Thomas Müller - Leseprobe

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Jörg Heinrich THOMAS

MÜLLER VERLAG DIE WERKSTATT

Das Phänomen


Inhaltsverzeichnis

K APITEL 1

Alle lieben Müller: Ein Mann wie „Bambi“ .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 K APITEL 2

Ortstermin: Das Phantom von Pähl

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K APITEL 3

Der Chef: Karl-Heinz Rummenigge über Thomas Müller

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23

K APITEL 4

„Müller spielt immer“: Durchbruch unter Louis van Gaal 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 K APITEL 5

Der König von Afrika: Die WM 2010

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39

K APITEL 6

Humor à la Müller: Der Karl Valentin des Fußballs

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53

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K APITEL 7

Es war einmal in Pähl: Der junge Müller K APITEL 8

Der doppelte Müller K APITEL 9

Kleines dickes Müller vs. großes dürres Müller: Fritz von Thurn und Taxis vergleicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 K A PI T E L 10

Weltmeister samma, den Pott hamma: WM 2014

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K A P I T E L 11

„Ein außergewöhnlicher Vogel“: Marcel Reif über Thomas Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 K A P I T E L 12

„We have a big breast“: Die 50 besten Müller-Sprüche . . . . . . . . . . . 92 K A P I T E L 13

Lost in France: Die Null-Tore-EM 2016

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K A P I T E L 14

Mrs. Müller: Die etwas andere Spielerfrau

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K A P I T E L 15

Kult-Kommentator über Kult-Kicker: Frank Buschmann über Thomas Müller .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 K A PI T E L 16

Vom „Drama dahoam“ nach Wembley: Champions-League-Sieger 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 K A P I T E L 17

„Held, was er verspricht“: 25 frei erfundene Thomas-Müller-Schlagzeilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 K A P I T E L 18

Der Raumdeuter: Taktik-Experte René Mari´c über Thomas Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 K A PI T E L 19

Die Helene Fischer des Fußballs: Werbestar Müller

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K APITEL 20

Der Mann mit der großen Nase: Superstar in China und anderswo K APITEL 21

Der Fan: Stefen Niemeyer über „Feiermonster“ Müller

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165

K APITEL 22

Auf dem Rücken der Pferde: Müller und die Hengstvideos .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 K APITEL 23

(K)eine große Liebe: Thomas Müller und Pep Guardiola

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K A PIT EL 24

Der Start unter Carlo Ancelotti: Ächz, außen! K APITEL 25

Dürfte sogar CSU-Mitglied sein: MdB Lars Klingbeil über Thomas Müller K APITEL 26

Müller morgen: Ein Mann fürs Fernsehen? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 K APITEL 27

Zahlen bitte: Die Müller-Statistiken

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Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Der Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221


K APITEL 1

Alle lieben Müller: Ein Mann wie „Bambi“

Alle lieben Thomas Müller. Um es auf den Punkt zu bringen: Wer Thomas Müller nicht leiden kann, der hat kein Herz, sondern sich wahrscheinlich auch damals im Kino gewünscht, dass „Bambi“ vom Traktor zerhäckselt wird. So unfassbar beliebt wie heutzutage Thomas Müller in Deutschland war früher nur Inge Meysel, die langjährige „Mutter der Nation“ – aber auch nur, wenn sie im Fernsehen die Lottozahlen vom kommenden Samstag vorgelesen und dabei einen Schäferhund gestreichelt hätte. Als ganz Deutschland im Herbst 2016 nach einem neuen Bundespräsidenten fahndete, brachte die „Tagesschau“ auf ihrer Internetseite diese Meldung: „Bundespräsident: Auf der Suche nach dem Konsens-Kandidaten.“ Daneben prangte ein Foto von Thomas Müller. Gut, das war ein Versehen, aber vorstellen hätte man sich das schon können – wenn da nicht die fatale Geschichte mit der Altersgrenze gewesen wäre. Der Bundespräsident muss bekanntlich mindestens 40 Jahre alt sein, während Thomas Müller ja erst 27 ist. Bundespräsident kann er also frühestens im Jahr 2032 werden, dann aber ganz bestimmt. Thomas Müller ist laut einer aktuellen Umfrage bei Deutschlands Kindern und Jugendlichen der zweitbeliebteste Promi nach Justin Bieber – wobei man sagen muss, dass Müllers traditionelles „Humba Täterä“ vor der Südkurve 7


