Programmheft: "Die lustige Witwe"

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Die lustige Witwe

Operette in drei Akten

Libretto von Victor Léon und Leo Stein nach der Komödie Der Gesandtschaftsattaché von Henri Meilhac

Dialogfassung für die Volksoper bearbeitet von Jakob Semotan

Uraufführung am 30. Dezember 1905 im Theater an der Wien

Premiere der Neuinszenierung an der Volksoper am 2. März 2024

Musikalische Leitung

Regie

Bühne und Kostüme

Choreographie

Licht

Choreinstudierung

Dramaturgie

Diese Produktion widmet Ihnen

Ben Glassberg

Mariame Clément

Julia Hansen

Miles Hoare

Alex Brok

Roger Díaz-Cajamarca

Magdalena Hoisbauer

„VERLIEB' DICH OFT, VERLOB' DICH SELTEN, HEIRATE NIE!“

Die lustige Witwe

„Pontevedro in Paris“

Baron Mirko Zeta, pontevedrinischer Gesandter

Valencienne, seine Frau

Hanna Glawari, reiche Witwe

Graf Danilo Danilowitsch, Sekretär der Gesandtschaft

Njegus, Kanzlist in der pontevedrinischen Botschaft

Bogdanowitsch, pontevedrinischer Konsul

Sylviane, seine Frau

Kromow, pontevedrinischer Gesandtschaftsrat

Olga, seine Frau

Pritschitsch, pontevedrinischer Oberst

Praskowia, seine Frau

Die Franzosen

Camille de Rosillon, Maler

Vicomte Cascada

Raoul de Saint Brioche

Der Fürst von Pontevedro

Personal der Botschaft von Pontevedro

Pontevedrinisches Volkstanzensemble

Pariserinnen und Pariser

Lolo, Dodo, Jou-Jou, Frou-Frou, Clo-Clo, Margot und andere Grisetten des Maxim

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Handlung

Erster Akt

„Die Herrn sind liebenswürdig sehr. Gilt das meiner Person?

Ich fürchte dies gilt mehr meiner vielfachen Million!“ (Hanna)

In der Botschaft von Pontevedro in Paris feiert Baron Mirko Zeta – trotz leerer Staatskasse – den Geburtstag des Landesfürsten. Zeta, dessen französische Gemahlin Valencienne heftig von ihrem Landsmann, dem Künstler Camille de Rosillon, umworben wird, hat bereits einen Plan ausgeheckt, wie er das Vaterland vor dem finanziellen Ruin retten könnte: Er hat die steinreiche Witwe Hanna Glawari eingeladen, eine elegante Pontevedrinerin, die durch eine Heirat zu Geld gekommen ist. Zetas Sekretär Graf Danilo Danilowitsch, ein alter Salonlöwe, der am liebsten in seinem Stammlokal Maxim die Nacht zum Tag macht, soll um Hanna werben. Damit soll sichergestellt werden, dass ihr Vermögen dem pontevedrinischen Vaterland und nicht den Pariser Mitgiftjägern zufällt. Als es Njegus, dem Fachmann der Gesandtschaft für „delikate Angelegenheiten“, endlich gelungen ist, den derangierten Danilo in die Botschaft zu bringen, steht Hanna bereits im Mittelpunkt des Männerinteresses. Danilo ist wie vom Blitz getroffen, als er sich unerwartet seiner Jugendliebe gegenübersieht: Hanna, die er einst nicht heiraten durfte, weil sie nicht standesgemäß war. Als diese spitz bemerkt, dass sie nun seiner aristokratischen Familie wertvoll genug sein dürfte, versichert ihr Danilo, sie gerade deswegen nicht heiraten zu wollen.

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Inzwischen hat Valencienne ihren Fächer, auf den Camille die kompromittierenden Worte „Ich liebe Dich“ geschrieben hat, verloren. Um die Affäre zu beenden, fordert sie ihren Verehrer auf, Hanna zu heiraten. Danilo widersetzt sich derweil auch seinem Chef Baron Zeta gegenüber, einer Heirat mit dem pontevedrinischen „Rettungsschirm“ zuzustimmen. Um Hanna jedoch wenigstens die lästigen französischen Kavaliere vom Leib zu halten, veranstaltet er auf dem Ball eine Damenwahl.

Hanna fordert Danilo auf, doch der will den Tanz auf einmal verkaufen. Als sich alle anderen Herren brüskiert zurückgezogen haben, verführt der Walzer die beiden doch zu einem kurzen Tanz …

Zweiter Akt

„O, ihr verfluchten Millionen!“ (Danilo)

Hanna veranstaltet in ihrem Pariser Domizil einen pontevedrinischen Empfang, der wie ein Katalysator auf die Liebeswirren und Geschlechterkämpfe der Festgäste wirkt: Hanna möchte Danilo für sich gewinnen, doch er weicht aus und macht sich stattdessen – im Auftrag von Zeta – auf die Suche nach jener Dame, auf deren Fächer Camille die Aufschrift „Ich liebe Dich“ geschrieben hat. Die Unbekannte soll, obwohl sie angeblich verheiratet ist, Camille ehelichen, um so den „gefährlichsten Heiratskandidaten“ Hannas unschädlich zu machen.

Dabei erfährt Danilo so einiges über pontevedrinischfranzösische „Allianzen“, was ihn veranlasst, mit den Männern über die vermeintliche Untreue ihrer Frauen und das „Studium der Weiber“ zu sinnieren. Allein Camille gibt nach wie vor den romantischen Liebhaber Valenciennes, doch die will der Affäre endgültig ein Ende setzen und wiederholt ihren verzweifelten Glaubenssatz: „Ich bin eine anständige Frau.“ Und doch folgt sie Camille zum

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Abschiedskuss in einen sichtgeschützt-diskreten „Pavillon“ … Als Zeta die beiden durch einen Sichtschlitz beobachtet, scheint die Affäre aufzufliegen, doch Njegus gelingt es in letzter Minute, Valencienne gegen Hanna auszutauschen. Zur Erschütterung aller treten Hanna und Camille aus dem „Pavillon“. Obwohl die erfahrenere Frau Valencienne nur aus der kompromittierenden Situation helfen wollte, verselbstständigt sich die Situation, bis Hanna schließlich aus einer Not heraus ihre Verlobung mit dem jungen Franzosen verkündet.

Dritter Akt

„O, ihr verlor'nen Millionen!“ (Zeta)

Hanna hat Danilos Stammlokal, das berühmte Pariser Maxim, im Souterrain ihrer Villa nachbauen lassen, wo echte Grisetten – angeführt von Botschaftergattin Valencienne – auftreten. Ein Telegramm lässt Zeta wissen, dass der Fürst das Vertrauen in die pontevedrinische Kolonie verloren hat und höchstpersönlich auf dem Weg nach Paris ist. Und auch der drohende Staatsbankrott ist immer noch nicht abgewehrt, also fasst sich Danilo ein Herz und appelliert an Hanna, Camille nicht zu heiraten. Als der letzte französische Heiratskandidat aus dem Rennen ist, entwirren sich die pontevedrinischen Liebesgeschichten und Heiratssachen … Ende gut, alles gut.

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Eine Liebeserklärung an die Operette

Mariame Clément (Regie) und Ben Glassberg (Musikalische Leitung) im Gespräch mit Dramaturgin Magdalena Hoisbauer

Magdalena Hoisbauer

Ben

Glassberg

Magdalena Hoisbauer

Vermisst du in der Lustigen Witwe eine echte Ouvertüre?

Nein, ich liebe es, dass es so direkt losgeht, ungeachtet jeder Konvention … „attacca“ hinein ins Stück! Das ist großartig.

Das Dirigat der aktuellen Neuproduktion war Teil deiner Übernahme als Musikdirektor der Volksoper. Wie war deine erste Begegnung mit diesem Herzstück der Wiener Operette?

