Kurzvorschau – Das isch doch e Schwalbe!

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Mick Gurtner

Hanspeter Latour

Beat Straubhaar

Hanspeter Latour

Das isch doch e Schwalbe!

47 Geschichten mit und ohne Ball

IMPRESSUM

Alle Angaben in diesem Buch wurden von den Autoren nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und von ihnen und dem Verlag mit Sorgfalt geprüft. Inhaltliche Fehler sind dennoch nicht auszuschliessen. Daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autoren noch Verlag übernehmen Verantwortung für etwaige Unstimmigkeiten.

Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich diejenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

© 2016 Werd & Weber Verlag AG, CH-3645 Thun/Gwatt 3. Auflage 2024

AUTOREN

Mick Gurtner, CH-3604 Thun

Hanspeter Latour, CH-3661 Uetendorf

CO-AUTOR

Beat Straubhaar, CH-3627 Heimberg

WEBER VERLAG AG

Gestaltung und Satz: Nina Ruosch, Aline Veugel

Bildbearbeitung: Adrian Aellig

Korrektorat: Alain Diezig, Weber Verlag AG

BILDNACHWEIS

Inhalt : Hanspeter Latour, CH-3661 Uetendorf Umschlag, Seite 8, Seiten 200 – 216 : Beat Straubhaar, CH-3627 Heimberg

ISBN 978-3-03818-550-5

www.weberverlag.ch

Der Weber Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2025 unterstützt.

Mick Gurtner

Hanspeter Latour

Beat Straubhaar

Hanspeter Latour

Das isch doch e Schwalbe!

INHALT

30. Nicht jeder Läufer ist ein Sportler 129

31. Thilde in der Falle 133

32. Wie ein Turmfalke zum Mitbewohner wurde 137

33. Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen 141

34. Ein faszinierendes Rahmenprogramm 145

35. Der Apfelschuss 149

36. Nutzlos ? Eine Frage der Betrachtungsweise 157

37. Ein Zufallstreffer 159

38. Die geschäftige Wasserspitzmaus 163

39. Eine Enttäuschung und eine Überraschung 167

40. Der Bart des Jahres 171

41. Der Eisvogel 173

42. Nicht aufgeben lohnt sich 177

43. Der etwas andere Immobilienmarkt 181

44. Champagner von der Vogelwarte Sempach ? 185

45. Schwan – « so wyss wi Schnee » 189

46. Ronaldo und die Gammaeule 193

47. Flügelfell 197

Beat Straubhaar:

Vom Kunstrasen der Fussballstadien ins Riedgras der Geissegg 203

Bildseiten über die Artenvielfalt der Tierwelt auf der Geissegg 221

und Wiesentiere

und Wassertiere

Insekten und Spinnen

Schlusswort von Pepe Lienhard

Prof. Dr. med. vet. Bernd Schildger, der Berner Tierpark- und Bärenparkdirektor, machte eine Ausbildung als Elektromechaniker, studierte dann aber in Giessen Tiermedizin und praktizierte schliesslich in Frankfurt als Zootierarzt. Seit 1997 leitet er den legendären Tierpark Bern mit Dählhölzli und BärenPark. Wenn er nicht zwischen den Studierenden in der Universitätsstadt Giessen und seinen Bären in der Bundeshauptstadt hin und her pendelt, verfasst er pfiffige Kolumnen, hält packende und äusserst humorvolle Vorträge zu Themen wie «Haben Tiere Humor?», begleitet Abenteuerreisen oder kurvt auf seinem stollenbereiften Boxer über die Ligurische Grenzkammstrasse. Bernd Schildger lebt mit seiner Frau und den vier Kindern in Bern. Sein Motto: «Mehr Platz für weniger Tiere» – zum Wohle der Tiere und zur Freude der Menschen!

VORWORT

Jetzt schreibt er auch noch ein Buch über die Natur, der Fussballtrainer, Berater und Medienprofi? Was soll das denn? Sollten nicht Fachleute mit naturwissenschaftlicher Ausbildung Naturbücher verfassen? Die kennen die lateinischen Namen, genetisch fixierten Verhaltensschemata, die Federzeichnungen bei den Vögeln und können sicher einkeimblättrige von zweikeimblättrigen Pflanzen und bei beiden die invasiven, fremden Arten bestimmen.

Vielleicht haben Sie sich ja ähnliche Gedanken gemacht. Die liegen ja auch nahe. Oder? Nun, bei der Lektüre des vorliegenden Werkes wird Ihnen sicher auffallen, dass hier jemand verständlich schreibt. Auch ist leicht erlebbar, dass der Autor aus dem Herzen des Beobachters spricht. Die kindliche Begeisterung reisst einen je länger, je mehr mit und auf einmal erscheinen die eingangs erwähnten Gedanken anmassend und fremd.

