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Vergessen gehört dazu
Vergessen ist menschlich
Das Gehirn läuft auf Hochtouren. Einer Überlastung beugt unser Denkorgan vor, indem es Nebensächliches vergisst. Doch wie viel Vergesslichkeit ist noch normal?
Angela Bernetta
Wo ist der Schlüssel schon wieder? Ist das Bügeleisen ausgesteckt? Und wie lautet der Pin für das Smartphone nochmal? Alle kennen sie, die kleinen Aussetzer, die einen täglich auf Trab halten. «In unserer schnell getakteten, informationsüberladenen und immer älter werdenden Gesellschaft kommen sie häufig vor», weiss
Annelies Roncari, Gedächtnistrainerin und Co-Präsidentin des Schweizerischen Verband für Gedächtnistraining (SVGT), aus Erfahrung.
Unser Gedächtnis ist ein einmaliges, aber auch anfälliges Meisterwerk: Erschöpfung, Unkonzentriertheit, Aufregung, Stress oder ein Gläschen zu viel und es lässt uns im Stich, egal ob man jung oder alt ist. Bereits ab Anfang dreissig baut das menschliche Gehirn langsam ab. Ab dem 50. Lebensjahr lassen Denktempo und geistige Reserven merklich nach. Betroffen davon sind vor allem unsere Gedächtnisleistungen, die über das ganze Gehirn verteilt und miteinander vernetzt sind. Gleichwohl ist unser Denkorgan in der Lage, ein Leben lang zu lernen und bis ins Alter auf hohem Niveau zu funktionieren.
Unwichtiges vergessen
Das menschliche Gehirn arbeitet ökonomisch. Anders als eine Festplatte speichert es nicht einfach alles ab, sondern filtert, aktualisiert und mistet ständig aus. Wer also das Handy vergessen hat oder den Namen der Nachbarin nicht mehr weiss, muss nicht sofort zur Neurologin oder zum Neurologen rennen. Unser Denkorgan vergisst bewusst Gelerntes und Erfahrenes. Roncari erklärt das folgendermassen: «Das Gehirn trennt Wichtiges von Unwichtigem, fokussiert auf die Dinge, die für unser (Über-)Leben wichtig sind und speichert diese ab.» Durch ein Gleichgewicht von Vergessen und gespeicherten Informationen passen wir uns an neue Situationen an, werden flexibler und können Zusammenhänge erkennen. «Das Gedächtnis ist nicht dazu da, Informationen über eine lange Zeit zu erhalten», halten die Autor*innen einer Studie über die Dauerhaftigkeit von Erinnerungen rund um den kanadischen Neurowissenschaftler Blake Richards ergänzend fest. «Erinnerungen dienen viel mehr dazu, eine Grundlage für wichtige Entscheidungen in unserem Leben zu ermöglichen.»
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Beim Einkaufen etwas zu vergessen ist nicht per se ein Zeichen für ein schlechtes Gedächtnis.
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Sie tun sich und Ihren Angehörigen Gutes, wenn sie Ärger und Streit auch mal vergessen.
Vergessen lernen – eine Anleitung
Vergessen ist keine schlechte Angewohnheit, die man mit allen Mitteln verhindern muss. Im Gegenteil: Sie schützt uns. Denn die Fähigkeit, Ereignisse aus dem Gedächtnis zu verdrängen, ist lebenswichtig. Wer sich alles merken kann, dreht ziemlich sicher irgendwann durch oder verkommt zum Neurotikeroder oder zur Neurotikerin. Nachstehend ein paar Tipps, die das Vergessen begünstigen können:
• Wer sich unnötig blamiert oder schlechte Erfahrungen gemacht hat, blöde Sprüche über sich ergehen lassen musste, an Liebeskummer leidet oder sonst wie drangsaliert worden ist, tut gut daran, sich den Schmerz von der
Seele zu schreiben. Den entsprechenden Zettel kann man in der Folge feierlich verbrennen und mit ihm all die schrecklichen und unangenehmen Erinnerungen, die mit dem
Geschriebenen einhergehen. • Wer Stress und Streit am Arbeitsplatz, unter Freund*innen oder in der Familie hat, vergisst am besten die ganze
Vorgeschichte, die dazu geführt hat und konzentriert sich auf das Naheliegende. In der Regel relativieren sich Zorn und Ärger von selbst, da man so lediglich einen Haufen liebenswerter Menschen vor sich sieht, die einfach etwas überreagieren und nerven. Diese Strategie lässt sich auf alle
Probleme anwenden, die einen belasten. Es lohnt sich also, gelegentlich einfach den geistigen Reset-Knopf zu drücken. • Man kann sich auch aktiv darum bemühen, etwas zu vergessen. Es gilt dabei lediglich, dem Verdruss eine positive Erinnerung im Gedächtnis entgegenzusetzen.
Jedes Mal, wenn einem die unangenehme Szene mit dem anderen in den Sinn kommt, denkt man an einen schönen
Moment, den man mit diesem Menschen erlebt hat.
