieder auf freiem Fuß bin, werde ich Ihnen sofort alles zurückzahlen. Könnten Sie vielleicht einen Brieffreund für mich organisieren? Egal wo er herkommt, ich würde mich sehr freuen. Ich bin ein 43-jähriger Christ, aber gleichzeitig auch ein überzeugter „Punk“. Danke für ihre Zeit und ihr Verständnis. Hochachtungsvoll, NARCISO SALA Morgantown, WV

KOITUS

Hier gibt es absolut nichts, was wir zitieren müssten. Der Typ kriegt ein Abo von uns.

Liebes Vice, mein Freund ist neulich bei mir reingeplatzt, als ich mir zu einer eurer Ausgaben einen runtergeholt habe. Welche Ausgabe? Keine Ahnung, ich masturbiere zu allen davon. Aber diese eine Ausgabe... diese Ausgabe... darin war ein fettes asiatisches Mädchen, das ein Stück frittiertes Hühnchenfleisch in sich reinstopfte, während sie halbnackt am Küchentisch saß. Mein Freund hat das Foto nicht gesehen. Er hat einfach total einen auf „Oh hey, ich hab nicht gesehen, dass du beschäftigt bist“ gemacht. Aber seitdem will er keinen Sex mehr haben. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass er die gleiche Ausgabe gelesen hat (und sich vielleicht selbst einen dazu runtergeholt hat) und vielleicht nicht darauf klarkommt, dass sein Liebhaber genau den gleichen Asiaten-die-frittierte-Sachen-in-sichreinstopfen-Fetisch hat, wie er, oder ob er einfach keinen Sex mehr haben will. Vielleicht betrügt er mich! OH GOTT! Ich muss seine Emails checken. Danke Vice! Mein Freund lässt mich nicht kommen, aber dafür ihr! KYLE W. Hollywood, CA „Mein Freund lässt mich nicht kommen, aber dafür ihr!“

KOTZE Liebes Vice, Ich spiele in einer Band namens Flora Bastard und meine Frau meint immer, dass sie das an Margarine erinnert. Wir haben unseren bescheuerten Bandnamen schon so oft geändert, dass ich mir das nicht noch mal geben kann. Könnt ihr mir vielleicht weiterhelfen? Ist er wirklich so bescheuert? Sind Bandnamen prinzipiell bescheuert? So viele Fragen. Wie auch immer. Das ist also mein Brief. Ich bin ein langjähriger Leser, aber schreibe euch hiermit zum ersten Mal einen Brief. Beste Grüße, ALAN VON DER BESCHEUERT BENANNTEN BAND FLORA BASTARD. via Email „Ich spiele in einer Band namens Flora Bastard“, „Alan von der bescheuert benannten Band Flora Bastard“

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KUNSTSTUDENTENERGÜSSE Guten Tag, nichts los bei Euch oder was? Habe noch nie eine Rückantwort von euch erhalten. Mir sind Jörg Immendorf, Kokain, Bier, Wein, Kippen, Graffiti, Holger John, Drogen, junge/alte Fotzen, Jonathan Meese, 4-Tage wach, Ölmalerei, HfBK, Felix Waak, Boks, BGS, Carders, Criminal Minded’s, Streetfighting, Poppen.de, Flake, Rammstein, Caro, Christel von Drenkmann, Waffen, Fürchtegott Leberecht Rolf Weiß, Neger, Geld, Zwota, Lippitt, Francesca Thurner, Goya, Michael Borremans, Foim der die Alte aufm Addicted 24/7 Trailer fickt und MC Basstard mit Papiergebiss im Auto und meine große Liebe der Erfolg und die Malerei sehr wohl bekannt... — Angst? BORNER. Via Email OK, das war jetzt ziemlich einfach: „Guten Tag, nichts los bei Euch oder was? Habe noch nie eine Rückantwort von Euch erhalten. Mir sind Jörg Immendorf, Kokain, Bier, Wein, Kippen, Graffiti, Holger John, Drogen, junge/alte Fotzen, Jonathan Meese, 4-Tage wach, Ölmalerei, HfBK, Felix Waak, Boks, BGS, Carders, Criminal Minded’s, Streetfighting, Poppen.de, Flake, Rammstein, Caro, Christel von Drenkmann, Waffen, Fürchtegott Leberecht Rolf Weiß, Neger, Geld, Zwota, Lippitt, Francesca Thurner, Goya, Michael Borremans, Foim der die Alte aufm Addicted 24/7 Trailer fickt und MC Basstard mit Papiergebiss im Auto und meine große Liebe der Erfolg und die Malerei sehr wohl bekannt... — Angst? BORNER.“

Schreibt an VICE, Brunnenstr. 196, 10119 Berlin oder an briefe@viceland.de Briefe können aus Platzgründen gekürzt werden.


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widersprochen hat, kaufen wir ihm das so ab. Durch Zufall stolperte er hinter die Plattenteller, blieb daran hängen, nannte sich auf Rat seines Vaters DJ Heinrich und begründete eine Ära. Da wir keine Ahnung haben, wie Unterhaltung in den fünfziger Jahren, kurz nach dem Krieg, aussah und wie ein 67-Jähriger heute zu seinem frühen Ruhm als DJ steht, haben wir uns mit ihm getroffen, um über die guten alten Zeiten zu quatschen. Vice: Wie war Ihr erster Abend als DJ? Wie fing alles an? Quirini: Das war 1953, ich war damals als Journalist tätig. Gerade mal 18 Jahre alt und besuchte mit zwei Kollegen ein Tanzlokal — die Bezeichnung Disko gab es noch nicht. Jedenfalls war ich nach damaligen Recht noch minderjährig und hatte ein Glas Whiskey getrunken. Da der Herr von der Kölner Oper, der an diesem Abend für das Musikprogramm zuständig war, zu langweilig war, wurden meine beiden Kollegen und ich eben etwas lauter. Der Chef des Lokals kam also auf mich zu und meinte, ich könne gerne übernehmen, wenn ich meinen würde, ich könnte das besser. Also tat ich das. Was passierte dann? Ich begann den Auftritt mit der Ansage „Meine Damen und Herren, wir werden das Lokal jetzt fluten“, und spielte Ein Schiff wird kommen. Jedenfalls kam das gut bei den Gästen an und die Leute klatschten bei jedem Lied, das ich auflegte, frenetisch. Am Ende des Abends bot mir dann der Inhaber des Ladens an, das Ganze regelmäßig zu machen und zahlte mir dafür 800 DM pro Monat. Ein Haufen Geld für die Zeit kurz nach dem Krieg. Nur mein Vater meinte, dass ich mir ein Pseudonym zulegen sollte, da er Mitgründer der Deutschen Bank war und dementsprechend den Namen Quirini nicht damit in Verbindung sehen wollte. Also nannte ich mich DJ Heinrich.

Der UR-DJ Ein Interview mit dem (wahrscheinlich) ersten DJ der Welt INTERVIEW: FELIX NICKLAS, FOTOS MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON HELGA & KLAUS QUIRINI laus Quirini war wahrscheinlich der erste DJ der Welt. Es ist immer etwas schwierig, von sich zu behaupten, dass man der Erste sei, der eine Idee hatte, wenn man das nicht untermauern kann. Bei kompletten Musikrichtungen wird es dann natürlich erst richtig heikel. Aber da Klaus Quirini noch niemand

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Wie lange hat es gedauert, bis die ersten Nachahmer auftauchten? Ungefähr ein Jahr. In einem Betrieb gleich um die Ecke. Wir befanden uns in diesem Dreiländereck Holland-Belgien-Deutschland. Da schwappte es dann auch schnell über die Grenze. Plötzlich gab es dann 42 Diskos in Aachen, wobei der Name „Disko“ erst durch die Gäste eingeführt wurde, jedenfalls waren es recht viele Diskos für eine Stadt mit einer viertel Million Einwohner. Heute gibt es nur noch vier Diskos, zu Ihrer Information. Hatten Sie diese Coolness-Aura, die heute typisch ist für DJs? Ja, bestimmt. Ich war ja auch exponiert für die Leute sichtbar und tanzte zu jedem Stück mit, auch inmitten des Publikums. Deswegen hatte ich an meinem Platz auch immer zwei Handtücher liegen, denn Sie können sich vorstellen, dass es einem in Anzug und Krawatte doch recht warm wird. Der Dresscode war damals sehr wichtig, wichtiger als heute. An unserer Tür arbeiteten damals der noch unbekannte Udo Lindenberg und Frank Elstner. Etwas, das mir heutzutage auffällt, ist, dass junge Herren heutzutage viel schlechter angezogen sind als damals. Würden Sie mehr auf ihr Äußeres achtgeben, dann kann ich Ihnen versprechen, dass Sie auch mehr Chancen bei den Frauen haben! Kamen Sie besser bei Mädchen an? Ha, das war eine andere Zeit. Ich war damals gebunden und mit 22 Jahren bereits verheiratet. Um vier Uhr morgens war man froh, dass es vorbei und man zuhause war. Außerdem war die Mentalität damals eine andere. Ich sah mich auch eher als Ersatzkünstler und Dienstleister, der den Gästen gegenüber Verantwortung hatte. Wie ein Kellner, der eine Flasche Champagner serviert. Was denken Sie über DJs von heute? Das hat sich alles verändert. Aber trotzdem gibt es da Ähnlichkeiten. Ich habe erst kürzlich mit einem jungen Mann gesprochen, der als DJ aktiv ist. Was gleich geblieben ist, ist die Auffassung, dass es ein Beruf ist, eine Dienstleistung für die Leute. Trotzdem hat sich die Technik


natürlich vollkommen geändert. Vom Produzieren bis hin zu der Art, wie man Samples und so etwas nutzt. Haben Sie sich irgendwann mit modernem DJ-ing befasst? Mixen und Scratchen? Nein. Das kam erst später auf. Sowas überlasse ich Sven Väth und diesen Leuten. Womit ich mich aber beschäftigte, war das Aufkommen von Lichteffekten während der Diskozeit in den Siebzigern. Von Platte gespielte Musik war ja immer etwas Totes, Lebloses, dem man wieder Leben einhauchen musste als DJ. In den 70ern ging dann aber die Entwicklung vom gesprochenen Wort hin zu Effekten, Licht und technischer Finesse. Das mit dem Scratchen kam dann ja erst in den 80ern auf und ist eben eine Entwicklung des Ganzen. Was für ein Equipment hatten Sie? Ich hatte eine hervorragende Ausstattung. Im Scotch Club hatte ich ein Schweizer Studiomischpult, das damals das Beste war, das man bekommen konnte und die Verstärker waren Röhrenverstärker, das waren riesige Dinger, aber der Klang war dafür ausgezeichnet. Ich würde sogar sagen, besser als heute in diesem digitalen Zeitalter. Röhren geben im Gegensatz zu dem digitalen Bereich ein ganz anderes, wärmeres Gefühl, würde ich mal sagen.

Wie sind ihre Musikgewohnheiten heute? Man wächst ja mit der Musik mit, aber ich höre nach wie vor die Klassiker, Beatles, die Stones, Musik aus meiner Jugend eben. Ich bekomme auch immer noch einen Haufen Platten zugeschickt, aber das meiste höre ich mir nicht mehr an. Vor kurzem erst habe ich einem jungen Musiker, dessen Namen ich aber vergessen habe, gesagt, „Junger Mann, ihre Musik ist grässlich“, ein paar Monate später hatte er mehrfach Platin. Die Zeiten ändern sich eben. Gehen Sie selbst auch noch immer in die Disko? Ja, aber nicht dorthin, wo jüngere Menschen sind. Was ist der größte Hit aller Zeiten? „Yesterday“ von den Beatles. Was war der irrsinnigste Spruch oder Wunsch, der Ihnen jemals entgegengebracht wurde? Da habe ich nie etwas hören müssen. Auch ein Nebeneffekt der Zeit, die Leute sind mir immer mit Respekt begegnet und waren nett zu mir, so wie ich nett zu ihnen war und niemandem einen Musikwunsch abgeschlagen habe. Ich war eben der Ersatzkünstler. Noch mehr Fotos aus dem Scotchclub findet ihr auf viceland.de

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Der Lounge Lizard King Die Rückkehr von Christian Anders, dem befremdlichen Kaiser des deutschen Schlagers VON MALTE BORGMANN, FOTOS: ARNE HÜBNER on allen absonderlichen Gestalten, die der deutsche Schlager hervorgebracht hat, ist Christian Anders definitiv die absonderlichste. Glaubt man auch nur die Hälfte dessen, was in seiner Biographie steht, wirkt neben ihm immer noch jeder Möchtegernexzentriker so faszinierend wie ein Bierdeckel. Er ist der egozentrischste, aggressivste, libidinöseste, größenwahnsinnigste, umtriebigste, unbeirrbarste und durchgeknallteste Mensch, der wohl jemals sein Gesicht in die Kameras von ZDF Hitparade und Fernsehgarten gehalten hat. In den schlagerseligen 70ern war er einer der größten Stars Deutschlands: Zehn veröffentlichte Alben, Millionen verkaufter Platten, Bravo-Starschnitte, dutzende Hits, von denen sich seine zwei Nr. 1 Erfolge „Geh nicht vorbei“ und „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ über Monate in den Charts hielten. Christian Anders war damals Anfang zwanzig, durchtrainiert, trug leicht dekadente Anzüge, hatte eisblaue Augen, eine blonde Fönfrisur und den schwarzen Gürtel in Karate. Mit hoher Stimme sang er langsame, melodramatische Lieder über Abschiede, Einsamkeit, Sehnsucht und Ungewissheit und lachte nie. So produzierte Anders in schöner Regelmäßigkeit Hits und kaufte sich einen goldenen Rolls Royce, in dem er sich mit Samtumhang und goldenem Zepter durch Deutschland kutschieren ließ, verprasste sein Geld beim Glücksspiel, ließ sich in den Bordellen der Republik „Nuttenmozart“ taufen und vögelte wohl einen Großteil jener 2000 Frauen, die er nach eigenen Aussagen bis heute durchgelassen hat. Nicht nur das: Daneben verdrischt er scheinbar dauernd irgendwelche Leute (inklusive seiner schwangeren Schwester an Weihnachten), verfasst grandios schlechte Bücher mit Titeln wie Gobbo. Und der Teufel singt sein Lied. Ein Sex-Psycho-Western für eine Nacht und hält im Radio verzweifelte Anrufer vom Selbstmord ab. Anfang der 80er ist Christian Anders dann pleite und verschwindet in die USA. Doch er hat nicht vor, dort etwas kürzer zu treten, im Gegenteil. Protegiert von verschiedenen

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Frauen begibt er sich in Los Angeles — dem Zeitgeist der 80er gemäß — auf eine spirituelle Reise. Er wendet sich dem Buddhismus zu, nennt sich fortan Lanoo und schreibt Bücher, in denen er nach eigener Aussage alle Religionen der Erde vereint. Mit langen Haaren und in weiten Leinengewändern tritt er in Esoterikshows auf und lässt sich von einem Sitarspieler begleiten. Seine Mutter erleidet 1985 in Deutschland einen Schlaganfall, Anders sendet am Telefon heilende Energien. Anfang der 90er ist er auch wieder in Deutschland zu sehen. Anfangs als Deva, der Engel des Lichts in einer Reihe vollkommen abgedrehter Esoterikshows. Später steigert er sich dann als „einsamer Rufer in der Wüste“ in wirre, zum Teil antisemitische Verschwörungstheorien hinein — über das zinsbelastete Geldsystem, die wahre Entstehung von AIDS und die Illuminaten, die die Welt beherrschen. Auf Youtube fordert er in wütenden Videos Prügelstrafe für Angela Merkel und Beugehaft für Helmut Kohl. Vor kurzem hatte er sein Comebackkonzert in Berlin. Vor 42 treuen Fans, 822 leeren Sesseln und mir. Der 64-jährige Christian Anders stand vor einer riesigen Projektion seines eigenen Gesichts. Seine Stimme wirkte etwas dünn und insgesamt war die Anlage viel zu leise, aber das schien den euphorisch gegen jeden Rhythmus anklatschenden, ältlichen Fans nichts auszumachen. Nach dem Konzert erscheint Anders bestens gelaunt zum Interview. Er spendiert eine Runde Moods Cigarillos an alle, seine Frau (und Managerin) Birgit Diehn trinkt Rotwein aus einer Kaffeetasse. Auf dem Tisch eine Gummibärchentorte von einem Fan und ein improvisierter Aschenbecher aus angefeuchteten Papierhandtüchern, den unser Fotograf gebastelt hat. Vice: Sie haben sich viel geprügelt in Ihrem Leben, oder? Anders: Och naja... hier und da mal so ein bisschen. Was ist Ihr Tipp für den Fall, dass ich in eine Schlägerei gerate? Erstmal: Keine Angst zeigen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Und ansonsten: Oben

täuschen, unten machen. Ich täusche oben an und — Zack — breche das Schienbein. Stimmt es eigentlich, dass Sie in jungen Jahren jemanden in Notwehr mit einer EGitarre totgeschlagen haben? Äh, wie kommen Sie denn darauf? Das steht in Ihrer autorisierten Biografie. Jemanden, der Sie überfallen wollte, mit einer Rasierklinge. Haha, das ist lange her... Das war in Nürnberg im Fraunhofergraben. Ich war jung, 20 Jahre. Der hat die Finger so komisch gehalten. Immer, wenn die die Finger so halten, weiß ich schon, was los ist. Dann schneiden sie einem die Stirn auf, man sieht nichts mehr vor lauter Blut. Ich habe dann reagiert, aber wie das genau ausgegangen ist, weiß ich nicht mehr. Ich bin weggelaufen.


Also sind Sie kein Pazifist? Gewalt ist nun mal ein Aspekt des menschlichen Lebens. In meinem Musical Taro Torsay verarbeite ich so ein Leben im Ghetto von Chicago. Generell verarbeite ich in meiner Musik meistens Probleme. Die meisten meiner großen Hits haben kein Happy End. Es scheinen sich mehr Leute zu trennen, als zusammenkommen, sonst hätten meine Fans nicht 20 Millionen Platten gekauft. Was hören Sie privat für Musik? Auch gerne Klassik. Die Symphonien, die ich selbst komponiert habe zum Beispiel. Aber mit Symphonien lässt sich kein Geld verdienen. An meiner Malibu-Symphonie habe ich Monate geschrieben, den Zug nach Nirgendwo hatte ich in 15 Minuten fertig. Wobei das Showgeschäft auch harte Arbeit

ist. Da hält man sich manchmal wach mit Alkohol oder diesem und jenem... Aber viel gefeiert haben Sie auch, oder? Ja, aber die Arbeit, die dahinter steht, die sieht man nicht so, das war extrem. Das Komponieren dauert 20 Minuten, das Arrangieren dauert einen ganzen Monat. Ich habe ja alles arrangiert, jede Note ausgeschrieben, das ist heute nicht mehr so. Ende der 70er hat Ihr Erfolg nachgelassen. Meinen letzten Hit hatte ich 1980 und dann bin ich nach Amerika. Warum eigentlich? Ich glaube, ich wollte einfach mal weg, was anderes haben. Das Ganze hat mich nicht mehr so glücklich gemacht. Ich habe mich viel mit dem Buddhismus beschäftigt und

auch wieder verstärkt mit Politik. Habe meine Theorie eines zinsfreien Geldsystems entwickelt. Unser jetziges Geldsystem führt in die Katastrophe. Deutschland häuft gigantische Schulden auf und wir dürfen das dann alles zurückbezahlen. Apropos Geld: Waren Sie nicht selber hoch verschuldet, als Sie in die USA gegangen sind? Also ich hatte Steuerschulden, aber da ist nie was gewesen. Die wurden ja immer von meiner GEMA bezahlt. Meine Schulden waren damals etwa eine halbe Million. Da gab es zum Beispiel diesen Film Die Todesgöttin des Liebescamps. Da habe ich die Produktion gemacht, Regie geführt. Der hat mich eine Million gekostet. Aber damals habe ich immer noch 2000, 3000 pro Abend bekommen, das hätte ich leicht wieder

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runtermachen können. Aber so habe ich gesagt, nehmt meine GEMA und lasst mich in Ruhe. Mir hat die Zeit in Amerika gefallen, ich habe mich dem Buddhismus gewidmet, ich hatte meine Gruppe, die ich da unterrichtet habe. Wie war es, selber Unterricht im Leben zu geben? Ich war zu göttlich. Die haben angefangen, mir die Füße zu waschen, die wollten mich da richtig als Guru aufbauen. Das war Ihnen unangenehm? Ja. Man hatte mir in Mexiko am Strand ein ganzes Schloss mit Luxuswohnwägen versprochen. Da hätte ich dann mit allen meinen Schülern wohnen sollen. Ein riesiges Ding. Sie haben mir die Füße gewaschen, und ich saß als Guru auf einem goldenen Thron. Aus echtem Gold? Naja, vergoldetes Plastik, da ging’s ja schon los... Das war alles zu viel, die Verantwortung, ich hatte Angst, das konnte ich nicht mehr. Sie hatten in Ihrem Leben viele Frauen. Kann man sagen, dass Sie manche von ihnen manchmal ausgenutzt haben? Die Frauen mich? Nein, Sie die Frauen. Ach Gott, ich weiß nicht. Vielleicht, ja. Aber ich hatte eben immer ein Ziel, wollte irgendwas sein. Ihre frühere Managerin Ann Busse, die Sie heiraten wollte und sich später umgebracht hat… Ja. Das sind halt Menschen, die von Anfang an zu mir gestoßen sind in meinem Leben. Und die mich begleitet haben. Meine Managerin, die Frau Busse, das waren tragische Umstände damals, die war dann auch nicht sehr gesund. Also alles tragische Dinge, die ich aber damals alle verdrängt habe irgendwie. Sie haben ja auch davon profitiert. Ja, aber sie auch von mir. Ich habe an diese Frau einfach so fünf Millionen Mark gezahlt. Also ich war immer sehr großzügig. Ich hab’ bestimmt in meinem Leben eine Million verschenkt. Es hat mir immer Freude bereitet, andere Menschen glücklich zu machen. Aber was ist mit den Menschen, die Sie unglücklich gemacht haben? Ich muss wieder sagen, ich bin da ganz klarer Buddhist. Ich kenne kein Bereuen. Ich kenne nur: Man lebt ein Karma aus mit einem Menschen. Und warum ein Mensch zu einem so oder so ist oder warum man selber manchmal auch ungerecht ist zu jemandem oder ihn ausnutzt, das hat alles — seit ich Buddhist bin, weiß ich das — das hat alles seine karmischen Hintergründe. Man weiß nie, was ein solcher Mensch in einem vergangenen Leben mal getan hat. Ist das nicht einfach eine Rechtfertigung, um sich nicht entschuldigen zu müssen? Ich entschuldige mich andauernd. Aber das tue ich, weil man das eben tut. In Wirklichkeit weiß ich GENAU: Menschen leben ihr Karma aus. Wenn sich einer ungerecht behandelt fühlt, kann er sicher sein — das sage ich jetzt 26

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„Sie haben mir die Füße gewaschen, und ich saß als Guru auf einem goldenen Thron.“ dir und allen Lesern ganz deutlich — dass er selber irgendwann irgendwie auch mal ungerecht war. Und das, was er getan hat, kriegt er früher oder später zurück. Wie? Von wem? Na, von wem auch immer. Auf jeden Fall: Wer so denkt, denkt richtig. Und wer so denkt, vermeidet natürlich schlechtes Karma. Wenn ich vom Karma weiß und trotzdem verhalte ich mich schlecht, das ist ja Masochismus. Wer so handelt, der... der fickt sich ja selbst. Wie fühlt sich Größenwahn an? Als Sie im goldenen Rolls Royce durch Deutschland fuhren, wirkte sich das aufs Karma aus? Ne, das war eigentlich Kinderwahn. Haha. Die Zeiten im Rolls Royce, das war wie so ein kleines Kind. Aber eines stimmt natürlich: Als Künstler muss man ein großes Ego entwickeln. Ohne ein großes Ego ist eine extreme Leistung — sei es als Künstler, Kämpfer, Schauspieler, Geschäftsmann — überhaupt nicht möglich. Dieses Ego kann einem später zum Verhängnis werden. Also, ich war natürlich sehr egoistisch. Aber ich war zielgerichtet: Ich wollte Nummer 1 werden. Und bleiben. Nichts Schlimmeres hätte es für mich gegeben, wenn das wieder weggegangen wäre.