Im Grunde genommen schreibt hier jemand so, dass wir alle ein wenig miterleben können, wie faszinierend Natur im Kleinen sein kann. Es muss nicht immer das grosse Erlebnis im fernen Afrika und Asien sein. Wie so oft liegt das Gute ganz in der Nähe. Und Hanspeter Latour gelingt es eindrücklich, uns mit seiner mitreissenden Sprache zu entführen. Er entführt uns in die Erlebniswelt vor unserer Haustür – direkt vor unserer Nase, vor unseren Augen und vor unseren Ohren.

Das menschliche Bewusstsein nährt sich nicht nur von der Ratio. Es lebt nicht nur von Logik, Abstraktionsvermögen, Analyse und Gedächtnis. Unser menschliches Bewusstsein lebt eben auch von Emotionen – Gefühlen, Eindrücken, Erlebnissen. Und meist bleiben uns diese Teile des emotionalen Bewusstseins stets und viel besser präsent als die vielen rationalen Faktensammelsurien und Doku-Konserven.

Und genau hier finden Sie nun einen guten Grund, eben dieses Buch von diesem Autor zu lesen. Nehmen Sie zum Beispiel das Kapitel über den Distelfink. Eigentlich handelt es von seinem Vater, dessen Kanarienzucht und dem Verlust von nahestehenden Menschen. Und plötzlich wird uns klar, was der Philosoph Ludwig Klages mit der Untrennbarkeit von Geist und Seele und der Untrennbarkeit von Natur und Seele des Menschen gemeint hat. Ohne schwer verständliches Fachchinesisch lässt uns der Autor an seinen persönlichsten Erlebnissen mit der Natur teilhaben. Und seine Erlebnisse werden dadurch auch irgendwie unsere.

Wir haben mittlerweile keine Ahnung mehr, wie es ist, ein Tier töten zu müssen. Wir haben vergessen, dass der Tod zum Leben gehört. Stattdessen kleiden wir Katzen zu unserem Vergnügen in Ganzkörperanzüge und glauben, die Katzen haben Freude daran. Wir leben in einer Zeit der zunehmenden Naturentfremdung. Und genau in diesen Zeiten gelingt es Hanspeter Latour, uns die Natur nahe zu bringen.

Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage ist deshalb meiner Meinung nach einfach: Nicht nur Fachleute sollten schreiben, sondern vielleicht besser die Menschen, die anderen Menschen Erlebnisse ermöglichen. Und genau dies macht das vorliegende Werk.

Herzlichst, Bernd Schildger

MEINE GEDANKEN ZUM BUCH

Junior beim FC Thun, Laborantenlehre bei den Schweizerischen Metallwerken Selve, Goalie bei Thun und den Berner Young Boys, Korporal in der Schweizer Armee, technischer Mitarbeiter und Laborleiter bei der Gruppe für Rüstungsdienste, Familienvater und Eigenheimbesitzer, Fussballtrainer vom Amateurclub in der Schweiz bis in die Deutsche Bundesliga, Engagements bei Radio und Fernsehen, Referent über Führung und Motivation. Und schliesslich als Tüpfelchen auf dem i noch Grossvater.

Ein reiches Leben – und für mich mit 68 Jahren Zeit, zusammen mit meiner Frau Thilde in Pension zu gehen. Thilde stand mir ein halbes Jahrhundert lang zur Seite, 44 Jahre davon sind wir verheiratet. Sie hat mir auf allen Stationen und in allen Lebenslagen den Rücken freigehalten, hat mich und die Kinder nach bestem Wissen und Gewissen unterstützt.

Ich empfinde es als grosses Glück, diesen neuen Lebensabschnitt selbstbestimmend und Gottseidank bei guter Gesundheit erleben und gestalten zu dürfen. Ich habe mich in den letzten Jahren auch auf diese Zeit vorbereitet, sodass ich mir nach Möglichkeit noch kleine, aufge-

« Ich

empfinde es als grosses Glück, diesen neuen Lebensabschnitt erleben und gestalten zu dürfen. »

sparte Träume erfüllen oder zumindest daran arbeiten kann. Dabei habe ich mich an meine Jugendzeit erinnert. Da war ich oft mit meinem Vater in der Natur unterwegs. Er war ein grosser Tier- und Pflanzenliebhaber und -kenner. Besonders angetan hatten es ihm die Vögel. Meine beruflichen und sportlichen Ambitionen liessen mir allerdings wenig Zeit, meine eigenen Naturinteressen zu pflegen und zu erweitern. Der Buntspecht kommt eben – wie alle freilebenden Tiere – nicht auf Abruf zum Vorschein.

