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Bildung Beratung Arbeitsmarkt

PANORAMA Nr. 6 2016

Qualifizierung von Erwachsenen Wovon sprechen wir, wenn wir «qualifizieren» sagen? Sind Berufsfachschulen für Erwachsene der richtige Weg? Welchen Stellenwert hat die Validierung in der Schweiz?

Rahmenlehrplan allgemeinbildender Unterricht Keine Revision, aber viele Herausforderungen. | Seite 18 Berufsberatungsstellen mit ISO und EFQM Intern und extern Vertrauen aufbauen. | Seite 24 Scheitern bei der beruflichen Eingliederung Was nicht vorgesehen ist, bleibt unsichtbar. | Seite 32

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Bildung Beratung Arbeitsmarkt

PANORAMA Die Fachmedien PANORAMA unterstützen Fachleute der Berufsbildung, der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung und des Arbeitsmarkts mit Informationen und Dienstleistungen in ihrer Arbeit.

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Die Fachzeitschrift PANORAMA ist die führende Fachzeitschrift in der Schweiz für die Berufsbildung, für die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung und für Arbeitsmarktthemen. PANORAMA informiert sechs Mal im Jahr vertieft über Erfahrungen aus der Praxis, über Forschungsergebnisse und neue, zukunftsgerichtete Entwicklungen. PANORAMA erscheint in einer deutschen und einer französischen Ausgabe.

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28. JULI

| 2012-06

aktuell

NEWS UND HINWEISE

Liebe Leserinne Auf der Website n und Leser Bitte beachten PANORAMA.ch finden Sie auch den aktualisie Sie den Newslette r auch als rten Veranstalt PDF. ungskalen BERUFLIC der. HE 1. Masterpla GRUNDBILDUNG n Berufsbild 2. ung ist erschiene NEWS UNDBBT-Newsletter 28. JULI «Qualität n HINWEISE 3. Verbundp | 2012-06 leben»: Schwerpu artner-Tag 4. Kaufmänn ung: nkt Talentförd Liebe Leserinne ische GrundbildUnterlagen sind erung 5. Neue n und verfügbar ung: Neue Auf der WebsiteBestimmu Leser Branche ngen in der 6. NE: Bauen und PANORAM Verordnun Bitte beachtenKanton fördertA.ch Wohnen g über die finden Ausbildun Sie auch berufliche den Newslette Erwachse den aktualisie gSie Grundbild ner ohne HÖHERE INHALT r auch rten Veranstalt ung Abschluss BERUFSB als PDF. ILDUNG ungskalen BERUFLIC7. Prüfungsordnung UND WEITERB der. GRUNDBI in Vernehmla ILDUNG 8.HE Pflegeber 1. Masterpla LDUNG ssung ufe: Kosten und n Berufsbild 9. Westschw 2. 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aktuell

aktuell

Webseite www.panorama.ch Die Webseite www.panorama.ch ist die Dienstleistungsplattform von PANORAMA mit Hinweisen auf r e Veranstaltungen und offene Stellen in Ihrem Fachbereich. Im Archiv können Artikel und Meldungen n Ban ng aus früheren Ausgaben der Zeitschrift und des Newsletters recherchiert werden. Auf der Webseite werbu kann Bannerwerbung platziert werden. Die Seite hat über 10 000 Besucher pro Monat. Schwerpunktthemen der Fachzeitschrift 2017 Ausgabe

Fokus*

Anzeigenschluss

Erscheinungsdatum

1/2017

50 und mehr

30. Januar 2017

24. Februar 2017

2/2017

Flüchtlinge

27. März 2017

21. April 2017

3/2017

Risiko

29. Mai 2017

23. Juni 2017

4/2017

Berufliche Selbstständigkeit

31. Juli 2017

25. August 2017

5/2017

staatlich – privat

25. September 2017

20. Oktober 2017

6/2017

Kader

13. November 2017

8. Dezember 2017

* Änderungen vorbehalten Herausgeber SDBB | Redaktion PANORAMA Haus der Kantone | Speichergasse 6 | 3001 Bern | Tel. 031 320 29 63 redaktion@panorama.ch | www.panorama.ch

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EDITORIAL Von Stefan Krucker, Chefredaktor

Qualifizierung von Erwachsenen FOKUS

4 Qualifizieren, Qualifikation – Begriffe mit Tücken | J. Laschkolnig Die Bedeutung reicht vom Aufzeigen von Entwicklungsschritten bis zum Dokumentieren des Leistungsstandes.

6 Erwachsenengerechte Berufsbildung | E. Wettstein, M. Maurer, H. Neuhaus Berufsbildungszentren für Erwachsene sollen deutlich mehr Personen zu einem Abschluss führen als heute. Das Modell und die Reaktionen.

10 Validierung in der Schweiz | Interviews: I. Rollier Deli Salini vom EHB zeigt den aktuellen Stand auf. Vanessa Rémery hat die . Interaktionen zwischen Beraterin und Lernendem untersucht. 13 Wien fördert mich | D. Fleischmann Mit dem «Qualifikationsplan Wien 2020» und dem Modulsystem «Kompetenz mit System» investiert Österreich in die Qualifizierung.

BERUFSBILDUNG

18 In der Mitte eines langen Weges | Interview: D. Fleischmann Der Rahmenlehrplan des allgemeinbildenden Unterrichts muss zwar nicht . revidiert werden, aber es sind Verbesserungen nötig. Ein Fachgespräch. 21 BFS-Studie: Westschweizer Kantone reagieren | L. Perret Ducommun Die Quote der EBA-Lehrvertragsauflösungen liegt in der Romandie deutlich höher als in der Deutschschweiz. Was verbirgt sich hinter den Zahlen?

BERUFSBERATUNG

24 Intern und extern Vertrauen aufbauen | I. Rollier Drei Chefs von Berufsberatungsstellen berichten über ihre Erfahrungen mit . ISO und EFQM. 26 Schnupperlehren effizient nutzen | M. Rubin Im Seeland erhalten Jugendliche während fünf Tagen vertiefte Einblicke in . Berufswelten. Sie sollen danach gezielter schnuppern. 27 Geschlechtersensible Berufswahl | J. Lüthi Schweizer Jugendliche wählen ihre Berufe sehr geschlechterstereotyp. Ein Online-Lernspiel will Gegensteuer geben. Mit zwei Rezensionen.

ARBEITSMARKT

30 Auf dem Weg zu einer besseren Beratungsqualität | Ch. Aeschlimann Die Solothurner RAV haben Qualitätsstandards für die Beratungsgespräche . entwickelt und überprüfen diese laufend.

32 Vom Scheitern beruflicher Eingliederung | Interview: Ch. Bitz Ist berufliche Integration für alle möglich? Die Soziologin Martine Zwick Monney bezweifelt dies.

GLOSSE

34 Berufe mit Zukunft | P. Kraft Autopilot/in EFZ

Wer bereits gut ausgebildet ist und nicht gerade durch die Betreuung des eigenen Nachwuchses ausgelastet ist, besucht fleissig Weiterbildungen und erlangt Zertifikat um Zertifikat. Wer noch gar kein Zertifikat besitzt, hat es deutlich schwerer. An möglichen Wegen zu einer anerkannten beruflichen Grundbildung mangelt es zwar nicht. Sie als Expertin, als Experte kennen die Wege auswendig, oder nicht? Ehrlich gesagt, ich musste nachschauen: Weg 1: via berufliche Grundbildung, Weg 2: via verkürzte berufliche Grundbildung, Weg 3: via Zulassung zur Abschlussprüfung, Weg 4: via Validierung von Bildungsleistungen. Zur Validierung von Bildungsleistungen: Assistentin Gesundheit und Soziales kann man auf diesem Weg in GE, VS und ZH werden. Detailhandelsfachmann in BE, GE und VS. Fachfrau Betreuung zusätzlich auch in FR, NE und ZH. Und so weiter. Das ist kompliziert. Zwar gibt es in jedem Kanton ein Eingangsportal, wo man sich beraten lassen kann. Aber auch das darauffolgende Verfahren enthält zahlreiche unnötige Hürden, wie eine Evaluation im Kanton Zürich kürzlich zeigte. Unter anderem daher plädieren Emil Wettstein, Markus Maurer und Helena Neuhaus in diesem Heft für einen radikalen Neuanfang. Es sollen Berufsbildungszentren für Erwachsene geschaffen werden, welche berufsbegleitende, modulare Lehrgänge mit einheitlichen, schlanken Eintritts- und Abschlussverfahren anbieten. Wir haben je eine Expertin aus SBFI, Travail. Suisse, Baumeisterverband und Berufsberatung zu ihrer Meinung dazu befragt. Die Reaktionen sind eher verhalten. Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung. Ausserdem in diesem Heft: Deli Salini beschreibt die Validierung in der Schweiz und wirft einen Blick ins Ausland. Apropos Ausland: PANORAMA organisiert im nächsten Mai wieder einmal eine Studienreise – nach Wien, wo unter anderem bemerkenswerte Programme zur Qualifizierung und Beratung von Erwachsenen (und Jugendlichen) auf die Beine gestelllt wurden. Reisen Sie mit? Die Ausschreibung finden Sie auf der Rückseite dieser Ausgabe. PANORAMA 6| 2016 — 3


FOKUS

Qualifizierung von Erwachsenen

Qualifizieren, Qualifikation – Begriffe mit Tücken Die Bedeutung des Begriffs Qualifikation reicht vom Aufzeigen von Entwicklungsschritten bis zum Bestätigen des Leistungsstandes. Erwachsene sind für alles Qualifizierende sensibilisiert und wollen den Sinn von Prüfungen nachvollziehen können. Von Jenny Laschkolnig, aeb Schweiz

Ein Blick in die Stellenbörsen zeigt, dass Qualifikationen in unserer Gesellschaft und in der Arbeitswelt ein wesentliches Gütesiegel darstellen: Stets werden qualifizierte Personen gesucht. Dabei werden formale Qualifikationen gegenüber informell erworbenen Qualifikationen bevorzugt, obwohl Validierungs- und Äquivalenzverfahren oder Sur-Dossier-Aufnahmen durchaus möglich sind. Qualifikationen in Form von Abschlussprüfungen sind auch in der Erwachsenenbildung immer noch die Regel. Doch: Was bedeutet «qualifizieren» und «Qualifikation» überhaupt? Unterstützen und beurteilen Das Verb qualifizieren geht auf das lateinische qualificare zurück, welches bedeutet:

näher bestimmen, mit einer bestimmten Eigenschaft versehen. Es setzt sich zusammen aus qualitas (Qualität) und facere (machen). Die gemäss Duden synonym verwendeten Verben ausbilden, befähigen, fortbilden, schulen, trainieren, vorbereiten, weiterbilden zeigen die Bedeutung dieses Begriffes für den Bildungsbereich. Bei einer kritischen Betrachtung fällt auf, dass weder der Ursprung noch die Synonyme des Wortes auf das gebräuchliche Verständnis von qualifizieren als bewerten und beurteilen hindeuten. Da qualifizieren mit «eine Qualifikation erwerben, erlangen» definiert wird, gilt es auch den Begriff der Qualifikation genauer unter die Lupe zu nehmen. Hier zeigen sich zwei relevante Bedeutungen: «durch Ausbil-

dung, Erfahrung o. Ä. erworbene Befähigung zu einer bestimmten (beruflichen) Tätigkeit» oder «Voraussetzung für eine bestimmte (berufliche) Tätigkeit (in Form von Zeugnissen, Nachweisen o. Ä.)». Aus dem Sport ist die Qualifikation bekannt, mit der man sich durch eine bestimmte Leistung für den weiteren Wettkampf qualifiziert. Qualifikation als Befähigung für eine bestimmte berufliche Tätigkeit kann schlecht spontan gezeigt und damit nachgewiesen werden. Für eine bessere Übersicht über vorhandene Kompetenzen erfüllen Abschlüsse und Zertifikate eine wichtige Rolle. Prüfungs- und Promotionsordnungen regeln daher neben dem Aufbau des Lehrgangs vor allem die zu erwerbenden Kompetenzen.

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Die Lehrpersonen in Aus- und Weiterbildungen müssen also die Brücke schlagen vom Trainieren und Unterstützen bis hin zum Bewerten und Beurteilen. Daher haben sich verschiedene Beurteilungsformen entwickelt: Während bei der formativen Beurteilung das Aufzeigen von Entwicklungsschritten im Vordergrund steht, will die prognostische Beurteilung Aussagen machen zur Eignung und die summative Beurteilung enthält ein abschliessendes Urteil über den Leistungsstand. Qualifikation im Sinne des Bewertens hat viele Facetten Der curriculare Rahmen eines Bildungsangebotes gibt vor, wie Qualifikation verstanden wird. Es wird beschrieben, in welcher Form Qualifikation im Sinne des Befähigens umgesetzt wird und wie Qualifikation im Sinne des Bewertens vorgenommen wird (Prüfungsprozess). Das pädagogische Verständnis des Prüfens kann anhand der folgenden Fragen konkretisiert werden: • Wozu führe ich Prüfungen durch? Regelmässige Prüfungen erlauben eine Standortbestimmung und ermöglichen Hinweise für die weitere Kompetenzentwicklung. Für den Lernprozess entscheidend ist das sogenannte «Assessment for learning» (meist formativ/prognostisch). Für eine inhaltliche Leistungsbeurteilung eignet sich das «Assessment of learning» (meist summativ). • Was will ich prüfen? Die Lernziele der Ausbildung müssen in den Prüfungen repräsentativ abgebildet werden. Auch müssen sich die Prüfungsanforderungen klar auf die Anforderungen der Praxis beziehen. Aus kompetenzorientierter Perspektive geht es beim Prüfen nicht um das Abfragen abstrakten Wissens, sondern um den Nachweis von Handlungskompetenzen in konkreten Situationen. Prüfungen sind so zu gestalten, dass sie typische Arbeitssituationen möglichst realitätsnah simulieren. Je realistischer die Prüfungsanlage ist, desto verlässlichere Aussagen lassen sich über die Ausprägungen der relevanten Handlungskompetenzen machen.

• Wie will ich prüfen? Bei ganzheitlicher Betrachtung des Lernprozesses ist auf einen abgestimmten Methodenmix von Wissens-, Verständnis-, Anwendungs-, Umsetzungs- und Reflexionsaufgaben zu achten. Dieser Mix dient der umfassenden Förderung der lernenden Person. • Wie will ich auswerten? Die Auswertung der Prüfungsleistungen sollte anhand klarer Beurteilungskriterien vorgenommen werden. Die Kriterien sollten mit Indikatoren und Standards operationalisiert werden und allen Beteiligten bekannt sein. • Welche Qualitätsansprüche an meine Prüfungen habe ich? Um die Qualität einer Prüfung zu sichern oder zu heben, sind bei der Konstruktion die folgenden Krite-

Die Schul- und Ausbildungsjahre hinterlassen bei den Lernenden eine prägnante Beurteilungsbiografie, nicht selten verbunden mit Ängsten und Blockaden. rien zu berücksichtigen: Gültigkeit (Misst die Prüfung, was sie messen soll?), Verlässlichkeit (Wie genau misst die Prüfung die zu prüfenden Merkmale?), Objektivität (Sind die Ergebnisse einer Prüfung unabhängig von der durchführenden Person?) und Ökonomie (Stehen die für die Prüfung notwendigen Ressourcen in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen?). Nicht jede Art der Prüfung (mündlich, schriftlich, praktisch oder Kombinationen) entspricht gleichermassen diesen Qualitätskriterien, in der Praxis sind oft Abstriche in den einzelnen Kriterien notwendig. Erwachsene richtig qualifizieren Die zahlreichen Prüfungen der Schul- und Ausbildungsjahre hinterlassen bei den Lernenden eine prägnante Beurteilungsbiografie, nicht selten verbunden mit Ängsten und Blockaden. Deshalb sind Erwachsene in einem hohen Masse für qualifizierende Elemente sensibilisiert, sind kritisch und wollen Sinn und Nutzen hinter Prüfungen erkennen und verstehen können.

Die Qualifikation von Erwachsenen sollte daher die folgenden Aspekte berücksichtigen: • Die Qualifikationsverfahren sind stimmig. Sie ermöglichen eine Vielfalt von Prüfungen und enthalten auch interaktive Formen. • Es werden mehr formative Beurteilungen (Assessment for learning) als summative Verfahren (Assessment of learning) vorgenommen. • Den lernenden Personen wird Wertschätzung entgegengebracht. Sie werden motiviert durch Feedback, Beratung, Ermutigung, Vertrauen – auch bei der Kommunikation von Vorgaben, Sanktionen oder Selektionsentscheiden. • Die Sinnhaftigkeit und der Nutzen von Beurteilungen müssen nachvollziehbar sein. • Der Praxisbezug und die Aktualität für die berufliche Tätigkeit müssen erfüllt sein. Daraus ergeben sich die folgenden Aufgaben für die Ausbildungs- und Lehrpersonen: • Überdenken von Qualifikationsformen und -kriterien im Rahmen der Vorgaben der Curricula • Vielfältige Methodik mit ganzheitlichem Blick auf die zu erwerbenden Handlungskompetenzen • Sensibilisierung sowohl für die Leistung als auch für den Prozess • Einbezug von Selbst- und Fremdeinschätzung • Bewusstheit über mögliche Beurteilungsfehler • Gezielte Qualitätsentwicklung und -sicherung nicht nur das Unterrichten, sondern auch das Prüfen betreffend Generell ist es sinnvoll, wenn der ursprüngliche Sinn des Begriffes des Qualifizierens – das Unterstützen, Fördern und Befähigen – wieder stärker bewusst gemacht und in den Vordergrund gestellt wird.

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FOKUS Qualifizierung von Erwachsenen

Berufsbildungszentren für Erwachsene

Ein Modell für eine erwachsenengerechte Berufsbildung Gegen eine Million Erwachsene arbeiten in unqualifizierten Tätigkeiten, weil sie keinen nachobligatorischen Abschluss besitzen oder dieser veraltet ist. Von ihnen erwirbt nur eine kleine Minderheit einen Berufsabschluss. Das «Modell 2025» soll Abhilfe schaffen. Von Emil Wettstein (Berufsbildungsprojekte), Markus Maurer (Pädagogische Hochschule Zürich) und Helena Neuhaus (zukunftsgestaltung.ch)

In der Schweiz besitzen 550 000 Personen im Alter von 25 bis 64 Jahren keinen nachobligatorischen Bildungsabschluss. Dazu kommen etwa 400 000 Erwerbstätige mit einem Berufsabschluss, die einen beruflichen Abstieg erlebt haben und nun an Stellen ohne Anforderungen an Berufskenntnisse arbeiten. Sie führen in der Regel unqualifizierte Arbeit aus, sind vermehrt arbeitslos oder benötigen finanzielle Unterstützung. Dabei wären viele von ihnen durchaus in der Lage, einen Abschluss zu erwerben. Das hier vorgeschlagene System will es ihnen ermöglichen. Es leistet auch einen Beitrag zur Deckung des Fachkräftemangels, der quantitativ in erster Linie ein Mangel an «Facharbeitenden» (Erwerbstätige mit Berufslehre) ist, wie eine Umfrage von Manpower 2015 ergab.

nasium. Für Erwachsene, die eine Maturität erwerben wollen, hat man eigene Mittelschulen eingerichtet oder ermöglicht ihnen eine Ausbildung an einer Privatschule. In vielen Kantonen gibt es sogar eine gesetzliche Obergrenze für den Eintritt in reguläre Mittelschulen. Für den Erwerb eines Berufsabschlusses durch Erwachsene benötigen wir ebenfalls ein System, welches den spezifischen Lernvoraussetzungen von Erwachsenen entspricht. Es muss vorhandene Kompetenzen anerkennen und berücksichtigen. Es muss

Mittelschulen machen es vor Die berufliche Grundbildung in ihrer heutigen Form richtet sich an Jugendliche. Sie setzt deshalb wenig Lebens- und Arbeitserfahrung voraus und vermittelt «alles»: Fachkenntnisse, Fertigkeiten und die für die Erwerbstätigkeit typischen überfachlichen Kompetenzen. Von den Lernenden wird erwartet, dass die Ausbildung im Zentrum steht und dass sie an schulisches Lernen gewöhnt sind. Sie haben die in der Volksschule erworbenen Grundkompetenzen noch gegenwärtig. All dies gilt nicht für Erwachsene. Wollen sie nachträglich einen Berufsabschluss erwerben, werden sie sowohl über- als auch unterfordert. Das gilt für ihr Wissen, ihre überfachlichen Kompetenzen, ihre zeitlichen Ressourcen und ihr Lernverhalten. Die Mittelschulen haben sich bereits vor Jahrzehnten darauf eingestellt: Kein Erwachsener besucht ein «normales» Gym-

darauf Rücksicht nehmen, dass sehr viele Erwachsene neben der Ausbildung zusätzliche Aufgaben zu bewältigen haben. Dazu gehört namentlich, dass sie ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie verdienen müssen. Das heutige System ermöglicht nur einer kleinen Minderheit, als Erwachsene einen ersten Abschluss zu erwerben: 2015 erhielten 8315 Personen ab 25 Jahren ein EFZ oder ein EBA, wovon etwa die Hälfte, also 4000, Erstabschlüsse sind. Die wichtigsten Gründe dafür sind die hohen Kosten, die für die Teilnehmenden beim jetzigen System entstehen (vgl. Kasten), Informationsprobleme angesichts des komplizierten Systems mit vier Wegen, die Dauer von bis zu fünf Jahren und die Schwierigkeit, einen Ausbildungsplatz zu finden.

