Im Land der tausend Derbys – Leseprobe

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VERLAG DIE WERKSTATT

Hartmut Hering (Hrsg.)

Im Land der tausend Derbys Die FuĂ&#x;ball-Geschichte des Ruhrgebiets


FuĂ&#x;ballregion

Rhein

Ruhr


Ruhrgebiet Lippe

Emscher


Inhalt

Willkommen im Land der tausend Derbys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Vorspiel Der Ball und die Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mannschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Spielfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wo ein ball ist, ist auch ein game Der Fußball „bürgert“ sich ein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Porträt: Duisburger Spielverein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalderby: Duisburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thema: Der Ruhrgebietsfußball im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kicken im Schatten der Fördertürme Die Arbeiter entdecken das Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Porträt: Spielvereinigung Erkenschwick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalderby: Nördliches Ruhrgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thema: Der Weg ist das Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortstermin: Sonntags im Revier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Durchbruch zum Massensport Die zwanziger Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Porträt: Essener TB Schwarz-Weiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Lokalderby: Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Thema: Arbeitersportvereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Legenden in Blau und Weiß Ausnahmeerscheinung FC Schalke 04 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortstermin: Schalker Meile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalderby: Gelsenkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thema: Große und Kleine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ein Volk, ein Ball, ein Führer? Fußball unterm Hakenkreuz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Porträt: VfL Altenbögge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Lokalderby: Hamm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Thema: Konfessioneller Fußball . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Die große Zeit des Westens Nachkriegszeit und Oberliga West . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Porträt: Rot-Weiss Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalderby: Hagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thema: Toto, Lotto, Oddset . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Mit den Zechen starben die Vereine Aufstieg und Niedergang der Bergarbeiterklubs . . . . . . . . . . . . . . . . . . Porträt: SV Sodingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalderby: Herne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thema: Fußball „Marke Ruhrgebiet“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kampf um den Platz an der Sonne Bundesliga und Regionalliga West in den sechziger Jahren . . . . . . 233 Porträt: MSV Duisburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Lokalderby: Oberhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Thema: Frauenfußball . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Im Tal der Tränen Die siebziger und achtziger Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Porträt: Wattenscheid 09 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalderby: VfB Bottrop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thema: Bewegung auf den Rängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Mit der „Wand“ im Rücken Der Höhenflug der Dortmunder Borussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Ortstermin: Südtribüne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Lokalderby: Dortmund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Thema: Derbys im Revier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Show-Spiel mit Bodenhaftung Der Ruhrgebietsfußball auf dem Weg ins neue Jahrtausend . . . . . 329 Porträt: VfL Bochum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Lokalderby: Bochum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Thema: Fußballstadien im Ruhrgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Ortstermin: Verschwundene Kultstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Verlängerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374

Anhang Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Literatur (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

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Willkommen im Land der tausend Derbys Wer vom deutschen Fußball spricht, kann vom Ruhrgebiet nicht schweigen. Seit bald 100 Jahren ist die Region an Ruhr und Emscher eine der größten Fußballlandschaften der Welt. Wohl nur in den Großräumen London und Buenos Aires ist die Zahl der Spieler und Zuschauer so groß, die Dichte der Vereine und Stadien so hoch wie hier. Auch die sportlichen Erfolge brauchen keinen Vergleich zu scheuen – national wie international. Es war ein Verein aus dem Ruhrgebiet, der als Erster das Double schaffte, also im gleichen Jahr die Deutsche Meisterschaft und den Pokal gewann; es war ein weiterer Revierklub, der den ersten europäischen Pokal und Jahrzehnte später auch den ersten Champions-LeagueTitel nach Deutschland holte; und es war ein Spieler aus dem Ruhrgebiet, der das goldene Tor zum Gewinn des ersten deutschen Weltmeistertitels markierte. Diese Region hat Fußballgeschichte geschrieben. Doch es sind nicht in erster Linie die zählbaren Fakten, die Fußballfreunde am Ruhrgebiet weit über seine Grenzen hinaus so faszinieren. Einzigartig macht diese Fußballregion vielmehr das, was man nicht sehen, sondern nur fühlen kann: Der noch immer lebendige, in der historischen Verflechtung von Vereinen, Industrie und Anhängern wurzelnde Mythos vom Arbeiterfußball und die unzähligen sportlichen Rivalitäten, die dieses komplexe Geflecht von Dörfern, Stadtteilen und Städten seit mehr als hundert Jahren durchziehen. Zusammen haben sie aus dieser von NichtEinheimischen ansonsten nur selten geschätzten Region den Traum jedes Fußballliebhabers gemacht: Das Land der tausend Derbys. Wir glauben darüber gut Bescheid zu wissen, denn Zeitungen, Hörfunk, Fernsehen und Internet versorgen uns pausenlos mit Informationen über die Erfolge der großen Vereine, mit Geschichten über die Wehwehchen der 8

