BENI THURNHEER – DER SPORTREPORTER UND DIE PHILOSOPHEN

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Wenn ein Philosoph einem antwortet, versteht man überhaupt nicht mehr, was man ihn gefragt hat.

Inhalt

Einleitung 11

Hitparade 17

von Aquin 19

Aristoteles 22

Image 26 Voltaire 28 Intuition 31 Spinoza 32 Kommunikation 35 Protagoras 36 Kritik 39 Sokrates 41 Künstlernamen 44 Bacon 46 Loch Ness 49 Parmenides 50 Magic Moments 53 Epikur 55 Maschinen 58 Hobbes 60 Mens sana in corpore sano 63 Buddha 65 Millionär 68 Smith 70

Misserfolge 73 Cusanus 75 Natur 78 Rousseau 80 Neue Wörter 83 Comte 84

Nobelpreisträger 87 Russell 89 Ost und West 92 Marx 94

Politik 98 Machiavelli 99 Prominenz 102 Herder 104

Alter 107 Plotin 108

Autogramme 110 Mendelssohn 111 Bestseller 114 Hume 117

Bibel 120 Augustinus 121 Bundesräte 124 Berkeley 127

Computer 130 L eibniz 131

Corona 135 Pyrrhon 136 Das erste Mal 139 Solon 141

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Denken 143 Descartes 145

Der Grösste 148 Locke 150

Die 68er 154 Sartre 156

Diplomat 160 Kierkegaard 161

Erfolg 164 Thales 166 Eselsleitern 168 Kant 170 Fake News 175 Arendt 177

Feindbilder 180 Averroes 181 Fokus 184 Zenon 185

Fremde Namen 188 Anaxagoras 190 Früher und heute 192 Kuhn 193 Führungsstil 196 Nietzsche 198 Geistesgrenzen 203 Hegel 204 Schiller 209

Gleichgewicht der Natur 212 Pythagoras 214

Glücksbringer 216 Feuerbach 218 Grösste Entscheidungen 220 Schelling 222 Regisseure 225 Ryle 226

Schweizer Sport 228 Mill 230 Sex 233 Platon 234

Sonnenfinsternis 238 von Canterbury 239 Abaelard 242

Sorgen 244 Heidegger 245 Husserl 249 Spinat 251 Popper 253

Sprachspiele 255 Wittgenstein 258 Sternzeichen 260 Diogenes 261 Superprominente 264 Konfuzius 266

Technischer Fortschritt 268 Darwin 270 Träume 273 Freud 274

8

USA 278 Dewey 280 Bergson 283

Vegetarier 286 Schopenhauer 288 Weltuntergang 292 Foucault 294 Wetten, dass …? 297 Pascal 298 Wissen 301 Diderot 303 Würfeln 306 Habermas 308 Zauberer 311 Empedokles 312 Zuckersäckchensprüche 315 Heraklit 316 Zugaben 320 Fichte 321 Horkheimer 323 Zuletzt noch dies 326 Thurnheer 327

Stichwortverzeichnis 331 Bildnachweis 332 Autorenportrait 335 Impressum 336

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Einleitung

Vielleicht wundern Sie sich, dass sich ein Sportreporter am Ende seiner Karriere mit Philosophie befasst. Dies ist aber gar nicht so abwegig. Rund um den Spitzensport lernte ich das pralle Leben mit all seinen Unwägbarkeiten, Zweifeln und Möglichkeiten ken nen. Hier fand ich Ehrgeiz und Fairness, Jubel und Enttäuschung, akribisches Handeln und Loslassen in einem geregelten, gut über schaubaren Rahmen vor. Der sportliche Wettkampf ist so etwas wie eine vereinfachte Darstellung des Lebens. Ein Team funktio niert im Grunde genommen wie ein Staat. Jeder soll seine Talente frei entfalten können, aber es braucht auch ein organisiertes Zusammengehen. Würde die Bibel heute geschrieben, würde sie wahrscheinlich weniger Gleichnisse aus der Landwirtschaft ent halten, dafür mehr aus dem Fussball, dem Marathonlauf und dem Boxen. Nicht mehr der Sämann, sondern der Schiedsrichter schritte übers Feld. Vielleicht würde der Fair-Play-Gedanke als elftes Gebot angehängt. Metaphern für allgemeine Lebenslagen liefert der Sport ja zuhauf. Da wird jemandem die Gelbe Karte gezeigt, da führt einer die feinere Klinge, da wird der Stab über geben, eine Auswechslung vorgenommen, ein Schlussspurt hin gelegt. Nachdem man Standfestigkeit bewiesen hat, ist man über dem Berg und kann das Ziel ins Visier nehmen und wird bald obenaus schwingen …

Als ich mich mit den Philosophen zu beschäftigen begann, stellte ich mir vor, wie toll das wäre, wenn man mit ihnen unter vier Augen sprechen könnte. Denn wer kann die Welt besser erklä ren als die Philosophen? Mit diesem Buch habe ich nun meinen Traum wahr gemacht. Es ist mir nämlich gelungen, sie zu kontak tieren! Alle! Natürlich brauchte es etwas Fantasie dazu.

