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Eine Sommerausstellung wie ein Drahtseilakt
from ThunMagazin 03/23
by WEBER VERLAG
Reena Saini Kallat zählt zu den wichtigsten indischen Künstlerinnen der Gegenwart. Sie setzt sich in ihren multimedialen Arbeiten mit Grenzen und geopolitischen Konflikten auseinander. «Deep Rivers Run Quiet» im Kunstmuseum Thun ist ihre erste Einzelausstellung in der Schweiz.
«Wo liegen deine Grenzen?» Auf diese Frage haben wir individuelle Antworten. Für manche beginnen Grenzen dort, wo andere sie noch gar nicht spüren. Grenzen werden gezogen, trennen oder markieren etwas, sind klar oder manchmal auch fliessend. Die aktuelle Ausstellung «Deep Rivers Run Quiet» der indischen Künstlerin Reena Saini Kallat (*1973 in Delhi) ist eine Reise zu territorialen, sozialen und psychologischen Grenzen. Denn sie setzt sich in ihren multimedialen Arbeiten mit geografischen Grenzen und geopolitischen Konflikten auseinander, indem sie die Auswirkungen auf die Bevölkerung und deren Umwelt untersucht. Die Motive ihrer Werke sind mehrdeutig und stellen dem trennenden Element immer auch eine verbindende Komponente gegenüber. So beschäftigt sich die Künstlerin etwa mit Flussläufen, die Grenze und Lebensader zugleich sind. In der Ausstellung im Kunstmuseum treten die Werke durch die unmittelbare Nähe in Dialog mit der Aare.
Landkarte mit Stacheldraht
Reena Saini Kallat zählt zu den wichtigsten indischen Künstlerinnen der Gegenwart. Sie lebt heute in Mumbai. Ihre Heimat ist seit der Teilung Indiens nach der britischen Kolonialherrschaft geprägt von Kriegen in Grenzgebieten, von sich wandelnden Nationalitäten und den damit einhergehenden Rissen in Identitäten. Was macht das mit der dort lebenden Bevölkerung?
Reena Saini Kallat zeigt es in multimedialen, wandfüllenden Werken. So erschafft sie beispielsweise mit «Woven Chronicle» eine riesige Landkarte, die an aufwändige Handarbeit erinnert. Fäden hängen aneinander, verweben sich Meter um Meter zu einem dekorativen Geflecht. Erst aus der Nähe wird ersichtlich, dass es sich gar nicht um Stoffe handelt, sondern um elektrischen Stacheldraht.
Konsequenzen kolonialer Geschichte Kallats Arbeiten machen geopolitische Grenzkonflikte ebenso sichtbar wie die Konsequenzen kolonialer Geschichte. Über Materialien wie den Stacheldraht lässt die Künstlerin gewaltsame Trennung wie auch die leitende Funktion des Drahts spürbar werden. In der Werkgruppe «Siamese Trees» (2018 /19) ist der elektronische Draht beispielsweise die Basis für geflochtene Baumobjekte, die in ihrer Form «Grüne Lungen» verbildlichen. Draht ist hier vor allem leitendes Medium, das analog der Blutgefässe im menschlichen Körper die Nährstoffe einer hybriden Pflanzenart aufnimmt.
Für Thun neu interpretiert
In Werkgruppen zum Thema Nationalstaat und den teilweise absurden Bedeutungen nationaler Symbole befasst sich die Künstlerin mit der typischen
Flora und Fauna von miteinander in Konflikt stehenden Nationalstaaten, etwa Indien und Pakistan oder den USA und Mexiko. So in der mehrteiligen multimedialen Serie «Hyphenated Lives» (2014) anhand von tierischen und pflanzlichen Hybriden. Eine ihrer bekanntesten Arbeiten, die erwähnte grossformatige Installation «Woven Chronicle», hat Kallat eigens für Thun neu interpretiert und um Themen wie die der Biodiversität erweitert. Es ist die erste Einzelausstellung der Künstlerin in der Schweiz.
Ausstellung
«Deep Rivers Run Quiet» ist noch bis zum 3. September zu sehen. www.kunstmuseumthun.ch