Ben

Glassberg

Die Ausgangssituation bei dieser Produktion war doch etwas kurios: Zu Probenbeginn hatte ich den Eindruck, Mariame und ich waren die einzigen im gesamten Team, die das Stück noch nie zuvor gemacht hatten … Normalerweise versuche ich, einen Vorsprung in Sachen Werkskenntnis zu einem Orchester zu haben. Das war in diesem Fall aber nicht möglich, da das Orchester der Volksoper Die lustige Witwe schon unzählige Male gespielt hat. Die Proben waren dann allerdings sehr stimmig, weil ein großes wechselseitiges Vertrauen zu spüren war: Die Kolleg:innen aus dem Orchester haben mir viele musikalische Traditionen gezeigt und wir haben darüber diskutiert, ob es eine dramaturgische Begründung dafür gibt und ob wir sie beibehalten sollen oder nicht. Ich habe auch versucht, alle musikalischen Abteilungen bewusst aus ihrer „Komfortzone Lustige Witwe“ herauszuholen. Die Reflexion dieses Stückes war für mich also ein essenzieller Einstieg in das Operetten-Kernrepertoire des Hauses.

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Ben Glassberg

Mariame

Clément

Magdalena Hoisbauer

Mariame Clément

Ich glaube, dass ein frischer Blick auf ein Stück generell etwas Positives ist – man erachtet vieles einfach nicht für selbstverständlich.

Was sind die Besonderheiten, die dir an der Lustigen Witwe als erstes aufgefallen sind?

Die Verortung der einzelnen Akte ist vor allem speziell. Der erste Akt spielt in der Botschaft eines erfundenen Landes in Paris, also sehen wir die Repräsentation einer Fiktion. Der zweite Akt findet in Hanna Glawaris Pariser Domizil statt, wo sie ein „echt pontevedrinisches Fest“ veranstaltet – also dieselbe Repräsentation auf einer individuellen, privaten und informellen Ebene. Und im dritten Akt baut sie das berühmte Pariser Maxim bei sich zuhause nach … Ganz nüchtern betrachtet, ist das schon ein wenig seltsam. Insgesamt ist man in der Lustigen Witwe also mit verschiedenen „Schichten von Künstlichkeit“ konfrontiert, die nur selbstverständlich erscheinen können, wenn man sie – etwa aus Gewohnheit – als gegeben annimmt.

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Mariame Clément

Magdalena Hoisbauer

Mariame Clément

Im ersten Konzeptionsgespräch zur Produktion hast du die pontevedrinische Botschaft so treffend mit der englischsprachigen Redensart als „home away from home“ beschrieben.

In der Lustigen Witwe geht es um Heimweh: Das Vilja-Lied ist für mich der zentrale Ausdruck dieser Sehnsucht nach einem Zuhause. Hanna bittet ihre Gäste auch, den Abend so zu begehen, „als ob man in Letinje wär' daheim“ – die Autoren haben also sogar eine Hauptstadt und damit einen konkreten Sehnsuchtsort zu diesem fiktiven Pontevedro erfunden! Ende des zweiten Aktes verleiht Danilo zudem seiner Kränkung Ausdruck, indem er sagt, dass er ins Maxim gehen würde: „dort, wo ich zuhause bin“. Da ist für mich eine große und aufrichtige Verletzung dieser Figur zu spüren.

Magdalena Hoisbauer

Ein Nachtclub wie das Maxim ist ja genauso ein künstlicher Ort: nämlich ein Ort künstlicher Emotionen. – Ben, siehst du diese „Schichten von Repräsentation“, die Mariame beschrieben hat, auch in der Musik?

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Magdalena Hoisbauer

Ja, durchaus – das macht sie vielleicht auch so facettenreich. Auf der einen Seite ist da die Klangwelt von Rosillon und Valencienne, sie ist sehr in einer als typisch französisch empfundenen Musiksprache verhaftet und im doppelten Wortsinn romantischer als der Rest der Partitur. Daneben hat man Zetas Eröffnungsrede, die wie eine panslawische Nationalhymne klingt. Und dann gibt es die „pontevedrinische“ Musik wie den Volkstanz Kolo, den Hanna und Danilo tanzen. Lehár spielt also mit verschiedenen Musikstilen und Exotismen. Eine Ausnahme bildet für mich das Duett „Lippen schweigen“: Diese Stelle ist wie nichts anderes im Stück – in diesem Moment fühlt es sich so an, als ob alle Etikettierungen und Zuschreibungen überworfen und nicht mehr gültig wären. In diesem Moment ist Lehár etwas Unverwechselbares gelungen.

Gerade das ist die Szene, die in der Uraufführung noch eine reine Tanzszene war – die Autoren haben das Duett aufgrund des überwältigenden Erfolgs der Walzermelodie nachträglich hinzugefügt. Überhaupt scheint die Essenz des Genies von Franz Lehár in seinem Erfindungsreichtum auf dem Gebiet der Melodie zu liegen.

Mariame

Clément

Das ist ihm in der Tat gelungen: Ich bin jeden Abend mit mindestens einem Ohrwurm aus der Probe gekommen.

„WAS ICH SUCHE UND IMMER WIEDER SUCHE, IST DIE MELODIE. ES IST EINE ARBEIT, GLAUBEN SIE MIR!“
(Franz Lehár)
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Magdalena Hoisbauer

Dieses bemerkenswerte Talent kommt, denke ich, auch daher, dass die Komposition aus einer kulturellen Praxis stammt, in der es noch keine Aufnahmen gab. Nur durch solche einprägsamen Melodien – unter dem Motto „Geht ins Ohr, bleibt im Kopf“ – konnten sie über die Dauer der Aufführung hinaus bestehen.

Ein zentraler Kunstgriff deiner Inszenierung ist, dass Hanna und Danilo deutlich älter sind als es in der Aufführungskonvention üblich ist. Was steckt hinter dieser Idee?

Mariame Clément

Die Grundsituation von Hanna Glawari ist, dass sie von Männern begehrt und umworben wird, sie aber ständig den Verdacht hat, dass es dabei nur um ihr Geld geht. Wenn Hanna eine junge, attraktive Frau ist, empfinde ich das als Schwächung dieser Situation, denn warum sollte es dann ein „Opfer für das Vaterland“ sein, sie zu heiraten? Als ich mich also für diese Setzung entschieden habe – die auch beinhaltet, dass zwischen Danilos und Hannas jugendlicher Liebe und dem Jetzt der Inszenierung viel Zeit vergangen ist – ergaben einige Stellen im Libretto auf einmal deutlich mehr Sinn: beispielsweise Hannas Ausspruch „… doch wenn wir armen Witwen reich sind, ja dann haben wir doppelten Wert. Das hab' ich immer gehört“, oder wenn Danilo die Ehe als einen „Standpunkt, der längst überwunden“ ist, bezeichnet.

Magdalena Hoisbauer

Mariame Clément

Da man als Zuschauer:in weiß, dass die potenzielle gemeinsame Zukunft der beiden aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters begrenzt ist, macht es die mögliche Wiedervereinigung außerdem umso wertvoller.

Ganz genau, die beiden haben eigentlich keine Zeit mehr, um „Spielchen zu spielen“. Was ich an dem Konzept außerdem schön finde, ist, dass die beiden ja durch das Tanzen zueinander finden; und das finde ich mit den älteren Figuren noch anrührender. Wenn sich Hanna am Ende

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Magdalena Hoisbauer Ben

Glassberg

des ersten Akts mit den Worten „wie prächtig sie tanzen“ erinnert, ist das für mich eine Art Körpergedächtnis. Es gibt also nicht nur das Heimweh der Figuren nach einem fernen Ort, sondern auch das Sehnen nach einer fernen Zeit. Eine sehr persönliche, emotionale Form der Nostalgie. Das ganze Konzept ist insgesamt eine Liebeserklärung an die Operette selbst, denn sie ist quasi auch eine alte Dame, die aber durchaus noch frisch und attraktiv ist.

Was ist eigentlich deine persönliche Geschichte mit dieser „Grande Dame Operette“?