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Die Philosophen im Himmel

Ich habe mir vorgestellt, die gescheiten, aber in vielen Fällen seit langem verstorbenen Weisen seien seit ihrem Tod immer noch präsent, in einem Quartier im Himmel. Via Medien – TV, Radio, Presse, Internet – hielten sie sich über das aktuelle Geschehen auf Erden weiterhin auf dem Laufenden. Noch gewagter ist nur noch die Annahme, dass ich es schaffte, unser irdisches mit dem himmlischen Internet zu verlinken und so die Möglichkeit bekam, Interviews zu führen.

Nachdem ich den gescheiten Damen (eine Einzige!) und Herren die heutigen Medien mit ihrer beschränkten Aufmerk samkeitsspanne erklärt hatte, fassten sich die meisten von ihnen tatsächlich kurz und äusserten sich in allgemein verständlichen Worten, auch wenn ihnen die dadurch entstehenden Vereinfa chungen widerstrebten. Doch so ist sie nun einmal, die schöne neue Medienwelt! Einige der nicht ganz zentralen Gedanken die ser Philosophen fielen zugegebenermassen den manchmal not wendigen Kürzungen zum Opfer. Wenigstens wissen wir jetzt aber etwas genauer, wer was als Erster gedacht und gesagt hat.

Künstliche Intelligenz

Ist Ihnen das alles zu unwahrscheinlich? Dann hilft Ihnen viel leicht mein alternativer Ansatz mit der Künstlichen Intelligenz (KI). Die KI hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Längst besteht sie nicht mehr nur darin, einen Roboter eine Armbewe gung machen zu lassen, indem man auf den entsprechenden Knopf drückt. Die Systeme haben, gefüttert mit irrwitzigen Daten mengen, gelernt, nicht bloss komplizierte mechanische Abläufe auszuführen, sondern immer selbständiger zu handeln. Die KI nä hert sich dem menschlichen Gehirn. Durch Versuch und Irrtum

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handelt der Roboter mit der Zeit richtig, ohne dass er dafür noch programmiert werden müsste. Und diese Roboter kann man ver netzen! Alle lernen parallel und damit rasend schnell! Der japani sche Schriftsteller Kazuo Ishiguro beschreibt in seinem Roman «Klara und die Sonne» eine Welt, in der die Kinder reicher Leute einen Künstlichen Freund (KF) zur Seite haben, der ihnen in allen Lebenslagen hilft und auch mit ihnen diskutiert. Ist das bald schon die neue Realität? Bei der Betreuung von alten Leuten ist man jedenfalls genau auf diesem Kurs. So ein Roboter könnte mit der Zeit doch das gesamte Denken eines Philosophen verinnerlicht haben und als Androide in dessen Denkweise Auskunft geben. Ich habe zu Hause keinen Platz für hunderte von Robotern, aber mir würde einer genügen, der mir dann jeweils den Zugang zu den gewünschten Philosophen vermittelte. Darf ich also hiermit vor stellen: mein Künstlicher Vermittler, genannt KV! Dank ihm werde ich mit den grössten Denkern der Menschheitsgeschichte kom munizieren können.

Und ich werde mich jeweils auch kurz mit ihm unterhalten.

Interviews im Boulevardstil

Zwei Herzen schlugen während meines ganzen Berufslebens in meiner Brust, eines für die tollen Spitzensportler und eines für die genialen Denker, eines für Beckham und eines für Bacon, eines für Kahn und eines für Kant, eines für Zidane und eines für Zenon. Und immer hatte ich das Bedürfnis, das, was mir wichtig schien, an die Allgemeinheit weiterzugeben, so auch in diesem Fall. Meine Interviews mit den Philosophen sollten von möglichst vielen Leu ten gelesen werden. Ich wollte, dass sie in einer möglichst aufla

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genstarken Zeitung erscheinen, also in einer Boulevardzeitung. Das erforderte einen entsprechenden Stil. Die erste Frage sollte immer ein Höchstmass an Aufmerksamkeit erregen. Die Antwor ten sind insofern echt, als dass deren Inhalt von den Philosophen tatsächlich so wiedergegeben wurde, natürlich bei anderer Gele genheit und etwas anders formuliert. Es war reizvoll, all die ge scheiten Köpfe auch auf heutige aktuelle Themen anzusprechen, die es zu ihren Lebzeiten noch nicht gab. Solch moderne Anklänge aus ihnen herauszukitzeln war zugegebenermassen schwierig und die Formulierungen eher nachempfunden als wörtlich übernom men, aber immer im Sinn und Geist ihres Denkens.

