Leseprobe – Barça. Die Geschichte des FC Barcelona

Page 1

mit Triple 2015



INHALT

EINLEITUNG . ...............................................................................................7

KAPITEL 1: DIE GEBURT EINES ­LEGENDÄREN KLUBS .............................. 10

KAPITEL 2: 1920–1960: MEHR ALS EIN KLUB .............................................26

KAPITEL 3: 1960–1988: MICHELS, CRUYFF UND MARADONA ...............44

KAPITEL 4: 1988–1996: CRUYFFS RÜCKKEHR ............................................... 74

KAPITEL 5: 1996–2008: ZWISCHEN CRUYFF UND GUARDIOLA .......... 110

KAPITEL 6: 2008–2015: GUARDIOLA UND DIE GOLDENE ÄRA . .......... 148 TITEL UND ERFOLGE . ........................................................................ 188 INDEX . ........................................................................................................ 190 BILDNACHWEIS ..................................................................................... 192

LINKS: Die Barça-Mannschaft der Saison 2010/11 schrieb Geschichte. Sie spielte einen Fußball, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Sie hatte den besten Spieler des Planeten, das beste Mittelfeld, die idealen Verteidiger und den besten Trainer. Die Mannschaft beendete die Saison mit drei Titeln: der spanischen Meisterschaft, der Champions League und dem spanischen Supercup.


OBEN: Präsident der Blaugranas in der Saison 1903/04 war der in Barcelona geborene Arthur Witty. Witty war britischer Abstammung und spielte als Verteidiger in der Mannschaft. Binnen zwei Jahren hatte die Zahl katalanischer Spieler im Team im Vergleich mit anderen Nationalitäten stark zugenommen. Bester Torschütze der Mannschaft war Carles Comamala mit 15 Treffern in zwölf offiziellen Spielen.

RECHTS: Das Camp de la Indústria, wo der FC Barcelo-

na zwischen 1909 und 1922 seine Spiele austrug, wurde wegen seiner bescheidenen Ausmaße vom Volksmund »La Escopidora« (Spucknapf) genannt.

20

KAPITEL 1


OBEN: Das Camp de la Indústria wurde 1909/10 einge-

weiht. Die Spielstätte läutete eine neue Ära für den Klub ein, der zuvor einen starken Rückgang der Mitgliedszahlen zu verzeichnen hatte und kurz vor dem Aus stand. Trotz der Probleme abseits des Platzes holte der FC Barcelona in jener Saison sowohl die katalanische als auch die spanische Meisterschaft sowie den Pyrenäen-Cup. Zudem gewann man so gut wie jedes Freundschaftsspiel.

KAPITEL 1

21


OBEN: Am 25. Februar 1923 wurde Gamper zu Ehren ein Match ausgetragen, bei dem Spieler aller katalanischen Klubs (mit Ausnahme von Espanyol und Europa) sowie einiger spanischer und internationaler Vereine mit von der Partie waren. Der FC Barcelona gewann das Spiel gegen eine katalanische Auswahl vor 25.000 Zuschauern mit 2:1. UNTEN: Am 10. Mai 1925 holte Barça zum sechsten Mal

die Copa del Rey. Nach einem Mini-Turnier gegen die jeweiligen Meister der Regionen traf der FC Barcelona im Finale auf Arenas Club de Getxo. Im Stadion Reina Victoria in Sevilla gewannen die Katalanen durch Tore von J. Samitier und A. Sancho mit 2:0.

36

KAPITEL 2

RECHTS: So sehen Sieger aus: 1929 feierte der FC Barcelona seine erste spanische Meisterschaft. In der viereinhalb Monate dauernden Saison, die im Februar begann, verzeichnete Barça in 18 Spielen elf Siege, drei Unentschieden und vier Niederlagen. Real Madrid wurde Zweiter, zwei Punkte hinter dem Meister, der es auf 25 brachte.



Legenden des FC Barcelona

JOHAN CRUYFF Johan Cruyff wurde 1947 in Amsterdam geboren. Ohne Übertreibung kann man von ihm als einer Fußballlegende sprechen. Er war eine revolutionäre Figur, sowohl als Spieler als auch als Trainer, und der FC Barcelona hatte das immense Glück, ihn in beiden Funktionen zu beschäftigen. Als Spieler glänzte er unter einem anderen berühmten Holländer, Rinus Michels, der vielen Experten als der beste Trainer des 20. Jahrhunderts gilt. Als Cruyff im Sommer 1973 nach Barcelona kam, stellte er von Beginn an seine enormen Qualitäten unter Beweis. Nach seinem Ligadebüt am 28. Oktober 1973 verlor Barça den Rest der Saison kein einziges Spiel mehr und gewann erstmals nach 14 Jahren wieder die Meisterschaft. Europas Fußballer des Jahres 1971, 1973 und 1974 trug aber nicht nur zum Titelgewinn bei, sondern drückte dem Spiel der Mannschaft seinen ganz eigenen Stempel auf. Eine Spielweise wie die seine hatte man in Spanien bis dahin noch nicht gesehen In seinen fünf Jahren als Spieler der Blaugranas waren es nicht nur seine 83 Tore, die ihn zur Legende machten, sondern auch die Art, wie er spielte, wenn er den Ball nicht hatte. Cruyff war nominell Mittelstürmer, aber seine Technik, sein Tempo und seine Übersicht machten ihn zu einem »totalen Fußballer«, der sich seines Gegenspielers zu entziehen wusste und auf dem Flügel auftauchte, wenn niemand es erwartete. Er war ein herausragender Dribbler, der seine Gegner mit Tempowechseln aus dem Stand heraus narrte und nach dem sogar ein Trick benannt wurde: der Cruyff-Turn. Dabei täuschte er eine Flanke oder einen Pass an, legte dann den Ball mit der Innenseite hinter den Standfuß zurück und drehte den Körper um 180 Grad.

70

JOHAN CRUYFF

Sein streitbarer Charakter führte zu einigen Reibereien mit Schiedsrichtern und Trainern wie beispielsweise Weisweiler, der es in einem Spiel gegen Sevilla wagte, den Holländer auszuwechseln. Der Trainer argumentierte, dass Cruyff auswärts nicht gut spiele, woraufhin der Spieler ankündigte, den Verein zu verlassen. Die Fans stellten sich hinter ihren Star, und so war es der Trainer, der das Feld räumen musste. Ein paar Jahre später führten Differenzen mit dem Vorstand schließlich zu seinem Abschied vom Klub, dem er sich so verbunden fühlte. Seinen Sohn nannte er »Jordi«, in einer Zeit, als katalanische Namen in Spanien offiziell noch nicht erlaubt waren. 1988 kehrte der Holländer als Trainer nach Barcelona zurück und bescherte den Fans mit dem »Dreamteam« einige ihrer größten Momente, darunter den ersten Triumph im Pokal der Landesmeister, einen weiteren legendären Sieg gegen Real Madrid und mehrere Meisterschaften. Nur in einer einzigen Saison, seiner letzten, ging die Mannschaft leer aus. Anschließend trat Cruyff, im Bewusstsein, dass eine Ära zu Ende gegangen war, zurück.

»Fußball ist ein Spiel, das man mit dem Verstand spielt. Du musst zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, nicht zu früh, nicht zu spät.« Johan Cruyff




6. 2008–2015: GUARDIOLA UND DIE GOLDENE ÄRA

VORIGE DOPPELSEITE: Pedro (mit dem Pokal) feiert im Kreise seiner Teamkollegen den Gewinn der Champions League 2011. Das Finale gegen Manchester United fand in Wembley statt. LINKS: Am 16. August 2008 wurde Pep Guardiola vor einem Freundschaftsspiel gegen Boca Juniors im Rahmen des Torneig Joan Gamper offiziell als neuer Cheftrainer des FC Barcelona vorgestellt.

