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REISE | Italien – Ciclovia dell’Oglio
Bild | Am Ufer des Iseosees rollt man durch ein wahres Postkartenpanorama.
LOMBARDISCHE PROVINZ BRESCIA
DIE SONNENSEITE DER ALPEN Berge, See und südliches Flair: Die Ciclovia dell’Oglio ist Radvergnügen pur.
Die Provinz Brescia in der Lombardei wartet mit einem 280 Kilometer langen, erstklassigen Fahrradweg auf: der Ciclovia dell’Oglio. Die Redaktion war auf dem Radweg durch das Camonica-Tal unterwegs und hat nebenbei auch eindrucksvolle UNESCO-Kulturerbestätten besichtigt sowie einmalige kulinarische Eindrücke gesammelt. TEXT: ANNIKA MÜLLER / BILDER: ANNIKA MÜLLER/KATHARINA BAUS
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REISE | Italien – Ciclovia dell’Oglio
Der Radweg startet am Tonale-Pass (1.833 m), der die Grenze zum Trentino und gleichzeitig die Wasserscheide zwischen Etsch und Po bildet.
J it lautem »Salute« klingen die Gläser aneinander. Es liegt ein Geruch nach italienischer Pasta in der Luft. Vor uns werden selbstgemachte Ravioli, Polentaschnitten und lokale Käse aufgetürmt. Die Schlemmerei auf der Terrasse des Laboratorio L'Emporio, am Ufer des Iseosees, haben wir uns schwer verdient: Hinter uns liegt ein rund hundert Kilometer langer Abschnitt der Ciclovia dell’Oglio, eines Radwanderwegs, der sich immer dem Flusslauf des Oglio folgend auf 280 Kilometer Länge vom Tonale-Pass bis zum Fluss Po zieht. Dabei durchquert die Ciclovia dell’Oglio komplett das 2018 eingerichtete Biosphärenreservat Valle Camonica – Alto Sebino, das sich auf 1.360 km² Fläche vom Iseosee über den Tonale-Pass bis zum Adamello-Gletscher erstreckt. Der Auftakt im Adamello-Gebirge war spektakulär. Mit wuchtigen Granitgipfeln und riesigen Plateau-Gletschern, die man so weit im Süden kaum erwarten würde, strahlte das Adamello-Massiv eine fast urweltliche Schroffheit aus. Bevor wir uns aufs Rad schwangen, erkundeten wir das Gebirge und den gleichnamigen Parco Regionale auf einer zweitägigen Trekkingtour. »Die Adamello-Gruppe ähnelt mit ihrem Tonalit-Gestein mehr den Zentralalpen als den benachbarten Dolomiten«, erklärte Bergführer Uberto Piloni, bei dem man die zum Beruf gewordene Leidenschaft für die heimischen Berge aus jedem Wort heraushörte. Mit ihm wanderten wir von Pont del Guat im Val Malga di Sonico über die Schutzhütten Gnutti und Baitone zum Rifugio Tonolini und überwanden dabei nicht zuletzt den »Weg der tausend Treppen«. Am nächsten Tag ging es dann über den Passo Premassone und das Rifugio Garibaldi, über Block- und Altschneefelder zurück. Mit zwei intensiven Trekkingtagen in den Beinen freuten wir uns, dass die Ciclovia dell’Oglio überwiegend bergab geht – zumindest wenn man in unserer Richtung von Norden nach Süden unterwegs ist.
