Inhalt
Vorwort von Wolfgang Jamann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Auf dem Land entscheidet sich unsere Zukunft . . . . . . . . . .
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Der Kampf um knappe Ressourcen wird härter . . . . . . . . .
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Jeder Siebte geht hungrig zu Bett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gesichter des Mangels und Überflusses . . . . . . . . . . . . . .
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Essenspreise explodieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Biosprit macht hungrig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Klimawandel lässt Ernten sinken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapital sucht Anlagemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hungerursachen und Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Politik blockiert Hungerbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kleinbauern sind die Stiefkinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Reiche verschwenden Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Ziel: standortgerechte Landwirtschaft . . . . . . . . . . . .
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Jetzt die Weichen stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Potenziale auf dem Land sind nicht ausgereizt . . . . . . . . .
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Gesunde Kinder haben gut ausgebildete Mütter . . . . . . .
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Fair handeln und Spekulation beenden . . . . . . . . . . . . . . .
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Forschungsergebnisse gehören allen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Recht auf Nahrung gilt weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Geld und Taten statt leerer Worte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Engagement als »Sprachrohr« und »Wachhund« . . . . . .
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Wir haben die Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Handeln statt hoffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Über die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort von Wolfgang Jamann
Als junger Entwicklungshelfer war ich an einem Ernährungssicherungsprojekt im Südsudan beteiligt. In einem kargen Landstrich in der Provinz Bar-el-Ghazal wurden Halbnomaden mit verbesserten Anbautechniken für Hirse und Gemüse vertraut gemacht. Die Vielfalt der heimischen Verpflegung wuchs, die Ernte überbrückte die klassischen Hungermonate, selbst das Vieh arbeitete mit: Ochsenpflüge brachten als Innovationsmotoren sprunghafte Produktionsgewinne – und die Frauen konnten sich statt der Feldarbeit dem Wohl der Kinder und der Familie widmen. Auf meine begeisterte Frage, wie es denn hier in 25 Jahren aussehen würde (wobei ich schon blühende Landschaften vor dem inneren Auge hatte) antwortete mir unser kenianischer Agrarexperte nüchtern: »In 25 Jahren ist hier alles Wüste«. Es hat nicht einmal 25 Jahre gedauert. Bereits wenige Jahre später fiel der Südsudan in eine furchtbare Hungersnot – ein Jahr der Dürre und der Frontwechsel eines lokalen Kriegsherrn reichten aus, um Elend, Flucht und Massensterben zu verursachen. Und auch meine eigene Begeisterung für die Allmacht der Entwicklungszusammenarbeit bekam heftige Kratzer. Globale Megatrends wie der Klimawandel, das Bevölkerungswachstum und der Hunger nach Ressourcen sind schon 7
lange keine abstrakten Größen mehr. Die Verknappung von Land, Wasser und Rohstoffen scheint kaum mehr umkehrbar. Gleichzeitig strebt ein immer größerer Teil der Menschheit nach dem Lebensstil, den ihr die westliche Welt vorgemacht hat. Die logischen Folgen scheinen Konkurrenz und Kampf zu sein, und in einem solchen Kampf wird es auf Dauer keine Gewinner geben – denn der Verlust von fruchtbarem Land ist unumkehrbar, genau wie Trinkwasser nicht unbegrenzt verfügbar ist und es keine unendlichen Reserven an mineralischen und fossilen Rohstoffen gibt. 40 Jahre nach dem Erscheinen des Buches »Die Grenzen des Wachstums« und im Jahre des Rio-Erdgipfels 2012 muss eine neue Nachhaltigkeitsdebatte geführt werden. Es kann nicht mehr nur darauf ankommen, die Befriedigung der heutigen Bedürfnisse auch für die künftigen Generationen zu sichern. Bereits jetzt ist es notwendig, sich die desaströsen Folgen unseres Lebensstils für fast ein Drittel der Menschheit vor Augen zu führen. Eine Milliarde Menschen hungert, obwohl noch genug Nahrungsmittel für alle produziert werden. 900 Millionen Menschen haben kein sauberes Wasser und zwei Milliarden fehlt der Zugang zu sicherer Hygiene. Dies sind schon lange keine moralischen Anklagen mehr, sondern ein lauter Ruf nach Veränderung. Dieses Buch soll einen Beitrag leisten – es soll aufrütteln, aber auch zeigen, dass es möglich ist, eine gerechte Weltordnung für alle zu schaffen.
