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WISSENSCHAFT
Leben zwischen gesunder (Selbst-)Führung und Burn out-Risiken
In Folge der rasanten Veränderungen im Gesundheitswesen steigen auch die Anforderungen an die Belastbarkeit im berufl ichen Alltag. Wieso können manche Menschen mit belastenden Situationen besser umgehen als andere? Was hilft, Enttäuschungen und Niederlagen auszuhalten und neu aufzustehen? Wie entwickeln wir in schwierigen Lebenssituationen Kraft, die uns weitergehen lässt, anstatt uns zu stressen oder uns in ein Burnout fallen zu lassen?
Marie-Theres Hofmann Ruedi Josuran

Man möge sich den Arbeitsalltag von zahnärztlichen Arbeitnehmenden vorstellen: Mindestens acht Stunden am Tag auf einem extrem kleinen Arbeitsgebiet (Lupenbrille ist schon fast obligatorisch), oft mit krummem Rücken und ständig unter Zeitdruck. Oft mit persönlich belastendenden Problemen und nicht selten Problempatienten, die vorher erst einmal einen Psychiater bräuchten. Das kann extrem frustrieren und die eigene psychische Stabilität ins Wanken bringen. Wer schon einmal seine eigene Batterie leer hatte, der weiss, wie bedrückend diese Situation ist. Dass dadurch Unsicherheit und Angst geschürt werden und dass dies negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat, wurde bereits in mehreren internationalen Studien thematisiert und auch bewiesen. Wenn wir uns dem Thema Burnout und den potenziellen gesundheitlichen Folgen nähern – d. h. evaluieren, was uns krank machen kann –, sollten wir zunächst auf die Beschwerden achten, die alle ziemlich unspezifi sch sind, d. h. durch alle möglichen Einfl üsse ausgelöst werden, aber eben auch Warnsignale sein können, wie eine Ölwarnlampe am Armaturenbrett des Autos. Seelische Widerstandsfähigkeit hängt mit der Fähigkeit zusammen, mentale, emotionale, geistige und soziale Ressourcen anzuzapfen und zu nützen.
Der «5 vor 12-Stress» Gedankliche Frühzeichen von Stressreaktionen sind Gedanken wie: • «es ist alles zu viel» • «es läuft nicht mehr so rund» • Grübeln und Gedankenkreisen, gerade auch abends und nachts • Konzentrationsstörungen
Typische Gefühle in belastenden Situationen sind: • Stimmungsschwankungen bis hin zur Depression • ein zunehmendes Gefühl der Hilf und Ratlosigkeit, Machtlosigkeit • Hoffnungslosigkeit («losigkeit» ist eigentlich ein klassisches Depressionssyndrom) • Traurigkeit und innere Leere (oft mehr im Hintergrund, nicht immer bewusst) • Ärger und Wut • nicht selten auch Schamgefühle
Wenn wir diese Symptome an uns wahrnehmen, ist es sinnvoll darüber nachzudenken, ob unsere Lebenssituation, einschliesslich der Arbeit, belastend wirkt – und ob gegebenenfalls gegengesteuert werden muss. Eine schlafl ose Nacht
macht uns nicht krank, aber mehrere Wochen, in denen wir nachts aufwachen und über Arbeitsprobleme nachdenken, weisen auf ein Ausmass an Stress hin, das uns langfristig krank machen kann.
Besondere Unsicherheit in der Arbeitswelt 4.0 Eine neue Unsicherheit kommt durch den Begriff der Arbeitswelt 4.0 dazu. Wie kann künftig eine Integration von individuellen Lebensphasen und Lebensstilen in Organisationen / Unternehmen stattfi nden? In einer globalisierten Welt, in der Arbeitsplätze wegfallen oder sich verändern? «Arbeitnehmer müssen im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt Flexibilität und Offenheit für Neues zeigen und ausserdem bereit sein, andere Aufgaben zu übernehmen» – solche und ähnliche Aussagen können fast täglich gelesen werden. In einer globalisierten Arbeitswelt würde dies heissen, dass alle berufstätigen Menschen sich ein wenig nachjustieren müssten. Die Arbeitswelt im Gesundheitswesen verändert sich rasant. Fakt ist, dass heute alle berufstätigen Menschen gefährdet sind, egal auf welcher Organisationsstufe. Genau dies löst Angst und Unsicherheit aus und belastet Betroffene wie auch Beteiligte in grossem Masse.
Spieglein, Spieglein an der Wand … Nichts bewahrt uns besser vor Illusionen als der Blick in den Spiegel. Von jeher gilt der Spiegel als Symbol der Wahrheit. Gesunde (Selbst)Führung refl ektiert vielschichtig positive Impulse, welche Mitarbeitenden und Unternehmen in hohem Masse zu Gute kommen. Führungskräfte tragen mit ihrem Führungsstil erheblich dazu bei, ob sich ein Mitarbeiter gestresst fühlt oder nicht. Ein Chef, der regelmässig im gesunden Dialog mit seinen Mitarbeitern steht und konfl iktfähig ist, der «richtig» motiviert und informiert, realisierbare Ziele setzt und viel Rückmeldung gibt, hat gesündere und leistungsfähigere Mitarbeiter. Das BurnoutRisiko sinkt erheblich, wenn Gerechtigkeit und Fairness das Klima in der Firma prägen. Klare Spielregeln und Strukturen wirken ebenso gesundheitsfördernd und leistungssteigernd wie transparente Kriterien für Anerkennung und Beförderung. Insbesondere Wertschätzung ist ein wirksamer Schutz vor Stress. So fördert zeitnahes Lob der Führungskraft Zufriedenheit und das Gefühl von Sinnhaftigkeit bei der Arbeit. Wie gut eine Firma funktioniert und wie wettbewerbsfähig sie ist, hängt in hohem Mass von