Jetzt nehme ich mir aber die nötige Zeit – Zeit, um zu beobachten und zu erleben, was in unserem extra für diesen Zweck angelegten naturnahen Garten und in der direkten Umgebung an Tieren und Pflan-

zen vorkommt. Man könnte dieses Projekt, das von keiner Amtsstelle oder Organisation subventioniert wird, als « Biodiversitätsbestimmung auf einem flächenmässig begrenzten Raum – der Geissegg im Innereriz » bezeichnen. Das klingt mir aber zu professionell und würde meine Kenntnis in diesem Bereich bei weitem übersteigen. Die Interpretation des Erlebten und Beobachteten entspricht einzig meinen eigenen Vorstellungen und meinem Wissensstand und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

« Es sind diese Bilder, Anekdoten und Geschichten, die ich mit Ihnen teilen möchte. »

Es ist aber so, dass ich beim Beobachten und Fotografieren in dieser Umgebung viel Spannendes, Schönes, Überraschendes und Erstaunliches erlebt habe. Es sind diese Bilder, Anekdoten und Geschichten, die ich mit Ihnen teilen möchte. Natürlich spielten dabei auch immer mal wieder Erfahrungen, Personen, Überlegungen und Erinnerungen aus meiner Fussballzeit eine Rolle. Ich hoffe, Sie als Leser und Betrachter zu unterhalten, zu amüsieren, aber auch zum Nachdenken anzuregen und ein bisschen für die Natur in Ihrer eigenen Umgebung sensibilisieren zu können – schliesslich kann jede und jeder die Erhaltung der lokalen Artenvielfalt im Rahmen ihrer und seiner Möglichkeiten unterstützen. Wem das gelingt, der erhält viel mehr zurück, als er investiert, und der wird sich täglich an kleinen Beobachtungen freuen können. Gelegentlich wird er aber auch den Kopf schütteln, wie acht- und respektlos oftmals mit der Natur umgegangen wird.

Mir ist klar : Nur weil ich einen kleinen Apothekerschrank im Haus habe, muss ich nicht meinen, es brauche keine Spitäler mehr. Oder anders ausgedrückt : Die Erhaltung einer möglichst intakten Natur erfordert Organisationen, die sich speziell dafür einsetzen. Genau gleich, wie es etwa in der Wirtschaft spezielle Gruppierungen braucht, damit wir wettbewerbsfähig bleiben. Beides ist für unsere Lebensqualität wichtig. Gesellschaft, Wirtschaft und Natur können sich im positiven Sinn ergänzen. Dabei ist alles eine Sache des gegenseitigen Respekts und der Verhältnismässigkeit.

Das alles ist mir ein echtes Anliegen. In allererster Linie hoffe ich aber, dass Sie einfach Freude an diesen Geschichten und Bildern haben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spass beim Lesen und Betrachten.

Herzlich, Ihr

Hanspeter « Pudi » Latour

1. DAS ISCH DOCH

E SCHWALBE !

Eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. Aber sie erzeugt Emotionen. Frust im Fussballstadion und Lust in der Natur !

Während der Arbeit an diesem Buch sorgte eine Schwalbe im Match zwischen YB und Sion für einen riesigen Wirbel in den Schweizer Medien. Nicht zum ersten und leider bestimmt auch nicht zum letzten Mal rückte eine solche Strafraumaktion in den Fokus der hiesigen Fussballwelt. Nun, im vorliegenden Buch und in meinem neuen Lebensabschnitt stellt sich für mich als ehemaliger Spieler, Trainer und Fussballexperte nicht mehr die Frage ob Foul oder Schwalbe, sondern ob Mehl- oder Rauchschwalbe. Stellen sie sich einmal vor, die Schiedsrichter müssten das auch noch unterscheiden – nicht nur ob Schwalbe oder nicht, sondern auch noch welche Art der Schwalbe. Und wie verdutzt die Spieler und Ligaverantwortlichen schauen würden, wenn es im Schiedsrichterrapport heissen würde : « Gelbe Karte wegen Mehlschwalbe » oder « Gelb-Rot und somit Ausschluss wegen wiederholter Rauchschwalbe im gegnerischen Strafraum » !