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Der Radweg startet am Tonale-Pass (1.833 m), der die Grenze zum Trentino und gleichzeitig die Wasserscheide zwischen Etsch und Po bildet. »Der Pass trennt außerdem das lombardische Valcamonica vom Val di Sole im Trentino«, erklärte uns Radguide Riccardo Perlotti. Mit ihm und seinem Kollegen Luca Ruggeri vom Unterneh-
MIT TRAUMSICHT BERGAB ROLLEN
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Schattige und kühle Wälder wechselten sich ab mit urigen Dörfern und gut erhaltener Alpenarchitektur. Ab dem idyllischen Ponte di Legno folgten wir der Beschilderung des Alta Vallecamonica-Radwegs, der bis Vezza d'Oglio führt. Zuletzt waren wir durch immer lieblichere Berglandschaften gerollt. Das Flusstal wurde immer breiter, während die mächtigen Alpengipfeln nach und nach schrumpften. Die Landschaft ähnelte ab Edolo einem deutschen Mittelgebirge, wären da nicht einzelne, gelbe Kaktusblüten und rote -früchte gewesen, die sich im Windschatten mächtiger Felsbrocken versteckten. Am Talgrund erstreckten sich unendliche Wiesen, Maisfelder und kleine, lichte Wäldchen. Der Duft von frisch gemähtem Gras und trockenem Heu umschmeichelte uns die Nasen. Kurz darauf radelten wir durch einen wahren Gewürzschrank, üppig bestückt mit Rosmarin, Thymian, wildem Oregano, Minze und Zitronmelisse. Plötzlich waren wir in Afrika. So jedenfalls stand es unübersehbar auf einer Tafel, die einem Ortsschild nachempfunden war. Guide Riccardo erklärte: »Wir stehen hier auf dem Übergang der Eurasischen und der Afrikanischen Platte«. Genau genommen schiebt sich unter unseren Füßen ein rund 1.000 Kilometer langer Ausläufer der Afrikanischen Platte unter die Eurasische. Die Plattenbewegung von mehreren Metern pro Jahrhundert löst gelegentlich auch kleinere Erdbeben in der Region aus. Dem lieblichen Tal sieht man nicht an, dass noch heute die Erdkräfte in ihm wirken. Wir rollten also hinüber nach Afrika, erhaschten noch einen letzten Blick auf schneebedeckte Gipfel, bevor die Gegend immer mediterraner wurde. Buchen und Fichten wurden von Mannaesche und Pflaumeneiche abge-
Bild oben | Der Oglio-Radweg verläuft zu über 80 Prozent auf Asphalt.
WILLKOMMEN IN AFRIKA
Bild ganz oben | Hier beginnt Afrika – zumindest die Afrikanische Platte. Bild oben | Vor der Mündung in den Iseosee wird der Oglio noch einmal wild und gräbt sich ein tiefes Bett in den Felsen.
men Roadbike Italy, das, anders als der Name vermuten lässt, auch Touren mit dem Mountain- und Trekkingbike anbietet, legten wir die Strecke durch das Valcamonica (auch: Valle Camonica) bis zum Iseosee zurück. Die beiden Bergriesen Cima Presanella (3.556 m) und Monte Adamello (3.554 m) präsentierten sich vom geschichtsträchtigen Tonale-Pass, unserem Startpunkt, in voller Pracht und ließen ihre Gletscher um die Wette funkeln. Dazwischen schlängelte sich wie ein grünes Band das Camonica-Tal hindurch. Auf der ersten Etappe rollten wir mit minimalem, aber konstantem Wadendruck 80 Kilometer hinab, vom zwischen Berggiganten eingeklemmten oberen Camonica-Tal bis in die von sanften Hügeln eingerahmte Senke des Iseosees.
BRESCIA Die Provinz Brescia am Südrand der Alpen ist die größte Provinz der Lombardei. Die Landschaft ist vielfältig und reicht von der Ebene südlich der Provinzhauptstadt Brescia über die Brescianer und Gardasee-Voralpen, der Adamellogruppe mit der Presanella (3.556 m) und den Ausläufern der Bergamasker Alpen (Alpi Orobie) bis hin zur Ortlergruppe. Das Valcamonica ist eines der Haupttäler.
REISE | Italien – Ciclovia dell’Oglio löst. Man meinte sogar, einen warmen Mittelmeerwind zu spüren. Auf diesem Abschnitt folgten wir weiter den Schildern der Ciclovia Alta Vallecamonica. Auf dem gut ausgebauten Fahrradweg rollten wir über ein Holzbrückchen mit Schindeldach, vorbei an überdimensionalen Holunderbüschen mit betörend duftenden Blüten.
