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Die wechselvolle Rennkarriere

Hans Pierens Markenzeichen war die Konstanz – und das Fehlen ganz grosser Siege. Der Adelbodner Skilehrersohn fiel schon früh auf. Seine Stärke waren die ausgezeichnete Grundtechnik und die Beharrlichkeit, wenn er Rückschläge verarbeiten musste. Umso mehr genoss Hans den grössten Erfolg seiner Skikarriere: den zweiten Platz am 22. Januar 1992 am Chuenisbärgli, dem Hang, auf dem er als kleiner Bub das Skifahren gelernt hatte.

Im Frühling 1981 schliesse ich meine Lehre als Koch ab und schaffe den Sprung in die B-Nationalmannschaft, die dritthöchste Kategorie im Schweizerischen Skiverband. Mit gehörigem Respekt rücke ich in die ersten Sommer-Trainingslager in Saas-Fee, Zermatt und Sölden ein. Es gilt, sich mit etablierten Fahrern zu messen, die teilweise schon Weltcuperfahrung haben. Ich war nie ein «Trainingsweltmeister» und brauche jeweils eine gewisse Anzahl Skitage, um auf Touren zu kommen. Doch ich habe ein festes Ziel: den Weltcup-Riesenslalom in Adelboden! Wenn ich im Kreis meiner Teamkollegen eine entsprechende Bemerkung fallen lasse, nehmen die Trainingskameraden den Wunsch angesichts meiner eher mittelmässigen Zeitläufe nicht besonders ernst.

Endlich beginnt die ersehnte Rennsaison. Der Start gelingt mir recht gut, ich fahre ansprechende FIS- und Europacuprennen. Doch die Qualifikation für Adelboden ist noch nicht geschafft. An einem FIS-Rennen im österreichischen Kirchberg muss ich mich noch gegen Urs Näpflin und Walter Sonderegger durchsetzen, um das ersehnte Adelboden-Ticket zu ergattern. Es gelingt! Meine Genugtuung ist gross, ich habe es meinen Kameraden gezeigt, die mich im Sommer noch belächelt haben. Am 12. Januar 1982 fahre ich im deutschen Bad Wiessee mein erstes Slalom-Weltcuprennen. Dann kommt der 19. Januar: Ich starte an meinem Hausberg zum allerersten Weltcup-Riesenslalom. Mein Traum ist wahr geworden. Im ersten Lauf erreiche ich den vierzehnten Rang. Ich erinnere mich, wie mir meine jüngere Schwester Cornelia kurz vor dem

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Start «viel Glück, Hans!» über das Absperrseil zuruft. Sie ist gerade am Skifahren, der Rest des Rennens interessiert sie nur am Rande. Nach dem zweiten Durchgang belege ich Platz fünfzehn – mein erster Weltcuppunkt! Ich bin stolz. Nicht jeder schafft das schon in seinem zweiten Weltcupeinsatz. Auch der «Blick» nimmt Notiz von mir. Er schreibt: «Spätzünder Pieren wird fünfzehnter» – dies notabene vier Tage vor meinem zwanzigsten Geburtstag… Vom Erfolg beflügelt, trete ich eine Woche später wiederum in Kirchberg zu einem weiteren Weltcup-Riesenslalom an. Auf der recht weichen Piste gelingt es mir gut, den tiefen Fahrrinnen zu folgen, ich erreiche im ersten Lauf mit Startnummer 49 den vierten Platz. Leider gelingt der zweite Durchgang mit der frühen Startnummer 2 weniger gut, es bleibt Platz siebzehn – immerhin, ich habe meine Visitenkarte im Weltcup abgegeben.

Das beste Riesen-Team aller Zeiten

Wir haben eine äusserst starke Riesenslalom-Mannschaft: Pirmin Zurbriggen, Max Julen, Thomas Bürgler, Martin Hangl, Jean-Luc Fournier, Joel Gaspoz, und Jacques Lüthy liefern ein Spitzenresultat nach dem anderen ab. Wir sind die mit Abstand beste Equipe in dieser Disziplin. Wenn ich Zehnter werde, sind meist drei oder vier Schweizer besser klassiert. Alle belegen regelmässig Plätze unter den ersten zehn, einige sind Sieg- und Podestfahrer. Jacques Lüthy ist Olympia-Bronzemedaillen-Gewinner. Es herrscht ein extremer Konkurrenzkampf, der uns alle anspornt.