Die Lernenden erwerben jedes Jahr einen Zwischenabschluss, der für ihr berufliches Fortkommen nützlich ist.

Das «Modell 2025» in acht Punkten Im Buch «Qualifizierung von Erwachsenen» skizzieren wir ein Modell, das die

Quote von Erwachsenen, die einen Lehrabschluss erreichen, deutlich steigern soll. Es beinhaltet die folgenden acht Punkte: 1. Genau wie es Mittelschulen für Erwachsene gibt, gibt es Berufsbildungszentren für Erwachsene, seien es nun eigenständige Schulen oder selbstständige Abteilungen bestehender Berufsfachschulen. Sie bereiten mit den Lernenden die Erfassung und Anerkennung vorhandener Qualifikationen vor und planen mit ihnen den Erwerb fehlender Kompetenzen. Sie vermitteln berufskundliches und allgemeinbildendes Wissen. Für die Ergänzung von fehlendem praktischem Können organisieren sie Praktika und Kurse in Betrieben und Ausbildungszentren. 2. Die Vorbereitung auf den Berufsabschluss ist so organisiert, dass sie sich neben einer reduzierten Berufstätigkeit und allfälliger Belastung durch Kinderbetreuung bewältigen lässt, denn nur so lassen sich die Kosten für die Teilnehmenden im Rahmen halten. 3. Soll der Berufsfachschulunterricht in eigenen Klassen für Erwachsene erfolgen – und nur so können vorhandene Kompetenzen und die zeitlichen Restriktionen wirklich berücksichtigt werden – müssen bei den meisten Berufen die Lernenden aus grossen Regionen zusammengezogen werden. Um die anfallenden Reise- und Präsenzzeiten zu reduzieren, werden die Möglichkeiten elektronischer Medien (insbesondere Blended Learning) genutzt. Dann reicht es aus, wenn sich die Teilnehmenden alle ein bis zwei Monate für zwei bis drei Tage treffen. 4. Vielen Erwachsenen fällt es schwer, eine Ausbildung aufzunehmen, die (ein-

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schliesslich Ergänzung der Basiskenntnisse) bis zu fünf Jahre dauern kann. Die ergänzende Bildung ist darum so gegliedert, dass die Teilnehmenden jedes Jahr einen Zwischenabschluss erwerben können, der für ihr Fortkommen nützlich ist, auch dann, wenn die Ausbildung nicht fortgesetzt wird. Der Lehrgang für Produktionsmechaniker des cip Tramelan zeigt, wie es geht. 5. Entscheidende Voraussetzungen für eine geringe Abbruchrate sind eine konstante Begleitung durch eine Vertrauensperson und eine Gruppenbildung unter den Lernenden, damit sie sich auch gegenseitig stützen können. Deshalb wird den Lernenden eine Kontaktperson zugeordnet, die sie ab Planung der Ausbildung über Anerkennung und Ergänzung der Kompetenzen bis zum Abschluss des Verfahrens begleitet. Das Coaching erfolgt vorzugs-

weise in Gruppen und versteht sich als Hilfe zur Selbsthilfe bei auftretenden Schwierigkeiten aller Art. 6. Für jeden Beruf wird eine Kommission eingesetzt, die ähnlich zusammengesetzt ist wie die Qualitätssicherungskommission von Berufs- und höheren Fachprüfungen. Sie ist verantwortlich für die Anerkennung vorhandener Kompetenzen und für die Durchführung des Abschlussverfahrens und verfügt über die notwendige Gestaltungskompetenz. Heute existieren zwei Wege, um berufsbegleitend noch einen Abschluss zu erwerben, die in verschiedener Hinsicht nicht befriedigen. Bei den Berufs- und höheren Fachprüfungen existiert bereits ein schlankes und allgemein anerkanntes Verfahren. Es ist einfacher aufgebaut, weniger durchstrukturiert und die Abschlüsse werden dennoch von den Arbeitgebern anerkannt. Zentrales Ele-

Kosten der Berufsbildung für Erwachsene Es ist zwischen direkten und indirekten Kosten zu unterscheiden. Zu den direkten Kosten zählen der Aufwand für die Abklärung der vorhandenen Qualifikationen, für die ergänzende Bildung, allenfalls fürs Qualifikationsverfahren sowie für Beratung und Begleitung. Gemäss Vollkostenrechnung des Bundes betragen sie bei Jugendlichen 13 000 Franken, weshalb wir diejenigen für Erwachsene auf 15 000 Franken pro Jahr und Ausbildungsverhältnis schätzen. Dies würde bei 20 000 Erwachsenen rund 300 Millionen Franken pro Jahr bedeuten. Dies entspricht 9 Prozent der zurzeit anfallenden Kosten von 3,521 Milliarden Franken (2012) für die Berufsbildung oder 0,9 Prozent der Aufwendungen von 35 Milliarden Franken für das ganze Bildungswesen, wenn sie voll von der öffentlichen Hand übernommen werden. Bei Mittelschulen für Erwachsene ist dies in manchen Kantonen weitgehend der Fall. Bei den indirekten Kosten schlägt vor allem der Aufwand für den Lebensunterhalt zu Buche, wobei das Verfahren zum Erwerb des Berufsabschlusses zwei

bis fünf Jahre in Anspruch nehmen kann. Wenn es neben einer (reduzierten) Erwerbstätigkeit besucht werden kann, dürften die indirekten Kosten weitgehend von der lernenden Person aufgebracht werden können. Leider wird heute dieser Weg nur von 34 Prozent der erfolgreichen Absolventen benutzt. 66 Prozent gehen den Weg über eine Grundausbildung (Berufslehre von regulärer oder verkürzter Dauer) und erhalten in der Regel nur einen – allenfalls erhöhten – Lehrlingslohn. Dies führt zu einem zusätzlichen Finanzierungsbedarf von über 100 000 Franken pro Person. Soll die Zahl von heute 8000 Abschlüssen pro Jahr auf 20 000 erhöht werden und besuchen weiterhin 66 Prozent den Weg über die Grundbildung, ergeben sich somit Kosten von 1,4 Milliarden Franken pro Jahr. Es ist deshalb wichtig, dass möglichst viele interessierte Personen ihren Abschluss über eine erwerbsbegleitende Weiterbildung besuchen können, was mit dem «Modell 2025» angestrebt wird.

ment, das auch die Anerkennung sicherstellt, ist die jeweilige «Qualitätssicherungskommission», die sich vor allem aus Fachleuten des jeweiligen Berufs zusammensetzt. 7. Dank begleitender Erwerbstätigkeit können die Teilnehmenden ihren Lebensunterhalt weitgehend selbst bestreiten, weshalb die indirekten Kosten klein blei-

Entscheidend sind eine konstante Begleitung durch eine Vertrauensperson und eine Gruppenbildung unter den Lernenden. ben. Die direkten Kosten (Anerkennungsverfahren, ergänzende Bildung, Betreuung) werden durch Beiträge der öffentlichen Hand so weit reduziert, wie dies beim Nachholen einer Mittelschulausbildung geschieht. 8. Jede erwachsene Person mit ausreichender Arbeitserfahrung (mindestens fünf Jahre) bekommt die Möglichkeit, noch einen Berufsabschluss zu erwerben. Im Rahmen der Planungsphase wird abgeklärt und den Teilnehmenden mitgeteilt, mit welchem Aufwand sie rechnen müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Die erwähnte Kommission kann beschliessen, die weitere Teilnahme am Programm von einer Ausrichtung auf ein reduziertes Ziel abhängig zu machen. Wer nicht über die erwähnte Arbeitserfahrung verfügt, ist gehalten, eine (allenfalls verkürzte) Grundbildung zu besuchen. Für diese Gruppe (vielleicht zehn Prozent der Interessierten) eignet sich das beschriebene Verfahren nicht.

Maurer, M., Wettstein, E., Neuhaus, H. (2016): Berufsabschluss für Erwachsene in der Schweiz: Bestandesaufnahme und Blick nach vorn. Bern, hep Verlag.

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FOKUS Qualifizierung von Erwachsenen

Berufsbildungszentren für Erwachsene

Was die Expertenkollegen dazu sagen PANORAMA hat verschiedene Bildungsfachleute gefragt, was sie vom «Modell 2025» von Wettstein, Maurer und Neuhaus halten (siehe Seiten 6 und 7). SBFI

Travail.Suisse

Sabina Giger, stellvertretende Ressortleiterin und Projektverantwortliche SBFI

Eine der Errungenschaften des 2004 in Kraft getretenen Berufsbildungsgesetzes sind die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten von Berufsbildungswegen und Qualifikationsverfahren. Dank dieses offenen rechtlichen Rahmens sind viele der im «Modell 2025» vorgeschlagenen Inhalte bereits heute gelebte Realität in der Schweizer Berufsbildungslandschaft. So gibt es Kantone, die modulare Branchenzertifikate oder Allgemeinbildungsmodule als Teilabschlüsse anerkennen, die Erwachsene bei der Erfassung ihrer Kompetenzen für die Validierung begleiten oder die spezielle Erwachsenenklassen an Berufsfachschulen anbieten. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) begrüsst und fördert solche Initiativen im Rahmen des Projekts «Berufsabschluss und Berufswechsel für Erwachsene». Die Notwendigkeit, die Anrechnungspraxis über eine Systemänderung durch die Verschiebung von Zuständigkeiten und die Schaffung neuer Kommissionen zu ändern, sieht das

Das SBFI sieht keine Notwendigkeit für neue Zuständigkeiten und neue Kommissionen. SBFI allerdings nicht. Vielmehr setzt es sich für eine einheitliche und grosszügige Anrechnungspraxis in den bestehenden Gefässen sowie für eine Harmonisierung der Finanzierung der direkten Kosten ein. Zurzeit verfasst das SBFI zusammen mit den Verbundpartnern einen neuen Leitfaden, der Fragen zur Anrechnung von Bildungsleistungen klären und Kantonen und OdA bei der Entwicklung neuer Angebote dienen soll. Wie im Modell 2025 beschrieben, sind Erwachsenenklassen allerdings nur mit einer genügenden Anzahl Teilnehmenden realisierbar. Hierfür muss der Berufsabschluss für Erwachsene noch bekannter und – wie im Modell 2025 gefordert – selbstverständlicher werden. Zu diesem Zweck startet das SBFI ab 2017 eine Informations- und Sensibilisierungskampagne, die von den Verbundpartnern mitgetragen wird. Dieses Miteinander von Staat und Wirtschaft ist unabdingbar, um den Berufsabschluss Erwachsener nachhaltig und breit zu etablieren.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik bei Travail.Suisse

Der Fokus des Berufsbildungsgesetzes (BBG) ist klar auf die Jugendlichen gerichtet. Grund: Als das BBG entstand, herrschte Lehrstellenmangel, das neue Gesetz musste Lösungen präsentieren, wie das Lehrstellenproblem gelöst werden kann. Heute befinden wir uns in einer neuen Situation. Bei der Weiterentwicklung der Berufsbildung müssen neben den Jugendlichen auch die Erwachsenen in ihren unterschiedlichen Situationen (Erwachsene ohne berufliche Erstausbildung, Erwachsene vor dem Wiedereinstieg, Erwachsene nach einem Berufsfeldwechsel, Erwachsene vor einer beruflichen Neupositionierung nach 40, Arbeitnehmende über 50, horizontale Karrieren) ernst

Wege gibt es heute schon, aber sie werden zu wenig genutzt und unterstützt. genommen werden. Das Autorenteam präsentiert interessante Ideen dazu. Der Hauptgedanke: Wie es Maturitätsschulen für Erwachsene gibt, soll es auch Berufsbildungszentren für Erwachsene geben. Grundsätzlich nimmt der Lösungsvorschlag die Situation der Erwachsenen ernst. Ihre Lebens- und Lernsituation unterscheidet sich stark von denjenigen der Jugendlichen. Aus dieser Perspektive machen Berufsbildungszentren für Erwachsene Sinn. Zudem wären sie vom BBG her denkbar; nach Art. 16a. kann es neben Lehrbetrieben, Lehrbetriebsverbünden, Lehrwerkstätten, Handelsmittelschulen auch andere anerkannte Institutionen geben. Geregelt müsste allerdings werden, wer ihr Träger ist, wie ein Lehr- oder Ausbildungsvertrag mit dieser Institution aussieht und welches die Qualifikationen der Lehrpersonen sein müssen. Diese Fragen sind – glaube ich – lösbar. Problematischer sind die Vielzahl der Berufe und das Mengengerüst in einzelnen Berufen. Zudem stellt sich die Frage: Inwiefern verbessert diese Lösung das Interesse und die Motivation der Branchen und Betriebe, Mitarbeitenden eine berufliche Grundbildung zu ermöglichen? Denn Wege gibt es heute schon, aber sie werden leider zu wenig genutzt und unterstützt.

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Baumeisterverband

Riccardo Mero, Leiter Grundbildung, Schweizerischer Baumeisterverband

Erwachsene können heute auf vier Wegen eine berufliche Grundbildung abschliessen, die ihren Kompetenzen und Bedürfnissen entspricht. In der Praxis bewähren sich für Erwachsene besonders die verkürzte berufliche Grundbildung und die direkte Zulassung zum Qualifikationsverfahren. Es braucht keine weiteren Angebote. Bereits heute werden separate Klassen mit Erwachsenen in den Berufsfachschulen und in den überbetrieblichen Kursen geführt. Ob separate Klassen geführt werden können, hängt meist von den Finanzen ab und davon, ob Klassen in

Der wichtigste Teil des Lernens erfolgt in der Praxis, also auf der Baustelle, im Büro oder im Spital. Dort ist die Klassenbildung nicht relevant. einem Kanton (oder mehreren angrenzenden Kantonen) zusammengelegt werden. Gerne betone ich, dass der wichtigste Teil des Lernens in der Praxis, also zum Beispiel auf der Baustelle, im Büro oder im Spital erfolgt und dort die Klassenbildung nicht relevant ist. Die Idee, die berufliche Grundbildung zu modularisieren, erachte ich als wenig innovativ, zumal schon heute eine Art Modularisierung durch die Trennung von Berufskenntnissen und allgemeinbildendem Unterricht erfolgt. Zu beachten ist, dass es auch negative Erfahrungen mit der Modularisierung gibt. Kästchendenken und fehlende Vernetzung sind nur zwei Stichwörter, die immer wieder diskutiert werden. Apropos Praxis: Für mich fehlt der Aspekt, dass die Berufsfachschulen in Zukunft praxisorientierter ausbilden müssen. Die Bemühungen in den Berufsfachschulen in diesem Bereich gehen in die richtige Richtung. Diese Entwicklung ist nicht nur ein Vorteil für Erwachsene, sondern auch für Jugendliche. Die Finanzierung von Erwachsenen, die eine berufliche Grundbildung absolvieren, ist eine wesentliche Hürde. Der Unterschied zwischen dem Lohn des Lernenden und dem Aufwand für den Lebensunterhalt müssen Bund und Kantone übernehmen. Aufgrund der grossen Anzahl von Betroffenen ist die Finanzierung ein relevantes volkswirtschaftliches Thema.

Umfrage: Daniel Fleischmann; Übersetzung: Martina Amstutz

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OFPC

Grégoire Evéquoz, Leiter Amt für Berufsberatung, Berufs- und Weiterbildung des Kantons Genf

Das «Modell 2025» weckt bei mir gemischte Gefühle. Zum einen bin ich glücklich, weil das Modell alle Elemente eines modernen Ansatzes für die Weiterbildung und Qualifizierung von Erwachsenen umfasst. Zwischen der Erwachsenenbildung und der Ausbildung von Jugendlichen gibt es nämlich deutliche Unterschiede, etwa die unterschiedlichen pädagogischen Grundsätze und die stärkere Modularisierung bei der Anrechnung und Anerkennung von Bildungsleistungen in der Erwachsenenqualifizierung. Zudem zeigt ein Bericht des kantonalen Rechnungshofs Genf, dass die Versuche, Erwachsene in eine Klasse mit jugendlichen Lernenden zu integrieren, oft zum Scheitern verurteilt sind. Zufrieden bin ich auch, weil die Grundsätze des Modells heute in verschiedenen Kantonen umgesetzt werden. Allein im Kanton Genf durchlaufen zurzeit über 2700 Erwachsene das Programm «Qualifications+» und etwa 70 Prozent von ihnen werden mithilfe des Validierungsverfahrens ein EFZ oder ein EBA erlangen. Dies bestätigt einmal mehr, dass es bei der Umsetzung von Bildungsangeboten für Erwachsene nicht an

Das Modell enthält alle Elemente eines modernen Ansatzes für die Qualifizierung von Erwachsenen. Warum erst 2025 mit der Anwendung beginnen? theoretischen oder methodischen Konzepten mangelt, sondern vielmehr am Bewusstsein für die Notwendigkeit der Erwachsenenqualifizierung. Nun aber zur Kehrseite der Medaille: Für mich ist es unverständlich, warum man mit der Anwendung erst 2025 beginnen soll, wenn man doch jetzt schon weiss, wie’s funktioniert? Man muss jetzt schon alle Hebel in Bewegung setzen, um den Bedürfnissen der Menschen und der Wirtschaft gerecht zu werden. Dabei darf es in unserem föderalistischen System aber nicht einfach eine interkantonale Lösung geben, auch wenn man um eine Koordination über die Kantonsgrenzen hinweg natürlich nicht herumkommt. Die Lösung muss vor allem auf die kantonsinterne Schaffung von Anreizen für die Aus- und Weiterbildung von Erwachsenen abzielen. Dafür müssen natürlich die notwendigen Finanzmittel bereitgestellt werden und es gilt, die einschlägigen Aktionspläne des Bundes zu berücksichtigen. PANORAMA 6 | 2016 — 9

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FOKUS Qualifizierung von Erwachsenen

Validierung von Bildungsleistungen

«Die Information ist noch zu stark auf Institutionen ausgerichtet» Die Validierung von Bildungsleistungen hat sich in der Berufsbildung stark entwickelt und greift auf andere Bildungsstufen über. Deli Salini vom Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung beschäftigt sich im Rahmen einer internationalen Studie mit diesem Thema. Interview: Ingrid Rollier, PANORAMA-Redaktorin

PANORAMA: Welchen Stellenwert hat die Validierung bei der Qualifizierung von Erwachsenen? Deli Salini: Die Validierung ist in allen offiziellen Dokumenten Teil der Strategien, die auf die Qualifizierung von Erwachsenen abzielen. Damit ist sie zu einem wichtigen Element der schweizerischen Bildungspolitik geworden. Im nationalen Projekt «Berufsabschluss und Berufswechsel für Erwachsene» gilt sie als Schlüsselmassnahme, um den Anteil der Erwachsenen mit Berufsabschluss zu erhöhen und den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts nachzukommen.

leichtert werden kann. In Zürich wurde daraufhin die Dossiererstellung vereinfacht (vgl. PANORAMA 6/2015). Auch in der höheren Berufsbildung tut sich was. So sollen künftig die Abschlüsse «Fachperson für interkulturelles Dolmetschen und Vermitteln», «Fachperson Unternehmensführung KMU», «Kindererzieherin» (nur Romandie) und «Ausbildner» über das Validierungsverfahren zugänglich gemacht werden. Für Letztere wurden im Jahr 2014 schon 323 eidgenössische Fachausweise und Diplome ausgestellt, die über das Validierungsverfahren erlangt wurden.