Wie fühlt es sich dann an, plötzlich nicht mehr die Nummer 1 zu sein? Das wollte ich dann. Das wollten Sie dann? Das wollte ich dann. Weg. Das ist so, als ob man sagt: Mir reicht’s, immer Kaviar ist auch nicht gut. Also jetzt nicht mehr soviel Kaviar? Ja, alles hat sich ein bisschen beruhigt, aber ich leg jetzt mit dem „Gespensterstadt Remix“ wieder los. Wir wollten eigentlich ein ruhiges Leben führen, aber dann war er plötzlich 13 Wochen lang Platz 1 in den DJ Charts, insgesamt 50 Wochen. Also sagte ich, „Warum nicht? Mal schauen, was passiert.“ Und sonst so? Sie haben letztens auch was fürs Fernsehen gemacht. Das war eine Show, die ich in einer Ecke von Nordrhein-Westfalen gemacht habe, mit 2000 Zuschauern. Früher hatte ich dort meinen größten Erfolg, vor 25000 Fans. In Berlin ist das ein bisschen anders, aber ich wollte es versuchen. Vielleicht machen wir hier bald mal was Größeres. Bestimmt. Kann ich noch ein Autogramm für meine Oma haben? Ja, natürlich.


SOUTHERN COMFORT STYLING BOX Bald ist wieder Mardi Gras. In New Orleans wird jedes Jahr groß gefeiert und zwar stilvoller und bunter als zur gleichen Zeit in Deutschland, wo du deinem Chef als Matrose verkleidet beim Schunkeln zuschauen darfst. Für diejenigen, die es glamouröser und sinnesfreudiger mögen, verlost SOUTHERN COMFORT eine Mardi Gras Styling Box. Federboas, Masken, Hüte und natürlich auch SOUTHERN COMFORT, der Spirit von New Orleans in der Flasche, verscheuchen den schalen, heimischen Karnevalsgeschmack. On Top gibt es für die Gewinner einen Stylisten, der euch beim Verkleiden hilft. Der ist nicht in der Box, sondern kommt persönlich zu euch nach Hause, falls ihr gewinnt. Schickt eine Email mit dem Betreff „Mardi Gras“ an info@viceland.de. Der oder die Gewinner/in wird am 05.02. von uns benachrichtigt. Viel Glück!

Teilnahme ab 18 Jahren. Zusendung des Gewinns erfolgt nach Vorlage des Personalausweises. www.southerncomfort.de


Live Freed or Die Ein Interview mit Dolly Freed, Autorin von Possum Living VON AMY KELLNER, FOTOS MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON DOLLY FREED olly Freed ist meine Heldin. 1978 schrieb sie im Alter von 18 Jahren das clevere, witzige und offenherzige Manifest Possum Living: How to Live Well Without a Job and With (Almost) No Money. In dem Buch beschreibt sie, wie sie und ihr Vater (den sie in dem gesamten Buch ausschließlich unter dem netten Namen „The Old Fool“ erwähnt) ein Jahr lang für circa 700 Dollar lebten und sich an ihrer daraus resultierenden völligen Unabhängigkeit erfreuten. Und es ist auch nicht so, dass sie Hippies oder irgendwelche kauzigen Aussteiger waren, wie Dolly in ihrem Vorwort schreibt: „Warum gehen alle immer davon aus, dass man in irgendeiner abgelegenen Einöde leben, ein Hippie oder ein volkstümlicher, hart arbeitender, naturliebender Sojabohnen-und-Joghurt-Freak sein muss, um sich aus der Geldökonomie auszuklinken? Mein Vater und ich haben ein Haus auf einem halben Hektar Land 60 km nördlich von Philadelphia (also nicht gerade ein Außenposten der

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Zivilisation), führen nach außen hin einen typischen MittelklasseLebensstil und leben ganz ohne Job oder ein regelmäßiges Einkommen sehr gut, und das, ohne uns dabei tot zu machen.“ Klingt sie nicht süß? Sie fährt dann fort und erklärt einem Schritt für Schritt, wie man im Keller Kaninchen oder Hühner hält, seinen eigenen Schnaps brennt und Dinge wie Unterkunft, Fortbewegung, Gesundheitsvorsorge, rechtliche Angelegenheiten — also mehr oder weniger alle Lebensaspekte — geregelt kriegt. Sie beschreibt alles sehr genau und detailliert, aber gleichzeitig auf eine extrem lesbare, erfrischende Weise (obwohl ich zugegebenerweise die Kapitel über das Einkochen und die Grundsteuererklärung übersprungen habe). Durch das ganze Buch hinweg zeichnet sie ein Portrait von sich und ihrem Vater als absolut liebenswerte, wenn auch leicht kauzige Typen, das sogar dann noch funktioniert, wenn sie genaue Anleitungen schreibt, wie man Fallen für Ratten und Tauben baut (um sie zu essen). Sie hat zu allem eine Meinung und ihre Ratschläge treffen den Nagel meist genau auf den Kopf. Ihre Kur für Depressionen? „Renn, bis dir die Augen rausfallen.“ Ihr Tipp für Blähungen? Selbstgebrannter Schnaps. Ihr Mittel gegen Regelschmerzen? Ebenfalls selbst gebrannter Schnaps. Das nenn ich mal einen guten Rat. Das einzige Kapitel, bei dem ich etwas ins Zweifeln kam, war das, wo es um rechtliche Auseinandersetzungen geht, und Dolly vorschlägt, einfach nachts das Haus seines Kontrahenten aufzusuchen und „ihn wissen zu lassen, dass er einen Feind hat, der nicht die Absicht hat, das Spiel nach seinen Regeln zu spielen.“ Sie legt einem im Folgenden nahe, ihm einen Stein durchs Fenster zu werfen oder seinen Hund umzubringen, aber nur, wenn es ein böser Hund ist („Es ist keine Sünde, ein bösartiges Geschöpf zu töten.“) Verständlicherweise hat Dolly für die Neuauflage ihres Buches (das diesen Monat bei Tin House Books erscheint) einen Widerruf zu diesem Kapitel angefügt, aber alles im allem liest es sich trotzdem noch ziemlich krass.


Dolly Freed (was natürlich ein Pseudonym ist, falls euch das entgangen sein sollte) ist eine faszinierende Lady und ihr solltet dieses Buch lesen und euch außerdem den kurzen Dokumentarfilm über sie ansehen, der entstand, kurz nachdem Possum Living erschienen war (ihr findet ihn auf YouTube). Wenn ihr davon nicht wenigstens ein klein wenig Lust bekommt, dem Hamsterrad zu entkommen, muss euer persönliches Hamstertum schon sehr extreme Ausmaße angenommen haben. Mit einer besonderen Vorliebe für Stupides-im-Kreis -Laufen. Oder so was. Ihr wisst schon. Oh ja, und als Dolly die Schnauze vom „Possum Living“ voll hatte, drückte sie noch mal die Schulbank und wurde NASARaumfahrtingenieurin. Was ja kein großes Ding ist. Vice: Als Erstes möchte ich dir sagen, wie sehr ich das Buch liebe. Dolly: Oh! Danke! Als ein in der Stadt aufgewachsenes Mädchen bin ich neidisch auf dich, weil ich überhaupt keinen Plan habe, wie man ohne Geld zurechtkommen soll. Die Vorstellung macht mir echt Angst. Ich bewundere dich also ehrlich und habe viele Fragen an dich. Was hat dich zum Beispiel überhaupt erst einmal inspiriert, Possum Living zu schreiben? Nun, es gab eine Reihe Gründe. Der eine ist, dass ich mit 12 aufgehört habe zur Schule zu gehen. Also hatte ich immer diesen nervösen Drang, meine intellektuellen Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Außerdem waren die Winter sehr langweilig. Wir hatten kein Auto. Wir hatten kein Telefon. Wenn es kalt draußen war, gab es nicht allzu viel zu tun, also war das Schreiben ein gutes Winterprojekt. Ich hoffe, ich trete dir mit der Frage nicht zu nahe, aber warum bist du als eine so begabte Autorin und spätere NASA-Raumfahrtingenieurin denn in der 7. Klasse von der Schule gegangen? Ich bin jemand, der gern draußen ist. Ich laufe auch jetzt gerade, während ich mit dir telefoniere, in meinem Garten herum. In Häusern fühle ich mich eingeengt, weniger aufmerksam und manchmal frustriert. Sobald ich draußen bin, entspanne ich mich. Ich war auf jeden Fall auch immer anders als die anderen Kinder. Wir hatten, als ich aufwuchs, keinen Fernseher. Wir aßen Gürteltiere und solche Sachen. Ich war sehr sensibel und wurde oft gehänselt. Ich bin ein ziemlich extremer Mensch und daher nahm mich die Schule nervlich sehr mit. Das war für mich definitiv nicht die richtige Umgebung, dort den ganzen Tag hinter geschlossenen Türen an einem kleinen Schreibtisch zu sitzen, mit einem Haufen nerviger Leute um mich herum. Und deinen Eltern machte es nichts aus, dass du nicht mehr zur Schule gingst? Na ja, was das Fass für sie zum Überlaufen brachte, war, als sie irgendeinen Fragebogen über das Einkommen und die Ausbildung der Eltern ausfüllen sollten, und sie sich weigerten. Mein Klassenlehrer machte mir deshalb einen wahnsinnigen Druck. Er machte mein Leben echt zur Hölle. Ich kam jeden Tag weinend nach Hause. Also rief mein Vater den Lehrer an und sagte, „Das muss aufhören.“ Der Lehrer sagte, „Nun, ich brauche aber diese Unterlagen.“ Mein Vater sagte, „Nun, ich werde sie nicht ausfüllen.“ Der Lehrer sagte, „Warum nicht? Ich hab sie selbst auch ausgefüllt.“ Mein Vater sagte, „Bloß weil Sie ein Idiot sind, heißt das nicht, dass ich auch einer sein muss.“ Davon wurde das Ganze natürlich nicht besser. Zu der Zeit hatten meine Eltern ein Kerzengeschäft. Meine Mutter war die meiste Zeit des Tages dort. Sie ist sehr viel konventioneller als mein Vater, also war es dann mein Vater, der mich fragte, ob ich mit der Schule aufhören wolle, und es gab natürlich nichts, das ich lieber wollte. Also ging er zum Direktor und sagte, dass wir nach Kalifornien ziehen und dass er sich meine Zeugnisse nachschicken lassen würde, wenn wir umgezogen seien. Wir gingen und verabschiedeten uns von allen Lehrern. Dann blieb ich einfach zu Hause. Ich blieb tagsüber im Haus und ging nur raus, wenn die Schule aus war, und so hat meine Mutter wochenlang nichts davon mitgekriegt. Oh, wow. Das ist ziemlich gewieft. Ich wollte es ihr natürlich nicht sagen, weil ich auf gar keinen Fall wieder in die Schule wollte. Also blieb ich im Haus und las und las und las. Irgendwann kriegte es ein Nachbar mit und sagte es meiner Mutter. Aber da war es dann irgendwie schon zu spät.

Dein Vater klingt nach einem ziemlichen Knaller. Ich frage mich — der Ton des Buchs ist für eine 18-Jährige unglaublich selbstbewusst — meinst du, du hast das von ihm? Ja, sicher. Mein Vater war wahrscheinlich die cleverste Person, die ich je getroffen habe. Er war immer sehr eigenwillig und sah die Gesellschaft vor allem als Fassade. Nachdem er meine Mutter geheiratet hatte, hatte er einen normalen Job und hasste ihn aus denselben Gründen, aus denen ich die Schule hasste: die ganze Zeit drinnen sein zu müssen, die ganze Zeit dasselbe machen zu müssen. Als meine Mutter den Kerzenladen aufmachte, gab er seinen Job auf, um ihr zu helfen. Dann ließen sie sich scheiden. Meine Mutter zog mit meinem Bruder weg und ich blieb bei meinem Vater. Wir wohnten in einem heruntergekommenen Haus, das wir bei einer Zwangsversteigerung erstanden hatten. Wir hatten schon seit einiger Zeit einen eigenen Garten und hielten Hühner und Kaninchen und dann sagten wir uns einfach, „Damit können wir auch einfach weitermachen.“ Das klingt, als wärst du als Teenager schon sehr erwachsen gewesen. Die meisten Teenager wollen mit ihren Freunden abhängen und Zigaretten rauchen und so Sachen. Hattest du nie Lust auf solche Sachen? Weil ich so früh so eine erwachsene Rolle übernahm, rebellierte ich sehr spät, erst mit über 20, würde ich sagen. Und meine Rebellion war, normaler zu werden. In anderen Worten, ich ging aufs College, ich suchte mir einen Job, ich schaffte mir ein Auto an. Es ist hart zu rebellieren, wenn man eine eigene Schnapsbrennerei zu Hause hat! Man muss eine andere Art finden, rebellisch zu sein. Du hast also mit Mitte 20 mit dem Possum Living aufgehört? Ja, es war so, dass wir, nachdem das Buch begonnen hatte, sich zu verkaufen, als erstes ein Telefon kauften, weil wir für den Verlag und den Presseagenten erreichbar sein mussten. Das war eine große Veränderung für uns. Dann wollte ich gerne ein Auto. Aber wenn man einmal ein Auto hat, braucht man Geld, um es zu unterhalten. Also suchte ich mir einen Job als Reporterin für kleinere Beiträge bei der Lokalzeitung. Die Sache mit dem Possum Living ist, dass es nicht wirklich schwer ist, und wenn man es einmal drauf hat, gibt es keine wirkliche Möglichkeit, noch besser darin zu werden. Ich war also, glaube ich, bereit für eine neue Herausforderung, um zu sehen, was ich noch so alles konnte und Teil einer größeren Welt zu werden. Was gab es für Reaktionen auf das Buch? Sehr positive. Das Einzige, worüber die Leute sich aufregten, war der Teil, wo es darum geht, Hunde zu essen. Es war ja nicht so, dass ich den Leuten sagte, dass sie jeden Tag losziehen und Hunde essen sollen, aber ich fand, wenn man es mit einem bösartigen, gefährlichen Hund zu tun hat, den man töten muss, dass man den dann ebenso gut auch essen kann. Das war die einzige Sache, wegen der ich Hassbriefe bekam. Ein paar Kids in unserer Stadt kriegten irgendwie mit, dass wir das waren und fuhren an unserem Haus vorbei und riefen, „Hundefresser! Hundefresser!“ Das ist übel. Aber ich muss auch sagen, dass das eine Sache ist, über die man definitiv stolpert, wenn man das Buch liest. Du redest auch darüber, Katzen zu essen. Ja, das stimmt, aber die einzig Katze, die ich mich erinnere gegessen zu haben, war eine, die vom Auto überfahren worden war. Ich sag dir aber was, wenn man eine Katze häutet, stinkt das mörderisch. Ich habe nie ein anderes Tier gehäutet, das einen fieseren Körpergeruch hatte als eine Katze. Ihhh! Ich habe selber Katzen! Ich liebe Katzen! Versteh mich nicht falsch. Es war Winter und die Katze war schon tot. Der Katze hätte nichts mehr geholfen. Vermutlich nicht. Du musst wissen, dass wir auf einem Hügel wohnten. Dort ging eine Straße mit Geschwindigkeitsbegrenzung durch, die dann aber zur Landstraße wurde. Also fuhren die Trucks da mit 120 km/h durch. Da wurden ständig Tiere überfahren. Im Winter ist es in Pennsylvania so kalt, dass überfahrene Tiere im Prinzip so sind, als hätte man sie VICE

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Zirkus mit den Kaninchen will ich eigentlich nicht noch mal haben. Aber ansonsten freu ich mich drauf. Dein Mann arbeitet noch für die NASA, aber du nicht mehr? Ich habe die Karriere gewechselt, weil ich als NASA-Ingenieurin viel aushalten musste, und irgendwann merkte, dass ich in einem dunklen Gebäude in einer kleinen Nische an einem kleinen Schreibtisch saß und das nicht das war, was ich wollte. Wie hast du beschlossen, Raumfahrtingenieurin zu werden? Es kommt mir, ehrlich gesagt, wie das genaue Gegenteil des Possum Living vor. Na ja, zum einen habe ich zuviel Science Fiction gelesen. Ha, ha. Im Ernst. Und zweitens war ich sehr gut in Mathematik. Und wenn man sich informierte, hieß es dann sofort: „Du bist gut in Mathe — werd Ingenieur!“ Ich wollte etwas tun, das wichtig ist und Auswirkungen auf die ganze Menschheit haben würde. Wie ich schon sagte, ich war eine extreme Person. Ich hatte eine Menge Idealismus. Hast du an Raumschiffen mitgearbeitet? Ich habe am Space Shuttle mitgearbeitet.

grad aus der Tiefkühltruhe geholt. Wir haben uns zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von überfahrenen Tieren ernährt, solange sie nicht allzu zerquetscht waren. Na, du bist auf jeden Fall keine, die Angst vor Blut hat! In dem Buch gibt es ein ganzes Kapitel, wo es darum geht, wie man alle möglichen Tiere töten und essen kann, angefangen von Kaninchen und Enten, bis hin zu Murmeltieren, Ponys und Pumas. Habt ihr wirklich Pumas gegessen? Nein, das mit dem Puma war ein Scherz. Aber wenn du Fleisch isst und wenn die einzige Art, wie du Fleisch bekommst, ist, die Tiere selbst zu töten, dann kannst du es dir nicht lange leisten, in der Hinsicht zimperlich zu sein. Ich mag Tiere eigentlich sehr. Ich habe viele Haustiere. Wenn unsere Kaninchen krank wurden oder sich verletzten, wühlte mich das fürchterlich auf. Ich wollte nicht, dass sie leiden. Wenn wir sie töteten, taten wir das sehr schnell — auf viel bessere Art, als es bei dem Fleisch gemacht wird, was man zu kaufen kriegt. Ich esse kein Rindfleisch, weil ich es nicht ertrage, wie Kühe aufgezogen und geschlachtet werden. Also behandelten wir die Tiere, die wir hielten, auf sehr humane Weise. Der eigentliche Punkt ist, wenn sie einmal tot sind, sind sie tot. Und sie dann auszunehmen ist natürlich eine unappetitliche Angelegenheit, aber das ist ein Baby zu wickeln auch. Nach einem bestimmten Punkt ist es einfach eins der Dinge, die man im Leben tun muss, und man macht es halt einfach. Ich finde das bewundernswert. Ich könnte das nie. Ja, meinen Kindern würde das wahrscheinlich auch nicht gerade leicht fallen. Wir hatten hier eine Weile Hühner, bis der Hund von unserem Nachbarn sie umlegte. Aber sie aßen nur die Eier. Sie hätten sich sehr schwer damit getan, eins der Hühner zu schlachten. Hühner sind allerdings so unglaublich dumm, dass jede Form von Zuneigung zu ihnen reiner menschlichen Projektion entspringt. OK. Aber Hühner sind witzig. Man kann sie sich auf den Kopf setzen und mit ihnen wie mit einer Hühnermütze rumlaufen und sie finden das einfach nur bequem. Und sie kommen, wenn man sie ruft. Ich glaube, wenn ich es noch mal machen müsste, würde ich wahrscheinlich weniger Fleisch essen. Aber ich weiß, dass die Kaninchen, die wir hatten, die besten kleinen Kaninchenleben hatten, die man sich vorstellen kann. Glaubst du, dass Possum Living heute noch möglich ist? Oh, ja! Ich denke sogar, dass wir, wenn mein Mann in Rente geht, wieder damit anfangen werden. Wahrscheinlich nicht komplett. Den 30

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Oh, wow. Ich war mit zwei wichtigen Projekten an dem Ganzen beteiligt. Das eine hieß „Spacehab“ und zielte darauf ab, das Shuttle mit mehr Wohnfläche auszustatten. Dann gab es den Vorfall, wo die Challenger explodierte. Ich war Teil des Teams, das mithalf, herauszufinden, was da schief gelaufen war und wie wir es beheben konnten. Wir wurden alle im Flugzeug nach Florida gebracht, um uns dort die Überreste anzusehen. Das war sehr hart. Dann gingen wir zurück und begannen an Ideen zu arbeiten. Bei einem meiner Projekte ging es darum, zu schauen, ob wir eine Möglichkeit finden könnten, die O-Ringe zu ersetzen, die für die Explosion der Challenger verantwortlich waren. Du bist wahrscheinlich zu jung, um dich zu erinnern, dass es danach eine große Kommission gab, um herauszufinden, was passiert war. Es ging darum, dass viele Leute ihren Arsch retten wollten. Ja, das wusste ich nicht. Ich kann mich nur noch erinnern, wie ich es in meiner Schule in der Aula im Fernsehen sah. Nun, die Frage war, ob das kalte Wetter (denn es war ein ungewöhnlich kalter Tag) die Leistung der O-Ringe beeinträchtigt hatte. Alle schrieen, „Nein, nein, nein,“ weil ihr Arsch auf dem Spiel stand. Richard Feynman, der Träger des Nobelpreises für Physik, war in dieser Kommission. Er nahm einen O-Ring, steckte ihn in ein Glas Eiswasser, nahm ihn heraus und zerbrach ihn. Da konnte es keiner mehr leugnen. Aber das Management hatte diese Hinweise bis hinauf in die höchste Ebene ignoriert. Das lag daran, dass Ronald Reagan an dem Abend seine Ansprache zur Lage der Nation halten sollte. Und er wollte bei der Gelegenheit verkünden können, „Wir haben Zivilisten ins All gesandt.“ Also gab es eine Menge Druck, den Start durchzuziehen. Sie sagten also, „Wir machen weiter und führen den Start durch, obwohl es eigentlich zu kalt ist.“ Also zogen sie es durch und das Shuttle explodierte. Ich fühlte mich, als hätten wir diese Leute in die Luft gesprengt—als hätten wir bei der NASA diese Leute persönlich im Stich gelassen. Das hat mir komplett den Wind aus den Segeln genommen. Deshalb bist du dort weg? Ja, das war einer der wichtigsten Gründe, warum ich da weg bin. Das kann ich gut verstehen. Ja, ich konnte nicht länger in so einer großen bürokratischen Struktur arbeiten. Ich konnte nicht mehr für eine Einrichtung arbeiten, die so etwas zuließ. Also hast du die Karriere gewechselt? Ja. Aber natürlich war das nicht so einfach. Ich hatte viele Ängste, so nach dem Motto, „Was werde ich nun mit meinem Leben anfangen?“ Es war nicht leicht gewesen, Raumfahrtingenieurin zu werden. Ich hatte sehr hart dafür gearbeitet. Ich hatte für das Studium eine Menge Kredite aufgenommen. Mein Mann und ich lebten in einem winzigen Appartement, um unsere Kredite zurückzahlen zu können und Geld zu sparen, weil wir beide sparsame, eifrige Bienen waren. Er sagte, „Hör zu, mach einfach, was dich glücklich macht.“


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Ja, ich wollte dich auch danach fragen. Du empfiehlst den Leuten, das Gesetz auf sehr riskante Weise in die eigenen Hände zu nehmen. Hast du jemals Ärger bekommen? Nein, ich habe diese Dinge auch nie gemacht. Es war mehr mein Vater, der das alles gemacht hat. Ich habe ihn manchmal dabei begleitet, aber — wie ich im Nachwort schreibe — habe ich dabei gelernt, dass es nicht die beste Idee ist, die Leute zu bedrohen, um zu kriegen, was man will. Es mag manchmal funktionieren, aber auf lange Sicht hilft es einem nicht und es macht einen schlechten Menschen aus einem. Als sie also wegen der Neuauflage bei mir anfragten, sagte ich ihnen, dass wir einen Widerruf dazu schreiben müssen. Jedenfalls bin ich selbst nie in Schwierigkeiten geraten, aber nachdem ich ausgezogen war, hatte mein Vater Probleme mit der Polizei. Stimmt, du hast geschrieben, dass er ein paar Häuser abbrannte, um zu verhindern, dass Baufirmen in einem Landschaftsschutzgebiet bauten? Ja, das hat er getan. Gott sei Dank war keiner darin. Sie befanden sich noch im Bau. Aber, mal abgesehen davon, dass das eine schlimme Sache war, war es noch nicht mal effektiv. Sie haben die Häuser einfach wieder aufgebaut. Ja.