Vergessen schützt vor Ungemach
«Geist und der Seele tut es gut, wenn wir ab und zu einfach vergessen können», sagt Roncari. Würden wir nämlich alles, was wir sehen, riechen und hören, und alle, denen wir im Laufe des Lebens begegnen, als Erinnerung abspeichern, hätten wir ein Problem, stellt Robert G. Koch, Allgemeinmediziner und Autor des Buches «Der Schlüssel zum Gehirn», fest. Vergessen ist ein wichtiger Prozess im Gehirn, der uns vor Belastungen schützt (siehe Interview mit Lutz Jäncke).
Auf die leichte Schulter nehmen sollte man eine anhaltende Vergesslichkeit dann aber doch nicht. Denn hinter permanenter Schusseligkeit könnten gut behandelbare, oder ernstzunehmende Krankheiten stecken. Annelies Roncari rät auf folgende Signale zu achten: «Wer anhaltende Gedächtnisprobleme hat, die das Arbeitsleben und den Alltag beeinträchtigen, sollte diese ärztlich abklären lassen. Dies etwa dann, wenn die Merkfähigkeit markant leidet und die zeitliche und räumliche Orientierung immer stärker eingeschränkt sind.»
Alle anderen, die ihrem zerstreuten Geist als Folge einer ganz normalen Form der Vergesslichkeit etwas entgegensetzen möchten, ist zu bewusstem, aufmerksamem und achtsamem Handeln geraten. Wer etwa bügelt, sollte das Bügeleisen nach getaner Arbeit bewusst und langsam wieder ausstecken. Aber auch regelmässiges Gedächtnistraining, wie es der Schweizerische Verband für Gedächtnistraining anbietet oder Meditation können die Aufmerksamkeit im Alltag und folglich die Lebensqualität fördern und verbessern.
Interview
«Wir müssen uns von unnötigem Erinnerungsballast befreien, und das bedeutet Vergessen», sagt Lutz Jäncke, Professor für Neuropsychologie an der Universität in Zürich. Zwar können wir schlechte und/oder traumatische Erlebnisse verdrängen aber nicht vergessen.
«natürlich»: Lutz Jäncke, was passiert im Gehirn, wenn wir uns erinnern?
Lutz Jäncke: Beim Erinnern rekonstruieren wir unsere Vergangenheit. Hierzu nutzen wir einzelne Erinnerungselemente, die in unserem Gedächtnis gespeichert sind und bauen um diese herum eine Erinnerungsgeschichte auf. Das bedeutet, dass wir unsere Vergangenheit interpretieren. Wir speichern sie nicht wie auf einer Festplatte ab, sondern wir gestalten sie. Deshalb ist unser Gedächtnis so fehleranfällig und vor allem subjektiv.
Wir speichern Informationen also nicht eins zu eins ab?
Wenn wir alles «eins zu eins» abspeichern würden, wäre unser Gedächtnisspeicher schnell gefüllt und wir könnten nichts Neues mehr aufnehmen und abspeichern. Der von mir oben angesprochene Rekonstruktionsmechanismus ermöglicht uns, anhand wenigen gespeicherten Informationen eine Vielfalt von Erinnerungen zu rekonstruieren. Die Mehrzahl der Rekonstruktionen ist einigermassen korrekt, aber eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Erinnerungen ist auch falsch. Wir bezeichnen diese Erinnerungen als «false Memories», also falsche Erinnerungen.
Wieso erinnern wir uns vor allem an starke Gefühle?
Unsere Erinnerungen werden, einfach ausgedrückt, in Netzwerken gespeichert. Dabei werden Gefühle, Wahrnehmungen und Fakten miteinander verwoben. Das führt dazu, dass beim Erinnern eines Teils dieses Netzwerkes die anderen Teile mitaktiviert und in den Erinnerungsprozess miteinbezogen werden. Gefühle sind oft sehr eindrücklich und essenziell für uns. Sie sind für unser Überleben sehr wichtig, denn sie signalisieren Bedeutsames. Deshalb verankern sie sich in unserem Gedächtnisnetzwerk, sind schwer zu löschen und leicht abrufbar. Gefühle können in den Gedächtnisnetzwerken auch als Verstärker fungieren. Das bedeutet, dass Gedächtnisinhalte, die an Gefühle gekoppelt sind, schnell erinnert werden.
Was und wieso vergessen wir?
Vergessen ist sehr wichtig, mitunter wichtiger als Behalten. Wenn wir alles behalten und erinnern müssten, wären wir kaum noch lebensfähig. Alles erinnern zu müssen, ist pathologisch und ein Symptom verschiedener neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen. Wir müssen uns von unnötigem Erinnerungsballast befreien, und das ist Vergessen. Unser Gedächtnisnetzwerk muss Platz und Gelegenheit haben, um die sinnvollen Erinnerungen zu speichern. Deshalb speichern wir vor allem jene Ereignisse, die für uns wichtig sind. Was wichtig ist, wird vor allem durch das wiederholte Auftreten der zu erinnernden Ereignisse festgelegt – Wiederholen ist die Mutter des Lernens. Aber auch die beim Lernen beteiligten Gefühle signalisieren, wie wichtig eine zu lernende Information ist.