« Gelbe Karte wegen Mehlschwalbe »

Absurd ? Klar. Aber es schadet auch nicht, wenn man sich leidenschaftlich am Sport erfreut – und dabei die Natur nicht ganz vergisst …

Klare Ansage dieser Rauchschwalbe : « Rauch und Schwalben gehören nicht in die Fussballstadien ! »

2. LIPPEN SCHWEIGEN

Als das Buch « Hanspeter Latour – Das isch doch e Gränni ! » veröffentlicht wurde, organisierte der Verlag in der voll besetzten Buchhandlung Krebser in Thun eine Vernissage, die ich in bester Erinnerung habe. Eingeladen wurden verschiedene Persönlichkeiten, die etwas beitragen konnten, damit der Anlass eine gelungene Sache wird. Unter anderem war auch der Schriftsteller Peter Bichsel dabei. Er ist ein Fan des FC Solothurn, bei dem ich einst Trainer war. Ins Stadion kam Peter Bichsel nicht in erster Linie wegen dem Fussball, sondern wegen den Leuten. Er blieb in der Stadionbeiz sitzen, bestellte seinen Roten und diskutierte mit den anderen über Gott und die Welt. Manchmal besuchte er auch ein Training, dann sass ich ab und zu am Abend noch mit ihm zusammen. Wir konnten es gut miteinander. Und so schrieb er schliesslich im « Gränni »-Buch das Vorwort. Das hatten ja viele Leute gar nicht glauben wollen – aber er sagte nur : « Klar mach ich das. Aber ihr müsst mich dann sicher noch ein paar Mal daran erinnern. Und wenn ich es schreibe, dann werde ich sicher tüchtig fluchen – du glaubst gar nicht, wie schwer mir das fällt ! » Ich habe Peter mal nach den Komma-Regeln gefragt, weil ich dachte, die kennt bestimmt niemand besser als er. Doch er antwortete : « Dieser Seich ! Die blöden Kommas machen jeden Satz kaputt – mich musst du nicht fragen ! » Mein Zahnarzt erkärte mir später, er habe in der Buchhandlung nach meinem Buch gefragt und habe das Vorwort von Peter Bichsel erwähnt. Er sei ein grosser Fan des Schriftstellers, deshalb habe er im Laden wissen wollen, ob das wirklich dieser Peter Bichsel sei, der das Vorwort verfasst habe. Die Frau im Laden habe geantwortet : « Ich weiss es auch nicht – aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Bichsel so etwas machen würde ! »

« Dieser Seich ! Die blöden Kommas machen jeden Satz kaputt –mich musst du nicht fragen ! »

Wie auch immer. An der Vernissage war auch der bekannte Sportreporter und beliebte « Schnurri der Nation », Beni Thurnheer, mit dabei. Wir sind befreundet, seit ich mit ihm beim Fernsehen Fussballspiele kommentiert habe. Ich erzählte an diesem Abend den Gästen und dem Publikum von meinem naturnahen Garten mit all den verschiedenen Vogelarten, und dass dies künftig mein Lebensmittelpunkt sein werde.

Anlässlich der Vernissage «Das isch doch e Gränni!»: Peter Bichsel (oben) und Beni Thurnheer.

Da sagte Beni Thurnheer : « Ich habe jetzt genug gehört von diesem schönen Garten – ich möchte ihn lieber mal mit eigenen Augen sehen ! » Ich antwortete, er sei eingeladen und könne selbstverständlich gerne an einem schönen Wochenende vorbeischauen. Die Leute hörten gespannt zu, und einen Augenblick lang war es ruhig im Raum. Bis Peter Bichsel plötzlich in die Stille hinein sagte, er fände das überhaupt keine gute Idee : « Der Thurnheer und der Latour zusammen im gleichen Garten – da sieht man danach dann aber lange Zeit keinen Vogel mehr ! » Natürlich ging im Saal ein grosses Gelächter los, die Leute johlten regelrecht, und ich muss schon sagen : Peter Bichsel hat es einmal mehr verstanden, die Sache mit ganz wenigen Worten auf den Punkt zu bringen.

« Und was schliesslich daraus geworden ist – das halten Sie jetzt hier in Ihren Händen ! »

Auch sonst, wenn ich hin und wieder über meine Pläne nach der Pensionierung sprach und erzählte, dass ich nun im Alter noch schweigen lerne, meinten einige : « Jä, da wirsch nid ufenes höchs Niveau cho ! » Aber ich wusste genau : Bei meinem Projekt ist das stille Beobachten ein ganz entscheidender Teil.

Beni Thurnheer kam später tatsächlich auf der Geissegg vorbei. Und nach seinem Besuch gab es Momente, in denen ich gewisse Vogelarten weniger häufig zu sehen bekam – zum Beispiel ein GimpelPärchen, das ich zuvor oft hatte beobachten können. Dass das aber mit den Plaudereien von Beni und mir zu tun hatte, wage ich zu bezweifeln. Vermutlich waren eher die Katzen aus der Nachbarschaft schuld, die schlicht und einfach häufiger im Garten vorbeischauten...