Ich arbeitete damals am Wochenende ehrenamtlich in dem örtlichen Naturzentrum. Eine Art, sich darüber klar zu werden, was man beruflich machen will, ist sich zu fragen, ob man es auch ehrenamtlich machen würde. Also nahm ich einen Teilzeitjob in dem Naturzentrum an und liebte es. Ich liebe es, unter Blätter zu schauen, unter Felsen, ins Wasser und in die Bäume, und Vögel, Insekten und Schmetterlinge zu beobachten. Das ist für mich wie Meditation. Dann brauchten sie Lehrer. Am Anfang dachte ich, dass mir das keinen Spaß machen würde, aber dann begann ich, Kinder zu unterrichten und fand es toll. Und wie sich herausstellte, war ich sehr, sehr gut darin. Es gibt viele Dinge, in denen ich sehr schlecht bin. Was Kunst betrifft bin ich hoffnungslos. Musik auch. Aber ich kann mit einem Haufen Kinder rausgehen und sie für die Natur begeistern und sie ihnen nahe bringen. Das ist sozusagen das, wozu ich geboren bin. Ah, das ist sehr inspirierend. Ich bin echt neidisch. Die ganzen Ratschläge, die du im Nachwort des Buches gibst, darüber, wie man es schafft, zufrieden mit seinem Leben zu sein — da habe ich angefangen, darüber nachzudenken, was zum Teufel ich mache. Oh, das ist gut. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil ich, als ich das Original geschrieben habe, ganz schön altklug war. Ja, aber das ist genau der Grund, warum es toll ist. Es gibt eine Menge Bücher darüber, wie man mit wenig Geld auskommt, aber deins zu lesen hat so einen Spaß gemacht. Ich habe das ganze Buch in einem Stück durchgelesen, weil du es in so einem freundlichen und witzigen Ton geschrieben hast. Das ist, glaube ich, das, was es besonders macht. Und was das Altkluge betrifft — ich habe keine Ahnung, wie du es geschafft hast, mit 18 ein derartiges Selbstbewusstsein zu haben! Mädchen sind in dem Alter normalerweise sehr unsicher. Du beschreibst dich als „umwerfend.“ Nun, das war ich auch! Das glaub ich sofort! Fanden deine Freunde deinen Lebensstil nicht etwas seltsam? Doch, durchaus. Aber sie fanden es toll! Es war ein Ausbrechen aus den Grenzen der normalen Zivilisation. Du kommst und besuchst mich, und dann gucken wir nicht zusammen fern, sondern gehen im Bach schwimmen. Oder wir gehen angeln. Wir spielen Poker und werfen Erdnussschalen auf den Boden, bleiben lange wach... Wenn du dir das Buch heute durchliest, gibt es da Dinge, über die du lachen musst, oder die dir peinlich sind? Ja, zum Beispiel das Kapitel über rechtliche Fragen. Ich habe gedacht, „Oh Gott, ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich geschrieben habe.“ 32

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Also haben sie ihn dafür rangekriegt? Nein, sie haben ihn nicht erwischt. Jedenfalls nicht dafür. Sie kriegten ihn dann ran, weil er jemanden bedroht hatte und er wurde dafür ins Gefängnis geschickt. Das war lange, nachdem ich da ausgezogen war. Ich hätte so nicht leben wollen. Das war ein Teil meiner Rebellion: zu Hause auszuziehen und gesetzestreu zu leben! Na, jedenfalls meistens. Witzig. Gab es, als du weggingst, etwas, das du dir sofort gegönnt hast, weil du es immer wolltest, aber nicht haben konntest? Oh, Sushi! Als sie mich auf Lesetour schickten, aß ich in New York zum ersten Mal Sushi. Das war ein großer Bonus. Dann ging ich in ein paar Clubs. Einer davon war wie ein Zirkus ausgestaltet. Es war ein Drag Club. Es hat mich umgehauen! So etwas gab es in unserer kleinen Stadt nicht. Ich tanzte gerne, also machte es mir Spaß. Heute wäre ich wohl etwas vorsichtiger, aber damals ging ich einfach auf Leute zu, die ich nicht kannte, und sie zeigten mir den Central Park oder nahmen mich mit in einen Club. Warst du nicht auch bei ein paar Talkshows? Oh ja. Die waren sehr lustig. Ich trat bei vielen Lokalsendern auf. Und im Radio. Unter anderem bei Merv Griffin. Es gab einen Dokumentarfilm über Possum Living. Wenn du mich im Buch altklug findest, solltest du mich mal im Fernsehen sehen. Haben deine Kinder das Buch gelesen? Mein Sohn hat es nie zu Ende gelesen. Er leidet unter einer leichten Aufmerksamkeitsstörung. Meine Tochter las das Buch und sagte, „Und warum kann ich keine Schnapsbrennerei betreiben?“ Ha ha ha. Ein Teil dieser Dreistigkeit rubbelt sich dann mit dem Alter von einem ab. Das meiste von dem, was ich geschrieben habe, trifft immer noch zu. Ich habe einen großen Teil davon in mein tägliches Leben integriert. Ich halte zwar keine Kaninchen im Keller, aber ich achte immer noch darauf, wie Tiere gehalten und gegessen werden und ich habe immer einen Garten gehabt und bewusst darüber nachgedacht, wie ich mein Leben lebe. Aber ich weiß, dass ich ein bisschen vorsichtiger geworden bin, als ich es mal war. Ich hoffe, das ist jetzt nicht enttäuschend, aber wenn man älter ist, hat man einfach schon mehr gesehen. Es ist keine gute Idee, Leute zu terrorisieren. Schlecht. Ganz schlecht. Ha ha, ja, ich hab’s kapiert. Aber außer dem Teil, wo es darum geht, Leute zu terrorisieren und der Sache mit dem Katzenessen finde ich dein Buch sehr inspirierend. Wenn ich meinen Job aufgebe, ist es deine Schuld. Meine Schuld! Ich weiß noch nicht mal, ob sie dich in einem Keller in New York überhaupt Kaninchen halten lassen würden. Na, es gibt ja den Central Park. Da hast du’s! Haufenweise Tauben!


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Das Pornografische Manifest Ein freundschaftlicher Besuch bei Ando Gilardi, Italiens wichtigstem Kurator nackter Personen INTERVIEW VON TIM SMALL FOTOS VON EDWARD SCHELLER ARCHIVBILDER MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON ANDO GILARDI UND PATRIZIA PICCINI

ir sind vor kurzem durch den Piemont — ein paar Dutzend Meilen oder so nördlich von Genua — in das verschlafene norditalienische Dörfchen Ponzone gefahren, um uns dort mit Ando Gilardi zu treffen, einem 89-jährigen italienischen Fotografen, Autor, Journalisten, Herausgeber und perversesten Perversling der Halbinsel, von dessen Existenz wir, wie wir peinlicherweise zugeben müssen, bis wenige Wochen vorher nichts wussten. An jenem verheißungsvollen Tag waren wir in Mailand nämlich in einem Secondhand-Shop auf zwei seiner Magazine, Fhototeca Materiali und Phototeca, gestoßen. Sie waren anders als alles, was wir bis dahin gesehen hatten. Seine Magazine beinhalten extreme und in erster Linie erotische Bilder, die nach präzisen, aber sehr ungewöhnlichen ikonografischen Themen sortiert waren. Ihre schrillen Layouts reichten von doppelseitigen Collagen aus dutzenden Blowjobs hin zu Gegenüberstellungen viktorianischer erotischer Karikaturen und Pornovideokassetten-Covern aus den 80er Jahren, mit zwischendrin (scheinbar) wahllos verstreuten Gedichten und esoterischen Textschnipseln. Als Chefredakteur hatte dieser Typ ein einzigartiges Talent darin Titel bzw. Themen für die Ausgaben auszuwählen, darunter Perlen wie „Rassistische Schwachköpfe und Hurensöhne, heute Abend ist ein Pogrom und ich habe nichts anzuziehen“, „Die künstliche Hure“, „Arschokratie“ und „Katastrophen, verdammtes Pech und Endlösungen,“ um nur ein paar zu nennen. Wir stellten bald fest, dass diese wunderbaren Werke nur ein kleiner Vorgeschmack auf das ein halbes Dutzend Publikationen umfassenden Oeuvre waren, das Ando während seiner Karriere geschaffen hat. Wir waren sofort süchtig nach mehr. Es stellte sich aber heraus, dass Andos unfehlbarer Geschmack für erhebende pornografische Bilder bei Weitem nicht der einzige Grund ist, sich mit ihm unterhalten zu wollen. Er hat außerdem die fotografische Dokumentation des Holocaust, die später als Beweismaterial bei den Nürnberger Prozessen verwendet wurde, mitkuratiert, ein dutzend Bücher über Fotografie und andere Themen verfasst, eins der weltweit größten Archive erotischer Bilder geschaffen und

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sich von 1960 bis 1962 mit Pier Paolo Pasolini die redaktionelle Verantwortung für das wöchentliche Gewerkschaftsmagazin der Italienischen Kommunistischen Partei, Vie Nuove, geteilt. Wir wurden bei Ando zu Hause von seiner Frau, Luciana, und seiner langjährigen Assistentin und Kollaborateurin, Patrizia Piccini, sehr freundlich empfangen. Wir saßen in seinem rot-grün-orangefarbenen Wohnzimmer und Studio und plauderten ein paar Stunden ganz entspannt über alles, von Fotografie bis hin zu der Frage, warum Ando der Meinung ist, dass Frauen Sex hassen. Vice: Ich konnte nicht sehr viel über deine unglaublichen Zeitschriften herausbekommen. Es gibt so viele, aber wenn ich eine benennen müsste, die mir am besten gefällt, würde ich Fhototeca Materiali nehmen. Also erzähl mal, wer hatte die Eier, ein solches Blatt herauszubringen? Ando Gilardi: Der Verleger war ein Produzent und Vertreiber von Pornovideos. Das macht Sinn. Wie kam es zu deiner Zusammenarbeit mit ihm? Wir hatten ein paar Jahre vor Fhototeca Materiali eine Zeitschrift gegründet, die Phototeca hieß. Es war ein recht großes Magazin und jede Ausgabe war um ein bestimmtes Thema herumstrukturiert. Wir sammelten eine große Anzahl Bilder zu einem bestimmten Thema — darunter alte und neue, vor allem aber sehr alte — und die packten wir dann alle in eine Ausgabe des Magazins. Phototeca wurde von einem Verleger finanziert, der ein bisschen Geld hatte. Er investierte vor allem aus Eitelkeit in das Blatt. Mein Ruin — und mein großes Glück — war, dass dieser Verleger es schaffte, mich zu überzeugen, dass ich schreiben konnte. Ich wünschte, ich hätte nie geschrieben! Ich war schon aus der Kommunistischen Partei rausgeflogen und aus der Redaktion von L’Unita, der kommunistischen Tageszeitung, weil Leute mich überzeugt hatten, dass ich gut schrieb. Am Ende machte der Verleger den Laden dicht. Er sagte, „Ohhh, wir müssen diesen Gilardi loswerden. Noch dazu ist er Jude, stellt euch bloß vor!“ Also verkaufte er die Zeitschrift an einen anderen Verleger, der den Namen änderte.

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„Da wurde mir klar, dass Worte oft gebraucht werden, um Dinge zu verstecken und Fotos gebraucht werden, um sie zu zeigen.“ Das war der Zeitpunkt, wo Fhototeca draus wurde, mit einem „F“? Patrizia Piccini: Ja. Der Verleger über den Ando spricht — der, der Phototeca verkauft hat — war auch der Verleger von Photo Italia. Und dieser neue Verleger nahm das „P“ und ersetzte es mit einem „F“. Ando: Und nach einer Weile wurde auch die eingestellt. Patrizia: Er war nicht so am Vertrieb interessiert. Ihm war nur wichtig, dass es gedruckt wurde. Er fing an, unsere Ausgaben zu kürzen, die ganzen Redakteure und den Art Director zu entlassen und am Ende waren es nur noch Ando und ich. Ando: Aber wir machten es so gerne, dass es uns egal war. Und dann, ganz am Ende, gründeten wir noch ein Magazin, das, was du als erstes erwähnt hast — Fhototeca Materiali. Es war mehr oder weniger dasselbe, nur mit einem besonderen Fokus auf alte Bilder und besonders erotische. OK, lass mich versuchen, alles zusammenzukriegen: Vor Phototeca, Fhototeca und Fhototeca Materiali hast du bei einer Zeitschrift namens Photo 13 gearbeitet, und nach diesen ersten vier hast du noch Fhototeca Index und Index: Storia Infame della Fotografia Pornografia gegründet? Patrizia: Ja, das war die Reihenfolge. Ando hat sie alle gegründet. Und sie konzentrierten sich mit der Zeit immer mehr auf erotische Fotografie. Etwas, was all die Magazine gemeinsam haben, ist diese Warnung auf dem Cover, „Nur für kultivierte Erwachsene.“ Patrizia: Ja. Die staatlichen Zensoren hatten uns aufgefordert, „Nur für Erwachsene“ als Warnung aufs Cover zu drucken, aber wir mochten das nicht. Wir fanden das etwas abwertend. Also fügten wir dem Ganzen unseren eigenen Touch hinzu. Gehören die Bilder alle euch? Ando: Wir haben ein paar Dutzend Schränke voller Negative und Dias. Patrizia: Wir zogen los und durchstöberten alle möglichen Sammlungen und reproduzierten, was uns gefiel. Es waren nicht alles Originale. Ando: Patrizia! Du wirst sterben, ohne etwas dazugelernt zu haben. Du sollst sagen: „Ja, wir haben die Originale von allen Bildern.“ Patrizia: Das stimmt ja zum Teil auch. Wir haben in unserem Archiv in Mailand eine Menge Originale. Was hat euch bewegt, diese Magazine aus wenig Text und vielen erotischen Bildern zusammenzustellen? Ando: Das ist eine gute Frage, aber auch eine dumme. Unser Magazin war normal. Es waren die anderen Magazine, die richtig scheiße waren.

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Ja, stimmt. Aber wie kam es überhaupt erstmal dazu, dass du anfingst, dich für Fotografie zu interessieren? Das ist eine alte Geschichte. Nach dem Krieg—ich war im Widerstand aktiv — bekam ich von einem jüdischen Hauptmann der amerikanischen Armee als Lohn für meine Dienste Essensmarken für ihre Kantine. Sie suchten Fotografen, die Bilder der Shoah, des Holocaust, reproduzieren und drucken konnten. Das war für die Nürnberger Prozesse. Da gab es also Geld zu verdienen. Ich begann Abzüge von Fotos zu machen, die wir bei Gefangenen fanden, oder die von Juden versteckt worden waren, oder wie auch immer. Dabei wurde mir klar, dass Worte oft gebraucht werden, um Dinge zu verstecken und Fotos gebraucht werden, um sie zu zeigen. Das war der Moment, in dem ich beschloss, mit Fotografie zu arbeiten. Du hast auch erwähnt, dass du kurzzeitig für die kommunistische Zeitung L’Unita gearbeitet hast, die von dem großen politischen Theoretiker und Philosophen Antonio Gramsci gegründet wurde. Wie war das so? Ich habe sehr, sehr lange dort gearbeitet, aber es endete im Streit. Ich wurde bei L’Unita rausgeschmissen, weil es ihnen wieder mal nicht passte, dass ich so gut schreiben konnte. Aber sie schmissen mich nicht aus der Partei. Dort hatte ich viele Freunde. In diesen Jahren gab es dort diese internen Verfahren, keine zivilrechtlichen Verfahren, sondern Verfahren innerhalb der Partei. Da wurde man aus politischen und kulturellen Gründen angeklagt. Sie dachten, dass sie mir nicht trauen konnten — nicht weil ich unehrlich gewesen wäre, sondern weil ich intelligent und kultiviert war und eine Menge Bücher gelesen hatte. Sie argumentierten also nicht, dass ich etwas falsch gemacht hätte, sondern, dass ich in Zukunft etwas falsch machen könnte. Wenn ein Genosse in dieser Periode bestraft werden sollte, schickte man ihn zu den Gewerkschaften. Die Gewerkschaften galten als eine Art Verbannung. Aber ich habe die Partei nie verlassen. Die Partei verließ mich! Ich war bis zum Ende dort, bis die alte Partei starb. Was ist dir bei der Gewerkschaft passiert? Sie kriegten leider mit, dass ich schreiben konnte, und somit Teil einer niederen Rasse war. Also schickten sie mich zu Lavoro, einer Tageszeitung, die die Bosse in eine Wochenzeitung der Gewerkschaft umwandeln wollten. Ich arbeitete mit Gianni Toti, dem großen Lyriker, und einer Frau namens Lietta Tornabuoni, die später eine berühmte Journalistin wurde. Sie war auch bestraft und von NoiDonne, der historischen italienischen feministischen Zeitschrift, weggeschickt worden, weil — und ich weiß, dass ich ihr mit dieser Aussage ein Kompliment mache, das sie schätzen wird — sie toll im Ficken war und Ficken liebte. Sie vögelte alle Männer, die sie in einem Umkreis von zehn Meilen sehen konnte. Die anderen Feministinnen hassten sie


Im Uhrzeigersinn von oben links:: “Lift the Leaf,” Fhototeca N° 40, Mai/ Juni 1988; “Differents, Gaydrunks, and Embarrassing Couples,” Phototeca N° 6, Frühjahr 1982; “The Artificial Whore,” Fhototeca N° 41, Juli/ April 1989; Innenteil aus “Innocent Games and Sinful Flirts,” Phototeca N° 16, Winter 1984; “Assocracy 2,” Fhototeca N° 39, März/ April 1989

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Seiten aus “Catastrophes, Damn Bad Luck, and Final Solutions,” Phototeca N° 5, Winter 1981. Der Text sagt, “Schatten, Ratten, Reißzähne, Ärsche, Mumien, Monster, und Schwänze: Omen und Symptome des Verfalls Vorläufer der Zerstörung Anzeichen für das Ende. Oder nicht?”

