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Stadtrat Thun: Interview mit Seraina Graf
from TM 01 2019
by WEBER VERLAG
«Es geht schliesslich um unsere Zukunft»
Ihr erstes kleines politisches Erfolgserlebnis hatte Seraina Graf schon mit 8 Jahren. Seit anfangs Jahr ist die 21-Jährige die jüngste Stadträtin Thuns. Nebst der Jugend liegen ihr aber auch andere Themen am Herzen.
SERAINA GRAF, Leute in Ihrem Alter interessieren sich für Musik, Sport, Freunde. Weshalb sind Sie in die Politik
eingestiegen? Vor allem, weil es viel zu wenige Junge in der Politik gibt. Ich verstehe nicht, wenn sich Leute nicht für Politik interessieren. Es geht schliesslich um unsere Zukunft. Das kann einem doch nicht egal sein. Wir sind abhängig davon, was jetzt passiert und entschieden wird. Zum Beispiel in der Klimadebatte. Es wird deshalb immer wichtiger, dass sich auch Junge interessieren und engagieren.
Wie wollen Sie die Jungen für die Poli-
tik begeistern? Ich hoffe sehr, dass wir jungen, neuen Stadträtinnen und Stadträte eine Art Leuchtturm-Effekt haben auf Gleichaltrige und sie sich von unserem Engagement anstecken lassen. Gleichzeitig thematisiere ich natürlich in meinem Umfeld in Gesprächen immer wieder politische Themen.
Wie sind Sie selbst politisiert worden?
In meiner Familie war Politik immer ein Thema, wir diskutierten über das aktuelle Geschehen am Mittagstisch. Ich kann mich erinnern, dass ich mich sogar als Kind schon engagiert habe. Im Lauenenquartier, wo ich aufgewachsen bin, gab es früher das Problem, dass die Autos aus Platzgründen immer wieder über das Trottoir fuhren. Als 3.-Klässlerin beschwerte ich mich zusammen mit meiner zwei Jahre älteren Schwester und einem anderen Geschwisterpaar darüber beim damaligen Stadtpräsidenten. Er hat uns sogar im Rathaus empfangen. Das war ein eindrückliches Erlebnis.
Hat der damalige Stadtpräsident
Hansueli von Allmen Sie erhört? Jedenfalls wurden irgendwann oben am Lauenenstutz Pfeiler installiert, die das Befahren des Trottoirs verhindern. Ob das wegen uns ist, weiss ich nicht (lacht).
Ein erstes politisches Erfolgserlebnis mit 8 Jahren. Chapeau! Wann erfolgte dann Ihr Einstieg in die Parteipolitik?
Ich bin mit einigen Mitgliedern der Grünen Partei befreundet. Als es im letzten Jahr auf die Wahlen zuging, fragten sie mich, ob ich nicht kandidieren wolle für den Stadtrat.
Die Wahl hat Sie dann doch einiger-
massen überrascht. Ja, ich habe niemals damit gerechnet.
Die Personen, die Sie gewählt haben, setzen bestimmte Erwartungen in Sie.
Wie gross ist der Druck? Ich nehme das nicht als Druck wahr, sondern eher als Ansporn. Zudem kann ich auf die Unterstützung meiner Parteikolleginnen und -kollegen zählen.
Was möchten Sie denn als Stadträtin in Thun bewirken? Ein wichtiges Anliegen ist wie gesagt der Einbezug der Jungen.
Ich möchte ihnen zeigen, dass ihre Meinung und ihre Anliegen wichtig sind und sie diese auch kundtun sollen. Ich wünsche mir, dass die Jungen in Thun bleiben und die Stadt zu einer urbanen Smart City wird.
Was macht Thun lebenswert für die jun-
gen Leute? Ganz vieles. Die Mischung aus Kleinstadt und dem grossen Naherholungsgebiet mit See, Aare und Grünflächen in Kombination mit der Nähe zu den Bergen ist einmalig.
Wo sehen Sie in Thun Optimierungspo-
tential? Beim Nachtleben. Thun muss nicht zu einer einzigen Ausgehmeile werden. Aber es wäre schon schön, wenn es etwas mehr Angebote für die Jungen gäbe im Stil eines Mokka oder AKuT.
Welche Themen nebst der Jugend lie-
gen Ihnen sonst noch am Herzen? Wohnen in Form von gemeinnützigem Wohnungsbau oder Mehrgenerationenhäusern ist mir ein weiteres wichtiges Anliegen sowie der Langsamverkehr.
Ökologie ist in Ihrer Partei ein zentrales Thema. Was tragen Sie persönlich bei zur Schonung von Umwelt und Res-
sourcen? Ich kaufe biologische und regionale Produkte ein und achte auch bei der Kleidung auf nachhaltige Produktion. Zudem vermeide ich es, wann immer möglich, zu fliegen.
Sie studieren momentan in Basel, wo Sie während der Woche auch wohnen.
Was könnte Thun von Basel lernen? Die beiden Städte sind natürlich sehr unterschiedlich, schon nur aufgrund ihrer Grösse und Lage. Aber grundsätzlich könnte sich Thun bezüglich Offenheit ein Stück von Basel abschneiden.
Und was könnte Basel von Thun ab-
schauen? Das Schwimmen im Fluss ist in Basel nicht so populär wie bei uns, natürlich auch aufgrund der Schifffahrt. Aber hier könnte Basel sicher bei uns abschauen. gen Ort sein. Zurzeit kann ich mir nicht
A propos schwimmen. Im Stadtrat ist alles neu für Sie. Wovor haben Sie am meisten Respekt? Davor, alles unter einen Hut zu bringen und nebst dem Studium auch wirklich genug Zeit für mein politisches Amt aufwenden zu können.
Sie studieren Medien- und Politikwissenschaften. Was nützt Ihnen das Stu-
dium für Ihr Amt als Stadträtin? Ich erhalte kein Rezept dafür, wie ich wiedergewählt werde oder meine Vorstösse durchbringe. Aber für das breitere Verständnis unseres Systems, den Kontext von Politik und Medien bringt mir das Studium schon einiges.
Die Art, wie man politisiert, gewinnt in der medialen Welt zunehmend an Bedeutung. Was ist Ihnen hier wichtig?
Dass man auf eine adäquate, korrekte Sprache und entsprechende Umgangsformen achtet. Das heisst nicht, dass man nicht ab und zu provozieren darf. Ich hoffe, hier einen guten Mittelweg zu
Die Grünen haben nun in Thun ihre erste Gemeinderätin. Welche Ambitionen haben Sie? Werden Sie dereinst
die erste grüne Bundesrätin? (lacht) In der Politik ist es nicht einfach zu planen. Man muss zur richtigen Zeit am richtifinden.
vorstellen, einmal Bundesrätin zu werden. Ich konzentriere mich jetzt auf mein Amt als Stadträtin. Aber wer weiss.
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Interview: Simone Tanner Fotos: Erich Häsler
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Links: Die jüngste Stadträtin im Stadtratssaal im Rathaus. Rechts oben: Seraina Graf hat bis jetzt an zwei Stadtratssitzungen teilgenommen. Rechts unten: Das Flussbad Schwäbis gehört zu ihren liebsten Orten in Thun.
Zur Person
Seraina Graf ist am 29.4.1997 in Thun geboren. Seit anfangs Jahr sitzt sie für die Grünen im Thuner Stadtparlament. Sie studiert Medien- und Politikwissenschaften in Basel. In ihrer Freizeit treibt sie gern Wintersport, spielt Klavier und ist als Layouterin und Autorin beim Magazin von «und – das Generationentandem» tätig.