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Intraossäre Radioopazitäten im Röntgenbild – wie interpretieren?

Dr. med. dent. Martina Schriber, Bern Dr. med. dent. Valérie G. A. Suter, Bern

* Es sind immer beide Geschlechter gemeint

Abbildung 1a: Einzelzahnfilm; idiopathische

Osteosklerose im Bereich der Wurzeln der Zähne 46 und 47.

Abbildung 1b: Halbseiten-PSA/OPG rechts; vollständige Darstellung der idiopathischen Osteosklerose im Bereich der Wurzeln der Zähne 46 und 47 sowie in Relation zum

Canalis mandibulae rechts.

Intraossäre radioopake Strukturen als Zufallsbefund Röntgenbilder werden im Praxisalltag tagtäglich gemacht. Nicht selten ist auf einem Röntgenbild eine radioopake Knochenzone in Nachbarschaft zu Zähnen feststellbar. Radioopake Strukturen im Kiefer werden oft als Zufallsbefund auf dem Röntgenbild entdeckt. Viele dieser intraossären radioopaken Areale sind klar abgrenzbare und lokalisierte Erscheinungen. Die Form variiert von rund-oval bis irregulär oder elliptisch. Rein radioopake Strukturen sind von gemischt radioluzent-radioopaken Erscheinungen zu unterscheiden. Häufig hat die Patientin* keinerlei Beschwerden.

1a

Für die Behandlerin stellen sich in dieser Situation folgende Fragen: Was ist die Ursache dieser radioopaken Strukturen? Ist eine weitere Bildgebung nötig? Soll eine Knochenbiopsie entnommen werden? Muss eine Therapie eingeleitet werden? Ein Wissen über das klinische und radiologische Erscheinungsbild solcher radioopaker Strukturen sowie deren pathogenetischen Prozesse erleichtert der Behandlerin die Diagnose- und Therapiefindung und erlaubt die Formulierung von Differentialdiagnosen.

Idiopathische Osteosklerose Die idiopathische Osteosklerose (IO) gehört zu den häufigsten radioopaken Erscheinungen im Kieferbereich, welche nicht durch eine lokale oder systemische Entzündung entstanden ist. Typischerweise sind diese radioopaken Läsionen asymptomatisch und Zähne in der Nähe einer IO haben eine vitale Pulpa. Häufig werden diese Radioopazitäten bei jungen Patientinnen bei erstmaligen Röntgenbildern (z.B. nach einem Trauma) oder in Panoramaschichtaufnahmen /Orthopantomogrammen (PSA/OPG) (z.B. im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlung) entdeckt. Die Entstehung der IO ist unbekannt. Als Ursache werden im Knochen verbliebene Wurzelreste sowie sklerosierte Milchzahnwurzeln diskutiert. Weiterhin werden übermässige okklusale Belastungen und Zahnverschiebungen im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlung ursächlich vermutet. Die Prävalenz von IO wird zwischen 2.3 bis 9.7 % angegeben. IO werden häufiger bei Asiatinnen und Afrikanerinnen als bei Kaukasierinnen gefunden. Etwa 5% der zwischen 12- und 20-Jährigen haben mindestens eine osteosklerotische Veränderung. Zum Teil wird in Studien von einer Prädominanz des weiblichen Geschlechtes berichtet.

Merkmale der IO im Röntgenbild

Radiologisch können sich diese üblicherweise solitär vorkommenden IO als radioopake, rundliche aber auch irreguläre Strukturen mit einem Durchmesser von wenigen bis 20 Millimetern präsentieren (Abbildungen 1a und 1b). Die Begrenzung kann scharf oder unscharf und die Innenstruktur unterschiedlich opak sein. Viele IO kommunizieren mit der Lamina dura der Alveolen oder der Kortikalis der Mandibula, was bukkal oder lingual im 2D-Röntgenbild nicht erkennbar ist. Die typischen Lokalisationen sind schematisch in den Abbildungen 2a bis 2d dargestellt.