Pep Guardiola hatte bis dahin einzig als Coach der B-Elf des FC Barcelona Trainererfahrung gesammelt. 2007 bot ihm Sportdirektor Txiki Begiristain den Posten des Jugendkoordinators an, was Guardiola ablehnte, weil er Trainer werden wollte. Im Stab der ersten Mannschaft war aber kein Platz für ihn. Zu Begiristains großer Überraschung fragte er daraufhin, ob er die B-Elf übernehmen dürfe. Und so wurde Guardiola das Kommando über den Viertligisten gegeben. Innerhalb nur eines Jahres vollbrachte er das Wunder, den Meistertitel zu holen und somit in die Segunda B aufzusteigen. Das waren seine Referenzen. Als Rijkaard Mitte der Saison 2007/08 mehr und mehr unter Druck geriet, brachte bereits mancher, darunter Cruyff, den früheren zentralen Mittelfeldspieler als neuen Coach ins Spiel. Andere glaubten, dass nur ein Mann in der Lage wäre, Ordnung in das Chaos zu bringen: José Mourinho. Seine Berufung hätte zwar hinsichtlich der Spielweise einen Identitätsverlust bedeutet, aber viele hätten das in Kauf genommen, solange er den Klub nur wieder auf Vordermann brächte. Begiristain und Marc Ingla, in jener Saison Vizepräsident der Fußballabteilung, gingen bei der Trainersuche ähnlich vor wie große Unternehmen bei wichtigen Personalentscheidungen: Sie erstellten zunächst ein Profil des idealen Kandidaten und führten dann eine Reihe von Vorstellungsgesprächen, um die Person zu ermitteln, die dem Profil am ehesten entsprach. Neben anderen Qualitäten legte Barça großen Wert darauf, dass der zukünftige Trainer die Spielweise von Rijkaard weiterführte (der sie wiederum von Cruyff übernommen hatte), gut mit den Spielern umgehen konnte und jeden Gegner respektierte. Von einer langen Kandidatenliste blieben am Ende drei Namen übrig: Ernesto Valverde, José Mourinho und Guardiola. Doch der Einzige, der wirklich alle Anforderungen des Klubs erfüllte, war Guardiola, ein ehemaliger Spieler des Vereins und Katalane (er stammte aus Santpedor). Guardiola war durch und durch Barcelonista und sich der Werte, Bedeutung und Geschichte des Klubs voll bewusst.

Manche Vorstandsmitglieder bevorzugten Mourinho, den sie als ein mögliches Mittel sahen, den Wert der Marke Barça zu steigern. Auch Begiristain und Ingla waren nach einem persönlichen Gespräch beeindruckt vom charismatischen Portugiesen. Weniger überzeugt waren sie aber von Mourinhos öffentlichem Image und seinem Umgang mit der Presse. Begiristain war sich außerdem sicher, dass Guardiolas Unerfahrenheit kein Problem darstellte. Er hatte die Fortschritte, die die B-Mannschaft unter Guardiolas Führung machte, sehr genau beobachtet und sich von seinem taktischen und strategischen Geschick überzeugen können. Gelegentlich spielte das Team sogar ein 3-4-3, das man seit den Tagen von Cruyff und van Gaal nicht mehr gesehen hatte. Für ihn bestand kein Zweifel, dass der ehemalige Spieler in der Lage wäre, die erste Mannschaft mit Professionalität, Enthusiasmus und Engagement zu führen. Nur wenige waren damals indes so Feuer und Flamme wie Barças Sportdirektor, auch wenn Cruyff und Evarist Murtra, ein Vorstandsmitglied und enger Freund Guardiolas, auf seiner Seite waren. Um Guardiola durchzubringen, musste Präsident Laporta überzeugt werden. Der fühlte sich Rijkaard nach wie vor verpflichtet, wegen der guten Zeiten und der Titel, die Rijkaard mit dem Klub gewonnen hatte. Schließlich erklärte er sich aber einverstanden, Guardiola eine Chance zu geben. Er informierte Guardiola während eines Abendessens, das wegen der ersten Reaktion des Trainers auf den unerwarteten Vorschlag berühmt wurde: »Du hast nicht die Eier, das zu tun!« Nun hing alles davon ab, ob Rijkaard, der ja noch im Amt war, es schaffte, die Mannschaft ins ChampionsLeague-Finale zu führen. Rijkaard scheiterte, und seine Ära ging zu Ende. Guardiola übernahm Ende der Saison die Mannschaft, was so lange geheim gehalten wurde, bis der Klub es offiziell verkündete. Was die Culés damals noch nicht ahnen konnten: Damit begann die ruhmreichste Ära der Klubgeschichte, sowohl hinsichtlich

KAPITEL 6

151


RECHTS: Tito Vilanova gibt Anweisungen im ViertelfinalRückspiel gegen Bayern München am 14. April 2009. Der einflussreiche Trainer erlag am 25. April 2014 nach zweijährigem Kampf einem Krebsleiden.

der Titel als auch der atemberaubenden Auftritte, die die Mannschaft hinlegte. 2008/09: SECHS AUF EINEN STREICH Am 17. Juni wurde in der Sala París des Camp Nou der 37-jährige Pep Guardiola offiziell als neuer Cheftrainer des FC Barcelona vorgestellt. Barça sorgte in jenem Sommer für ziemlichen Gesprächsstoff. In sportlicher Hinsicht schienen nicht viele Leute an den neuen Coach zu glauben. Auch wenn er als Spieler nachweislich brillant gewesen war, so ließ sich doch nicht leugnen, dass er als Trainer kaum Erfahrung hatte. Auf Führungsebene kam Laporta bei einem Misstrauensvotum mit knapper Not davon. Zusammen mit Guardiola war auch dessen Freund und rechte Hand Tito Vilanova in den Trainerstab befördert worden. Vilanova war ein herausragender Team- und Matchanalytiker. Um die Mannschaft auf Vordermann zu bringen und wieder zu einer funktionierenden Einheit zu formen, waren verschiedene, auch unerfreuliche Maßnahmen nötig. So war es unvermeidlich, den Kader auszumisten. Einer der Ersten, der sich verabschieden musste, war Ronaldinho, der Brasilianer, der den Fans so viel Freude gemacht hatte, dessen Stern aber allmählich verblasste. Er war nicht der Einzige, der gehen musste: Deco, Edmílson, Gianluca Zambrotta, Lilian Thuram und Giovani dos Santos verließen ebenfalls den Klub. Auch Eto’o war kurz davor, aussortiert zu werden, wie Guardiola auf einer Pressekonferenz verkündete. Der Trainer wusste ganz genau, welche Art von Mannschaft er wollte und welche Spielertypen er dafür brauchte. Und Eto’os starke Persönlichkeit und

152

KAPITEL 6

rebellischer Charakter entsprachen nicht seinen Vorstellungen. Aber sobald der Kameruner nicht mehr unter dem Einfluss von Ronaldinho und Deco stand, begann er, den Weisungen des Trainers zu folgen, und erhielt seinerseits die Anerkennung, die seine hervorragenden Leistungen verdienten. Eine herausragende Vorbereitung und die Fürsprache seiner Kollegen gaben den Ausschlag: Guardiola hielt eine weitere Saison an ihm fest. Um die Abgänge zu kompensieren, kamen Dani Alves, Martín Cáceres, Seydou Keita, Aljaksandr Hleb und Gerard Piqué. Piqué, der an der Seite von Cesc Fàbregas und Lionel Messi Barcelonas Jugendmannschaften durchlaufen hatte, wurde von Manchester United zurückgeholt. Der katalanische Trainer stellte von Anfang an klar, dass die Mannschaft nicht von einem einzelnen Spieler abhängig sein sollte. Stattdessen schwebte ihm ein Team vor, das sich mit bedingungslosem Einsatz den Respekt der Fans verdiente und aus teils noch sehr jungen Spielern bestand, die sich durch die Nachwuchsmannschaften allmählich nach oben gearbeitet hatten. Sie sollten sich voll und ganz mit dem FC Barcelona identifizieren und die Werte des Klubs repräsentieren. Den Kern der Mannschaft bildeten Carles Puyol, Xavi Hernández, Andrés Iniesta und Messi, die bis dahin eher in der zweiten Reihe gestanden hatten. Mit Pedro, Sergio Busquets und Thiago Alcántara, die alle unter Guardiola in der B-Elf gespielt hatten, stießen weitere Musterschüler aus der eigenen Jugend zur Mannschaft. Pedro und Busquets spielten auch einige Zeit später beim ersten WM-Titel der Spanier eine wichtige Rolle.