Welche Entwicklungen beobachten Sie? Anfangs konnten Abschlüsse über das Validierungsverfahren vorwiegend in der Berufsbildung und in einzelnen Regionen erlangt werden. Heute ist das Validierungsverfahren in der ganzen Schweiz und auf allen Bildungsstufen verbreitet, auch wenn die Möglichkeiten je nach Kanton variieren.

In der beruflichen Grundbildung ist die Zahl der über das Validierungsverfahren erlangten Abschlüsse von 702 im Jahr 2011 auf 572 im Jahr 2014 zurückgegangen. Wie erklären Sie sich das? Es handelt sich um einen natürlichen Rückgang, den wir auch in anderen Ländern beobachten. Ursprünglich wurde das Verfahren vorwiegend über Pilotprojekte eingeführt, die viele Leute anlocken. Auf den Abschluss dieser Projekte folgt eine Regulierungsphase, die zuerst mit einem Rückgang einhergeht. In letzter Zeit sind die Zahlen wieder gestiegen.

Wie hat sich die Validierung in der Berufsbildung verändert? Im Moment befindet sie sich in der Konsolidierungsphase. Insgesamt 20 Berufsabschlüsse (19 EFZ und 1 EBA) können heute über das Validierungsverfahren erlangt werden Auch in geografischer Hinsicht hat sich einiges getan: Bis 2012 wurde das Validierungsverfahren noch vorwiegend in der Romandie angeboten, doch bereits 2014 wurden 53 Prozent der Abschlüsse in der Deutschschweiz vergeben. Die Verteilung auf die Kantone ist aber nach wie vor unausgeglichen, die Kantone Genf, Wallis und Zürich etwa sind viel weiter als die anderen. Es wurden auch schon Überlegungen angestellt, wie der Zugang zum Verfahren er10 — PANORAMA 6 | 2016

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Gibt es Branchen, die sich besser für diese Art der Qualifizierung eignen? Die am stärksten vertretenen Branchen, das heisst das Gesundheits- und Sozialwesen, die mechanische und die kaufmännische Branche, haben grosses Interesse an der Qualifizierung ihres Personals. In diesen Branchen gibt es grosse Unternehmen, die schlecht qualifiziertes Personal mit viel Entwicklungspotenzial beschäftigen. Ihr umfassendes Netzwerk erleichtert ihnen die Verbreitung von Informationen, so können

Deli Salini: «Der Austausch mit der Wirtschaft muss gefördert werden.»

sie mit ihren Pilotprojekten viele Personen anlocken. Davon abgesehen ist das Validierungsverfahren nur bei Bildungsgängen mit Qualifikationsprofil (Referenzrahmen) und Anforderungsprofil für die Allgemeinbildung möglich. Wie entwickelt sich die Validierung an den Hochschulen? Hier gibt es zum einen die Zulassung «sur dossier» für Personen ohne den erforderlichen Abschluss sowie die Teildispensierung für Studierende, denen ein Teil der Berufserfahrung im Tätigkeitsbereich des angestrebten Diploms angerechnet wird. Gegenwärtig gibt es nur zwei Abschlüsse, die vollständig über das Validierungsverfahren erlangt werden können: Berufsbildungsverantwortlicher und Berufsberaterin (vgl. PANORAMA 4/2016). Einzelne Fakultäten der Universitäten Genf und Lausanne bieten ihren Studierenden die Möglichkeit, sich von bestimmten Kursen dispensieren zu lassen. Falls erwünscht können die Studierenden auch eine persönliche Beratung und eine Begleitung in Anspruch nehmen. Die beiden Universitäten haben in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Westschweiz, die ebenfalls Teildispensierungen in allen Studiengängen Übersetzung: Martina Amstutz

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Begleitung im Validierungsverfahren ermöglicht, das Westschweizer Validierungsnetzwerk aufgebaut. Weitere Fachhochschulen erlauben die Teildispensierung ebenfalls, haben dazu aber keine formalen Richtlinien erlassen. Auch an den pädagogischen Hochschulen wurden in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren die Anrechnung von Bildungsleistungen und die Zulassung «sur dossier» eingeführt, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Das Validierungsverfahren hat also auf allen Stufen Einzug gehalten und die Zahl der zum Verfahren zugelassenen Personen ist deutlich gestiegen. Wo steht die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern? Gerade in der Berufsbildung steht die Schweiz sehr gut da. Europaweit belegt Frankreich den Spitzenplatz, die Regeln sind gut durchdacht, alle Titel der Sekundarstufe können über die Validierung erlangt werden und selbst auf Stufe Doktorat gibt es Möglichkeiten. 2014 haben fast 28 000 Personen über ein Validierungsverfahren einen Abschluss erlangt. Wie kann die Weiterentwicklung der Validierung vorangetrieben werden? Das neue Weiterbildungsgesetz sieht insbesondere vor, dass gering Qualifizierte über die Möglichkeiten, einen Abschluss zu erlangen, informiert werden. Dank der Schaffung der Einstiegsportale konnte die Information verbessert werden, doch sie ist noch zu stark auf die Institutionen ausgerichtet. Der Zugang zu den Portalen muss erleichtert werden, damit ein breites Publikum angesprochen werden kann. Die Plattform des Kantons Waadt beispielsweise hat einen grossen Schritt in diese Richtung getan. Auch der Austausch mit der Wirtschaft muss gefördert werden, die Arbeitgeber müssen dafür sensibilisiert werden, dass die Validierung das Potenzial hat, den Anteil des qualifizierten Personals zu erhöhen.

Salini, D., Voit, J. & ICF International (erscheint demnächst): European inventory on validation of non-formal and informal learning 2016: country report Switzerland.

Rollendynamik erwünscht Im Rahmen des Begleitprozesses nehmen Berater und Klientin verschiedene Rollen ein. In ihrer Dissertation analysiert Vanessa Rémery diesen Austausch. Interview: Ingrid Rollier, PANORAMA-Redaktorin

PANORAMA: Aus welchem Grund haben Sie das Begleitungsgespräch analysiert? Vanessa Rémery: Es hat mich interessiert, wie sich der Berater gegenüber dem Kandidaten positioniert. Hier habe ich mich auf das Konzept der «rapports de places» (sinngemäss: Positionsverhältnis) des Philosophen und Anthropologen François Flahault gestützt: Welche Position nehmen die Beraterin und die Klienten bei ihrem Austausch ein? Wie verändert sich das Verhältnis ihrer Positionen im Lauf des Gesprächs? Mit dem «rapport de places» drückt eine Person mehr oder weniger bewusst aus, welche Position sie in der Beziehung mit einer anderen Person einnehmen will, und definiert zugleich die Position der anderen Person. Welches sind denn die Positionen der beiden Gesprächspartner? Im Begleitprozess ist das Positionsverhältnis durch die institutionellen sozialen Rollen vorgegeben: Der Berater handelt als Begleiter, der Kandidat wird auf die Position der begleiteten Person verwiesen. Dieses Positionsverhältnis verändert sich im Lauf des Gesprächs. Der Berater und der Kandidat können allmählich andere Positionen einnehmen. Der Berater kann sich in die Position der begleiteten Person, des Gutachters, der Ausbildnerin oder des Berufsexperten versetzen. Jeder der beiden Gesprächspartner kann das bestehende Positionsverhältnis initiieren, akzeptieren, aushandeln oder ablehnen. Wie sieht das konkret aus? Ich habe ein Gespräch beobachtet, bei dem der Kandidat ein Diplom als Pädagoge anstrebte. Der Berater war selbst Pädagoge und analysierte eine vom Kandidaten beschriebene berufliche Situation. Er stützte sich auf seine eigene Berufserfahrung und

Vanessa Rémery: «Es ist wichtig, dass Beratende nicht in einem einzigen Positionsverhältnis verharren.»

verliess also seine Position als Berater und übernahm stattdessen die Position des Pädagogen. Und wenn der Berater die Interpretationen des Kandidaten beurteilt, übernimmt er die Position der Jury. Die Beziehung zwischen den beiden Personen verändert sich im Laufe des Austausches. Diese Dynamik wirkt sich günstig auf den Begleitprozess aus und bereitet den Kandidaten insbesondere auf das Gespräch mit der Jury vor. Sind solche Rollenwechsel professionell? Der Positionswechsel ist meiner Meinung nach kein Abgleiten in eine andere Funktion, sondern ein wichtiges Element der Beratungskompetenz. Es ist wichtig, dass Beratende nicht in einem einzigen Positionsverhältnis verharren. Denn auch dank dieser Komplexität kann der Kandidat im Rahmen des Validierungsverfahrens Erfahrungen sammeln. Rémery, V. (2015): Développer un discours d’expérience sur le travail. Contribution à une analyse des discours et des interactions en situation d’accompagnement à la VAE. Dissertation. Conservatoire national des arts et métiers de Paris.

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Integration in den Arbeitsmarkt

Wien fördert mich Knapp jede vierte Person in Wien besitzt keinen nachobligatorischen Bildungsabschluss. Mit Projekten wie dem «Qualifikationsplan Wien 2020» oder dem Modulsystem «Kompetenz mit System» haben die Behörden bemerkenswerte Aktivitäten zur Verbesserung der Situation entwickelt. Wien ist auch das Ziel der Studienreise von PANORAMA im Mai 2017 (siehe Inserat auf der Rückseite dieser Ausgabe). Von Daniel Fleischmann, PANORAMA-Redaktor

Christian Nowak hat ein Flair für Pointen. Als wir sein Berufsausbildungszentrum (BAZ) in Wien besuchen, führt der Geschäftsbereichsleiter uns erst am Schluss nach draussen – zur ersten Strom-Tankstelle im 20. Wiener Bezirk, die den Strom ganz aus erneuerbaren Quellen bezieht. Sichtlich stolz sagt er: «Diese Tankstelle haben unsere Absolventinnen und Absolventen der Facharbeiterintensivausbildung (FIA) gebaut, die einen Abschluss in einem Elektro- oder Metallberuf erwerben. 2013 haben wir damit begonnen, vor drei Wochen war Einweihung.» Klar, dass er sich gerne fotografieren lässt. Monatliche Neueintritte möglich Die FIA, die man am BAZ und vielen anderen Institutionen in Österreich durchlaufen kann, richtet sich an Erwachsene, die keinen nachobligatorischen Bildungsabschluss besitzen. Ihr Pendant für Jugendliche ist die überbetriebliche Lehrausbildung (ÜBA). Dabei handelt es sich um gegenüber der dualen Berufsbildung teilweise verkürzte Berufsbildungen, die zum gleichen LehrabschlussZeugnis führen. An den vier Standorten des BAZ werden jedes Jahr rund 900 Personen in Berufen wie Elektrotechnik, Stuckatur und Trockenausbau oder Gastronomie ausgebildet. Am Hauptsitz, man riecht es in den Gängen, ist eine Gruppe von Lernenden gerade daran, das Schweissen einzuüben. Der Blick in den Kursraum zeigt das typische BAZ-Bild: Neben Werkbänken und Laboreinrichtungen reihen sich Schulbänke; Theorie und Praxis sind eng verzahnt. Christian Nowak sagt: «Wer eine überbetriebliche Berufsbildung anfängt, hat trotz intensiver Bemühungen keine Lehrstelle gefunden oder ist seit gewisser Zeit ohne Arbeit. Und den Erwachsenen in der FIA ist es nicht gelungen,

im bisherigen Berufsleben einen Abschluss zu erlangen.» Dank modularer Ausbildungsstrukturen sind monatlich neue Eintritte möglich. FIA und ÜBA sind zwei von vielen Angeboten des BAZ. Ein drittes ist die Bildungsberatung, ein viertes die Jugendwerkstatt. Hier erhalten jährlich rund 300 Schülabgänger/innen die Möglichkeit, Arbeits- und Produktionsbereiche – Büro, Metall, Gastronomie, Elektronik, Baugewerbe, Medien usw. – kennenzulernen. Die Teilnehmenden erproben ihre Fähigkeiten und besuchen Praktika. Begleitend stehen Bewerbungs- und Arbeitsberatung sowie Sozialpädagogik zur Verfügung. Unterstützung mit Bildungsgutscheinen Alle diese Angebote werden vom Arbeitsmarktservice (AMS) finanziert, dem österreichischen RAV. Sabine Vilim aus dem

Büro der Wiener Geschäftsführung sagt: «In unserer Stadt besitzen 23,8 Prozent der Personen zwischen 25 und 65 keinen Bildungsabschluss nach der Pflichtschule (236 980 Personen, 2013). Sie haben deutlich schlechtere Arbeitsmarktchancen, sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen, haben weniger Einkommen und kaum berufliche Aufstiegschancen.» Sie alle will man möglichst rasch doch noch in den Arbeitsmarkt integrieren. In den Genuss der FIA kommen eher jüngere Erwachsene bis 30 Jahre, aber natürlich auch ältere. Neben dem BAZ leisten viele weitere Einrichtungen einen Beitrag zur Verringerung des Anteils formal gering qualifizierter Personen in Wien. So kommen auch Personen mit einer Beschäftigung in den Genuss von Unterstützung durch den Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF), eine Einrichtung der Stadt Wien.

Christian Nowak, Geschäftsbereichsleiter BAZ: «Gar keine andere Wahl als Qualifizierung.»

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In der Schweiz sind mehr als eine halbe Million Erwachsene gering qualifiziert oder haben keinen zeitgemässen Abschluss. Es existieren nur wenige Angebote, um einen Abschluss nachzuholen oder bereits erworbene Kompetenzen anerkennen zu lassen. Dies verwundert insofern, als die Berufsbildung für Erwachsene auf der bildungs- wie sozialpolitischen Agenda steht. Sie gilt als Instrument zur Linderung des Fachkräftemangels und als Mittel zur Armutsprävention und -bekämpfung. Autorin und Autoren dieses Buches analysieren bestehende und präsentieren neue Vorschläge, wie die berufliche Grundbildung vermehrt auf Erwachsene ausgerichtet werden kann.

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Hier erhalten Interessierte kostenlose Beratung zu beruflichen Fragen oder finanzielle Unterstützung für ihre Aus- und Weiterbildung. Mit dem «Chancenscheck» etwa lassen sich Vorbereitungskurse zum Nachholen des Lehrabschlusses mit bis zu 3000 Euro unterstützen. Gefördert werden ausschliesslich Bildungsträger, die vom WAFF anerkannt sind. Frauen, die nach einer familiären Phase wieder in den Beruf einsteigen, bekommen neben finanzieller Unterstützung ein begleitendes Coaching. Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen oder Probleme in der Lehre haben, können die kostenlose «Kümmer-Nummer» anrufen. Zugewanderte erhalten rasche Bildungsinformationen in über 20 Sprachen. Und so weiter. Fachkräftebedarf sichern Wien besitzt mit dem «Qualifikationsplan Wien 2020» auch einen Aktionsplan zur Höherqualifizierung und zur Deckung des weiterhin steigenden Fachkräftebedarfs der österreichischen Metropole. Das Strategiepapier nennt konkrete Ziele in den Handlungsfeldern «Schule und Berufserstausbildung», «Berufliche Erwachsenenbildung» und «Information und Motivation». Wir nennen nur drei: • Mehr Beschäftigte mit maximal Pflichtschulabschluss erhalten finanzielle Unterstützung beim Nachholen von formalen Bildungsabschlüssen. • Wiener Unternehmen erhalten finanzielle Unterstützung, wenn sie Mitarbeitende mit geringen Formalqualifikationen in betriebliche Weiterbildungsmassnahmen einbeziehen. • Bestehende Informations- und Beratungsangebote werden zu einer wienweiten Woche «Weiterkommen im Beruf» ausgebaut. Der Qualifikationsplan Wien 2020 bildet eine strategische Klammer bestehender Angebote und ist Impulsgeber für Innovationen. Ein Beispiel ist der «Qualifikationspass Wien», für den sich inzwischen viele weitere Bundesländer interessieren. Der Pass erlaubt die Dokumentation vorhandener Kompetenzen und Qualifikationen, die Beschreibung eines Ausbil-

Am Berufsausbildungszentrum (BAZ) in Wien erhalten erwachsene Personen eine Facharbeiterintensivausbildung, die zum Lehrabschluss führt.

dungszieles sowie der notwendigen Qualifizierungsschritte. Durch eine Datenbankanbindung bildet der Pass eine Schnittstelle, auf die Bildungsinstitutionen ebenso wie die öffentliche Arbeitsvermittlung oder Sozialbehörden zugreifen können. Der Pilotbetrieb für den Pass, der insbesondere auch datenschützerische Herausforderungen bewältigte, wurde im April 2016 erfolgreich abgeschlossen. Aus Sicht der Qualifikation von Erwachsenen interessant ist auch das Konzept «Kompetenz mit System» (KmS) des AMS, das 2009 entwickelt wurde und in ganz Österreich angeboten wird. Es ermöglicht arbeitslos gemeldeten Personen im Erwachsenenalter mit maximal Pflichtschulabschluss, über ein dreistufiges modulares System einen Lehrabschluss zu erlangen. Die Module dauern zwischen acht und 18 Wochen (je nach Lehrberuf), wobei die Bausteine jeweils in einer Phase der Arbeitslosigkeit absolviert werden. Heute existieren Schulungsbausteine in zehn Berufsbereichen. Basis der Schulungen ist eine Kompetenzmatrix, die alle Inhalte des gesetzlich geregelten Lehrberufsbildes abbildet. Bisher haben

österreichweit 4042 Personen auf diesem Weg eine formale berufliche Erstausbildung begonnen und in aller Regel abgeschlossen. Unterstützung – die einzige Chance «Wien fördert mich» – so lautet der Titel des Geschäftsberichts 2015 des WAFF. Die messbaren Erfolge der Bemühungen zur Qualifizierung von Jugendlichen und Erwachsenen sind zwar noch bescheiden, aber ein Anfang ist gemacht. 2009 verliessen 9 Prozent des Jahrgangs die Schule ohne Anschlussmöglichkeit, fünf Jahre später waren es 8,4 Prozent. 2011 erreichten 82,6 Prozent nach einer dualen Lehre das LAP-Zeugnis, 2015 waren es 85,4 Prozent. 2011 machten 1734 Wienerinnen und Wiener einen ausserordentlichen Lehrabschluss, vier Jahre später waren es 2129. Christian Nowak sagt: «In Österreich gibt es leider noch eine erkleckliche Zahl an Menschen, die sich der Notwendigkeit von Weiterbildung nicht bewusst sind. Sie brauchen einen Impuls oder Unterstützung vom Staat, um am Arbeitsmarkt reüssieren zu können. Besser als über Qualifizierung können wir die Menschen nicht vermittlungsfähig machen.» PANORAMA 6 | 2016 — 15

