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Goldene Zeiten

Mit 28 Jahren wagte der 1858 geborene Carl Wilhelm Freund Walther 1886 den Schritt in die Selbstständigkeit. Er starb 1915 mit nur 57 Jahren. Rechts: Mit edlen (hier vergoldeten) Luxusmodellen wie der P.38 (beidseitig durch Fotomontage zu sehen) lockte Walther oft gut betuchte Kunden.

Über ein Jahrhundert Pistolen-Fertigung bei Walther Goldene Zeiten

Das Jahr 1886 war ein ganz besonderes. Carl Benz und Gottfried Daimler präsentierten, unabhängig voneinander, ihre ersten Motorkutschen. In New York wurde die Freiheitsstatue eingeweiht, und John Pemberton bot in Atlanta zum ersten Mal seine Medizin namens Coca Cola an. Dass es im selben Jahr auch im malerischen Thüringen schon wirtschaftlich hoch her ging, mag man nicht so recht glauben. Tatsächlich aber hatten sich zu dieser Zeit in der von Eisenerz und Wasser verwöhnten Region um Suhl über 100 einzelne Betriebe der Herstellung von Sport- und Jagdgewehren, Pistolen und Revolvern verschrieben. Als Carl Wilhelm Freund Walther, geboren am 22. November 1858, mit 28 Jahren im Herbst 1886 im von den Eltern geerbten Haus am Katzenbuckel in St. Blasii seine erste Büchsenmacherwerkstatt einrichtete und einen Lehrling und dann einen Gesellen einstellte, war die Jahresproduktion an Waffen in den Orten Zella, St. Blasii und Mehlis beeindruckend: 1380 Büchsen, 334 Jagdgewehre und 9117 Teschings

Wulf-Heinz Pfl aumer (links) und sein Sohn Eyck sind geschäftsführende Gesellschafter der Firmen Carl Walther und Umarex. Die zwei Unternehmerfamilien Pfl aumer und Wonisch (Vater Franz, Sohn Martin) sorgten dafür, dass 1993 Walther weiterhin ein deutsches Unternehmen blieb – bis heute mit Erfolg.

wurden registriert, aber deutlich mehr Kurzwaffen: 125 675 Terzerole (also kleine Vorderlader-Pistolen), dazu 35 474 Revolver und 14 960 Pistolen.

Das Kurzwaffengeschäft wurde bei den Walthers allerdings erst 20 Jahre später zum wichtigen Thema. Carls Sohn Fritz, 1889 geboren, hatte sein Handwerk im väterlichen Betrieb erlernt. 1906 mit dem Gesellenbrief als Büchsenmacher und der seltenen Note „Sehr gut“ belohnt, zog es ihn nach Berlin, um beim damaligen Global Player der Waffenindustrie, den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM), als Werkzeugmacher anzufangen. Tatsächlich ging es dem jungen Mann aber wohl mehr darum, die aktuellen industriellen Fertigungstechniken zu studieren. Wo wäre das besser möglich gewesen als in der Hauptstadt? Zum DWM-Konzern gehörten seinerzeit schon die Karlsruher Metallpatronenfabrik Lorenz, die MauserWerke in Oberndorf, die österreichische Waffenfabrik in Steyr, die ungarische Waffenfabrik in Budapest, die belgische Fabrique Nationale d’Armes de Guerre und Anteile am britischen Rüstungsunternehmen Vickers, Sons & Maxim Ltd.

Es herrschte Aufbruchstimmung zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Weltweit wurde umgerüstet. Schwarzpulver-Waffen waren schon lange durch Patronenmodelle abgelöst worden, die Ära der Revolver als Selbstverteidigungswaffe ging zu Ende. Selbstladepistolen schienen unaufhaltsam im Kommen – in kleinen Kalibern als gut verstaubare Taschenpistole, wie sie etwa John Moses Browning mit der FN 1900 in 7,65 Browning entwickelt hatte, oder im stärkeren Kaliber 9 mm Parabellum, wie es der in DWM-Diensten stehende Österreicher Georg Luger für seine Pistolen 04 und 08 verwendete. Fritz Walther bekam in Berlin diese Entwicklungen natürlich mit, in Gesprächen mit Kollegen nach Feierabend oder aus den Zeitungen. Er ahnte, dass der neue PistolenBoom auch für die Firma seines Vaters eine große Zukunfts-Chance bot: Neben Militärpistolen würden bestimmt auch kleinere, handlichere Modelle für den zivilen Markt gut absetzbar sein, während in St. Blasii bei Walther bis dahin

Die frühen Pi stolen:

Drei von Neun (v.l.): die WaltherPistolenmodelle 5, 8 und 9 (alle: Waffendesign Claus Jarzombek).