Wen frage ich was? Was für eine vielversprechende Ausgangslage! Nur: Wen frage ich was? Gar nicht so einfach. Wenn einem alle Möglichkeiten offen sind, steht man im Grunde genommen genauso blockiert da wie jemand, der eingesperrt ist. In einer solchen Situation befand ich mich nun. Ich konnte mit allen Philosophen über alles reden. Wen sollte ich befragen? Zu welchem Thema? Mein ganz persönliches Leben sollte es sein. Ich wollte mir einzelne besondere Vorkomm nisse in Erinnerung rufen und sie dann von meinen Gesprächs partnern erklären, beurteilen und einordnen lassen. Ich würde ein Thema auf Grund eigener Erfahrungen aufwerfen, und mein KV würde mich an den geeigneten Fachmann weiterleiten. So würde ich das machen!

Wenn ich nun all meine Interviews Revue passieren lasse, so fällt mir auf, dass ich oft schon sehr früh von meinem ursprüng lichen Thema abgekommen bin. Die Geistesgrössen der letzten Jahrhunderte und Jahrtausende waren derart interessante Leute, dass ich die Gelegenheit einfach nutzen musste, um noch mehr

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von ihnen zu erfahren. Und für die ganz Pingeligen noch dies: Der zuletzt Interviewte gehört natürlich nicht zu diesen Super denkern.

So also entstand dieses Buch. Es wurde eine Autobiographie light eine Parodie auf den Boulevardjournalismus eine Kurzpräsentation der grössten Denker der Weltgeschichte mit ihren wesentlichen Aussagen.

So höret sie nun, die Philosophen!

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Hitparade

Als ich ins Teenageralter kam, gaben die Beatles ihre erste Platte heraus. Bald folgten die Rolling Stones und viele weitere PopGruppen. So etwas hatte es noch nie zuvor gegeben. Diese neue Art von Musik eroberte im Nu die Radio-Stationen in aller Welt und beeinflusste fortan das Lebensgefühl und den Lebensstil vie ler Jugendlicher. Meine Schulkasse am Gymnasium war in Beatlesund Stones-Fans gespalten. Als eher Braver und Angepasster hätte ich eigentlich ins Beatles-Lager gehört, doch mir gefiel die etwas rauere, bluesigere Art der Rolling Stones besser. Deren revolutio näres, aufmüpfiges Verhalten interessierte mich dagegen nicht besonders. Welche Platte die aktuell beste oder zumindest erfolg reichste war, das wurde nun Woche für Woche in den Hitparaden der verschiedenen Sender, Musikmagazine und Länder entschieden. Mit der Zeit verfolgte ich ebenso gespannt die Bücher-Bestseller listen, die Film-Kassenschlager und, noch später, die Einschalt quoten beim Fernsehen. Diese Listen, Klassierungen, Einstufun gen und Erfolgsbeweise zogen mich sofort in ihren Bann. Später begann ich dann sogar, eigene, persönliche Listen zu produzie ren. Bei den langen Fahrten in die Ferien schrieb ich schon als Kind die Marken aller entgegenkommenden Autos auf – es gab noch keine richtungsgetrennten Autobahnen – und klassierte sie nach ihrer Häufigkeit. Meistens gewann «unser» VW-Käfer vor dem Opel-Rekord und der Ente, wie der Citroen 2CV genannt wur de. Im Tabakladen, den mein Grossvater nahe der französischen Grenze führte, notierte ich die verkauften Zigarettenschachteln (1. Rang: Parisienne Super, 2. Rang: Mary Long, 3. Rang: Gauloises Bleu). Bestenlisten stelle ich bis zum heutigen Tag auf, besonders, was meine zahlreichen Reisen angeht. Ich führe eine Top 25 mei ner liebsten Länder, Städte, Landschaften, Gebäude, Museen, Sta dien usw.