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BERUFSBILDUNG

Politische Vorstösse

Qualifikationsverfahren

Nationaler Qualifikationsrahmen

Basel prüft Teilzeitlehre und Lehre integrativ

Jede zehnte lernende Person scheitert

Vereinfachte Einstufung

Für junge Erwachsene mit Betreuungspflichten – oft junge Mütter – ist es schwierig, eine Berufslehre zu absolvieren. Die Arbeitszeiten sind meist nicht betreuungsfreundlich. Der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt hat einen Vorstoss von Pascal Pfister überwiesen, der die Regierung verpflichtet, hier aktiv zu werden. Sie soll zeigen, wie der Kanton Teilzeit-Lehrstellen schaffen und private Lehrbetriebe unterstützen kann. Nach unseren Recherchen existieren Teilzeitlehren aktuell nur für Sportler/innen und in Einzelarrangements. Der Rat überwies zudem einen Vorstoss zur Förderung einer integrativen Berufsbildung. Derzeit, so der Urheber des Vorstosses, Georg Mattmüller, laufen die Bemühungen der Volksschule für Schüler/innen mit Unterstützungsbedarf ins Leere, da in der Berufsbildung kaum integrative Angebote existierten.  dfl

2015 haben 91 Prozent der Kandidaten/ -innen das Qualifikationsverfahren am Ende der Berufslehre bestanden, 6230 Jugendliche scheiterten. Dieser Wert ist ein halbes Prozent besser als 2010 und variiert je nach Beruf. So haben bei den Fachangestellten Gesundheit alle 100 Kandidierenden bestanden; diese Quote erreichten auch die Zeichner Innenarchitektur oder Raumplanung, die Sägerinnen oder die Polybauer Gerüstbau. Am anderen Ende der Skala rangieren Berufe wie Isolierspengler, wo von elf Kandidaten nur drei bestanden, die Gipserinnen (Erfolgsquote 61%), die Polybauer Abdichten (64%) oder die Boden-Parkettleger/ innen (67%).  dfl

www.jungemutter.ch

www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Bildung und Wissenschaft  > Bildungsabschlüsse > Sekundarstufe II  > Berufliche Grundbildung

Der nationale Qualifikationsrahmen (NQR) für Abschlüsse der Berufsbildung soll das Niveau von Berufsabschlüssen auf dem internationalen Arbeitsmarkt verständlich machen. Das Einstufungsverfahren hat sich als zeitintensive Aufgabe für die Trägerschaften erwiesen. Um den Aufwand zu reduzieren und die Zahl der eingestuften Abschlüsse zu erhöhen, hat das SBFI entschieden, neben dem bestehenden ein vereinfachtes Einstufungsverfahren anzubieten. Dieses geht von vordefinierten Standardniveaus nach Abschlusstyp aus. Ist die Trägerschaft mit dem Standardniveau einverstanden, kann sie die Einstufung auf diesem Niveau beantragen. Das SBFI erarbeitet daraufhin einen Vorschlag für die Zeugniserläuterung oder den Diplomzusatz, der von der Trägerschaft angepasst werden kann. Will eine Trägerschaft ein höheres Niveau als das Standardniveau beantragen, kann sie weiterhin das normale Einstufungsverfahren durchlaufen.  lp www.sbfi.admin.ch/nqr

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Übersetzung: Martina Amstutz

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Supported Education

Abschluss auf Sekundarstufe II

Fachkräfteinitiative

Der bessere Weg der Integration

Integration von spät zugewanderten Jugendlichen

Weiterbildungsfinanzierung für ältere Arbeitnehmende

Um Jugendliche mit Beeinträchtigungen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, eignet sich das Modell der «Supported Education» besser als eine Ausbildung in einem geschützten Rahmen. Dies zeigt eine Studie der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH), in deren Rahmen 115 ehemalige Lernende befragt wurden. Die teilstrukturierten telefonischen Interviews zeigen, dass rund 60% der Befragten nach Ausbildungsabschluss im ersten Arbeitsmarkt arbeiten und mit ihrer Arbeitssituation zufrieden sind. Heute findet in der Schweiz die Ausbildung von Jugendlichen mit einer Beeinträchtigung meist in einer spezialisierten Einrichtung statt, die über sozial- und sonderpädagogisch geschultes Personal und den Spielraum verfügt, die Ausbildungsbedingungen den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Lernenden gezielt anzupassen. Die Ausbildungsinstitutionen bemühen sich aber vermehrt, Supported Education, das heisst eine Ausbildung im ersten Arbeitsmarkt, zu ermöglichen. Die Studie regt gezielte Unterstützung für die arbeitgebenden Betriebe im Umgang mit diesen Jugendlichen an. Verantwortliche in Ausbildungsinstitutionen hätten viel Erfahrungen und Know-how, das sie in ihrer Funktion als Jobcoaches vermitteln könnten. Bei einer Ausbildung im geschützten Rahmen sei eine Nachbetreuung besonders wichtig, um den in der Studie gefundenen Schwierigkeiten bei der Stellensuche zu begegnen. Eine solche Nachbetreuung werde von den Betrieben sehr geschätzt.  dfl

Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hat an ihrer Plenarversammlung vom 23. Juni 2016 eine Erklärung zu den Prinzipien für eine nachhaltige Integration von spät zugewanderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft verabschiedet. Die Erklärung basiert auf dem 2011 beschlossenen strategischen Ziel, dass 95 Prozent aller 25-Jährigen in der Schweiz über einen Abschluss auf Sekundarstufe II verfügen. Dieses Ziel soll nun auch für die Zielgruppe

Im Rahmen der Fachkräfteinitiative des Bundes hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) eine Analyse der möglichen Finanzierungsinstrumente für die Weiterbildung älterer Erwerbstätiger in Auftrag gegeben. Der Analysebericht des Beratungsunternehmens B,S,S. wurde am nationalen Spitzentreffen «Fachkräfte Schweiz» vom 12. September 2016 Vertretern des Bundes, der Kantone und der Sozialpartner vorgestellt. Das Ziel der Analyse war, Zielgruppen mit einer geringen Weiterbildungsbeteiligung zu identifizieren, einen Überblick über mögliche Finanzierungsinstrumente zur Verbesserung der Weiterbildungsbeteiligung zu schaffen sowie mögliche Unterstützungsmassnahmen zu skizzieren. Es hat sich gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden, mit dem Alter sinkt, die Dauer einer allfälligen Arbeitslosigkeit aber zunimmt. Ein möglicher Ausweg ist der Besuch von Weiterbildungen, bevor es zu einer Arbeitslosigkeit kommt. Mit zunehmendem Alter sinkt jedoch die Weiterbildungsbeteiligung der Arbeitnehmer. Andere Faktoren wie Herkunft oder Bildungsniveau beeinflussen diese Beteiligung allerdings noch stärker. Folglich sollten allfällige Massnahmen alle Risikogruppen, insbesondere gering qualifizierte Arbeitnehmende, einschliessen. Die Analyse untersuchte drei Instrumente auf ihre Vor- und Nachteile hin: Bildungsgutscheine, Weiterbildungsfonds und Massnahmen im Rahmen der Arbeitslosenversicherung. Die Analyse soll als Grundlage für die weitere politische Debatte dienen. Die Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» hat eine Zusammenfassung der Analyse veröffentlicht.  lp

Hofmann, C., Schaub, S. (2016): Junge Berufsleute mit Beeinträchtigungen beim Einstieg in den Arbeitsmarkt und die Rolle von «Supported Education». In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online (Nr. 30, S. 1–19). www.bwpat.de

der spät zugewanderten Personen angestrebt werden. Dafür müssen bestehende Angebote ausgebaut und allenfalls angepasst werden. Die für die Umsetzung nötigen Informationen werden zurzeit in drei Erhebungen ermittelt: Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) leitet eine Umfrage bei den Kantonen zur Schätzung der Integrationskosten. Zudem ist die KdK für eine umfassende Analyse der Integrationskosten in den bestehenden Strukturen von rund zehn Kantonen verantwortlich. Unter der Leitung der EDK werden schliesslich gute Praktiken aus den Kantonen zusammengetragen. Die Ergebnisse der Erhebungen sollen 2017 als Grundlage für die weitere Diskussion zwischen den Sozialpartnern dienen.  lp

www.dievolkswirtschaft.ch > «Weiterbildungsfonds für ältere Arbeitnehmende?»

www.edk.ch/dyn/30029.php

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BERUFSBILDUNG

Empfehlungen des SBFI zum ABU

In der Mitte eines langen Weges Der Rahmenlehrplan des allgemeinbildenden Unterrichts (RLP-ABU) muss zwar nicht revidiert werden, aber es sind Verbesserungen nötig. Dies ist die Quintessenz der Arbeit der ABU-Kommission der letzten vier Jahre. Fachleute aber sind sich einig: Die gemachten Empfehlungen können nur ein erster Schritt sein. Interview: Daniel Fleischmann, PANORAMA-Redaktor

PANORAMA: Die ABU-Kommission hat während vier Jahren den allgemeinbildenden Unterricht analysiert. Wie gut ist dieser Unterricht, Manfred Pfiffner? Manfred Pfiffner: Wir verfügen über keine Forschungen zu dieser Frage – wie wir auch keine wissenschaftlich definierten Kriterien darüber besitzen, was guter allgemeinbildender Unterricht ist. Die Expertengruppe der ABU-Kommission kommt aber aufgrund von Beobachtungen im Feld und eigenen Erfahrungen zur Einschätzung, dass sich der ABU seit seiner Einführung 1996 und der Reform 2006 gut entwickelt hat. Ich beobachte beispielsweise, dass die Berufslernenden um einiges motivierter in den Unterricht gehen als noch vor zehn Jahren. Zugleich stelle ich aber auch ausgeprägte Qualitätsunterschiede fest – zwischen einzelnen Lehrpersonen sowie einzelnen Schulhäusern und Kantonen. Ich finde den Entscheid des SBFI darum richtig, statt einer Revision eine Reihe von Empfehlungen abzugeben – etwa für eine Handreichung zur Umsetzung des RLP. Weshalb hat man auf eine Evaluation der Qualität des ABU verzichtet? Georg Berger: Die Aufgabe der ABU-Kommission ist relativ eng gefasst. Sie besteht darin, periodisch die Relevanz und Aktualität des RLP-ABU zu prüfen. Auf dieser Grundlage kann sie selber keine Wirkungsforschungen initiieren, die Sicherung der Qualität des ABU ist Sache der Kantone. Einige von ihnen – darunter Solothurn – haben vor acht Jahren nach der Revision des ABU und der Anpassungen der Schullehrpläne bei der SBBK beantragt, die Wirkung der Reform zu überprüfen – nach dem Vorbild der vier Evaluationen, die das St. Galler Institut für Wirtschaftspädagogik zum Lehrplan 1996

verfasst hatte. Leider hatte zu diesem Zeitpunkt die Überprüfung des Lehrplans der Berufsmaturität Priorität. Das SBFI schlägt unter anderem eine Handreichung zur Weiterentwicklung der Schullehrpläne vor. Sie soll didaktische Hilfen etwa zur Vernetzung der Lernbereiche «Gesellschaft» und «Sprache und Kommunikation» enthalten. Wie kamen Sie zu dieser Einschätzung? Pfiffner: Unsere Analyse zeigt, dass die Verknüpfung der Lernbereiche noch häufig ungenügend gut gelingt und die Förderung des Sprachbereichs oft zu kurz kommt. Es wird zwar mit, aber zu wenig an der Sprache gearbeitet. Mine Dal: Die Verknüpfung von gesellschaftlichen Themen mit der Arbeit an der Sprache ist in der Tat sehr anspruchsvoll. Das erlebe ich im eigenen Unterricht, aber auch über Gespräche und Beobachtungen von Kolleginnen und Kollegen. In diesem Bereich besteht auch deshalb besonderer

«Ich beobachte, dass die Lernenden um einiges motivierter in den allgemeinbildenden Unterricht gehen als noch vor zehn Jahren.» Manfred Pfiffner Handlungsbedarf, da man in den letzten Jahren aufgehört hat, über diese hohen Ansprüche und die sich stellenden Schwierigkeiten zu reden. Ich finde den Vorschlag des SBFI darum sehr gut, regionale Austauschgruppen für ABU-Verantwortliche einzurichten. Als ich 2007 zu unterrichten begann, existierten solche Gruppen. Jetzt sind sie verschwunden und ich beobachte,

dass das Verständnis für den Geist des ABU-Rahmenlehrplans schwindet. In den Gesprächen über die bei uns aktuelle Revision des Schullehrplans werden wieder Wünsche nach ganz alten Themen laut: Erbrecht, Kaufvertrag, Eherecht – Themen, die leicht zu prüfen und zu korrigieren sind. Und was erwarten Sie von der erwähnten Handreichung? Dal: Ich erwarte keine didaktische Hilfestellungen, obwohl davon die Rede ist, sondern methodische Unterstützung – ein kreatives, schnell abrufbares Methodenrepertoire, das meine im Studium erlernten Möglichkeiten erweitert. Dadurch würde mein Unterricht zwar nicht einfacher – Unterrichten ist nie einfach – aber lustvoller. Die gleiche Erwartung richte ich auch an das Weiterbildungsprogramm der pädagogischen Hochschulen; in Zürich finde ich derzeit kaum methodische Kursangebote. Berger: Die Handreichung wendet sich vor allem an Schulleitungen und kantonale Verantwortliche und soll auf einer Steuerungsebene Unterstützung bieten – bei der Weiterentwicklung von Schullehrplänen, der Festlegung von Lerninhalten oder eines Kompetenzmodells für den Spracherwerb. In diesem Bereich haben wir sehr unterschiedliche Qualitäten festgestellt. Hier wären Standards nützlich. Die Handreichung soll auch Überlegungen enthalten, wie kompetenzorientierte Prüfungsformen etabliert werden können. Berger: Die Anforderungen des kompetenzorientierten Unterrichts fordern die Schulen extrem heraus, da stehen wir erst am Anfang.

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Pfiffner: Ich vergleiche die Lehrplanentwicklung und ihre Umsetzung mit einem Wald: Seine Bäume brauchen mehr als 30 Jahre, bis sie voll entwickelt sind. Wir befinden uns nun über der Mitte dieses Prozesses. Die Schulen beginnen allmählich vermehrt nach Open-book-Prüfungen nachzufragen. Noch konsequenter finde ich allerdings den Gedanken der Abschaffung der Schlussprüfung. Ich habe in der Expertengruppe angeregt, stattdessen der Vertiefungsarbeit einen höheren Stellenwert einzuräumen. Man lehnte das ab, weil man unter anderem einen Bedeutungsverlust für den ABU befürchtet. Dal: Das ist schade, denn die Vorbereitung der Schlussprüfung widerspricht dem Grundgedanken des ABU. Wir erhalten ein halbes Jahr vor der Schlussprüfung die Themen – und dann greift das Modell «Endspurt», in dem Drill die Methode ist, die die Jugendlichen wünschen. Dabei gibt es immer wieder Lernende, die kühl kalkulieren, eine ungenügende Note in Kauf nehmen und sich innerlich vom Unterricht verabschieden. Mir gefällt das nicht. In der zweijährigen Grundbildung wird bereits heute auf eine Schlussprüfung verzichtet. Berger: Ich teile diese Überlegungen. Aus einer Klasse von Fachfrauen Gesundheit, die ich bis zum Sommer unterrichtet habe, haben zwei im Rahmen ihrer Prüfungsvorbereitung wirklich noch einmal gearbeitet und einen Lernfortschritt gemacht. Die anderen 16 lebten dem olympischen Gedanken nach, wonach Dabeisein alles sei. Schade um die Zeit! Wir müssen uns aber gut überlegen, was wir gewinnen, wenn wir es anders machen. Die vorliegenden Empfehlungen sollen das gemeinsame Verständnis des RLP-ABU fördern. Frau Dal, sind mit dem vorliegenden Papier die Schwierigkeiten, die Ihnen im Unterricht begegnen, überhaupt erfasst? Dal: Die Einrichtung von regionalen Austauschgruppen kann wie gesagt für den Unterricht wichtige Impulse geben. Aber sonst verspricht mit dieses Papier tatsächlich keine Entlastung. Beispiel Themen-

Von der Qualität und Methodik über die Abschlussprüfungen und überladenen Lehrpläne bis zum Sprachunterricht: Die drei Experten Mine Dal (ABU-Lehrerin), Georg Berger (ABU-Kommission) und Manfred Pfiffner (Expertengruppe) diskutieren ein breites Themenfeld.

vielfalt: Ich schaffe es oft knapp, die in unserem Schullehrplan erwähnten zwölf Themen zu erarbeiten, mit allen Aspekten und der konsequenten Verknüpfung der beiden Lernbereiche; den Wahlbereich kann ich kaum ganz nutzen. Das hat mit den weiteren Schwierigkeiten zu tun, dass uns zu wenige Lektionen zur Verfügung stehen und dass meine Klassen sehr heterogen zusammengesetzt sind. In der zweijährigen Grundbildung begegne ich Lernenden, die während ih-

«Die Einrichtung von regionalen Austauschgruppen finde ich sehr gut. Aber sonst verspricht mir dieses Papier keine Entlastung.» Mine Dal rer ganzen Schulkarriere fast nur Misserfolge erlebten, aber auch Lernenden, die das Niveau der Berufsmatura erreichen. Es ist enorm aufwendig, ihnen allen gerecht zu werden, dabei aktuell zu sein und die erwähnten Lernbereiche zu ver-

knüpfen. Die Binnendifferenzierung ist sehr zeitaufwendig. Ehrlich gesagt: Ich kann das nicht immer. Hätten Sie vom vorliegenden Papier Aussagen darüber erwartet, welche Ressourcen der ABU benötigt, um die Umsetzung des Rahmenlehrplans sicherzustellen? Dal: Die Massnahmen, mit denen man den gestellten Anforderungen gerecht wird, sind ja nicht leicht zu bestimmen. Nützlich wären vielleicht sprachliche Eintrittsverfahren mit Minimalanforderungen, sicher aber auch kleinere Klassen, die heute etwa 20 bis 24 Lernende enthalten, je nach Beruf. Berger: Die Erwartung, dass dieses Papier Hinweise zur Verbesserung der Unterrichtsbedingungen enthalten soll, verfehlt den erwähnten gesetzlichen Auftrag der ABU-Kommission. Gemessen an diesem Auftrag sind wir in unseren Aussagen relativ weit gegangen. Sicher wird die ABU-Kommission aber in ihrer weiteren Arbeit die Frage nach den Notwendigkeiten des ABU stellen, die dann zu einer PANORAMA 6 | 2016 — 19


BERUFSBILDUNG

Revision des RLP wird führen müssen. Wir müssen uns überlegen, was Jugendliche von morgen benötigen, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu haben und den Eintritt in die Gesellschaft zu schaffen. Aus meiner Sicht stellen insbesondere die Digitalisierung der Gesellschaft und die Internationalisierung der Wirtschaft neue Anforderungen an den RLP-ABU. Um in diesen Fragen auf sicherem Boden zu stehen, benötigen wir aber Grundlagenforschung. Pfiffner: Dem stimme ich zu. Ich verstehe in diesem Zusammenhang beispielsweise nicht, warum nicht in allen Berufen – über Ausnahmen kann man diskutieren – Englisch als Fremdsprache ein Muss ist. Mine Dal sagt, das Fuder des ABU sei heute schon überfüllt. Pfiffner: Die Klage über überladene Lehrpläne ist so alt wie die Lehrpläne selber, und die Antwort ist es auch: Wir können diese Lehrpläne ohne Schaden entschlacken. Dal: Der Erwerb des Englischen wird an den Berufsfachschulen über den bilingualen Unterricht erfolgen. Eine andere Organisationsform ist nicht denkbar, denn wir werden keine zusätzlichen Lektionen erhalten. Berger: Zürich hat hier wichtige Vorarbeiten geleistet. Der bilinguale Unterricht setzt aber die zusätzliche Qualifizierung von Lehrpersonen voraus. Wichtig ist zu-

dem, dass man anerkennt, dass diese Diskussion innerhalb der Allgemeinbildung geführt wird. Wir können von den Organisationen der Arbeitswelt nicht erwarten, dass sie Englisch in den berufskundlichen Unterricht einfügen. Derzeit reduziert die OdA der medizinischen Praxisassistenten/ -innen den Fremdsprachenunterricht von 160 auf 60 Lektionen – zugunsten des Fachunterrichts. Manfred Pfiffner, das vorliegende Papier enthält viele Begriffe wie Koordination, einheitliche Umsetzung oder unité de doctrine. Warum? Pfiffner: Weil wir die Vergleichbarkeit der ABU-Regelungen und des tatsächlich erteilten Unterrichts erhöhen wollen. Im

«Die Digitalisierung der Gesellschaft und die Internationalisierung der Wirtschaft stellen neue Anforderungen an den RLP-ABU.»