»Schnallt euch an, wir machen eine Spritztour.« Pep Guardiola

Ohne Zweifel hat Guardiola seinen Erfolg ein Stück weit seiner Persönlichkeit und seinen Kommunikationsfähigkeiten zu verdanken. Alle, die im Vorfeld der Saison 2008/09 bei seiner ersten Mannschaftsansprache im schottischen St. Andrews dabei waren, waren hin und weg. Ein Satz stach an jenem Tag besonders hervor: »Ich kann jeden Fehler verzeihen, aber ich werde niemandem vergeben, der nicht Herz und Seele für Barcelona gibt.« Er machte deutlich, dass er von seinen Spielern erwartete, alles zu geben. Es sollte wieder eine Kultur von Einsatzbereitschaft und Teamwork Einzug halten. Was er nicht wollte, waren Grüppchenbildung, Cliquenwirtschaft, Quertreiber und Ausreden nach schwachen Leistungen. Er wollte Engagement, Kampfgeist, Disziplin, Einigkeit und das Vertrauen in ein Projekt, das sie nur gemeinsam vorantreiben konnten. Seine Ansprache bildete das Fundament für das, was kommen sollte. Um die Kameradschaft unter seinen Spielern zu fördern, bestand er darauf, dass sie ausschließlich Spanisch oder Katalanisch sprachen. Er sorgte außerdem dafür, dass die Spieler sich im Speisesaal mischten, so dass sich keine Gruppen bildeten. Es gab einen ganzen Katalog ähnlicher Regeln, inklusive Sanktionen für Verstöße. Trotz anfänglicher Skepsis, vor allem seitens älterer und ausländischer Spieler, gewöhnte sich die Mannschaft schnell an die neuen Umstände. Damit sich die Spieler mehr wie Angestellte des Klubs denn als Stars fühlten, hielt Guardiola seine Trainingseinheiten fernab von Presse und Fans ab. So waren die Spieler gezwungen, sich auf ihren Job zu konzentrieren, ohne Ablenkungen oder Störungen. Zudem fielen die Mannschaftssitzungen im Hotel vor einem Spiel weg, was ungewohnt war, aber viele Spieler waren froh darüber, als sie merkten, wie sehr es die Anspannung linderte. »Ich kann keine Titel versprechen, aber ich bin überzeugt davon, dass die Fans stolz auf uns sein werden«, sagte Guardiola. Genau wie Cruyff in seinem ersten Jahr, versprach er statt Titeln lieber, die

Zuschauer zurück ins Stadion zu holen und eine Spielweise zu etablieren, die die Culés anerkennen und schätzen würden. »Schnallt euch an, wir machen eine Spritztour«, kündigte er bei seiner Vorstellung am 16. August im vollgepackten Camp Nou an. Und er versprach nicht zu viel. Es wurden noch viele weitere Parallelen zu Cruyff sichtbar. Guardiola bekräftigte mehrmals, dass der holländische Trainer eine wichtige Inspiration gewesen sei. Wie Cruyff an Spiele heranging, wie er den Fußball im Allgemeinen sah, hatte Guardiola maßgeblich beeinflusst. »Wir sind fast so etwas wie die Jünger der Prinzipien, die Cruyff hier etabliert hat«, schrieb er einmal, ohne den Einfluss einer anderen Mannschaft herunterzuspielen, die ihn tief beeindruckt hatte: das Ajax von Louis van Gaal. Die Spielweise, die Barcelona so viele Erfolge bescherte, basierte im Wesentlichen auf den Methoden, die zuvor von Michels, Cruyff, van Gaal und Rijkaard etabliert worden waren und die der katalanische Trainer nun perfektionierte. Der erste und entscheidende Faktor waren Ballbesitz und -kontrolle. Guardiola selbst formulierte es folgendermaßen: »Im Fußball gibt es nur ein Geheimnis: Entweder habe ich den Ball, oder ich habe ihn nicht.« Sein Team sollte danach streben, den Ball zu haben. Der zweite Faktor war, den Ball nicht zu verlieren, zumindest nicht durch Fehler. Der dritte, nicht weniger wichtige Faktor war das Pressing. Dieses wurde im Kollektiv nahe dem gegnerischen Strafraum praktiziert. Das hatte es zwar auch schon unter Rijkaard gegeben, unter Guardiola wurde es nun aber zur grundlegenden Prämisse. Er berief sich außerdem auf eine Lehre van Gaals: Nach Ballverlust musste die Kugel innerhalb von fünf Sekunden zurückerobert werden. Erst wenn das nicht gelang, sollte sich die Mannschaft zurückfallen lassen. Die erste große Herausforderung für den neuen Coach war die Champions-League-Qualifikation gegen Wisła Krakau, nachdem Barça in der Vorsaison

KAPITEL 6

153


RECHTS: Lionel Messi feiert sein zweites (und Barças fünftes) Tor beim 6:2-Sieg im Bernabéu am 2. Mai 2009.

nur Dritter geworden war. Manche von Guardiolas Änderungen waren bereits in diesen Partien erkennbar. Die Verteidiger bauten von hinten heraus das Spiel auf, Innenverteidiger und Torwart bildeten die erste Angriffsreihe. Die Mannschaft bewegte sich mit offensiven Außenverteidigern als Einheit nach vorne und ließ permanent den Ball durch die eigenen Reihen zirkulieren. Auf diese Weise – und weil sich die Spieler mehr bewegten – ergaben sich mehr Räume. Natürlich hatte Guardiola etwas, das andere Teams nicht hatten: einen Kader von außergewöhnlicher Qualität. Und auch die Spieler hatten etwas, was nicht alltäglich war: einen Trainer, der seine Anweisungen erläuterte, so dass sie wussten, warum sie ihnen Folge leisten mussten. Auch wenn sie im Rückspiel im Camp Nou eine knappe Niederlage hinnehmen mussten, setzten sich die Blau-Roten in der Qualifikation dank eines überzeugenden 4:0 in Polen souverän durch. Danach stand das erste Ligaspiel bei Aufsteiger Numancia an. Barça beherrschte das Spiel und verzeichnete 20 Torschüsse, von denen aber keiner den Weg ins Netz fand. Numancia hingegen machte aus drei Chancen ein Tor, und so unterlag Barcelona unnötig mit 0:1. Das war eine herbe Enttäuschung, von der sich die Mannschaft schnell erholen musste. Als Erstes ermahnte Guardiola seine Spieler, dass man trotz dieses Rückschlags nicht das oberste Ziel aus den Augen verlieren dürfe: einen bestimmten Stil zu entwickeln. Im zweiten Spiel war das sehr defensiv ausgerichtete Racing Santander zu Gast im Camp Nou und trotzte den Hausherren ein 1:1 ab. Es war noch viel

154

KAPITEL 6

Feinarbeit zu leisten, aber im Großen und Ganzen hatte die Mannschaft das umgesetzt, was der Trainer vorgegeben hatte. Es war nur ein wenig Geduld gefragt, doch genau die fehlte einigen Medien, als Barça sich zeitweilig auf einem Abstiegsplatz wiederfand. »Guardiola ist zu schwach, er hat keine Persönlichkeit, Mourinho wäre besser gewesen …«, hieß es in der katalanischen Presse. Am dritten Spieltag feierte Barça endlich den ersten Sieg: Sporting Gijón war vom Pressing und Rhythmus der Blaugranas völlig überfordert und kassierte sechs Tore. Von da an blieb die Mannschaft bis zum Champions-League-Spiel gegen Schachtar Donezk am 9. Dezember ungeschlagen. Abgesehen von Unentschieden gegen Basel und Getafe hatte sie in der Zwischenzeit jedes Spiel gewonnen. Tatsächlich war der Ausrutscher in Numancia der einzige Schönheitsfehler einer Rekordhinrunde, in der man 50 Punkte holte. Barça stand nach neun Spieltagen an der Spitze und gab diese Position bis zum Saisonfinale nicht mehr her. Nicht nur schlossen die Fans dank der Siege ihren Frieden mit der Mannschaft, sie erlebten auch einige der größten fußballerischen Momente der Klubgeschichte. Natürlich waren die Ergebnisse erfreulich, aber das eigentliche Highlight war die spektakuläre Art und Weise, wie sie errungen wurden. In jener Saison gewannen Barça und der Fußball im Allgemeinen zahlreiche neue Anhänger. Sogar die New York Times widmete dem Klub im Dezember 2008 einen Artikel, in dem es hieß: »Dieser Tage dem FC Barcelona zuzuschauen, ist für manche vergleichbar mit der Lektüre eines Buchs, das man nicht weglegen kann.« Der


