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Herr Voltaire, wieso haben Sie sich einen Künstlernamen zugelegt?

Meinungsfreiheit statt Vorurteile

Herr Voltaire, eigentlich heissen Sie ja FrançoisMarie Arouet. Wieso haben Sie sich einen Künstlernamen zugelegt? Voltaire: Ich wollte besser gehört werden! Als Bürgerlicher war man zu meiner Zeit einfach im Nachteil. Philosophische Erkenntnisse wurden nur diskutiert, wenn sie aus dem Kreis des Adels stammten. Deshalb legte ich mir den adeligen Namen de Voltaire zu. Sie haben unter diesem Namen zeitlebens für Toleranz gekämpft. Warum? V.: Als Schriftsteller brauchte ich die Meinungsfreiheit und die Voraussetzung dafür wiederum ist die Toleranz. Wie schwierig war dieser Kampf? V.: Er hat mir viel Ärger eingebracht. Die katholische Kirche verteidigte ihr Monopol auf die Auslegung der Welt und liess die Bücher ihrer Feinde oder sogar diese selber verbrennen. Was gab es sonst noch für Schwierigkeiten? V.: Ganz praktische! Meinungsfreiheit kann sich naturgemäss nur entfalten, wo es mehrere Meinungen gibt, also in der Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit versuchte ich herzustellen durch meine Publikationen einerseits und durch die vielen Briefe, die ich an aufgeschlossene Adelige schrieb, andererseits.

FRANÇOIS MARIE AROUET, GENANNT VOLTAIRE (1694–1778) Französischer Philosoph und Schriftsteller, Theologe

«Das stärkere Argument muss zählen und nicht einfach die Meinung des Einflussreicheren.»

Was schrieben Sie konkret? V.: Dass das stärkere Argument zählen sollte und nicht einfach die Meinung des Einflussreicheren. Für Frankreich war das neu, in England gab es das schon. Wieso gerade da? V.: Die Engländer hatten mit ihrer grossen religiösen Zersplitterung gar keine andere Wahl, wenn sie nicht ins Chaos stürzen wollten. Deshalb gingen Sie dorthin. V.: Na ja, nicht ganz freiwillig. Ich hatte die Wahl zwischen einem Leben in der Bastille, dem Staatsgefängnis, oder im Exil, also im Ausland. Was haben Sie in England dazugelernt? V.: Dass die Aufklärung nicht bloss eine interne Sache der Naturwissenschaften ist. Sie bedeutet auch Propaganda für die Freiheit des Geistes und Kampf gegen die Dunkelmänner der Kirche, die das neue Weltbild mit allen Mitteln zu sabotieren versuchten. Wie sah denn Ihr neues Weltbild aus? V.: Man nennt es das deistische Weltbild. Die Welt wurde von Gott erschaffen, inklusive der darin enthaltenen Naturgesetze. Nicht mehr und nicht weniger. Alle anderen religiösen Vorstellungen, z. B., dass Gott immer wieder auf die eine oder andere Art individuell eingreift, sind naiv. Das bisherige Weltbild eine Fehlleistung auf Grund von Naivität? V.: Naivität und jede Menge falscher, unbewiesener Vorurteile. Schauen Sie sich doch nur all die metaphysischen, naturkundlichen oder moralischen Vorstellungen an, für die es keine vernünftigen Gründe gibt. Naturlehre, Medizin, Religion, alles durchseucht von Vorurteilen. Da werden die abstrusesten Dinge behauptet. Auch die gesellschaftlichen Ungleichheiten beruhen auf reinen Vorurteilen. Weshalb Sie sich zum Beispiel den Namen Voltaire zulegen mussten, um gehört zu werden! Damit schliesst sich der Kreis. Herr Voltaire, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Intuition

Wieso habe ich mich damals für eine Karriere als Sportreporter und gegen eine solche als Jurist entschieden? Letzteres schien doch erfolgversprechender und lukrativer. Wieso habe ich zwanzig Jahre später innert Sekunden Nein gesagt zu Anfragen, ob ich Chef beim Sport am Radio und später sogar beim Fernsehen werden wolle, obwohl ich gute Chancen auf diese Posten gehabt hätte? Ein Zuwachs an Ansehen, Einfluss und Geld wäre mir sicher gewesen. Wieso habe ich nie zum Privatfernsehen gewechselt, obwohl man mir dort den roten Teppich ausgerollt hätte? Wieso habe ich Angebote als Chefredaktor einer Illustrierten, als Fussballklub-Präsident und als Ständeratskandidat abgelehnt? Es war Intuition. Es war mein Bauchgefühl. Es war jedenfalls nicht der analytische messerscharfe Verstand. In meiner Kindheit hielt ich mich stets an die klar ersichtlichen Fakten und das, was mir meine Eltern sagten. Als Teenager und Twen schwenkte ich dann immer mehr auf die Intuition um, mit dem entsprechenden Konflikts- und Erklärungspotenzial. Im reiferen Alter merkte ich wiederum, dass einen ein blosses Gefühl auch auf eine komplett falsche Fährte locken kann. Unterdessen glaube ich, eine taugliche Balance zwischen Verstand und Intuition gefunden zu haben.

Diese Intuition ist schon eine faszinierende und irgendwie auch geheimnisvolle Sache. Kennst du da eventuell einen Experten? Mehrere! In diesem Fall würde ich Ihnen Baruch Spinoza empfehlen.

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