Nun, irgendwann wurde es Winter. Thilde und ich haben es zur Tradition gemacht, dass wir jeweils das Neujahrskonzert in Thun besuchen. So fuhren wir auch in diesem Jahr zum Kultur- und Kongresszentrum KKThun. Im Programm stand, dass aus Franz Lehàrs Operette « Die lustige Witwe » das Stück « Lippen schweigen » gespielt werde. Da habe ich sofort gedacht : « Das ist kein Zufall ! » Nein, es sollte mich noch einmal ganz deutlich darauf aufmerksam machen, dass im kommenden Jahr für mich eben genau dies gelten werde : Lippen schweigen.

Und was schliesslich daraus geworden ist – das halten Sie jetzt hier in Ihren Händen !

Gimpelpaar ( auch Dompfaff genannt )

3. DER DISTELFINK

UND WARUM ER FÜR MICH MEHR

ALS EINFACH NUR EIN VOGEL IST

Meinem Vater bedeutete die Natur enorm viel. Und zwar, das muss ich betonen, die einheimische Natur. Vielleicht wird Sie das erstaunen, wenn man bedenkt, was für Tiere wir hatten : Nebst einem Hund, einer Katze und Zierfischen ganz viele Vögel – vor allem Kanarienvögel züchtete mein Vater. Aber für ihn waren die halt auch einheimisch. Mein Vater war kaum je im Ausland, das Höchste war vielleicht mal ein Abstecher mit einem Verein in den süddeutschen Raum. Und seine Kanarienvögel haben wie er die Kanaren nie gesehen, die sind hier in der Schweiz aufgewachsen. So galten sie für ihn eben als einheimisch. Genau wie die japanischen Zierfische : Das waren für ihn nicht Exoten, schliesslich waren sie hier zur Welt gekommen. So war mein Vater. Er hat mir auch bei den Menschen nie gesagt : « Das ist ein Ausländer. » Sondern, das sei ein Freund, ein Bekannter, ein Arbeitskollege, ein Vereinskamerad. Das Wort « Ausländer » gab es bei ihm gar nicht. Er wusste natürlich, dass auch die Latours einst von Frankreich her gekommen waren und hier eingebürgert wurden. Da ist es nicht erstaunlich, dass ein japanischer Zierfisch, den er selber gezüchtet hatte, halt einfach ein Secondo war.

Wenn Sie hören, dass die Latours einen Hund, eine Katze, Vögel und Fische hatten, denken Sie vielleicht, wir hätten in einem grossen Haus mit Garten gewohnt – anders wäre das ja gar nicht möglich. Aber so war es nicht. Wir lebten in einer Mietwohnung, meine Eltern hatten weder ein Auto noch ein eigenes Haus. Wenn wir zusammen draussen in der Natur waren, sagte mein Vater immer : « Schau dir die Vögel an, die Pflanzen, die hier wachsen – das alles gehört allen. Es ist schön, dass es so ist, und wir sollten zur Natur Sorge tragen. »

« Schau dir die Vögel an, die Pflanzen, die hier wachsen –das alles gehört allen »

Ich selber wollte nie Haustiere. Man ist immer ein wenig eingeschränkt – Sie können sich ja vorstellen, wie oft meine Eltern in den Ferien waren ; wer hätte auch zu all diesen Vögeln schauen sollen... Ich mag die Tiere vor allem in der freien Natur. Vater sagte ja, sie gehören allen – und in diesem Sinne fehlt mir bezüglich Tierwelt eigentlich gar nichts.

Das bernische Jagdinspektorat erteilte meinem Vater einst die Bewilligung, ein Distelfinkpärchen für die Zucht zu halten. Der Distelfink ist ein wunderbarer Vogel, vom Gefieder, der Farbe her. Und er war der Lieblingsvogel meines Vaters. Er kreuzte die Distelfinken mit Kanarienvögeln, was Distelbaster und bronzefarbene Kanaren ergab, mit denen der Vater an Vogelausstellungen teilnahm. Das war immer ein grosses Ereignis – zweimal wurde er sogar Schweizermeister und gewann eine Goldmedaille. Es bedeutete ihm unglaublich viel. Mich interessierte das alles zwar auch, aber dann übernahm bei mir der Fussball die Hauptrolle. Damals war es erst mit zwölf Jahren möglich, in den Fussballclub einzutreten. Als es soweit war, lag für mich nebst der Schule und dem Fussball nicht mehr viel drin. Die ganze Vogelgeschichte habe ich nur deshalb miterlebt, weil vieles davon in der Wohnung der Eltern stattfand. Auch später liess mein berufliches Engagement nicht viele Hobbys zu, und bald gründeten Thilde und ich selber eine Familie. Aber mein Vater freute sich immer, wenn ich zwischendurch mal eine Vogelausstellung besuchte. Und dann änderte sich eines Tages alles. Plötzlich wurde der Vater schwer krank, musste ins Spital. Und die Mutter war allein mit über hundert Kanarienvögeln, für die ihr Gatte extra ein grosses Zimmer in der Wohnung eingerichtet hatte. Was tun ? Die Mutter hatte sich eigentlich nicht gross um die Vögel gekümmert, sie liess den Vater einfach machen. Nicht, dass sie etwas gegen die Tiere gehabt hätte – schliesslich war ihr schon sehr früh bewusst gewesen, dass sich im Eheleben der beiden einiges um die Vögel drehen würde : Kurz nach der Hochzeit schenkte ihr der Vater eine herzförmige Porzellandose, auf der ein prächtiger Distelfink auf einem Rosenzweig abgebildet war. Die Dose hatte auf ihrem Nachttisch einen Ehrenplatz. Doch nun war meine Mutter allein zuhause – und ich versprach ihr : « Ich unterstütze dich so gut ich kann. » Ich hatte damals einen Vollzeitjob und trainierte im Nebenamt Fussballmannschaften, aber ich wohnte in Thun nicht weit von den Eltern entfernt.