»Ich kann keine Titel versprechen, aber ich bin überzeugt davon, dass die Fans stolz auf uns sein werden.« Pep Guardiola

Autor schloss mit dem Fazit: »Beim FC Barcelona ist alles eine Frage des Stils.« Fragt man die Culés, an welches Spiel aus dieser Saison sie sich besonders gerne erinnern, werden die meisten ohne Zweifel das 6:2 gegen Real Madrid im Bernabéu nennen. Es war ein historischer Erfolg, erbracht von einer leidenschaftlich aufspielenden Elf. Die Partie fand statt am 2. Mai, fünf Spieltage vor Schluss. Real Madrid, das von Juande Ramos trainiert wurde, hatte sich in den Wochen zuvor in guter Form präsentiert. Nur vier Punkte trennten die Klubs in der Tabelle. Mit einem Sieg hätten die Madrilenen das Rennen um die Meisterschaft noch einmal spannend machen können. Im Camp Nou hatten sich die Blaugranas mit 2:0 durchgesetzt, aber ein Sieg im Bernabéu wäre natürlich das Sahnehäubchen. Barça beherrschte das Spiel von Anfang an, trotzdem ging Madrid durch ein Tor von Gonzalo Higuaín zunächst in Führung. Dann aber schlugen die Katalanen durch Henry, Puyol und Messi zurück. Sergio Ramos konnte für die Königlichen in der 56. Minute verkürzen, aber nur zwei Minuten später traf Henry zum zweiten Mal. Ein weiterer Treffer von Messi und ein Tor von Piqué setzten den Schlusspunkt unter einen großartigen, unvergesslichen Abend für die Culés. MAI 2009: EIN WONNEMONAT Den Mai 2009 sollten sowohl Spieler als auch Fans nicht so schnell vergessen. Die Mannschaft bestätigte die guten Leistungen in der Liga nun auch in der Champions League. Nur vier Tage nach dem Clásico musste sie an der Stamford Bridge im Halbfinal-Rückspiel gegen Chelsea antreten, das im Hinspiel in Barcelona ein 0:0 erkämpft hatte. Die Blues gingen nach neun Minuten in Führung. Als niemand mehr an ein Wunder glaubte, gelang Iniesta in der Nachspielzeit wie aus dem Nichts noch der Ausgleich für die dezimierten Blaugranas, die damit das Ticket für das Finale lösten. Kaum eine Woche später, am 13. Mai im MestallaStadion von Valencia, bezwang Barcelona im Finale

der Copa del Rey Athletic Bilbao mit 4:1 und sicherte sich damit den ersten Titel der Saison. Es war ein Sieg mit Dominoeffekt. Vier Tage später wurde Barcelona Meister, und weitere zehn Tage später war Manchester United im Finale in Rom chancenlos: Mit einem 2:0 sicherte sich Barça den dritten Champions-LeagueTitel seiner Geschichte. Der Klub und seine Fans schwebten nach dem Triple auf Wolke sieben. Wie erwähnt, waren es nicht nur die Titel, sondern die Art und Weise, wie sie errungen wurden, die Barcelona die Bewunderung von Fußballfans aus aller Welt einbrachten. Guardiola griff die Ideen früherer Generationen auf und passte sie an die heutige Zeit an. Er blieb dem ursprünglichen Geist und Modell treu, eröffnete aber zuvor ungeahnte Möglichkeiten. Dabei scheute er sich nicht, die Änderungen vorzunehmen, die er für nötig hielt. Der Journalist John Carlin schrieb im Magazin Barça: »Nachdem ich sie hatte spielen sehen, verstand ich endlich, was Bobby Robson und ich vor zwölf Jahren nicht verstanden hatten: Man muss seine Ziele so hoch wie möglich stecken, man muss träumen, denn im Fußball muss man, wie bei allem anderen, ungemein ehrgeizig sein.« Andere Mannschaften hatten nur eine Möglichkeit, der hungrigen Bestie beizukommen, in die sich der FC Barcelona verwandelt hatte: Sie mussten eine engmaschige, erdrückende Defensive aufbauen und auf Fehler warten, um einen Gegenangriff zu starten. In der ersten Saison begriffen nur wenige Gegner, dass dies ihre einzige Chance war. Aber Chelsea setzte diese Spielweise im Halbfinale der Champions League perfekt um und hätte beinahe Erfolg damit gehabt, wäre Iniesta nicht noch der Ausgleich gelungen, mit dem Barças Angriffsschwung und gutes Spiel belohnt wurden. Bemerkenswerterweise hatten alle vier Kapitäne der Saison ihre Ausbildung in La Masia erhalten: Xavi, Puyol, Victor Valdés und Iniesta. Sieben der elf Spieler, die in Rom auf dem Platz standen, stammten aus der eigenen Jugend, womit der Traum von einer Mann-

KAPITEL 6

155


OBEN: Sandro Rosell hält in den Gärten von La Masia seine Antrittsrede als neuer Präsident des FC Barcelona. Der Unternehmer wurde am 1. Juli 2010 zum Nachfolger von Joan Laporta gewählt und versprach dem Klub eine neue goldene Ära.

schaft aus elf »canteranos« (Eigengewächsen) fast wahr geworden wäre, den van Gaal 2000 formuliert hatte – wofür viele damals nur Kopfschütteln übrig gehabt hatten. Es war eine Mannschaft voller hart arbeitender Stars. Einer dieser Stars, Messi, wurde in dem Jahr zum ersten Mal zum Weltfußballer des Jahres gewählt, Xavi wurde Dritter. 2009/10: TITEL OHNE ENDE Die Saison 2008/09 ging zu Ende, aber es gab noch weitere Trophäen zu feiern in diesem Kalenderjahr. Zunächst gewann Barça im August mit einem 2:1 und 3:0 im Hin- und Rückspiel gegen Athletic Bilbao in überzeugender Manier die Supercopa. Fünf Tage später sorgte Pedro mit einem Tor in der Verlängerung gegen Schachtar Donezk für den Gewinn des UEFA Super Cups. Der einzige Titel, der in der Vereinsgeschichte noch fehlte, kam im Dezember hinzu: die Klub-WM. Gegner im Finale war Estudiantes de La Plata. Messi sorgte mit dem 2:1 in der Verlängerung für die Entscheidung zugunsten der Katalanen. Sechs Titel in einem Jahr – eine Marke, die keine andere Mannschaft jemals erreicht hat. Nach dem sechsten Titel vergoss Guardiola sogar ein paar Tränen. Das Schwierigste war, dieses Niveau aufrechtzuerhalten. Um das zu schaffen, nahm Guardiola ein paar Änderungen am Kader vor. Zlatan Ibrahimović und Maxwell kamen von Inter Mailand, Samuel Eto’o ging nach fünf erfolgreichen Jahren in Barcelona den umgekehrten Weg. Für den Schweden zahlte Barça 45 Mio. Euro plus Eto’o (der einen Marktwert von rund 20 Mio. Euro hatte), dazu kamen weitere 3 Mio. Euro aus einer Vereinbarung über ein Leihgeschäft mit