Ich habe keine spezielle Geschichte mit dem Genre –ausgenommen die Werke von Gilbert und Sullivan, mit denen ich aufgewachsen bin, da sie in England sehr bekannt sind. Ich habe aber bereits viel aus meiner Beschäftigung mit der Partitur der Lustigen Witwe gelernt – etwa, dass man das Tänzerische, das in der Operette ja immer gefordert ist, auch in vielen Opern als Grundhaltung suchen sollte. Da Tanz so etwas Persönliches, Intimes ist, gelangt man vielleicht zu einem besonders authentischen Ausdruck, wenn man sogar in einem Werk wie Tristan und Isolde nach dem Tänzerischen, nach Lebensfreude und Humor sucht. Wenn man das findet, sind die Tiefen der Verzweiflung noch intensiver.

Magdalena Hoisbauer Ben

Glassberg

Es gibt ein berühmtes Zitat des deutschen Schriftstellers Kurt Tucholsky, Lehár sei „dem kleinen Mann sein Puccini“. Was sagst du dazu?

Ich kann schon verstehen, warum man zu so einer Aussage kommt, das hat wohl mit dem Farbenreichtum der Orchestrierung beider Komponisten zu tun und mit der Gemeinsamkeit, dass sowohl Puccini als auch Lehár einen unmittelbar im Herzen „treffen“. Aber mich stört, dass in dem Bonmot eine Wertung enthalten ist, die gleichzeitig eine Wertung der Genres Oper und Operette impliziert.

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„DIE TANZOPERETTE ERLEBT IN DER LUSTIGEN WITWE IHREN HÖHEPUNKT:

OPERETTENFIGUREN ERLEBEN SICH

UND EINANDER NUR DANN, WENN

SIE EINEN EIGENEN, ENTRÜCKTEN SPIELRAUM SINGEND ERTANZEN UND TANZEND ERSINGEN.“

Magdalena Hoisbauer

Mariame Clément

Apropos Antagonismus. Ein interessantes Detail in der Lustigen Witwe ist, dass es zwischen den rivalisierenden Lagern von Franzosen und Pontevedrinern auch eine binationale Ehe gibt: Zeta und Valencienne. Auch an den Stellschrauben dieser Rollen hast du, Mariame, etwas gedreht.

Ich hatte den Eindruck, dass beide Figuren kulturellen Konventionen folgen, die um die Jahrhundertwende klar waren, heute aber nicht mehr richtig nachvollziehbar sind. Den Topos der ehemaligen Grisette, die eine respektable Frau geworden ist, gibt es zum Beispiel auch in Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Und Baron Zeta als der alte, gehörnte Ehemann ist eine Figur, die aus der Buffo-Tradition wohlbekannt ist. Vor allem Valencienne wollte ich aber nicht mit Ironie und Distanz begegnen, sondern ihr erst einmal Glauben schenken. Daher habe ich ihr Credo „Ich bin eine anständige Frau“ auch ernst genommen: Für mich ist sie eine junge Frau aus einer respektablen, bürgerlichen Familie, die mit Zeta einen ehrgeizigen, aalglatten Diplomaten geheiratet hat. Noch vor seiner Frau ist er vor allem dem Fürsten treu ergeben

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Magdalena Hoisbauer

und aktuelle Assoziationen mit sogenannten SlimfitPolitikern sind nicht unbeabsichtigt. Was Valencienne nicht unter Kontrolle hat, ist allerdings ihre Leidenschaft für den Künstler Camille de Rosillon, der ganz das Gegenteil von ihrem Ehemann ist. Die Duette der beiden sind so ehrlich und aufrichtig, da wäre es mir zu schade, alles mit ironischem Augenzwinkern gespielt zu sehen und keine echten Emotionen zu zeigen. Nur das Duett „Zauber der Häuslichkeit“ verwehrt sich jeder dieser Konzeptionen, daher habe ich es auch als traumartige Rückblende in Hannas und Danilos Jugendzeit inszeniert.

Unser Ensemblemitglied Jakob Semotan, der für die Neuproduktion die Dialoge bearbeitet hat, hat seiner eigenen Figur Njegus einen immerwährenden Konjunktiv in den Mund gelegt, der einen interessanten Kontrast zu Hannas Lebensmotto „So ist’s nun mal und fertig!“ darstellt. Ein Aufeinanderprallen zweier entgegengesetzter Lebenseinstellungen?

Mariame Clément

Gemeinsam mit Jakob Semotan habe ich bei Njegus an einer Figur gefeilt, die sich nie festlegt, nicht greifbar ist –quasi der Geheimdienst von Pontevedro. Eine allwissende, aber verunsichernde Figur, wie eine Schlange. Von Hanna denke ich, dass sie in ihrer Jugend eine durchaus emanzipierte und progressive Frau war, aber jetzt – im Alter – so manchen Standpunkt vertritt, der konservativ erscheint. Beispielsweise ihre Aussage „… verhasst ist mir Politik: Verdirbt sie beim Mann den Charakter, so raubt sie uns Frauen den Schick.“ Wenn eine junge Hanna Glawari das sagen würde, wäre sie aus meiner Sicht als dumm oder anti-emanzipatorisch entlarvt; aus dem Mund einer älteren Dame erscheint die Aussage aber eher wie ein Generationskonflikt. Mir ist außerdem wichtig, dass Hanna ein gutes Leben mit ihrem ersten Mann hatte. Das ist in etwa wie mit Tatjana und Gremin in Eugen Onegin: Auch da ist es viel differenzierter und berührender, wenn der ein sympathischer Mann ist.

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Aufrichtige Empfindung, genau das ist es auch, wonach ich in diesem Stück suche und was ich daran so liebe. Diese kluge Authentizität ist auch der „natürliche Motor“ der Partitur. Es klingt nach Koketterie, aber so meine ich es nicht: Ich muss dieses Stück fast nicht dirigieren, es entsteht quasi aus sich selbst heraus. Man muss die Musik eigentlich nur fühlen und, wie gesagt, man muss die Partitur „tanzen“ und einen beseelten Möglichkeitsraum für sie kreieren, dann passiert sie wie selbstverständlich.

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GELD: SEGEN, DER NUR VORTEILE BRINGT, WENN WIR UNS SEINER ENTÄUSSERN.
Wörterbuch)
(Ambrose Bierce: Des Teufels
Anett Fritsch, Szymon Komasa, Chor
Hedwig Ritter
Ritter
Aaron-Casey Gould, Hedwig
Georg Wacks, Nicolaus Hagg, Daniel Ohlenschläger Robert Bartneck, Michael Havlicek Daniel Ohlenschläger, Robert Bartneck, Nicolaus Hagg, Szymon Komasa, Michael Havlicek, Daniel Schmutzhard Szymon Komasa, Daniel Schmutzhard, Jakob Semotan, Anett Fritsch
Rebecca Nelsen, Timothy Fallon
Hedwig Ritter, Daniel Schmutzhard, Jakob Semotan, Georg Wacks, Daniel Ohlenschläger, Chor, Ballett Hedwig Ritter, Anett Fritsch, Elisabeth Schwarz, Georg Wacks, Daniel Schmutzhard
„WAS SICH LIEBT, DAS NECKT SICH.“
„THE QUARREL OF LOVERS IS THE RENEWAL OF LOVE.”
“QUI S'AIME BIEN SE CHAMAILLE.”
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Pontevedro

Lexikoneintrag für sachkundige Pausen-Konversation

Pontevedro (aus dem Pontevedrinischen „pon te vedro“, „in fernen Welten gelegen“) mit der Hauptstadt Letinje ist ein Zwergstaat im mittleren Balkan-Orient. Das Staatsoberhaupt kommt seit vielen Generationen aus einer traditionsreichen aristokratischen Familie und wird innerhalb Pontevedros und in den zahlreichen Botschaften und Honorarkonsulaten rund um den Globus meist nur als „der Fürst“ angesprochen. Der Staatsfeiertag ist der Geburtstag des Fürsten, den Pontevedrinerinnen und Pontevedriner weltweit festlich begehen. Oft ist dabei die Formel „Prema gore Pontevedro!“ („Hoch lebe Pontevedro!“) zu hören. Nobilität und Wehrhaftigkeit spielen in der pontevedrinischen Gesellschaft eine große Rolle, daher werden Militärs- und Adelstitel auch von Generation zu Generation weitergegeben.