Seiten aus “Common People,” Phototeca N° 10, Frühjahr 1983

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„Du Arsch! Du denkst wirklich, Ando Gilardi würde jemals für ein Bild bezahlen? Du musst verrückt sein.“ natürlich. Also machten wir diese Wochenzeitschrift. Aber mir wurde bald klar, dass ein solches Magazin nicht funktionieren konnte. Warum? Erstens funktioniert ein Magazin nicht ohne Werbung. Aber die großen Firmen packten ihre Werbung natürlich nicht in ein Gewerkschaftsmagazin. Damit würde sie ja dieselben Leute unterstützen, die die Streiks in ihren Betrieben organisieren. Klar. Und der zweite Grund? Weil es keine größeren Arschlöcher gibt als linke Intellektuelle. Ich meine damit die Fähigkeit logisch zu argumentieren, besonders im Bezug auf die Linke der Nachkriegszeit. Denk mal drüber nach: Du arbeitest in einer Fabrik, oder auf dem Feld, für ein Scheißgeld und machst jeden Tag den Buckel krumm. Du wachst jeden Morgen auf und lässt dich in den Arsch ficken. Und während du arbeitest, fühlst du — oder besser, weißt du — dass du dich für ein paar Cent in den Arsch ficken lässt! Und wenn du dich dann einen Tag lang in den Arsch ficken lassen hast, gehst du nach Hause und liest was? Du liest eine Zeitung, die genauestens die unterschiedlichen Weisen schildert, auf die du in den Arsch gefickt wirst. Eine Zeitung, in der steht: „Du dachtest, du wirst nur in den Arsch gefickt? Nein, du dummer, ungebildeter Arbeiter, ich werde dir jetzt mal die Augen öffnen! Lies weiter, ich erklär dir, auf wievielen anderen Ebenen du auch noch in den Arsch gefickt wirst. Ebenen, von denen du noch nicht mal was ahnst. Du dachtest, sie ficken dich bis zum Bauch, aber warte, Genosse, in Wirklichkeit ficken sie dich bis zum Hals!“ Diese Zeitschriften wurden theoretisch nur intern verteilt. Das heißt, dass dieselben Arbeiter, die hier nachlesen konnten, wie sehr sie in den Arsch gefickt werden, in ihrer Freizeit losziehen sollten, um einen Stapel der Zeitungen abzuholen, unter ihrem Mantel zu verstecken und sie — unter dem Risiko, eine Strafe zahlen zu müssen oder gar ihren Job zu verlieren — an ihre Arbeiterkollegen verteilen sollten, um sie über ihre wiederholte, die ganze Klasse durchziehende Arschvergewaltigung zu informieren. Das ist so, als ließe man Todesstrafenkandidaten ein Magazin über die Feinheiten des elektrischen Stuhls und der Todesspritzen machen. Aber es hat dir dennoch Spaß gemacht? Ich habe es geliebt! Ich war der erste Fotograf, der ein Farbfoto von Sophia Loren veröffentlichte. Sie war so wundervoll! Ich brachte ihr Bild auf dem Cover von Lavoro, für die Ausgabe am Maifeiertag. Und dann wurde Lavoro eingestellt. Und du fingst an, bei dem inzwischen legendären Magazin der Kommunistischen Partei, Vie Nuove, zu arbeiten. Kopien davon werden auf eBay für über hundert Dollar gehandelt. Ja. Bei Vie Nuove schrieb ich vor allem Editorials über Fotografie. Die einzigen anderen Editorials, die es in der

Zeitschrift gab, waren von Pier Paolo Pasolini. Und Pasolini war, nun ja, Pasolini. Ich fand ihn nie so toll, wie alle anderen das anscheinend taten, aber er war Pasolini. Ein Riesenname! Willst du eine gute Pasolini-Story hören? Klar! Damals gab es logischerweise kein Internet, also hatten wir im Büro der Redaktion von Vie Nuove so einen Jungen, der zu Pasolini nach Hause geschickt wurde, um die Kopien seiner Editorials abzuholen. Eines Tages kam dieser Junge ganz erregt und wütend von Pasolini zurück. Er fing an, „Diese Schwuchtel! Er hat mir an den Arsch gegriffen! Er wollte, dass ich ihm einen blase!“ Und weißt du, was sie taten? Statt diesen kleinen Scheißer rauszuschmeißen, diesen Niemand, der sich hätte geehrt fühlen sollen, Pasolinis Schwanz zu lutschen — was taten sie? Sie warfen Pasolini bei der Zeitung raus und später dann auch bei der Partei. Ich sag dir, die Linke war einfach nur bescheuert. Und während dieser ganzen Zeit warst du damit beschäftigt, dein Bildarchiv aufzubauen? Ja, ich habe meine Leidenschaft für historische fotografische Dokumente nie verloren. Ich habe mein Leben lang Sammlungen und Museen durchstöbert. Wenn ich auf Dinge stieß, die ich mochte, reproduzierte ich sie, wie ich es für die Nürnberger Prozesse gemacht hatte. Ich habe ein paar Techniken der Vor-Ort-Reproduktion entwickelt, bei denen niemand etwas mitbekam. Und das zu einer Zeit, als es noch keine Blitzlichter gab. Ich erfand diese Maschinen — eine Art Koffer — in denen ich alles versteckte, was ich an Material und Geräten brauchte. Diese Koffer schleppte ich überall mit mir herum. Aber es muss doch auch Situationen gegeben haben, wo du Geld für Bilder bezahlen musstest, die du aus irgendeinem Grund nicht reproduzieren konntest? Was!? Jetzt klingst du wie dieser Junge bei Vie Nuove. Du Arsch! Du denkst wirklich, Ando Gilardi würde jemals für ein Bild bezahlen? Du musst verrückt sein. Im schlimmsten Fall fragte ich den Museumsdirektor, ob er einen Abzug von dem Bild will. Aber nur, wenn er mir die Entwicklung und den Film bezahlte. Ich habe nie irgendwas gekauft. Ich habe nur mein Zeug überall mit hingeschleppt und getan, was ich halt tat und reproduziert, was ich ohne entdeckt zu werden konnte. Ich glaube, ich fange an zu verstehen, warum wir Juden am Ende doch immer wieder gewinnen. OK, OK, ich kapier’s. Es ist ein bewundernswertes Talent. Aber der Scheiß muss ja eine Tonne gewogen haben. Wie hast du das Tag für Tag hingekriegt? Ich kann nicht all meine Geheimnisse verraten, aber ich bin sehr stolz darauf. Du darfst nicht vergessen, dass ich als Kind Polio hatte und seitdem eins meiner Beine gelähmt ist. Deshalb bin ich sehr eitel und habe einen extremen Stolz. Ich war Partisan und hatte nur ein Bein. Du denkst wahrscheinlich, es bedarf eines besonderen Geschicks und Muts,

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„Wenn man tief in den Menschen hineinsieht, merkt man, dass wir Ficken weniger lieben, als anderen Menschen beim Ficken zuzusehen.“ mit nur einem Bein Partisanenkämpfer zu werden. Stimmt aber nicht, Krieg ist einfach. Was schwer war, war zu scheißen. Partisanen scheißen in den Wald. Und um in den Wald zu scheißen, musst du dich hinhocken können. Und nun versuch dir vorzustellen, wie es ist, sich hinzuhocken, wenn du dich nur mit einem Bein abstützen kannst. Sogar dabei musste ich mir was einfallen lassen, etwas erfinden. Und, wie hast du es geschafft, dich zum Kacken hinzuhocken? Eine der ersten Waffen, die ich hatte, war eine British Sterling. Ich funktionierte sie zu einem Holzbein um. So benutzte ich sie, wenn ich im Wald scheißen musste. Das war eine wirklich grandiose Erfindung. Lass uns noch einmal über dein Archiv sprechen. Du hast zehntausende Fotos reproduziert, die dir nicht gehörten. Ich gehe also mal davon aus, dass du nicht an das Konzept des geistigen Eigentums glaubst? Ich erkenne keinerlei Rechte auf Bilder an. Das widerspricht meiner tief empfundenen moralischen Überzeugung. Lass es mich so ausdrücken: Du malst ein Bild und stellst es aus. Ich komme mit meiner Kamera in deine Ausstellung und mache Fotos von deinem Bild. Ich begehe aber nur dann ein Verbrechen, wenn ich die entwickle, verkaufe und das Geld selber behalte. Wenn ich es aber zu Hause aufhängen will, es mir ansehen will, damit spielen will, einen Schnurrbart drauf malen will wie Duchamp—ist das meine Sache. Jetzt ist es vielleicht an der Zeit, dass wir uns über deine erotischen Sachen unterhalten. Das ist schließlich der hauptsächliche Grund, warum ich mich mit dir unterhalten wollte. Ich habe noch nie zuvor solche erotischen Zeitschriften gesehen wie die, die du gemacht hast. Ich denke, ich bin wahrscheinlich einer der besten Pornoexperten der Welt. Das erinnert mich an einen der Sprüche, die du in der Fhototeca hattest: „Ein obszönes Foto ist nie ein verschwendetes Foto.“ Ja, das habe ich geschrieben. Das stimmt! Mir fiel dabei auf, dass du immer eher an den funktionalen Gesichtspunkten von Bildern interessiert bist — egal ob es sich dabei um historische Dokumente oder Polizeibilder oder Pornos handelt — und nicht so sehr an Bildern, die schön sind, um ihrer Schönheit willen. Erotische Bilder sind ganz klar Bilder mit einer Funktion. Warum zog dich das, abgesehen von der offensichtlichen Tatsache, dass es ein wundervoller Zeitvertreib ist, sich Bilder von nackten Menschen anzusehen, an? Ich habe ein Buch mit dem Titel Storia della fotografia pornografica [dt.: Die Geschichte der pornografischen Fotografie] geschrieben, weil ich das pornografische Bild, nicht unbedingt nur Foto — denn Fotos sind nur die neuste

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Art, ein solches Bild auszudrücken — für fundamental wichtig halte. Denk nur an die Höhlen in den Pyrenäen; eins der häufigsten Bilder, die von paläolithischen Homo Sapiens in diesen Höhlen gezeichnet wurden, ist das der Vagina. Die Vagina ist eins der ersten Dinge, die zum reinen Symbol werden: einem einfachen V. Oder ein V mit einer Linie durch die Mitte. Es ist extrem interessant nachzuverfolgen, wie sich dieses Bild im Laufe von 50.000 Jahren entwickelt hat. Die neuste Entwicklung auf diesem Gebiet ist die rasierte Pussy. Das ist erst seit kurzem üblich. Schamhaar hatte nur eine Berechtigung, als Frauen noch wie Affen auf vier Beinen liefen und das Haar eine Schutzfunktion hatte. Als Menschen anfingen, auf zwei Beinen zu laufen, verlor es seine Funktion. Ich finde das Rasieren von Schamhaar extrem interessant, weil erst damit das Bild der perfekt sichtbaren Vagina wieder in die Ikonografie zurückgekehrt ist. Ich liebe diese AmateurPornografen, die versuchen, das Gesicht und die Vagina einer Frau gleichzeitig zu fokussieren. Ich würde gerne ein Buch über die Geschichte der digitalen pornografischen Fotografie schreiben. Bist du ein Fan von YouPorn und dieser Art Video-Websites? Ich finde xnxx.com am besten. Ich gehe gerne auf ihre TagSeite und schaue mir an, welche Tags beliebter oder weniger beliebt werden. Es ist ein Massenphänomen. Man muss schon sehr dumm sein, um das nicht ernst zu nehmen. Denkst du, dass diese Websites deine Art Arbeit überflüssig gemacht haben? Überhaupt nicht. Ich glaube, dass sie das wichtigste Verlangen der Menschen ans Licht gebracht haben: den Voyeurismus. Wenn man tief in den Menschen hineinsieht, merkt man, dass wir Ficken weniger lieben, als anderen Menschen beim Ficken zuzusehen. Was bringt dich zu diesem Schluss? Nun, Ficken stinkt und strengt an und ist albern und künstlich. Es ist, wenn wir ehrlich sind, ziemlich hässlich. Und wenn man es dann macht, kann man es kaum erwarten, dass es vorbei ist, damit man endlich aufs Klo pissen gehen kann. Das trifft besonders für Frauen zu. Frauen hassen es zu vögeln. Sag jetzt nicht, dass dir das noch nie aufgefallen ist. Denn weißt du, vor Millionen von Jahren gab es zwei Affenarten. Bei der einen Art wurden alle Männer vernichtet und nur die Frauen überlebten. Bei der anderen geschah das Gegenteil. Und was ist passiert? Die Frauen der einen Art begannen sich mit den Männern der anderen Art fortzupflanzen. Frauen hassen es Männer zu ficken, die nicht zur selben Spezies gehören. Komm schon, es muss doch wenigstens ein paar geben, denen es Spaß macht. Nein, ich glaube nicht. Alle Frauen hassen es zu vögeln. Glaub es mir einfach.


“Whips, Redcheeks, and Painful Orgasms,” Phototeca N° 9, Winter 1982; “Thieves, Whores, and No-gooders,” Phototeca N° 1, November 1979

Seiten aus “Whips, Redcheeks, and Painful Orgasms,” Phototeca N° 9, Winter 1982

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Fotos aus der Zeit, als die Musik noch gut war Hannes Schmid ist der beste Rockfotograf der Welt Der Schweizer Fotograf Hannes Schmid sitzt seit über 30 Jahren auf Bildern, die in ihrer Gesamtheit wahrscheinlich das wichtigste Fotoarchiv so ziemlich aller Rockmusiker darstellen, die von den späten 70ern bis Mitte der 80er von Rang und Namen waren. Sie sind die Antithese der heutigen aufdringlichen Paparazzi-Schnappschüsse, aber auch solcher 80.000 Dollar pro Tag kostenden Machwerke a lá Annie Leibovitz, die wie Poster für Filme aussehen, die man nie sehen wollen würde. Stattdessen spiegeln Schmids Fotos die enge Beziehung wieder, die er zu seinen Subjekten hatte, die zufälligerweise ein paar der besten Musiker der Welt waren. Und diesen Zugang zur Welt der Reichen und Schönen hat er sich auf die altmodische Methode erarbeitet: indem er ein freundlicher Typ war, der schlechte Vibes allein mit seinem Charme und seiner Kamera neutralisieren konnte. Die Edition Patrik Frey bat Schmid vor kurzem, aus den 70.000 Aufnahmen seines Archivs ein paar Lieblingsbilder auszuwählen, um diese dann in einem Buch mit dem passenden Titel Rockstars abzudrucken, das diesen Monat erscheint. Dann haben wir, als die kleinen schlauen Füchse, die wir sind, Wind von dem Projekt bekommen, so dass wir euch hier nun eine Auswahl der Grandiosität, die auf seinen Seiten versammelt ist, präsentieren können.

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The Boomtown Rats, Bob Geldof, 1979

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Nina Hagen, 1978

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Judas Priest, Rob Halford, 1981

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Motรถrhead, Lemmy Kilmister, 1980

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Uriah Heep, Mick Box, Datum unbekannt

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ABBA, 1978

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Kiss, Paul Stanley, 1980

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ZZ Top, Dusty Hill, 1981

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ZZ Top, Billy Gibbons, 1981

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This month’s DOs & DON’Ts are written by me, the Fat Jew. I’m New York City’s fanciest, sleaziest, hunkiest, ruggedest, bummiest, and sauciest. I’m the ugly Rob Lowe. I’m one-quarter of the rap group Team Facelift — we’re a mix between Barbra Streisand and Wu-Tang Clan. I’m into pedicures, Tony Danza, honey mustard, ribbed turtlenecks, loofahs, not giving a fuck, frenzied behavior, tasteful floral arrangements, Jewish girls from Long Island, making poor decisions, shrimp in baskets, depression, cheap champagne, penny loafers, and watching drunk white girls at bars singing “Juicy.” I wrote these in the nude while surrounded by scented candles (sugar-cookie scent). You’re welcome.

If you sit in this car for more than three minutes, you will all of a sudden be wearing a formfitting Armani Exchange t-shirt, have a cell-phone holster on your belt and a severe case of homophobia, and smell like Drakkar Noir. Seriously, it’s like magic.

This is what is commonly known as “Living the Dream.” He’s the guy you and your family run into at the beach and he knows your mom and she gets weird about it and it turns out they dated briefly in college and you secretly wish he was your dad because he grows his own weed, listens to Hall & Oates, and uses the term “fingerblasted.”

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It’s not totally clear whether this Armenian immigrant who walks around selling belts and responding to questions like “How much is this item?” with “For you, $800,000! I am kidding! Nine,” realizes that he is on the cutting edge in terms of fashion, but either way I applaud him. He should have DVDs for sale stuffed in his mouth.

She’s quite fit, which is always a good look, hangs out at American Apparel, and has a great tan. This girl is basically a freshman at NYU who makes a terrible drunken mistake the first week of school and spends the next four years with a nickname like “Skidmark” or “Puketits.” Except she’s eight.


Born & Raised in England.

Men’s & Women’s Apparel Distributed by ICCDistribution BVBA : T 0032 (0)93244616 : www.iccdistribution.eu : www.supremebeing.com


DON’Ts

This month’s DOs & DON’Ts are written by me, the Fat Jew.

Looking like you just came from an anime convention used to be amazing until it became boring. It would be a lot more shocking and awesome if they were wearing sensible Rockport walking sneakers and nonwrinkle khakis.

If being a middle-aged man who looks like a lesbian dental hygienist with skin that looks like a vintage leather jacket is a good look, then this guy is ON FIRE.

This is what I imagine every person under 25 will look like in the year 2018, and I want no part of it. Being tragically hip and androgynous with a well-conditioned emo haircut and Star Trek glasses is awful like getting punched in the dick.

You’ll see this gal strolling around New York with a backpack full of hope and a huge grin, absolutely reeking of being Canadian. She will walk around downtown with no shoes on, give homeless dudes long-winded explanations of why she can’t spare any change, get her camera stolen, step on a rusty nail, and still have an amazing attitude. WHAT IS WRONG WITH THESE PEOPLE?

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You’re 17, have cheekbones like Jared Leto, can get an erection on command, and have understanding parents. Wait until you’re 27, cocaine has assassinated your ability to get a boner, and you’re living in a one-bedroom with a girlfriend you resent and hate sleeping with so much that you masturbate while she’s in the shower. Then you can cry, you little bitch.



This month’s DOs & DON’Ts are written by me, the Fat Jew.

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These are the guys who have the audacity to take their shirts off in the middle of the nightclub, mouth the lyrics to a Rihanna song to each other, drink cranberry vodkas and make incredibly heavy eye contact, then call some guy a faggot for wearing leather pants and throw a drink directly at his face. You have to respect their heterosexualhomoerotic circus—it has no laws.

I don’t know if it’s the slightly lazy eye or what, but he is freaking me out. He looks like he’d rip your throat out, swallow it, and then say “Don’t ever disrespect me again” to you IN YOUR OWN VOICE. I wish he was my uncle, and by uncle I mean longtime family friend who always kind of seems like he’d try to fuck your mom if your dad ever died.

I have had exactly two erections in the last 90 days, but seeing a girl who looks like a sprite that came out of a magical forest filled with other moderately hip chicks makes my little Jewish dick very hard. If her bicycle had a basket filled with fresh vegetables and a Charles Bukowski novel I could legitimately achieve an orgasm to this.

You meet him on a boardwalk in some dumpy beach town, he knows everybody and everything, he can get you great seafood salad or help you find coke. If he ever migrated to a big city he’d end up on a food line waiting for a hot meal, but in this crappy seaside hamlet he is the goddamn mayor. Also, if you squint your eyes he looks like a MILF.

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This is the type of Austrian couple who listen to drum ’n’ bass, dress like they’re pimps on Halloween, and are so sexually liberated that it’s uncomfortable. They’ll approach you and your girlfriend at a coffee shop about having a foursome and totally not be offended if you’re not into it.



DON’Ts

This month’s DOs & DON’Ts are written by me, the Fat Jew.

This guy is a total toss-up in terms of what he does with his life. He’s either a crystal-meth addict who works parttime at a place called Smoothie Hut or he’s a kid who went to your high school who is now the #12-ranked Razorscooter rider in America and gets flown around the world getting rich off his stoner college hobby. Either way I wouldn’t let him have protected sex with my sister.

If Annie Lennox banged a caveman and they had a child and it learned how to dress by watching the 1995 cyberthriller Hackers, it would look exactly like this confused European blemish on the forehead of humanity.

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What do you like more: his sick, toned body, his very reasonably sized package, or his feather duster? Oh right, or his studded leather outfit that you might find hidden deep in your dad’s closet with a spiral notebook that has “I hate fags” written over and over on every page? There is no right answer—they are all great.

If you’re six-foot-ten and you find yourself at a daytime rave dressed as a giant alien with mascara running down your face, it may finally be time to stop listening to your unconditionally supportive friends and family and seriously consider taking your own life.

Somehow you stumble upon the MySpace page of these guys’ band, the genre is “Electro /screamo /emo /punk / pop,” and they have songs about having text sex with chicks. As you’re remarking how embarassing they are, you see that they have gigs booked from now until next year and are 17 years old, while you have no health insurance.


Sende 145 Eurocent in Briefmarken f端r das Aalziehn an: Cleptomanicx Aalziehn, Budapester Str. 49, 20359 Hamburg St. Pauli cleptomanicx.de


Merkin’ Around FOTOS VON ED ZIPCO, MERKINS VON HILARY OLSON STYLING: ANNETTE LAMOTHE-RAMOS Makeup: James Boehmer, Stylingassistenz: Eleny Ramirez, Sarah Basset Fotoassistenz: Matt Jones, Nicholas Chatfield-Taylor, William Dunleavy, Janjan Tayson Besonderer Dank an Alex Beard und Mia Beurskens dafür, dass sie uns ihr schönes Heim mit Schamhaarprücken entweihen ließen.

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Uhr von Swatch, Vintage-Ohrringe von Screaming Mimi’s


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Hemd von Kiki de Montparnasse


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Hemd von Topshop, Socken von American Apparel, Halskette von Candace Ang. Bild von Jesse Gelaznik.


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BH und Morgenmantel von Kiki de Montparnasse, Uhr von Swatch


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Das Model trägt: Hemd von PH8 by Bebe, Strumpfhose von Look from London, Vintage-Armreif von Screaming Mimi’s, Uhr on Casio. Im Hintergrund (im Uhrzeigersinn): Shorts von Ashish, Tasche und Stiefel von Gravis, Schirm von C1rca, Tanktop von Rodebjer, Halskette von Candace Ang, Handtasche von Burton, Sneakers von Vans, Stiefel von Palladium, Messengerbag von Gravis.