156

KAPITEL 6

dem Weißrussen Hleb, der nach Stuttgart ging. Die Gesamtsumme belief sich letztlich auf 68 Mio. Euro – ein neuer Vereinsrekord. Trotz der Neuverpflichtungen zog Barcelona im Achtelfinale der Copa del Rey gegen Sevilla (1:2 und 1:0) sowie im Halbfinale der Champions League gegen – ausgerechnet! – Inter (1:3 und 1:0) den Kürzeren. In der Meisterschaft eilten sie aber weiter unaufhaltsam von Sieg zu Sieg und standen ab dem vierten Spieltag fast ununterbrochen auf Platz eins. Am 16. Mai feierte Barça mit insgesamt 99 Punkten die 20. Meisterschaft seiner Vereinsgeschichte. Unterdessen gab es auch abseits des Platzes bemerkenswerte Entwicklungen. Das gute Image des Klubs – dank der Spielweise der Mannschaft, aber auch aufgrund des sozialen Engagements wie der Kooperation mit UNICEF – sorgte sowohl für einen außerordentlichen wirtschaftlichen Aufschwung als auch für einen spektakulären Anstieg der Mitgliederzahlen. Bezogen auf den Umsatz belegte der FC Barcelona in der Liste der reichsten Klubs der Welt den zweiten Platz. Außerdem hatte man nun 173.000 Mitglieder. Das beherrschende Thema des Sommers war aber die Wahl eines neuen Präsidenten. Laporta durfte nicht mehr antreten (gemäß den Klubregularien waren nur zwei Amtszeiten möglich), zu seinem Nachfolger wurde Sandro Rosell gewählt. Laportas früherer Mitstreiter setzte sich am 13. Juni 2010 mit 61,35 Prozent der Stimmen durch. 2010/11: NOCH EIN TRIPLE Im Sommer gewann Spanien in Südafrika erstmals den Weltmeistertitel. Unter den Weltmeistern befan-


»Dieser Tage dem FC Barcelona zuzuschauen, ist für manche vergleichbar mit der Lektüre eines Buchs, das man nicht weglegen kann. Beim FC Barcelona ist alles eine Frage des Stils.« New York Times

den sich sieben Spieler aus Barcelona, sechs davon waren in La Masia ausgebildet worden. Die Experten waren sich einig, dass die Spielweise der Nationalmannschaft Barças Gütesiegel trug. Die Saison begann mit dem Abschied von Yaya Touré, Thierry Henry, Rafael Márquez und dem Ukrainer Dmytro Tschyhrynskyj, der erst im Jahr zuvor verpflichtet worden war, die Erwartungen aber nicht erfüllen konnte. Der meistdiskutierte Abgang war aber der von Zlatan Ibrahimović, der nach vielen hitzigen Auseinandersetzungen mit seinem Trainer an den AC Mailand ausgeliehen wurde. Als Neuzugänge kamen der asturische Stürmer David Villa sowie Adriano und Javier Mascherano. Zudem bemühte man sich um die Rückkehr von Cesc Fàbregas, der einst in La Masia ausgebildet worden und inzwischen Kapitän des FC Arsenal war. Obwohl der Spieler den Wunsch geäußert hatte, neben den alten Kollegen zu spielen, wurde keine Einigkeit erzielt. Das Torneig Gamper erhielt in dieser Saison besondere Bedeutung, denn Gegner war Ronaldinhos AC Mailand. 97.000 Zuschauer wohnten der speziellen Begrüßung des früheren Barça-Stars bei, der mit der Mannschaft für ein Foto posierte. Obwohl sein früherer Klub im Elfmeterschießen den Pokal holte, wurde »El Gaúcho« unter dem Jubel der Zuschauer die Trophäe als Souvenir überreicht. In der Supercopa sicherte sich Barcelona trotz eines 1:3 im Hinspiel beim FC Sevilla mit einem 4:0 im Rückspiel im Camp Nou den ersten Titel der Saison. Maßgeblichen Anteil daran hatte der dreifache Torschütze Leo Messi. Unterdessen war José Mourinho als neuer Trainer bei Real Madrid vorgestellt worden. Mit ihm als einem der Protagonisten sollte die Rivalität der beiden Klubs neue Ausmaße erreichen. Der weniger attraktive, aber ebenso effektive Fußball des Portugiesen stellte Guardiolas Spielweise auf die Probe. Im November 2010 standen sich die Klubs im ersten von fünf Clásicos in jener Saison gegenüber. Barça lieferte bei seinem 5:0-Sieg eine berauschende

Vorstellung ab, die viele als die beste der Klubgeschichte bezeichneten. Als im Dezember die Finalisten für die Wahl des Weltfußballers verkündet wurden, hatte man vor allem in La Masia Grund zur Freude, denn alle drei Finalisten waren Absolventen von Barças berühmter Fußballschule. Messi erhielt die Auszeichnung zum zweiten Mal und setzte sich damit gegen seine Kollegen Iniesta und Xavi durch, für den es die zweite Nominierung war. Auf dem Weg zu Barças nächster Meisterschaft kam es am 16. April im Bernabéu zum zweiten Clási­ co der Saison. Die Katalanen holten ein 1:1 – genug, um die Königlichen im Titelrennen auf Distanz zu halten. Bereits vier Tage später stand man sich im Finale der Copa del Rey erneut gegenüber: Ein Kopfballtor von Cristiano Ronaldo in der Verlängerung bescherte Real den Pokal. Fast ohne Atempause ging es weiter, denn schon am 27. April trafen die Erzrivalen wieder aufeinander, diesmal im Halbfinale der Champions League. Durch zwei Tore von Leo Messi, eins davon nach einem sehenswerten Sololauf, feierte Barça im Bernabéu ein vorentscheidendes 2:0. In beiden Spielen ging es hitziger als sonst zur Sache, was anscheinend Teil von Mourinhos Strategie war. Es kam zu zahlreichen Zwischenfällen, darunter ein Handgemenge an der Seitenlinie nach dem Halbzeitpfiff. Außerdem beschwerte sich der Trainerstab der Madrilenen, die Schiedsrichter würden zugunsten von Barcelona pfeifen (Pepe hatte die Rote Karte gesehen, und im Rückspiel wurde ein Tor von Higuaín aberkannt). Auf der Pressekonferenz nach dem Hinspiel stellte Mourinho zudem sämtliche Siege Barcelonas in Frage, darunter auch den vorigen Champions-League-Triumph. Mourinho, der sich in der Rolle des Bösewichts offenbar gefiel, sorgte mit seinen Kapriolen für eine stets angespannte Atmosphäre in den Clásicos. Los Blancos setzten große Hoffnungen in den Portugiesen, der dank seiner Medienauftritte die perfekte

KAPITEL 6

157




Barça mit einem eindrucksvollen 3:1-Sieg auch die letzten Skeptiker überzeugt. Pedro, Messi und Villa erzielten die Tore für Barcelona, während Rooney für United traf. Éric Abidal, dem im März ein Tumor in der Leber entfernt worden war, hatte im Halbfinale gegen Real Madrid, nur sieben Wochen nach seiner Operation, die beiden letzten Minuten spielen dürfen. Jetzt spielte er nicht nur das komplette Finale durch, sondern war für seine Kollegen ein Quell der Inspiration. Kapitän Puyol, der zwei Minuten vor dem Ende eingewechselt wurde, bestand darauf, dass der Franzose den Pokal als Erster entgegennahm, und sorgte damit für einen der emotionalsten Momente in Barças langer Geschichte. Bei alledem darf nicht vergessen werden, dass die Saison kurz nach dem Ende der WM in Südafrika begonnen hatte. Mit David Villa, der erst nach der WM zum FC Barcelona wechselte, hatten nicht weniger als acht Blaugranas in der spanischen Weltmeisterelf gestanden. Dazu kamen Nationalspieler anderer Nationen, denen kaum Zeit geblieben war, die leeren Akkus aufzuladen.

OBEN: Im Finale der FIFA Klub-WM am 18. Dezember 2011 in Yokohama standen sich Andrés Iniesta und Neymar noch als Gegner gegenüber. Barça besiegte Santos klar mit 4:0, die Tore erzielten Xavi, Fàbregas und zweimal Messi. VORIGE DOPPELSEITE: Messi, Weltfußballer 2010, eingerahmt von den beiden anderen Finalisten, Andrés Iniesta und Xavi. Die Trophäe wurde den Zuschauern im Camp Nou am 12. Januar 2011 vor dem Pokalspiel gegen Betis präsentiert, das die Hausherren locker mit 5:0 gewannen.