Therapie

Bezüglich Veränderung oder Vergrösserung dieser IO gibt es in Langzeitstudien Hinweise, dass diese in Grösse und Form stabil bleiben und keine Therapie benötigen. Bei eindeutiger Präsentation ist keine Biopsie notwendig. Bei unklaren Befunden kann eine erweiterte Röntgendiagnostik mit der digitalen Volumentomographie indiziert sein. Eine radiologische Verlaufskontrolle der IO wird empfohlen. Nach Erstdiagnose erfolgt eine Nachkontrolle mit 2D-Bildgebung zunächst nach drei bis sechs Monaten. Dabei soll eine mögliche Vergrösserung und Veränderung ausgeschlossen und damit die Diagnose bestätigt werden können. Danach werden jährliche Nachkontrollen mit Röntgenbild empfohlen. IO können in manchen Fällen wieder verschwinden (Remission).

Reaktive Osteosklerose Die reaktive Osteosklerose (RO) ist ebenfalls eine recht häufige intraossäre, radioopake Läsion, welche aufgrund von Entzündungen oder Infektionen auftritt und typischerweise am Apex bei einem wurzelkanalgefüllten Zahn vorkommt. Diese RO manifestiert sich als Folge einer Pulpanekrose bei einem wurzelkanalgefüllten Zahn. In den meisten Fällen hat die Patientin keine Beschwerden. Manchmal ist eine Druckdolenz oder eine Perkussionsdolenz bei den entsprechenden Zähnen feststellbar. Die Prävalenz der RO wird mit 3 bis 6% angegeben. Männer sind häufiger als Frauen betroffen (3:2).

Merkmale der RO im Röntgenbild

Radiologisch findet sich bei der RO eine uniforme, radioopake Struktur nahe beim Zahnapex. Häufig ist der Parodontalspalt mit Verlust der Lamina dura verbreitert oder es ist eine apikale Osteolyse vorhanden (Abbildung 3). Dies ist

Abbildungen 2a bis 2d: Schematische Darstellung der möglichen Lokalisationen der idiopathischen Osteosklerose: periradikulär (2a), interradikulär (2b), apikal (2c), apikal und interradikulär (2d). (Zeichnungen: Ressort Multimedia zmk Bern)

2a

2b

2c

Abbildung 3: Einzelzahnfilm; reaktive Osteosklerose im Bereich der Wurzeln des wurzelkanalgefüllten Zahnes 47.

Abbildung 4a:

Klinische Präsentation einer bilateralen Exostose im lingualen

Bereich der Mandibula (Torus mandibularis).

Abbildungen 4b und 4c:

Einzelzahnfilme Unterkiefer beidseits; Exostosen projizieren sich im 2D-Röntgenbild als radioopake Strukturen über die Zahnwurzeln.

4a

4b

4c

ein Differenzierungsmerkmal gegenüber der IO. Resorptionen am Apex sind möglich. Die meisten RO sind im Unterkiefer im Bereich der Molaren und Prämolaren vorzufinden.

Therapie

Die Ursache der RO sollte identifiziert werden. Bei devitalen Zähnen mit Parodontitis apicalis und RO ist eine Wurzelkanalbehandlung bzw. Revision oder die Extraktion des Zahnes indiziert, um den chronisch-entzündlichen, progressiven Prozess zu stoppen. Nach erfolgter Therapie wird eine Nachkontrolle mit 2D-Bildgebung zunächst nach sechs und zwölf Monaten und danach jährlich empfohlen. Bei 85% der Fälle tritt eine Remission der radioopaken Strukturen ein, wobei hingegen bei 15% der Patientinnen diese bestehen bleiben, was aber keiner weiteren Behandlung bedarf. Auch ursprünglich apikale Aufhellungen können nach der Therapie mittels Wurzelkanalbehandlung eine Sklerose entwickeln, die durch eine erhöhte Osteoblastenaktivität mit Knochenremodelling erklärt wird. Eine Progression der radioopaken Strukturen ist nicht zu erwarten. Um den Verlauf solcher persistierenden radioopaken Veränderungen zu beurteilen, wird der aktuelle Befund mit älteren Röntgenbildern verglichen.