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Die allererste «Hitparade», die ich erlebte, war wohl dieje nige an meinem ersten Schultag. Wir 40 (!) Erstklässler wurden da nämlich der Grösse nach eingereiht. Ich war der Zweitkleinste, und ich erinnere mich 65 Jahre später noch immer daran, dass der Kleinste Hans(li) und der Drittkleinste Edi hiess.

Hitparaden, in denen man selber vorkam, genossen natür lich die intensivste Beachtung. Mein Werk «Reden ist immerhin Silber» erreichte Rang 2 der Sachbuch-Bestsellerliste, und mit dem Quiz Tell-Star, der Samstag-Abend-Show Benissimo und den Fussball-Länderspielen der Schweiz an Welt- und Europameister schaften «gewann» ich unzählige Male die Wochen-, Monats-, ja sogar Jahreswertungen nach Fernseh-Einschaltquoten.

Ich habe mich nun gefragt, wie es denn wäre, eine Hitparade von allem, was es auf der Welt gibt, zu erstellen. Was würde dabei wohl herauskommen? Mein lieber KV, kannst du mir in dieser Sache jemanden empfehlen?

Ich schlage Thomas von Aquin vor. Der hat tatsächlich schon vor rund 800 Jahren einmal so etwas Ähnliches gemacht.

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Herr von Aquin, wie kam Ihre Hitparade der Welt zustande?

Herr von Aquin, Sie haben eine Art Hitparade von allem, was es auf der Welt gibt, aufgestellt. Was musste man haben, um möglichst weit oben platziert zu sein?

Thomas von Aquin: Alles, was exis tiert hat als zusätzliche Eigen schaft eine besondere Qualität des Seins. Je höher diese Qualität, desto höher der Platz in der, wie Sie es nennen, Hitparade. Die unbestrittene Nummer Eins ist Gott. Er ist das vollkommen reine Sein. Oder um die Hitparade von unten aufzurollen: Ganz unten ist das Material, die ganz gewöhnlichen Stoffe, dann kom men die Pflanzen, dann die Tiere, dann die Menschen, schliesslich die Engel und Gott. Je Seiender, des to höher. Es kommt auf den Grad der Wesenhaftigkeit des Seins an. Kann man sagen, zuunterst steht das nur Materielle und zuoberst das nur Geistige und dem jeweiligen Anteil entsprechend alles andere dazwischen?

T. v. A. : Ja, wenn Sie so wollen. Gott und die Seelen sind Individuen, die

nur geistig existieren. Unten geht es los mit dem nur Materiellen und dann kommt die lange Reihe der Mischformen, die beides enthalten. Bei Aristoteles war alles eine Mischform …

T. v. A. : … und bei Plato war es ein Entweder-oder. Mein dritter Weg hat sich aber seit dem Mittelalter klar durchgesetzt.

Was bezweckten Sie damit eigentlich?

T. v. A. : Ich wollte die Elemente der Naturwissenschaften mit den Grund wahrheiten des Glaubens verein baren, um den Konflikt zwischen den beiden zu beseitigen.

Die Kirche ist offensichtlich darauf eingestiegen. Sie wurden ja schon fünfzig Jahre nach Ihrem Tod heiliggesprochen!

T. v. A. : Es war gar nicht so schwer. Ich musste lediglich die Gedanken des Aristoteles leicht modifizieren. Nämlich wie?

T. v. A. : Die Welt war eben nicht schon ewig da, sondern sie wurde von Gott geschaffen. Gott existierte als

Alles Existierende hat eine eigene Qualität des Seins
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als
aus dem
20 THOMAS VON AQUIN (1225–1274) Italienischer Philosoph und Theologe «Gott existierte
das Erste,
dann die Welt hervorging.»

das Erste, aus dem dann die Welt hervorging.

Gott ist also das absolut Grösste!

T. v. A. : Das kann man so auch wieder nicht sagen. Gott ist nicht das grösste Vorstellbare, denn es gibt immer noch «das Grösste plus Eins». Noch ein Unterschied zu Aristoteles?

T. v. A. : Die einzelne Seele ist un sterblich. Das wars schon. Alles an dere bei Aristoteles stimmt!

Und damit kamen Sie bei der Kirche tatsächlich durch?

T. v. A. : Ja sicher. Gott ist derjenige, der die Natur leitet. Die «Hitparade», um nochmals diesen Ausdruck zu verwenden, ist gottgewollt, und diese Natur wird von ihm verwaltet.

Er ist sozusagen der DJ …

T. v. A. : Infolgedessen ist es doch sinnvoll, diese Natur zu erforschen.

Die Naturwissenschaften fügen sich nahtlos ins System ein und sind überhaupt nicht gegen die Religion

gerichtet, wie das früher viele glaubten. Die Wissenschaft, und da mit auch die Philosophie, steht im Dienst der Kirche. Auch der Staat und die gesellschaftliche Ordnung sind gottgewollt.