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Auf dem Land entscheidet sich unsere Zukunft
»Unser Land ist heute eine Wüste. Sie haben uns alle Flüsse genommen. Als wir noch Kinder waren, gab es hier viele Quellen. Überall sprudelte Wasser und wir badeten darin. Jetzt leiten sie das ganze Wasser um«, empört sich eine alte Massai-Frau im Süden der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Denn ehe der mächtige Kilimandscharo heute Flüsse und Bäche speisen kann, wird sein Wasser bereits in einer unterirdischen Pipeline in Richtung Hauptstadt geleitet. Es fließt unter anderem in ein gigantisches Rosenprojekt der kenianischen Regierung. »Wir exportieren täglich 135 000 Rosen, das macht 45 bis 47 Millionen Rosen im Jahr«, erklärt stolz Vijay Kurnar, Geschäftsführer der Blumenfarm. Die meisten dieser Rosen gehen nach Holland, ein weiterer Teil nach Deutschland und England. Kenia exportiert jährlich 80 000 Tonnen Blumen. Fünf Liter Wasser braucht man, um eine Rose zu produzieren. Gleichzeitig haben 40 Prozent der Kenianer keinen Zugang zu Trinkwasser. So auch diese Massai, ursprünglich halbnomadische Hirtenvölker mit großen Herden. »Ohne Wasser gibt es kein Leben. Unsere Tiere sterben. Wie sollen sie ohne Wasser
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überleben? Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Pipeline anzuzapfen«, sagt ein Dorfbewohner.1 Die Massai leben deshalb in ständigem Konflikt mit der Polizei. Ihre Felder können sie schon lange nicht mehr bewässern, um Nahrungsmittel anzubauen. Nicht nur hier, sondern auch anderswo verschärft sich der Kampf um natürliche Ressourcen. Die Kontrolle über Land-, Wasser- und Energievorräte wird immer lukrativer, deshalb sichern sich private Investoren und Staaten fruchtbares Ackerland in Entwicklungsländern: für den Anbau und Export von Nahrungsund Futtermitteln, für Pflanzen zur Weiterverarbeitung als Biosprit oder Industriefasern und für Luxusartikel wie diese Rosen. Für den Anbau von Nahrungsmitteln weltweit wird aktuell nur noch knapp die Hälfte allen fruchtbaren Landes genutzt. Ohne Wasser wächst keine Pflanze. Rund um den Globus werden 70 von 100 Litern in der Landwirtschaft genutzt, in wasserarmen Ländern sogar 90 Prozent.2 Aber auch fruchtbarer Boden wird immer knapper. Standen 1960 noch 0,44 Hektar Ackerland weltweit pro Person zur Verfügung, war es im Jahr 2000 nur noch die Hälfte. 2050 sind es nach Schätzungen der UN-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation gerade noch 0,15 Hektar. 1 Eine ausführliche Darstellung findet sich im prämierten Film »Hun-
ger« unter www.swr.de/hunger. 2 Siehe auch www.welthungerhilfe.de/fileadmin/media/pdf/Brenn-
punkte/Brennpunkt_Nr._21_Wasser_reichlich_vorhanden_und_doch_ so_knapp_17-6-11.pdf.
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Szenenwechsel. In der abgelegenen Bergregion Ratanakiri in Kambodscha wird seit drei Jahren in großem Stil Urwald abgeholzt, um Kautschukplantagen anlegen zu können. Rund 3 000 Hektar Land verpachtet der Staat pro Jahr neu an ausländische Investoren. Gleichzeitig werden vor allem ethnische Minderheiten – mit Gewalt oder unfairen Methoden - von ihrem Land vertrieben. Weil sie weder lesen noch schreiben können, verloren viele Dorfbewohner in Dal Veal Leng und Ka Nat Thum über Nacht ihre Felder. Der Dorfchef hatte sie zur Abgabe ihres Fingerabdrucks gezwungen und dafür Medizin und Kleidung versprochen. Am nächsten Morgen waren die Orte von Zäunen umgeben und ein Großteil ihres Ackerlands für die nächsten 70 Jahre an einen vietnamesischen Investor übergegangen.3 Weltweit steigt der Bedarf an Agrarrohstoffen. Das heizt auch die Spekulation an, Land für Anbauflächen wird immer begehrter. Staatlich festgesetzte Beimischquoten für Biosprit verschärfen diesen Trend entscheidend. So ist es gerade mal ein Jahr her, dass mit Einführung von E10 eine heftige Diskussion unter Autofahrern in Deutschland entbrannte. Seine Beimischung ist der EU-Klimarichtlinie aus dem Jahr 2009 geschuldet. Jedes Mitgliedsland soll bis 2020 zehn Prozent der notwendigen Energie im Straßenverkehr aus erneuerbaren Quellen bestreiten und damit verbunden den CO2-Ausstoß deutlich reduzieren. (Als Folge erhöhte Deutschland vor allem die Beimischung von Bioethanol und führte den Kraft 3 Siehe www.welthungerhilfe.de/fileadmin/media/pdf/Studien/
Cambodia_Increasing_Pressure_final_Nov11.pdf.