der Gesundheit, Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter ab. Auch im Kampf um die rar werdenden hochqualifi zierten Fachkräfte müssen Unternehmen immer mehr Anreize bieten, um in der Menge der globalisierten Mitbewerber herauszustechen und die Mitarbeiter für sich zu gewinnen.
Betriebliches Gesundheitsmanagement Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist ein ausgezeichnetes Instrument, um Mitarbeiter ans Unternehmen zu binden. Vorausgesetzt, die angekündigten Werte und Ideen werden in der Betriebspraxis auch sicht und spürbar umgesetzt. Es ist daher aus Unternehmenssicht ganz wichtig, dass die Mitarbeiter in Krisenzeiten nicht zusätzlich unter Druck gesetzt, sondern unterstützt werden. Dies kann etwa durch Massnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung passieren. Grundlegender theoretischer Bezugspunkt eines so verstandenen BGM ist der salutogenetische Ansatz von Antonovsky (1979), der sich mit jenen Kräften und Ressourcen beschäftigte, die dem Menschen helfen, Gesundheit zu erreichen (lat.: salus = gesund, griech.: genese = Entstehung). Gemäss seinen Arbeiten ist hierfür das «Kohärenzgefühl» zentral, das drei Dimensionen subjektiven Empfi ndens umfasst:


• Verstehbarkeit – Ereignisse und Anforderungen sind vorhersehbar und begreifbar. • Handhabbarkeit – Es sind Ressourcen vorhanden, um die Anforderungen und Belastungen zu meistern. • Sinnhaftigkeit – Anforderungen werden als
Herausforderungen angesehen.
Bei der betrieblichen Gesundheitspolitik wird typischerweise davon ausgegangen, dass Arbeit krank machen kann und dass die Verhütung von physischen Risiken, Erkrankungen und Unfällen ihr Hauptaufgabengebiet darstellt. Das SalutogeneseModell ergänzt die klassische, pathogene Perspektive in der Gesundheitsvorsorge, indem Gesundheit mehrdimensional und nicht nur als Abwesenheit von Krankheiten verstanden wird. Da ferner Wechselwirkungen zwischen Person, Verhalten, Organisation und Umwelt existieren, weist Gesundheit einen dynamischen Prozesscharakter auf und ist Ergebnis der Auseinandersetzung mit Belastungen und Anforderungen. Eine gesunde Arbeit muss – neben gesunden Arbeitsbedingungen und einer sinnstiftenden Aufgabe – dem Mitarbeiter das Gefühl geben, dass der Einsatz seiner Arbeit angemessen belohnt wird.


Gesundheit erkennen und erleben Prof. Dr. MartinNiels Däfl er lehrt im Fachbereich Kommunikation an der FOM Hochschule in Frankfurt am Main. Er bringt es auf den Punkt: «Auch die Arbeitgeber haben ihren Anteil zu leisten – sie müssen eine Umgebung schaffen, in der Mitarbeiter weitestgehend stressfrei arbeiten können. Dies ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern eine Frage guter Führung. Ein ernst gemeintes BGM, das nicht nur eine FeigenblattFunktion hat, ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Doch sind wir ehrlich: Massagen am Arbeitsplatz, Obstkörbe in den Teeküchen und ein jährlicher Gesundheitstag werden das Stressempfi nden nur lindern, aber nicht substanziell verringern.» Es gibt kein Breitbandantibiotikum gegen Stress. Nichtsdestotrotz gilt für die Mehrheit der Betroffenen: Eine wirksame AntiStressTherapie sollte auf mehreren gleichberechtigten Säulen beruhen, und zwar auf den Themenbereichen Gesundheit, Lebensziele / Selbstanalyse, Selbstorganisation, Verhalten / Kommunikation sowie Einstellung / Geisteshaltung. Wie könnte ein Massnahmenkatalog aussehen, um die Dynaxität an der Wurzel zu packen? Dazu braucht es zunächst entschlossene und mutige Führungskräfte, die erkennen: «Wenn wir unseren Mitarbeitern nicht mehr zumuten, als dass sie zu leisten vermögen, dann schaden sie noch lange nicht ihren Unternehmen.» In der Transaktionsanalyse (TA) hat der Amerikaner Taibi Kahler 1975 den Begriff der «Antreiber» eingeführt. Das sind Stimmen, sozusagen «der kleine Mann im Ohr», die sich regelmässig zu Worte melden und Anweisungen geben. Bekannt sind ihrer fünf: «Sei perfekt!», «Streng dich an!», «Beeil dich!», «Sei stark!» und «Mach‘s den anderen recht!» Mitarbeitende und Vorgesetzte, die Mühe haben sich abzugrenzen, perfektionistische Persönlichkeitszüge aufweisen und die eigenen «Antreiber» nicht kennen, sind Burnoutgefährdet.