Leichte Jungs FOTOS : Claudio Campo-Garcia STYLING: Nina Byttebier MODELS: Fritz und Eddie

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Kleid von Kilian Kerner


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Jeansjacke von Levi’s


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Oversized T-Shirt von Starstyling


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T-Shirt von Supremebeing, Accessoires von Starstyling


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Jeans von Levi’s


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Das isländische HautkrankheitenPilz-Mode-Fiasko VON HAMILTON MORRIS, FOTOS VON PETER SUTHERLAND LAUFSTEGFOTOS VON ARNÓR HALLDÓRSSON

TAG 1 Meine Haare hatten begonnen, sich zu Dreads zu verfilzen, die sich selbst mit erheblichem Kraftaufwand nicht mehr auskämmen lassen wollten, so dass ich beschloss, mir die Haare schneiden zu lassen. Als ich aus dem Friseurladen kam, bemerkte ich, dass ich seltsame runde rote Flecken am Hals hatte. Es ist komisch, sich vorzustellen, dass sie sich wahrscheinlich schon seit einigen Monaten völlig unbemerkt an meinem Körper befinden — ihrem Aussehen nach bin ich fast sicher, dass es Psoriasis ist. Ich versuche, diese unappetitliche Entdeckung zu verdrängen und mache mich auf den Weg zum JFK Airport, wo ich mit Peter Sutherland verabredet bin. Wir sind unterwegs zu einer komplett von den Auftraggebern bezahlten Reise nach Island, um über die dortige Fashion Week zu berichten. Ich habe noch nie was von einer isländischen Fashion Week gehört, wie die meisten anderen Menschen wahrscheinlich auch, aber es ist nicht wirklich wichtig. Was viel wichtiger ist, ist, dass es in Island angeblich endlose Felder voller P. Semilanceata, den legendären Spitzkegeligen Kahlköpfen, gibt und — laut Aussage eines Kumpels — „die besten Hotdogs der Welt,“ die mit Lamm und speziell zubereiteten Zwiebeln gemacht werden, oder so was. Ich kann mich nicht ganz erinnern. Beim Check-In bemerkte der Typ hinterm Counter, dass ich einen Pilzführer für Psilocybin-Pilze in der Hand habe und sagt, „The shit is in the shit.“ Ich nicke, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich seine Andeutungen verstanden habe, aber er hält es anscheinend für notwendig, es auf etwas unheimliche Weise noch ein paar Mal zu wiederholen. Als wir am Gate ankommen, ist derselbe Typ wieder da, um unsere Bordkarten zu scannen; er wirft mir noch mal einen Blick zu und sagt, „Trippst du schon?“ Ich sage, „Was?“, und er antwortet, „Sammel für mich einen mit.“ Ich lächle, aber es läuft mit kalt den Rücken runter — es kommt mir vor wie ein Omen, dass mein Flugzeug explodieren wird. Wir nehmen einen Nachtflug, der um acht Uhr morgens in Island ankommt, und sozusagen Gestern und Heute zum längsten Tag

meines Lebens verschmilzt. Der Himmel hat eine ungesunde, frühmorgendlich graue Farbe, die man nur dann zu schätzen weiß, wenn man die ganze Nacht nicht geschlafen hat. Die Landschaft um den Flughafen herum ist unvorstellbar trist, eine endlose Weite voller deprimierender grauer Felsen und Variationen ein und desselben Hauses, die alle aus demselben Material bestehen, gleich große Fenster haben und sich nur darin unterscheiden, mit welcher (tristen) Farbe ihre Wellblechdächer gestrichen sind. Vor meiner Abreise hatte mir in New York jemand erzählt, dass Island die höchste Selbstmordrate der Welt hat, was, wie sich herausstellt, nicht stimmt, aber dennoch ebenso gut stimmen könnte. Unerwarteterweise sind wir nicht in einem Hotel untergebracht, sondern in einem ehemaligen NATO-Stützpunkt mit dem freundlichen Namen „Barack 747“. In meinem Zimmer wartet eine Schachtel traditioneller isländischer Pralinen und ein traditioneller isländischer Troll-Kühlschrankmagnet auf mich. Der Troll hat eine abgebrochene Nase. Ich hatte mir die Kontaktdaten von einem Fischer namens Geri besorgt, der mich auf meiner Pilzsuche begleiten soll. Peter und ich fahren zu seiner Wohnung und er erklärt uns kurz die isländische Drogenszene, bzw. warum es sie nicht gibt. Geri ist ohne Zweifel ein direkter Nachkomme der Wikinger; er hat wallendes blondes Haar und einen riesigen eckigen Kopf und sieht überhaupt sehr kriegerhaft aus. Er erklärt mir, dass Pilze prinzipiell schon in Island wachsen, aber dass es noch zu früh ist, um sie zu finden. Ich versuche meine extreme Enttäuschung zu verbergen, während er dem Ganzen noch mehr Nachdruck verleiht, indem er sagt, dass es zu 99,9 Prozent sicher ist, dass wir keine Pilze finden werden. Auf dem Rückweg von Geris Wohnung fahren wir an einem Wellblech-Quiznos vorbei — mit Sicherheit dem traurigsten Quiznos der Welt. Das Presseprogramm beginnt mit der Besichtigung einer Fabrik, in der Tafelwasser hergestellt wird, die wir leider verpassen; ich schaffe es aber noch rechtzeitig zu einem Casting für Models, das in der Lebensmittelabteilung eines Einkaufs-

zentrums neben einer Panda Express-Filiale abgehalten wird. Die überschäumende Horde von Möchtegern-Models zu sehen ist toll, aber auf den zweiten Blick stelle ich fest, dass sie alle seltsam und ein wenig unheimlich sind. Sie tragen dicke Schichten klumpigen Make-ups und ihre Gesichter sind angespannt und nervös. Ihre Nervosität ist ansteckend. Obwohl ich seit über 30 Stunden wach bin, fange ich an, Valiumtabletten zu kauen, die ich von meiner kürzlich verstorbenen, geliebten Französischen Bulldogge, Jackpot Jr., geerbt habe, der unter chronischen Schlafstörungen litt. Als die Anxiolytika beginnen, sich in meinem Körper auszubreiten, spüre ich eine Mischung aus Dankbarkeit und Scham. Die Models tragen Schilder mit Nummern um den Hals und laufen endlos im Kreis. Nummer 47 hat orangefarbene Haut. Nummer 22 baumelt ein bisschen sehr mit den Armen. Nummer 36 ist ein männliches Modell mit Anus-förmigen Lippen und einem asymmetrischen Haarschnitt. Mir wird langsam auch klar, dass die Mädchen alle um die 13 sind. Die Designer kritzeln wie wild Nummern in ihre Notizblöcke und machen Fotos, während sie sich gegenseitig Sachen zuflüstern. Eine Designerin, die neben mir sitzt, fragt mich, ob ich Hamilton Morris bin. Sie sagt mir, wie sehr sie meine Kolumne liebt, worauf mir nichts Besseres einfällt als, „Oh wow, das ist verrückt“, zu antworten. Sie heißt Jules. Die ganze Situation fühlt sich irgendwie an, als wäre ich in der siebten Klasse bei einer Schuldisko. Jules arbeitet mit einem Designer, der Agi heißt. Sie sind beide aus London. Ich könnte jetzt auch alle anderen Designer im Detail beschreiben, aber um es kurz zu machen, belasse ich es dabei, zu sagen, dass Jules und Agi die einzigen Anwesenden zu sein scheinen, die nicht völlig schrecklich sind. Am Ende das Castings sind sowohl ich als auch Peter gebeten worden, für verschiedene Linien zu modeln. Ich esse ein verdächtig weißes Lachsfilet, das nach Chinatown riecht. Nach dem Casting sind wir bester Laune und begeben uns zu der ersten Modenschau. Der Laufsteg, der aus übereinander gestapelten Kisten besteht, befindet sich im Showroom

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Wir verlassen den Showroom und kaufen zehn Gramm harziges isländisches Gras. Ich kann es kaum erwarten, es in meine Lungen zu kriegen.

eines Autohauses. Inzwischen ist es zwei Uhr nachmittags meines endlosen Tages und ich beginne aus schlanken Gläsern Weißwein zu trinken, und mich unter die—wie es in der Werbebroschüre heißt — „exklusive Gruppe von Designern, ausgewählten Pressevertretern und Würdenträgern der isländischen Gesellschaft“ zu mischen. Der Alkohol und das Hundevalium sind mir dabei eine ungeheure Hilfe. Urplötzlich ertönt ein feuriger, techno-orchestraler Beat. Die Köpfe drehen sich, das Gemurmel der Menge verstummt zu einer ehrfurchtsvollen Stille und Musik, die unschwer als der Soundtrack zu Matrix Revolutions zu erkennen ist, füllt den Raum. Models, deren Gesichter mit kleinen Spiegelstücken besetzt sind, beginnen den Laufsteg herunter zu marschieren; sie alle tragen elastische Badeanzüge mit dem Brandlogo von Lexus und Fellgeweihe. Die Fotografen fuchteln inmitten eines Refrains aus opernhaften Schreien hektisch mit ihren Apparaten herum. Die männlichen Models schleppen ihre Lexuslogo-verzierten Körper durch den Showroom, wobei sie gelegentlich anhalten, um einen Finger über den Seitenspiegel einer silbernen Limousine gleiten zu lassen, als wäre es ein eregierter Schwanz. Als nächstes wird der Soundtrack von King Arthur gespielt. Inzwischen ist mir klar geworden, dass ich die 4284 Kilometer von Brooklyn hierher gereist bin, um den peinlichsten Lexus-Werbespot aller Zeiten zu sehen. Nach dem Ende der Vorstellung wird brav geklatscht.

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Wir verlassen den Showroom und kaufen zehn Gramm harziges isländisches Gras. Ich kann es kaum erwarten, es in meine Lungen zu kriegen, und rolle daher einen ziemlich lappigen Joint, den man wohl eher als eine Grasboulette bezeichnen müsste. Mir wird klar, dass das Grau des Himmels die ganze Zeit so bleiben wird, wodurch mir jegliches Zeitgefühl abhanden kommt. Mir wird davon auf unbestimmte Weise übel. Wir gehen zum Dinner, wo ich mich auf obszöne Weise betrinke und mit in Teig gebackenem Lamm vollstopfe. Ich stolpere auf der Suche nach dem Klo ein paar Stufen herunter. Im Untergeschoss des Restaurants stoße ich auf einen riesigen unbewachten Keller mit hunderten Flaschen Wein. Ich renne auf die Flaschen zu und krache mit dem ganzen Körper in eine riesige Glaswand, die bis zur Unsichtbarkeit poliert worden ist. Einfach würdelos. Peter und ich pennen später in der Lobby des Restaurants ein.

TAG 2 Um das Gefühl, in der siebten Klasse zu sein, noch zu verstärken, sind wir heute zu einer Wal-Safari eingeladen, die um acht Uhr morgens beginnt. In New England sind die Wale sehr freundlich; sie kuscheln sich an die Boote wie ein Lamm an sein Mutterschaf. Ich könnte mir vorstellen, dass die Wale in Island ein bisschen mehr Angst haben, von einer mechanischen Harpune getroffen zu werden, aber man versichert uns, dass wir auf jeden

Fall einen Blick auf einen Wal erhaschen werden. Ich gehe an Bord und „Knockin’ on Heaven’s Door“ dröhnt in Hörschnecken zerschmetternder Lautstärke aus den Lautsprechern. Um zehn Uhr beschließe ich, dass es Zeit ist „zu entspannen“ und beginne zu trinken. Das Bier ist das einzig Warme im Umkreis mehrerer Meilen. Das Wasser hat eine unglaublich kalt wirkende türkise Farbe, und ich bin überzeugt, dass ich, wenn ich bekifft über Bord gehen würde, ungefähr 45 Sekunden Zeit hätte, um kurz herumzuzappeln, bevor ich an akuter Unterkühlung sterben und meine Leiche dann von einem Wal gefressen würde. Das Boot ist mit hunderten Fotos von Leuten tapeziert, die Fische, die sie gefangen haben, in die Höhe halten und lächeln. Sie sehen aus, als kämen sie direkt frisch gerahmt von einer Bildagentur und ich werde von einem Gefühl der Irrealität überwältigt. Ich frage mich, ob ich jemals selbst in so einem Foto auftauchen werde. Ich rauche einen Joint und wenig später bin ich dabei, einer Reporterin des Travel Channels auf detaillierte Weise zu erklären, wie man Methcathinon synthetisiert — eine stockende Ausführung, gespickt mit einer Menge „Hmm... mit einem Oxidationsmittel wie Kaliumpermanganat?“, obwohl ich weiß, dass sie kein Wort versteht. Ihr Kameramann fällt die Treppe herunter und schüttet sich dabei sein Essen über die Brust, beteuert aber „Ich bin nicht besoffen.“ Plötzlich klettern Models aus dem Kiel hervor und führen eine kleine Modenschau auf. Sie versuchen die Balance zu halten, während sie durch die Klappstuhlreihen der Schiffskabine torkeln. Sie tragen GoretexRegenmäntel und formlose Baumwollhosen. Ich frage mich, ob das wirklich eine Modenschau ist. Es sieht alles verdächtig nach normalen L.L.Bean-Klamotten aus. Ich rauche noch einen Joint und beschließe, den Kapitän zu fragen, ob er mich eine Weile ans Steuer lässt. Er tut das freundlicherweise auch und reicht mir eine Dose Schnupftabak. Er rät mir, ihn „genau wie Koks“ zu nehmen. Das Boot hält an, damit wir angeln können und ich schnaube große Klumpen von etwas, das wie Kaffeesatz aussieht, aus meinen Nebenhöhlen. Ein Model,


das eine silberne Windjacke trägt, fängt einen Fisch und küsst ihn auf sein Auge. „Knockin’ on Heaven’s Door“ beginnt wieder zu dröhnen und mir fällt auf, dass der Song um einiges zu dramatisch ist, um als Angelballade zu taugen. Alle machen Digitalfotos von sich, während sie ihren Fang in die Luft halten, nur mir ist, wie ich schon geahnt hatte, dieses Ritual nicht vergönnt. Jules und ich drängen uns an einen Hitzeschacht auf dem oberen Deck des Bootes, um nicht zu erfrieren. Irgendwann penne ich ein und als ich wieder aufwache, ist außer Peter keiner mehr an Bord. Keiner hat einen Wal gesehen. Das ändert sich, als wir zu einem für die Designer und die Presse organisierten Essen fahren, wo es Wal-Sashimi und Papageientaucher-Tartar gibt, die verdächtigerweise beide dieselbe dunkelrote Farbe haben. Das Fleisch ist extrem fettig und füllt mich mit Schuldgefühlen. Der Kellner räumt mein nicht gegessenes Fleisch ab und wirft es in den Müll. Abends betrinke ich mich in einem Gebäude, in dem eine Reproduktion eines Wikingerschiffs aus dem zehnten Jahrhundert steht, erneut auf extreme Weise. An den Wänden hängen Fotos von Politikern, die sich an den handwerklichen Finessen des Bootes erfreuen. Bill Clinton scheint besonderen Spaß daran gehabt zu haben. Auf den nächtlichen Straßen herrscht eine merkliche Feindseligkeit. Rund um die Bars versammeln sich

Normalos in Rudeln und rammeln mir wiederholt gegen die Schultern. Es ist eine scheinbar nicht enden wollende Prozession von Rammlern, was sicher eins der nervigsten sozialen Rituale überhaupt ist. Man kann nichts dagegen machen und wenn es einmal passiert ist, ist der Rammler schon weitergelaufen — aber selbst wenn sie anhalten würden, was sollte man ihnen sagen? Ich trinke kontinuierlich, bis schließlich alles zu einem leicht europäisch angehauchten Bacardi Dragon Berry-Werbespot verbleicht, der Gott sei Dank aus meinem Gedächtnis gelöscht ist. Obwohl ich mich diesmal wieder an einen merklichen Mangel an Würde zu erinnern meine.

TAG 3 Unerklärlicherweise habe ich meine Sachen beim Aufwachen verkehrt herum an. Ich gehe los, um mein „Continental Breakfast“ zu mir zu nehmen, und der Kameramann des Travel Channels lässt einen ferngesteuerten Helikopter durch das Restaurant kreisen. Ein paar Leute ignorieren ihn, andere machen Fotos. Heute zeigen Jules und Agi zusammen mit den andern Designern der Fashion Week ihre Linie. Wir fahren zum Laufsteg und stellen fest, dass es sich dabei um übereinander gestapelte Paletten aus Wasserflaschen handelt, und zwar auf einem Parkplatz hinter einem Hamburgerrestaurant direkt neben einem Rummel. Eine der Attraktionen direkt

Unerklärlicherweise habe ich meine Sachen beim Aufwachen verkehrt herum an. neben uns heißt „Turbo Drop“ — dort werden Kinder an einem Turm hochgezogen, um dann in die Tiefe zu stürzen, was dann endlose Male wiederholt wird. Die Kinder schreien in metronomisch genauen Abständen. Ab dem Moment, als der graue Himmel beginnt, sich ohne Vorwarnung in einem Regenguss zu entladen, fangen die Dinge an, ernsthaft aus dem Ruder zu laufen. Die „Fashion Week“ war bis hierher extrem seltsam. Alle anderen Schauen, die ich sah, waren völlig uninteressant, bis auf die Tatsache, dass sie alle auf Parkplätzen und in ehemaligen Hafenbecken oder Speisesälen abgehalten wurden. Aber jetzt ist es offiziell: Das hier ist nicht nur die schlechteste Fashion Week der Welt, es ist Beschiss! Sechs Designer beschließen zu fahren, packen ihre Kleider zusammen und nehmen Taxis zum Flughafen. Die Organisatorin ruft den Designern hinterher: „Ihr habt offensichtlich noch nie die Fashion Week in Mailand besucht, da läuft das haargenau so!“ Sie ruft dann die Polizei an, die die Designer verhaf-

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Peter und ich und all die anderen Models sind uns einig, dass die Laufstegerfahrung einem „Gänsehaut macht“. ten soll, weil sie von der Show abhauen wollen. Später erzählte mir jemand, dass sie versucht habe, den Designern noch ihre Sachen zu klauen — aber bezeugen kann ich das nicht. Ein Polizist taucht auf und wirkt wenig beeindruckt, als zwei Designer aus Miami ihm sagen, dass er „keinen blassen Schimmer von Mode hat!“ Ich schaue zum Turbo Drop hinüber und sehe, wie einem Kind ein Schuh vom Fuß fällt. Das scheint ansteckend zu sein, denn kurz nachdem der erste Schuh gefallen ist, fangen auch alle anderen Kinder an Schuhe zu verlieren. Es regnet Schuhe. Die Kinder, die in der Schlange des Turbo Drop warten, heben die Schuhe auf und schleudern sie mit all ihrer Kraft in die Luft.

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Ich beginne, im Kopf eine Verschwörungstheorie zu spinnen, die mit der Trinkwasserfirma zu tun hat, die die ganzen Events sponsert. Island ist der einzige Ort, wo ich je gewesen bin, wo man kein Wasser in Flaschen kaufen kann. Wenn man in einem Supermarkt nach einer Flasche Wasser fragt, schauen sie einen an, als wolle man einen Sauerstofftank kaufen, und wer könnte ein größeres Interesse daran haben, das zu ändern, als die bösen Besitzer der Gletscherwasserfirma? Ich renne zum Laufsteg und ziehe eine Flasche heraus, an der ich vorsichtig zu nippen beginne, aber es schmeckt elektrisierend gut — als würde man am Gipfel eines 10.000 Jahre alten Eisbergs nippen. Ich denke darüber nach, ob das Ganze wirklich eine Abzocke war oder nur eine extrem schlechte Fashion Week in einem bankrotten Land. Was letztendlich aufs Selbe hinausläuft. Ich kratze mich am Hals. Die Designer haben genug von dem Ganzen und organisieren eine eigene Schau in Islands zweitgrößtem Nightclub. Sie nennen sie „Rebel“. Es gibt auf der ganzen Welt nicht genug Hundevalium, um das erträglich zu machen. Ich sitze hinter der Bühne und sehe zu wie Make-up-Künstlerinnen Gesichter mit Airbrush-Schminke verzieren und Designer ihren Models hysterisch Anweisungen zubrüllen. Die Luft steht vor Haarspray. Peter und ich tragen von Agi designte Anzüge, deren Stil man

als Hippie-Heroin-Hobo-Chic bezeichnen könnte. Um diesen Look zu komplettieren, bin ich besoffen und sehe ungewaschen aus. Mein Laufstegdebüt ist ein Riesenerfolg. Peter und ich und all die anderen Models sind uns einig, dass die Laufstegerfahrung einem „Gänsehaut macht“. Alle packen ihre Klamotten zusammen und besaufen sich in einer Mischung aus Feiern, Verwirrung und schlecht versteckter Enttäuschung. Ich rauche einen Joint, den ich mit Papers drehe, die angeblich „ChocolateChip-Cookiedough“-Geschmack haben sollen, aber (verdächtig) nach Obstbowle schmecken.

TAG 4 Geri beschließt, mit uns Pilze suchen zu gehen. Es regnet immer noch leicht und die Feuchtigkeit hat dazu geführt, dass die Pilze in diesem Jahr früher als sonst austreiben. Geri ist erstaunt, dass die Leute in New York ihre Pilze selber anbauen, statt sie einfach aus dem fruchtbaren Boden zu pflücken. In Island wachsen die Spitzkegeligen Kahlköpfe sowohl im Frühjahr als auch im Herbst im Überfluss. Ich habe nie Pilze gesammelt oder die Kahlköpfe probiert und die Vorstellung, jetzt beides zu tun, füllt mich mit Freude. Geri bringt uns zu seiner geheimen Stelle, einem Friedhof neben der Straße. Er rät mir, in den dichten dunkelgrünen Grasbüscheln zu suchen und innerhalb weniger Sekunden erspähe ich die ersten Dörfchen aus schleimi-


gen, kegelförmigen Pilzen auf dünnen Stielen. Er rät mir, die Stämme vorsichtig abzuknipsen, um die Myzelien, aus denen sie wachsen, nicht zu verletzen. Sein höfliches Verhalten und seine fungophile Etikette entlohnen mich für das endlose Elend der Modeevents, das ich in den letzten Tagen erleiden musste. Psychedelische Pilze zu sammeln hat etwas unglaublich befriedigendes. Ich fülle mir zwischen den Steinen kauernd die Taschen und durchsuche angestrengten Blickes und mit amphetaminartiger Konzentration das Gras. Ich schiebe mir einen frischen Pilz in den Mund und sein Geschmack ähnelt dem seiner amerikanischen Brüder, obwohl der Spitzkegelige Kahlkopf chemisch gesehen einer ganz anderen fungischen Welt angehört. Eins der wichtigsten Erkennungsmerkmale von Psilocybin-Pilzen sind die blauen Flecken, die sie bekommen, wenn man sie anfasst. Spitzkegelige Kahlköpfe produzieren solche Flecken nicht, weil sie keinerlei Psilocin enthalten. Sie enthalten stattdessen das weniger sauerstoffempfindliche Psilocybin und daneben riesige Konzentrationen des mysteriösen Alkaloids Baeocystin. Baeocystin hat mich immer fasziniert. Es ist das Thema endloser Debatten unter Mykologen und Drogenfreunden. Obwohl es einer der häufigsten Bestandteile psychedelischer Pilze ist, weiß keiner was, wenn überhaupt etwas, es bewirkt. Manche sagen,

dass es für die dunkle Seite der Pilze verantwortlich ist — die Übelkeit und die Angst; andere sagen, dass es eine ganz ähnliche Wirkung wie Psilocybin hat und andere wieder, dass es überhaupt keine Wirkung hat. Wie ist es möglich, dass eines der häufigsten Pilzalkaloide unerforscht geblieben ist? Ich weiß es nicht, aber Spitzkegelige Kahlköpfe enthalten mehr Baeocystin als die meisten anderen bekannten Arten. Außerdem haben Pilze, die im Schatten von Grabsteinen wachsen, etwas besonders Seltsames an sich. Der Boden besteht aus hunderten menschlicher Kadaver in verschiedenen Stadien der Verwesung. Vielleicht haben sie mit den aus Tryptamin bestehenden Neurotransmittern ihrer Hirne und ihren Körpergeweben die Myzelien der Pilze ernährt und die chemische Zusammensetzung der Pilze verändert. Unvorstellbar wäre das nicht. Wir verlassen die Stelle mit Tüten voller psychedelischer Pilze und fahren Geri nach Hause. Geris Wohnung ist voll mit Samuraischwertern, giftigen Schlangen und einer großen Sammlung Ratten in einem Aquarium. Hunderte und aberhunderte Spitzkegelige Kahlköpfe trocknen auf Zeitungen, die die Details des isländischen Bankenkollapses darlegen. Seine Mitbewohner, die gerade zum ersten Mal Adderall genommen haben, haben sich um einen Computer geschart und sehen sich Videoaufnahmen der Krawalle am

Er rät mir, in den dichten dunkelgrünen Grasbüscheln zu suchen und innerhalb weniger Sekunden erspähe ich die ersten Dörfchen aus schleimigen, kegelförmigen Pilzen auf dünnen Stielen. Parlamentsgebäude an. Einer von ihnen stöhnt, „Oh Mann, Tränengas, das war schrecklich“, und dann sehe ich, dass Geris Schlange von der Ratte, die sie verschluckt hat, eine Beule im Bauch hat. Ich frage ihn danach und er sagt mir, dass es sich in Wirklichkeit um einen Klumpen bösartiger Tumore handelt. Ich gehe zurück ins Barack 747 und klopfe an Jules und Agis Tür, um sie zu überreden,