Exostosen und Osteom Exostosen präsentieren sich klinisch als unioder bilateral auftretende harte, kugelige Auftreibungen typischerweise median am harten Gaumen (Torus palatinus) und im lingualen Bereich der Mandibula (Torus mandibularis) (Abbildung 4a). Sie sind gutartig und haben ein langsames Wachstum. Die Häufigkeit wird zwischen 9 bis 66% angegeben, wobei Frauen häufiger als Männer betroffen sind. Sie treten familiär gehäuft auf. Das selten vorkommende Osteom gehört zur Gruppe der gutartigen Knochentumore, welche im Kiefer-Gesichtsbereich hauptsächlich in den Nasennebenhöhlen und am Unterrand des posterioren Unterkiefers oder dem Kieferwinkel vorkommt. Osteome können im Rahmen des Gardner-Syndroms zusammen mit Colon- und Rektumpolypen sowie Weichteiltumoren auftreten, weshalb bei Patientinnen mit Osteomen die Anamnese wichtig ist.

Merkmale im Röntgenbild

Radiologisch werden Exostosen im 2D-Röntgenbild als radioopake Strukturen im Bereich der Zahnwurzeln projiziert (Abbildungen 4b und 4c). Exostosen wie auch Osteome zeigen sich im 3DRöntgenbild als gleichmässig opake, scharf begrenzte, breitbasig oder gestielt der Kompakta aufliegende Strukturen. Grösser volumige Exostosen haben z.T. eine spongiosaähnliche Innenstruktur.

Therapie

Eine Entfernung der Exostosen ist nicht nötig, solange diese Veränderungen in ihrer Gestalt unverändert bleiben und für die Patientin keine funktionellen und/oder prothetischen Probleme verursachen. Klinische Verlaufskontrollen sind wichtig. Die mukosa-perforierenden oder funktionell störenden Exostosen können chirurgisch entfernt werden. Ein echtes Osteom sollte bei einer Spezialistin weiter abgeklärt werden.

Radioopake Fremdkörper Radioopake Fremdkörper sind ein recht häufiger Zufallsbefund auf dem Röntgenbild. Meist handelt es sich dabei um zahnärztliches Material, das versehentlich bei einem Eingriff in den Knochen disloziert wurde. Intraossär kommen radioopake Fremdkörper typischerweise als Amalgam- und Metallreste oder als überpresstes Wurzelkanalfüllungsmaterial vor. Bei fehlenden Entzündungszeichen und Symptomen kann der entsprechende Fremdkörper belassen und im Rahmen radiologischer Verlaufskontrollen überwacht werden. Eine jährliche radiologische Nachkontrolle in 2D ist sinnvoll. Eine Radioluzenz um einen Fremdkörper weist auf einen entzündlichen Prozess hin, so dass dessen chirurgische Entfernung angezeigt ist.

Zemento-ossäre Dysplasie Zemento-ossäre Dysplasien (ZOD) (Synonym: ossäre Dysplasie) im Kiefer sind Veränderungen am zahntragenden Alveolarfortsatz unklarer Genese (idiopathisch). Es finden im Knochen Umbauprozesse statt, so dass die normale Knochenstruktur zunächst durch Weichgewebe und später dann wieder durch mineralisiertes Gewebe und Knochen ersetzt wird. Häufig werden ZOD als Zufallsbefund bei einer beschwerdefreien Patientin ohne klinischen Befund im Rahmen einer radiologischen Routineuntersuchung entdeckt. Die Diagnose wird meist klinisch-radiologisch (ohne Biopsie) gestellt. Vorwiegend sind Frauen afrikanischer Herkunft betroffen.