Die ABU-Kommission stellt schliesslich fest, dass die Teilnahme an Weiterbildungen in den letzten Jahren abgenommen habe. Wie gewichtig ist dieses Problem? Dal: Im Kanton Zürich ist die Teilnahme an Weiterbildungen vorgeschrieben und wird in der Mitarbeiterbeurteilung erfasst. Zugleich sind wir mit Budgetkürzungen bei der Weiterbildung und lohnwirksamen Sparmassnahmen konfrontiert. Manche Weiterbildungen, die früher von der Schule finanziert wurden, bezahle heute ich selber. Pfiffner: In manchen Kantonen hat sich auch der Umgang mit der «Stundenbuchhaltung» verändert. Die Teilnahme an Weiterbildungen führt zu Minusstunden – mit der Folge, dass auf Weiterbildungen verzichtet wird. Ich finde das Verzichten auf Weiterbildung katastrophal. Gerade der komplexe ABU mit seinem Anspruch an eine Anbindung des Unterrichts an die latente Aktualität setzt permanente Weiterbildung voraus.

Georg Berger Zeichen der Mobilität kann es beispielsweise nicht sein, dass man für die gleiche Prüfung am einen Ort eine Viertelstunde einsetzt, am anderen Ort aber drei Stunden. Es sollten alle etwa ähnlich verfahren, ohne dass wir einheitliche Regelungen – eine nationale Prüfung beispielsweise – einrichten wollen.

Die Empfehlungen des SBFI Während rund vier Jahren hat sich die verbundpartnerschaftlich zusammengesetzte ABU-Kommission mit dem Rahmenlehrplan Allgemeinbildung (RLP-ABU) auseinandergesetzt. Sie setzte eine Expertinnen- und Expertengruppe ein, die eine Analyse des ABU sowie dessen Umsetzung vorgenommen hat. Basierend auf dieser Grundlage kommt die ABU-Kommission zum Schluss, dass keine Revision des RLP-ABU erforderlich sei. Handlungsbedarf bestehe jedoch bei der Umsetzung des RLP. Ausgehend von diesem Bericht empfiehlt das SBFI den

Verbundpartnern vier Massnahmen zur Entwicklung eines verbesserten Verständnisses für den RLP-ABU: 1. Handreichung zur Umsetzung des RLP-ABU 2. Regionale Austauschgruppen für ABU-Verantwortliche und Prüfung der Schullehrpläne durch eine ABU-Ausbildungsinstitution 3. Prüfung der Aus- und Weiterbildungsstrukturen für ABU-Lehrpersonen 4. Ermittlung der Einflüsse des Lehrplans 21 auf den RLP-ABU Quelle: SBFI-News, September 2016

Mine Dal ist ABU-Lehrerin und unterrichtet seit neun Jahren allgemeinbildenden Unterricht an der Berufsschule für Gestaltung in Zürich.

Georg Berger ist Direktor des Berufsbildungszentrums Olten und Mitglied der ABU-Kommission (delegiert durch die Schweizerische Direktorenkonferenz, SDK-CSD).

Manfred Pfiffner ist Professor für Fachdidaktik der beruflichen Bildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich und Mitglied der Expertengruppe der ABU-Kommission.

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BFS-Studie

Westschweizer Kantone reagieren In der Genferseeregion werden laut BFS-Statistik 35,1 Prozent der Lehrverträge für die zweijährige berufliche Grundbildung aufgelöst. Diese Quote liegt deutlich über dem Schweizer Durchschnitt von 24,4 Prozent. Was verbirgt sich hinter den Zahlen? Von Laura Perret Ducommun, PANORAMA-Redaktorin

Das Bundesamt für Statistik (BFS) und das Eidgenössische Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) haben erstmals die Lehrvertragsauflösungen in der zweijährigen beruflichen Grundbildung mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) untersucht (siehe PANORAMA 5/2016). Dabei zeigen sich grosse regionale Unterschiede: Während die Quote der Lehrvertragsauflösungen (LVA) etwa in der Zentralschweiz bei 17,3 Prozent liegt, ist sie in der Genferseeregion (Waadt, Wallis und Genf) mit 35,1 Prozent doppelt so hoch. Was ist der Grund für diese Ungleichheit? Andere Zahlen in Genf und im Wallis Grégoire Evéquoz, Leiter des Amts für Berufsberatung, Berufs- und Weiterbildung (OFPC) des Kantons Genf, erklärt die Situation für seinen Kanton folgendermassen: «Das BFS hat für Genf eine LVA-Quote von 59 Prozent berechnet. Das OFPC kann diese Quote nicht bestätigen. Der Kanton kommt auf eine Quote von 35 Prozent, was dem Westschweizer Durchschnitt entspricht.» Tatsächlich hatte sich nach der Analyse gezeigt, dass die vom BFS einbezogenen Daten unvollständig waren. «Das BFS hat mehrere Lernende, die die berufliche Grundbildung nach 2014 erfolgreich abgeschlossen haben, nicht berücksichtigt», so Grégoire Evéquoz weiter. Deshalb wurde die Genfer LVA-Quote in den statistischen Tabellen der Studie nicht aufgeführt. In den Durchschnitt der Region Genfersee wurde sie aber eingerechnet. Das hat die Quote für diese Region auf 35,1 Prozent hochgetrieben. Hätte man nur die Quoten der Kantone Waadt (25,1 %) und Wallis (26,4 %) berücksichtigt, läge die Region in der Nähe des nationalen Durchschnitts. Doch auch im Wallis zweifelt man die veröffentlichten Zahlen an. «In den letzÜbersetzung: Rahel Hefti Roth

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ten Jahren lag die LVA-Quote für die EBALehre im Wallis mehr oder weniger konstant bei etwa 17 Prozent. Das ist weit tiefer als die 26,4 Prozent, die in den Medien veröffentlicht wurden», sagt Claude Pottier, Chef der Dienststelle für Berufsbildung des Kantons Wallis. Der Grund dafür könnten gewisse kantonale Besonderheiten sein: «Wir haben uns für eine

Die Genfer LVA-Quote wurde in den statistischen Tabellen der Studie nicht aufgeführt. In den Durchschnitt der Region wurde sie aber eingerechnet. restriktivere Zulassungspolitik zur EBAGrundbildung entschieden. Die Mehrheit der EBA-Lernenden (über 80%) haben eine IV-Anerkennung oder eine nicht lineare Bildungslauf bahn, zum Teil aufgrund von Migration», erklärt er. Die Sicht des BFS Das BFS hat die Statistiken auf der Grundlage der von den Kantonen gelieferten Daten erstellt. Die anhand verschiedener Kriterien ermittelten LVA-Quoten wurden anschliessend vom EHB berechnet. «Wir haben die LVA-Quote für den Kanton Genf nicht veröffentlicht und das in einer Anmerkung zur Grafik G7 der Taschenstatistik vermerkt», betont Markus Schwyn, Abteilungschef beim BFS. «Wir haben festgestellt, dass in diesem Kanton eine gewisse Anzahl Lernende ihre Lehre vorübergehend unterbrochen hatte, wobei der Lehrvertrag aber verlängert wurde. Solche Unterbrüche fallen nicht in den Untersuchungsbereich der publizierten Statistik. Wir müssen das für die nächste Datenlieferung mit dem Kanton Genf klären.»

Es gebe zudem verschiedene Berechnungsmethoden für die Quoten, fügt Markus Schwyn an. Das BFS habe eine Längsschnittanalyse durchgeführt, da diese klare Aussagen zu einer Kohorte ermögliche. «Andere Methoden verfolgen andere Ziele. Setzt man beispielsweise die Anzahl aller LVA innerhalb eines Jahres in Verhältnis zu allen abgeschlossenen EBA- und EFZLehrverträgen, führt das zu einer deutlich tieferen LVA-Quote.» Auch die untersuchte Population spielt eine Rolle, wie Markus Schwyn bestätigt: «Die Zusammensetzung der EBA-Lernenden ist nicht in allen Kantonen gleich. Das gilt nicht nur für den Kanton Wallis, sondern für alle Kantone und alle Bildungsstatistiken. Dieser Aspekt muss bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Die Berechnung der LVA-Quote beeinflusst er aber nicht.» Ergebnisse für die Steuerung nutzbar Auch wenn die Debatte um die Zahlen heiss läuft, ist die Verfügbarkeit einer gesamtschweizerischen Statistik doch ein wichtiger Schritt für die Steuerung der Berufsbildung. Die nächste Studie soll 2017 durchgeführt werden und neben den EBA- erstmals auch die EFZ-Lehren untersuchen. Sicher ist jetzt schon, dass die Ergebnisse auch dann wieder auf grosses Interesse stossen werden.

Übersicht zum Thema Erstellen Sie mit wenigen Klicks Ihr persönliches Themendossier: 1) www.panorama.ch aufrufen 2) «Lehrvertragsauflösung» ins Suchfeld schreiben 3) Gewünschte Artikel anklicken www.panorama.ch

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BERUFSBERATUNG

Motivationssemester

Studie

Frankreich

Private-Public-Partnership

Beruf und Berufung

Beruf: Bildungspsychologe

Das St. Galler Unternehmen «rheinspringen GmbH» unterstützt Jugendliche und junge Erwachsene mit vier unterschiedlichen Programmen. Eines davon ist «rheinspringen bridges». Mithilfe dieses Programms sollen die Jugendlichen eine Berufsausbildung antreten können; es wird im Auftrag des Kantons St. Gallen angeboten. Zuweisende Stellen sind die Berufs- und Laufbahnberatung (für Schulabgänger/innen ohne Anschlusslösung) und die regionalen RAV (für junge Erwachsene, deren Schulabschluss länger als ein Jahr her ist). Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen besuchen den Lücken schliessenden Schulunterricht, werden durch interne Jobcoachs unterstützt und eine Beraterin der Berufsberatung St. Gallen begleitet den Berufswahlprozess mit lösungsorientierten Methoden in monatlichen Kurzgesprächen.  az

Jobs.ch, Persorama und Information Factory untersuchten in der Studie «Schweiz führt» Auswirkungen von Megatrends auf Führungskräfte und Mitarbeitende: Gemäss der Studie können sich 75 Prozent der Führungspersonen mit ihrer Arbeit identifizieren – bei den Mitarbeitenden sind es 54 Prozent. Auffallend ist, dass sich die Generation Y deutlich weniger mit ihrer Arbeit identifiziert als die Generation X; die Babyboomer weisen die höchsten Identifikationswerte auf. Beim Vergleich der Branchen erzielt die Medienbranche die höchsten Identifikationswerte, das Schlusslicht bilden Versicherungen, Banken und Vermögensverwaltung. Dennoch sind laut der Umfrage nicht die Werte eines Unternehmens ausschlaggebend für seine Attraktivität, sondern bei den Mitarbeitenden «ein nettes Team» und bei den Führungskräften «der Spass an der Arbeit».  az

In Frankreich wurde eine neue Berufsgattung geschaffen, die Psychologinnen und Psychologen im Bildungswesen (psychologues de l’Éducation nationale). Sie vereint zwei Gruppen von Fachleuten, deren Tätigkeits- und Aufgabenbereiche sich gegenseitig ergänzen. Es handelt sich zum einen um Psychologen mit Spezialisierung im Bereich «Bildung, Entwicklung und Lernen» (Schulpsychologen), die auf der Primarstufe und in Stützangeboten zum Einsatz kommen, und zum anderen um Psychologen mit Spezialisierung im Bereich «Bildung, Entwicklung, Studien- und Berufsberatung», die Schüler/innen der Sekundarstufe und Studierende in ihrer Bildungslaufbahn begleiten. Zu dieser Gruppe gehören auch Leiter von Berufsberatungsund Informationszentren.  ir

www.rheinspringen.ch

www.education.gouv.fr > Concours, emplois, carrières > Les métiers de l’éducation nationale

www.information-factory.com

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Studie

Leitfaden Berufswahl

Beratung von Erwachsenen

Wer hat Angst vor dem Übergang?

Unterstützung sozial benachteiligter Eltern

Neue Wege

Die beiden Forschenden Stefan Wolter und Katharina Jaik befragten Schüler/ innen im Kanton Bern zu Beginn des achten und Ende des neunten Schuljahres, ob sie beabsichtigten, ein Zwischenjahr einzuschalten. Die Untersuchung konzentrierte sich auf die Frage, wie

Das Institut Lernen und Sozialisation der Pädagogischen Hochschule der FHNW hat die Aufgaben von Eltern im Berufswahlprozess und den Unterstützungsbedarf untersucht. Auf der Basis dieser Ergebnisse entstand ein Leitfaden mit 44 Kriterien. Der Leitfaden ist eine Orientierungshilfe für Verantwortliche von Angeboten, welche sozial benachteiligte Eltern in der Berufswahlphase ihrer Kinder unterstützen wollen. Nach diesen Kriterien zeichnen sich gute Angebote auf folgenden vier Ebenen aus: Sie bauen die negativen Effekte fehlender materieller Ressourcen ab, stärken die emotionale Unterstützung, unterstützen das Bewusstsein über den Wert von Bildung und fördern das Wissen über das Bildungssystem und die Berufswahl. Der Leitfaden enthält Hinweise zur Planung und Umsetzung

Jugendliche, die eine Zwischenlösung wählen, glauben häufiger als ihre gleichaltrigen Kollegen/-innen, dass andere Menschen oder die Umstände für sie entscheiden. sich externale und internale Kontrollüberzeugungen auf Absicht und Entscheidung auswirken, den Übergang in die nächste Bildungsstufe zu verzögern: mit einem 10. Schuljahr, einem Praktikum oder Sprachkursen. Jugendliche, die anfänglich die Absicht hatten, ein Zwischenjahr einzuschalten und trotzdem direkt in die Sekundarstufe II eintraten, wiesen eine signifikant höhere internale Kontrollüberzeugung auf als Jugendliche, die ein Zwischenjahr absolvierten. Externale Kontrollüberzeugung korrelierte mit der Absicht, eine Zwischenlösung anzustreben. Diese Absicht erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich ein Zwischenjahr gewählt wurde, um mehr als 50 Prozent. Aus den Ergebnissen folgern Wolter und Jaik, dass die Wahl einer Zwischenlösung mit der Unfähigkeit zusammenhängt, Entscheidungen zu fällen: Die Jugendlichen glauben, dass andere Menschen oder Umstände für sie entscheiden.  az Jaik, K., Wolter, S. C. (2016): Lost in Transition: The Influence of Locus of Control on Delaying Educational Decisions. Universität Zürich, Swiss Leading House «Economics of Education».

Das Eidgenössische Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) hat im September 2016 eine Fachtagung zur Beratung von Erwachsenen durchgeführt. Berufsberater/innen aus dem Burgund stellten die «Berufsentwicklungsberatung» vor, eine neue Dienstleistung für Erwerbstätige, die sich Gedanken über ihre aktuelle Beschäftigung machen und/oder sich beruflich neu orientieren wollen. Jonas Masdonati, Professor am Psychologischen Institut der Universität Lausanne, sprach über die Psychologie des Arbeitens. Dieser Ansatz berücksichtigt die Ungleichheiten, mit denen Individuen bei der Arbeit aufgrund ökonomischer oder sozialer Faktoren konfrontiert sind. In der Erwachsenenberatung geht es um die Unterscheidung zwischen Personen, die selber grossen Einfluss auf ihre berufliche Zukunft haben, und solchen, deren Handlungsspielraum beschränkt ist. Bei der zweiten Gruppe gestaltet sich die Eingliederung oft schwierig. Letzteren soll die Beratung ermöglichen, sich der sozialen Faktoren, die ihre berufliche Situation beeinflussen, bewusst zu werden und besser auf individuelle und kontextbedingte Faktoren zu reagieren. Um den Zugang zu einer befriedigenden Erwerbstätigkeit zu fördern, muss das individuelle und das kollektive Handlungsvermögen weiterentwickelt werden.  ir www.ehb.swiss > Veranstaltungen  > Veranstaltungs-Archiv Duffy, R. D. et al (2016): The Psychology of Working Theory. In: Journal of Counseling Psychology (Nr. 2[63], S. 127–148).

solcher Angebote. Diese Arbeiten wurden im Rahmen des Nationalen Programms gegen Armut geleistet. Ein Schwerpunkt des Programms befasst sich mit der Förderung von Bildungschancen, dem Berufswahlprozess und der Unterstützung der Eltern.  az www.gegenarmut.ch > Studien

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BERUFSBERATUNG

Qualitätszertifizierung

Intern und extern Vertrauen aufbauen Einige Berufsberatungsstellen haben ein Qualitätsmanagementsystem eingeführt, um ihre Prozesse und Leistungen zu verbessern und dies zu dokumentieren. Drei Chefs berichten über ihre Erfahrungen mit ISO und EFQM. Von Ingrid Rollier, PANORAMA-Redaktorin

Berufsberatungen müssen ihrer Konkurrenz zwar keine Marktanteile abjagen, aber sie müssen die Zweckmässigkeit ihrer von der öffentlichen Hand mitfinanzierten Massnahmen und Leistungen belegen. Vielen ist es deshalb ein Anliegen, die Qualität ihrer Angebote ständig zu verbessern und ihre Partner und Kunden mit sichtbaren Massnahmen und mit anerkannten Zertifikaten zu überzeugen. Eine offizielle Zertifizierung ist mitunter sogar Voraussetzung für die Vergabe von Aufträgen und Finanzmitteln. Bildungseinrichtungen etwa müssen eduQua-zertifiziert sein, um von der Arbeitslosenversicherung finanzierte Ausund Weiterbildungen anbieten zu können. Qualitätskriterien festlegen Vor etwa zehn Jahren hat die Schweizerische Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Berufs- und Studienberatung (KBSB) ein Selbstprüfungsinstrument für die Berufsberatung erarbeitet, das Tool «Swiss Counseling Quality». Es besteht aus einem Fragebogen und ermöglicht es den Berufsberatungsstellen, sich innerhalb eines Re-

Das EFQM-Anerkennungsprogramm Im EFQM-Anerkennungsprogramm können verschiedene Stufen erreicht werden. Für jede Stufe ist eine Anerkennung erforderlich (zuerst Validierung, dann Anerkennung). Der Anerkennung geht eine Prüfung in Form eines Assessments voraus, in dem die Stärken und das Verbesserungspotenzial analysiert werden. Die Anerkennung gilt für zwei Jahre. www.swissbex.ch