Gelegentlich zogen sportliche Rennradfahrer an uns vorbei. Die Ciclovia dell’Oglio ist zu über 80 Prozent asphaltiert. Im Valcamonica sind es sogar 95 Prozent asphaltierten oder betonierten Untergrunds. Kürzere Abschnitte führen über Schotter. Mit einem Gravelbike lässt sich der Radweg also pro-
GPX-
Daten unter www.biketravel-magazin.com REISE INFOS
#8966 20 km
Nationalpark Stelvio
CICLOVIA DELL’OGLIO
Tonale-Pass
Länge: ca. 280 km | Start: Tonale-Pass| Ziel: San Matteo delle Chiaviche| Tourdauer: 4 Tage
Trento
CHARAKTER
Mit dem Flugzeug
Ciclovia dell’Oglio
Der Flughafen Bergamo Orio al Serio ist 50 Kilometer, der Flughafen Verona 60 km, Milano Linate 100 km von Brescia Stadt entfernt. orioaeroporto.it aeroportoverona.it milanolinate.eu/it
Der Radweg führt auf 280 gut beschilderten Radwegkilometern vom Tonalepass nach San Matteo. Sportliche fahren in umgekehrter Richtung und machen so mäßige 890 Höhenmeter insgesamt. cicloviadelloglio.it
ETAPPEN •Etappe 1: Passo del Tonale – Darfo Boario Terme, Länge: 81,6 km, Schwierigkeit: mittel •Etappe 2: Darfo Boario Terme – Iseo, Länge: 35,9 km, Schwierigkeit: mittel •Etappe drei: Iseo – Pontevico, Länge: 82,6 km, Schwierigkeit: mittel •Etappe vier: Pontevico – San Matteo delle Chiaviche, Länge: 78,1 km, Schwierigkeit: mittel cicloviadelloglio.it
ANREISE Mit der Bahn Über Mailand erreicht man Brescia über die Linien von Trenitalia und ItaloTreno, während der Iseosee und das Valcamonica über die Linie TreNord zu erreichen sind. trenitalia.com italotreno.it trenord.it
Mit dem Pkw Die italienische A4 führt nach Brescia. SP510 und SS42 führen weiter ins Camonica-Tal. Von der Schweiz aus erreicht man das Tal über den Tonalepass. autostrade.it
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ITALIEN Bergamo Brescia
Mailand
Verona
Venedig
Mantua San Matteo delle Chiaviche
ÜBERNACHTUNG Hotel Rizzi Acquacharme Schickes Hotel mit Spa und guter Küche rizziaquacharme.it/en/
FAHRRADGUIDES
Hotel Mignon
Experten für die Ciclovia dell’Oglio sind die Guides von Roadbike Tour Italy aus Sonico, die auch Touren mit dem Mountainbike oder Trekkingrad anbieten. roadbiketouritaly.com
Das Hotel mit Schwimmbad liegt im hübschen Ponte di Legno. albergomignon.it/de/
Roadbike Tour Italy
EINKEHR Agriturismo S.Faustino
KULTURTIPPS
In dem großzügigen, modern ausgebauten Landhaus mit deutscher Besitzerin kann man mit großartiger Aussicht speisen und auch übernachten. bresciatourism.it/dormire/ agriturismo-san-faustino/
Parco Nazionale delle Incisioni Rupestri
Laboratorio L'Emporio Zu dem gemütlichen Lokal mit Blick auf den Iseosee gehört ein kleiner Laden, in dem lokale Produkte und Spezialitäten verkauft werden. emporiolab.it
River Oglio Bike Bar Die Biker-Einkehr schlechthin liegt direkt am Radweg. Umgeben von grünen Feldern und schroffen Kalkfelsen schlürft man hausgemachte Smoothies oder Kaffeespezialitäten. riverogliobikebar.it
Im Valcamonica gibt es acht Welterbestätten der UNESCO, die sich durch eine unglaublichen Vielfalt an Felsritzungen aus der Zeit des Oberpaläolithikums (vor ca. 10.000 Jahren) bis zum Ende des 1. Jahrtausends v. Chr.. Der Park von Naquane in Capo di Ponte war sowohl der erste archäologische Park als auch die erste Welterbestätte in Italien, die 1979 von der UNESCO anerkannt wurde. parcoincisioni.capodiponte.beniculturali.it
UNESCO-Welterbe Transhumanz Die Transhumanz, also der Brauch der Wanderweidewirtschaft, im Camonica-Tal wurde 2019 in die Liste