160

KAPITEL 6

Zielscheibe für die Schmähgesänge der Culés abgab. So stimmten sie bei jeder Niederlage der Königlichen im Camp Nou »Mourinho, bleib da« an. Viele waren der Meinung, dass der Portugiese die Liga in eine Schmierenkomödie verwandelte, die dem sportlichen Wettbewerb um die Spitzenplätze nicht gerade förderlich war. Andere, darunter auch Guardiola, empfanden den Kleinkrieg als zunehmend unerträglich, weil er vom eigentlichen sportlichen Wettkampf ablenkte. Auf der Pressekonferenz vor dem Rückspiel brach schließlich Guardiolas Frust über das Verhalten seines Kontrahenten aus ihm heraus. Er bescheinigte Mourinho, zumindest im Presseraum »der Scheißboss« zu sein. Auf dem Platz aber ließ Barça keinen Zweifel an seiner Überlegenheit. Weiterhin wurden die Katalanen für ihr Spiel von Presse und Fans gerühmt – außer von den Real-Fans natürlich. Nach dem dritten Meistertitel in Folge und dem erneuten Einzug ins Finale der Champions League wurden die Lobeshymnen sogar noch überschwänglicher. Guardiola kehrte mit Barça nach Wembley zurück, wo der Klub einst seinen ersten Landesmeisterpokal gewonnen hatte. Die beiden damals besten Mannschaften Europas trafen am 28. Mai 2011 aufeinander. Auch wenn sie fußballerisch völlig unterschiedliche Ansätze vertraten, begegneten sich Barça und Manchester United in fast jeder Hinsicht auf Augenhöhe: Beide hatten den Titel bereits dreimal gewonnen, und ihre Bilanz im direkten Vergleich lautete je drei Siege und vier Unentschieden. Doch nur einer konnte an diesem Abend gewinnen, und am Ende hatte das klar überlegene

2011/12: POKALE, ABER KEINE MEISTERSCHAFT Der FC Barcelona eröffnete die neue Saison mit dem Sieg in der Supercopa gegen Real Madrid (2:2 im Hinspiel und 3:2 im Rückspiel) und einem 2:0 gegen Porto im UEFA Super Cup. In zwei dieser Spiele kam mit dem chilenischen Nationalspieler Alexis Sánchez ein namhafter Neuzugang zum Einsatz. Das große Thema unter den Culés war aber die Rückkehr von Cesc Fàbregas. Andere Neuzugänge wie Isaac Cuenca, Cristian Tello und Rafinha kamen aus der zweiten Mannschaft. Bojan Krkić, Gabriel Milito und Jeffrén mussten hingegen den Verein verlassen, während Ibrahimović endgültig zum AC Mailand wechselte. Im Dezember sicherte sich Barcelona durch ein klares 4:0 gegen den brasilianischen Vertreter FC Santos um Jungstar Neymar zum zweiten Mal die Klub-WM. Die Tore erzielten zweimal Messi sowie Fàbregas und Xavi. Noch vor der Winterpause wurde Messi am 9. Januar zum dritten Mal als Weltfußballer des Jahres ausgezeichnet, während sich Xavi zum dritten Mal in Folge mit dem dritten Platz begnügen musste. Auch Guardiola erhielt die verdiente Anerkennung und wurde vor Sir Alex Ferguson und José Mourinho zum besten Trainer der Welt gewählt. In der Champions League musste sich Barça diesmal im Halbfinale dem FC Chelsea geschlagen geben, trotz teils herausragender Darbietungen. So schlug man Bayer Leverkusen im Achtelfinal-Rückspiel 7:1 – mit fünf Toren von Messi und einem Doppelpack von Tello. Drei Tage nach dem Ausscheiden in der Königsklasse erklärte Guardiola offiziell seinen bevorstehenden Abschied aus Barcelona. Er war


»Es ist eine Ehre, als der Mann auserkoren zu werden, der die glanzvolle Geschichte dieses Klubs weiterführen darf.« Tito Vilanova

ausgebrannt und sah sich außerstande, den nötigen Umbruch zu managen. Der Klub verkündete, dass Guardiolas Freund und Assistent Tito Vilanova seine Nachfolge antreten würde – Kontinuität war wieder einmal Trumpf. Es war das Jahr, in dem Barça auch in der Meisterschaft das Nachsehen hatte. Ab dem neunten Spieltag steckte man auf dem zweiten Platz fest, hinter dem bemerkenswert effizienten Real Madrid, das sich mit erstaunlichen 100 Punkten den Titel sicherte. Aber einen Titel gab es trotzdem noch: Mit einem 3:0 gegen Athletic Bilbao im Vicente Calderón in Madrid sicherte sich Barcelona zum 26. Mal die Copa del Rey. Neben dem Resultat sorgten auch die Zuschauer auf beiden Seiten für Schlagzeilen. Wie schon drei Jahre zuvor im katalanisch-baskischen Duell in Valencia übertönten sie die spanische Hymne durch Buhrufe, obwohl nur eine gekürzte Fassung gespielt wurde. Wieder einmal diente der Fußball als Vehikel für politischen Protest. Guardiola verabschiedete sich am 5. Mai beim letzten Heimspiel der Saison gegen Espanyol von den Fans. Es war ein Abend voller emotionaler Momente. Messi erzielte alle vier Tore, und auf den Rängen wurde ein riesiges Banner entrollt, auf dem stand: »Wir lieben dich, Pep.« Guardiola richtete ein paar Worte an das vollgepackte Stadion: »Danke an jeden Einzelnen von euch. … Wir haben jeden Tag hart dafür gearbeitet, dass es euch Freude macht, uns spielen zu sehen. … Bis bald, ihr werdet mich nie verlieren!« Anschließend ließen die Spieler ihn hochleben, während die Fans seinen Namen skandierten. 2012/13: DAS JAHR UNTER TITO VILANOVA »Es ist eine Ehre, als der Mann auserkoren zu werden, der die glanzvolle Geschichte dieses Klubs weiterführen darf«, sagte Tito Vilanova bei seiner offiziellen Vorstellung im Juni 2012. Nur zwei Wochen später wurde Spanien durch ein klares 4:0 gegen Italien erneut Europameister. In der Startelf standen fünf Blaugra­

nas aus La Masia (Piqué, Busquets, Iniesta, Xavi und Fàbregas), zwei weitere saßen auf der Bank (Pedro und Victor Valdés). Mit Jordi Alba wurde nur wenige Tage nach dem Finale ein weiterer Absolvent der Fußballschule aus Valencia zurückgeholt. Die Supercopa wurde Ende August gegen Real Madrid ausgespielt. Einem 3:2 im Camp Nou folgte ein 1:2 im Bernabéu, womit die Königlichen aufgrund der mehr erzielten Auswärtstore den Titel gewannen. In der Hinrunde der Meisterschaft aber gab sich Barça fast keine Blöße: Die Mannschaft holte mit 18 Siegen und nur einem Unentschieden – einem 2:2 daheim im Clásico – 55 von 57 möglichen Punkten. Am 7. Januar wurde Messi erneut zum besten Spieler der Welt gewählt und gewann als erster Spieler überhaupt zum vierten Mal den Ballon d’Or. Damit überholte er Legenden wie Johan Cruyff und Michel Platini, die die Auszeichnung jeweils dreimal erhalten hatten. Cristiano Ronaldo und Iniesta belegten die Plätze zwei und drei. Leider wurde die Saison davon überschattet, dass Vilanovas Krebserkrankung zurückkehrte. Der Trainer ließ sich ab Dezember 2012 freistellen, um sich einem erneuten Eingriff zu unterziehen. Sein Assistent Jordi Roura übernahm für einige Wochen das Training, während Vilanova Chemotherapie und Bestrahlung über sich ergehen ließ. Am 2. April kehrte er im Viertelfinale der Champions League gegen Paris Saint-Germain zurück auf die Bank. Die Meisterschaft war da bereits so gut wie in trockenen Tüchern. Im Halbfinale der Copa del Rey aber behielt Real Madrid nach einem 1:1 im Camp Nou und einem 3:1 im Bernabéu die Oberhand. Auch in der Champions League lief es eher durchwachsen. Im Achtelfinale gegen den AC Mailand hatten es die Blaugranas noch geschafft, das 0:2 im Hinspiel mit einem tollen 4:0 im Camp Nou wettzumachen. Anschließend schalteten sie Paris SaintGermain knapp aufgrund der mehr erzielten Auswärtstore (2:2 und 1:1) aus. Der spätere Titelträger Bayern München erwies sich im Halbfinale jedoch

