Rissbeschreibung
5 Rissbeschreibung 5.1 Allgemeine Erläuterungen Ein Bruch ist die schwerste Ursache für das Versagen einer Konstruktion. Der Bruch wird durch die Bildung und Ausdehnung von Rissen eingeleitet und mit dem Verlust der Stabilität nach Erreichen einer kritischen Risslänge beendet. Die Entstehung von Rissen ist demnach stets mit einem Bruch im Werkstoff verbunden. Die Vorgänge, wie ein Riss in einem Bauteil entsteht und sich fortsetzt und der Versagensfall (ein Bruch) eintritt, sind sehr komplex. Mit der Rissausbreitung unter statischen und dynamischen Belastungen bis zum Bruch bzw. mit dem Materialverhalten (Versagen) risshafter Bauteile befasst sich die Bruchmechnik. Sie vereint Elemente aus der Werkstoff- und Materialkunde ebenso wie aus der Elasto- und Plastomechanik. Verursacht werden Risse durch wirkende innere Spannungen. Ebenso können Risse erst später während der Herstellung und Verarbeitung eines Baustoffs bzw. der Nutzung von Bauteilen aufgrund von Einwirkung äußerer Kräfte oder Beanspruchungen auftreten. Da ein Mikroriss im Allgemeinen zuerst innerhalb des Baustoffgefüges entsteht, ist die Bildung von Rissen von außen nicht wahrnehmbar. Mikrorisse existieren jedoch nicht nur in Bauteilen bzw. in Baustoffen wie im Beton oder im Mörtel, sondern u.a. auch im Glas, Porzellan, Stahl, Holz. So entstehen sie beispielsweise bei der Wärmebehandlung (Härterisse), der spanlosen und spanabhebenden Bearbeitung (Schmiede- bzw. Schleifriss) oder beim Löten oder Schweißen. Durch das Schweißen kann es zur Schädigung des Bauteils u.a. in Form von Erstarrungsrissen (Härterissen) kommen. Sie treten bei der Kristallisation des Baustoffs aus der flüssigen Phase auf. Im Innern der Schweißraupe kommt es zunächst zur Bildung von Mikrorissen. Diese können sich bei weiter zunehmender Erstarrung bis zur Oberfläche hinzie-
Kapitel 5 | 35 5.1 Allgemeine Erläuterungen
hen und dort als Makrorisse sichtbar werden. Die Erstarrungsrisse verlaufen grundsätzlich senkrecht zur stärksten Schrumpfverformung. Auch bei der Herstellung von Fenster- oder Fassadenverglasungen entstehen z.B. während des Schneideprozesses Mikrorisse. Wird solch eine Verglasung direkt in eine anliegende Metallrahmenkonstruktion eingebaut und kommt es zu einer ansteigenden Temperatureinwirkung, kann sich die Scheibe nicht ausdehnen. Es bilden sich sehr hohe Spannungen in der Scheibe, die einen dann erkennbaren Glasbruch auslösen können. Generell ist zwischen einem Riss und einem Bruch zu unterscheiden. Es wird davon ausgegangen, dass in einem Bauteil bereits Fehlstellen wie Lunker oder Einschlüsse, wie schon erwähnt, als Folge des Herstellungsprozesses enthalten sind. Zu einem unzulässigen Risswachstum bis hin zum Bruch, dem Zeitpunkt des Überschreitens der Bruchfestigkeit, kann es unter bestimmten geometrischen Bedingungen (Lage, Art und Beanspruchung der Fehlstelle) kommen. Für die Beschreibung der Vorgänge bei der Bildung und allmählichen Ausbreitung von Rissen ist eine Unterteilung in drei Stadien zweckmäßig: ▶ Rissbildung in Verbindung mit Änderungen in den mechanischen und physikalischen Eigenschaften von Werk- bzw. Baustoffen ▶ Rissausbreitung durch das Wachsen des Risses bis zum Erreichen einer kritischen Rissgröße ▶ Bruch des Restquerschnitts Die Problematik der Rissbildung und -ausbreitung ist von solcher Komplexität, dass die Entwicklung einheitlicher Theorien selbst den Werkstoffwissenschaften bisher noch nicht gelungen ist. Deshalb beziehen sich die hier angeführten Darlegungen nur auf grundlegende Erkenntnisse.