der Allianz Arena den Ohren deutlich mehr Freude macht als jeder Hit vom jungen Herrn Bieber. Ähnlich populär wie Thomas Müller sind bei den Kids eigentlich nur die YouTubeBeauty-Bloggerinnen Bibi Heinicke und Dagi Bee. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie unfassbar beliebt der Müller sein könnte, wenn er auch noch einen Schminkblog auf YouTube eröffnen würde. Heute stellen sich selbst Fans von Werder & Co. brav und geduldig an, um ein Selfie mit Thomas Müller, Manuel Neuer oder Philipp Lahm machen zu dürfen. Selbst der immer kritische Matthias Sammer vergaß am Ende seiner Amtszeit als Sportvorstand beim FC Bayern das gewohnte Nörgeln und lobte Müller, das nimmermüde Duracell-Häschen aus Pähl, über den grünen Klee. „Thomas verkörpert alles, was den FC Bayern auszeichnet: Selbstbewusstsein, Lockerheit, Bescheidenheit, Demut. Und er ist absolut leistungsfähig, er ist eine absolute Identifikationsfigur, ein absolutes Juwel und nicht zu ersetzen“, sagte Sammer. Und das war absolut richtig. Deutschlands reifere Frauen kürten Müller vor der Europameisterschaft 2016 in Frankreich zu ihrem Lieblingsnationalspieler. Achtzehn Prozent der Leserinnen des Fachmagazins Frau im Spiegel wählten Thomas zu ihrer Nummer eins, der damit Vorjahressieger Manuel Neuer ablöste, der nur noch auf sechzehn Prozent kam. Sogar die Entwickler des Fußball-Videospiels „FIFA 17“ ließen sich vom unwiderstehlichen Müller-Charme einlullen und bewerteten Pähls besten Fußballer aller Zeiten deutlich besser, als es seinen reellen Leistungsdaten entsprochen hätte. „Müller ist in nichts besonders gut. Er ist kein großer Dribbler und schießt auch nicht besonders gut – sein Abschluss geht manchmal sehr, sehr daneben. Auch seine Schussstärke ist nicht gerade berühmt“, verriet der Kölner Spieleproduzent Michael Müller-Möhring, der in Deutschland für die 8


Spielerbewertungen in „FIFA 17“ zuständig ist, dem Sportsender ESPN. Macht aber nichts – dann muss man eben ein bisschen tricksen. Und so wurde aus Einzelwertungen von durchschnittlich 72 Punkten am Ende doch noch eine stolze Gesamtpunktzahl von 87, die alle Gesetze der Mathematik aushebelte – und die Müller unter den besten zehn Spielern der Bundesliga immerhin noch auf Platz neun hievte. Kein anderer Fußballer genoss in der neuesten „FIFA“-Ausgabe so eine Sonderbehandlung. Bei korrekter Beurteilung von Thomas Müllers Leistungswerten, so Experte Müller-Möhring, würde „am Ende eine Bewertung herauskommen, die in unseren Augen keinen Sinn ergibt“. Wir lernen daraus: Der Fußballer Thomas Müller entzieht sich jeder rationalen Bewertung. Wenn dieser ganz besondere Müller-Faktor dazukommt, dann drückt nicht nur Electronic Arts zwei Augen zu, einer der weltgrößten Spielehersteller, der hinter „FIFA 17“ steht. Wenn heutzutage eine Firma von sich reden machen will – dann veröffentlicht sie am besten eine Umfrage, in der Thomas Müller vorkommt. Denn dann ist der Erfolg garantiert. Die Website der Bild etwa fragte im Vorfeld der EM 2016, mit welchem Nationalspieler sich die deutschen Fans am liebsten das Zimmer teilen würden. Sieger wurde natürlich Thomas Müller, mit 13,2 Prozent der Stimmen (16,9 Prozent bei den Männern, 8,1 Prozent bei den Frauen). Der Playboy erkundigte sich vor der Europameisterschaft, mit wem seine Leser am liebsten ein Bierchen heben würden (vom aktuellen „Playmate des Monats“ mal abgesehen). Auch hier der Sieger, mit beinahe einem Viertel der abgegebenen Stimmen: Thomas Müller. Keine Abstimmung ist zu doof, als dass sie nicht mit dem Namen Müller für jede Menge Aufsehen sorgen würde. Ein Ferienhausportal wollte wissen, welchen Fußballer die Deutschen am liebsten mit in den Urlaub nehmen würden. 9