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Peters Gelee verläuft zu einer etwas gruseligen venezianischen Maske. „Hey, du hast einen Popel“, sagt er. mit uns zu Islands berühmter Blauer Lagune zu kommen. Wir fahren los und fangen an, Pilze zu essen. Ich fülle meinen Mund, kaue sie und lasse sie mir zwischen den Zähnen hin und her gleiten. Als das Auto auf den Parkplatz rollt, erhasche ich durch die Horden der digitale Fotos knipsenden asiatischen Touristen hindurch meinen ersten Blick auf die majestätisch blauen Wasser der Lagune. Wie das Tote Meer oder die Strudel von Sedona ziehen die Heilkräfte des Wassers der Blauen Lagune Kranke aus der ganzen Welt an. Die einzigartigen Minerale und Algen des Wassers verleihen ihm seine starke therapeutische Wirkung gegen praktisch jede Art von Hautkrankheit. Einen kurzen Augenblick später sehe ich, dass Horden von Leuten mit fleischfressenden bakteriellen Infektionen, Hypertrichose und Lepra das Wasser bevölkern. Aber es gibt eine Hautkrankheit, auf die die Lagune ganz besonders spezialisiert ist. Psoriasis. Die Blaue Lagune ist ein internationales Mekka für Psoriasiskranke. Ich muss mich nicht mehr wegen der roten Kreise an meinem Hals schämen. Im Umkleideraum fange ich an zu trippen. Ich kriege nicht raus, wie man das Schließfach bedient und bitte die Leute um Hilfe. Plötzlich bin ich von allen Seiten mit psoriasiskranken Männern umgeben, die mir Anweisungen zurufen, wie man den elektro-

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nischen Schlüssel bedient, während ihre Genitalien über meinen Körper streichen. Ich steige in die Dusche und lasse mir das warme Wasser über den Kopf gleiten. Ich bin mit zehn zweimal täglich im Pool des MIT schwimmen gegangen, und es war schon damals seltsam, von so viel verfallendem Fleisch umgeben zu sein. Vielleicht ist die öffentliche Dusche mit ihren mit Leberflecken übersäten Hodensäcken, haarlosen Eiern und blassen Penissen eine Art Übergangsritual. Haut, die wie die Oberfläche eines Mehrkornbrötchens aussieht. Ich gähne in die Unendlichkeit. Geri hat mir erzählt, dass ein paar Leute extra zum Sterben in die Lagune kommen. Er sagt, dass die Lagune direkt mit der Erdkruste verbunden ist. Gelegentlich platzt eine Magmaader unter einem Badenden und kocht ihn bei lebendigem Leibe zu Tode. Die verkohlten Leichen werden später, wenn sie schon eine blaue Färbung angenommen haben, auf die Felsen geschwemmt. Ich steige in das kochend heiße

Paradieswasser. Ich tauche den Kopf unter und lasse die Minerale beim Schwimmen meine offenen Augen verbrennen und in meinen Mund strömen. Kieselalgen flirren um mich herum. Ich versuche, die letzten Tage zu verstehen. Was hatten wir gerade erlebt? War es eine Abzocke? Ich wurde auf jeden Fall nicht abgezockt. Ich bin höchstens Zeuge einer Abzocke geworden. War es also eine ganz normale Woche? Es ist wie Hänsel und Gretel, nur ohne Hänsel und Gretel. Ich bewege mich auf einen Käfig voller Fässer mit weißer Kieselerdepaste zu. Ein Zyklop schmiert sich seine T-Zone mit der Paste ein. Ich nehme eine Hand voll und bewerfe Jules damit. Der Bewacher der Paste wirft mir einen finsteren Blick zu. Alle haben ihre Gesichter mit weißem geothermischen Gelee eingestrichen. Es ist Islands größte Geleeparty. Peters Gelee verläuft zu einer etwas gruseligen venezianischen Maske. Aus seiner Nase tropft es in seinen Bart. „Hey, du hast einen Popel“, sagt er. Er zieht mir Schleimfäden aus der Nase wie Seidenbänder aus dem Ärmel eines Zauberers. Es gibt kein Ende, es gibt keine Heilung. Der Herzschmerz der Psoriasis. Helische Bänder weißen Schaums schießen aus einem Fiberglas-Geysir und regnen auf mich herab wie Kinderschuhe. Ich schöpfe eine Hand voll Schleim vom Boden, eine Hand voll Trollsperma. Es sammelt sich an den Rändern der Lagune. Unmengen davon. Ich verteile es auf meiner Hand und untersuche den Inhalt. Es besteht aus verrottenden Überresten, wie das Gewölle einer Eule. Faulschlamm, Schamhaare, Schlick, und Fäden eines grünen organischen Stoffes, den ich nicht zuordnen kann. So ein Reichtum an Schleim. Ich schiebe mir einen Klumpen in den Mund. Der Geschmack ist kompliziert, aber er erfüllt mich mit Dankbarkeit. Die bildliche Illustration dieses Artikels könnt ihr im Februar auf VBS.TV sehen.



Love and Rockers Alles, was wir über Jamaika wissen, haben wir von Ted Bafaloukos INTERVIEW VON TASSOS BERKOULAKIS, PORTRÄT VON FREDDIE F. FOTOS MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON THEODOROS BAFALOUKOS

heodoros Bafaloukos war der Regisseur und Drehbuchautor von Rockers — dem Film, der es schaffte, Jamaika und Reggae für weiße Stino-Paare, ihre bekifften Kinder und einen Haufen berühmter englischer Punks mit Gitarren interessant zu machen. Heute lebt Ted recht zurückgezogen, was vor allem damit zu tun hat, dass er seine Zeit am Ort seiner Kindheit auf der entlegenen griechischen Insel Andros verbringt. Also haben wir uns 30 Jahre nach dem Erscheinen des Films auf den weiten Weg zu ihm gemacht, um sein allererstes gedrucktes Interview mit ihm zu machen. Neben seiner Tätigkeit als Drehbuchautor und Filmemacher hat Bafaloukos auch für drei Oscar-gekrönte Regisseure (Barry Levinson, Errol Morris, Jonathan Demme) als Produktionsdesigner gearbeitet und an der Gestaltung zahlloser Musikvideos mitgewirkt, darunter auch das, in dem Alicia Silverstone in einem Flanellhemd einen Bungeesprung von einer Autobahnbrücke macht und Stephen Dorff dabei den Stinkefinger zeigt. Nach einer kurzen Führung durch sein Haus — dessen Wände von mehreren hundert Gemälden und vergrößerten Schlangenbildern geziert werden — bat er uns, uns hinzusetzen und begann in ein paar alten Fotoalben zu blättern, die meisten davon aus der Zeit als er Rockers filmte. Wie ihr sehen werdet, ist es eine Fundgrube, die das archivarische Herz höher schlagen lässt.

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Vice: Wie kam es dazu, dass du nach Jamaika gegangen bist? Theodoros Bafaloukos: Ich fuhr 1975 als freischaffender Fotograf für Island Records mit einem Freund dorthin — einem jungen Typen aus der Reggae-Szene. Wir machten Fotos von den Gesichtern auf der Insel. Es war interessant und spannend. Es war auch sehr lustig, weil sie mich als CIA-Spion verhafteten. Oh-ho. Wie ist das denn passiert? Ich war zu einem Radiosender gegangen, um mit jemanden aus dem Viertel zu sprechen. Ich wollte sie um technische Unterstützung und um Hilfe beim Drehen eines Dokumentarfilms bitten, denn das war das, was ich ursprünglich machen wollte. Ich saß mit meinem Kumpel im Auto, der mich fuhr, und plötzlich taucht aus dem Nichts ein Mann auf, steckt seine Hand durchs Fenster, reißt mir mein kleines Notizbuch aus der Brusttasche, rennt in das Gebäude und brüllt „CIA! CIA!“ Ich bin dann aus dem Auto gestiegen und habe versucht, ihn einzuholen und als ich zurückkam, waren mein Kumpel und mein Auto weg. Ich hatte eine Höllenangst. Ich saß dort komplett fest, umgeben von Fremden. Die Freunde, die abgehauen waren, erzählten mir später, dass sie Panik bekommen hatten. Wir reden hier von einer Zeit, wo die Furcht regierte und jeder Schiss hatte. Wann kam die Polizei? Zwei Jeeps tauchten plötzlich aus dem Nichts auf, voller Bullen — ein paar in Uniform und andere, die wie Bouncer aussahen. Die härteren Typen mit den Uzis sprangen aus dem Wagen und nahmen mich fest. Sie setzten mich in den Jeep und fuhren mit mir im Paradetempo die Straßen auf und ab, damit alle sahen, dass sie einen CIA-Agenten verhaftet hatten! Sie nahmen mich mit zur Polizeiwache, wo dann langsam klar wurde, dass sie keinerlei Plan hatten, was sie nun mit mir anfangen sollten. Sie brachten mich also zu einem anderen Typen, der mich dann interviewte. 88

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Ein Interview? Ein Verhör. Als ich in den Raum kam, saß der Vernehmungsbeamte an einem Schreibtisch mit meinem Notizbuch neben sich. Ich ging zu ihm und nahm das Heft vom Tisch und steckte es wieder ein. Mutig. Was stand denn drin? Die Adressen von allen Leuten, die ich auf der Insel getroffen hatte, hauptsächlich Musikern. Ich hatte ihnen versprochen, ihnen bei meiner Rückkehr nach Amerika Fotos zu schicken, was ich auch tat. Und dann ließen sie dich sofort ziehen? Nachdem ich das Heft eingesteckt hatte, sagte der Typ erstmal gar nichts, er zuckte nicht mal mit der Wimper. Ich habe seine Fragen beantwortet, aber er wusste noch nicht mal, was er mich fragen sollte. Er hat wahrscheinlich ein paar Anrufe gemacht und gemerkt, dass das Ganze ein Fehler war. Wenn man sich Bilder von dir aus der Zeit ansieht, siehst du eher aus wie ein Star aus einem Zapatisten-Porno als wie ein CIA-Agent. Warum, wie sieht denn ein CIA-Agent aus? [lacht] Ich hatte einen griechischen Pass, wodurch ich noch verdächtiger war. Sie nahmen ihn mir ab und hielten mich eine Ewigkeit dort fest. Dann kam noch ein anderer Typ, um mich zu verhören, aber das führte auch wieder nirgendwo hin. Gegen zehn oder elf am selben Abend tauchte plötzlich ein Weißer auf und sagte, „Komm mit“, und führte mich aus dem Zimmer, setzte mich in ein Taxi und sagte, „Fahr los.“ Ich sagte, „Was ist mit meinem Pass?“ Und er sagte, „Mach lieber, dass du hier wegkommst, Mann.“ Ich fuhr zu dem Haus, wo ich untergekommen war und da waren sie alle: mein Kumpel, Augustus Pablo, die ganze Gang. Sie waren alle jünger als ich. Sie hatten alle wahnsinnige Angst und sahen mich an, als wäre ich von den Toten zurückgekehrt. Sie sagten mir im Prinzip, „Tut uns Leid, sie werden heute Nacht kommen, um dich umzubringen und wir würden jetzt lieber gehen.“ Wollten sie dir Angst einjagen? Nein. Solche Dinge passierten damals andauernd. Das ist ein sehr anderes Bild von Jamaika, als das, das du in Rockers zeichnest. Es gab diese Vorstellung, dass alles super lief — wegen Bob Marleys Erfolg. Aber selbst für den Reggae sah die Realität anders aus — viel härter. Und für einen Weißen, der da mitten drin steckte, sah sie noch einmal härter aus. Ich lebte schon ein paar Jahre dort, als wir mit dem Drehen anfingen. Diese Jamaikaner, die in den Ghettos von Kingston lebten, waren im Alltag unschuldige Leute und das wollte ich in dem Film festhalten — ein realistischeres Bild davon, wer sie waren, oder gern sein wollten. So etwas wie Robin Hood. Jamaika war eine Fantasiewelt, wo eine Realität, wie wir sie kannten, nicht existieren konnte. Wie meinst du das? Sie lebten unter Bedingungen, die sie von der realen Welt abschotteten. Ihre Situation war ausweglos; es gab nur selten jemand, den man hätte Vater nennen können. Sie waren einfach Männer, die Beziehungen mit Frauen hatten. Es gab keine Familienstrukturen in dem Sinne. In den meisten Fällen wurden Kinder nicht anerkannt, und obwohl du bei einer Mutter aufwächst, hast du keine wirkliche


Das ist Ted in seinem Zuhause auf der griechischen Insel Andros, wo er aufgewachsen ist. Wir lassen ihn den Rest der Fotos einfach selbst erklären.

„Ich und Leroy ‘Horsemouth’ Wallace, der legendäre Schlagzeug-Pionier der Rockers, modeln in der Innenstadt von Kingston, 1977.”

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„Es war Sommer 1977 und wir drehten Rockers in St. Ann's, im Norden von Jamaica. Die Schauspieler und die Crew trugen Verpflegung und Equipment durch die Berge, um eine Szene in einem Ganja-Feld zu drehen.”

„Diese Gegend, bekannt als ‘Idlers’ Rest,’ war um die Ecke von Randy’s Record Shop. Musiker, Sänger, und Möchtegern-Sänger hingen dort ab, um die neusten 45s anzuhören, während sie darauf warteten, zu einer Session gebeten zu werden.”

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Unterstützung, weil die Umstände dort so rau sind. Aus dieser Situation konnte praktisch fast unmöglich etwas anderes entstehen als eine Toleranz für Gewalt, eine Gang-Mentalität, die unter den jungen Kids herrschte, während sich alle anderen bemühten, irgendwie ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber es ist wichtig, sich klarzumachen, dass sehr viele Leute es schafften, unter diesen Bedingungen ein friedliches und produktives Leben zu führen. Wie fühlte sich Jamaika für jemand aus Andros bzw. aus New York an? Sehr exotisch. Eine ungewöhnliche Erfahrung. Ungewöhnlicher als New York? Du kamst ja aus diesem winzigen Dorf in Griechenland. Nun, ich bin aus diesem Haus, in dem wir jetzt sitzen, mit 17 nach Athen gegangen. Ich hatte das Glück, einen sehr weltoffenen Vater zu haben, der mir dazu riet — ohne Druck auf mich auszuüben — an die Rhode Island School of Design zu gehen, eine der besten Designschulen der Welt. Wann war das? Das war von 1964 bis 68, die Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll-Ära. Nach der Schule kehrte ich während der Juntazeit nach Griechenland zurück, um meinen Militärdienst zu leisten. Zwischendurch heiratete ich Eugenie — wir feiern dieses Jahr unseren 39. Hochzeitstag. Nachdem ich aus der Armee entlassen wurde, gingen wir nach Minnesota und danach packten wir unsere Sachen und zogen nach New York. Wir wurden Bohemiens und lebten in einem leer stehenden Gebäude in Tribeca. Wie habt ihr euern Unterhalt verdient? Ich arbeitete freiberuflich in verschiedenen Jobs. Eugenie arbeitete als Designerin in der Textilindustrie. Ich arbeitete als Fotograf, bis das New York Magazine mich losschickte, um Aufnahmen von einem jungen Jamaikaner im Tropical Club, einem heruntergekommenen Club in Brooklyn, zu machen. Ich ging da hin und plötzlich tauchte Augustus Pablo auf und spielte auf einer Melodica. Ich war völlig platt. Er war auch der Erste, den ich kennenlernte. Was wusstest du zu diesem Zeitpunkt über Reggae? Ich hörte Bob Marley zum ersten Mal 1974, als er mit den Wailers unterwegs war — völlig zufällig. Eugenie und ich waren auf dem Weg nach Minnesota und besuchten in Chicago eine Freundin. Sie sagte, „Lass uns in einen Club gehen, wo interessante Musik läuft“, und das war dann Bob Marley. Es war ein unglaublicher Gig. Was für Musik hast du zu der Zeit gehört? Alles mögliche. Vor allem Rock und R&B. Meine Frau hatte zwei Brüder, die Gitarre spielten. Und natürlich viel Blues. Wenn es in meinem Herzen nur Raum für eine Art Musik gegeben hätte, wäre das mit Sicherheit Blues gewesen. Alles begann auf seltsame Weise mit meiner Liebe für Rembetiko. Eine Musikart, die als der griechische Blues gilt. Bei Bob Marley passierte mit mir dasselbe wie beim Rembetiko und dem Blues. Rocksteady und Ska waren schon ein bisschen verbreiteter, aber als ich Augustus Pablo hörte, wusste ich, dass das etwas sehr Tiefes war, das über alles andere, was man so hörte, hinausging. Reggae hat eine große musikalische Tiefe und eine große Bandbreite an Sounds. Wenn man sich den Reggae der 60er bis zu den frühen 70ern ansieht, kann man kaum glauben, dass das alles von denselben rund 20 Musikern aus den Studios in Kingston stammt. Das ist keine Übertreibung. All diese Genres sind zeitgleich und von den gleichen Musikern entwickelt worden: Ska, Rocksteady, Rocker, Dub. Es waren dieselben Leute? Die Leute, die den Ska erfanden, erfanden auch den Reggae: es waren kaum mehr als zwei oder drei Drummer, Gitarristen und Bassisten. Die Qualität der Sänger war das, was am meisten zählte, ihre Fähigkeit, die Musiker zu inspirieren. Der Sound war da und das einzige, was sie noch brauchten, waren diese kleinen 45-er Platten, die so schnell wie möglich eingespielt werden mussten — in zwei Stunden oder einer halben Stunde — damit die Kosten minimal blieben. Diese Aufnahmen wurden in rudimentären Studios gemacht, und neue Tracks dann bei großen, an den Wochenenden im Freien stattfindenden Tanzsessions vorgestellt, für die sie in mit Verstärkern und

riesigen Lautsprechern ausgestatteten Kleinbussen herumfuhren. Das war Musik für den sofortigen Gebrauch. Später begannen sie, die 45er vor Ort aufzunehmen und in ein paar wenigen Buden oder Läden zu verkaufen. So lief das. Und das Ganze war eine ausschließlich jamaikanische Szene? War es eine Art Ghetto? Es war extrem lokal verankert. Man könnte es als Ghetto bezeichnen, aber das trifft es eigentlich nicht. Ghettos in Jamaika waren Viertel mit um Höfe herum gebauten Häuserblocks, wie in Athen in den 20ern und 30ern, oder in afrikanischen Dörfern. Darin gab es soziale Strukturen, die ein Eigenleben hatten und unabhängig von dem größeren Kontext funktionierten, also der Regierung, der Polizei, der Armee, dem Rechtssystem. In den örtlichen Radiostationen wurde selten Reggae gespielt. Sie spielten Soul und Disco, wie auch die Clubs. Sie haben ihre eigene Szene nicht unterstützt? Es war nicht ihre Szene, denn keiner hat damit irgendwelches Geld verdient. Nur ein paar Typen, denen die Soundsystems gehörten, verdienten etwas daran. Hinter den meisten der ersten Veröffentlichungen standen genau genommen nur zwei Leute: Coxton Dodd [vom Studio One Label] und Duke Reid [von Treasure Island]. Als das Genre anfing, international an Bedeutung zu gewinnen, begannen die Dinge sich zu ändern und Mitte der 70er war der Reggae, wie wir ihn kannten, verschwunden. Es war für die Leute unmöglich, noch gleichzeitig in so vielen verschiedenen Bands zu sein. Es waren insgesamt nur genug Musiker für fünf oder sechs Bands. Bob Marley nahm ein paar der besten davon mit. Die anderen begannen nach New York oder London zu gehen. Ende der 70er war keiner mehr da. Man könnte sagen, dass das Ganze mit dem One Love Peace Concert 1978 vorbei war. Es ist interessant, dass bei Rockers viele der typischen jamaikanischen Zutaten fehlen — die Palmen oder die Strände. Wie kommt das? Das ist absichtlich so. Mein Ziel mit dem Film war sehr einfach: Ich stellte ihn mir von Anfang an als eine Art Song vor, also war die Frage nicht, was ich reinpacken, sondern was ich weglassen sollte. Ich musste eine Auswahl treffen. Man kann nicht alles in einen Film packen. Meine Großmutter, die eine wunderbare Frau war, sah mir, als ich jung war, beim Zeichnen zu und sagte, „Das ist zu voll“, wenn ich zu viele Elemente hineingepackt hatte. Für den Film hieß das, dass ich versuchte, in einem bestimmten Rahmen zu bleiben und mich nicht so sehr als Filmemacher, sondern eher als Künstler sah. Konntest du dir vorstellen, dass der Film ein Erfolg werden würde? Ich fühlte, dass er außergewöhnlich werden würde, aber gleichzeitig konzentrierte ich mich darauf, ihn fertig zu kriegen. Alles hätte jederzeit in Flammen aufgehen können. Es hätte jeden Tag ein junger Typ kommen und einfach jemanden abknallen können — wir reden hier über Kingston, wo in diesem einen Jahr 600 Kids umkamen — und das wäre ein totales Desaster gewesen. Große Teile der Bevölkerung wurden abgeknallt und meistens ohne einen besonderen Grund. Worum ging es dabei genau? Es war ein Bandenkrieg, aber die staatlichen Stellen haben, auch wenn das schwer zu glauben ist, nichts getan, um es zu verhindern, denn es gab überall Waffen. Es galt als sehr cool, eine zu tragen und es gab auch Politiker, die mit einer ganzen Armee bewaffneter Typen umherzogen. Die größte Angst hatten wir vor diesen 11- oder 12-jährigen Kids — man wusste nie, was sie als nächstes machen würden, sie konnten einfach so einen abknallen. Ich lebte jeden Tag mit der Angst, dass jemand aus der Crew oder ein Schauspieler getötet werden könnte. Würdest du sagen, dass die Szene mit dem zeitgenössischen HipHop vergleichbar ist? Nicht wirklich, denn die Leute, die dort lebten und diese Musik machten, hatten einen Mordsschiss vor Knarren. Sie selbst haben keine benutzt. Sie waren keine Idioten, weißt du. Sie litten unter den Waffen. Der Grund, weshalb ich Bob Marley für einen Helden halte, ist, dass er zurück kam und versuchte, dabei zu helfen, etwas Ordnung in das Ganze zu bringen. Das gelang im natürlich nicht auf allen Ebenen und es gab viele Reaktionen von den Leuten auf der Straße. Aber seine Bemühungen für einen Waffenstillstand und

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„Der verstorbene Richard ‘Dirty Harry’ Hall. Er war ein brillanter Tenor-Saxophonist und einer der Stars des Films. Dieses Foto entstand 1976 im Garten von Horsemouth an der Maxfield Avenue, im Herzen des Ghettos von Kingston.”

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„Das Gras in Kingston war ziemlich schwach. Horsemouth kompensierte das, indem er den ganzen Tag über eine Menge davon rauchte.”