Die pontevedrinische Sprache stellt eine Nischensprache innerhalb des balkanisch-orientalischen Kulturraums dar, es sind jedoch zahlreiche Lehnwörter aus dem panslawischen Sprachraum wie „Gospodina“ („feine, ehrenwerte Dame“) sowie die typisch kaukasische Imperativbildung im Plural (z. B. „Mivelimo“, „lasst uns singen“) als Einflüsse auszumachen.

Das Wahrzeichen und Hauptexportgut ist die ausschließlich in der Bergkette im Süden des Landes vorkommende pontevedrinische Distel. Der aus ihr gewonnene hochprozentige Schnaps, genannt „Cičak“, wird im Lagerungsprozess mit einer in der Flasche versenkten getrockneten Kröte verfeinert. Der pontevedrinische Trinkspruch „Miči dolje“ („Möge die Distel dir Gesundheit bringen“) ist obligatorisch, zudem empfiehlt sich der Genuss des Nationalgerichts „Dubitschou“ (kleine Happen aus Distelmehl und Fleisch) zur Schnapsbegleitung. Das nationale Wappen setzt sich aus den Farben der Distel zusammen:

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Blüte und Stiel sind in Orange und Grün abgebildet. Die Krone der Fürstenfamilie thront über dem Wappen.

Der Stolz traditionsreicher pontevedrinischer Familien sind wertvolle Teppiche (oft Familienerbstücke), daher ist beim Betreten eines pontevedrinischen Haushalts darauf zu achten, die Schuhe ohne Ausnahme auszuziehen. Bei privaten Festen schöpft man gerne aus der reichen Erzähltradition und dem romantischen Liedgut des Landes, besonders bekannt sind das an Metaphern reiche „Lied vom dummen Reiter“ und die Märchenerzählung über die Fee Vilja. Pontevedriner und Pontevedrinerin neigen zu Sturheit und stark ausgeprägtem Stolz, der die Kommunikation zwischen den Geschlechtern oftmals erschwert.

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Wappen von Pontevedro

Vaterländer, Heimaten

„O Vaterland, du machst bei Tag, mir schon genügend Müh und Plag!“, seufzt Graf Danilo Danilowitsch, Gesandtschaftssekretär in der pontevedrinischen Botschaft in Paris, bevor er sich anschickt, im Maxim seine Sorgen im Champagner zu ertränken. Und natürlich stellt sich die Frage, was dieses Vaterland denn sein könnte, wo es liegt und vor allem: was es bedeutet.

Denn Pontevedro ist auf keiner Landkarte zu finden, es ist ein Klischee. Und auch das Paris der Operette gibt es nicht, es ist ebenso eine Phantasiewelt, in der nur die Liebe regiert und tatsächlich am Ende siegt – was im wahren Leben um 1900 eher selten vorkam. Was Pontevedro und Paris eint: Sie sind Projektionsflächen, Wunschgebiete für die Sehnsüchte und Ängste der Zuschauenden. Operetten spielen prinzipiell im WOANDERS, gerade um die tatsächliche Realität im HIER erkennbar zu machen.

Im Libretto von Franz Lehárs Lustiger Witwe ist der Spielort ganz besonders schön verkleidet. Pontevedro ist ein fiktiver Balkanstaat, der ursprünglich einmal Montenegro sein sollte, was der Wiener Zensur allerdings doch etwas zu eindeutig war. So mussten die Librettisten Victor Léon und Leo Stein einen Phantasiestaat mit ebenfalls vier Silben finden, damit keine Neukompositionen anfielen. Ansonsten änderte sich nichts, denn Pontevedro steht vor allem für eine Anhäufung von Assoziationen, die den damaligen Wiener Zuschauer:innen bei „Balkan“ einfiel.

Das war im eigentlichen Original nicht anders, was die Sache noch komplizierter macht. Denn die Lustige

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Witwe hat eine Pariser Vorlage: Henri Meilhacs Komödie L’attaché d’ambassade. Meilhac schrieb für Jacques Offenbach unter anderem die Bücher zu Pariser Leben und der Großherzogin von Gerolstein, aber auch zahlreiche andere, heute kaum mehr bekannte Komödien. Bei ihm ist es der heruntergekommene deutsche Kleinstaat Birkenfeld, in dessen Pariser Botschaft die Handlung spielt. Den gab es natürlich ebenso wenig wie Pontevedro. Aber auch hier gibt es große Gemeinsamkeiten: Beide sind Diktaturen, beide sind bankrott und beider Personal ist durch und durch korrupt. In einer Zeit, in der alle Theaterstücke der Zensur unterlagen, konnte man solche allgemein verbreiteten Missstände nur einem absurden Phantasieland zuschreiben. Aber alle Zuschauenden wussten: gemeint sind sie selbst. In der Operette wird die eigene Heimat verhandelt, auf der Folie von fiktiven Orten.

Zum Glück eröffnet der Begriff „Heimat“ in der deutschen Sprache Denkräume, die bei weitem nicht nur im Konkreten

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Félicien Rops, Der betrunkene Dandy, 1890

zuhause sind. Wohingegen das „Vaterland“ liegt, das wissen wir. Und es ist in Kenntnis all der gebrochenen Biographien Europas sehr schwer, „Vaterland“ für ein positives Wort zu halten. Nicht nur, weil es aus der klassischen patriarchalen Struktur stammt, die im Männlichen auch gleich das Wehrhafte und Kriegerische mitbehauptet. Sondern weil der Kampfbegriff „Vaterland“ im 20. Jahrhundert gleich in zwei Weltkriegen die Bevölkerung aufhetzte und in die Schützengräben und auf die Schlachtfelder trieb.

Dabei trug der Begriff „Vaterlandsliebe“ durchaus positive Bindekräfte in sich und war für lange Zeit ein Ideal, um das sich auch in Österreich moderne, selbstbewusste und fortschrittliche Kräfte sammelten. Vaterlandsliebe oder Patriotismus, das war ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer

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Alfred Kubin, Der Zuschauer zu Max Rodens Gedicht Immer und Immer, 1937

Gesellschaft, die sich durch gleiche Werte und die gleiche Sprache als zusammengehörig empfand. Und zwar egal, welcher sozialen Schicht oder Klasse der / die Einzelne angehörte. In einer aristokratischen Welt, in der der Stand eines Menschen von der Geburt bestimmt wurde und in der die Abstammung eine unumstößliche Barriere bildete, hatte Patriotismus deshalb lange Zeit den Ruch des Revolutionären. Denn die Bürger, die Bürgerlichen, definierten damit einen eigenen Wert, der so überzeugend wie kraftvoll war. Gemeinsinn, Gleichheit, Zusammengehörigkeitsgefühl – an allen diesen Qualitäten konnte, ja sollte sich jeder orientieren, ob Hochwohlgeboren oder „kleiner Mann“. Und wenn diese Werte auch noch von religiösen Idealen untermauert waren, dann konnten sie Gesellschaften fast unverbrüchlich zusammenfügen.

Schließlich griffen auch die führenden Köpfe der Französischen Revolution auf patriotische Werte zurück, um mit dem Kampfruf „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ das alte aristokratische System hinwegzufegen. Doch wie die Ideale der Revolution in den Terror der rigiden Moral- und Mordmaschinerie des Maximilien Robespierre umschlugen, so offenbarten auch die so hehr gedachten Werte des Patriotismus ihre gewalttätigen Potenziale. Die Volksheere des Napoleon Bonaparte überrannten die alten Regime Europas und schufen im Namen der Freiheit Platz für diktatorische Marionetten des selbsternannten Kaisers der „Grande Nation“.