36 | Kapitel 5 5.2 Bildung und Ausbreitung von Rissen
Rissbeschreibung
5.2 Bildung und Ausbreitung von Rissen Bevorzugt entstehen Risse ▶ an der Oberfläche durch – höhere Lastspannungen (wie Torsion, Biegung), – Mikrokerben (Riefen, Scheuerstellen), – unzureichende Stützwirkung durch Nachbarkörner, ▶ im Inneren eines Werkstoffs durch – Poren, – Einschlüsse (wie Kerben), – niedrigere Festigkeit, – hohe Zugeigenspannungen. In Bild 1 ist ganz allgemein der Ablauf von der „Inbetriebnahme“ bis zum Versagen eines Bauteils mit den einzelnen Phasen der Rissbildung und -ausbreitung dargestellt. An einem Material oder einem Baustoff können durch einwirkende Beanspruchungen oder unter bestimmten Umgebungseinflüssen Schädigungen auftreten (wie Materialermüdungen oder Korrosionsabtrag). Diese sind in der ersten Phase global vorhanden.
1. Phase globale Schädigung
Ursachen u.a. Umgebungsbedingungen Beanspruchungen wie - Materialermüdungen - starke plastische Deformation
Inbetriebnahme
Die schädigenden Prozesse setzen sich fort und konzentrieren sich zunehmend auf Stellen, an denen die Schädigung am massivsten fortgeschritten ist. Es kommt zu einer Lokalisierung, der beginnenden Rissbildung. Der Steinschlag bei Autoscheiben ist ein bekanntes Problem und mancher kennt es aus eigener Erfahrung. Das Auftreffen eines Steins schädigt die Autoscheibe. Oftmals wird der entstandene Riss gar nicht wahrgenommen, was allerdings von der Größe und Intensität des Steins bzw. des Aufpralls abhängt. Wie andere Materialien dehnt sich die Glasscheibe bei Hitze aus und zieht sich bei Kälte zusammen. Ist ein Steinschlag vorhanden, ist so eine Vergrößerung des Risses vorprogrammiert. Im Winter können sich Wassertropfen in diesem Steinschlag ansetzen und gefrieren. Durch das Gefrieren dehnt sich das Wasser aus, der Riss vergrößert sich. Im Winter, wenn die Autoscheibe morgens gefroren ist, wird die Fahrzeugheizung auf hoher Stufe zum schnellen Enteisen der Scheibe genutzt. Die kalte Scheibe erwärmt sich schneller, sie dehnt sich aber auch schnell aus. Diese schnelle Ausdehnung führt zu einer starken Beanspruchung der Glasfläche. Der Steinschlag, die schwächste Stelle im Glas, wird sich über kurz oder lang zu einem großen Riss ausweiten. Auch Stahl kann reißen. Wird z.B. ein Stahlbehälter durch einen Innendruck bis zum Bruch belastet, dann reißt der Behälter an der schwächsten Stelle, zumeist entlang den Schweißnähten, auf.
2. Phase Lokalisierung/Rissbildung
3. Phase Rissausbreitung
Konzentration schädigender Prozesse auf schon stark geschädigten Bereich
Risswachstum unkritisch
Herausbilden Hauptriss aus einem der zahlreichen Risskeime
Riss wächst durch mechanische Belastung an der Rissspitze sowie zusätzlich erforderlicher nicht-mechanischer Schädigungsprozesse wie Korrosion, Kriechen und/oder Ermüdung
Rissausbreitung überkritisch
Stabil
Instabil-dynamisch
Ausbreiten der Risse bei weiterer Laststeigerung/ Bauteil behält noch bis zuletzt gewisse Tragfähigkeit
Unkontrolliertes Ausbreiten der Risse führt zum schlagartigen Versagen des Bauteils
Zeit
Bild 1: Allgemeiner zeitlicher Ablauf von der Rissbildung bis zum Bruch bei einem Bauteil (in Anlehnung an [6])
Bruch
Rissbeschreibung
Diese beiden Beispiele bringen im Grunde Folgendes zum Ausdruck. Eine Krafteinwirkung – die Aktion – führt in einem Baustoff zu Belastungen (Spannungen) – den Reaktionen. Der Baustoff möchte der Verformung ausweichen bzw. die Spannung abbauen. Wird er daran gehindert, kann der Baustoff nur bis zu einer gewissen Grenze dieser Belastung standhalten. Wird diese Grenze überschritten, will sich der Baustoff von dieser Last befreien. Das passiert an der Stelle, an der dem Baustoff der geringste Widerstand entgegengebracht wird, folglich an der schwächsten Stelle im Baustoff oder Baustoffverbund. In dem Augenblick, in dem sich der Baustoff entspannt, entsteht an der Schwachstelle ein Makroriss als Merkmal für die Entspannung.