K APITEL 6

Humor à la Müller: Der Karl Valentin des Fußballs

So ganz genau weiß man es nicht. Ist Thomas Müller nun der beste Komiker unter den deutschen Fußballern? Oder ist er der beste Fußballer unter den deutschen Komikern? Die Grenzen verlaufen fließend, doch eines ist klar: Der schrullige Müller aus Pähl, der Lümmel von der rechten Außenbahn, ist nicht nur beim Toreschießen Weltklasse, sondern auch in Sachen Lustigsein. Das fängt schon bei seinem Gestell an (Bayerisch für „Körperbau“), über das zu Beginn seiner Profikarriere irgendwo gestanden hat: „Wenn Thomas Müller auch noch Muskeln dazubekommt, wird er ein ganz Großer.“ Erkenntnis, gut sieben Jahre später: Thomas Müller hat keine Muskeln dazubekommen und wurde ein ganz Großer. Die Freunde des Müller’schen Humors sind zahlreich. „Allein schon, wenn ich Thomas Müller vor mir sehe, muss ich schmunzeln“, schmunzelt Bastian Schweinsteiger, der alte Spezi. Mats Hummels, der die Müller-Sprüche jetzt endlich auch im Verein genießen darf und nicht mehr nur bei der Nationalmannschaft, hat im US-Fernsehen verraten: „Thomas Müller ist ein very funny guy. In Germany, we call it ‚Pausenclown‘.“ Jens Lehmann, der von manchen auch als etwas wunderlich empfundene Fußballexperte von RTL, sagt nicht immer das Richtige, trifft in Sachen Thomas Müller aber den Nagel auf den Kopf: „Er macht so lustige Tore.“ Und Sky-Kollege Christoph Metzelder kann nur den Hut ziehen: 48