Der Ski-Röstigraben

Im Team haben sich zwei Gruppen gebildet: die Romands und die Deutschschweizer. Es ist nicht einfach, als Neuling Fuss zu fassen. Ich verstehe mich zwar mit allen gut, bin jedoch lange Zeit trotzdem eher ein Aussenseiter. Dies nicht zuletzt, weil ich in den ersten Jahren zwischen Weltcup-, Europacup- und

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Die altertümliche Skispitze mit Widmung war ein Geschenk der Familie Werni Arnold aus Dietlikon. Hans Pieren freute sich über die originelle Erinnerung an seinen ersten Weltcuppunkt. Es war das erste Fan-Geschenk seiner Karriere.

Das Schönrieder Riesenslalom-Supertalent Michael von Grünigen war einer der Leader im erfolgreichen Schweizer Team.

(Keystone)

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FIS-Rennen hin- und herpendeln muss, denn meine Resultate im Weltcup sind nicht gut und regelmässig genug, um genügend FIS-Punkte zu ergattern. Die beiden Oberwalliser Freunde Pirmin Zurbriggen und Max Julen sind ruhige Typen. Die Welschen machen oft ihr eigenes Ding und sind ziemliche Schlitzohren. Martin Hangl und Thomas Bürgler sind gute Zimmerkollegen, Martin ist gleich alt wie ich. Mit ihm fahre ich während meiner Karriere die meisten Riesenslalomrennen. Für den Samnauner Hangl ist die Anfahrt ins Training nach Zermatt eine halbe Weltreise. Er nimmt das günstige, zollfreie Benzin aus der elterlichen Tankstelle kanisterweise im Auto mit.

Gegen Ende der Achtzigerjahre kommt eine neue Generation ins Weltcupteam. Paul Accola sagt geradeheraus, was er denkt, ist aber ein lieber Kerl mit einem weichen Kern. Pauli ist ein richtiges Natur- und Bewegungstalent. Urs Kälin ist ein ruhiger, ehrgeiziger Schaffer und ein guter Kollege, Steve Locher ein Talent und ein Schlingel, der gut zu den Romands passt. Mit Martin Knöri, Patrick Staub und Michael «Mike» von Grünigen kommen drei weitere Berner Oberländer hinzu. Martin ist während der nächsten Jahre mein Auto- und Zimmerkollege. Auch er ist ein Riesenslalomspezialist. Wir verstehen uns sehr gut und verbringen wohl mehr Zeit zusammen als mit unseren Familien zu Hause. Bald stellt sich beim sympathischen Mike von Grünigen heraus, dass er ein Riesenslalom-Ausnahmetalent ist. Da wir aus derselben Region stammen, fahren wir ebenfalls ab und zu gemeinsam an die Rennen. Dabei kommt es zu sehr persönlichen Gesprächen. Er ist mir nicht böse, als ich im Konditionstraining bei einem Sturz das Trial-Motorrad seines Schwagers beschädige. Bei diesem Zwischenfall bekommen sechs meiner Zähne einiges ab. Ihre Reparatur ist deutlich aufwendiger als jene des Töffs. Meine Zwillinge zu Hause haben wohl ein wenig Bedauern mit dem Vater, aber sie freuen sich dennoch über den süssen Griessbrei und den Milchreis, der nun tagelang auf dem Speiseplan steht, bis ich wieder beissen kann.

Doch zurück zum Verlauf meiner Karriere. In meinem zweiten Weltcupjahr erreiche ich im Slalom in Parpan den sechsten Platz – es sollte der beste Slalom meiner Karriere bleiben. An den Riesenslaloms in Adelboden und im schwedischen Gällivare belege ich die Ränge zehn und vierzehn. Für die Selektion ins A-

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Röstigraben hin oder her – die beiden Markenkollegen Jacques Lüthy und Hans Pieren verstanden sich.

(Brecht Stüssi)

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Kader reicht es noch nicht; es zählen die FIS- und nicht die Weltcuppunkte. Die beiden zweiten Riesenslalom-Plätze aus dem Europacup vermögen es nicht zu ändern. Leider kann ich den Start-Schwung der beiden ersten Weltcupsaisons nicht weiterziehen und erreiche in der Wettkampfperiode 1983/84 keine Spitzenplätze mehr. Im Europacup reichen ein Slalom- und ein Riesenslalomsieg sowie zwei zweite Plätze nicht für einen Aufstieg in die A-Mannschaft. Deshalb verbleibe ich bis im Frühling 1985 im B-Team – eine zähe Zeit in meiner noch jungen Laufbahn. Zu Beginn des Winters 1984/85 fehlen gute Resultate, auch im Europacup. Doch mein Trainer Erwin Cavegn glaubt an mich und schenkt mir den Einsatz in Adelboden mit den Worten: «Hans, in Adelboden fährst du, das ist dein Hang!» Und tatsächlich, fast aus dem Nichts gelingt mir vor meiner Haustür endlich wieder ein Spitzenplatz: Am 15. Januar 1985 werde ich am Chuenisbärgli mit Startnummer 36 Fünfter. Es ist mein erstes Weltcuprennen in Adelboden ohne meinen Vater. Das bedeutet die ersehnte Qualifikation für die A-Mannschaft. Auch ohne Top-Ten-Ergebnis verbleibe ich 1985/86 dort.