In dieser Situation entstand auch in Österreich – wie in vielen anderen der überwältigten Staaten Europas – ein neuer Patriotismus, der die bürgerliche Moderne mit dem alten System zumindest auf Zeit versöhnte. Allerdings mit Konsequenzen: Der Patriotismus hatte eine entscheidende Wandlung erfahren. Nicht eine frei gewählte Wertegemeinschaft wie im revolutionären Frankreich, zu der sich jeder zugehörig fühlen konnte, der ihre politische Struktur akzeptierte, benannte hier die Nation, sondern

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eine Abstammungsgemeinschaft: „Völker“, die durch „Blut und Boden“ verbunden waren, wie es später in der perversesten Ausprägung des Vaterlandsgedankens hieß.

Dieser Patriotismus lud sich immer mehr zu einem geradezu glühenden Nationalismus auf, der massiv chauvinistische Züge trug und sich immer mehr im Schulterschluss von Bürgern und aristokratischen Schichten gegen die Nachbarn oder etwaige „fremde“ Mächte richtete. Die Volksgruppen des Habsburgerreiches wollten eigene Nationen sein, befreit von der Vorherrschaft Wiens oder Budapests. Die Völker Europas wollten jedes für sich die bedeutendste Nation sein und verglichen sich stetig mit den anderen. Und die ursprünglich von Freiheitsdenken und Gemeinschaftssinn geprägte Idee des Vaterlandes blähte sich zu jener Fratze auf, in deren Namen schließlich Krieg auf Krieg folgte, bis die Nationen gegeneinander zum hochstilisierten „Endkampf“ zu Felde schritten, an dessen Vorabend die Lustige Witwe entstand. Und wenn man sich die Bilder der Massenmobilisierungen im Jahr 1914 noch einmal anschaut und die verblendete Begeisterung auf den Gesichtern sieht, egal ob bei Österreichern, Preußen oder inzwischen eben auch bei Franzosen, dann ahnt man noch etwas von der Leidenschaft, die der nationale Diskurs um das „Vaterland“ zu entfachen vermochte.

Da ist nichts mehr zu spüren vom Wunsch unterprivilegierter Menschen, eigene Werte zu entwickeln, da sieht man nicht mehr das Ringen von geächteten Randgruppen um die eigene Identität, da leuchtet nurmehr chauvinistischer Hass und die Wonne, dem Gegner, den „Erbfeinden“ endlich zeigen zu können, wer hier die wahrlich auserwählten Nationen sind – als habe die Nation die Religion in ihrer moralischen Wertigkeit, ihrer Prägekraft und ihrem Exklusivitätscharakter abgelöst.

Wo das Vaterland liegt, sollte also klar sein: auf einer Landkarte, die mit Blut gezeichnet ist. Die deutsche Sprache

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hat jedoch noch ein anderes Wort, das in der Zeit nach der Französischen Revolution mit Bedeutung aufgeladen wurde und von der Sehnsucht des Einzelnen spricht, sich zugehörig und eingebunden zu fühlen: Heimat. Die poetische und politische Aufladung des Wortes „Heimat“ geschieht in Österreich und Deutschland parallel mit der des Begriffes „Vaterland“. Heimat aber ist ganz das Wort der Künstler:innen, ist die Idee von Dichtern und Denkern. Sie wird getragen von einer Künstlergeneration, die sich von den Truppen Napoleons in ihrem Idealismus ebenso verraten sieht wie von den kühlen Taktikern des Wiener Kongresses, die die Uhren der Zeit zurückdrehen wollen. Die Heimat hat Konjunktur bei den jungen Schriftstellern der Romantik, die sich zurückträumen aus ihrer engen Wirklichkeit in ein ideales Mittelalter, als Werte des

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Max Klinger, Terrasse, 1879

Glaubens noch nicht durch Vernunft begrenzt waren, als der Zauber des Mysteriums noch aus der Natur sprach, als das Herz den Takt der Gesellschaft vorzugeben schien. „Wer einen Dichter recht verstehen will, muss seine Heimat kennen“, dekretiert Joseph von Eichendorff und baut in seinem Werk den Kosmos der romantischen Heimat aus. Allerorten entdecken Dichter, Maler und Komponisten ihre eigene Heimat, die zuallererst als die Natur, die Umgebung ihrer Geburtsregion aufscheint. Als das urvertraute Bild aus vergangenen Kindheitstagen, das sich durch den kindlichen Blick zusammensetzt. Und der Weg zurück in die Heimat ist der Weg zurück in die Kindheit. Ein Alter, in der die ganze Welt magisch scheint, riesig und doch vertraut, unheimlich und doch geschützt. Der romantische Blick hat sehr viel mit dem kindlichen Blick gemein, ist ihm

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Fernand Khnopff, Ein Bach, 1897

oft bewusst nachempfunden und wirkt deshalb so tief, so substanziell und gefühlvoll.

Mit offenen Augen und offenem Herzen kann man diese Heimat überall entdecken, so unterschiedlich sie auch aussehen mag. Man kann sie mit Theodor Storm an der friesischen Nordseeküste und deren Naturgewalten ebenso finden wie mit Joseph von Eichendorff am Rhein. Man kann sie in der Mark Brandenburg mit Theodor Fontane beschreiten oder mit Peter Rosegger in der steirischen Waldheimat. Wie die Natur auch beschaffen ist, immer gilt sie als Metapher für das Menschliche, immer entdeckt man in ihr die eigentlichen Geheimnisse des Lebens.

Es ist diese Heimat, die Hanna Glawari in ihrem Vilja-Lied beschwört. Das Wissen darum, dass Heimat vor allem Suche ist, dass sie eben nicht konkretisierbar ist, gerade wenn man sie wiederfinden möchte, macht den positiven Kern des romantischen Heimatbegriffs aus. Viel zu klar ist den großen Künstlern und Humanisten, dass die konkrete Heimat viel zu nahe ans Vaterland grenzt.

Aber es gibt auch andere. Und auch ohne zu wissen, was fanatische Mörder des 20. Jahrhunderts aus dem Heimatbegriff machen werden, stößt die Ausgrenzungshetze des Heimatbegriffs etwa eines Joseph von Eichendorff übel auf, wenn sie gewisse Menschen für gar nicht heimattauglich hält, namentlich die jüdischen Nachbar:innen. Diese hässliche Seite der Medaille muss man immer mitdenken, wenn man die große romantische Heimatverklärung noch immer in Anspruch nehmen möchte. Unterscheidungen wie „gesund“ und „ungesund“ sind schnell gemacht, auch und leider gerade von Künstlern, denen Heimat auch gleich „Reinheit“ und „Sauberkeit“ bedeutet. Die per literarischem Dekret entscheiden, wer oder was denn zur Heimat gehört und was als fremd in ihr ausgemerzt werden muss. In der den „ewigen Juden“ gerade die Heimatlosigkeit auszeichnet, der deshalb verderbt umherschweift, um

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die Heimat der anderen, Glücklicheren zu vergiften. Und deshalb ist es Zeit, noch einmal auf die Librettisten der Lustigen Witwe zurückzukommen: Victor Léon hieß eigentlich Victor Hirschfeld und Leo Stein ursprünglich Leo Rosenstein. Beide waren Juden und mussten sich ihren Platz im Wiener Kulturleben hart erkämpfen, auch sie galten als „Fremde“, wie im Übrigen auch der Erfinder der Operette, Jacques Offenbach, der Sohn eines Synagogensängers. Es ist wahrscheinlich kein Wunder, dass diese jüdischen Künstler die Ambivalenzen des Heimatbegriffs in ihren Werken so stark herausgearbeitet haben.

Denn Heimat hat sich in Wirklichkeit – wie immer und überall, so auch in Österreich – stetig verändert und tut das auch heute. Unterschiedlichste Menschen haben hier eine

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Félicien Rops, Hygienekunde, 1878

neue Heimat gefunden und ihre Kultur mitgebracht. Andere gingen ins Exil und haben Österreich im Herzen und in der Musik mitgenommen. So wie der große Grazer Komponist Robert Stolz. In die USA emigriert, begann er dort mitten im Krieg mit einer Serie von Wiener-Walzer-Konzerten. Auf die Frage, warum er denn inmitten des Schreckens so etwas programmiere, sagte er sinngemäß: „Wir dürfen den Nazis nicht unsere Musik überlassen. Wir müssen sie spielen, um zu zeigen, dass in ihr das ganze humanistische Potenzial liegt, das es zu schützen gilt.“ – Diese Heimat klingt. Sie liegt im Imaginären, man kann sich nicht auf ihr ausruhen, sondern sie muss immer neu erfunden und erarbeitet werden.