KAPITEL 6

161


als eine Nummer zu groß. Einem 4:0 in München ließ die Mannschaft von Jupp Heynckes ein 3:0 im Camp Nou folgen. Wenig später gab der Deutsche Meister die Verpflichtung von Pep Guardiola als neuem Cheftrainer zur neuen Saison bekannt. Die Meisterschaft ging mit der sensationellen Marke von 100 Punkten zu Ende, womit die Blaugranas den erst ein Jahr zuvor von Real Madrid aufgestellten Rekord einstellten. Die Königlichen kamen diesmal »nur« auf 85 Zähler. Barça gewann außerdem die Copa Catalunya, obwohl man nach einem 1:1 gegen Espanyol ins Elfmeterschießen musste. Das waren die beiden Highlights einer Saison, in der sich die Fans vom tapferen Éric Abidal verabschiedeten, der im Mai seinen Weggang verkündete, nachdem sein Vertrag nicht verlängert wurde. Victor Valdés’ Abschied stand da bereits fest, und Stürmer David Villa hatte bereits bei Atlético Madrid unterschrieben. Die Saison 2013/14 begann mit einem furchtbar traurigen Nackenschlag. An einem Mittwochabend im Juli rief Tito Vilanova Sportdirektor Andoni Zubizarreta an, um ihm mitzuteilen, dass er nicht weitermachen könne, da der Krebs zurückgekehrt sei. Von da an führte der Trainer einen ganz anderen Kampf. Der Klub, der den Coach, mit dem er in die Saison gegangen war, in jeder erdenklichen Weise unterstützte, musste binnen einer Woche einen neuen Trainer finden. Sandro Rosell brachte schließlich Gerardo »Tata« Martino ins Spiel, den er in dessen Zeit als Nationaltrainer von Paraguay kennengelernt hatte. Danach ging alles sehr schnell. Der argentinische Coach, der soeben die Newell’s Old Boys – Leo Messis alten Klub – zur Meisterschaft geführt hatte, verzichtete darauf, große Veränderungen am Kader vorzunehmen. Er beschloss stattdessen, die Spieler erst einmal kennenzulernen. Der einzige Neuzugang, dessen Verpflichtung schon seit Monaten feststand, war der Brasilianer Neymar. Ihm traute man zu, eines Tages Weltfußballer zu werden. Das Team leckte noch seine Wunden aus der Niederlage gegen die Bayern in der Champions League. Martino wusste, dass er ein paar Dinge korrigieren musste, um seine Elf wieder auf die Philosophie einzuschwören, die sie so weit gebracht hatte. Die Spielzeit begann mit dem Gewinn der Super­ copa gegen Atlético Madrid, das sich im Lauf der Saison als Barças Hauptkonkurrent um die Meisterschaft herauskristallisierte. Tatsächlich erwies sich dieser Titel als der einzige einer sehr komplizierten Spielzeit. Der argentinische Trainerstab suchte nach neuen Mitteln und Wegen, Gegnern beizukommen, die Barcelonas Schwächen zu nutzen wussten. Darunter litt das Spiel der Blaugranas. Die Katalanen hatten es vor allem ihren überragenden individuellen Fähigkeiten zu verdanken, dass sie in Copa del Rey und Champions League einige Runden überstanden und 24 Wochen an der Tabellenspitze verbrachten.

162

KAPITEL 6

Martinos Elf blieb 20 Spiele in Folge ungeschlagen, erreichte das Halbfinale im Pokal und setzte sich im Achtelfinale der Champions League locker gegen Manchester City durch. Dazu kam ein klares 6:0 gegen Rayo Vallecano, das in der Hinrunde das Kunststück vollbrachte, mehr Ballbesitz als die Katalanen zu verzeichnen. Alles schien nach Plan zu verlaufen, aber eine Niederlage gegen Real Sociedad im neuen Jahr machte diese Illusion zunichte. Xavi und Cesc Fàbregas schauten von der Bank aus hilflos zu, während sie von Busquets und Song im Mittelfeld vertreten wurden. Auch abseits des Platzes gab es Probleme. Sandro Rosell trat einen Tag, nachdem Ermittlungen gegen ihn eingeleitet worden waren, von seinem Posten zurück. Klubmitglied Jordi Cases hatte wegen mutmaßlicher Veruntreuung von Geldern bei der Verpflichtung von Neymar Klage gegen den Präsidenten eingereicht. »Ich möchte nicht, dass Führung und Ansehen des Klubs aufgrund ungerechtfertigter Anschuldigungen Schaden nehmen«, erklärte Rosell. »Deswegen halte ich es für besser, mein Amt niederzulegen.« Nach seinem Abschied und nachdem Neymars Vater das Geheimhaltungsabkommen aufgehoben hatte, veröffentlichte der Klub detaillierte Informationen über die Verpflichtung des Brasilianers und sein Gehalt sowie andere Abmachungen und frühere Investitionen. Barcelona schied im Viertelfinale der Champions League gegen Atlético Madrid aus und unterlag im Finale der Copa del Rey dem Erzrivalen Real. Nach Niederlagen gegen die Kellerkinder Valladolid und Granada waren die Katalanen außerdem in der Meisterschaft auf Ausrutscher der beiden Hauptstadtklubs angewiesen, wollten sie noch einmal ins Titelrennen eingreifen. Nachdem Barça und Real die letzten neun Meisterschaften unter sich ausgemacht hatten, sorgte Reals Stadtrivale Atlético diesmal für einen überraschenden Dreikampf. Mit einem Referendum über das 600-Mio.-EuroProjekt Nou Espai Barça zum Ausbau des Camp Nou und des umliegenden Geländes stellte der Klub die Weichen für die Zukunft. Die Anhänger unterstützten das Projekt mit mehr als 70 Prozent Zustimmung. Doch von Seiten der FIFA hatte der Klub schlechte Nachrichten zu verdauen: Barça wurde wegen angeblicher Regelverstöße bei der Verpflichtung minderjähriger Spieler mit einer Transfersperre bis Juni 2015 belegt. Barcelona fühlte sich in mehrfacher Hinsicht verschaukelt. Wenngleich man einen Aufschub der Sanktionen bis Januar 2016 erreichte, genügte dieser Warnschuss, um unabhängig vom Ausgang der Saison einen Restrukturierungsprozess auf allen Ebenen des Klubs anzustoßen. Die Saison endete mit einem echten Finale im Camp Nou: Am letzten Spieltag hatte Barcelona die Chance, im direkten Duell gegen die Gäste von Atlético doch noch die Meisterschaft zu gewinnen. Dass


die beiden bestplatzierten Teams am letzten Spieltag aufeinandertrafen, hatte es seit 1951 nicht gegeben. Alles, was die Blaugranas brauchten, war ein Sieg. Martino stellte Xavi erneut nicht in der Startelf auf und ließ ihn stattdessen auf der Bank schmoren. Nach einem Patzer in der Defensive endete das Spiel 1:1. Die Fans waren in Scharen ins Stadion gekommen, um eine Mannschaft zu unterstützen, in die sie nur noch wenig Vertrauen hatten. Nach dem Schlusspfiff erhoben sich die Zuschauer von den Sitzen, um dem neuen Meister zu applaudieren und skandierten: »Atleti, Atleti, Atleti«. Das war mit solcher Intensität sonst nur im Calderón zu hören. Es war eine Demonstration sportlicher Fairness von Seiten einer Anhängerschaft, die Veränderungen verlangte. Diese Veränderungen ließen nicht lange auf sich warten. Trainer Martino nahm noch am gleichen Abend seinen Hut. Carles Puyol hatte sich da bereits auf einer tränenreichen Pressekonferenz nach 15 Jahren und 21 Titeln mit der ersten Mannschaft verabschiedet. Mit seinem Kampfgeist und seinem vorbildlichen Auftreten hatte der langjährige Kapitän den Geist und die Werte des Klubs seine gesamte Karriere hindurch würdig vertreten. Mit Victor Valdés verabschiedete sich ein weiterer Schlüsselspieler aus Barças erfolgreichster Ära mit einem offenen Brief an den Klub. Zwei Tage später setzte Leo Messi seine Unter-