Merkmale im Röntgenbild

Radiologisch sind die ZOD typischerweise als lokal oder an mehreren Orten (multifokal) vorkommende gemischt osteosklerotisch-osteolytische Veränderungen in naher Lagebeziehung zu einer oder mehreren Zahnwurzeln anzutreffen (Abbildung 5). Die involvierten Zähne – meist im Unterkiefer - sind typischerweise vital.

Therapie

Es ist keine aktive Therapie indiziert. Jährliche klinisch-radiologische Verlaufskontrollen sind indiziert. Die ZOD sollte nicht mit einer Parodontitis apicalis verwechselt werden.

Extra- oder intraossär? Wichtig scheint die Unterscheidung zwischen intra- und extraossären Radioopazitäten, weil sich im 2D–Röntgenbild – insbesondere in PSA/ OPG – die extraossären auf die ossären Strukturen projizieren können und so eine intraossäre Lokalisation vortäuschen können. Typischerweise können sich in PSA/OPG Speichelsteine im Wharton-Gang im Bereich der Mandibula als rundliche, radioopake Strukturen abbilden (Abbildung 6). Die Diagnose eines Speichelsteins kann durch die klinische Untersuchung oder bei Bedarf mit einer weiteren 2D- oder 3D-Bildgebung erfolgen. Ebenso zeigen sich in PSA/OPG Tonsillolithen der Gaumentonsillen als kleine, rundliche radioopake Erscheinungen im Bereich des Corpus mandibulae. Aufgrund der Lokalisation und typischen radiologischen Erscheinung sind Tonsillolithen einfach von intraossären Veränderungen zu unterscheiden.

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Abbildung 5: PSA/OPG: Zemento-ossäre Dysplasie in der Mandibula: multifokale osteosklerotischosteolytische Veränderungen im Bereich der Zahnwurzeln.

Abbildung 6: Halbseiten-PSA/OPG links: Speichelstein im Ausführgang der Glandula submandibularis links projiziert sich auf den Unterrand der Mandibula.

Zusammenfassung/Schlussfolgerung Die IO, RO, ZOD, intraossäre Fremdkörper und Exostosen sind in der Regel schmerzlose, primär zufällig festgestellte radiologische Erscheinungen. Durch ihre radiologischen Merkmale sind sie zusammen mit dem klinischen Befund voneinander zu unterscheiden. Extraossäre radioopake Veränderungen wie beispielsweise Speichelsteine oder Tonsillolithen sind als solche zu erkennen. Eine RO, intraossäre Fremdkörper und problematische Exostosen sollten behandelt werden. Ist keine Therapie indiziert, sollten alle diese Veränderungen klinisch-radiologisch in ihrem Verlauf kontrolliert werden.

LITERATUR

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Die Autorinnen

Dr. med. dent. Martina Schriber absolvierte das Zahnmedizinstudium und die Dissertation an der Universität Zürich und das dreijährige Nachdiplomstudium (MAS REST Unibe) an der Klinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kinderzahnmedizin der Universität Bern. Von 2014 bis 2016 durchlief sie die dreijährige Weiterbildung zur Fachzahnärztin für Oralchirurgie an der Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie der Universität Bern. Seit 2017 ist sie an der Klinik als Oberärztin tätig.

Dr. med. dent. Valérie Suter leitet die Station für zahnärztliche Radiologie und Stomatologie an der Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie der Universität Bern. Sie ist Fachzahnärztin für Oralchirurgie und Stomatologie. Sie war bei diversen Publikationen über diagnostische Aspekte in zahnärztlichen Röntgenbildern beteiligt.

Korrespondenzadresse: Dr. med. dent. Valérie Suter Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie, Zahnmedizinische Kliniken der Universität Bern Freiburgstrasse 7, 3010 Bern valerie.suter@zmk.unibe.ch

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