Weiter DANIELA DAMBACH
gehen THE GREAT HIMALAYA TRAIL
MARIA-THERESIA ZWYSSIG
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gehen THE GREAT HIMALAYA TRAIL MARIA-THERESIA ZWYSSIG
Vorwort «SCHON VERRÜCKT ... ICH DACHTE IMMER, DIE HÖHE UND DAS LAUFEN SEIEN DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN – DOCH NEIN, ES IST DAS ZWISCHENMENSCHLICHE.» Diese Zeilen schrieb Maria-Theresia Zwyssig auf dem Lumba-Sumba-Pass in ihr Tagebuch. Zu diesem Zeitpunkt hat sie 15 000 Kilometer auf dem Velo hinter sich, wie auch die ersten von insgesamt 1711 Kilometern zu Fuss auf dem «Great Himalaya Trail». Zahlreiche Etappen der schwierigsten und höchsten Trekkingroute der Welt liegen vor ihr. Unwegsames Gelände, Eiseskälte, Dschungelhitze, weltentrückte Dörfer – doch die wahren Prüfungen liegen in den stärksten Emotionen des Menschseins. Das vorliegende Werk erzählt das Abenteuer von Maria-Theresia Zwyssig nur bedingt chronologisch, sondern vielmehr in Episoden, in denen sie die jeweiligen Emotionen am tiefgreifendsten erlebte.
Inhalt
Aufbruch verbindet
9
75
SICH begegnen
Angst empfangen
23
45
Durchhalten
wollen
WUT BEFREIT
103
165
MOTIVATION
MEHREN
RESPEKT
Zeigen
115
143 TRAUERN
TRAUEN
Vertrauen
fassen
191
231 GEDULD
EINFÄDELN
ALLEIN,
NICHT EINSAM
209
247
VERBINDLICH ENTSCHEIDEN
GLÃœCK SCHMIEDEN
263
ANHANG
DIE REISE VON MARIA-THERESIA ZWYSSIG IN ZAHLEN UND FAKTEN
284
Aufbruch verbindet
Siebensachen für achtzehn Monate: Zur Ausrüstung gehört auch das Löwen-Maskottchen von Mama.
10
2./3. MÄRZ 2018, SPIEZ, SCHWEIZ Minuten nach Mitternacht. Nur wenige Stunden trennen Maria-Theresia vom Aufbruch zu ihrem Abenteuer. Auf zwei Rädern pedalt sie von Spiez nach Nepal – der Anreiseweg für ihr wahres, wuchtiges Ziel: den «Great Himalaya Trail». Eines Abends, als der Silbermond hinter dem Niesen verschwand, stiess sie bei der fernwehgetriebenen Recherche im Büro auf die schwierigste und höchste Trekkingroute der Welt. «Das will ich!», schleuderte ein Geschoss Tatendrang durch ihren Kopf und verankerte sich dort, als sie sich durch die spärlichen Informationen klickte. 150 Tage durch den Himalaya trekken, Nepal durchqueren von Ost nach West, auf weltentrückten 6000er-Pässe, über die «High Route» in einer Saison – was bisher nur rund fünfzig Menschen schafften, reizte sie. Der wahrscheinlich schwierigste Schritt – unbeeinflusst von jedwedem Schuhwerk – nähert sich im schonungslosen Tick-Takt des Sekundenzeigers: Loslassen, was sie zu halten liebt. Die Komfortzone gegen das unbequeme Ungewisse eintauschen. Abschied nehmen von jenen, die ihr alles geben. Wie Mama, die sie so stechend vermissen wird, als ob ein widerborstiger Igel sich rücklings über ihr Herz wälzte. «Was möchtest du essen?», erkundigt sich Mama am Abend vor der Abreise. Früher holte der Duft von Mamas Kochkünsten Maria-Theresia schon auf dem Schulweg ab, das Gefühl von Heimeligkeit sog sie durch die Nasenhöhlen ein. «Am liebsten einfach so wie immer», erwidert sie. «So wie immer» – das sind ein paar Kartoffeln mit Rosmarin, kleine Tomaten, Brot und Ei. Bei ihrem letzten gemeinsamen Mahl für lange Zeit sitzen sich Mutter und Tochter schweigend gegenüber. Ihre Münder sind einzig damit zugange, das Essen für die Strecke über die Speiseröhre bis in den Magen vorzubereiten. Mama weiss alles. Alles ist gesagt. Während Maria-Theresia Gemüse gabelt, grübelt sie, worüber sie mit Mama reden könnte: «Erzähl mir etwas!» «Was denn?» «Von deinem ersten Auto – oder von deiner ersten Arbeitsstelle?» Sie erzählt und erzählt. Als würde jemand mit einer Suppenkelle nach und nach Luft abschöpfen, schnürt es Maria-Theresia die Kehle zu. Ihr unsichtbares Band ist festgezurrt und doch ist ihr so manche Schlaufe aus Mamas Lebenslauf unbekannt. Obwohl Mama hinter ihr steht, zerrt das Gefühl an Maria-Theresia, ihr mit der monatelangen Abwesenheit etwas Schreckliches anzutun.