Selbst die Einteilung der Leute in Herrschende und Dienende?

T. v. A. : Auch das, nicht aber die Willkür der Herrschenden und auch nicht der Aufruhr der Dienenden.

Das weltliche Leben muss, wie es schon Aristoteles erkannt hat, ein guter Mittelweg sein.

Wir interviewen Sie hier an Ihrem Schreibtisch, wo ein Halbrund herausgesägt wurde, damit Ihr Bauch Platz findet. Ist denn viel essen und trinken für Ihre Wesenhaftigkeit nicht nachteilig?

T. v. A. : Nicht nur die Seele, auch der Körper ist von Gott gegeben!

Herr von Aquin, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Dieser Aristoteles scheint ja eine ganz grosse Nummer gewesen zu sein. Er wurde gleich mehrfach erwähnt …

Er beeinflusste in der Tat die ihm nachfolgenden Philosophen 2000 Jahre lang und dies sogar noch bis heute.

Verbinde mich bitte mit ihm!

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22 ARISTOTELES (384–322 V. CHR.) Griechischer Universalgelehrter «Was für den Staat gut ist, ist auch für den Einzelnen gut. Und umgekehrt. Das Beste ist deshalb ein Mittelweg zwischen Privatem und Öffentlichem.»

Herr Aristoteles, wie wurden Sie zum Übervater der Philosophie?

Ideen machen den Stoff erst zu Dingen (Erkenntnistheorie)

Herr Aristoteles, unfassbare 2000 Jahre lang waren Sie der unbestrittene Übervater aller Philosophen. Wie haben Sie das geschafft?

Aristoteles: Meine Gedanken schei nen eben gestimmt zu haben. Und ich war der Erste, der sie nieder geschrieben hat, und erst noch geordnet.

War Letzteres vielleicht sogar der springende Punkt? Haben Sie ledig lich die Ansichten Ihrer Zeit festgehalten, ohne selbst viel Neues beizutragen?

A. : Eine bösartige Unterstellung. Immerhin stammen zwei wesentli che Theorien von mir! Welche?

A. : Die Universalientheorie und die Erkenntnistheorie.

Beginnen wir mit der Universalientheorie.

A. : Ich ging von den Namen aus, die man Dingen oder Personen gibt. Es gibt zwei Arten. Da sind einer seits die Eigennamen, die sich auf etwas Individuelles beziehen, wie zum Beispiel Sonne, Griechenland

oder Odysseus. Andrerseits gibt es Bezeichnungen, die sich auf ver schiedene Subjekte anwenden lassen, wie zum Beispiel Hund, Katze, Mensch. Diese zweite Sorte sowie alle Eigenschaftswörter, also zum Beispiel weiss, hart, rund usw., sind Verallgemeinerungen, sind Uni versalien, die mich zu meiner Uni versalientheorie geführt haben. Wieso Universalientheorie?

A. : Eigennamen benennen etwas ganz Bestimmtes, Einmaliges, alles andere sind Bezeichnungen für eine Universalie. Hier spricht man von «dieser», dort von «derartig».

Universalien haben kein Eigenleben, sie können auch an mehreren Orten gleichzeitig vorkommen. Könnte man statt Universalien auch Wesen sagen?

A. : Nein! Wesen ist das, was man durch seine eigenste Natur ist. Ohne dieses Wesen hört man auf zu sein. Das Wesen eines Dinges sind diejeni gen seiner Eigenschaften, die sich nicht verändern können, ohne dass das Ding seine Identität einbüsst.

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Und was bedeutet das alles nun für unser Leben?

A. : Wir können diese Begriffe ein ordnen in ein grosses Ganzes. Dieses Bestimmen des Materiellen macht das Sein aus. Nur das gibt es für uns, was in eine Ordnung gebracht worden ist. Die Universalientheorie zeigt auch auf, dass jeder Mensch einzigartig ist. Weil jeder eine Seele hat. Die Seele ist die individuelle Form des Körpers.

Die Seele ist die Gestalt des Körpers?

A. : Nein, das ist anders zu ver stehen: Die Seele macht aus dem Körper ein individuelles Ding, den Organismus.

Aha. Form ist also das, was einer bestimmten Menge Stoff eine Einheit verleiht. Damit sind wir ja bereits bei Ihrer zweiten Theorie, Ihrer Erkenntnistheorie. Wie geht diese?