Prozess über längere Zeit Kaum eine seelische Beeinträchtigung hat in den letzten Jahren so viel Aufmerksamkeit erzeugt wie das BurnoutSyndrom. Eine Krankheit als solche ist Burnout nicht, zu diffus sind die Krankheitsbilder, zu verschieden die Symptome. Burnout wird infl ationär verwendet. Gemäss einer vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) in Auftrag gegebenen Studie fühlen sich rund ein Drittel der Erwerbstätigen in der Schweiz häufi g oder sehr häufi g gestresst. Dies sind 30 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Der BurnoutProzess zeichnet sich meist über längere Zeit ab. Die Betroffenen kommen in eine Spirale. Anfangs zeigt diese Spirale nach oben. Denn bei jedem Versagen des Körpers, bei jedem Leistungseinbruch aufgrund der Erschöpfung
7 x 24 Stunden Hotline für Burnout-Betroffene und -Beteiligte. Sie …
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erhalten eine Plattform für die persönlichen Anliegen / Geschichten. werden ehrlich wahrgenommen. erhalten Klärung und Orientierung. erhalten einen geschützten Raum. erhalten Hilfe zu weiteren Angeboten. erhalten keine Therapie und Diagnosen, sondern umsetzbare Empfehlungen. können Gespräche mit dem Berater wieder aufnehmen. können Angebote von Notruf Burnout annehmen.
gilt für die Betroffenen: «Jetzt erst recht. Trotzdem!» Sie geben noch mehr Gas, knien sich noch mehr in die Arbeit. Dreht die Spirale immer höher, kommt irgendwann der Wendepunkt: Emotionale Erschöpfung, Zynismus und Distanzierung, verringerte Arbeitsleistung – die Spirale dreht nach unten, bis zum totalen Zusammenbruch. Die Mehrzahl der Bücher, die im Buchhandel erworben werden können, konzentriert sich auf die Bewältigung der individuellen Faktoren, die ein Burnout auslösen. Mit Aufspürfragen lassen sich allgemeine und individuelle Umstände und Merkmale zum Thema Burnout ermitteln.
Solche Fragen sind zum Beispiel: 1. Welche Faktoren machen Menschen gesund und leistungsfähig? 2. Welche Faktoren schützen dauerhaft vor
Überlastung? 3. Gibt es Gesetzmässigkeiten und Zusammenhänge, von denen der Einzelne profi tieren kann? 4. Wieso reagieren Menschen so unterschiedlich auf die gleichen Situationen? 5. Wieso wachsen die einen an schwierigen Umständen, während die anderen daran v erzweifeln? 6. Gibt es typische Merkmale, die auf alle Menschen übertragbar sind?
Burnout braucht rasche Klärung Entsprechend dem wachsenden Bedürfnis nach rascher Klärung ist die 7x24 StundenHotline Notruf Burnout als eigenständiger Verein lanciert worden. Ziel ist es, dass BurnoutBetroffene wie auch Beteiligte (Arbeitnehmende, Unternehmen / Organisationen, die Bevölkerung ganz allgemein) von Fachspezialisten rasch und unkompliziert Klärung und Begleitung erhalten. Immer mehr Unternehmen nehmen die Dienstleistung des Notruf Burnout in Anspruch.
Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an: 0900 000 118 www.notrufburnout.ch
Die Autoren Marie-Theres Hofmann Geschäftsleitung BGM Forum Schweiz, Vorsitzende und Mitinitiantin des Vereins Notruf Burnout, Dipl. Kauffrau (HF), Executive Master of Human Resources Management (FH), Dipl. systemischer Coach (Master of Coach ECA/MAS), dipl. Gesundheitscoach, zertifi zierter Leadership–Coach und ProPosition©–Coach. Coachingbeauftragte im Studienlehrgang «WBB – woman back to business» an der Uni St. Gallen sowie an der FHNW der MasterClass für GesundheitsCoaching
Ruedi Josuran Tätigkeit im BGM Forum Schweiz, Mitgründer des Vereins Notruf Burnout und Moderator bei SRF 1 und SRF 2 (Talk Fenster zum Sonntag auf SRF 2). Autor und Radiomoderator u. a. bei Radio 24 und Radio Zürisee bis hin zum Redaktor bei DRS 1. Studium in Theologie, Weiterbildung zum PersonalCoach – Prävention Burnout
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