Bald stellte sich aber heraus, dass es dem Vater sehr schlecht ging, und dass er nie wieder nach Hause würde zurückkehren können. Ich besuchte ihn so oft wie möglich, und über Mittag ging ich seine Vögel füttern und die Käfige putzen. Meine Mutter und ich wussten beide : Ein Dauerzustand konnte das nicht sein. Aber der Vater hing dermassen an diesen Vögeln, dass für uns klar war, dass wir sie behalten wollten, solange er ansprechbar war. So konnten wir ihm von den Tieren erzählen, und wir dachten uns : Das gibt ihm sicher Kraft – und insgeheim denkt er vielleicht, er könne irgendwann doch noch zu den Vögeln zurückkehren.

So ging das einen Monat lang. Der Vater war mittlerweile nicht mehr ansprechbar, die Mutter eigentlich schon lange am Ende ihrer Kräfte, und auch ich kam an den Anschlag und musste mir eingestehen : Wir mussten eine Lösung finden. Als klar geworden war, dass der Vater das Spital nicht mehr würde verlassen können, hatte ich bereits mit den Verantwortlichen des lokalen Sing- und Ziervogelvereins Kontakt aufgenommen. Sie versprachen mir, zu schauen, wo welche Vögel untergebracht werden könnten. Und jetzt war der Moment gekommen. Ich rief die zuständige Person an und erklärte : « Ich wäre froh, wenn Sie am Abend die Vögel holen könnten. »

Vor dem Mittag ging ich zum Vater ins Spital, danach fütterte ich ein letztes Mal die Vögel. Da sah ich, dass eines der Tiere kränkelte. Der Kanarienvogel war aufgeplustert, sah aus wie eine kleine Kugel, den Kopf hatte er eingezogen. Er sass am Boden des Käfigs im Sand. Ich wusste : Das sind alles Zeichen dafür, dass der Vogel krank ist. Mein Vater hatte solche Tiere immer sofort in einen separaten Käfig verfrachtet. Er gab ihnen zwei Tage Zeit, in denen er sie mit allerlei Hausmittelchen aufzupäppeln versuchte. Wenn es nicht besser wurde, musste er sie töten – sonst wäre die Ansteckungsgefahr viel zu gross gewesen. Ich war sowieso schon unter Druck, wusste, dass Thilde und die Kinder zuhause mit dem Essen warteten – und jetzt sah ich noch diesen kranken Vogel im Käfig. Ich dachte mir, so könne ich doch dieses Tier den Leuten vom Sing- und Ziervogelverein nicht abgeben, am Ende denken sie noch, mein Vater habe nicht gut zu den Vögeln geschaut – das wäre für ihn das Schlimmste gewesen. Mir war zwar gar nicht ums Töten zumute, aber am Ende musste ich mich dazu durchringen und tat es so, wie mein Vater es mir einst gezeigt hatte. Dann ging ich nach Hause, war schon etwas spät dran, setzte mich zu Thilde und den Kindern an den Tisch. Ich hatte noch nicht einmal die erste Gabel im Mund, da läutete das Telefon. Ich müsse sofort ins Spital kommen, mein Vater könne jede Minute sterben. Ich wusste, es blieb keine Zeit, meine Mutter zu holen. Ich eilte ins Spital, der Vater lebte noch. Ein paar Minuten nach meiner Ankunft schlief er in meinen Armen ein.