Kapitel 5 | 37 5.2 Bildung und Ausbreitung von Rissen
Was ein Mikroriss ist, dafür gibt es verschiedene Erklärungen: ▶ Hohlräume oder „voids“ ▶ kleinste Risse, die von der Oberfläche aus in das Material führen Jede mechanisch bearbeitete Oberfläche wird solche Mikrorisse aufweisen. ▶ interne Risse, z.B. zwischen Körnern oder an der Kontaktfläche zwischen einer Bindemittelmatrix und den Zuschlagstoffen ▶ aufgestaute Versetzungen, z.B. an einer Korngrenze
Das heißt, eine Rissbildung tritt dann ein, wenn an einer Stelle innerhalb eines Werkstoffs eine bleibende örtliche Trennung entsteht unter der Voraussetzung, dass an dieser vorher eine Verbindung bestand und deren Umgebung rissfrei war. Diese Trennung wird durch Spannungskonzentrationen verursacht. Während der Belastung ist ein Bauteil ständig Spannungen ausgesetzt. Das führt zu Versetzungsbewegungen, die sich auf einige sich langsam vertiefende und verbreiternde Ermüdungsgleitbänder an der Oberfläche konzentrieren. Versetzungen mit gleichem Vorzeichen, die in einer Gleitebene wandern, stauen sich auf. Die sich bildenden Spannungskonzentrationen führen zu einem mikroskopischen Anriss durch Spaltung. Eine Spaltung wird vermieden, wenn die Spannungskonzentrationen im Kopf des Versetzungsstaus in Nachbarbereiche abgleiten. Es kommt jedoch nicht nur an der Oberfläche eines Werkstoffs zur Rissbildung. Auch im Inneren treten Versetzungserscheinungen auf. Abhängig vom Zustand des Gefüges bewirken diese eine Verfestigung (Erhöhung der mechanischen Festigkeit) oder Entfestigung, wodurch die physikalischen und mechanischen Eigenschaften geändert werden. Bei dem durch den Aufstau der Versetzungen verursachten Anriss handelt es sich zunächst um einen submikroskopischen Anriss. Sind die Voraussetzungen für eine Ausbreitung des Risses vorhanden, geht dieser submikroskopische Anriss zuerst in einen Mikroriss über.
Bild 2: Riss in einem Fe3C-Teilchen eines Werkzeugstahls, der sich nicht in die Matrix hinein fortsetzt [7]
Die Größe von Mikrorissen, für die keine einheitlichen Werte vorliegen, wird mit kleiner 1 μm angegeben. Sie sind deshalb mit dem bloßen Auge nicht erkennbar. Im weiteren Verlauf wird aus dem Mikroriss ein mit dem Auge wahrnehmbarer Makroriss. Bei der sich anschließenden dritten Phase, der Rissausbreitung, die zuerst als sog. unkritisches Risswachstum verläuft, bewirken die mechanischen Belastungen der Rissspitze und zusätzliche Spannungs- und Dehnungsprozesse das weitere Wachsen des Risses. Mit zunehmender Risstiefe steigt die mechanische Beanspruchung des Risses. Das Wachstum des Risses wird beschleunigt. Die kritische mechanische Rissbeanspruchung ist bei einer bestimmten Risslänge erreicht. Ab diesem Zeitpunkt breitet sich der Riss allein aus, was durch die lokal vorhandene mechanische Beanspruchung bedingt ist. Maßgebend können bei der sich fortsetzenden Ausbreitung des Risses Spannungen oder
38 | Kapitel 5 5.3 Erscheinungsbilder von Rissen
plastische Dehnungen sein, die Rissausbreitung ist entweder spannungs- oder dehnungsinduziert.
Rissbeschreibung
Tab. 1: Am häufigsten vorkommende Rissformen und Rissarten
Die Rissausbreitung kann entweder instabil oder stabil weiter verlaufen. Das ist in der Praxis (z.B. im Baugeschehen) von Wichtigkeit.