des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Schaf- und Kuhherden werden im Frühjahr auf die Berge und im Herbst wieder in den Stall zurückgetrieben. Viele Ortschaften, darunter Bagolino, feiern den Almabtrieb im Oktober mit einem großen Fest. vallecamonicaunesco.it
Inselhopping auf dem Iseosee Eine Schifffahrt von Sale Marasino und zu den drei Inseln des Iseosees ist empfehlenswert. navigazionelagoiseo.it
INFORMIEREN Tourismusverband Visit Brescia visitbrescia.it
Infos zum Radweg Englisch- und teilweise auch deutschsprachige Infos finden sich unter dem Stichwort »greenway of the Oglio river« auf folgender Seite: visitlakeiseo.info
blemlos bis zum Po durchfahren, bedingt sogar mit dem Rennrad. Doch wer schnell durchrauscht, der verpasst so einige Details am Wegrand: Hübsche Blümchen, die sich an den Wegrand ducken, Marienbilder, die in Nischen zwischen den Häusern hängen, liebevoll bepflanzte Balkone und geschmückte Türen. Vor allem sollte man sich ausreichend Zeit nehmen, die kulturellen Höhepunkte des Tals zu besichtigen. Fremdenführerin Vanessa Marcolla erwartete uns kurz vor Capo di Ponte am Parco Nazionale delle Incisioni Rupestri – einem von acht Arealen des Valcamonica, die als Welterbe der UNESCO eingetragen sind. Die Felsplatten mit Ritzungen aus der Zeit zwischen dem Oberpaläolithikum (vor ca. 10.000 Jahren) und dem Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. haben das Camonica-Tal weltberühmt gemacht. »Dieser Park war der erste archäologische Park überhaupt in Italien und seit 1979 die erste Welterbestätte«, erklärte Vanessa Marcolla, aus deren Augen Begeisterung sprühte, wenn sie vom Leben der »Camunen«, wie die frühen Bewohner genannt wurden, erzählte. Mit Hilfe der energiegeladenen Führerin entdeckten wir auf vermeintlich unscheinbaren Felsplatten einge-
ZEITREISE INS OBERPALÄOLITHIKUM
Bild ganz oben | Die erste Begegnung mit dem Iseosee findet am Nordende statt. Bild oben | Die Felsritzungen im Valcamonica sind UNESCOWeltkulturerbe. Bild rechts | Monte Isola ist nicht nur die größte Insel eines europäischen Binnensees, sondern auch eines der schönsten Dörfer Italiens.
Wer schnell durchrauscht, der verpasst so einige Details am Wegrand: Hübsche Blümchen, die sich an den Wegrand ducken, Marienbilder, die in Nischen zwischen den Häusern hängen, liebevoll bepflanzte Balkone und geschmückte Türen.
ritze Szenen aus dem Alltagsleben der Frühzeit, Darstellungen von Kämpfen, der Jagd oder Tieren. »Diese geometrischen Figuren hier stellen Hütten dar«, so Vanessa Marcolla. Die Urmenschen hatten kein schlechtes Plätzchen gewählt, um sich sesshaft zu machen: Von dem sonnenverwöhnten Hang überblickt man das komplette Tal, das damals wohl noch mit Eis bedeckt war und in dem heute das ansehnliche Städtchen Capo di Ponte liegt. Dahinter erhebt sich eine steile Felswand, Schneefelder glitzern. Doch Vanessa Marcolla schenkte dem Panorama kaum Beachtung. Ihre Aufmerksamkeit galt der schräg abfallenden Steinplatte zu unseren Füßen, dem Herzstück des Parks mit Ritzungen aus dem ersten Jahrtausend v. Chr.. Wir zogen unsere Schuhe aus und betraten die Platte auf der Suche nach Symbolen, Personen, Tieren. Es ist ein wahres Wimmelbild: Pferde, Hirsche und immer wieder Krieger mit Pfeil und Bogen, Speren, auf Bike&Travel-Magazin 1-2022 | 43
REISE | Italien – Ciclovia dell’Oglio
Pferden oder im Ringkampf. »Hier sieht man sogar eine Jagdszene mit Hunden«, erläuterte die Führerin eine eingeritzte Figurengruppe.
Bild oben | Drei Inseln liegen im Iseosee. Die winzige Isola di Loreto ist in Privatbesitz.