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ferenzsystems mit festgelegten Qualitätsanforderungen zu positionieren. Laut Daniel Reumiller, Präsident der KBSB und Leiter der Berufsberatungs- und Informationszentren des Kantons Bern, handelt es sich um ein nützliches, aber noch nicht ausgereiftes Instrument. Es eigne sich für die interne Beurteilung, bei der es keine offiziellen Normen einzuhalten gelte und die nicht auf eine Zertifizierung abziele. Überdies ist das Instrument in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Einige Kantone haben sich aus diesem Grund für andere Qualitätssicherungsinstrumente entschieden. Das Wallis etwa arbeitet mit dem Qualitätslabel Valais Excellence. Die Dienststelle für Berufsbildung und alle Berufsfachschulen des Kantons wurden bereits mit dem Label ausgezeichnet, das auf den Normen ISO 9001 (Qualitätsmanagement) und ISO 14001 (Umweltmanagement) beruht. Die der Dienststelle angegliederten Berufs-, Studien- und Laufbahnberatungen haben den Zertifizierungsprozess ebenfalls durchlaufen und wurden im März 2016 zertifiziert. Zudem hat das Erwachsenenbildungsangebot des Amts für Berufs-, Studienund Laufbahnberatung Unterwallis die eduQua-Rezertifizierung erhalten. «Die ISONorm zielt auf laufende Verbesserungen ab», erklärt Amtsleiter Daniel Cordonier. «Wir haben uns vertieft mit der Steuerung der Berufsberatung befasst, die Bedürfnisse der Kunden, die Dienstleistungen und die Risiken analysiert. Anschliessend haben wir ein integriertes Managementsystem eingeführt, das die Prozesse und Abläufe beschreibt und damit aufzeigt, wie und nach welchen Kriterien die einzelnen Leistungen verwaltet werden. Die Schaffung eines Dokumentmanagementsystems brachte mehr Klarheit und führte zu strengeren formalen Kriterien für

die Nutzung und Weiterleitung unserer Dokumente.» Weiter wurde eine Reihe von Verbesserungsmassnahmen festgelegt, die etwa auf die Erfassung von Jugendlichen am Ende der obligatorischen Schulzeit, auf Informatik-Lösungen und auf den Informationsaustausch zwischen Teilnehmern von Bildungsangeboten abzielen. Diese Massnahmen werden regelmässig angepasst. Ein ständiger Prozess Andere Kantone haben sich für das Modell der European Foundation for Quality Management, das sogenannte EFQM-Modell, entschieden. Thomas Eichenberger, Geschäftsführer der ask! – Beratungsdienste für Ausbildung und Beruf Aargau (BDAG), beschreibt EFQM als ganzheitliches Denk-, Handlungs- und Beratungsmodell, mit dem alle Bereiche und ihre Wechselwirkung vertieft untersucht werden können. In diesem Modell, das in der Wirtschaft auf grosse Akzeptanz stösst, werden Prozesse logisch und streng nach den Zielsetzungen gestaltet. «Wir wollen unser Leistungsmanagement und die Kundenzufriedenheit ständig verbessern und folgen diesem Qualitätsansatz deshalb Schritt für Schritt», erklärt Eichenberger. Die Qualitätsauszeichnung, die ask! 2014 entgegennehmen durfte, ist allerdings nur eine Etappe in einem ständigen Optimierungsprozess: Entscheidungen basieren auf objektiven Daten, Stärken und Schwächen werden einer vertieften Evaluation unterzogen, aus der sich Verbesserungsmassnahmen ableiten lassen, die Zufriedenheitsumfragen wurden systematisiert. Auch die Berner Berufsberatungs- und Informationszentren haben dieses Modell übernommen und wurden 2014 anerkannt. «Als wir uns Gedanken zu unserer Funktionsweise machten, stellten wir fest, dass wir zuerst ein Leitbild erarÜbersetzung: Martina Amstutz

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beiten müssen, bevor wir eine klare Strategie einführen können», so Daniel Reumiller. «Das Leitbild brachte die notwendigen Anpassungen in der Aufbauorganisation ans Licht und führte zur Schaffung eines leitbildkonformen Managementmodells.» Zurzeit laufen verschiedene Projekte, die auf die Erfassung der Kundenzufriedenheit, die Finanzprozesse, die Entwicklung neuer Leistungen usw. abzielen. Der grösste Vorteil liegt laut Daniel Reumiller in der gemeinsamen Philosophie, die sich innerhalb der Geschäftsleitung entwickelt und einen Konsens zur Prioritätensetzung ermöglicht hat. Mitarbeitende einbeziehen Beim Qualitätsmanagement liegt der Schlüssel zum Erfolg im Einbezug und in der Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Damit das Personal hinter dem Qualitätsmanagementsystem steht, muss es sorgfältig daran herangeführt werden, was nicht immer leicht ist. In Bern wurde das System in Arbeitssitzungen vorgestellt und auf die alltäglichen Aktivitäten abgestimmt. In den Berner Berufsberatungsstellen arbeiten 200 Mitarbeitende, verteilt auf fünf Regionen mit unterschiedlichen Arbeitsweisen. Das Ziel musste also darin bestehen, gemeinsame, auf Bewährtem beruhende Arbeitsme-

ISO-Zertifizierung Der ISO-Zertifizierung geht eine Prüfung durch externe Experten in Form eines Audits voraus. Das ISO-Zertifikat garantiert, dass die Qualität einer Norm entspricht, der bestimmte Kriterien zugrunde liegen. Die Zertifizierung gilt für drei Jahre. Es werden jährliche Prüfungen durchgeführt. ISO beruht auf sieben Qualitätsgrundsätzen: • Kundenorientierung • Führung • Einbezug des Personals • Prozessorientierter Ansatz • Verbesserung • Faktengestützte Entscheidungsfindung • Beziehungsmanagement www.iso.org

Grundkonzepte der Exzellenz nach EFQM

Dauerhaft herausragende Ergebnisse erzielen

Durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgreich sein

Nutzen für Kunden schaffen

Die Zukunft nachhaltig gestalten

Die Fähigkeiten der Organisation entwickeln Veränderungen aktiv managen Mit Vision, Inspiration und Integrität führen

Kreativität und Innovation fördern Quelle: www.efqm.org

Die Grundkonzepte auf die eigene Institution anzuwenden, erforderte viel Aufwand.

thoden zu entwickeln. Gemäss Reumiller war das Personal letztlich stolz auf die erlangte EFQM-Anerkennung. Die Mitarbeit des Personals ist auch gefragt, wenn es darum geht, Störungen oder Regelwidrigkeiten zu melden und entsprechende Korrekturmassnahmen vorzuschlagen. Die Walliser Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung hat ein internes Audit eingeführt, das eine gewisse Dynamik erzeugt: Einmal jährlich werden die Mitarbeitenden beauftragt, eine von einer anderen Organisationseinheit erbrachte Leistung zu analysieren. Diese externe Sichtweise hilft, die Prozesse zu verbessern. Anerkennung von den Partnern Der grösste Nachteil des Qualitätsmanagements ist der Ressourcen- und Zeitaufwand, gilt es doch, die Aktivitäten laufend zu dokumentieren, die allgemeinen und spezifischen Ziele zu analysieren und zu prüfen, ob diese im Einklang mit der Gesamtstrategie stehen. Auf Entscheidungen müssen konkrete Handlungen folgen. Die systematische Kontrolle und die Formulierung von Projekten, Zielen, notwendigen Mitteln, die Dokumentierung der durchgeführten Aktionen und die Begründung nicht umgesetzter Verbesserungen erfordern viel Zeit und Ausdauer, und die verfügbaren Ressourcen sind

knapp. Zudem ist es mit der ISO-Zertifizierung oder EFQM-Anerkennung nicht getan, denn es folgen die Vorbereitungen für die Rezertifizierung oder die nächste Stufe der EFQM-Anerkennung. Im Wallis war man eineinhalb Jahre mit den Vorbereitungsarbeiten für die ISO-Zertifizierung beschäftigt. Nur ein Jahr nach der Zertifizierung, im Februar 2017, steht dann die erste Kontrolle an, bei der die umgesetzten Verbesserungen an den verschiedenen Prozessen geprüft werden. Kritische Stimmen mögen sich fragen, ob nicht das Risiko besteht, dass Änderungen nur vorgenommen werden, damit man beim Audit Verbesserungen vorweisen kann. Auch die Kosten sind mit mehreren Tausend Franken für die Anmeldung und rund 6000 Franken für ein Zertifizierungsaudit nach ISO hoch. Doch damit nicht genug, denn wer das System einführen will, kommt um einen externen Berater oder Coach praktisch nicht herum. Gegen aussen kann man mit einem Qualitätszertifikat allerdings einen Mehrwert vorweisen und mit positiven Reaktionen rechnen, zumal Labels wie ISO und EFQM ein hohes Ansehen geniessen. Sie erleichtern die Akquisition von Aufträgen von externen Organisationen und wirken bei den Partnern aus der Wirtschaft vertrauensbildend. PANORAMA 6 | 2016 — 25

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BERUFSBERATUNG

Seeländer Berufswahlwoche

Schnupperlehren effizient nutzen Das BIZ Biel-Seeland organisiert zusammen mit der Wirtschaftskammer und den Berufsfachschulen eine Berufswahlwoche: Jugendliche erhalten während fünf Tagen vertiefte Einblicke in Berufswelten und sind danach in der Lage, gezielter Schnupperlehren zu absolvieren. Von Mattias Rubin, Berufs- und Laufbahnberater BIZ Biel-Seeland

In der berufsberaterischen Arbeit begegnet man oft Jugendlichen, welche bereits kurz nach Beginn einer Schnupperlehre merken, dass der Beruf sie doch nicht interessiert oder dieser nicht zu ihnen passt. Eine solche Situation ist sowohl für die Jugendlichen wie auch für die Betriebe enttäuschend. Es kommt zu Schnupperlehrabbrüchen oder zu einem Absitzen der Zeit, ohne dass ein Nutzen daraus gezogen werden könnte. Auch in der Fachliteratur wird die Wichtigkeit von sorgfältig geplanten praktischen Erfahrungen in einer frühen Phase des Berufswahlprozesses betont. Zwischen Berufswahlmesse und Schnupperlehre Das Pilotprojekt Seeländer Berufswahlwoche versteht sich als Berufswahlschritt zwischen der Berufswahlmesse und der Schnupperlehre. Nach der Berner Ausbildungsmesse (BAM), an der Informationen breit gesammelt werden können, fügen wir als niederschwelliges Element halbtägige Workshops ein. In diesen Workshops können diverse Berufe praktisch und mit verschiedenen Sinnen erfahren werden. Die Jugendlichen haben die Möglichkeit, ohne Verpflichtung und praxisnah verschiedene Berufe zu erleben. Bei einem positiven Fazit können sie in einem nächsten Schritt die Schnupperlehre angehen. Dieses mehrstufige Verfahren erhöht die Chance, die Zeit der Schnupperlehren effizient, zielführend und am richtigen Ort zu verbringen. Die Berufswahlwoche wurde 2013 erstmals durchgeführt. Sie findet einmal pro Jahr während zwei aufeinanderfolgenden Wochen in Deutsch respektive Französisch statt. Es besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaftskammer Biel-Seeland, den Berufsfachschulen der Region, diversen Betrieben und dem BIZ. Während die Wirtschaftskammer die Anmeldungen

In den Workshops können die Berufe praktisch und mit verschiedenen Sinnen erfahren werden.

koordiniert und für den Flyer zuständig ist, kümmert sich das BIZ um die Vernetzung, die Etablierung beziehungsweise Erweiterung der Workshops sowie um die Kommunikation gegen aussen. Die Nähe der BIZ zu den Oberstufenschulen erleichtert den Zugang zur Zielgruppe. Die Berufswahlwoche erfreut sich seit ihrem Start steigender Bekannt- und Beliebtheit. 2016 werden vierzehn Workshops auf Deutsch (D) und sieben auf Französisch (F) mit 320 Plätzen (D) und 173 Plätzen (F) angeboten. Insgesamt werden durch die zehn Betriebe und vier Berufsfachschulen Einblicke in 44 Berufe (D) respektive 16 Berufe (F) ermöglicht. Fachkräftemangel als Anstoss Ursprünglich wurde das Projekt initiiert, weil in der Industrieregion Biel das Angebot an technischen Lehrstellen grösser ist als die Nachfrage bei den Jugendlichen, was sich im Namen der Projekt-Website www.fokustechnik.ch widerspiegelt. Mittlerweile hat sich das Projekt in alle Richtungen vergrössert. Heute werden auch Einblicke in Berufe

angeboten, bei denen kein Mangel an interessierten Jugendlichen herrscht. Diese Tatsache macht deutlich, dass sich die Woche in der Region etabliert hat. In meiner Masterarbeit am IAP zeigte sich, dass die Möglichkeit, durch die Seeländer Berufswahlwoche noch unbekannte oder geschlechtsuntypische Berufe zu entdecken und damit eine Spektrumserweiterung zu erreichen, von den Anbietern als zentrales Element angesehen wird. Auch die Niederschwelligkeit, die erleichterte gegenseitige Kontaktaufnahme, die breite Berufspalette und der gemeinsame Auftritt werden sehr geschätzt. In Zukunft wird die Berufswahlwoche vor einige Herausforderungen gestellt: zu koordinierendes Wachstum, zu verbessernder Einbezug der Zweisprachigkeit und das Mengengerüst. Es gilt einen Kompromiss zu finden zwischen dem angestrebten Ziel, praktische Erfahrungen zu ermöglichen und zugleich den Bedürfnissen der Jugendlichen und der Berufsfachschulen zu entsprechen.

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Lernspiel «like2be»

Geschlechtersensible Berufswahl Schweizer Jugendliche wählen ihre Berufe sehr geschlechterstereotyp. Als Massnahme zur Förderung geschlechtsunabhängiger Berufswahlen hat das Interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) der Universität Bern ein Lernspiel entwickelt. Von Janine Lüthi, wissenschaftliche Mitarbeiterin Bereich Gleichstellungspolitik & Gender Mainstreaming IZFG, Universität Bern

Im Spiel «like2be» schlüpfen die Jugendlichen in die Rolle von Berufsberatenden. Über mehrere fiktive Tage stapeln sich auf ihrem Schreibtisch Dossiers von Personen. Diese Personen betreten nacheinander das Büro und weisen unterschiedliche Lebensläufe, Wünsche und Fähigkeiten vor: Mark schliesst gerade die Schule ab und sucht eine Lehrstelle, Lana kann nach einer Rückenverletzung nicht mehr als Schreinerin arbeiten und muss sich auf dem Berufsmarkt neu orientieren, Achmed ist Vater geworden und sucht eine Teilzeitstelle. Aufgabe der Jugendlichen ist es, Mark, Lana, Achmed und vielen weiteren Charakteren möglichst gut passende Jobs aus einer Reihe ständig wechselnder Stellenangebote zu vermitteln – und dies in mög-

lichst kurzer Zeit. Die Tage vergehen und der Erfolg lässt sich an der Anzahl richtig vermittelter Personen messen; sind die Personen unzufrieden, kehren sie am nächsten Tag zurück und die Suche nach entscheidenden Kriterien und Hinweisen in den Lebensgeschichten der Personen geht in die nächste Runde. Das Spiel sensibilisiert die Jugendlichen so auf indirektem Weg in Bezug auf geschlechterstereotype Berufswahlen und Biografien. Durch die wechselnden Stellenangebote aus den unterschiedlichsten Berufsfeldern erfahren die Jugendlichen eine Erweiterung ihrer Berufskenntnisse, die ihnen helfen soll, die eigenen Berufswünsche und -vorstellungen zu konkretisieren.

Um ein möglichst innovatives, lehrreiches, aber auch unterhaltsames Produkt zu schaffen, wurde das Spiel in enger Zusammenarbeit mit Jugendlichen sowie mit Fachpersonen aus der Berufsberatung und Erziehungswissenschaft entwickelt. Wiederholte Tests mit Schulklassen ermöglichten dem Projektteam, etwa die Qualität des Spielinhaltes, den Schwierigkeitsgrad oder auch den Spassfaktor zu evaluieren und anzupassen. Das Spiel ist als Dienstleistungsangebot für die schulische Berufswahlvorbereitung sowie für Berufsberatungsinstitutionen konzipiert. Es ist in drei Landessprachen spielbar und kostenlos im Internet verfügbar. www.like2be.ch

Rezension von Anja Roth, Berufs-, Studienund Laufbahnberaterin

Rezension von Roland Egli, Projektleiter Berufswahlmedien SDBB

Wer das Spiel einmal zu spielen beginnt, kommt die nächsten Minuten vermutlich nicht mehr davon los. Das Spiel weckt den Ehrgeiz, den Personen die «passenden» Berufsoptionen zuzuordnen. Schüler/innen entdecken spielerisch, worauf es bei Berufs- und Laufbahnentscheiden wirklich ankommt: Sie können ihre Kundinnen und Kunden fragen, welche Grundrespektive Weiterbildungen sie mitbringen; sie müssen in Erfahrung bringen, was sie interessiert und zu welchen Bedingungen sie bereit sind zu arbeiten. Bei all dem wird der spielenden Person indirekt vermittelt, dass das Geschlecht dem Beruf egal ist und dass eine passende Berufswahl eine Wahl nach Interessen, Fähigkeiten und arbeitsmarktlichen Realitäten ist. Die Spieloberfläche ist ansprechend und jugendgerecht gestaltet. Die Figuren stellen die Gesellschaft in ihrer vollen Bandbreite dar: Es kommen Kunden und Kundinnen, die bereits älter sind, dicke und dünne Menschen und Menschen verschiedener Hautfarben; solche, die eine Lehre abgebrochen haben, und solche, die noch ganz am Anfang ihrer Laufbahn stehen. Spielende Jugendliche werden damit aller Wahrscheinlichkeit nach eine oder mehrere Figuren kennenlernen, mit denen sie sich identifizieren können.

Kaum im Spiel drin, wird mir mitgeteilt, dass der erste Tag vorbei sei. Auch beim zweiten Versuch bin ich nicht weitergekommen. Muss man wirklich alle Daten einzeln anklicken, um sie in Erfahrung zu bringen? So habe ich aus Frust einfach jedem Kandidaten in Rekordzeit den Job der Kuratorin vermittelt. So konnte ich die Zeit einhalten. Offenbar waren aber alle Vermittlungen falsch und ich habe einen Daumen nach unten kassiert, ohne zu erfahren, was ich besser machen müsste. Ich habe dann am «nächsten Tag» nochmals vermittelt, aber mit einem anderen Beruf, ebenfalls in Rekordzeit. Resultat: Ich wurde entlassen, weil ich zu viele Akten auf dem Stapel hätte. Schliesslich habe ich versucht, auf die Qualifikationen der Bewerber/innen zu achten, bin aber bereits nach der ersten Vermittlung, die offenbar falsch war, wieder auf den nächsten Tag verwiesen worden. Gelernt habe ich Folgendes: 1. Ich checke nicht, wie ich es machen müsste, um erfolgreicher zu sein; 2. Wichtig ist nicht, die passenden Vermittlungen zu machen, sondern möglichst die Akten vom Tisch zu bekommen; 3. Wenn man sich zu genau mit den Stellensuchenden befasst, verliert man zu viel Zeit und wird entlassen; 4. Wenn man zu viel Zeit mit dem Studium der Stellenangebote verbringt, ist der Tag schnell um, ohne dass man weitergekommen wäre.