Rissformen
Im Stadium der stabilen Rissausbreitung, die unter ständiger Energiezufuhr abläuft, vergrößern sich die Ausmaße des Risses nur zögerlich. Dabei besteht zwischen der Veränderung der Rissausmaße und der steigenden Belastung Proportionalität. Durch eine Entlastung kann die Ausbreitung des Risses zu jeder Zeit unterbrochen werden (Stillstand).
schräge (auch diagonale, abgestufte oder treppenförmige) Risse
Der auslösende Moment für einen Riss ist schließlich erreicht, wenn die stabile in die instabile Rissausbreitung übergeht. Diese erfolgt unter ständigem Energieverbrauch. Der ausgelöste Riss breitet sich unter weiterer Belastung mit hoher Geschwindigkeit aus, bis er das belastete Bauteil zum Teil oder vollständig trennt. Im Allgemeinen führt die instabile Rissausbreitung zu einem makroskopischen Sprödbruch, d.h., das Material versagt schlagartig. Dann sind Risse, nunmehr die Makrorisse, von außen sichtbar.
vertikale (auch verzahnte oder gerade) Risse horizontale Risse
netzförmige Risse Rissarten Sackrisse Schwindrisse Schwindrisse im frühen Zustand (Schrumpfrisse) ▶ Schwindrisse im Unterputz ▶ Schwindrisse in der gesamten Putzdicke (erhärteter Mörtel) ▶
Kerbrisse Fugenrisse Spannungsrisse Fettrisse Schubrisse Setzungsrisse
5.3 Erscheinungsbilder von Rissen Es sind nach dem jeweiligen Rissbild verschiedene Rissformen und Rissarten zu unterscheiden. Diese sind getrennt in der Tabelle 1 zusammengestellt. Die Formen von Rissen werden nachfolgend beschrieben. Erläuterungen zu den Rissarten erfolgen im Zusammenhang mit den Ursachen für Rissschäden im Kapitel 6.
Beschreibung einzelner Rissformen a) Vertikale (auch verzahnte oder gerade) Risse
vertikal verzahnt
vertikal gerade
Bild 3: Schematische Darstellung Vertikalriss im Mauerwerk (in Anlehnung an [8])
Rissbeschreibung
Kapitel 5 | 39 5.3 Erscheinungsbilder von Rissen
b) Horizontale Risse
Bild 5: Schematische Darstellung Horizontalriss im Mauerwerk (in Anlehnung an [8])
Bild 4: Reales Beispiel für einen vertikalen Riss
Ihr Verlauf ist entweder verzahnt durch die Lagerund Stoßfuge oder gerade durch die Mauersteine und Stoßfugen. Verursacht werden diese Risse durch Abkühlen und/oder Schwinden der gemauerten Wand in horizontaler Richtung. Hauptsächlich das Schwinden der Wandscheibe ist dafür verantwortlich. Es gibt aber auch noch andere Ursachen. Zum Beispiel können unterschiedlich gegründete Gebäudeteile einen Vertikalriss ergeben oder nicht übernommene Bewegungsfugen.
Bild 6: Reales Beispiel für einen horizontalen Riss
Sie kommen meist in der Lagerfuge bedingt durch eine zu geringe Haftzugfestigkeit zwischen Mauerstein und Mörtel vor. Partiell fehlender Mörtel in der Lagerfuge kann ebenso zu horizontalen Rissen führen. Veränderungen der Form benachbarter Bauteile wie durchgebogene Geschossdecken bewirken einen horizontalen Verlauf von Rissen. Der Riss kann möglicherweise auch durch einen Mauerstein verlaufen wie im Fall von verbauten Steinen mit einer geringeren vertikalen Zugfestigkeit als der Haftzugfestigkeit in Verbindung mit einem Dünnbettmörtel. Auch im Bereich von Deckenauflagen treten horizontale Risse auf.
52 | Kapitel 6 6.4 Lastabhängige und lastunabhängige Rissschäden
Rissschäden – Ursachen und Bewertung
Risse durch Lastbeanspruchungen können sich aufgrund von einwirkenden äußeren Lasten auf ein Bauteil bilden. Kommt es durch die direkte Kraftbeanspruchung an dem der Einwirkung ausgesetzten Bauteil zu einer Behinderung der Verformung oder einer Überschreitung der aufnehmbaren Spannungen innerhalb des Bauteils, kann diese behinderte Verformung nur durch Bauteilverformungen kompensiert werden, z.B. durch einen Riss. Zu den lastabhängigen Ursachen gehören Veränderungen im Baugrund und mechanische Belastungen. Bild 4: Rissbildung und Putzablösung durch Salzeinwirkung
6.4 Lastabhängige und lastunabhängige Rissschäden Lastabhängige Ursachen Ausgelöst werden lastabhängige Beanspruchungen von Bauteilen bzw. Bauwerken durch sehr unterschiedliche Vorgänge oder Ereignisse, wobei auch immer die örtlichen Gegebenheiten, Umwelteinflüsse und die Baukonstruktion eine wichtige Rolle spielen. Risse erscheinen dann z.B. im Mauerwerk (Mischbauweise) als waagerecht oder vertikal verlaufend oder als Putzrisse an den Baustoffübergängen
Beispiele für mechanische Belastungen sind: ▶ Eigenlasten ▶ Schnee-, Eis- und Windlasten ▶ Verkehrslasten ▶ Stoßlasten ▶ Explosionslasten Baugrundbedingte Ursachen können z.B. ▶ Setzungen ▶ Sohlpressungen ▶ Grundwassereinwirkungen sein.