A. : Ich habe zwischen Stoff und Form unterschieden. Zum Beispiel?

A. : Die Statue ist eine Form, der Mar mor ein Stoff. Dank der Form wird der Stoff zu einem Ding. Indem wir etwas mit unseren Sinnen wahr nehmen, fischen wir es sozusagen

aus dem formlosen Strom der Möglichkeiten heraus. Diese ganz bestimmte Form bleibt uns in Erinnerung. Wir geben ihr einen Namen. Siehe Universalientheorie!

Aus einer Universalie (Marmor) wird etwas Individuelles (eine ganz bestimmte Statue).

Geht das auch in der Natur, ohne Mitwirkung des Menschen?

A. : In der Botanik ist die Natur selbst die Künstlerin.

Die Materie ist also nur die Voraus setzung dafür, dass etwas Bestimmtes entsteht?

A. : Materie ist ein beliebig formba rer Stoff. Die Form macht aus der Materie ein ganz bestimmtes Ding.

Der Stoff ist eine Möglichkeit, seine Veränderung ist eine Entwicklung, die Form ist die aktuelle Wirklich keit. Ideen machen den Stoff erst zu Dingen. Das also ist die Erkenntnis in Ihrer berühmten Erkenntnistheorie!

Material und Geist stehen also in einem Wechselspiel.

A. : Stoff und Form, Materie und Geist, die Welt und Gott benötigen einander und sind aufeinander an

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gewiesen. Sie verhalten sich wie zwei Liebende.

Wer oder wo ist denn Ihrer Meinung nach Gott?

A. : Es muss ganz zu Beginn etwas Ewiges, Göttliches gewesen sein, das die formlose Materie in Bewe gung gesetzt hat. Die reine Form wurde durch einen ersten Beweger in Gang gebracht. Durch den Schöpfergott.

A. : Nicht ganz. Der erste Beweger fand ja die materielle Welt bereits vor. Gott ist reine Form, ohne Stoff. Er ist damit unveränderlich. Wenn es um Gott geht, werden die Dinge ziemlich rasch abstrakt und schwer verständlich. Können Sie uns zum Abschluss unseres Gesprächs noch etwas Handfestes mit auf den Weg geben?

A. : Sie möchten etwas Praktisches von mir hören? Suche die Tugend! Die Tugend … noch so ein Begriff …

A. : Jede Tugend ist die Mitte zwi schen zwei Extremen, die goldene Mitte! Zum Beispiel?

A. : Mut ist das Mittelding zwischen Feigheit und Tollkühnheit. Freigie

bigkeit ist das Mittelding zwischen Verschwendungssucht und Geiz. Selbstbewusstsein ist das Mittel ding zwischen Eitelkeit und Selbst erniedrigung. Bescheidenheit ist das Mittelding zwischen Schüch ternheit und Unverschämtheit … Herr Aristoteles, …

A. : Noch etwas: Was für den Einzel nen gut ist, ist auch für den Staat gut. Und umgekehrt. Das Beste ist deshalb ein Mittelweg zwischen Privatem und Öffentlichem.

Schlecht sind die Extreme: Tyran nei oder Herrschaft der Reichen ei nerseits, Pöbelherrschaft anderer seits.

Herr Aristoteles, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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Image

Ich war in meiner 40-jährigen Karriere 30 Jahre lang derjenige TVFussballreporter, der im Vergleich zu den Kollegen am wenigsten ge sprochen hat. Dies wurde jeweils an Ausbildungstagen im Anschluss an die Fussball-Weltmeisterschaften gemessen und analysiert. Ich habe auch 30 Jahre lang mindestens so viele Unterhaltungs- wie Sportsendungen moderiert. Dennoch bin ich bis heute der «Schnur ri der Nation» geblieben sowie der Sportreporter, der auch noch ein paar Quiz- und Showsendungen moderierte. Seltsam, nicht? Wer am Radio und vor allem am Fernsehen auftritt, stellt sich aus. Das Publikum wird ihn oder sie unbarmherzig als sym pathisch oder unsympathisch einstufen, als kompetent oder in kompetent, als unterhaltend oder langweilig, kurz, als fähig oder unfähig, gut oder schlecht. Ich kenne bis heute kein Verfahren, mit dem sich eine solche Wirkung zuverlässig voraussagen liesse, ob wohl dies schon seit Jahrzehnten versucht wird mit Wissenstests, psychologischen Analysen und ausgeklügelten Versuchsanord nungen. Gemessen werden kann jeweils ohnehin nur der Ist-Zu stand, viel wichtiger wären aber die Entwicklungsmöglichkeiten.