„Heute muss bei einem Fußballspieler jeder Spruch sitzen. Das schafft eigentlich nur noch Thomas Müller.“ Wer auf der Suche nach einem Weltklassefußballer ist, der auch noch weltklasselustig ist, kommt an Thomas Müller einfach nicht vorbei. Überragend gut wie Sprintkönig Usain Bolt, überragend komisch wie die bayerische Kabarettlegende Gerhard Polt – man sollte den Müller Thomas in Usain Polt umtaufen. Die Humor-Höchstleistungen made in Pähl lassen sich schon längst nicht mehr zählen. Man denke an sein Hermann-Gerland-Interview als Reporter des „Hessischen Ruhrpott-Kuriers“ („Dann holen wir den Pott, im Pott“), das Hape Kerkeling als Horst Schlämmer vom „Grevenbroicher Tagblatt“ nicht besser hinbekommen hätte. Oder an seine hinreißend lispelnde Gerland-Parodie: „Jofef, irgendwann kommt der Fenfenmann.“ Oder an seinen bayerischen Ausbruch nach dem WM-Titel 2014: „Weltmeister samma. Den Pott hamma.“ Oder oder oder. Für den hauseigenen Internet-Fernsehsender FC Bayern.tv ist Thomas Müller als Gute-­ Laune-Garant längst so wichtig wie Stefan Raab selig in früheren Jahren für ProSieben. TV Müller total. Deutscher Fußballer des Jahres war Thomas Müller ja bekanntlich noch nie, aber zumindest zu einer Nominierung für den Fußballspruch des Jahres 2016 hat er es mittlerweile gebracht, und zwar mit einer philosophischen Betrachtung eines 5:0 gegen den HSV, bei dem er selber auf dem Rasen gestanden ist: „Es macht Spaß, uns zuzuschauen, auch wenn ich selbst nicht zugeschaut habe.“ Gewonnen hat er nicht, gewonnen hat der austro-kölsche Fußballlehrer Peter Stöger mit diesem schon jetzt legendären Diss: „Ich habe dem Linienrichter meine Brille angeboten. Aber auch das hat er nicht gesehen.“ Großartig! Die humoristische Karriere von Thomas Müller sollte diese Niederlage aber mühelos überstehen. 49


K A P I T E L 13

Lost in France: Die Null-Tore-EM 2016

„Es gibt nur ein’ Thomas Müller“ – das singen sie gerne in deutschen Fußballstadien. Es stimmt bloß nicht. Denn es gibt mindestens zwei Thomas Müller. Zuerst einmal gibt es den Thomas Müller, in den ganz Deutschland seit ein paar Jahren verknallt ist, den Bayern-Müller, den Gaudi-Müller, den Jubel-Müller, den Weltmeisterschafts-Müller. Letzterer hat es sich zur schönen Angewohnheit gemacht, bei jeder WM fünf Tore zu schießen und damit dem Land alle vier Jahre einen rauschenden Fußballsommer zu bescheren. Bei Weltmeisterschaften ist Deutschland immer noch ein bisschen mehr verliebt in diesen Prachtkerl als sonst schon. In diesen herrlichen Sommern sind alle so narrisch auf Müller – wenn Thomas eine Ukrainerin wäre, und ein bisserl jünger, würde ihn ein diesbezüglicher Experte wie Lothar Matthäus vor lauter Liebe und Zuneigung vom Fleck weg heiraten. Und dann gibt es den zweiten Müller, den rätselhaften Europameisterschafts-Müller. Das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Weltmeisterschafts-Müller und dem Europameisterschafts-Müller ist noch nicht restlos geklärt. Auf den ersten Blick haben die beiden wenig gemeinsam, doch genetisch lassen sich keine Unterschiede feststellen. Den EMMüller würde Lothar Matthäus nicht einmal ehelichen, wenn er eine bildschöne neunzehnjährige Bulgarin wäre. 101