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ARBEITSMARKT

Region Biel

Sozialbericht

Berufsmusiker/innen

Coaching für Männer mit Migrationshintergrund

Geld allein macht nicht glücklich

Die unsichtbare Arbeit

Zwei Bieler Vereine – Multimondo und frac – führen das Projekt Jobcoaching für stellensuchende Männer mit Migrationshintergrund durch. Das ganzheitliche zweisprachige Angebot mit laufender Einstiegsmöglichkeit richtet sich vorwiegend an Männer, die im Familiennachzug in die Schweiz gekommen sind, meist keinen Anspruch auf Arbeitslosengelder oder Sozialhilfe haben und entsprechend keinen Zugang zu anderen Unterstützungsangeboten erhalten. Zudem wendet es sich an Männer aus dem Asylbereich, die aufgrund ihres Aufenthaltsstatus mit besonders hohen Hürden und vielen Vorurteilen zu kämpfen haben. Das Angebot umfasst drei Elemente: Einzelberatung/Assessment, Stellensuche (Männergruppe) und Mentoring. Die Teilnahme kostet 300 Franken für sechs Monate. Das Jobcoaching wird unterstützt durch den Integrationskredit des Bundes, die Erziehungsdirektion des Kantons Bern und diverse Stiftungen.  dfl

Alle vier Jahre gibt das nationale Kompetenzzentrum für Sozialwissenschaften (FORS) mit Unterstützung des Nationalfonds den Schweizer Sozialbericht heraus. Dieser misst die Stimmung und die Zufriedenheit der Schweizer Bevölkerung in verschiedenen Bereichen wie etwa dem Berufsleben. In der Ausgabe 2016 liegt der Schwerpunkt auf dem Wohlbefinden. Der Bericht zeigt, dass die Schweizer Bevölkerung im Allgemeinen sehr zufrieden mit dem Bildungssystem und dem Erwerbsleben ist. Je besser die Arbeitsbedingungen, desto grösser ist die Arbeitszufriedenheit. Die Höhe des Einkommens hat hingegen kaum Einfluss auf das Wohlbefinden. Besserverdiener sind zwar zufriedener mit ihrer finanziellen Situation und machen sich weniger Sorgen, ihre allgemeine Lebenszufriedenheit ist jedoch nicht grösser.  cbi

Die Forscher Marc Perrenoud und Frédérique Leresche haben sich im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts «LIVES – Überwindung der Verletzbarkeit im Verlauf des Lebens» mit der Beschaffenheit und den Widersprüchen des Arbeitsmarkts für Berufsmusiker/innen beschäftigt. Ihre 2016 erschienene Publikation stützt sich auf zwei ethnografische Studien und zeigt die zahlreichen unsichtbaren Aufgaben von Berufsmusikern/-innen auf. Die Autoren gliedern diese Tätigkeiten in vier Bereiche: Organisation (Einrichten von Material, Administration), Routinisierung (Erhalt der Instrumentaltechnik, Probenarbeit), berufliche Sozialisation (Netzwerken) und Inspiration (kreativitätsfördernde Tätigkeiten).  cbi Perrenoud, M., Leresche, F. (2016): Les paradoxes du travail musical – Travail visible et invisible chez les musiciens ordinaires en Suisse et en France. Universität Lausanne.

www.socialreport.ch

www.multimondo.ch/jobcoaching

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Übersetzung: Martina Amstutz

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Arbeitsamt Schaffhausen

Sharing Economy

Fachkräftebedarf in Deutschland

Stellensuchende präsentieren sich im Videoclip

Feldstudie mit «Digital Workern»

Ohne Weiterbildung geht es nicht

Der Kanton Schaffhausen bietet gut qualifizierten Personen seit diesem Jahr die Möglichkeit, ins «Jobjägerprogramm» einzusteigen, Nachfolger von «Horizont Generation plus». Rund 20 Prozent der Stellensuchenden gehören zu dieser Zielgruppe. Ein Element des Programms bildet die Video Business Card (VBC), ein Bewerbungsclip, den die Teilnehmenden auf freiwilliger Basis produzieren lassen können. Die VBC eignet sich besonders, die Fähigkeiten, Stärken und Ziele prägnant und überzeugend zu präsentieren. Die professionell produzierten Bewerbungsclips dauern rund eine Minute und sind mehrperspektivisch zusammengeschnitten. Der Aufnahmenprozess dauert rund 90 Minuten und setzt Vorbereitungsarbeiten voraus. So müssen die Teilnehmenden den Text ihres Clips selber verfassen. Mit dem Modell betritt der Kanton Schaffhausen Neuland. Arbeitsamtschef Vivian Biner sagt: «Die Qualität der Videobewerbungen beeindruckt unsere Arbeitgeber und führte in vielen Fällen zum Erfolg.» Interessant sei auch, dass die Teilnehmenden durch die Vorbereitung und die Dreharbeiten an Auftrittskompetenz gewinnen. Die Kosten betragen pro Clip 1300 Franken – laut Biner ein Betrag, der sich normalerweise bereits mit einer einwöchigen Reduktion der Suchdauer amortisiere. Bisher wurden 48 Clips gedreht. Für Stellensuchende mit normalen Qualifikationen offeriert das Arbeitsamt Schaffhausen die Aufnahme von professionellen Bewerbungsfotos.  dfl

Im Rahmen seiner Masterarbeit in Sozioökonomie hat Luca Perrig die Auswirkungen der Sharing Economy auf die Schweizer Arbeitswelt untersucht. Dafür hat er eine Feldstudie in der Region Genf durchgeführt und unter anderem mit Airbnb-Gastgebern und Uber-Fahrern gesprochen. Sharing Economy, der Tausch von Gütern oder Dienstleistungen zwischen Privaten – meist über eine Internetplattform –, hat in allen Branchen, vom Immobiliensektor bis zum Verkehr, Einzug gehalten. Sowohl Gesetzgeber als auch Wirtschaftsakteure wurden vom raschen Aufschwung des Teilens und Tauschens überrumpelt. Denn das Phänomen der Digital Worker, die ein unsicheres Einkommen und unübliche Arbeitszeiten haben, beeinflusst auch die Organisation und die Rahmenbedingungen der übrigen Arbeit. Anhand

Deutschland steht in den kommenden Jahren vor einem verschärften Fachkräftebedarf, ausgelöst durch verschiedene Faktoren. Einer davon: Der zu erwartende Rückgang der Zahl der Erwerbspersonen bis 2030 aufgrund niedriger Geburtenraten. Die Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren könne diesen Rückgang ebenso wenig wettmachen wie die Zahl an Flüchtlingen, die in den Arbeitsmarkt eintreten dürften. Dies sagt die Studie «Arbeitsmarkt 2030» von Economix im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Aufgrund der Entwicklungen in der Industrie (Stichwort Digitalisierung) dürften zudem immer weniger niedrig qualifizierte Personen Beschäftigung finden, während die Nachfrage nach gut qualifizierten Fachkräften steigt. Die Studie kommt zum Schluss, dass der Auf bau eines allgemein anerkannten, zertifizierten Weiterbildungssystems unabdingbar sei. Einerseits reiche die berufliche Erstausbildung der jungen Generation nicht aus, um die erwartete Aufwertung der Qualifikationsniveaus zu erreichen. Andererseits verschlechtere die Zuwanderung von Flüchtlingen die Qualifikationsstruktur des Arbeitsangebots und erfordere daher den Ausbau spezieller Bildungsangebote für diese Zielgruppe. Der Auf bau eines Weiterbildungssystems könne aber nicht ohne den Staat gelingen, der Normen und Strukturen festlegt. Darüber hinaus werde eine höhere Weiterbildungsbeteiligung nicht ohne finanzielle Unterstützung erreichbar sein.  dfl

www.jobjaeger.ch

Gesetzgeber und Wirtschaftsakteure wurden vom raschen Aufschwung des Teilens überrumpelt. einer Literaturanalyse schlägt der Autor Lösungsansätze für die Regulierung der neuen Wirtschaftsform vor, so etwa die Selbstregulierung der Plattformen und Dienstleistungserbringer, die Schaffung einer spezifischen Rechtsform, Gewerkschaftsanschluss für digitale Arbeiter/innen und die Entwicklung einer erwerbsunabhängigen Sozialversicherung.  cbi Perrig, L. (2016): Le travail dans l’économie collaborative: une évaluation socio-économique. Masterarbeit. Universität Genf. www.unige.ch/campus > Campus 126 > L’heure du management invisible

www.wbv.de > Suche: Arbeitsmarkt 2030

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ARBEITSMARKT

RAV-Beratung im Kanton Solothurn

Auf dem Weg zu einer besseren Beratungsqualität Beratungs- und Vermittlungsgespräche mit stellensuchenden Personen gehören zu den zentralen Aufgaben der RAV-Beratenden. Dennoch existieren weder eine allgemein gültige Definition der RAV-Beratung noch Qualitätsstandards. Im Rahmen des Projekts Beratungsoptimierung haben die Solothurner RAV diesen Mangel behoben. Von Christian Aeschlimann, Arbeits- und Organisationspsychologe, Amt für Wirtschaft und Arbeit, Kanton Solothurn

Vermittlungs- und Beratungsgespräche unterstützen Stellensuchende bei der raschen und nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt. Der Nutzen der RAV für die Arbeitslosenversicherung dürfte zu einem wesentlichen Teil hier entstehen. Allein im Kanton Solothurn finden jährlich gegen 50 000 solcher Gespräche statt, sie binden rund ein Drittel der Personalressourcen. Während aber zum gesetzlichen Vollzug klare Richtlinien existieren, ist das Bild in Bezug auf die Beratung sehr unklar. Was geschieht genau in der Blackbox RAV-Beratung? Was macht ein gutes Beratungsgespräch aus? Wie kann man seine Qualität messen und verbessern? Mit solchen Fragen setzen wir uns in den Solothurner RAV seit Jahren auseinander.

sie weder messen noch optimieren. Personalberatende und ihre Vorgesetzten sagen nicht selten, dass jedes Gespräch in seiner Art einzigartig sei und es auf den Einzelfall ankomme. Dennoch fanden wir über viele Gespräche und eine Literaturrecherche zu einer Definition von RAV-Beratung und einem Qualitätsmodell mit Varianten für Erst- bzw. Folgegespräche. Dieses Modell fasste die zu diesem Zeitpunkt rund 30 im Umlauf befindlichen Checklisten zusammen – strukturiert nach den drei Dimensionen Gesprächsinhalt, Gesprächsstruktur und Beziehungsgestaltung (siehe Zweittext).

Von der Masterarbeit zum Optimierungsprojekt In der Vergangenheit erwiesen sich die Rückmeldungen der Vorgesetzten im Anschluss an Hospitationen für die Personalberatenden meist als schlecht verwertbar. Sie lösten kaum Entwicklungsimpulse aus. 2009 analysierte René Knipp, RAV-Leiter Solothurn, im Rahmen einer Masterarbeit 23 auf Video aufgezeichnete Beratungsgespräche und kam zum ernüchternden Schluss, dass die Beratungsgespräche innerhalb desselben Kantons sehr heterogen und einheitliche Gesprächsstandards kaum erkennbar waren. In der Folge wurde ein Projekt lanciert, das eine Übersicht über die Beratungssituationen in den RAV liefern und ihre Qualität optimieren sollte. Das Vorgehen gliederte sich in folgende drei Phasen:

2. Gesprächsqualität messen Qualitätssicherung und -entwicklung sind zentrale Führungsaufgaben. Aus diesem Grund haben wir die RAV- und Teamleitenden geschult, basierend auf dem erarbeiteten Modell die Qualität von Beratungsgesprächen einzuschätzen. Das Training bestand darin, gemeinsam Filme realer Beratungen zu analysieren und auf einer Skala von eins bis vier zu beurteilen. Die anfänglich starken Unterschiede in der Einschätzung nivellierten sich mit zunehmender Anzahl gemeinsamer Filmanalysen. Das bildete die Grundlage, das Qualitätsmodell offiziell in Kraft zu setzen. Seitdem erfolgen sämtliche Gesprächsauswertungen zwischen Vorgesetzten und Personalberatenden auf Basis dieses Modells (etwa vier pro Personalberater/in und Jahr). Die Aufzeichnung von Beratungsgesprächen ist in jedem Fall freiwillig

1. Gesprächsqualität definieren Solange nicht klar ist, was Beratungsqualität im RAV genau ist, kann man

und erfolgt nur mit schriftlicher Zustimmung der betreffenden Beratungspersonen und Stellensuchenden. 3. Gesprächsqualität optimieren Das Qualitätsmodell diente zudem als Grundlage für die Entwicklung der Beratungskompetenz von Personalberatenden und Vorgesetzten. Einerseits erarbeiteten Vorgesetzte mit den Mitarbeitenden individuelle Entwicklungsziele, die Thema der regelmässigen Gesprächsauswertungen waren.

Auch die Vorgesetzten werteten ihre Gespräche mit Mitarbeitenden und Stellensuchenden systematisch aus und leiteten daraus individuelle Entwicklungsziele ab. Andererseits hatten alle Mitarbeitenden die Möglichkeit, die Coachingdienstleistungen des Projektleiters in Anspruch zu nehmen. Die Palette möglicher Coachingthemen orientierte sich weitgehend an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden – von der Verarbeitung belastender Beratungssituationen über die Vorbereitung schwieriger Gespräche bis hin zur konkreten Arbeit an individuellen Entwicklungszielen. Vorgesetzte als Vorbilder Die Auswertung des Projektes nach knapp zwei Jahren Laufzeit brachte weitgehend positive Ergebnisse. So schätzte eine deutliche Mehrheit der Beratenden die Nützlichkeit ihrer Erfahrungen im Projekt für

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Qualitätsmodell ihre tägliche Beratungsarbeit als hoch bis sehr hoch ein. Reklamationen und Aggressionen seitens der Stellensuchenden hatten spürbar abgenommen. In der Wirkungsmessung des SECO schnitt der Kanton Solothurn besser ab als im Jahr vor Projektstart, wenngleich dies nicht alleine auf die geschilderten Verbesserungen zurückgeführt werden kann. Eine weitere zentrale Erkenntnis betraf die Vorbildrolle der RAV- und Teamleitenden: Die intensive Führungsentwicklung führte nicht nur zu einer Steigerung der kommunikativen Kompetenzen der Führungskräfte, sie erhöhte auch deren Glaubwürdigkeit gegenüber den Personalberatenden deutlich. Denn auch die Vorgesetzten werteten ihre Gespräche mit Mitarbeitenden und Stellensuchenden systematisch aus und leiteten daraus individuelle Entwicklungsziele ab. Schliesslich ergab eine Evaluation des «Freiburg Instituts», dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Qualität der Beratungsgespräche und der Wiedereingliederungsgeschwindigkeit besteht. Dies legt die Vermutung nahe, dass eine Steigerung der Beratungsqualität zu Einsparungen von Taggeldbezügen führt. Es war offensichtlich, dass wir durch das Projekt einen Kulturwandel in der RAV-Organisation angestossen hatten. Das strategische Thema «Beratung» wurde 2012 fest in den Solothurner RAV implementiert; die Projektleiterstelle wurde in eine Teilzeitstelle «Personalentwickler und Coach» überführt. Seither haben wir folgende Initiativen zur Sicherung der Nachhaltigkeit ergriffen: • Konzeption und Einführung einer neuntägigen Beratungsausbildung für neu eintretende Personalberatende • Ständige Coachingangebote für Personalberatende und Vorgesetzte • Konzeption spezifischer Weiterbildungsangebote zum Thema RAV-Beratung für Personalberatende und Vorgesetzte • Coachingausbildung für sämtliche Vorgesetzte • Weiterentwicklung des bestehenden Qualitätsmodells.

Was ist gute Beratung? Basierend auf einer Definition von RAV-Beratung wird die Qualität eines Gesprächs entlang von drei zentralen Dimensionen erfasst: Beziehung, Inhalt und Prozess. Von Christian Aeschlimann

Beratung im RAV ist professionelle Unterstützung stellensuchender Personen. Sie verfolgt das Ziel der raschen beruflichen Integration. Sie gestaltet den Prozess der Stellenfindung. Sie setzt die geltenden gesetzlichen Grundlagen um. Sie vertritt die vom AWA definierten Werte.

sen als übergreifende Dimension, die Zeit zum Tragen. Denn ein Beratungsgespräch ist als Teil der gesamten Fallführung zu verstehen; die Angemessenheit einer Intervention kann nur vor dem Hintergrund des Gesprächsablaufs bzw. der gesamten Fallführung beurteilt werden.

Beratung im RAV • unterstützt und befähigt Stellen suchende Menschen, eine auf ihre beruflichen Ziele und Ressourcen zugeschnittene, Erfolg versprechende Stellensuche zu betreiben. • basiert auf einer wertschätzenden Beziehungsgestaltung und dem Verständnis des Menschen als eigenverantwortliches, lern- und veränderungsfähiges Wesen. • setzt Grenzen, wo die Ziele der Stellensuchenden den gesetzlichen Rahmenbedingungen widersprechen, und kommuniziert diese transparent. • erfolgt mit wissenschaftlich anerkannten Methoden und Konzepten der Kommunikation und Beratung. Die Qualität eines Gesprächs wird entlang der drei Dimensionen Beziehung, Inhalt und Prozess erfasst. Basis für jede Form von Beratung ist eine tragfähige Arbeitsbeziehung zwischen den beteiligten Personen. Eine wertschätzende, professionelle Gestaltung der Beratungsbeziehung ist deshalb ein wesentliches Qualitätsmerkmal eines jeden Gesprächs. Der Gesprächsinhalt bildet die zweite Qualitätsdimension. Der Hauptfokus der Gespräche auf den RAV liegt auf der Stellensuche und den hierfür im konkreten Einzelfall relevanten Themen. Schliesslich zeichnet sich jedes professionelle Gespräch dadurch aus, dass die gesprächsführende Person für eine klare, transparente und zielführende Strukturierung des Gesprächsprozesses verantwortlich ist. Und letztlich kommt, gewissermas-

Ein typisches Beratungsgespräch Ein Beratungsgespräch im Sinne des Qualitätsmodells verläuft so, dass sich die gesprächsführende Person bereits vor Gesprächsbeginn vorbereitet und ihre Gesprächsziele definiert. Nach der Begrüssung und der Herstellung einer tragfähigen Arbeitsbeziehung werden die beiderseitigen Ziele und Erwartungen an das Gespräch geklärt. Dann erst kann in den Hauptteil, die Behandlung der für die Stellenfindung relevanten Themen, eingestiegen werden. Selbstverständlich greift die gesprächsführende Person im Gesprächsverlauf immer wieder strukturierend ein, indem sie beispielsweise zusammenfasst und den Gesprächsablauf und bisherige Ergebnisse visualisiert. Parallel dazu gilt es, zum Beispiel durch wertschätzende, ressourcenaktivierende Rückmeldungen, die Beziehung zur stellensuchenden Person aufrechtzuerhalten und sie dadurch zu motivieren. Gegen Ende des Gesprächs rücken die Sicherung der Ergebnisse sowie die Planung des weiteren Vorgehens in den Vordergrund. Und am Schluss gilt es zu überprüfen, inwiefern die Gesprächsziele erreicht wurden, um sich dann zu verabschieden und im Anschluss das Gespräch nachzubereiten. Dies alles ist komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn letztlich ist das «Wie» genauso bedeutsam wie das «Was». Ein Gespräch kann nur im Einzelfall beurteilt werden, basierend auf einem differenzierten Verständnis von Beratungsqualität und angemessenem Beratungsverhalten. PANORAMA 6 | 2016 — 31

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ARBEITSMARKT

Grenzen beruflicher Eingliederung

«Die nicht eingliederungsfähigen Erwerbslosen sind unsichtbar» Die aktuelle Beschäftigungs- und Aktivierungspolitik geht davon aus, dass berufliche Integration für alle möglich ist. Trifft das wirklich zu? Die Soziologin Martine Zwick Monney hat sich in ihrer Dissertation mit gescheiterten Eingliederungen befasst. Interview: Christine Bitz, PANORAMA-Redaktorin