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Franz Lehár und seine Librettisten Leo Stein und Viktor Léon

„Musik sich den Reigen erzwingt”

Die lustige Witwe und ihr Jahrhundert

„Bis an die Grenze des Taumels”

„Unsere Melodie – in der Lustigen Witwe wird sie angestimmt. Alles, was so in unseren Tagen mitschwingt und mitsummt, was wir lesen, schreiben, denken, plaudern und was für moderne Kleider unsere Empfindungen tragen, das tönt in dieser Operette, klingt in ihr an.” Welche Wirkung die Lustige Witwe vor hundert Jahren hatte, wie sehr sie den Nerv der Zeit traf, welche Euphorie sie auslöste, hat wohl niemand eindringlicher in Worte gefasst als Felix Salten, der elegante Feuilletonist des Jungen Wien – berühmt als Autor der Bambi-Romane, berüchtigt als anonymer Verfasser der pornographischen Memoiren der Josephine Mutzenbacher. Und so fährt er denn fort: „Lehárs Musik ist wie erfüllt von geschlechtlicher Wollust; die honette Liebesgeschichte in eine exotische, dekolletierte und heiße Sinnlichkeit getaucht. In jene Sinnlichkeit, wie wir sie heute darstellen: das volle Herausschlagen des Begehrens und der Begierde; bis an die Grenze des Taumels.”

Nicht umsonst entzündete sich seine erotische Phantasie gerade an dieser Operette. In der großen Walzerszene, die mit „Lippen schweigen” beginnt und in ekstatischem Tanz endet, ereignete sich für ihn die „Enthüllung des Triebhaften”. Doch auch seine Zeitgenossen wurden vom geheimnisvollen Taumel erfasst. Die Operette wurde im Wien Sigmund Freuds zum Medium des Unbewussten –und „Lippen schweigen” zu dessen Verheißung. Noch in Samuel Becketts Endzeit-Stück Glückliche Tage beschwört die bis zum Hals eingegrabene Protagonistin Winnie mit dem Witwen-Walzer ihr verlorenes Glück. Kein anderes

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Bild beschreibt treffender die beinahe mythische Bedeutung dieser Operette für das 20. Jahrhundert. Als Becketts Glückliche Tage 1961 erschien, war die Gattung Operette bereits totgesagt. Wie Winnie war sie eine Dame ohne Unterleib, die zwar im falschen Licht der Wunschkonzerte noch immer die große Geste zelebrierte, sich aber kaum noch bewegen konnte: Die theatralische Untote war zum eigenen Klischee erstarrt. Übrig blieb allein die magische Spieldosenmelodie, die gespenstisch den einstigen Glanz bezeugte. Dass Beckett dafür den Walzer aus der Lustigen Witwe wählte, ist kein Zufall, repräsentierte doch diese Operette das Genre wie keine zweite. Entstieg bei Beckett Die lustige Witwe der verschütteten musikalischen Unterwelt, hatte sie als zeitgeschichtliches Phänomen längst ihre Spuren in der Hochkultur hinterlassen. Nicht ohne Ironie erschien sie bei Thomas Mann im fünften Kapitel der Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull als „geheimer Ursprung des Gefälligkeitszaubers,” nicht ohne Grund zollten ihr selbst Koryphäen der Avantgarde Tribut – von Gottfried Benn bis James Joyce, ganz zu schweigen von ihren Wiener Kollegen Schnitzler und Hofmannsthal. Während ein Richard Strauss „noch mit 75 Jahren über den Walzer der Lustigen Witwe einen Tobsuchtsanfall kriegen” konnte, wurde Gustav Mahler in einer New Yorker Hotellobby dabei ertappt, wie er ihn vor sich her pfiff. Selbst Arnold Schönberg scheute sich nicht, dessen Komponisten als „Meister” zu titulieren.

Seit dem Erfolg der Lustigen Witwe polarisierte Franz Lehár seine Zeitgenossen. An ihm kam keiner ungestraft vorbei. Bei Karl Kraus wuchs sich dies zu einer wahren Verfolgungsmanie aus. Einem bösen Schatten gleich folgte er der Lustigen Witwe auf ihrem Triumphzug um den Globus und hinterließ damit ein genaueres Bild ihrer Wirkung als die jubelnde Mitwelt, die fast ein halbes Jahrhundert der „Lehárgie“ verfiel. Eine Unzahl journalistischer Dokumente kündet davon in höchsten Tönen. Die Operette hatte, zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein modernes Massenmedium

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geworden, längst ihre Unschuld verloren. Und Lehárs Lustige Witwe war ihr Sündenfall. Schließlich war die Operette zu Beginn unseres Jahrhunderts das, was heute das Musical nur noch ansatzweise ist: eine globale Theaterepidemie. Der Unterschied war zum einen, dass sie den modernen Stil der Unterhaltungsmusik ihrer Zeit repräsentierte. Zum andern betrieb sie mit einer gewissen Lust am Untergang ein doppelbödiges Spiel: Die Scheinwelt der Operette, so überschwänglich sie sich beispielsweise in der Lustigen Witwe präsentierte, blieb stets ironisch in der Schwebe. In ihr kam selbst der Kitsch noch augenzwinkernd daher. Galant tänzelte die Operette über ihre eigenen Untiefen hinweg. Auch das lässt sich vom Musical selten behaupten. Das Musical tanzt – die Operette tänzelt. Um im Bild zu bleiben, war Franz Lehár zweifellos der Andrew Lloyd Webber seiner Zeit – mehr noch: er war, wie seine Biographen versichern, „der innerhalb seiner Lebensgrenzen am meisten aufgeführte Komponist aller Zeiten” – und als solcher ein zeitgeschichtliches Phänomen, hatte er doch, wie ein Kritiker euphorisch feststellte, „mit der Lustigen Witwe dem 20. Jahrhundert seine Operette gegeben.”

Überrollt vom Erfolg

Als sich am 30. Dezember 1905 im Theater an der Wien zum ersten Mal der Vorhang über Lehárs Meisterwerk hob, ahnte freilich noch niemand, dass dies in der Geschichte der Operette ein historisches Datum sein würde. Pünktlich zum Ende des 19. Jahrhunderts war deren unbestrittener Souverän Johann Strauß gestorben, sein Thron seitdem vakant und die nunmehr verwitwete Operette zehrte lustig von seinem Erbe. Ihre Zeit schien abgelaufen – bis Die Lustige Witwe das fast totgeglaubte Genre zu einem bis dahin unbekannten Höhepunkt führte. Schon ein gutes Jahr nach der Uraufführung meldete der Verleger Sliwinski seinem Komponisten 3970 Aufführungen allein in Österreich-Ungarn und Deutschland. Am 27. April 1907

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wurde schließlich das in der Wiener Theatergeschichte noch niemals zuvor erreichte 400. Jubiläum gefeiert, „eine Aufführungsziffer, von der man in der großen klassischen Operettenzeit nicht zu träumen gewagt hätte. Sie konnte nicht weniger als vierhundertdreißigmal en suite gegeben werden.” Tatsächlich war zum Beispiel Die Fledermaus erst nach zweieinhalb Jahren auf 100 Vorstellungen gekommen. Wie Wilhelm Karczag, der damalige Direktor des Theaters an der Wien, verriet, gab es „Leute, die sechs-, sieben- bis achtmal hineingingen.” Schönberg erwähnte gar einen Mann, der „Die lustige Witwe mehr als hundert Mal gehört habe.”