Nur der Ernstfall gibt Aufschluss. Es empfiehlt sich also, zunächst mit kleineren Sendungen zu Randzeiten zu beginnen, bevor man sich dem grellen Scheinwerferlicht des Abendprogramms aus setzt. Ein zweites Phänomen besteht darin, dass die Leute sich von einem Präsentator sofort ein Bild machen, und dies dann bis ans Ende seiner Tage beibehalten. Der Konsument wünscht sich keine komplexe, sich womöglich gar verändernde Persönlichkeit, sondern klare Typen, bei denen immer klar ist, was einen erwar tet. Jedem Menschen sein klar definiertes Image!

Diesen Gesetzen habe auch ich mich nicht entziehen kön nen. Wie alle Radioleute, die zum Fernsehen wechselten, sprach ich in der Anfangsphase überdurchschnittlich viel. Schon hatte

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ich den Übernamen «Schnurri» weg, der später immerhin noch zum «Schnurri der Nation» veredelt wurde. In diesem Ausdruck schwingt stets auch ein gewisser negativer Unterton mit, näm lich der leise Vorwurf der Oberflächlichkeit und Inkompetenz. Dem habe ich durch besonderen Fleiss entgegenzuwirken ver sucht. Mein Ansehen mag im Verlauf der Zeit gestiegen sein, die Etikette aber blieb für immer. Ich profitierte aber auch vom Irra tionalen der Beurteilung durch das Publikum. Just als ich mir als Radiofussballreporter die ersten Sporen abverdiente, beendete bei den Grasshoppers ein Spieler namens Thurnheer seine Karriere. Viele glaubten nun, dass ich das sei, und erkannten dementspre chend sofort mein Insiderwissen und meine profunden Kennt nisse. Ich habe nie behauptet, der Ex-Fussballer zu sein, habe mir allerdings auch keine besondere Mühe gegeben, das Missverständ nis aufzuklären …

Der Übergang vom Sport zur Unterhaltung war heikler, als ich gedacht hatte. Karl Erb, die grosse TV-Sportreporter-Autorität, riet mir dringend davon ab. «Als Unterhaltungs-August wirst du innert Kürze deine Glaubwürdigkeit als Journalist verlieren und im Sport fortan einen schweren Stand haben.» Kurz vor seinem Tod gestand er mir, dass er sich damals geirrt habe. In den Grund zügen hatte seine Aussage aber schon zugetroffen. Ich meisterte diese schwierige Kurve nur mit Glück und einer Portion Intuition. Das grössere Problem stellte sich jedoch andersherum. «Der Beni macht aus jedem Quiz einen Fussballmatch», hiess es immer wie der. Für das TV-Publikum bedeutete allein der Klang meiner Stim me einfach «Sport». Wahrscheinlich wäre das auch noch so gewe sen, wenn ich an einer Abdankungsfeier gesprochen hätte …

Hätte ich mir vielleicht einen anderen Namen zulegen sollen, als ich Unterhaltungssendungen zu moderieren begann, und so sozusagen nochmals bei Null beginnen können, ohne Sportreporter- und Schnurri-Image?

So hat es Voltaire gemacht. Wirklich?

Sie glauben doch nicht etwa, dies sei sein richtiger Name gewesen? Das will ich jetzt aber persönlich von ihm wissen!

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Herr Voltaire, wieso haben Sie sich einen Künstlernamen zugelegt?

Meinungsfreiheit statt Vorurteile

Herr Voltaire, eigentlich heissen Sie ja François Marie Arouet. Wieso haben Sie sich einen Künstlernamen zugelegt?

Voltaire: Ich wollte besser gehört werden! Als Bürgerlicher war man zu meiner Zeit einfach im Nachteil.

Philosophische Erkenntnisse wurden nur diskutiert, wenn sie aus dem Kreis des Adels stammten. Deshalb legte ich mir den adeligen Namen de Voltaire zu.

Sie haben unter diesem Namen zeitlebens für Toleranz gekämpft. Warum?

V. : Als Schriftsteller brauchte ich die Meinungsfreiheit und die Voraus setzung dafür wiederum ist die Toleranz.

Wie schwierig war dieser Kampf?

V. : Er hat mir viel Ärger eingebracht. Die katholische Kirche verteidigte ihr Monopol auf die Auslegung der Welt und liess die Bücher ihrer Feinde oder sogar diese selber verbrennen.

Was gab es sonst noch für Schwierigkeiten?