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Jetzt die Weichen stellen
Potenziale auf dem Land sind nicht ausgereizt Wer soll künftig die Welt ernähren: agroindustrielle Großbetriebe oder nachhaltiger produzierende bäuerliche Höfe? Der Kampf gegen den Hunger wird auf dem Land entschieden, gerade in Afrika, Asien und Lateinamerika.17 Dort, wo die meisten Hungernden in abgelegenen Dörfern leben, wurden Investitionen auf dem Land jahrzehntelang sträflich vernachlässigt und stattdessen die Landflucht gefördert. Dabei wird mehr als die Hälfte der Welternte gerade von jenen kleinen Landwirten produziert. In einer lokalen und regionalen Wertschöpfung liegen auch die großen Potenziale für die Zukunft. Der 26-jährige Isaac Okino wohnt im nordugandischen Dorf Ogur. Seit März 2011 beteiligt er sich – wie viele andere in den umliegenden Orten – regelmäßig an Treffen einer neu gegründeten Bauerngruppe, einer sogenannten »Farmer Field School«. Gemeinsam bewirtschaften sie Musteräcker und bekommen hierfür landwirtschaftliche Beratung: «Wir vergleichen verschiedene Anbaumethoden miteinander, stellen Kompost her und pflanzen hier erstmals Tomaten, 17 Siehe unter www.welthungerhilfe.de/fileadmin/media/pdf/Stand-
punkt/Laendliche_Entwicklung_Standpunkt_2_2008.pdf.
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Zwiebeln, Auberginen und Kohl an.« Ziel ist nicht nur eine ausgewogenere und vitaminreichere Ernährung für die Familien, sondern auch der Verkauf von Überschüssen auf lokalen Märkten, um ein Zusatzeinkommen zu erwirtschaften.18 Wie hier muss der Trend überall in Richtung einer standortgerechten Landwirtschaft gehen, also zur Förderung einer Landwirtschaft, die lokale Bedingungen wie die Umwelt, Märkte, kulturelle Eigenheiten und persönliche Bedürfnisse berücksichtigt. Es geht beispielsweise darum, extrem arbeitsintensive Anbaumethoden wie die Feldbearbeitung mit der Hacke durch den Einsatz von Zugtieren zu erleichtern oder höhere Erträge mit besser angepassten Sorten, Bewässerung und ökologischer Schädlingsbekämpfung zu erzielen. Wichtig sind auch ertragsstarke Sorten, denen Trockenheit und salzige Böden nichts anhaben – eine dringliche Aufgabe für die öffentliche Agrarforschung. Tatsache ist, dass Kleinbauern weder staatliche Subventionen erhalten noch eine vernünftige Ausbildung haben. Deshalb können sie sich kein teures Saatgut, keinen Dünger, Pestizide oder Maschinen leisten und verdienen so auch extrem wenig. Ein Patentrezept für die Landwirtschaft in Entwicklungsländern gibt es nicht. Sicher ist: Die Ernteerträge müssen steigen. Eine Anpassung an den Klimawandel in den verschiedenen Regionen muss gelingen. Und Ernten dürfen nicht mehr durch falsche Lagerung verloren gehen. Das erfordert massive Investitionen. Mit industrieller Landwirtschaft, also 18 Siehe im »Magazin« unter www.welthungerhilfe.de/uploads/tx_
whhmagazin/dwhh_magazin_4_2011_01.pdf, S. 16.
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auch hohem Energie- und Chemikalieneinsatz, ist dies nicht zu erreichen.19 Davon profitieren nur Großgrundbesitzer und Investoren. Kleinbauern können mit ihren kleinen Flächen und fehlendem Kapital nicht dagegenhalten. Außerdem gehen ein Drittel der klimaschädlichen Emissionen auf das Konto der industriellen Landwirtschaft inklusive der damit verbundenen Abholzung von Wäldern sowie Verarbeitung, Transport, Erhitzung und Kühlung, Verpackung und nicht zuletzt Entsorgung überflüssiger Lebensmittel. Nachhaltigkeit wird in der Landwirtschaft am ehesten durch ökologischen Landbau erzielt. Auf den Einsatz von Grüner Gentechnik, von Pestiziden, chemischem und mineralischem Dünger und Wachstumsbeschleunigern (Antibiotika, Hormone) wird hierbei verzichtet. Außerdem sind die Tierschutzstandards hoch. Es wäre allerdings unsinnig, sich ausschließlich auf ökologischen Landbau oder konventionelle Landwirtschaft festzulegen. Im Einzelfall geht es stets um den richtigen Methodenmix, sollen standortgerechte Anbaumethoden zum Erhalt natürlicher Ressourcen wie Boden, Wasser, Luft und der Artenvielfalt beitragen. Es muss sich vor allem wieder lohnen, auf dem Land zu leben: Dies geht nicht ohne entsprechende Infrastruktur und Beschäftigungsmöglichkeiten in und außerhalb der Landwirtschaft, beispielsweise in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Teil des Strukturwandels sind auch funktionierende Transportmöglichkeiten sowie Bildung und Gesundheitsdienste. 19 Siehe www.agassessment.org.
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