Lastunabhängige Ursachen Beanspruchungen im Bauwerk sind nicht ausschließlich auf einwirkende Lasten zurückzuführen. Risse können auch ohne Lastwirkungen entstehen, d.h. durch einen Zwang, dem das Bauteil oder das Bauwerk unterliegt. So kommt es z.B. zu Bauteilverkürzungen durch Schwinden von Mauerwerk oder Beton, durch Feuchtigkeitsabgabe (es kommt zum Austrocknen) sowie durch Abkühlen. Das jeweilige Bauteil kann seine Länge nicht ändern, da es z.B. durch andere Bauteile daran gehindert wird. Hier spricht man auch vom Trocknungsschwinden. Im Gegensatz dazu verlängert sich ein Bauteil unter Aufnahme von Feuchtigkeit, es quillt. Diesen Vorgang bezeichnet man als Quelldehnung. Treten wie im Mauerwerk waagerecht verlaufende Risse, senkrecht verlaufende Fugenrisse oder Kerbrisse auf oder zeigt sich ein Deckenschubriss, so kann die Ursache in einer lastunabhängigen Verformung begründet sein.
Bild 5: Lastabhängig verursachte Rissbildungen
Rissschäden – Ursachen und Bewertung
Kapitel 6 | 53 6.5 Rissschäden in Abhängigkeit vom Entstehungsort
Bahn- oder Luftverkehr, Bautätigkeit in näherer Umgebung Unabhängig von der Ursache ist bei baugrundbedingten Rissen oftmals mit gravierenden Folgeerscheinungen zu rechnen. Gebäude können in ihrer Gebrauchstauglichkeit und Standsicherheit derart geschädigt sein, dass ein Abriss die einzige Lösung ist. Wird der Schaden durch entsprechende Maßnahmen instand gesetzt, ist das meist mit hohen Kosten und Aufwand verbunden. Setzungsrisse sind sehr markant für Veränderungen im Baugrund. Sie können eine Länge von mehreren Metern aufweisen und verlaufen schräg (diagonal). Bild 6: Kerbriss Tab. 1: Weitere Beispiele für lastunabhängige Ursachen Ursache
Wirkung
Auslagerung durch Wasser und Säuren
Bindemittelverlust, Salztransport, Volumenzunahme und Volumenabnahme
chemische Reaktion mit starker Volumenzunahme
Sulfattreiben, Alkalitreiben
Zunahme des Poreninnendrucks in Materialporen durch Kristallisation bis zur einsetzenden Zerstörung
Eisdruck, Salzkristallisation, Kristallisation von Mineralien
Bild 7: Setzungsriss im Mauerwerk
6.5 Rissschäden in Abhängigkeit vom Entstehungsort
Konstruktionsbedingte Rissschäden in Verbindung mit dem Putzuntergrund Erläuterung
Baugrundbedingte Rissschäden Die Entstehung baugrundbedingter Risse kann allgemein auf folgende Ursachen zurückgeführt werden: ▶ Bewegung oder Verformung am Bauwerk aufgrund von vorhandener Instabilität des Geländes (geologische Setzungen, Bergbauschäden, Erdbeben einhergehend mit einer fehlerhaften Bewertung des Baugrunds ▶ Einflüsse, die nachträglich auftreten, wie Erschütterungen durch den Schwerlastverkehr,
Durch die Konstruktion bedingte Risse bilden sich aufgrund der Änderungen von Lage, Form oder Volumen der Konstruktion. Bedingt durch die vielfältigen Entstehungsmechanismen und die Probleme bei der Nachvollziehbarkeit der tatsächlich baustofflichen und konstruktiven Gegebenheiten (wie Feuchte- bzw. Austrocknungszustände) in den einzelnen Bauphasen bzw. nach Bauabnahme ist eine sichere Ermittlung der Rissursachen nicht immer realisierbar.