V. : Ganz praktische! Meinungs freiheit kann sich naturgemäss nur entfalten, wo es mehrere Meinun gen gibt, also in der Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit versuchte ich herzustellen durch meine Publi kationen einerseits und durch die vielen Briefe, die ich an aufge schlossene Adelige schrieb, andererseits.

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29 FRANÇOIS MARIE AROUET, GENANNT VOLTAIRE (1694–1778) Französischer Philosoph und Schriftsteller, Theologe «Das stärkere Argument muss zählen und nicht einfach die Meinung des Einflussreicheren.»

Was schrieben Sie konkret?

V. : Dass das stärkere Argument zählen sollte und nicht einfach die Meinung des Einflussreicheren.

Für Frankreich war das neu, in Eng land gab es das schon. Wieso gerade da?

V. : Die Engländer hatten mit ihrer grossen religiösen Zersplitterung gar keine andere Wahl, wenn sie nicht ins Chaos stürzen wollten.

Deshalb gingen Sie dorthin.

V. : Na ja, nicht ganz freiwillig. Ich hatte die Wahl zwischen einem Leben in der Bastille, dem Staats gefängnis, oder im Exil, also im Ausland.

Was haben Sie in England dazugelernt?

V. : Dass die Aufklärung nicht bloss eine interne Sache der Naturwis senschaften ist. Sie bedeutet auch Propaganda für die Freiheit des Geistes und Kampf gegen die Dun kelmänner der Kirche, die das neue Weltbild mit allen Mitteln zu sabotieren versuchten.

Wie sah denn Ihr neues Weltbild aus?

V. : Man nennt es das deistische Weltbild. Die Welt wurde von Gott

erschaffen, inklusive der darin ent haltenen Naturgesetze. Nicht mehr und nicht weniger. Alle anderen religiösen Vorstellungen, z. B., dass Gott immer wieder auf die eine oder andere Art individuell ein greift, sind naiv.

Das bisherige Weltbild eine Fehlleis tung auf Grund von Naivität?

V. : Naivität und jede Menge falscher, unbewiesener Vorurteile. Schauen Sie sich doch nur all die metaphysi schen, naturkundlichen oder mora lischen Vorstellungen an, für die es keine vernünftigen Gründe gibt. Naturlehre, Medizin, Religion, alles durchseucht von Vorurteilen.

Da werden die abstrusesten Dinge behauptet. Auch die gesellschaft lichen Ungleichheiten beruhen auf reinen Vorurteilen.

Weshalb Sie sich zum Beispiel den Namen Voltaire zulegen mussten, um gehört zu werden! Damit schliesst sich der Kreis. Herr Voltaire, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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Intuition

Wieso habe ich mich damals für eine Karriere als Sportreporter und gegen eine solche als Jurist entschieden? Letzteres schien doch erfolgversprechender und lukrativer.

Wieso habe ich zwanzig Jahre später innert Sekunden Nein gesagt zu Anfragen, ob ich Chef beim Sport am Radio und später sogar beim Fernsehen werden wolle, obwohl ich gute Chancen auf diese Posten gehabt hätte? Ein Zuwachs an Ansehen, Einfluss und Geld wäre mir sicher gewesen. Wieso habe ich nie zum Privatfern sehen gewechselt, obwohl man mir dort den roten Teppich ausge rollt hätte? Wieso habe ich Angebote als Chefredaktor einer Illus trierten, als Fussballklub-Präsident und als Ständeratskandidat abgelehnt? Es war Intuition. Es war mein Bauchgefühl. Es war je denfalls nicht der analytische messerscharfe Verstand.

In meiner Kindheit hielt ich mich stets an die klar ersicht lichen Fakten und das, was mir meine Eltern sagten. Als Teenager und Twen schwenkte ich dann immer mehr auf die Intuition um, mit dem entsprechenden Konflikts- und Erklärungspotenzial. Im reiferen Alter merkte ich wiederum, dass einen ein blosses Gefühl auch auf eine komplett falsche Fährte locken kann. Unterdessen glaube ich, eine taugliche Balance zwischen Verstand und Intui tion gefunden zu haben.

Diese Intuition ist schon eine faszinierende und irgendwie auch geheimnisvolle Sache. Kennst du da eventuell einen Experten?

Mehrere! In diesem Fall würde ich Ihnen Baruch Spinoza empfehlen.

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«Gott ist die eine
aus der alles hervorgeht.
ist
und Natur in einem. Alle Dinge sind
dieser einen
auch wir selber.»
32 BARUCH SPINOZA (1632–1677) Niederländischer Philosoph
Substanz,
Sie
Denken
Modifikationen
Substanz,

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