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Als sie in der Stube wartet, bis Morgen ist und sie losziehen kann, beschleicht sie eine Ahnung von der Ewigkeit. Der Vollmond, der jene Position gewählt hat, in dem der ruhende Thunersee am schönsten glänzt, linst durch das Fenster hinein. «Die Mond, es heisst die Mond», geht ihr durch den überwachen Kopf, «la Luna». Sie verbindet Maria-Theresia und ihre Mutter wie ein Bullauge, das sich in bestimmten Zeitfenstern öffnet und durch das sie zueinander blicken, auf welchem Deck des Erdenschiffs sie sich auch immer aufhalten. Mama weiss alles. Alles ist gesagt. Ist das vor dem Sterben auch so? Ihren Job beim Radio hat sie gekündigt. Die Sendungen im Studio sind vorbei, als sie stets alleine war und doch ganz viele zuhörende Menschen bei sich wusste. So ist es auch auf der Reise: Abstrampeln muss sie sich alleine, aber viele Menschen denken an sie. Manche glauben, dass Maria-Theresia achtzehn Monate in den Ferien weilt. Doch es ist Arbeit, harte Arbeit an sich selbst. Maria-Theresias Blick schweift zu Mamas Zimmertür, durch deren Spalt sich ein Lichtstrahl herausschmiegt, als wolle er sie hineinlenken. Sie schlüpft unter die Bettdecke, die ihr nie zuvor so schäfchenwolkenweich vorkam, drückt sich an sie und schläft den Schlaf eines kleinen Mädchens, von Mutters Armen beschützt vor allem Unheil. Nur zu einigen Bissen vom Fünf-Minuten-Ei und einer überreifen Banane ringt sie sich durch. Auf der Autofahrt ins Kiental dreht Maria-Theresia die Sitzheizung auf – «Freddy», ihr fügsames Fahrrad, könnte sich davon noch eine Scheibe abschneiden. In drei Stunden schon beginnt er damit, was er die nächsten 330 Tage zuverlässig tun wird: Maria-Theresias Muskelkraft in Bewegung umwandeln auf einer Strecke von hier bis Nepal. Heizen zählt gewiss nicht zu seinen Aufgaben. Je näher dieser erste Pedaltritt rückt, desto pene tranter die Pein, ihre bisherige Existenz aufzugeben. Als würde sie auf das geliebte Meer hinaustreiben und nicht wissen, ob die Wellen sie gewogen tragen oder verschlingen. Achtzig Menschen haben sich versammelt, um sich von Maria-Theresia zu verabschieden. «Auf Wiedersehen» sagt sie innerlich schon bei der herzklopfenden Begrüssungsumarmung von jeder Freundin, jedem Arbeitskollegen, jeder Bekannten. Jedem Menschen widmet sie ein paar Worte, wobei ihr die Tränen aus den blinzelnden Lidern schiessen als hätte jemand von den Augenhöhlen her mit einer Wasserpistole nachgeholfen. Mama, die das alles erst möglich macht. Christa und Heinz, die sie in Südindien kennenlernte. Roberto, einer der nur drei Menschen in ihrem Leben, die ihren Vater kannten. Selber erlebte 12
«Dort, weit weg liegt das Ziel!» Ohne Mama, die ihr den Rücken stärkt, hielte sie das Abenteuer für unmöglich.