Wie vergisst man schlechte oder gar traumatische Erlebnisse?
Das ist eine sehr gute Frage und bis heute nicht perfekt zu beantworten. Leider verankern sich traumatische Ereignisse wegen ihrer starken Gefühlsbeteiligung sehr stark und kaum löschbar in unseren Gedächtnisnetzwerken. Es wird derzeit sehr intensiv daran geforscht, um diese Verankerungen pharmakologisch und durch andere neurophysiologische Interventionen zu löschen. Die Befunde sind teilweise vielversprechend aber noch nicht geeignet, um eine flächendeckende Therapie einzuführen. Die meisten traumatischen Erinnerungen unterdrücken wir bewusst oder unbewusst in den Tiefen unseres Unterbewusstseins. Dort bleiben sie oft lange verborgen und können sich doch manchmal seine Wege ins Bewusstsein bahnen. Wirklich genau verstehen wir diese Phänomene bislang nicht. Wir wissen aber, dass sie vorhanden und für eine Reihe von psychiatrischen Erkrankungen verantwortlich sind.
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Heute in der Villa Kunterbunt
Nur was grosse und was kleine Kinder mögen, kommt hiermit auf den Tisch. Selbstgemachte Teigwaren, versteht sich. Schweizer Knöpfli sind jetzt angesagt. Doch mausgrau, das geht gar nicht. Schliesslich isst das Auge mit. Und echt muss alles sein, auch die Farben. Kürbis, Spinat und Randen: 1, 2, 3 – fantastisch ist die Zauberei.
Zutaten
für 4 Personen
200 g Biofarm Halbweissmehl 100 g Biofarm Dinkelhalbweissmehl 1 TL Salz 1.5 dl Milchwasser (½ Milch, ½ Wasser) 3 Eier Salz 80 g Randen, gekocht 100 g Kürbis, gekocht, z.B. Knirps 80 g Spinat, fein gehackt Salzwasser siedend
Zubereitung
Knöpfli
1. Mehle und Salz in einer Schüssel mischen, in der Mitte eine
Mulde eindrücken. 2. Milchwasser und Eier verrühren und nach und nach unter
Rühren in die Mulde giessen. 3. Mit einer Kelle mischen und solange klopfen, bis der Teig glänzt und Blasen wirft. Zugedeckt ca. 30 Minuten quellen lassen. 4. Den Teig in drei Schüsseln verteilen. 5. In eine Schüssel die gekochte, feingeraffelte Rande hinzufügen und alles gut verrühren. In die nächste Schüssel den gekochten und pürierten Kürbis dazugeben und verrühren. In die letzte Schüssel den fein gehackten Spinat einrühren. 6. Den Teig der Farbe nach portionenweise durch ein Knöpfli-
Sieb direkt ins siedende Salzwasser streichen. 7. Sobald eine Portion verarbeitet ist, die an die Oberfläche steigenden Knöpfli mit einer Schaumkelle herausnehmen, abtropfen und auf einer Platte anrichten.
Bärner Öpfelchueche
Anna Husar Alpe-Chuchi Berner Oberland
weberverlag.ch ISBN 978-3-03818-148-4 CHF 39.– / EUR 35.–
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Zutaten
für eine Tarte-Form ø 24 cm
250 g Mehl 50 g brauner Zucker 125 g Butter Salz 400 bis 500 g Äpfel 2 Eier 1 EL Zitronensaft ½ Zitrone (Schale) 1 Prise Zimt 100 ml Milch 150 ml Vollrahm brauner Zucker
Zubereitung
Berner Apfelkuchen
1. Für den Teig Mehl mit Salz und Butter mit den Händen fein zerbröseln. 60 ml Wasser dazugeben und schnell zu einem glatten Teig kneten, zwischen zwei Backpapierblättern ausrollen und im Kühlschrank ein wenig ruhen lassen (er soll nicht zu fest werden, sonst muss er wieder bei Zimmertemperatur etwas auftauen, damit man ihn in die Backform geben kann). 2. Eine Form mit dem Teig füllen, mit der Gabel mehrmals anstechen und für 5 Minuten zurück in den Kühlschrank stellen. In der Zwischenzeit Äpfel halbieren, entkernen und in
Schnitze schneiden. In der Form verteilen, mit braunem
Zucker bestreuen und bei 200 Grad 15 Minuten backen. 3. Für den Guss Eier mit Zitronensaft, geriebener Zitronenschale, Zimt, Milch und Rahm vermischen und über die Äpfel giessen. Bei 200 Grad weitere 15 bis 20 Minuten backen.