Später erklärte ich der Mutter, dass es nicht mehr gereicht hätte, vorher noch bei ihr vorbeizugehen. Sie verstand das und betonte, dass es ihr sehr wichtig gewesen sei, dass der Vater nicht allein sterben musste. Und sie sagte zu mir : « Aber gäu, bi mir bisch de o da. » So war es am Ende dann tatsächlich auch, und das bedeutete mir unendlich viel. Wenn mich jemand fragt, welches in meinem Leben die drei bedeutendsten Erlebnisse waren, dann antworte ich : Erstens die Geburt unserer Kinder, zweitens der Tod meines Vaters und meiner Mutter und drittens der Aufstieg mit dem FC Thun in die oberste Spielklasse, weil da ein Bubentraum in Erfüllung ging.

Nun, an jenem Abend kamen die Leute des Sing- und Ziervogelvereins, um die Vögel zu holen. Und so traurig das alles war – wir waren doch auch erleichtert. Der Vater hatte keinen langen Leidensweg gehabt, und für seine geliebten Vögel hatten wir eine gute Lösung gefunden. Das Leben musste weitergehen. Für meine Mutter und mich war klar, dass auf den Grabstein des Vaters ein Vögelchen gehörte. Was ich nicht wusste : Was auf den Grabstein darf und was nicht, ist genau geregelt. Unsere Idee mit dem Vogel wurde geprüft – und für gut befunden, weil in der Bibel auch Tauben vorkommen. Für uns war das auf dem Grabstein natürlich keine Taube, sondern ein Distelfink ! Als neun Jahre später meine Mutter starb, wurde sie im gleichen Grab beerdigt. Nach 25 Jahren müssen auf dem Friedhof die Gräber aufgehoben werden. Da besuchte ich den Mann, der den Grabstein gefertigt hatte und fragte ihn, ob er mir die Platte mit dem Vogel aus dem Stein herausschneiden könne. Der Mann freute sich, dass mir das so wichtig war, und er wollte noch nicht einmal einen Lohn für seine Arbeit. Die Asche aus den beiden Urnen vergrub ich im Garten im Eriz, die Platte mit dem Distelfink legte ich oben drauf. Nebenan setzte ich Krokus-Zwiebeln in die Erde. Jetzt künden uns die Krokusse jedes Jahr den Frühling an. Und wenn ich nicht zuhause bin, habe ich das Gefühl, dass die Eltern zum Häuschen und zum Garten schauen.

Über die Jahre wurde der Distelfink auch mein Lieblingsvogel. Und ich wusste, dass der naturnahe Garten im Eriz ein gutes Revier für diese Art ist. Tatsächlich haben wir immer Distelfinken im Garten, was mich unglaublich freut. Jedes Mal, wenn solche Vögel heranfliegen, denke ich für mich : « Vielleicht ist ja mein Vater dabei. » Ganz in der Nähe der schlichten Erinnerungstätte steht ein stattli cher Holunderstrauch. Und eines Tages entdeckte ich zu meiner gros sen Freude, dass ausgerechnet in diesem Strauch ein Distelfinkenpaar nistete. Ich wollte sie nicht stören, aber es gelang mir, schöne Fotos von den Distelfinken beim Brüten zu schiessen. Im Nest lagen vier Eier. Genau in dieser Zeit durfte ich als Experte und Co-Kommentator für das Schweizer Radio nach Brasilien an die Fussballweltmeister schaft reisen. Es war mein letzter derartiger Einsatz. Ein guter Be kannter schaute während meiner Abwesenheit zum Garten ich natürlich eingeweiht. Später bestätigte er mir, dass vier kleine Dis telfinken ausgeflogen seien. Für mich war das ein absolutes Highlight. Ist das Ganze nun ein Zufall, oder ist es allenfalls mehr ? Das muss offen bleiben. Aber vielleicht verstehen Sie jetzt, dass der Distelfink für mich mehr als einfach nur ein Vogel ist...

4. EIN SENKRECHTSTARTER

Das Jahr 2015 begann mit einer doppelten Herausforderung : Da war einerseits die Pensionierung – und andererseits hatte ich mir eine brandneue Kamera gekauft, mit der ich nun also Vögel fotografieren wollte, um die Artenvielfalt auf der Geissegg zu illustrieren. So lag ich kurz nach dem Jahreswechsel ein erstes Mal auf der Lauer – oder bes-