„Dieses Bild von Augustus Pablo entstand vor dem Rockers-Dreh. Im November 1974 spielte Pablo seine allerersten US-Konzerte. Das war bei der Eröffnungsnacht des Tropical Cove-Clubs in Brooklyn.”

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„Noch mal Pablo, diesmal mit einer Ukulele in den verlassenen Ruinen des erhöht gebauten West Side Highway, der durchs Zentrum von Manhattan führte, 1975.”

Frieden brachten die Gewalt ein Jahr lang zum Erliegen. Dann ging sie wieder los und am Ende des Jahres waren die Anführer der beiden Gangs tot. Dann kam das Kokain dazu. Hat es Marihuana ersetzt? Gras gab es auch noch, aber es war das Kokain, das die Leute tötete und zerstörte. Es ging um viel Geld; die Leute wurden aggressiv und begannen sich umzubringen. Aber gleichzeitig konntest du hier die nettesten, interessantesten Leute treffen. Die kleinen, grüppchenweise angeordneten Häuser waren mehr wie Favelas als wie Ghettos. An diesen wenigen vereinzelten Orten lebten all die Rastamusiker. Wer genau sind die Rastas? Reggae und Rasta sind zu einem verschmolzen und wurden zu dem Grund, aus dem jeder junge Typ in Kingston sagen konnte, „Ja, jetzt habe ich eine Flagge, ich habe eine Nation, einen Gott und jetzt fick dich, weißer Mann.“ Marcus Garvey war eine zentrale Figur, die versuchte, die Schwarzen zu organisieren und zu überreden, nach Afrika zurückzukehren. „Der schwarze Mann ist nicht der weiße Mann, der schwarze Mann gehört nach Afrika.“ Also gab es viel Rassismus. Auf jeden Fall. Es gab sogar unter ihnen Rassismus, zwischen Leuten mit hellerer und dunklerer Haut, zwischen denen mit Bildung und denen ohne. Wie hast du die Musiker dazu gekriegt, die Rollen in deinem Film zu übernehmen? Du hast ja letztendlich keinen Dokumentarfilm gedreht. Ich lebte über zwei Jahre mit ihnen und es brauchte eine Weile, sie zu überreden. Das war nichts, was man ihnen überstülpen konnte. Das Interessante an dem Film war, dass alles in der verkehrten Reihenfolge ablief: Ich suchte mir erst die Schauspieler, wählte dann die Locations und schrieb ganz am Ende das Buch. Sie spielen sich

alle selbst. Was sie sagen, ist sehr einfach, auch die Handlung ist minimal. Ich hatte eine ganze Weile auf der Insel gelebt und wollte daher keinen Dokumentarfilm machen — das hätte jeder gekonnt. Ich wollte einen Film über Jamaikas Musik machen, und alle mit einbinden, die dabei eine Rolle spielten, bis auf Bob Marley. Warum wolltest du ihn nicht im Film haben? Weil er bereits ein großer Star war und es dann ein Film über Marley geworden wäre. Er hätte die anderen Musiker definitiv überschattet, die genauso gut waren wie er oder besser, und das wollte ich nicht. Wie wurde der Film aufgenommen? Fantastisch. Seine Uraufführung fand beim Los Angeles Film Festival in einem vollgepackten, 800 Sitze großen Kino statt. Er wurde am Ende des Festivals noch einmal gezeigt, weil ihn so viele Leute sehen wollten. In Cannes wurde er am selben Abend wie Francis Ford Coppolas Apocalypse Now gezeigt und es kam zu einem Zwischenfall mit tausenden Leuten, berittener Polizei und der Bereitschaftspolizei. Da waren Leute, die rein wollten, aber die Tickets waren ausverkauft und es brach Chaos aus. Es war am nächsten Tag auf allen Titelseiten. Ich war von den Kritiken in Frankreich fasziniert, sogar denen in den konservativen Zeitungen. Der erste Satz in Le Monde war, „Rockers ist kein Film, er ist ein Kunstwerk. So gut, dass man es kaum glauben kann, aber es ist wahr.“ Worauf führst du diesen Erfolg zurück? Reggae war ein internationales Musikgenre geworden, wie Samba, Rumba, oder kubanische Musik. Beim Reggae war es sogar noch einen Schritt weiter gegangen und er hatte zum ersten Mal ein Publikum auf der ganzen Welt erreicht. Sofort nach der ersten Aufführung wurde ich als etwas Faszinierendes behandelt. Ich bekam Angebote aus Hollywood, aber ich hatte andere Pläne. Hast du mit dem Film Geld verdient? Seltsamerweise nicht. Überhaupt nichts. Manche Leute haben hauVICE

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„Pablo mit Freunden vor dem World Trade Center.”

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„Im Winter war der Dreh abgeschlossen und ich zog zurück nach New York. Ich bekam Besuch von einer Menge Leuten aus der Rockers-Besetzung. Das ist Horsemouth auf dem Dach meines Lofts in Tribeca.“

fenweise daran verdient. Allein schon an der Musik. Es gab anschließend riesige Probleme, nachdem der Film fertig war. Was ist passiert? Die Dinge gerieten außer Kontrolle. Keiner hatte Erfahrung, weder der Produzent noch ich. Keiner hatte so etwas je zuvor gemacht und wusste, wie man damit umging. Sie dachten alle, dass es sich nur um einen kleinen kurzen Film handelt und machten sich nicht die Mühe, sich an dem Prozess zu beteiligen. An dem Prozess den Film zu promoten? Sie wussten nicht, wie man Geld daraus schlägt. Glaub mir, ich fange erst jetzt, 30 Jahre danach, an, Geld damit zu verdienen. Durch die DVD. Nach all diesen Jahren habe ich gerade einen Scheck mit einer kleinen Summe zugeschickt bekommen... einer sehr kleinen Summe. Es ist ziemlich lächerlich. An der Musik habe ich auch kein Geld verdient. Ich ging manchmal ins Tower Records in New York und sah diese Stapel von CDs und dachte mir dann, dass andere Leute das Geld verdienten, das eigentlich mir zustand. Wie viel hat der Film gekostet? Circa 500.000 Dollar. Ich traf diesen Produzenten, einen jungen Typen, der sich mit dem Filmvirus infiziert hatte und der an mich glaubte. Ich zeigte ihm ein paar der Aufnahmen und er sagte, „Du kannst alles so machen, wie du es willst.“ Er ließ mir völlige Freiheit. Leider lebt er inzwischen nicht mehr. Bist du noch mit anderen Leuten aus dem Film in Kontakt? Die meisten von ihnen sind tot. Die Hälfte wurde ermordet. Dirty Harry zum Beispiel wurde in New York umgebracht. Er kam für zwei Jahre in den Knast, wahrscheinlich wegen Drogen oder wegen einer Handgreiflichkeit. Ich bin nicht sicher, ich hab ihn nicht gefragt. Sechs Monate, nachdem er wieder rauskam, wurde er von jemandem umgebracht. Dasselbe gilt für Natty Garfield. Ein anderer Freund

hingegen, den ich für tot gehalten hatte, lebt. Wir haben vor kurzem telefoniert. Ich frage immerfort, „Lebt der noch, ist der schon tot?“ Die meisten sind nicht mehr in Jamaika. Hattest du viele Freunde dort? Ich war so viele Jahre dort, ich musste mich mit den Leuten anfreunden, ich musste meine Karten auf den Tisch legen. Ich hatte nicht viele Freunde, aber ich wollte, dass alle wussten, wer ich bin. Es gab eine Zeit, wo uns zu Hause in New York jeden Tag Leute aus Jamaika besuchten. Wir wohnten in der Nähe von Brooklyn, wo auch viele Jamaikaner wohnten, und wenn jemand für einen Gig in die Stadt kam, kam er auch bei uns vorbei. Haben sie deine Arbeit respektiert? Sie dachten alle, dass ich einen Haufen Geld verdient habe. Nun, nicht alle, aber es ist nicht leicht, die Leute zu überzeugen, dass ich keinen einzigen Cent verdient habe. Wenn Leute heute den Titel hören, denken sie wahrscheinlich nicht, dass es ein Film über Jamaikaner ist. Die Bezeichnung Rocker war während der Blütezeit des Reggae sehr populär. Das war dieser neue, sehr ausgeklügelte Sound mit einem neuen Drumming-System. Sly Dunbar hatte auf eine Weise seinen eigenen Rhythmus eingeführt. Härter. Das war ein Wort, das man damals viel hörte: „Rock steady, rockers.“ Den Titel hat der Produzent ausgewählt. Das Artwork ist von mir, das Poster auch. Ich habe das alles selbst gemacht, weil wir sonst keinen dafür hatten. Wer schrieb das Skript? Ich. Hast du zu der Zeit viel Gras geraucht? Natürlich. Wie war das jamaikanische Gras? Schrecklich. Sogar noch schrecklicher als das in New York.

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Die Models Christopher Nieratko II und der behinderte Onkel Lonnie tragen eigene Windeln. Beide sind voll.

RAW 2 Regie: Manuel Ferrara Evilangel.com Bewertung: 11 Dieser Film ist genial! Das ist kein Porno — das ist Kunst. Nein, wartet mal. Mit Kunst verdient man kein Geld. Das ist sexueller Kapitalismus vom Feinsten. Wir haben hier also zwei Discs mit fünf Szenen, in denen Manuel Ferrera die Hauptrolle spielt, Regie führt, filmt und auch sonst alles macht, was du dir vorstellen kannst. (So wie ich auf Kuba, als ich realisierte, dass Vice nicht dem Versprechen nachkommen würde, ein neues Kamerateam zu schicken.) In jeder Szene fickt Ferrera ganz entspannt Mädchen (ich ordne Analsex unter entspanntem Ficken ein) in seinem Hotelzimmer und filmt das Ganze mit einer Handheld-Kamera. Manchmal macht er das aus seiner Perspektive („So sieht mein Schwanz in ihrem Mund aus von dort, wo ich stehe“), manchmal steht die Kamera auf einem Schreiboder Nachttisch in der Nähe („Oops, ich bin aus dem Bild, lass mich das kurz zurechtrücken“). Es hat genau die gleiche intime Wirkung wie die hausgemachten Pornos, die wir alle drehen (abgesehen vom Pferdeschwengel und den ganzen Nutten). Aber der Fakt, dass Manuel sich die Kohle für die Crew spart und alles selbst macht, ist gar nicht mal das Geniale an der Sache. Der Kunstgriff ist, dass er, nachdem er in diesem Hotelzimmer die Ärsche der Frauen testgefahren hat, ein 98

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poliertes Gonzovideo mit einer richtigen Crew und verschiedenen Kameraeinstellungen und Schnitten dreht und zwar mit den exakt gleichen Mädchen. Das ist fast so, als würdest du zehn Jahre lang umsonst Porno Reviews schreiben und genau diese dann in einem Buch neu verpacken und auf einmal dafür Geld verlangen. Das ist so, als würden sie im Restaurant ihre Teebeutel zweimal benutzen. Ich tauche auch gerne die Eier von meinem Sohn beim Baden mehrmals ein, so, als würde ich Tee ziehen lassen. Ich finde das unheimlich lustig. Ihm scheint es genauso viel Spaß zu machen. Und ich finde es nur fair, euch davon zu erzählen, weil er schließlich jedes Mal, wenn ich ihn bade, in meine Hände kackt und mich vollpisst und sich deswegen kein bisschen schlecht fühlt. Genau genommen lacht er mir sogar jedes Mal in mein fettes Gesicht, wenn er das macht. Ich lasse mir einfach von ihm zeigen, wo es langgeht und fühle mich auch kein bisschen schlecht deswegen. Ich muss ziemlich kichern, jetzt, wo ich das hier tippe. Ich hoffe, dass ich keine Schwierigkeiten bekomme, weil ich in einer Pornorezension über meinen Sohn spreche. Ich habe neulich eine Review für burningangel.com geschrieben und sie haben sich geweigert, den Witz daran abzudrucken: wenn Pornostar Joanna Angel mein Kind im Arm hält, auch wenn es komplett bekleidet ist, dann ist das mathematisch betrachtet wie ein Kinderporno: Kind + Pornostar = Kinderporno. Sie sind ausgerastet. Eine Woche später wurde ich gefragt, ob ich als Auktionator bei einem Pornoevent von Kim Kane tätig werden will und ich fragte: „Kann ich dabei Kinderpornos oder AIDS erwähnen?“ Sie sagt, „Absolut nicht.“ Ich verstehe es nicht. Ja, Kinderpornos sind krank und abartig, aber soll das heißen, dass die Witze darüber weniger lustig sind? Mehr von Chris findet ihr auf chrisnieratko.com oder njskateshop.com.



VIDEO GAMES KILLED THE RADIO STAR

ASSASSIN’S CREED II Publisher: Ubisoft Plattform: PS3, XBox 360, PC Florenz ist eine furchtbare Stadt. Egal, was euch Leute erzählen, glaubt ihnen kein Wort. Es ist alles Lüge und Rechtfertigung, was aus ihren Mündern kommt. In Wahrheit ist Florenz ein Drecksloch, dass jeden Winkel seiner Geschichte vermarktet und ausschlachtet, um den Abklatsch einer Idee an japanische Touristen zu verschachern. Und das zu überteuerten Preisen. Scheiß auf die Basilika di San Lorenzo und die Medici Kapelle, alles Nepp. Das Essen dort ist im Übrigen auch scheiße, und an jeder Ecke wird man auf das Übelste abgezockt. Mir ist das auch schon passiert. Am Ende war ich all mein Geld und meine Würde los. Die Geschichte, um die es gerade geht, handelt nicht

JAMES CAMERON’S AVATAR — DAS SPIEL Publisher: Ubisoft Plattform: PS3, Xbox 360, Nintendo DS, Wii, PC Avatar ist wohl der beste Kevin Costner Film, der jemals ohne Kevin Costner gedreht wurde. Die Indianer, die Pferde, die indigene Kultur, die fremdartige Flora und Fauna, die majestätisch dahinziehenden Herden in den großen Ebenen wurden wohl noch nie so nahe am Karl May Original auf Zelluloid gebannt. Dazu kommen noch fliegende Felsen, Drachen, Colonel Kilgore aus Apocalypse Now und eine Liebesgeschichte zwischen zwei Welten, die das Wort „Zoophilia“ neu definiert und fertig ist der zusammengeklaute Blockbuster. Und wie es sich für einen Blockbuster gehört, wird dieser in die dünne Luft gestapelte Egotrip eines einzigen Mannes nun auch in einem Videospiel vermarktet. Drei Jahre dauerte die Entwicklung dieses Spiels in 3D 100

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von mir, sondern von Enzio, einem jungen Florentiner Edelmann, der in der Fortsetzung des überaus erfolgreichen und grandiosen Assassin`s Creed nun durch die Open World Szenerie des Florenz der Renaissance wandelt. Seine Familie wurde, oh Wunder, in Florenz aufs Schlimmste abgezockt und ist nun auf Rache aus. In einer epischen Story schlendert, springt, klettert, raubt und mordet sich Enzio wunderbar flüssig durch die nah am Florentiner Original animierten Palazzos, Kirchen und Plätze und läuft dabei einigen Gestalten der Geschichte über den Weg. Alles ein Heidenspaß, nur dass einem fast jeder nach dem Leben trachtet. Hört sich also schon wieder nach meinen Florentiner Erlebnissen an. Venedig, das ihr in der zweiten Hälfte des Spiels aufsucht, ist ebenfalls scheiße. Assassin`s Creed II jedoch ist super, falls ihr euren miserablen Urlaub mit einem Blutbad aufarbeiten wollt.

(also wirklich 3D, so mit aus dem Monitor fliegenden Tieren und verpixelten Ästen, von denen ihr meint, sie würden euch die Augen ausstechen und so), und was heraus kam, ist der übliche FranchiseMurks. Klar, die Grafik ist ansehnlich, die Story mit den zweigeteilten Handlungssträngen, die ihr entweder als Mensch oder als blauer Affe meistern könnt, kurzweilig, doch das Gameplay ist ein Schlag ins menschliche oder, je nachdem, Affengesicht. Zielen ist so gut wie unmöglich, die Kamera ein Graus und manchmal zeigt sie nicht einmal euren überraschenden Tod, wenn ihr wieder mal an einer der Schema „Gehe zu Punkt A, sammle irgendwas, gehe zu Punkt B und krepiere zig mal auf dem Weg“-Missionen zugrunde geht. Wenigstens wird man direkt und unbegrenzt wiederbelebt, so dass man genügend Zeit hat, gefrustet alles zu Klump zu schießen. Und falls ihr einen Monitor habt, der in der Lage ist, 3D darzustellen, stechen euch immerhin die Pixeläste die Augen aus.


FOTO: ADAM SELLO

CRAILGRAB BY TEAMRIDER MACK MCKELTON

ADIDAS SKATEBOARDING | CONVERSE | ALTAMONT | CARHARTT | CHEAP MONDAY | CLAE | CLEPTOMANICX DC | DR.DENIM | DUNDERDON | BENCH | ELEMENT | EMERICA | ETNIES | EZEKIEL | FALLEN | FORVERT GRAVIS | INDEPENDENT | INSIGHT 51 | IRIE DAILY | KEDS LEVI’S | SEESUN | MAZINE | WESC | NIKE SB NIXON | NUDIE | OBEY | PAUL FRANK | POINTER | REVOLUTION | WEMOTO | RVCA | STÜSSY | SUPRA TITUS | VANS VOLCOM | ZOO YORK | EVEIL | BAKER | DEATHWISH U.V.M.

TITUS BERLIN

TITUS ZOOPREME

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SPIN ME ROUND

GOOD GUY MIKESH & FILBURT Cleaning Up 12" Mirau

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In Insiderkreisen galt Mikesh noch bis vor kurzem als der Zonen-Timberlake mit dem absoluten Gehör und Filburt als der Typ, der bei DJ-Terminen immer eine Chris Isaak-Platte in der Tasche hat. Wenn sie ihre ganz besonderen Qualitäten bündeln, dann sind Platten wie diese das Ergebnis. Also sich langsam anschleichende Neodisco-Juwele in Sichtweite von Visage, Lindstrøm, Zoot Woman und Junior Boys. MESSIE SCHMIDT

MONDO RAY Do You Love Me Now? 7" Red Can Records

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Red Can und diese Zweigstelle von der Subrosa Falcon Association hören nicht auf, München wie San Diego klingen zu lassen. Genau genommen ist das eines der wagemutigsten Projekte der Menschheitsgeschichte und es ist kaum zu fassen, wie überzeugend sie immer weiter voran schreiten. Im Prinzip müsste das bayrische Fremdenverkehrsamt diese Band mit Förderleistungen zuschütten, denn wenn das so weiter geht, gibt es bald einen Grund weniger, nicht nach München zu fahren. JOSEPH PREUYS

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HGICH. T Hallo Mama 12" Tapete

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Hier trifft beißende Sozialkritik auf fein ziselierte Alltagsskizzen. Südkurvenrauschen auf Feuilletongeknister. Filigrane Stimmakrobatik auf Beats, die bei Timbaland Suizidimpulse auslösen (weil sie ihm nicht eingefallen sind). Alles in allem ist diese Platte so weit vorn, dass das menschliche Ohr ihre eigentliche Klasse gar nicht erschließen kann. Das ist in etwa wie mit diesen hochfrequenten Hundepfeifen. SCHNELLE MEDIZINISCHE MILFE

NINAMARIE/ FLORENCE VALENTIN Split 7" SameSameButDifferent/Startracks

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Auf der einen Seite ein paar Schweden, die klingen, wie Schweden eben klingen. Wie aufgeweichte Jesus And Mary Chain, die Broder Daniel für das überragendste kulturelle Exportgut ihres Landes halten. Auf der anderen Seite der Versuch von Ninamaria, die von den Prinzen vor geraumer Zeit geschändeten Ee-Oh-Ee-OhSingalongs qua Garagepunk zu rehabilitieren. Eine insgesamt gewöhnungsbedürftige Konstellation, aber was ist schon normal heutzutage? ERNST DÜNGER

DŸSE Lieder sind Brüder der Revolution LP

HANNA HIRSCH Tala Svart LP

Exile on Mainstream

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Ich musste gerade daran denken, wie dieser eine Typ, dessen Namen ich nicht nennen werde (nicht, um dessen Würde zu schützen, sondern weil ich ihn vergessen habe), damals in der fünften Klasse während des obligatorischen gemeinschaftlichen Intonierens der Internationale der Lehrerin auf den Tisch gekotzt hat. Lieder sind manchmal auch die Brüder der Umstürze im Verdauungstrakt. Was sagt das über dieses Album aus? Nichts. Aber ich wollte mal was ohne Lightning Bolt-Vergleich schreiben. NOISE DEUTSCHLAND

Adagio 830 In Schweden wimmelt es von TweePop-Bands, die dir weismachen wollen, dass das Leben ein nichtendenwollender Spaziergang über eine duftende Frühlingswiese ist. Hanna Hirsch wiederum arbeiten so viel Realismus und wehmütige Harmonien in ihre upbeat-Variation des Genres ein, dass man aufs Beste darauf vorbereitet ist, währenddessen auch mal in einen saftigen Haufen Hundescheiße zu treten. Das macht sie zusammen mit Masshysterie zu den willkommensten Botschaftern ihres Landes. JOACHIM RÜCKER

L’EGOJAZZ 2 Song 7"

CHIEF Mighty Proud 7"

Red Can Records

Domino

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Hier sind Leute zugange, die es riskieren, mit ihrem Namen und ihren Beats Erinnerungen an die Zeit zu wecken, in der Bristol für das Epizentrum der Popkultur gehalten wurde. L’Egojazz wiederum kommen aus dem Chiemgau. Also dem Epizentrum der Langeweile. Die Entstehungsbedingungen eingerechnet, muss man dieser Band tatsächlich zu ihrem Sound gratulieren. Allein in Berlin gibt es Dutzende Projekte dieser Art, die beschissener klingen. L’IRUM L’ARUM L’ÖFFELSTIEL

Aus irgendeinem Grund ist vor ein paar Jahren der Wettbewerb darum entbrannt, so eine Art neuzeitliches Update der Eagles in die vorderen Indiecharts-Regionen zu peitschen. Keine Ahnung, wie die Chancen von Chief letztendlich aussehen, aber mit Liedern wie diesen im Rücken könnten sie möglicherweise schnell zu Fleet Foxes, Port O Brien und all den ganzen anderen Mitbewerbern aufschließen. KING OF NEON


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BREAKBOT

L - VIS 1990

Ed Banger / myspace.com/dothefunkybot 29.01.10 Icon - Berlin 27.02.10 Bootshaus - Köln

BUGATI FORCE

Exploited Records / myspace.com/bugatiforce 21.01.10 tba - Berlin 06.02.10 Eventwerk - Dresden

DAS POP

N.E.W.S. / www.daspop.com 25.02.10 Atomic Cafe - München 26.02.10 B72 - Wien (AT) 28.02.10 Lido - Berlin 01.03.10 Docks - Hamburg 02.03.10 Schlachthof - Wiesbaden