Mochte sich Karl Kraus noch so sehr wundern, dass die klassische Operette „nicht entfernt das Entzücken verbreitet hat, das heute ein bosniakischer Gassenhauer findet” – fast alle Nummern der Lustigen Witwe wurden zu Schlagern der Epoche. Allein das Vilja-Lied war bis 1909 über drei Millionen mal verkauft worden und hat, wieder Karl Kraus zufolge, „als Waldmägdelein des Okkupationsgebietes uns Erwachsenen fünf Jahre lang den Aufenthalt in jedem Nachtlokal verleidet.” Symptomatisch für Die Lustige Witwe war der Erfolg ihrer berühmtesten Nummer, des Walzerduetts „Lippen schweigen.” In Berlin, wo die Witwe gar eine Aufführungsserie von 600 Vorstellungen erlebte, schlug es zum Leidwesen eines Kritikers des Lokalanzeigers derart ein, dass es „ungezählte Male gesungen und vom Orchester vorgetragen werden musste. Das Publikum wollte sich nicht beruhigen und verlangte den Walzer immer wieder, bis das ganze Haus ihn mitsummen konnte. Es war das Zuviel des Guten; zuletzt hatte man das leise Gefühl, als wäre die hübsche Melodie ein abgeleiertes Stück, das man wieder zu vergessen sich bemühen müsste ...”. Wie keine andere Nummer der Lustigen Witwe machte dieser Walzer weltweit Furore. Selbst für Adorno hat er „exemplarisch den neuen Stil statuiert – und der Jubel, mit dem das Bürgertum Lehárs Operette begrüßte, ist mit dem Jubel der ersten Warenhäuser zu vergleichen”.

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Nicht nur Wien und Berlin verfielen ihrem Zauber. Allein in London hatte sie innerhalb von zwei Jahren über eine Million Zuschauer:innen, auf die gerade Lehárs Walzer ungeheure Verführungskraft ausübte. Der legendäre Londoner Theaterdirektor George Edwardes machte den Komponisten, nach eigener Aussage, darauf aufmerksam:

„Dieser Walzer verkörpert alle Wünsche der weiblichen Psyche, ihre Sehnsucht nach einem Gefährten und Gatten; und tatsächlich haben zur Zeit der Aufführung dieser Operette in allen Teilen der Erde ungeheuer viele Menschen geheiratet. Dieser Theaterdirektor kannte sein Publikum und hatte beobachtet, dass sich junge Paare diese Operette wiederholt angesehen hatten und ihm schließlich die Einladung zu ihrer Hochzeit geschickt haben. Das war aber nicht etwa ein Einzelfall, sondern ereignete sich häufig.”

Solch berückende Wirkung einer Operette auf ein Massenpublikum war neu. Der Walzer und das Paar, das ihn tanzte, wurden Teil seines Alltags – so wenn Tanzwettbewerbe stattfanden, um das beste DaniloHanna-Paar preiszukrönen. Ob New York, London oder Paris, überall wurden Hanna und Danilo zu Idealgestalten, deren Manier bis hin zu ihren Marotten Mode machte. Es gab, wie ein seriöser Kritiker konsterniert konstatierte, „damals sehr viele, sonst normale Menschen, die in Zitaten und Melodien daraus sprachen, dachten und empfanden.” Diese Durchdringung von Kunst und Leben war neu, entsprach aber durchaus den Intentionen Franz Lehárs und seiner Autoren, „in unsere Arbeit so viel Realismus, so viel Wahrheit und so viel wirkliches Leben zu legen, als nur möglich ist”.

Die Lustige Witwe löste damit eine der größten Theaterepidemien der Geschichte aus, die in Amerika die wunderlichsten Blüten trieb. Dort gab es Merry WidowSchuhe, -Korsetts und -Cremes, ja Merry Widow-Hotels und -Restaurants, mit Merry Widow-Cakes, -Schnitzeln und -Likör auf der Speisekarte, nach denen man sich die Merry

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Widow-Cigar gönnte. Und der wagenradgroße Merry Widow-Hat machte regelrecht Mode – „and sent every woman into ecstasy”! Es ist kein Zufall, dass gerade der amerikanische Erfolg entscheidend für den internationalen wurde. Während sich in Europa kulturelle Traditionen allmählich aufzulösen begannen, waren sie in Amerika schon immer in Bewegung. Das amerikanische Publikum, ein Schmelztiegel unterschiedlichster Herkunft, entsprach in dieser Hinsicht dem des kakanischen Vielvölkerstaats, das in der Operette die adäquate, von Bildungsballast befreite, für alle Strömungen offene Theaterform gefunden hatte. Daher riss, wie Leonard Bernstein feststellte, eine moderne „Operette wie die Lustige Witwe von Lehár das BroadwayPublikum zu Begeisterungsstürmen hin und war der Anfang einer ganzen Reihe ähnlicher Operetten”. Innerhalb kurzer Zeit wurde die 5000. amerikanische Vorstellung gemeldet. In ihrem Gefolge dominierte die Wiener Operette das internationale Theaterrepertoire der Dekade vor dem Ersten Weltkrieg. So berichtete Karl Kraus von einem englischen Offizier, der in Peking auf verzweifelter Suche nach Original-Chinesischem ein Lokal betrat, das seinen Vorstellungen zu entsprechen schien. „Endlich etwas Nationales, hoffte er. Aber was bekam er zu hören? Den Walzer aus der Lustigen Witwe.”

Der janusköpfige Danilo

Nicht nur rund um den Erdball hinterließ Die lustige Witwe Spuren. Sie schrieb im 20. Jahrhundert auch Geschichte –am dunkelsten im Dritten Reich, war doch Adolf Hitler seit seinen Wiener Jahren einer ihrer glühendsten Verehrer. Eine Mesalliance der makabersten Art, bedenkt man etwa das Schicksal des auch von Hitler bewunderten UraufführungsDanilos Louis Treumann: Er starb 1943 elend und vergessen im KZ Theresienstadt. Er war Jude – wie fast alle Beteiligten der Lustigen Witwe, die Librettisten, der Verleger, der Direktor … bis auf den Komponisten. Während es dem „nichtarisch verheirateten” Lehár gelungen war, seinen

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Zeitungskarikatur aus New York (1908): die ganze Stadt im Merry Widow-Wahn

jüdischen Librettisten Viktor Léon bis zu seinem Tod 1940 zu schützen, gelang dies bei Treumann nicht. Auch dafür gab es einen simplen Grund. Treumanns Lebensrolle, Graf Danilo, hatte zur gleichen Zeit einen neuen, später legendären Darsteller gefunden: Johannes Heesters.

Doch nicht nur im Dritten Reich erfreute sich Die lustige Witwe ungebrochener Beliebtheit, auch jenseits des Atlantik erlebte sie trotz des Zweiten Weltkriegs eine überraschende Renaissance und hatte dies ausgerechnet zwei jüdischen Emigranten zu verdanken: Marta Eggerth und Jan Kiepura, die fortan Hanna und Danilo über 2000 Mal verkörpern sollten. Choreographiert von George Balanchine, war auch diese Inszenierung der Merry Widow von Robert Stolz nach damaligem Geschmack musikalisch bearbeitet worden und erzielte 1943 am Broadway eine Aufführungsserie von über einem Jahr, an die sich eine doppelt so lange USA-Tournee anschloss. Es war das erfolgreichste Operettenrevival des amerikanischen Theaters. Ein Erfolg, von dem Lehárs emigrierte Kollegen wie Emmerich Kálmán oder Ralph Benatzky nur träumen konnten, und das ausgerechnet mit Hitlers Lieblingsoperette.