Die frühen Pi stolen: Alle

Neune

Als die Firma Walther in den Bau von Faustfeuerwaffen einstieg, da kamen als Erstes keine ausgewachsene Dienstpistolen in HolsterGröße, sondern Taschenausführungen. Das aber lag im Trend: Von jeher bildeten kleine Kurzwaffen so etwas wie ein Experimentierfeld, auf dem manches Detail sein Debüt erlebte, ehe es dann auch bei größeren Waffen Einzug hielt. Kein Wunder: Was in den Maßen am kleinsten aus el, war in Sachen Umsatz am größten. Das war von jeher bei Revolvern so und nach 1906 auch bei Taschenpistolen. Denn in jenem Jahr stellte die belgische Firma Fabrique Nationale (FN) ein vom US-Konstrukteur John Moses Browning ersonnenes Modell vor – die FN M 1906 im neuen Kaliber 6,35 x 16 mm alias .25 ACP. Dieses bis 1950 in Millionenstückzahl gebaute Modell war vom Fleck weg ein Hit. Es inspirierte andere Hersteller zum Einstieg – in einen Markt, der sich gemäß einer unter anderem von Fachautor Bruno Brukner verwendeten Einteilung so genauer kategorisieren lässt: Es ging um eine Unterkategorie der Taschenpistolen, die Westentaschenpistolen, zu deren erstem großen Star die FN 1906 avancierte. Und hier beteiligte sich nun auch Walther, dies geschah auf Initiative von Sohn Fritz. Dem 1910 vorgestellten Modell 1 im damaligen 25er Trend-Kaliber kommt zudem die Ehre zu, die erste Pistole der Marke Walther zu sein. Die dann gleich zu den Klassikern PP und PPK übergeleitet hat, mag mancher denken – aber gerade so war es nicht: Bis 1921 (und damit lange vor PP und PPK) führte das damals in Thüringen ansässige Werk gleich neun Pistolenmodelle ein, durchnummeriert von Modell 1 bis Modell 9, wovon die ersten vier noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs erschienen.

Bei der Beschäftigung mit diesen Waffen zeigt sich eins: Da sie vor PP und PPK

Zeichnung zum Patent 235 944 – darauf basierte das Walther-Modell 1.

Walther PP und PPK, hier beide in 7,65 mm: PP (o.l.): 8 + 1 Patronen, Maße: 172 x 30 x 111 mm, Lauf: 98 mm, Gewicht: 680 g. PPK: 7 + 1 Patronen, Maße: 156 x 30 x 99, Lauf: 83 mm, Gewicht: 590 g.

Walther-Pistolen PP und PPK: Gemischtes Doppel

Auch wenn der berühmteste Besitzer einer Walther PPK so ktiv ist wie weltweit bekannt und sich aus der Historie von PP sowie PPK (und damit auch aus diesem Special) nicht wegdenken lässt – mit Blick auf die schiere Menge bildet James Bond eine Randnotiz. Von der PP (kurz für „Polizei-Pistole“) entstanden allein in Zella-Mehlis von 1929 bis 1945 zirka 540 000 Exemplare, von der PPK („Polizei-Pistole Kriminal“) ab 1931 ungefähr 290 000 Stück, so der Sachstand anhand der Produktionslisten aus dem Walther-Werk. Damit aber endete die Fertigung nicht, die lief ja weiter: Zirka 940 000 Stück gab es von der PP, von der PPK hingegen 963 440 Exemplare, jeweils bezogen auf den Bau bis 1999 bei Walther und bei der französischen Firma Manurhin, die PP und PPK in Lizenz herstellte. Apropos Lizenz: Außer Manurhin galt das für Ranger Manufacturing (im Auftrag von Interarms) und Smith & Wesson in den USA. „1999“ bezieht sich darauf, dass da Walther eine mit „Last Edition 1929-1999“ markierte Version von PP und PPK vorstellte. In gewisser Weise gehört auch Walthers ab 1968 für drei Jahrzehnte in .22 l.r. und 6,35 gebaute „Taschenpistole mit Hahn“

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