Spitzenspieler und mit Reportagen über die scheinbar durch nichts zu zügelnde Fußballbegeisterung der Menschen im „Pott“. Doch leider erschöpft sich die Berichterstattung nur allzu oft darin, die Oberfläche des Spielbetriebes abzubilden – mit dem Ergebnis, dass im Fußball Legendenbildung, Hörensagen und Wunschdenken so verbreitet sind wie in kaum einem anderen gesellschaftlichen Bereich. Das gilt erst recht für das Ruhrgebiet, wo sich lieb gewonnene Klischees als besonders zählebig erweisen. Etwa die Mär, Fußball sei ursprünglich ein Proletariersport; sie unterschlägt fast 30 Jahre sportlicher Entwicklung, denn selbst im Revier griffen die Vereine aus der Arbeiterschaft erst in den 1920er Jahren ernsthaft ins Spielgeschehen ein. Oder die von vielen Anhängern der regionalen Spitzenklubs liebevoll gepflegte Legende einer „ewigen“ Rivalität zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund, die das sogenannte „Revierderby“ seit jeher zu einem besonderen Kampf gemacht habe; sie verabsolutiert die heutige Wahrnehmung dieser Auseinandersetzung ebenso einseitig, wie sie die wechselvolle Geschichte beider Vereine und den immensen Einfluss von Medien und Marketing auf die Erfindung dieser vorgeblichen „Mutter aller Derbys“ ignoriert. Hinter dem Schleier aus Mythenbildung und Scheininformation ist unser Bild des Revierfußballs merkwürdig blass, unscharf und unvollständig. Dadurch bleibt verborgen, welch enormen Beitrag das Ruhrgebiet tatsächlich für die Entwicklung des Fußballsports geleistet hat – vor allem aber, wie stark der Fußball das Denken und Fühlen seiner Bewohner geprägt und verändert hat. Veröffentlichungen, die darüber näheren Aufschluss geben, sind überraschend selten. Bei seinem ersten Erscheinen im Jahr 2002 war „Im Land

der tausend Derbys“ die erste Gesamtdarstellung der Fußballgeschichte des Ruhrgebiets, die das Wechselspiel der gesellschaftlichen und sportlichen Entwicklung ebenso beleuchtete wie die wichtigsten Ereignisse und Vereine. Zwar wuchs die Zahl der Veröffentlichungen zum Revierfußball seither stark an, doch sind die meisten Vereinsgeschichten und Jubiläumsfestschriften, Spielerbiographien und Fanbücher nach wie vor vom Tagesgeschäft geprägt, beschränken sich auf den Spitzenfußball seit dem Zweiten Weltkrieg und machen zudem an den Stadt- und Vereinsgrenzen halt. Nur wenige Titel fragen tiefer nach, würdigen die historische Vielfalt der „Fußballlandschaft Ruhrgebiet“ und richten ihren Blick auf die Region als Ganzes. Zudem gehen sie bislang kaum der Frage nach, inwieweit die Verwandlung des Spitzenfußballs in einen Teil der Showbranche den Profifußball des Reviers endgültig von seinen historischen Wurzeln abgekoppelt und die gewachsene Fußballregion Ruhrgebiet grundlegend verändert hat. Die aktuelle Medienberichterstattung wie auch die seit der Jahrtausendwende anwachsende wissenschaftliche Fußballliteratur liefern ständig neue Belege für den immensen Druck, den die Explosion der Einnahmen aus Medienrechten, Sponsoring und Merchandising in Richtung einer Anpassung des Spielbetriebes an die Bedürfnisse der Fernsehanstalten und Sponsoren ausübt – von der Organisationsform der Vereine (Trend zu Kapitalgesellschaften) bis zur fernsehkompatiblen Zurichtung der Spieltage (Ausweitung der Anstoßtage und -zeiten). Mit der Folge, dass die laufend perfektionierte Verwertung des Spitzenfußballs zunehmend in Widerspruch gerät zum Wunsch echter Fußballfreunde nach unmittelbarem und zweckfreiem Erleben des Spiels, nach sozialer Gemeinschaft und emotionalem Zusammenhalt.