54 | Kapitel 6 6.5 Rissschäden in Abhängigkeit vom Entstehungsort
Konstruktionsbedingte Rissursachen können grundsätzlich in zwei Gruppen unterteilt werden: a) Konstruktion als Rissursache b) unmittelbarer Putzgrund als Rissursache. In Vorbereitung der notwendigen Instandsetzungsmaßnahmen ist für beide Gruppen zu analysieren, ob eine abgeschlossene einmalige oder eine wiederkehrende bzw. noch andauernde Verformung vorliegt. a) Konstruktion als Rissursache Konstruktionsbedingte Risse treten nach dem Einwirken äußerer Lasten auf und durch lastunabhängige Verformungen. Bei vorhandenem Putzauftrag können Risse in der Konstruktion und folglich im aufgetragenen Putz auch nach dem Verputzen entstehen, da Bauteile noch Lage-, Form- oder Volumenänderungen unterworfen sind.
Rissschäden – Ursachen und Bewertung
Zu derartigen Verformungsarten zählen: ▶ Änderung der Länge von Betonbauteilen ▶ Deckendurchbiegungen ▶ Verformungen tragender Wände und Stützen durch Schwinden, Kriechen ▶ Verformungen tragender Wände und Stützen durch Temperaturschwankungen ▶ Setzungen des Fundaments ▶ Einflüsse aus der Dachkonstruktion Konstruktiv verursachte Risse sind u.a.: ▶ Schwindrisse im Beton ▶ Schubriss ▶ Setzungsrisse innerhalb der Konstruktion (nicht baugrundbedingt) ▶ Spannungsrisse ▶ einzelne, auffällig geradlinig verlaufende Risse ▶ Abrisse ▶ Deckenschubrisse (weitgehend senkrecht oder waagerecht, z.B. am Deckenauflager ausgerichtet, siehe Bild 9) ▶ Kerbrisse (Einzelrisse, die nahezu geradlinig verlaufen) Nachfolgend ist beispielhaft ein Schubriss abgebildet. Typische Schubrisse sind horizontale Risse im Bereich der Geschossdecken. Meist verläuft ein Riss, aber manchmal auch zwei (dann parallel), dem Deckeneinbau entsprechend.
Bild 9: Schubriss (hier Deckenschubriss)
Bild 8: Konstruktionsbedingter Riss
Rissschäden – Ursachen und Bewertung
Kapitel 6 | 55 6.5 Rissschäden in Abhängigkeit vom Entstehungsort
Zu verhindern sind konstruktionsbedingte Risse bei normalem und üblichem Aufwand auch unter Berücksichtigung vorgegebener Regeln und Normen nicht immer mit Sicherheit. Auch kann durch putztechnische Maßnahmen in der Regel die Entstehung von Rissen in der Konstruktion und somit im Putz nicht vermieden werden. Aufgabe des Planers oder Architekten ist es, das voraussehbare Auftreten von Rissen in der Planung zu berücksichtigen.
Putzbedingte Rissschäden
b) Unmittelbarer Putzgrund als Rissursache Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Untergründe. Neben Mauerziegel, Betonstein, Naturstein, Sandstein gehören auch Holzkonstruktionen, Gipskartonplatten, Steingut dazu, um nur einige zu nennen. Daraus ergeben sich erhebliche Unterschiede in den bauphysikalischen Eigenschaften der einzelnen Untergründe (Wassergehalt, Saugfähigkeit, Wärmeleitfähigkeit, Festigkeit). Diese Eigenschaften haben wiederum Einfluss auf das Verhalten des Putzuntergrunds.
Da sich diese Risse ausschließlich in der Putzschicht bilden, sind sie auf ungünstige Spannungsverhältnisse zurückzuführen. Es ist entweder nur ein Riss in der Putzoberfläche vorhanden oder die komplette Putzschichtdicke ist gerissen.
Risse aus dem unmittelbaren Putzgrund können hervorgerufen werden durch: ▶ thermisch bedingte Volumenänderungen des Putzgrunds (z.B. Vorgänge wie Ausdehnen und Zusammenziehen bei Aufheizen und/oder Abkühlen von Baustoffen), ▶ hygrisch bedingten Volumenänderungen des Putzgrunds (Schwinden, Quellen von feuchten Baustoffen), ▶ Wechsel des Materials im Untergrund (Einsatz unterschiedlicher Baustoffe wie Ziegel, Beton), welche ein unterschiedliches Saug-, Quell- und Schwindverhalten sowie unterschiedliche thermische Eigenschaften aufweisen, ▶ Mängel des Putzgrunds aufgrund nicht fachgerechter Ausführung – unzureichend vermörtelte breite Fugen im Mauerwerk – unebener Putzgrund – nicht fachgerecht ausgebildete Fugenanschlüsse – Fehlstellen oder offene Mörteltaschen (Überzähne des Wandbildners). Es besteht die Notwendigkeit der Prüfung des Putzgrunds durch das ausführende Fachunternehmen. Erforderliche zusätzliche Maßnahmen oder Untersuchungen, die sich aus der Konstruktion ergeben bzw. vor Ort zu keinem eindeutigen Ergebnis führen, sind vom Planer einzuleiten.