Um die Krux auf den Punkt zu bringen: Es gibt den ZehnTore-WM-Müller, und es gibt den Null-Tore-EM-Müller. Die Bilanz nach der EM 2012 in Polen und der Ukraine sowie nach der EM 2016 in Frankreich: Bei „Kontinentalturnieren“, wie man so schön schreibt, wenn man nicht zum neunten Mal hintereinander „EM“ schreiben will, hat Thomas Müller vom FC Bayern München bisher genauso viele Tore geschossen wie sein Bruder Simon Müller vom TSV Pähl, nämlich gar keins. Null, nada, niente. Was bei Müller, also beim Thomas, bisher gottlob aber nicht zu Humorverlust geführt hat. Seine Bilanz nach der EM, bei der er längst nicht so schlecht gespielt hatte, wie es die müllerfreie Torjägerliste auszusagen scheint: „100 Prozent Torquote! In keinem Spiel getroffen.“ Läuft bei dir? Nee, läuft nicht. Thomas Müller 2016 in Frankreich, das erinnerte an die bekannte walisische Reibeisenstimmensängerin Bonnie Tyler: „Lost in France“. Bei der jungen Bonnie war 1976 die Liebe schuld. Irgend so ein Franzosenkerl brachte sie in Kombination mit viel zu viel Rotwein restlos um den Verstand: „And I looked round for a telephone / to say ‚baby I won’t be home‘ / I was lost in France in love / Ooh la la la / Ooh la la la dance / Ooh la la la dancing.“ Müller tanzte nicht, genau 40 Jahre später, war aber ebenfalls verloren in Frankreich. Ursachen gab’s gleich mehrere. Die beiden wichtigsten: Saison zu lang, Position zu falsch. Thomas Müllers Chef, der Bayern-Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge, sprach nach dem Halbfinal-Aus von Weltmeister Deutschland in der Münchner tz Klartext in Sachen Müller: „Er war einfach kaputt nach einer für ihn strapaziösen Saison. Ich habe das 1984 bei der EM ganz ähnlich erlebt. Irgendwann sind Körper und Geist müde.“ Der Fußball-Experte Dietrich Schulze-Marmeling rechnete im Blog des Verlags Die Werkstatt, der auch dieses Buch herausgibt, vor: 102


„Thomas Müller hatte in dieser Spielzeit einschließlich des EM-Halbfinales 63 Einsätze absolviert, was man ihm anmerkte. Es mangelte an mentaler Frische. Als Spieler von Bayern München, das in der Champions League in der Regel das Halbfinale erreicht, und Teilnehmer der WMs 2010 und 2014 sowie der EM 2012 absolviert Müller ein solches Pensum bereits seit Jahren. In den sieben Spielzeiten 2009/10 bis 2015/16 kam Müller auf 429 Pflichtspiele, macht 61,28 pro Saison. Nicht mitgezählt: die Touren nach Asien und in die USA, um deren Märkte zu erobern.“ Thomas spürte sie selbst auch, diese Müller-Müdigkeit. Er kritisierte die auf 24 Mannschaften aufgeblähte Europameisterschaft am Ende einer langen, strapaziösen Saison: „Da stellt sich die Frage, ob das der richtige Weg ist. Es geht weniger um das Spiel als um das Geschäft. Belastungsmäßig wird der ganze Fußballzirkus immer mehr, mehr, mehr. Das ist eine bedenkliche Entwicklung.“ Und noch eine Frage, die sich in Frankreich stellte: Spielte Thomas Müller auf der richtigen Position? Beim FC Bayern unter Pep Guardiola durfte Müller überwiegend zentral ran, als Stürmer oder als hängende Spitze, wo er seine Stärken am besten einbringen kann. So spielte er vor der EM die vielleicht beste Saison seiner Karriere, mit zwanzig Toren in der Bundesliga, acht Toren in der Champions League und vier Toren im Pokal. Völlig zu Recht wählten ihn die Bayernfans zum „Spieler der Saison“, nachdem Arjen Robben diesen Titel zuvor zweimal mit links abgeräumt hatte. Als erste Mannschaft der deutschen Fußballgeschichte wurden die Bayern 2015/16 zum vierten Mal in Folge Meister; auch und vor allem dank eines überragenden Thomas Müller. Beim FC Bayern hat Müller im Jahr vor der EM so viel getroffen wie nie. Bei der Europameisterschaft hat er dann 103