Ab Capo di Ponte radelten wir auf dem Camuna-Radweg, der sich über 40 Kilometer durch die Zentren von Breno, Darfo Boario Terme und Pisogne bis zum Ostufer des Iseosees zieht. Und es ging geschichtsträchtig weiter: Diesmal auf den Spuren der Römer. Das Santuario di Minerva, ein Tempel der Römerzeit, befindet sich bei Breno, direkt am Ufer des Oglio und am Radweg; in Cividate Camuno erzählt ein römisches Amphitheater von der bedeutenden Vergangenheit des kleinen Ortes. Statt hoher Berge reckten sich nun senkrechte Felsriegel am Rande des Tals in den Himmel. Gelegentlich wies uns Riccardo auf Klettergebiete hin, an denen wir die Sportler mit ihren farbigen Helmen als kleine, bunte Punkte erkennen konnten. Geologen können in diesen aufgestellten Felsplatten, die sich wie Reptilien am
AUF DEN SPUREN DER RÖMER
Darfo Boario Terme empfing uns mit einem gepflasterten Römerbrückchen und dann sahen wir ihn: Den Iseosee. Wie magisch angezogen vom klaren Wasser beschleunigten wir den Tretrhythmus. Wir lechzten danach, uns ins kühlende Nass zu stürzen. Doch noch wird der See von eindrucksvollen Felswänden umgeben, in die die Straße hineingesprengt wurde. »Hier müsst ihr sehr mit dem Verkehr aufpassen«, warnt Riccardo, denn für einen getrennten Radweg ist kein Platz. In den vielen Tunnels war besondere Aufmerksamkeit gefordert. Dann öffnete sich die Szenerie und es wurde plötzlich sehr südlich. In Sale Marasino sind die breiten Uferpromenaden mit Platanen gesäumt; stattliche Renaissance-Bauten erheben sich dahinter; an den Stegen schaukeln Boote auf den Wellen. Das Urlaubsgefühl stellte sich wie auf Knopfdruck ein. Wohlige Müdigkeit macht sich nun nach dem Festmahl im Laboratorio L’Emporio in Sale Marasino breit. Doch es gibt noch eine Steigerung: Der Kapitän eines kleinen, schnittigen Sportboots bittet uns an Bord.
AM UFER DES ISEOSEES
Bild links | Die River Oglio Bike Bar ist ein legendärer Haltepunkt für Radler. Bild unten | Man kann sich nicht verfahren.
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Rande des Tales in der Sonne räkeln, sogar lesen wie in einem Geschichtsbuch: Vor über 230 Millionen Jahren begannen sich die Kalksteinplatten auf dem Boden des Tethys-Meeres zu entwickeln. Vor rund 30 Millionen Jahren schob sich die Afrikanische Kontinentalplatte dann gegen die Europäische, faltete die Erde auf. Dort, wo heute die Alpen schroff und mächtig in die Höhe ragen, brach die Platte. Der riesige, aber sehr flache Ozean floss ab. Die Erosion und Gletschertätigkeit formten das Tal weiter. Vollgesaugt mit Eindrücken erreichten wir die River Oglio Bike Bar, ein nahezu verpflichtender Pausenstopp auf dem Oglio-Radweg. Bei hausgemachten Smoothies und Kaffeespezialiäten tankten wir neue Kräfte für den letzten Abschnitt.
Bild oben | Ab Capo di Ponte säumen steile Felsen mit namhaften Klettergebieten das Tal.
Wir lassen die Haare im Fahrtwind wehen und die italienische Sonne auf die gecremten Gesichter brutzeln, während die Inseln an uns vorbeirauschen. An der Monte Isola, der größten Insel des Iseosees und überhaupt der größten Binnenseeinsel in Südeuropa, drosseln wir die Geschwindigkeit. Es gibt viel zu bestaunen und zu knipsen. Ihren Reichtum verdankten die Bewohner des als »schönstem Dorf Italiens« ausgezeichneten Monte Isola zunächst der Produktion von handgeknüpften Fischernetzen. Heute hat man sich auf die Netze von Fußballtoren spezialisiert. Uralte Zypressen, Zitrus-, Mandel- und Feigenbäume wachsen an den Hängen des Berges, der sich 400 Meter über der Wasseroberfläche erhebt. Auf seiner Spitze thront die Kirche Santuario della Madonna della Ceriola. Wie bestellt zieht ein einsames Fischerboot vorbei. Kitsch oder Romantik? Jedenfalls ein perfektes Foto. Und dann kommt der ersehnte Moment: An einer abgelegenen Stelle steigen wir über die Bootsleiter ins besonders saubere Wasser des Iseosees. Auf dem Rücken treibend betrachten wir den Himmel, der von der gleichen tiefblauen Farbe wie der See ist. Die Eindrücke der letzten Tage schwirren durch den Kopf, verdichten sich zu dem Film, den das Gedächtnis ab jetzt beim Wort »Brescia« abspielen wird. Dazu wird jedesmal das wohlige Gefühl des weichen Wassers und der warmen Sonne auf der Haut aufkommen. Ach ja, bella Italia!