Am 13. Dezember 1987 erreiche ich am Riesenslalom in Alta Badia ex aequo mit Joel Gaspoz den dritten Rang und qualifiziere mich für die erste Startgruppe. Nun gehöre ich zu der Crème de la crème der Riesenslalomfahrer. Dort verbleibe ich bis zur Saison 1990/91; dann büsse ich meinen Platz unter den besten fünfzehn Athleten wieder ein. Zurzeit zählen noch die FIS-Punkte für die Einteilung, was die Leistungen an den Weltcuprennen nicht richtig widerspiegelt. Hätten – wie ab der kommenden Saison – nur die Weltcuppunkte gezählt, wäre ich besser klassiert. Drei Podestplätze in Europacup-Riesenslaloms zahlen sich mit FIS-Punkten nicht genügend aus. Im Frühling 1991 muss ich, als Siebzehnter des Riesenslalom-Weltcup-Klassements, sogar den Platz unter den nach FIS-Punkten ersten dreissig Riesenslalomfahrern preisgeben – ich belege Platz zweiunddreissig. Bei den internen Selektionen versetzen mich die Trainer zurück ins BKader – da hat der eine oder andere Verantwortliche die Gelegenheit genutzt, mir eins auszuwischen, wohl weil ich ab und zu offen meine Meinung sage und deshalb nicht zu den besonders «pflegeleichten» Athleten gehöre. Es gilt, die Enttäuschung abzuschütteln und den Blick nach vorne zu richten. «Jetzt erst recht!» ist die Lösung.

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Dynastar, Atomic, Rossignol

Die ersten fünf Weltcupsaisons bestreite ich mit der französischen Skimarke Dynastar mit Marker-Bindungen. Ich brauche neuen Schub und wechsle auf die Saison 1986/87 zur österreichischen Marke Atomic und auf Bindungen der Marke Look. Die Lange-Skischuhe behalte ich. Bei Atomic fühle ich mich schnell und für lange Zeit wohl. Der Besitzer Alois Rohrmoser ist ein Patron der alten Schule; er gibt mir viel Vertrauen. Alois ist bekannt dafür, dass er lange Zeit Verträge per Handschlag abgeschlossen hat. Doch während der Saison 1990/91 gewinne ich den Eindruck, dass Atomic seine Vormachtstellung eingebüsst hat. Zurzeit ist mein ehemaliger liechtensteinischer Trainingskollege Andreas Wenzel Rennchef bei der Marke. Ich wünsche mir einen Ski, der in der Spitze härter ist, und tue mein Anliegen Andy kund. Er reagiert zögerlich, es geht nicht vorwärts. Ich muss selbst aktiv werden, wenn ich das Problem lösen will. Doch davon später.

Wenzel eröffnet mir, dass ich für die Amerika- und Schweden-Tournee mit dem Servicemann einer anderen Nation vorliebnehmen müsse. Keine gute Neuigkeit für mich: Das bedeutet viel Zeitverlust und Umtriebe. Ich fühle mich bei meinem Ski-Ausrüster nicht mehr willkommen. Man scheint das Vertrauen in mich verloren zu haben. Im darauffolgenden Frühling, nach einem Tennisspiel mit meiner Frau Ursi, sage ich zu ihr: «Ich müsste den Mut haben, den Ski zu wechseln. Man glaubt bei Atomic nicht mehr richtig an mich.» Dem steht jedoch entgegen, dass ich noch einen recht guten Vertrag mit der Firma habe. Der Verlust meines Platzes in der A-Nationalmannschaft stärkt meine Verhandlungsposition nicht gerade. Wenzel ergreift die Gelegenheit, er kündigt mir den laufenden Vertrag. Nun ist eingetroffen, was ich nicht den Mut gehabt habe, selbst in die Wege zu leiten.

Rossignol und Hanspeter Oesters sanfter Druck

Ich brauche einen Ski, der funktioniert. Aufbauarbeit in einer jungen Firma, etwa dem Schweizer Unternehmen Stöckli, kann ich mir als fast dreissigjähriger Fa-

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