Erläuterung Diese Risse haben ihre Ursachen in der Verarbeitung und/oder im Putzmörtel bzw. Putzsystem und treten im Putz oder im Putzsystem auf. Genau genommen handelt es sich um putz- oder ausführungsbedingte Risse.
Mögliche Rissarten sind: ▶ Sackrisse ▶ Schwindrisse – im frühen Zustand (Schrumpfrisse) – im Unterputz – in der gesamten Putzdicke (erhärteter Mörtel) ▶ Fettrisse
Sackrisse Darunter sind kurze, überwiegend horizontal durchhängend verlaufende Risse mit einer Länge von ca. 10–20 cm zu verstehen. Die von der Seite bis zur durchhängenden Mitte zunehmende Breite des Risses kann bis ca. 3 mm betragen. Mit Hohlstellen ist im Bereich der unteren Rissflanke zu rechnen.
Bild 10: Sackriss [4]
56 | Kapitel 6 6.5 Rissschäden in Abhängigkeit vom Entstehungsort
Sackrisse entstehen im noch plastischen Mörtel. Beispiele für ihr Auftreten sind: ▶ ein zu dicker Putzauftrag (in einer Lage) ▶ zu langes oder starkes Verreiben der Putzoberfläche ▶ zu weiche Konsistenz des Putzmörtels ▶ eine schlechte Haftung auf dem Putzgrund wie bei wenig saugfähigem oder nassem Putzgrund
Schwindrisse Schwindrisse im frühen Zustand (Schrumpfrisse) Schrumpfrisse sind netzförmige Risse mit einem sog. Knotenabstand von ca. 20 cm. Die Rissbreite ist unterschiedlich und kann ca. 0,5 mm erreichen. Die Risse verlaufen in seltenen Fällen bis zum Putzgrund und entstehen meist innerhalb weniger Stunden nach Auftragen des Putzmörtels. Ein Ablösen der Rissflanken vom Putzgrund ist möglich. Das Risiko der Entstehung solcher Risse lässt sich vermindern durch eine geeignete Nachbehandlung des Putzes, die ein zu schnelles Austrocknen der Putzoberfläche verhindert. Insofern die Haftung des Putzes nicht gestört ist und sich die Rissflanken nicht vom Putzgrund lösen, kommt es durch Schrumpfrisse im Unterputz zu keiner Beeinträchtigung des Putzsystems. Das ist selbst bei einer Überschreitung der Rissbreite von 0,1 mm der Fall.
Rissschäden – Ursachen und Bewertung
Schwindrisse im Unterputz Schwindrisse im Unterputz ähneln im Aussehen denen im frühen Stadium, verlaufen ebenfalls meist netzförmig. Die Bildung dieser Risse erfolgt innerhalb der Standzeit des Unterputzes. Überschreitet ihre Breite nicht 0,2 mm, stellt es keinen Mangel dar. Dass die Schwindrisse nur im Unterputz und nicht im Oberputz auftreten, soll durch Einhaltung ausreichender Standzeiten von mindestens einem Tag pro Millimeter Putzdicke (witterungsabhängig auch länger) erreicht werden.
Bild 12: Netzartige Schwindrisse im Unterputz [4]
Schwindrisse in der gesamten Putzdicke (erhärteter Mörtel) Darunter versteht man Schwindrisse, die netzförmig oder einfach verzweigt (y-förmig) auftreten können und bis zum Putzgrund reichen. Diese Risse entstehen überwiegend im Laufe der ersten zwei Monate nach Abschluss der Putzarbeiten. Bei Vorhandensein ungünstiger Trocknungsbedingungen können sich solche Schwindrisse in vereinzelten Fällen noch nach mehreren Jahren bilden.