K A P I T E L 15

Kult-Kommentator über Kult-Kicker: Frank Buschmann über Thomas Müller

Und immer wieder die gleiche Frage: „Wie isser denn in echt so, der Müller?“ Wirklich genau wissen das natürlich nur die Menschen, die täglich mit ihm zu tun haben. Aber Frank Buschmann („Schlag den Raab“, „Ninja Warrior Germany“, „ran NFL“, ab 2017 bei Sky) ist dem Phänomen Thomas Müller zumindest ein klein wenig nähergekommen – unter anderem auf Buschmanns YouTube-Kanal „Buschi.TV“ bei einem ausführlichen Gespräch, das es unter „bit.ly/buschi-mueller“ zu sehen gibt. Wie war’s denn so? Und was hält der Kult-Kommentator generell vom Kult-Kicker? Hallo Buschi, ihr habt euch auf einer Veranstaltung des Grillherstellers Weber getroffen, für den Thomas Müller Werbung macht. Das klingt jetzt nicht gerade nach einer idealen Umgebung für ein entspanntes Gespräch. Buschmann: Ist aber gut gelaufen. Das Interview hat geschmeckt, das Gegrillte hat geschmeckt, und wir haben beim Reden ja auch ordentlich geschmatzt, wie man sehen und hören kann. Es war sehr spannend mit ihm.

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Was für ein Typ ist da neben Ihnen gesessen? Buschmann: Ich bin ja bei so was immer ein bisschen skeptisch, muss ich zugeben. Wenn du vorher hörst, das ist der bodenständig gebliebene Superstar, das ist der Gaudibursch aus Pähl, der noch so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist – dann bin ich eher in Habachtstellung und denke mir, erst mal abwarten, ob er wirklich so ist oder doch eher eine Kunstfigur. Das erlebt man ja oft genug im Spitzensport, diese Rolle ist dann vielleicht gut gespielt – aber es ist eben nicht echt. Deshalb habe ich am Anfang erst mal abgewartet, wie sich das bei ihm darstellt. Und? Kunstfigur – oder echt? Buschmann: Er hat das Eis dann relativ schnell gebrochen. Wenn du mit Thomas Müller redest, dann merkst du: Der spielt keine Rolle, der ist echt. Was ich allerdings sagen muss: Im Vergleich zu anderen Gesprächspartnern, die ich interviewt habe, spürt man bei ihm mehr, dass er seine Antennen ganz weit ausfährt, dass er genau auslotet: Was passiert hier, in welche Richtung geht das, will mich dieser Buschmann eventuell aufs Glatteis führen? Er ist sehr, sehr aufmerksam, er hört noch viel besser zu als die meisten anderen Sportler. Da merkt man dann, dass Müller bei aller Gaudi mittlerweile ein Medienprofi ist, der schon weiß, wo er vorsichtig sein muss und wo Fallen lauern. Aber nach ein paar Minuten hat man als Zuschauer das Gefühl: Ihr habt völlig vergessen, dass da Kameras sind. Buschmann: Genau, und so sollen meine Gespräche ja auch laufen, so wünsche ich mir das. Ich habe dann auf meine 122


etwas flapsige Art mit ihm geredet, er hat seine Sprüche gebracht, und wir haben uns mit vollem Mund gegenseitig vollgequatscht. Das war sehr entspannt, sehr angenehm. Und ich glaube, es hat ihm Spaß gemacht, dass wir eher mal über Basketball geredet haben als zum hundertsten Mal über seine Rolle beim FC Bayern und über den 21. oder was weiß ich wievielten Titel, den man da holen kann. Thomas Müller ist ja allgegenwärtig, als Fußballer, aber auch als Werbefigur, für Grills, für Nudeln, für Autos, für Rasierer. Man kann kaum den Fernseher einschalten, ohne Müller zu sehen. Und trotzdem hat man das Gefühl: Er nervt nicht. Wie kriegt er das hin? Buschmann: Das ist für mich das absolut Phänomenale an dem Kerl. Es gibt ja auch andere Leute, die mir wirklich sympathisch sind, aber die mir dann doch irgendwann auf den Sack gehen. Da frage ich mich dann: Geht’s noch, fährt dieser Trainer jetzt schon wieder eine andere Automarke? Aber Thomas schafft es, dass es nicht zu viel wird. Ich habe mich noch nie dabei ertappt, dass ich vor dem Fernseher sitze und mir denke: Och nööö, nicht schon wieder der Müller, nicht schon wieder dieses Grinsen. Bei ihm passt das einfach, der ist keine Marketing-Maschine. Das spricht dafür, dass er sehr gut beraten wird. Buschmann: Einerseits das. Aber wenn du das nicht lebst, wenn du nicht glaubwürdig bist, dann kann dir das andererseits auch kein Management aufdrücken. Das funktioniert nicht, irgendwann fliegt es auf. Thomas hat mir ja verraten, dass er bei solchen Geschichten immer das letzte Wort hat, dass schlussendlich er entscheidet, was er machen will, was 123