PANORAMA: Warum gibt es so wenige Untersuchungen zu gescheiterten Eingliederungen? Martine Zwick Monney: Es ist ein heikles Thema. Es fällt schwer zuzugeben, dass es nicht für alle Erwerbslosen eine Eingliederungslösung gibt. In meiner Dissertation habe ich mich mit diesem Problem auseinandergesetzt. Denn selbst wenn es nur wenige Fälle gibt, stellen diese doch den Grundgedanken der bestehenden Massnahmen infrage. Diese gehen nämlich von der Annahme aus, dass jeder eingegliedert werden kann. Das scheint jedoch nicht der Realität zu entsprechen. Die nicht eingliederungsfähigen Erwerbslosen sind unsichtbar, weil sie nicht in die Logik des Systems passen. Man betont immer, was funktioniert, und vermeidet es, über Misserfolge zu sprechen, weil diese das Massnahmensystem als solches infrage stellen könnten. Wenn man davon ausgeht, dass jeder beruflich eingegliedert werden kann: Warum werden dann auch soziale Integrationsmassnahmen entwickelt? Die Massnahmen für soziale Eingliederung beruhen auf der Vorstellung, dass Erwerbslose ihre Sozialkompetenz verbessern müssen, damit sie eine Stelle finden. Diese Instrumente zielen auf soziale Teilhabe und Persönlichkeitsentwicklung ab. Doch das eigentliche Ziel bleibt die berufliche Eingliederung, da die Betroffenen sonst Gefahr laufen, dauerhaft von Hilfsleistungen abhängig zu sein. Das ist eine Verzerrung des ursprünglichen Gedankens von sozialer Integration. Sie beschreiben die sozialen Eingliederungsmassnahmen als Seitwärtsschritte. Was meinen Sie damit? 32 — PANORAMA 6 | 2016

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Man kann sich jede Eingliederungssituation so vorstellen, dass die Betroffenen auf einer bestimmten Stufe einer Treppe stehen. Dieses Bild zeigt, dass zahlreiche Massnahmen und Kriterien nötig sind, bis diese Personen in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden, und dass diese Massnahmen eine Progression darstellen. Die oberste Treppenstufe ist das Ziel: die berufliche Eingliederung. Soziale Eingliederungsmassnahmen sind meiner Ansicht nach Seitwärtsschritte, die schlecht eingliederungsfähige Erwerbslose in Bewegung halten sollen. Ich will damit nicht sagen, dass sie sinnlos sind, ganz im Gegenteil. Obwohl man weiss, dass es nur eine Illusion ist, hält man die Betroffenen damit in Bewegung. Man tut einfach so, als ob es funktionieren würde. In einigen Fällen kann dieser Ansatz sogar zum Erfolg führen. Man begleitet die Menschen weiter und stellt sicher, dass sie den Anschluss an die Gesellschaft nicht verlieren. Einige Autoren sprechen in diesem Zusammenhang ziemlich provokativ von palliativer Sozialarbeit, von einer Sozialarbeit also, die sich auf unterstützende Handlungen und den Erhalt des Status quo beschränkt. Die Menschen aktivieren heisst dann, Bewegung in die Sache zu bringen und die Illusion zu erzeugen, dass es mit der Eingliederung vorwärts geht. Ist es legitim, dass die Sozialhilfe versucht, auch schlecht eingliederungsfähige Menschen zu aktivieren? Nur weil das Versicherungssystem restriktiver wird, wie wir das bei der ALV und der IV erlebt haben, heisst das ja nicht, dass die Leute keine Probleme mehr haben. Stattdessen fallen einige durch die Maschen und landen bei der Sozialhilfe,

und die hat dann gar keine andere Wahl mehr. Das politische Klima ist für die Entwicklung des Sozialsystems ungünstig. Es hat keine gute Presse, man wirft ihm vor, zu teuer zu sein, den Staatshaushalt zu belasten. Man spricht wieder

Wenn die Eingliederung scheitert In ihrer Dissertation ist Martine Zwicky Monney der Frage nachgegangen, was bei der Arbeitslosenversicherung, der Sozialhilfe und bei den Betroffenen passiert, wenn die Eingliederung nicht funktioniert. Mittels einer Umfrage bei Fachpersonen in der Romandie hat die Forscherin eine durch die Systeme generierte permanente Bewegung festgestellt, einerseits in der ständigen Weiterentwicklung und Umsetzung neuer Instrumente, andererseits aber auch in den Veränderungen, die das System bei den Betroffenen und den Fachleuten bewirkt. Sie zeigt ausserdem auf, dass misslungene Eingliederungen unsichtbar sind, weil das Postulat «jeder ist eingliederungsfähig» nicht hinterfragt wird. Auf das Thema für ihre Dissertation ist Martine Zwick Monney gestossen, als sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Sozialamt des Kantons Freiburg arbeitete. Sie lehrte im Studienbereich Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit an der Universität Freiburg und arbeitet heute beim Bundesamt für Sozialversicherungen. Zwick Monney, M. (2015): Les échecs de l’insertion. Rouages et engrenages d’un mouvement permanent. Zürich, Seismo Verlag.

Übersetzung: Rahel Hefti Roth

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stärker von persönlicher Verantwortung. Und der Begriff Verschulden, den man in der Vergangenheit durch Risiko ersetzt hatte, taucht plötzlich wieder auf. Arbeitslose sind dazu angehalten, Praktika zu absolvieren, sich für ihre Situation zu rechtfertigen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Angesichts der Entscheide, die einige Kantone im Bereich Sozialhilfe getroffen haben, kann man davon ausgehen, dass die restriktivere Gangart beibehalten wird. In Ihrem Werk sagen Sie, dass eine Individualisierung der Unterstützungsangebote nicht möglich ist, solange das Hauptkriterium die Arbeitsmarktfähigkeit bleibt. Warum ist das so? Das Problem ist nicht die Individualisierung, sondern die Kategorisierung, die durch das Kriterium Arbeitsmarktfähigkeit entsteht. Damit steckt man die Menschen in Schubladen und Personen mit besserer Eingliederungsfähigkeit erhalten tendenziell mehr Unterstützung. Dabei bildet sich automatisch auch die Kategorie der am wenigsten Eingliederungsfähigen heraus. Diese erhalten paradoxerweise weniger Unterstützung bei der Eingliederung, da sie das Kriterium Arbeitsmarktfähigkeit nicht erfüllen. Individualisierung ist immer schwierig, weil die verwendeten Instrumente stark standardisiert sind. Menschen, die nicht den festgelegten Kriterien entsprechen, sind schwierig zu begleiten. Die Fachleute, mit denen Sie gesprochen haben, beurteilen gewisse Eingliederungsinstrumente als innovativ. Innovativ ist meiner Meinung nach ein zu grosses Wort. Innovation ist etwas, das bestehende Grundsätze infrage stellt. Und das ist bei der Eingliederung nicht der Fall. Die Grundlagen bleiben unverändert. Es gibt zwar gewisse Verschiebungen, kleinere Korrekturen, da und dort wird etwas herumgeschraubt, doch statt zuzugeben, dass das Postulat «Jeder ist eingliederungsfähig» nicht ganz der Realität entspricht, und sich zu überlegen,

was man tun kann, folgt man immer weiter dem gleichen Credo. Das ist nicht gerade innovativ. Können die interinstitutionelle Zusammenarbeit (IIZ) und andere Formen der Kooperation, beispielsweise zwischen den RAV und der Sozialhilfe, die Zahl der gescheiterten Eingliederungen reduzieren? Zusammenarbeit ist wichtig, denn das System ist stark segmentiert. Gerade bei Erwerbslosen mit komplexer Mehrfachproblematik im Sinne der IIZ ist es wichtig, dass alle involvierten Fachleute und Institutionen am gleichen Strang ziehen. Man hört viel von Zusammenarbeit, Netzwerkarbeit oder Kooperationsprojekten zwischen Sozialhilfe und RAV, und das ist eine gute Sache. Doch man sollte auch darauf aufmerksam machen, dass die Zusammenarbeit nicht einfach ist. Die Fachleute, die zusammenarbeiten, kommen aus unterschiedlichen Systemen mit je einer ganz eigenen Struktur und Kultur. Jemand, der bei einem RAV arbeitet, versteht unter Eingliederung etwas ganz anderes als eine Mitarbeiterin einer Sozialhilfestelle. Zusammenarbeiten heisst mehr als sich zusammenzutun. Es heisst zu verstehen, was der andere tut, ihm die eigene fachliche Tätigkeit verständlich zu machen und den eigenen Bezugsrahmen zu verlassen. Das erfordert sehr viel Kompetenz. Ich habe manchmal den Eindruck, dass diese Aufgabe unterschätzt wird. Auch zwischenmenschliche und informelle Aspekte dürfen dabei nicht ausser Acht gelassen werden. Das erfordert viel Arbeit und Engagement. Welche Wege sind möglich, falls der Mythos «Eingliederung für alle» nicht mehr lange aufrechterhalten werden kann? Es gibt zwei Ansätze: Einerseits sollte die sehr starke Ausrichtung an der Arbeitsmarktfähigkeit durch ein breiteres Verständnis für die Individuen und ihre Laufbahnen ersetzt werden. Es ist wichtig, dass auch andere Faktoren und die Möglichkeit einer vorübergehenden oder relativen In-

Martine Zwick Monney: «Das Problem ist die Kategorisierung. Damit steckt man die Menschen in Schubladen und es besteht die Tendenz, dass Personen mit besserer Eingliederungsfähigkeit mehr Unterstützung erhalten.»

tegration in Betracht gezogen werden. Das ist heute keineswegs selbstverständlich, weil Ressourcen, die nicht in direktem Zusammenhang zur Erwerbstätigkeit und zur Arbeitsmarktfähigkeit stehen, kaum Beachtung finden. Man müsste die Perspektive ändern und andere, nicht über die Arbeit definierte Formen von Eingliederung anerkennen, doch das ist sehr kompliziert. Der andere Weg ist, auf den Kontext einzuwirken. Man sollte sich fragen, ob nicht das Integrationspotenzial der Gesellschaft gestärkt werden muss, also die Fähigkeit der Gesellschaft, Menschen einzugliedern, statt umgekehrt. Man spricht viel von Integration in die Gesellschaft, davon, wie der Einzelne partizipieren und sich anpassen soll. Man vergisst aber, dass auch der Arbeitsmarkt äusserst anspruchsvoll und unflexibel ist. Es ist wichtig, nicht einfach den Unternehmen das Wort zu reden, sodass sie ihre Ansprüche immer höher schrauben. Wir dürfen nicht einen Arbeitsmarkt mit zwei unterschiedlichen Dynamiken schaffen, der die ein bisschen weniger flexiblen, weniger qualifizierten und weniger mobilen Menschen an den Rand drängt. PANORAMA 6 | 2016 — 33

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GLOSSE

BERUFE MIT ZUKUNFT

IMPRESSUM

Herausgeber Schweizerisches Dienstleistungszentrum Berufsbildung | Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (SDBB). Mit Unterstützung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Anschrift SDBB, Redaktion PANORAMA Haus der Kantone, Speichergasse 6 Postfach, 3001 Bern Tel. 031 320 29 63, redaktion@panorama.ch www.panorama.ch

Autopilot/in EFZ Selbststeuernde Autos werden uns künftig so optimal durch den Verkehr lotsen, dass der Stau sogar auf der A1 ein Gespenst der Vergangenheit sein wird. Selbststeuernde Züge sollen nächstens die Geleise fixer und sicherer machen. Und selbststeuernde Drohnen könnten dereinst den gelben Riesen auf dem Luftweg überholen. Das geht für viele etwas gar schnell. Wer die Familie eben unter höchster Konzentration nach Alpnach chauffierte, vom freundlichen Pilatusbahn-Begleiter das Billett entwertet bekam und am Abend eine Postkarte für die Tante am Bodensee einwarf, kann kaum glauben, dass all diese handfesten Tätigkeiten schon bald reibungslos automatisiert sein werden. Dass diese Skepsis berechtigt ist, weiss niemand besser als die Swiss Driving Intelligence Society (SDIS). Deren Geschäftsführer Lasse Fahren erklärt: «Für Notfälle wie Systemausfälle oder eine Überforderung der Software sind handfeste Emergency-Abläufe nötig. Es wird nicht wenige hochqualifizierte Berufsleute brauchen, die in Verkehrsüberwachungszentren sofort eingreifen können, wenn ein selbstfahrendes System per Mobilfunk ein Problem meldet. Dann werden sie die Steuerung des Fahr- oder Fluggeräts manuell übernehmen – für den Komfort der Nutzer so, dass diese es nicht merken.» Wie diese menschlichen Autopiloten ausgebildet werden, was sie genau können müssen und welche Organisationen sie beschäftigen, ist bisher unbekannt. Lasse Fahren steht aber bereits im Kontakt mit dem SBFI. Ein Sprecher des SBFI sagte auf Anfrage: «Wie der neue Beruf aussehen wird, hängt von der Entwicklung der entsprechenden Technologien ab. Es wird der erste Beruf sein, der quasi ferngesteuert entsteht.»  pek

AUSBLICK

PANORAMA NR. 1 2017 erscheint am 24. Februar

50 und mehr Arbeitnehmende ab 50 erhalten widersprüchliche Signale: Die Politik bejubelt sie (Fachkräftemangel!), die Psychologen loben ihre Kompetenz. Gleichzeitig ist ihre Stellensuche mühselig, manchmal aussichtslos. Zu teuer, unflexibel, nicht mehr lange dabei – so lauten die Vorurteile. Dieses Spannungsfeld loten wir in unserer nächsten Ausgabe aus.

Redaktion Stefan Krucker (sk), Chefredaktor Daniel Fleischmann (dfl), Berufsbildung und Arbeitsmarkt Laura Perret Ducommun (lp), Berufsbildung Christine Bitz (cbi), Arbeitsmarkt Anna Zbinden Lüthi (az), Berufsberatung Ingrid Rollier (ir), Berufsberatung Jean-Noël Cornaz (jc), Produktion und Glosse Peter Kraft (pek), Glosse Layout: Andrea Lüthi Korrektorat: Carsten Zuege Druckerei Jordi AG, Aemmenmattstr. 22, 3123 Belp Tel. 031 818 01 11, info@jordibelp.ch Verlag, Inserate und Vertrieb Weber AG Verlag Gwattstrasse 144, CH-3645 Thun/Gwatt Tel. 033 336 55 55, Fax 033 336 55 56 panorama@weberag.ch Abonnemente b.hunziker@weberag.ch; Tel. 033 334 50 15 Adressänderungen bitte direkt an den Verlag. Preise Die Fachzeitschrift PANORAMA erscheint zweimonatlich in Deutsch und Französisch. Einzelausgabe: CHF/EUR 19.– Jahresabonnement (6 Ausgaben): CHF/EUR 92.– Jahreskombiabonnement (deutsche und französische Ausgabe): CHF/EUR 111.– Jahresabonnement Studierende: CHF /EUR 50.– Probeausgabe: gratis ISSN: 1661–9552, 30. Jahrgang Bilder Titelseite, S. 4, 16, 22, 28: Adrian Moser; S. 13: Daniel Fleischmann; S. 15: BAZ; S. 17: Fotolia/Syda Productions; S. 19: Fabian Stamm; S. 26: Mattias Rubin; übrige Bilder: zvg.

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Unser östlicher Nachbar – erfrischend anders PANORAMA-Studienreise nach Wien vom 21. bis 24. Mai 2017

Wien ist eine Reise wert, speziell auch für die Berufsbildung, die Berufsberatung und die öffentliche Arbeitsvermittlung. Denn unser östlicher Nachbar ist zwar ähnlich wie wir, aber auch erfrischend anders. So hat man mit dem «Qualifikationsplan Wien 2020» eine Programmatik formuliert, die die Systeme von Bildung, Beratung und Integration zusammenfügt. Ein Vorbild, finden viele. Das sind die Highlights des Programms (Änderungen vorbehalten):

Berufsbildung • Am Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (IBW) erhalten wir eine Einführung in das österreichische Berufs- bildungssystem. Wir hören zum Beispiel, was die Bildungspflicht bis 18 bringen soll. • Berufsbildende Schulen haben in Österreich eine hohe Bedeutung. Bei einem Besuch lernen wir unter anderem die individuelle Lernbegleitung kennen. • In Österreich werden Jugendliche mit Behinderungen auch berufsbildend integriert ausgebildet. Am Schulzentrum HTL HAK Ungargasse besuchen wir Werkstätten und Wohngruppen.

Berufsberatung Die Berufsberatung wird von staatlichen und privaten Trägern angeboten. Eine wichtige Adresse ist der WAFF Wien (Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds), der Berufs- und Bildungsberatung anbietet und gleichzeitig auch Förderungen vergibt – eine selbst in Österreich einmalige Organisation. • Wir lassen uns erklären, was es mit dem Wiener Qualifikationsplan 2020 auf sich hat. Zum Plan gehört beispielsweise der Qualifikationspass, die Wiener Ausbildungsgarantie oder die aufsuchende Bildungsberatung. • Auch das WIFI ist einen Besuch wert. Hier erleben wir, wie Angebote, die in der Schweiz getrennt sind, aus einer Hand kommen.

Arbeitsmarkt In Österreich kennt man die institutionellen Schranken weniger, die in der Schweiz existieren. Sozialhilfe, Arbeitslosenversicherung, Invalidenversicherung – das kommt oft aus einer Hand. Wichtigster Träger: der Arbeitsmarktservice (AMS). • Im AMS lassen wir uns die Angebote zeigen, wie man arbeitslos gemeldete Personen in den Arbeitsmarkt reintegriert. Interessant ist auch «AQUA» (arbeitsplatznahe Qualifizierung), die Unternehmen mit Firmensitz in Wien die Möglichkeit bietet, gesuchte Fachkräfte gezielt ausbilden zu lassen. • Wir besuchen das Berufsausbildungszentrum (BAZ), wo wir uns über die Facharbeiterintensivausbildung sowie die überbetriebliche Lehrausbildung ins Bild setzen. • Wir essen im Toplokal zu Mittag, einem «sozialökonomischen Betrieb» (zweiter Arbeitsmarkt) inmitten der Stadt.

Wien für Geniesser – mit Jürg Jegge Natürlich reicht die Zeit auch für touristische Erlebnisse. Damit wir Wien verstehen, dürfen wir zur Einführung einen ganz besonderen Gast begrüssen: Jürg Jegge, für den Wien seit vielen Jahren eine zweite Heimat ist. Abseits des touristischen Mainstreams freuen wir uns auf Besuche wie diese (zur Auswahl): • Eine Stadtführung der anderen Art, z. B. «Der Dritte Mann – Auf den Spuren eines Filmklassikers» oder «Das Rote Wien: Lebendige Spuren der Arbeiterbewegung» • Besuch eines wirklich ursprünglichen Heurigen • Kabinetttheater Untergebracht sind wir in einem erfrischend anderen Hotel, dem Magdas Hotel. Das Haus ist renoviert, gemütlich und weltoffen. Betreut wird es von Gastroprofis und von Flüchtlingen – als Arbeitsintegrationsprojekt der Caritas Wien. www.magdas-hotel.at

• Wir essen in der Jugendwerkstatt zu Mittag, in der Jugendliche die Berufswelt erkunden können – unter anderem die der Gastronomie.

Zielpublikum: Fachpersonen der Berufsbildung, des Arbeitsmarktes (RAV, LAM) sowie der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung

Preis: CHF 1200.–. Inbegriffen sind Flug ab Zürich, Hotel inkl. Frühstück, Referentenhonorare und Transporte in Wien. Personen im Doppelzimmer erhalten eine Ermässigung.

Gruppengrösse: 25 bis 30 Personen

Datum: 21. bis 24. Mai 2017

Leitung: Daniel Fleischmann, Fachredaktor für Berufsbildung und Arbeitsmarkt, PANORAMA, info@danielfleischmann.ch

Anmeldung bis 15. Februar 2017: info@sdbb.ch, Tel. 031 321 29 00 (Sekretariat SDBB)

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