DJ FEADZ

Ed Banger / www.myspace.com/feadz 16.01.10 Rocker33 - Stuttgart

DJ WOODY AKA WOODY MADERA

Ninjatune / myspace.com/woodymadera 12.02.10 Usine/Le Zoo - Genf (CH) 20.02.10 TapTab - Schaffhausen (CH) 21.02.10 Kaserne - Basel (CH)

DON RIMINI

Mental Groove / www.myspace.com/donrimini 15.01.10 Muffathalle - München 16.01.10 Suxul - Ingolstadt 22.01.10 Bloom Club - Wuppertal

EBONY BONES

PIAS / www.myspace.com/ebonybones 16.01.10 Arena - Berlin

JOAKIM & THE DISCO K7 / www.myspace.com/jimibazzouka 15.01.10 Übel & Gefährlich - Hamburg

Berlin Office: Sonnenburger Strasse 54 10437 Berlin Fon:+49(0)30 780 809 31 Fax:+49(0)30 780 809 33

Mad Decent / www.myspace.com/lvis1990 16.01.10 Kaserne - Basel (CH) 25.02.10 Crux - München 05.03.10 Apollo – Aachen

MR.OIZO

Ed Banger / myspace.com/oizo3000 04.02.10 Suxul - Ingolstadt 05.02.10 Erste Liga - München 06.02.10 603qm - Darmstadt

PUNKS JUMP UP

Kitsune / myspace.com/punksjumpup 16.01.10 Erste Liga - München 27.03.10 Hamburg - Neidklub

RADIOCLIT

Ghettopop / www.myspace.com/radioclit 22.01.10 Hive Club - Zürich (CH) 23.01.10 WMF - Berlin

RITON

Get Physical / myspace.com/ritontime 19.02.10 Suxul - Ingolstadt 20.02.10 Villa - Berlin

SOMETHING ALA MODE

Yellow Productions / myspace.com/somethingalamode 23.01.10 Arena - Wien (AT)

STEINSKI

www.steinski.com 31.03.10 Kaserne - Basel (CH)

STILL FLYIN

Moshi Moshi / myspace.com/stillflyin 27.02.10 Sweat Club - Leipzig 28.02.10 Prinzenbar - Hamburg 05.03.10 Magnet - Berlin

THE BLOODY BEETROOTS

Ed Banger / myspace.com/krazybaldhead 16.01.10 Suxul - Ingolstadt

Dim Mak / myspace.com/thebloodybeetroots 10.03.10 Stereo - Bielefeld 11.03.10 Rocker 33 – Stuttgart 12.03.10 Maria – Berlin 13.03.10 Bootshaus – Köln

Exploited / myspace.com/malente 20.02.10 Neidklub - Hamburg

Ed Banger / www.myspace.com/myvicariousbliss 30.01.10 Erste Liga - München

KRAZY BALDHEAD MALENTE MISSILL

Citizen Records / www.missill.com 20.02.10 Rocker33 - Stuttgart 13.03.10 Hirsch - Nürnberg

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VICARIOUS BLISS VITALIC

Pias/Citizen Records / www.myspace.com/vitalicofficial 15.01.10 Rote Sonne - München

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REVIEWS

BESTES ALBUM DES MONATS: YEASAYER

HAWNAY TROOF Daggers at the Moon

gebracht, um das hier zu dem belanglosesten seiner zahlreichen belanglosen Alben der letzten Jahre zu machen. Gut, möglicherweise war das davor schon das belangloseste oder das davor. Es sind Analysenuancen, die an dieser Stelle nicht ausgearbeitet werden können. Fakt ist: dieses Album ist belanglos. BEELAWN COLOSS

DIE SEKTE s/t

Retard Disco

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Als wir Vice Cooler nach der Veröffentlichung seines letzten Albums trafen, kündigte er an, dass das nächste nur zehn Stücke enthalten wird, die aber jeweils mindestens zehn Minuten lang sind. Hat er uns doch glatt angelogen. Dafür ist Daggers in einem schönen recyclebaren Karton verpackt, es konstruiert den Gegenentwurf zu Autotune und ist wahnsinniger und Genre-bondender und visionärer als alles, was er bislang gemacht hat. SMART SIDE OF THE MOON

BLAKROC s/t V2

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Sektenmuzik

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Jetzt ist es also so weit. Man kann mit Rap kein Geld mehr verdienen. Man muss sich kein Reißbrettimage mehr zusammenfantasieren und auf Schmalspurgangsta machen. Man kann jetzt einfach wieder locker Platten machen und Spaß dabei haben und nebenbei auch noch behaupten, man sei Underground. Die beste Zeit also, ein Album zu veröffentlichen, das einfach nur angenehm unbemüht und fresh ist und nebenbei so dermaßen Underground, dass man die Linernotes nur mit der Lupe entziffern kann und das Artwork generell aussieht als wurde es mit einem Taschenrechner gelayouted. 38537 355134

Wenn Musiker die heißeste Phase ihrer Karriere hinter sich haben, müssen sie kollaborieren. Black Keys und gute alte dicke HipHop-Namen wie RZA, Ol’Dirty Bastard oder Mos Def und noch viel mehr? Geht das? Warum braucht das die Welt? Das Einfachste soll ja oft das Naheliegendste sein, von daher: Geht. Weil, es macht Spaß, zumindest heute. JUDGE KURTZ & BREAK WEILL

HÅKAN LIDBO VS MAGNUM 38 Ostberlin

FAT JOE J.O.S.E. 2 Terror Squad Entertainment

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Alle Achtung, die erste Autotune-Attacke nach bereits drei Sekunden. Fatso hat seine gesamte Schwungmasse in Fahrt

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VICE

ANNIE Don’t Stop Totally/Smalltown

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Annie repräsentiert modernen Chartspop mit Selbstbestimmung und Sophistication. Und damit sie als rundum gelungenes Produkt auch funktioniert, sieht sie auf der Bühne meistens ziemlich heiß aus, ohne billig zu wirken. Sie ist also das ruhige Gewissen all derer, die gern Sugababes, All Saints und Girls Aloud hören, genau das aber niemals zugeben würden. Es ist gut, dass es Annie gibt. Allerdings werden die meisten neuen Lieder in den Charts nicht funktionieren. Nicht, weil sie für die Masse zu anspruchsvoll sind. Sie sind einfach nicht gut genug. JASON DUNNOVAN

BLANK & JONES/MARK REEDER Reordered So80s

7

Blank & Jones mögen zu jenen Künstlern gehören, die in Kritikerkreisen statt Lobeshymnen eher ein hämisches Kichern auslösen. Jetzt aber hat Mark Reeder sich dazugesellt, eine handverlesene Auswahl ihrer Vocal-Tracks (unter anderem von Robert Smith, Bernhard Sumner und Anne Clark) neu bearbeitet und plötzlich ist das Ergebnis vorzüglich. Wie eine zunächst etwas fade Gemüsesuppe, in die man den entscheidenden Schuss Maggi-Würze schüttet. BLACKERS OLD BEAN

PANTHA DU PRINCE Black Noise

Shitkatapult

5

Der neue Mainstream feiert sich selbst und haut ein Touri-Paket raus. Der Comic ist toll und die CD-Beilage so schlimm wie dein Pulver, wenn es alle ist. Aber so soll es ja sein. Hauptsache, steif und geil. Gehen wir? SUCKA TRUCK

Rough Trade

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Seit ich aus der Großstadt in ein dänisches Fischerdorf gezogen bin, kann ich auch mit Techno weniger anfangen. Ich weiß



REVIEWS

SCHLIMMSTES ALBUM DES MONATS: FAT JOE:

aber noch von früher, dass die Dial-Leute zu den Guten gehören. Tatsächlich eignet sich dieser warme, organische Sound auch als ideale Untermalung meiner morgendlichen Wattwanderungen. Wenn ich meine Kopfhörer auf den Boden lege, kommen plötzlich all die Regenwürmer aus dem feuchten Sand an die Oberfläche gekrochen und fangen an zu tanzen. Und wie pflegen wir an der Küste zu sagen: If you can make it there, you can make it everywhere. Funktioniert im Club also vermutlich auch. MATS MIKKELSEN

DANTON EEPROM Yes is More InFiné Music

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Es gibt einfach zu wenige Platten, auf deren Cover ein Mann mit einem Pferd zu sehen ist. Wenn es eine Sache gibt, die mir gefällt, dann ist es ein Typ auf einem Pferd. Und ein prächtiges Pferd ist es noch dazu! So ein Pferd muss man einfach lieben, oder? MYSTERY CHALLENGER

firlefanz überhaupt keine Zeit mehr haben. Ach, und dann gibt es noch Jello Biafra, der seit über dreißig Jahren beide Seiten unermüdlich mit den Köpfen gegeneinander schlägt, bis sie anfangen zu heulen. GRILLMEISTER BOB

SLAYER World Painted Blood Sony

9

Vor wenigen Minuten traf hier die Pressemitteilung ein, dass die für Ende des Jahres geplante Slayer-Tour auf Frühjahr 2010 verschoben wurde, da Tom Araya ein Rückenleiden auskurieren muss. Man muss sich einfach mit dem Gedanken anfreunden, dass selbst diese Band irgendwann ins Gebrechlichenalter kommt, auch wenn World Painted Blood die Aufsehen erregendste Return to Form-Leistung ist, seit Muhammad Ali sich durch den „Rumble in the Jungle“ geprügelt hat. GEORGE FOREHAUT

SAVIOURS Accelerated Living Kemado

JELLO BIAFRA AND THE GUANTANAMO SCHOOL OF MEDICINE

The Audacity Of Hype Alternative Tentacles/Cargo

7

Die so genannte Politisierung der populären Kultur hatte die Entstehung zweier nahezu gleich schlimmer Lager zur Folge, die sich bis heute bester Gesundheit erfreuen. Da gibt es einmal all die jungen Menschen, die glauben, sie müssten nur die richtigen Konzerte besuchen, um die Welt zu verändern. Und dann gibt es noch die Politiker, die sich allenthalben wie Popstars aufführen und deshalb für den ganzen Weltveränderungs-

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VICE

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Um nicht ständig mit High on Fire verwechselt zu werden, haben Saviours den Sludge-Anteil um zwei Prozent zurückgefahren und zum Ausgleich den Thrash-Booster angeworfen. In schwierigen Zeiten wie diesen kommt es eben auf die subtilsten Alleinstellungsmerkmale an. Der positive Nebeneffekt dieser Feinjustierung macht sich darin bemerkbar, dass sich Accelerated Living anhört und auch aussieht als hättest du es vor unzähligen Jahren zusammen mit Kill ’em All und Spreading the Disease vom Taschengeld zweier Monate gekauft. Weitere Nebenwirkungen sind Blitzakne, Hormonstau und Halfpipekoller. C.G. JUNGBRUNNEN

CONVERGE Axe to Fall Epitaph

9

Meine Güte, auf dem neuen ConvergeAlbum findet man mehr Gastauftritte als auf der gesamten Lil Wayne-Diskographie (u.a. Leute von Cave In, Disfear, Genghis Tron, Neurosis, 108, Undertow, Pg. 99). Das führt dazu, dass es vielfältiger ist als alles, was sie vorher aufgenommen haben. Möglicherweise ist es auch Grund dafür, dass man es problemlos durchhören kann, ohne einen epileptischen Anfall befürchten zu müssen. Bei Beibehaltung der Unnachgiebigkeit und Macht einer Dampfwalze, wohlgemerkt. FAXE FOR ALL

OMEGA MASSIF/MOUNT LOGAN s/t Vendetta Records

7

Na wenn das kein (höhö) Gipfeltreffen ist! Auf diese spezielle Form von Doom (Omega Massif), die bei adäquater Lautstärke genossen, eine gelungene ganzkörperliche Asanas und eine Abmahnung deiner Hausverwaltung nach sich zieht, trifft AmRep-Noise (Mount Logan) mit so viel Schräglage, dass deine innere Einheit sofort wieder aufgelöst wird und du anschließend der gleiche nervöse Loser bist wie vorher. Mit Abmahnung. Eine Platte voller elementarer kosmischer Gesetze. ANJA PATLI

BERGRAVEN Till Makabert Vasen Hydra Head

7

Da Bergraven etliche verschiedene Ideen und abseitige Subgenres in einem Lied zusammenpresst, wird seine Musik oft als



REVIEWS

BESTES COVER DES MONATS: CONVERGE

Progressive Black Metal bezeichnet. Das ist eine ausgezeichnete Idee, einen prinzipiell interessanten, etwas von der Norm abweichenden Sachverhalt noch interessanter zu machen. Warum wird die Methode nicht viel öfter angewandt? Ich werde darüber nachdenken, nachdem ich mir ein progressives Mittagessen zubereitet und mir progressiv einen runtergeholt habe. PRO GRASS EVE

plötzlich so eine Platte, die all dieses Elend in Melodien packt und eigenartig wertvoll erscheinen lässt. Hätte ich nicht gedacht, dass eine Band ohne Vokale im Namen meinem Leben einmal neuen Sinn geben könnte. . OSKAR BREIT

GENEPOOL Lauf! Lauf!

THOMAS TRUAX Songs from the Films of David Lynch

Rookie/Cargo

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Ich stelle mir einen Genpool als ein hochkomplexes und dynamisches System vor, das die Evolution allen Lebens in diesem Universum steuert. Vor einigen Jahrmillionen hat vermutlich ein dahergelaufener Landstreicher hineingepinkelt und seitdem nimmt das Unheil seinen Lauf. Man weiß ja, wie schwierig es ist, Pisse wieder aus einem Pool zu bekommen. Guido Lucas und Co. haben es immerhin geschafft, die Entwicklung des Punkrock wieder in die Spur zu bringen und selbigen vor dem Aussterben zu bewahren. Könnt ihr euch vielleicht demnächst noch um die Koalabären kümmern, Jungs? RIOT BOYYYY

LYMBYC SYSTYM Shutter Release Mush/Cargo Records

8

Was für ein schrecklicher Sonntag. Man wacht nach Einbruch der Dunkelheit auf, das Gehirn macht darauf aufmerksam, dass es noch eine ganze Weile mit dem Abbau diverser giftiger Substanzen beschäftigt sein dürfte, der Kühlschrank ist ohnehin leer und so beschließt man, die Wartezeit bis zum erneuten Schlafengehen einfach im Bett zu verbringen. Tja, und dann begegnet einem

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VICE

Psycho Teddy/SL Records

2

Der Urheber rechtfertigt diese Coverplatte damit, dass viele seiner Hörer der Meinung gewesen seien, seine eigenen Platten würden sich als Soundtrack für Lynch-Filme eignen. Ich meine, mir wurde schon des Öfteren gesagt, ich hätte ein paar Züge von Robert de Niro. Aber fange ich deswegen an, gleich im Rotlichtmilieu Amok zu laufen? Kann man nicht vergleichen? Die Platte ist trotzdem scheiße. TRAVIS BUCKLE

SEPTEMBER COLLECTIVE Always Breathing Monster Mosz

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In unserer schnelllebigen Welt zählt ja nur das Ergebnis, deswegen kein Wort über den bestimmt sehr aufwändigen und nicht ganz billigen Entstehungsprozess um midifizierte Kirchenorgeln. Lässt man das nämlich alles weg, ist das klangliche Erlebnis des unbedarften Hörers etwas mitgenommen von den abrupten Wechseln zwischen zweifelsohne vorhandenen musikalischen Eigenheiten und unsagbar langweiligen, neunmillionenmal schon gehörten dronig-öden Talsohlen. BELLOWS

LOS CAMPESINOS! Wichita/Cooperative Music/Universal Romance is Boring

6

Der ADS-verdächtige Wichtigtuer am Mikrofon singt die ganze Zeit nur von seinem erigierten Schwanz, mit dem er die ganzen 18jährigen Groupie-Mädels aufspießt wie Schmetterlinge in einem Setzkasten. In einem Interview hat er mal erzählt, er möchte sich mit seinen Texten an seiner Ex-Freundin rächen. Geht’s noch niveauloser? Obwohl diese andere rothaarige Sängerin mich ein wenig an meine eigene Ex erinnert. Und wo wir schon mal dabei sind... Steffi, falls du das lesen solltest: Heute bin ich Musikjournalist bei Vice und dein neuer Macker nur ein popeliger Rechtsanwalt. Tja, who’s laughing now, bitch? LOUIS BEINSTRONG

THE HAPPY END Echoes of Jericho Festplatten

7

Die Lieder dieser Band werden von so einer Art elektrisierendem Grundrauschen getragen. Ungefähr so als hätten sie ihren Proberaum in einem Stromkasten eingerichtet. Kann aber auch daran liegen, dass sie aus ihrem Referenzspektrum aus Flaming Lips, Stone Roses, The Verve und Sonic Youth die ganzen unspannenden Anteile herausgefiltert haben. Spannung, du verstehst schon ... VOLT SEAVERS

PG. LOST In Never Out Blackstar Foundation

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Es gibt dieses kognitive Phänomen, dass man ein Buch liest und weil es relativ uninteressant geschrieben ist, liest man zwar weiter; im Kopf kommt aber nicht mehr an,


COPENHAGEN FASHION WEEK 11 - 14 FEBRUARY 2010

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REVIEWS

SCHLIMMSTES COVER DES MONATS: THOMAS TRUAX:

was da eigentlich steht und stattdessen stellt man sich vor, wie Judith Rakers nackt aussieht. Mir fiel das nur gerade ein, weil diese Band so heißt wie sie heißt und ihre Musik ziemlich langweilig ist. ANNE WILL

YEASAYER Odd Blood Mute

9

Yeasayer haben sich neu erfunden, und zwar als eine ziemlich grandiose Synthiepopband, die nach einer perfekten Symbiose aus den frühen 80ern und der fernen Zukunft klingt. In ihrer vergleichsweise jungen Karriere haben sie es jetzt bereits geschafft, zwei Platten aufzunehmen, die beide vollständig verschieden und vollständig fantastisch sind. Vermutlich könnte man ihnen eine Triangel und einen Fisher-PriceKassettenrekorder in die Hand drücken und sie würden damit ein Album voller Hits produzieren. Hoppla, ich hoffe ich habe da jetzt keine geheimen Zukunftspläne ausgeplaudert? HUI KONG CHUN

DANIEL JOHNSTON Is And Always Was

GITHEAD Landing Swim

7

Colin Newman ist so eine Art König Midas des vernebelten PostPunk. Alles, was er anfässt, klingt irgendwie nach Wire. Wenn sein Output nicht so konstant wäre, wie er ist, möchte man sich fast wünschen, er würde einfach mal wahllos ein paar fremde Proberäume aufsuchen und auf die Gitarrenpicks rotzen, um seinen Magic Touch zu verbreiten. DIONYSISSIE THAO WITH THE GET DOWN STAY DOWN Know Better Learn Faster Kill Rock Stars/Cargo

7

Bei dem Versuch, im Internet ein Nacktfoto von Thao Nguyen aufzutreiben, habe ich mir einen Computervirus eingefangen. Die Informationstechnik hat also ihr Versprechen mal wieder nicht eingelöst. Mittlerweile hasse ich das Internet. Also die Idee ist gut, aber die Umsetzung scheiße. Bei dieser Platte ist es übrigens umgekehrt. GILL BATES

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KORNSTAD Dwell Time Jazzland

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Håkon Kornstad ist ein Jazzsaxophonist. Möglicherweise verbindest du mit der Rezeption von Saxophon-Jazz ein ähnliches Entzücken wie beim Trinken von Kamillentee oder beim Staubwischen. Nicht so hier. Håkon versteht es, dich mit seinen entkrampften Improvisationen so warm einzupacken, dass du in diesen unwirtlichen Monaten auf den Straßen eigentlich nichts brauchst als Dwell Time auf iPodDauerrepeat. Zieh dir aber vielleicht trotzdem vorsichtshalber irgendwas über, wenn du nicht als übergeschnappter Hippie oder öffentliches Ärgernis verknackt werden willst. F.K. KAH

THE KILIMANJARO DARKJAZZ ENSEMBLE Here be Dragons

THE UNTHANKS Here’s the Tender Coming

Feraltone Johnston wird normalerweise als verhindertes Genie verehrt, als Weirdo, der das Zeug zum Star in sich hat und sich auf dem Weg dorthin immer wieder selbst ein paar Psychosen und Aussetzer zwischen die Beine wirft. Der Großteil seiner Diskografie klingt auch genau so — bedauernswert und halbfertig. Dieses neue Album dagegen klingt nur noch selten wie ein Mitleidsverstärker, sondern als wäre er tatsächlich einfach nur ein großer Songwriter in einem großen Studio. Mit einem immensen Sprachfehler. TONY NELTHFFFFSFSFFFFSON

besingen, bevor sie ein paar gekochte Igel verspeisen oder einen nichtsahnenden Polizisten auf dem Lagerfeuer grillen. Bei dieser Platte ist die Sorge jedoch unbegründet. LORD SUMMERISLE

Rabble Rouser

Ad Noiseam

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Die legendäre englische Schauspielerin Hermione Gingold sagte einmal: „Es scheint, als hätte ich in meinem Leben alles ausprobiert, abgesehen von Inzest und Folk Dancing.“ Nun ist es ehrlich gesagt schwierig zu bestimmen, welches Verbrechen schwerer wiegt, da „Folk“ sich in diesem Kontext meistens auf eine Gruppe von übelriechenden Naturburschen bezieht, die mit ihren Zauberstäben wedeln und den Sonnengott

8

Stell dir vor, David Tibet wäre eine Frau und hätte eine richtige Gesangstimme und mehr Interesse an Jazz, Massive Attack, Portishead, Tortoise, Björk, Morricone und Bohren und der Club und Gore. Du sagt 90sretro? Ich sag, Dickehosebreitwandproduktion. Sich auf dem Konzert den Anzug schmutzig machen war gestern, Alter. Ich hab nen Sitzplatz. FAEULETONN PEYS BATTER


W H E R E FA S H I O N M E A N S B U S I N E S S

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VICE FASHION STOCKISTS

Jeansjacke von Levi’s

AMERICAN APPAREL americanapparel.net

CASIO g-shock.com

LOOK FROM LONDON lookfromlondon.com

SUPREMEBEING supremebeing.com

ASHISH ashish.co.uk

GRAVIS gravisfootwear.com

PALLADIUM palladiumboots.com

SWATCH swatch.com

BURTON burton.com

KIKI DE MONTPARNASSE kikidm.com

PH8 BY BEBE ph8stores.com

TOPSHOP topshop.com

C1RCA c1rca.com

KILIAN KERNER kiliankerner.de

SCREAMING MIMI’S screamingmimis.com

VANS vans.com

CANDACE ANG candaceang.com

LEVI’S eu.levi.com

STARSTYLING starstyling.net

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The Vice Guide to Liberia. Coming to VBS.TV December 2009.


FREE VICE MAGAZINE VOLUME 6 NUMBER 1

VOLUME 6 NUMBER 1

THE SEEING TRAILS ISSUE

FEBRUAR 2010


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