K A PI T EL 24

Der Start unter Carlo Ancelotti: Ächz, außen!

Bei der Fußball-EM 2016 in Frankreich verwandelte sich Thomas Müller in einen Pechvogel von geradezu historischen Ausmaßen. Beim 1:0 im letzten Gruppenspiel gegen die Nordiren traf er in der ersten Halbzeit erst den Pfosten, dann die Latte. Die Statistiker von Opta, die in der Lage sind, jedes Fußballspiel in eine Exceltabelle umzuwandeln, haben danach herausgefunden: Zweimal Alu in einer einzigen EMPartie – das gab es seit der Europameisterschaft 1980 in Italien nicht mehr, und das hat überhaupt noch nie ein deutscher Fußballer geschafft. Nicht einmal, als das Alu noch aus Holz war. Woran man einmal mehr sieht: Der Müller Thomas bringt Sachen hin, zu denen kein anderer Fußballer jemals imstande ist. Wenn ihm gegen die Nordiren nicht zweimal nur ein paar Millimeter gefehlt hätten, hätte garantiert kein Mensch nach der Europameisterschaft vom „Krisen-Müller“ gesprochen, vom WM-Helden, der sich in einen EM-Loser verwandelt hatte. Aber weil zweimal dieses verdammte Alu im Weg war, begleitete die leidige „Torlos“-Diskussion den Weltmeister auch in die neue Saison unter dem frischgebackenen Bayerntrainer Carlo Ancelotti. Und auf den freuten sich in München alle. Der NudelLiebhaber aus der Emilia-Romagna – das klang nach der Gemütlichkeit, nach der sich beim FC Bayern und unter den 191


Bayern-Fans nach drei Jahren unter dem Asketen Pep, dem katalanischen Schaffenswüterich, alle sehnten. Sogar Giovanni Trapattoni, der große alte „Mister“ aus Italien, machte den Bayern vorab Lust auf Carletto. Er versprach im Sport1Interview: „Ancelotti ist einer wie Trapattoni. Ihr werdet ihn lieben!“ Da fragten sich viele Fans: Wird auch Ancelotti irgendwann eine legendäre Wutrede halten? Für einen Ausbruch à la „Strunz! Was erlauben Strunz?“ ist der moderne FC Bayern allerdings viel zu gut. Vielmehr wäre von Carlo also eine fulminante Gutrede zu erwarten. Die könnte dann ungefähr so klingen: „In diese Spiel es waren elf Spieler, die waren stark wie eine Flasche voll!“ Und weiter: „Müller isse nie verletzt. Kann sich was erlauben, Müller.“ Ancelottis begeistertes Fazit: „Ich bin nie müde Vater diese Spieler.“ Und am Ende, triumphal: „Ich habe nix fertig. Habe gerade erst gefangen an.“ Man war sehr gespannt, was Carlo in München alles verändert. Klar war: Natürlich ist auch Ancelotti ein Stück weit Laptop-Trainer. Aber auf seinem Klapprechner läuft eher Windows XP anstelle von Peps Quantenphysik-Fußball. Quasi „Zurück aus der Zukunft“. Das Training wird wieder unkomplizierter, Philipp Lahm spielt wieder rechter Verteidiger und Manuel Neuer wird wieder zum ganz normalen Torwart. Auch Spieler mit einem IQ von unter 170 sollen die Taktik des FC Bayern wieder verstehen können. Angeblich will der sogar den Ball nicht mehr! Unter Pep selig hatte der FC Bayern ja selten unter 129 Prozent Ballbesitz. Das RetroMotto, frei nach Franz Beckenbauer, halt bloß auf Italienisch: „Uscire e giocare a calcio!“ – „Geht’s raus und spielt’s Fußball!“ Doch vor dem Amtsantritt von Münchens neuem Lieblingsitaliener stand für Thomas Müller erst einmal Urlaub an. Die Müllers auf den Seychellen, Sonnenöl-Fotos vom Traumstrand, wie sie die Kollegen Mario Götze und André Schürrle 192