Vom Zeitstück zum Klassiker

Nach dem Zweiten Weltkrieg war aus dem aktuellen Zeitstück Die lustige Witwe ein fiktives Klischee geworden. Ein Schicksal, welches das ganze Genre ereilte und nicht zuletzt in der rabiaten Zerstörung ihres Umfelds durch die Nazis begründet lag. Wie ein Fossil des einst blühenden Operettenbetriebs kündete nur noch Johannes Heesters den Wissenden von vergangenem Glamour – „der letzte wirkliche Danilo”, der bei seinem Abschied von der Rolle im stolzen Alter von über 80 Jahren fast schon wieder eine Beckett-Figur „glücklicher Tage” war. Die Lustige Witwe eroberte indes die Opernbühnen der Welt, wie schon lange zuvor Die Fledermaus, und wurde wie diese ein dankbares Objekt beherzt zugreifender Regiehandschriften. Den

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Anfang machte 1963 Maurice Béjart in Brüssel, der den Tanz auf dem Vulkan unmittelbar in die Schrecken des Ersten Weltkriegs überführte; Harry Kupfer inszenierte sie 1986 an der Komischen Oper in Berlin als NS-Filmproduktion und Peter Mussbach servierte sie 1996 an der Frankfurter Oper als edel-distanziertes Endspiel. Drei Jahre danach öffnete gar die Wiener Staatsoper einer nicht ganz so lustigen Lustigen Witwe ihre heiligen Pforten; im Jahr 2000 schließlich war Plácido Domingo an der New Yorker Metropolitan Opera als Danilo zu erleben. Totgesagte leben eben länger, und so ist die Zeit vielleicht erst nach über 100 Jahren wieder reif für den unergründlichen Zauber der leichten Muse. Denn die lustvolle Auflösung von Emotionen in rauschhafte Choreographien, verbunden mit Texten von oft bodenloser Skurrilität, haben die Operette zu Recht wieder ins Blickfeld gerückt. Gerade im Zeitalter sogenannter Event-Kultur gilt es unter der Oberfläche des schönen Scheins, „die Geschichte hinter den Geschichten sichtbar zu machen.” Und wer böte sich einem solchen Experiment bereitwilliger dar als die trotz ihres Alters immer noch leichtsinnige Operette? Es wäre, als gäbe man Becketts Endzeit-Figur Winnie den eingegrabenen Unterleib zurück, als tauche man sie in jene „exotische, dekolletierte und heiße Sinnlichkeit”, die Felix Salten schon vor hundert Jahren beschwor – „bis an die Grenze des Taumels …”.

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Synopsis

Act one

“You say, you love me, But I fear, where the truth

Will be taught: Your love is more sincere For the beauty of my gold!” (Hanna)

In Pontevedro's embassy in Paris, Baron Mirko Zeta and his guests hold a celebration in honour of the birthday of Pontevedro’s sovereign – in spite of their native country’s empty treasury. Zeta, whose French spouse Valencienne is ardently courted by her compatriot Camille de Rosillon, has hatched out a plan to save his native country from bankruptcy: He invited the ultra-wealthy widow Hanna Glawari, an elegant Pontevedrian lady who has come into money through marriage, and plans to have his embassy attaché, Count Danilo Danilowitsch, an elderly lounge lizard, who permanently turns night into day at his favorite night club Maxim, to court Hanna. That way her fortune would stay in Pontevedro and would not be passed on to the Parisian dowry-hunters. When Njegus, specialist for “delicate affairs” at Pontevedro's embassy, finally manages to get the disheveled Danilo to the embassy, Hanna is already the center of male attention. Danilo is struck by lightning when he recognizes the love of his youth: Hanna. Back then they were denied marriage for her social status was not befitting his. Hanna pointedly remarks that she would be well worthy for his aristocratic family now, but Danilo assures her that he would not marry her exactly for that reason.

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Valencienne lost her fan. On it are Camille's compromising words “I love you”. To bring the affair to an end, she demands of her admirer to marry Hanna. Meanwhile Danilo refuses to comply with Zeta's plan to marry the “Pontevedrian bail-out”. In order to keep the tiresome French suitors off Hanna, Danilo arranges a ladies' choice dance: Hanna asks Danilo for a dance, but he wants to sell it for 10.000 francs. All the other gentlemen lose their interest. The two squabblers allow themselves to be seduced into a quick dance …

Act two

“Oh, you accursed millions!“ (Danilo)

Hanna arranges a Pontevedrian get-together at her Paris domicile. The evening turns into a catalyst for the love turmoil and the battle of the sexes among the party guests. Hanna tries to win Danilo's heart, but he keeps avoiding her and sets off on a different mission assigned by Zeta: He needs to find out to which lady the fan with the inscription “I love you” belongs, in order to reveal who has an extramarital affair. Said woman, although already married, should then marry Camille. That way the most dangerous of all marriage candidates would be out of the way.

While searching for the married woman, Danilo learns a lot about Pontevedrian-French love affairs, which prompts him to chat with the other gentlemen about the supposed infidelity of their wives and the “study of women”. Only Camille still gives the romantic lover, but Valencienne wants to put a definitive end to the affair, desperately repeating her statement of faith: “I am a respectable woman.” And yet she follows Camille to a hidden and discreete “pavilion” for a farewell kiss …

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When Zeta sees them through a viewing slit, the affair seems to blow up, but Njegus, at the very last moment, manages to swap Valencienne for Hanna through the back door. To everyone’s dismay, Hanna and Camille step out of the “pavilion”; what was intended as help for Valencienne takes on a life of its own and in the end Hanna feels compelled to announce her engagement with Camille.

Act three

“Oh, you lost millions!“ (Zeta)

In the basement of her villa, Hanna has had recreated Danilo’s favorite night club, the famous “Maxim’s”, where real “grisettes” – led by the ambassador's wife Valencienne – perform. A telegram informs Zeta that the sovereign has lost confidence in the Pontevedrian colony and is on his way to Paris. Since the threat of national bankruptcy is still looming, Danilo takes heart and appeals to Hanna not to marry Camille. As soon as the last French marriage candidate is out of the game, the Pontevedrian love and marriage affairs untangle ... All's well, that ends well.

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FÖRDERKREIS

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Impressum

Saison 2023/24 | Medieninhaber & Herausgeber: Volksoper Wien GmbH, Währinger Straße 78, 1090 Wien | www.volksoper.at, Tel.: +43/1/51444-0 | Firmenbuchnummer: FN 184078 d, Firmenbuchgericht: HG Wien | Geschäftsführung: Lotte de Beer, Christoph Ladstätter

Redaktion: Magdalena Hoisbauer, redaktionelle Mitarbeit: Sylvia Schlacher und Anna-Maria Bernhofer | Grafisches Konzept: Christof Hetzer, Sandra Hruza | Grafik: Natascha Sefcsik

Textnachweise

Die Handlungs-Zusammenfassung (D&E) basiert auf jener des Lustige Witwe-Programmhefts der Wiener Staatsoper aus der Saison 1998/99 und wurde von der Redaktion an die aktuelle Neuinszenierung der Volksoper Wien angepasst. Das Interview sowie der Lexikoneintrag „Pontevedro“ (nach einer Idee von Julia Hansen) sind Originalbeiträge von Magdalena Hoisbauer für dieses Programmheft. Der Text „Vaterländer, Heimaten“ von Thomas Höft ist ein Originalbeitrag für dieses Programmheft. Der Artikel von Stefan Frey ist dem Lustige Witwe-Programmheft der Volksoper Wien (Saison 2020/21) entnommen und wurde für die vorliegende Publikation redaktionell angepasst.

Bildnachweise

Szenenfotos der Klavierhauptprobe und Portraitfoto von Mariame Clément (S. 10) von Werner Kmetitsch; Foto von Ben Glassberg (S. 9) von Marco Sommer; Foto „Der Fürst von Pontevedro“ (im Bild: Dimitriu Sarvici) von Barbara Pálffy; Bilder im Artikel von Thomas Höft (S. 21, 22, 25, 26, 28): AKG Images; Foto S. 30: Österreichisches Theatermuseum; Grafik S. 37: Archiv der Volksoper Wien.

Hersteller: Print Alliance HAV Produktions GmbH, 2540 Bad Vöslau

„BEI JEDEM WALZERSCHRITT TANZT AUCH DIE SEELE MIT …“

(Hanna)

„ICH WILL NICHT DEIN GELD, ICH WILL NUR DEINE LIEBE. WAS DEIN BANKKONTO ENTHÄLT, IST NICHT MEIN GLÜCK.“
(Georg Kreisler)
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