Weit voneinander entfernt, und doch durch die Mond verbunden. 13
sie ihn nicht, da er verstarb, als sie drei Jahre alt war und nichts wusste von der Weite der Welt. Jetzt ist er ihr Schutzengel, der seine Bestimmung bisher ausgezeichnet wahrnimmt – zwar ist er immer da, redet ihr aber nicht rein. Wortreiche und wortlose Glückwünsche lassen die Zeit zerrinnen, wie wenn man in rasantem Rhythmus an eine Sanduhr klopft, damit die Körner schneller durch die Verbindungsstelle sickern. Trockenfleisch, ein Teddybär, eine Bündner Nusstorte, ein Sackmesser – all diese Mitbringsel finden keinen Platz mehr in ihren Fahrradtaschen. Denn dort ist akribisch verstaut, was sie ab morgen zum Leben oder zum Überleben braucht. Kleinere Glücksbringer verwahrt sie in der «Seelenbox», deren Deckel sie abhebt, wenn sie unterwegs verzagt. Auf deren Blechboden – über und über mit den Sächelchen bedeckt – liegt ein Brief, den sie an sich selbst geschrieben hat. Sollte sie auf der Abenteuerreise an einen Tiefpunkt sinken, an dem sie aufzugeben gedenkt, verinnerlicht sie diese handgeschriebenen Zeilen: ein reflektierender «Fallschirm», der in ihr die Beweggründe zum Aufbruch wachruft. Ob sie ihn öffnen wird? Ein letzter Schnappschuss hier, ein Herzen da. Dann schwingt sie sich auf den Sattel und setzt den rechten Fuss, der sich bleiern anfühlt, auf das Pedal. Kilometerstand: Null. Sie richtet ihren bebenden Blick nach vorne und schaut nicht zurück. Niemals. Denn das, was kommt, liegt vorne. Sie spürt achtzig Blicke im Rücken, die zwischen Bangen und Bewundern balancieren wie ein übermütiger Spross auf einem Nervendrahtseil. Winken, Wortfetzen, weiter. Sie schaut nicht zurück. Niemals. Es scheint, als wäre der schwierigste Schritt getan.
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«Schau niemals zurück!» gilt vom ersten Tag an auf dem Velo.
Bereit für den zweiten Aufbruch: Equipment für den «Great Himalaya Trail», mitsamt Stofftier und Seelenbox.
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Impressum Alle Angaben in diesem Buch wurden von der Autorin nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und von ihr und dem Verlag mit Sorgfalt geprüft. Inhaltliche Fehler sind dennoch nicht auszuschliessen. Daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autorin noch Verlag übernehmen Verantwortung für etwaige Unstimmigkeiten. Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe. © 2020 Werd & Weber Verlag AG, Gwattstrasse 144, 3645 Thun / Gwatt Autorin Daniela Dambach Werd & Weber Verlag AG Gestaltung Cover Sonja Berger, Nina Ruosch Gestaltung Inhalt und Satz Susanne Mani Bildbearbeitung Adrian Aellig Lektorat Alain Diezig Korrektorat Anja Rüdin ISBN 978-3-03818-260-3 www.werdverlag.ch www.weberverlag.ch
neutral Drucksache
Der Verlag Werd & Weber wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016-2020 unterstützt.
DANIELA DAMBACH
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Maria-Theresia Zwyssig fährt vom Berner Oberland mutter seelenalleine mit dem Velo rund 15 000 Kilometer durch 20 Länder bis nach Kathmandu. Doch das ist nur die Anreise: Ihr Traum ist es, von dort aus den «Great Himalaya Trail» zu beschreiten. Als eine der ersten Frauen will sie die schwierigste und höchstgelegenste Trekkingroute der Welt in einer Saison bewältigen. So beeindruckend die Weite der Landschaft, so herausfordernd und heimtückisch ist sie. Die 33-Jährige kommt an ihre körperlichen und mentalen Grenzen. Wie gelingt es ihr, diese zu verschieben und weiterzugehen? Denn eines steht fest: Es muss weitergehen.
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