auf Instagram mit der Welt teilten? Nix da! Thomas und Lisa blieben nach der EM daheim, bodenständig wie gewohnt. Die Pferde versorgen sich schließlich nicht von selbst. Und die Hunde „Micky“ und „Murmel“ haben mit Sonne, Palmen und Meer auch nicht viel am Hut. Facebook- und InstagramFotos lieferte Thomas schon auch – aber nicht vom Strand, sondern vom griabigen Wandern in Bayern mit Lisa und den Hunden. Die Sommer-Abwechslung im Hause Müller: Lisa verfrachtete drei ihrer Pferde auf die Anlage von DressurOlympiasiegerin Isabell Werth in Rheinberg bei Düsseldorf, wo sie, übrigens nicht zum ersten Mal, mit der erfolgreichsten Dressurreiterin der Welt trainierte. Und Thomas schaute im Fernsehen Olympia aus Rio: „Dressurreiten hat gestern angefangen, Golf fängt heute an – also, meine Sportarten kommen langsam ins Rollen.“ Der Fußball kam auch langsam wieder ins Rollen. „Der Urlaub ist vorbei. Schön war’s. Jetzt freue ich mich aber auf meine Kollegen des FC Bayern München und die neue Saison“, schrieb Thomas auf Facebook. Nun also: Adiós, Pep – Benvenuto, Carlo! Neuer Trainer, neues Glück? Zunächst nicht ganz, denn der Start in die Ära Ancelotti verlief zumindest für Thomas Müller erstaunlich holprig. Erstaunlich, weil: Unter Pep Guardiola, dem Trainer, der kreative Freigeister à la Müller eigentlich fürchtet wie ein Heavy-Metal-Fan den Musikantenstadl, kam Müller meist prächtig zurecht. Und ausgerechnet unter Ancelotti, der der Mannschaft mehr Freiheiten gewährt als sein Vorgänger, der Individualisten à la Franck Ribéry schätzt, der quasi beim FC Bayern das posttaktische Zeitalter ausgerufen hat, tat er sich schwer, traf an den ersten zehn Bundesligaspieltagen kein einziges Mal. Normalerweise müsste man es genau andersherum erwarten. Aber was ist schon normal bei Thomas Müller? Der Vergleich: 2015/16 unter Pep zehn Tore an den ersten zehn Spieltagen, ein Jahr 193


Thomas Müller ist Weltklasse – als Fußballer, als bayerischer Sympathieträger, als Schlitzohr und als gewitzter Interviewpartner.

MMÜLLER Deutschlands vielleicht beliebtester Kicker wird in diesem Buch ausführlich porträtiert. Mit Fakten und Geschichten, mit Glossen und Analysen, mit Interviews und Hintergrundberichten. In dieser etwas anderen Biografie kommen vor: Lisa Müller, Gerd Müller, Karl-Heinz Rummenigge, Marcel Reif, Karl Valentin, Frank Buschmann, viele andere … und natürlich jede Menge Thomas Müller.

ISBN 978-3-7307-0277-2 VERLAG DIE WERKSTATT


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