« Ich freute mich über die gelungenen Bilder und dachte : ‹So kann es weitergehen !› »

ser gesagt : Ich stand an eine Tanne gelehnt auf einer Anhöhe und hoffte, dass es da bezüglich Vögel etwas zu beobachten und zu fotografieren gab. Wenige Meter vor mir fiel das Gelän de steil in ein Tobel ab. Das oberste Drittel einer Tanne ragte gerade noch bis zu mir hoch. Ich war nur einige Minuten an meinem Standort postiert – und schon flog ein prächtiges Buntspechtweibchen an den Stamm der Tanne. Aus fünf Metern Distanz und auf Augenhöhe konnte ich in aller Seelenruhe beobachten, wie der Specht in der Rinde nach Nahrung suchte. Und natürlich schoss ich Fo tos. « Das fängt ja toll an – wer hat mir wohl die sen Buntspecht geschickt ? », dachte ich mir. Ich durfte ja nicht erwarten, dass ich ganz zu Beginn meiner neuen Tätigkeit gleich einen Volltreffer landen würde. Ich freute mich über die gelungenen Bilder und dachte : « So kann es weitergehen ! »

Das Ganze kam mir ein bisschen so vor, wie wenn im Fussball ein erstmals eingesetzter Spieler gleich den Siegtref fer für seine Mannschaft erzielt. Oder eine junge, noch unbekannte Sängerin schon zu Beginn ihrer Karriere die Hit parade stürmt. Geht die Laufbahn da nach einfach so wie geschmiert weiter ? In der Regel nicht. Es kann dauern, bis

Buntspecht-Weibchen

der unerfahrene Spieler wieder ein Tor schiessen, die Sängerin ihren zweiten Hit landen kann. Gerade im Sport habe ich gelernt : Es gilt, beharrlich weiter zu arbeiten, schwierige Zeiten mit ausbleibenden Erfolgserlebnissen durchzustehen. Nicht wenige schaffen es nicht, bleiben auf der Strecke.

Und wie erging es mir nach meinem schnellen Erfolg mit dem Buntspecht ? Genau so, wie den meisten Senkrechtstartern. Es brauchte viel

Beharrlichkeit und noch mehr Geduld, bis mir viele Monate später wieder in ähnlicher Weise ein Buntspecht vor die Linse flog. Dafür war es diesmal ein Männchen.

Meine Freude war gross, als ich erfuhr, dass der Schweizerische Vogelschutz den Buntspecht zum Vogel des Jahres 2016 erkoren hatte. Eine verdiente Auszeichnung für ihn – und vielleicht auch ein bisschen für mich, als Lohn für meine Geduld nach dem Senkrechtstart …

Buntspecht-Männchen

5. DAS KÜCHENFENSTER

Ein Küchenfenster – was soll daran interessant sein ? Darüber lässt sich doch keine Geschichte erzählen, werden Sie vielleicht denken. Über unseres auf der Geissegg aber schon. Nicht etwa weil es aus Spezialglas besteht oder einen besonders schönen Rahmen hat. Nein, aber man geniesst durch dieses Fenster einen freien Blick zum Brunnen, zu den Hecken, zum nahen Waldrand und – wenn noch keine Blätter an den Bäumen sind – zu Jauns steilen Matten. Eindeutig der beste Ort im ganzen Haus, um Tiere in der freien Natur zu beobachten.

« Ein Küchenfenster – was soll daran interessant sein ? »

Hans Jaun, dem die Matten gehören, war für mich immer ein Musterbauer. Vor Kurzem hat er den Hof seinem Sohn Heinz übergeben und wohnt jetzt mit seiner Frau im Stöckli. Zu meiner Freude führt Heinz den Bauernhof im gleichen sauberen Stil weiter, wie es sein Vater jahrzehntelang getan hat. Jedes Mal, wenn ich bei Jauns vorbeikomme, habe ich das Gefühl, ich müsste um unser Haus herum wieder einmal tüchtig aufräumen. Hans hat auch die Skischule im Innereriz aufgebaut. Kein Wunder, hat diese einen ausgezeichneten Ruf. Doch auch in diesem Bereich konnte Hans in vorbildlicher Weise loslassen –jetzt sind seine Tochter und sein Schwiegersohn mit einem starken Team für die Skischule zuständig. Übrigens war dort einst auch die bekannte Jodlerin Melanie Oesch als Skilehrerin tätig.

Apropos Skifahren im Innereriz : Früher fanden hier noch FrauenFIS-Rennen – vom internationalen Skiverband veranstaltete Ski-Wettbewerbe, die keiner Rennserie angehören – statt. Als ich einst in Pontresina einen Vortrag hielt, sagte mir die Verkehrsdirektorin von St. Moritz, die ehemalige Weltcup-Fahrerin Ariane Ehrat, sie sei im Innereriz einmal Dritte geworden. Den Preis, eine schöne Holz-Stabelle, bewahre sie noch heute bei sich zuhause auf. Ich will jetzt nichts von den « guten alten Zeiten » gesagt haben. Aber heute ist das einfach unvorstellbar.

Beim Küchendienst entdeckt: ein Gimpel-Männchen durchs offene Küchenfenster fotografiert

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