Bild 11: Schwindrisse im frühen Zustand (Schrumpfriss) [4]
In Abhängigkeit von den Hafteigenschaften zwischen Putz und Putzgrund kann es im Bereich der Rissflanken zum Ablösen des Putzes vom Putz-
Rissschäden – Ursachen und Bewertung
grund kommen. Treten als Folgeerscheinung Risse auf, kann das verschiedene Ursachen haben: ▶ Der Untergrund und das Putzsystem sind unzureichend aufeinander abgestimmt, wenn z.B. die Unterschiede in der Festigkeit zu groß sind und/ oder die Putzdicken zu hoch sind. ▶ Das Putzsystem weist zu große Unterschiede in der Festigkeit und/oder zu hohe Putzdicken der einzelnen Putzlagen auf, ist also in sich nicht aufeinander abgestimmt. ▶ Der Unterputz haftet nur unzureichend auf dem Putzgrund, weil haftungsstörende oder haftungsmindernde Schichten wie Ausblühungen, Staub, mürber Altputz vorhanden sind. ▶ Die Standzeiten zwischen dem Auftrag der einzelnen Putzschichten werden nicht korrekt eingehalten. ▶ Einzelne Putzlagen sind aufgrund von Sonne und/oder Wind zu schnell ausgetrocknet.
Kapitel 6 | 57 6.5 Rissschäden in Abhängigkeit vom Entstehungsort
oftmals in der Verarbeitung zu finden. Die Bildung dieser Risse erfolgt überwiegend in den ersten zwei Tagen nach Auftragen des Putzes. Vereinzelt im Oberputz vorhandene Fettrisse stellen im Allgemeinen keinen Mangel dar, d.h., es kommt zu keiner Beeinträchtigung der technischen und optischen Eigenschaften.
Bild 14: Fettriss [4]
Konstruktions- und putzbedingte Rissschäden Erläuterung
Bild 13: Schwindrisse in der gesamten Putzdicke [4]
Fettrisse Fettrisse, eine besondere Form der Schwindrisse im frühen Zustand, erscheinen als kurze Haarrisse. Sie sind nur an der Putzoberfläche vorhanden und weisen geglättete oder sehr feine Strukturen auf (z.B. bei mineralischen Edelputzen mit strukturgebundenem Größtkorn). Haarrisse treten bei der Anreicherung von Bindemitteln an der Oberfläche auf. Die Ursache dafür ist
Ursachen für die konstruktions- und putzbedingten Risse sind Überlagerungseffekte. Sie entstehen, wenn sich der Putzgrund beim Überschreiten der maximalen Spannungsaufnahmefähigkeit verformt. Dazu kommt es entweder im Putzsystem oder bereits im Mauerwerk. Dabei können Spannungen aus der Änderung der Form, der Lage oder des Volumens des Untergrunds die Eigenspannungen des Putzes überlagern. Das wiederum führt zu einer Beeinflussung des Umfangs, der Anzahl, Lage und Form der Risse. Man unterscheidet im Wesentlichen ▶ zwischen Kerbrissen (auch unter der Bezeichnung Brüstungsrisse bekannt) ▶ und Fugenrissen (werden bei Mauerwerk auch als Stein-Putz-Risse bezeichnet).
58 | Kapitel 6 6.5 Rissschäden in Abhängigkeit vom Entstehungsort
Rissschäden – Ursachen und Bewertung
Kerbrisse
Fugenrisse
Kerbrisse sind meist diagonal von eckigen Putzoder Maueröffnungen ausgehende Risse. Sie entstehen aufgrund von Spannungskonzentrationen in den Ecken der Mauer- oder Putzöffnungen bzw. im Putzgrund.
Ist ein regelmäßiges Rissbild erkennbar, das mehr oder weniger den Fugenverlauf des Mauerwerks nachzeichnet, liegt ein Fugenriss vor. Die Rissbreite beträgt häufig etwa 0,05–0,15 mm. Fugenrisse können vertikal von Stoßfuge zu Stoßfuge verlaufen wie auch die dazwischenliegende Steinfläche durchlaufen.
Besonders bei Mauerwerk entstehen diese Spannungen aus den Verformungen des unmittelbaren Putzgrunds. Besitzt ein Putzmörtel ein hohes Schwindmaß oder trocknet ein Putz zu schnell aus, kann die als Kerbe wirkende Ecke einen reinen Schwindriss im Putz auslösen.
Bild 15: Kerbriss
Die Ursachen für Fugenrisse können zum einen putzgrundbedingt sein, z.B. mangelhafter Mauermörtel, feuchtes Mauerwerk, und zum anderen in der Verarbeitung des Putzes liegen, z.B. zu fester Putz, zu geringe Putzdicke oder unzureichende Nachbehandlung.
Bild 16: Fugenriss