schrift unter einen neuen Vertrag. Obwohl er in dieser schwierigen Saison, in der niemand zu Bestform aufgelaufen war, zwei Monate lang mit Verletzungen zu kämpfen hatte, waren ihm stolze 41 Tore gelungen. Er sollte das Kernstück eines neuen Projekts bilden, über das Luis Enrique das Kommando führen würde. Der ehemalige Barça-Spieler wurde am 19. Mai 2014 als neuer Trainer der Katalanen vorgestellt. Der Klub brauchte dringend eine neue Richtung. Wichtige Entscheidungen wurden getroffen, um für Stabilität zu sorgen. So gab es Veränderungen in La Masia und in der Weise, wie der Klub geführt wurde. Ein tragischer Verlust versetzte Barcelona aber in einen Schockzustand. Tito Vilanova – der Trainer, der die Saison begonnen hatte, der im erfolgreichsten Jahr der Vereinsgeschichte Assistenztrainer gewesen war und die Mannschaft mit »seny, pit i collons« (etwa »Verstand, Stärke und Mumm«) zur Rekordsaison mit 100 Punkten geführt hatte – erlag am 25. April 2014 im Alter von 45 Jahren seinem Krebsleiden. Vilanova, der von seinem ganzen Wesen her ein Mann des Volkes gewesen war, hinterließ ein beeindruckendes Vermächtnis. Sein bedächtiges Auftreten und der Respekt sowohl für den Gegner als auch für seine Mitstreiter wiesen den Weg, dem Barcelona folgen wollte, um weiter an der Spitze zu verbleiben, für deren Erreichen es so hart gearbeitet hatte.

OBEN: Der neue Trainer Luis Enrique spielte einst beim FC Barcelona im Mittelfeld und kennt den Klub und die Spieler. Sein Amtsantritt bedeutete ein neues Kapitel in der Geschichte des Vereins.

KAPITEL 6

163


»Wir sind fast so etwas wie die Jünger der Prinzipien, die Cruyff hier etabliert hat.« Pep Guardiola

UNTEN: Andrés Iniesta bejubelt sein grandioses Tor

UNTEN LINKS: Lionel Messi und Andrés Iniesta nach

gegen Chelsea in der 93. Minute. Mit dem 1:1 im Rückspiel an der Stamford Bridge zogen die Katalanen ins Finale in Rom am 27. Mai 2009.

dem 2:0 gegen Manchester United. Für Barça war es nach Meisterschaft und Copa del Rey der dritte Titel der Saison.

OBEN RECHTS: Das Champions-League-Finale 2009

UNTEN RECHTS: Nach dem Sieg in der Champions

wurde zu einem Triumph für den FC Barcelona. Samuel Eto’o brachte Barça in Führung, Lionel Messi erhöhte mit einem perfekt getimten Kopfball auf 2:0. Manchester Uniteds Edwin van der Sar und Rio Ferdinand können nur hilflos zuschauen, wie sich der Ball zur Vorentscheidung ins Netz senkt.

League, dem dritten Landesmeisterpokal nach 1992 und 2006, lassen die Spieler ihren Trainer Pep Guardiola hochleben. Bevor das Jahr zu Ende ging, holte Barcelona noch die Supercopa, den UEFA Super Cup und die KlubWM – sechs Titel in einem grandiosen Jahr.


KAPITEL 6

169


»Im Fußball gibt es nur ein Geheimnis: Entweder habe ich den Ball, oder ich habe ihn nicht.« Pep Guardiola

OBEN: Die Welt lauscht vor dem WM-Finale 2010 gegen die Niederlande in Johannesburg der spanischen Hymne. Die Spieler, die auf diesem Bild zu sehen sind (Xavi, Pedro, Carles Puyol, Gerard Piqué, Sergio Busquets und Iniesta), bildeten auch das Gerüst von Pep Guardiolas Barça-Mannschaft. Die Spielweise der Blaugranas hatte großen Einfluss auf den erfolgreichen Stil von La Roja in diesem Turnier. 170

KAPITEL 6

RECHTS: Im August 2010 kam es beim Torneig Joan

Gamper zum Wiedersehen mit Ronaldinho. Der FC Barcelona setzte sich gegen den AC Mailand im Elfmeterschießen durch. Das Match war eine Verbeugung vor »El Gaúcho«, dem hier von seinem früheren Kollegen Carles Puyol die Trophäe überreicht wird. Auf Seiten der Katalanen kamen die Neuzugänge David Villa, Javier ­Mascherano und Adriano zum Einsatz.


KAPITEL 6

171


Legenden des FC Barcelona

XAVI HERNÁNDEZ Xavi Hernández i Creus kam 1980 im katalonischen Terrassa zur Welt und stieß 1991, mit gerade mal elf Jahren, zum FC Barcelona. Er wurde in La Masia ausgebildet und entwickelte sich im Lauf der Jahre zu einem der besten zentralen Mittelfeldspieler der Welt. Nach einigen Jahren in der B-Mannschaft feierte er am 18. August 1998 unter van Gaal im Spiel um die Supercopa gegen Mallorca sein Debüt und erzielte gleich ein Tor. Er kam in jener Saison noch zu weiteren 16 Einsätzen. Im folgenden Jahr spielte er sich endgültig in der ersten Mannschaft fest, als er aufgrund einer Verletzung seines Idols Guardiola dessen Position im Mittelfeld übernahm. Von dieser war er spätestens dann nicht mehr wegzudenken, als Pep nach Brescia wechselte. Xavi ist ein Spielmacher, der mit überragender Übersicht, schneller Auffassungsgabe, enormer Passsicherheit, exzellenter Antizipation und der Gabe ausgestattet ist, den Ball in den eigenen Reihen zu halten. Niemand trug das Blaugrana-Trikot öfter als Xavi. Den bisherigen Rekordhalter Migueli löste er 2010 ab. In 17 Spielzeiten mit der ersten Mannschaft gewann er zudem mehr Titel als jeder andere, nämlich 25: acht Meisterschaften, drei Pokale, sechs Supercopas, zwei UEFA Super Cups, zwei Klub-WMs und viermal die Champions League. Als Nationalspieler führte er Spanien 1999 zum Sieg bei der U20-WM und ein Jahr später zur Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Sydney. Sein Debüt in der A-Nationalelf feierte er am 15. November 2000. Seither zählte er zu den großen Stützen der Mannschaft. Im Trikot von La Roja, das er in mehr als 100 Spielen getragen hat, gewann er die EM 2008 (im

184

XAVI HERNÁNDEZ

Finale gegen Deutschland bereitete er das Tor von Torres vor) und wurde von der UEFA zum besten Spieler des Turniers gewählt. Zwei Jahre später wurde er in Südafrika Weltmeister und stand in der Elf des Turniers. Nach einem 4:0 im Finale gegen Italien wurde er 2012 erneut Europameister. Obwohl er nicht unbedingt für seine Torgefährlichkeit bekannt ist, gelang ihm der 1.000. Treffer für die spanische Nationalmannschaft. Neben den Mannschaftstiteln gewann Xavi eine Reihe individueller Auszeichnungen, darunter 1999 als bester Nachwuchsspieler der spanischen Liga und 2005 als Spaniens Fußballer des Jahres. Außerdem wurde er von der International Federation of Football History and Statistics (IFFHS) von 2008 bis 2011 viermal in Folge zum besten Spielmacher der Welt gekürt und erreichte bei der Wahl zum Weltfußballer von 2009 bis 2011 dreimal in Folge den dritten Platz. 2011 landete er auf Platz zwei beim Best Player in Europe Award der UEFA und erhielt bei der FIFA Klub-WM den Silbernen Ball. Darüber hinaus erhielt er 2012 zusammen mit Iker Casillas den Prinz-von-Asturien-Preis im Bereich Sport. Unterstützt von Real-Keeper Casillas sorgte er durch seine umsichtige Führung der Nationalmannschaft außerdem dafür, die Spannungen zwischen den beiden Klubs, insbesondere in der Mourinho-Ära, zu überwinden.

»Schnell zu denken ist wichtiger, als sich schnell zu bewegen.« Xavi Hernández




Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.