Offensiver Umgang mit dem eigenen Image: Schalke-Fans beim Heimspiel gegen den FC Bayern im April 2016.

Traditionsbewusste Vereinsanhän- schwärmen von den großen Zeiten des ger, darunter viele junge Fans, sehen „Schalker Kreisels“ oder der Oberliga die historische „Geschäftsgrundlage“ West. So schön derartige Fußball-Nosdes Revierfußballs in Gefahr und re- talgie sein mag – auch jene Zeiten waagieren auf die Zumutungen des Kom- ren nur scheinbar „unschuldig“, setzte merzfußballs immer öfter mit gut doch die Kommerzialisierung und organisiertem und fantasievollem Pro- Professionalisierung des Revierfußtest; nur bei einigen wenigen äußert balls mit allen daraus resultierenden sich die Enttäuschung über die wach- Widersprüchen schon in den 1920er sende Entfremdung zwischen Star- Jahren ein. kultsystem und Fanbedürfnissen in Die wenigen Beispiele zeigen: Der ohnmächtiger Gewalt. Vertreter der (Fußball-)Pott brodelt wie schon lange im Revier noch in einmaliger Dichte nicht mehr. Themen und Gründe gevorhandenen Amateurvereine verfol- nug also für eine aktualisierte Neuaufgen derweil resigniert, wie die fakti- lage, die den Revierfußball von seinen sche Monopolstellung der „Großen“ Anfängen im späten 19. Jahrhundert die Existenzgrundlagen der „Kleinen“ bis in die Gegenwart behandelt und zunehmend untergräbt. Und nicht die angesprochenen Fragen nicht auswenige Fußballfreunde trauern ange- klammert. sichts ernüchternder Erfahrungen mit Im Mittelpunkt des Buches steht der kommerzialisierten Gegenwart der Ligafußball innerhalb des Deutschen Fußball-Bundes. Da die Spanndem vermeintlichen Gegenbild des „echten“ Arbeiterfußballs nach und breite des Fußballgeschehens im

Ruhrgebiet jedoch stets weit über die Grenzen dieses Verbandes hinausging, erinnert es auch an weitere, heute vielfach vergessene Vereine, Ligen und Verbände – den Werksport und die sozialistische Arbeitersportbewegung, die christlich-konfessionellen Vereine und die jüdische Fußballbewegung, die Ausländerklubs und den Thekenund Freizeitfußball; und last, not least den Frauenfußball, der seit einigen Jahrzehnten in der traditionellen Männergesellschaft des Ruhrgebiets immer größeren Zulauf findet. Überall dort spürt das Buch jener Fußballbegeisterung nach, die von Beginn an den Nährboden für den Spitzenfußball des Reviers bildete und bis heute ein wichtiges Lebenselixier dieser gebeutelten Region darstellt. Es versucht dabei auch hinter die Kulissen des Fußballzirkus zu blicken und jenseits der Legenden, Anekdo-

Willkommen im Land der tausend Derbys

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einzelnen Stadt des Reviers sein beten und sattsam bekannten Skandale die sozialen, wirtschaftlichen und in- sonderes Gepräge. Die Rubrik „Lodividuellen Beweggründe zu beleuch- kalderby“ versucht diesen Beitrag der ten, die den Ball ins Rollen brachten kleineren, heute überwiegend vergesund bis heute in Bewegung halten. senen Vereine zur Entwicklung des Dabei macht es sich nicht zuletzt auf Fußballs im Revier zu würdigen, indie Suche nach den zahllosen lokalen dem sie einzelne Städte als individuund regionalen Identifikationen, um elle Fußballlandschaften mit der ihnen eigenen Dynamik, ihren historischen die Triebkräfte jenes Phänomens zu entschlüsseln, das charakteristisch für Besonderheiten und Derbys erfahrbar den Revierfußball ist und daher na- macht. mengebend für das vorliegende Buch Viele Aspekte des Revierfußballs wurde: das Derby. entziehen sich einer orts- oder verWas begeistert uns? Ein Heimatver- einsbezogenen Betrachtung und lasein, zu dem wir eine persönliche Be- sen sich auch nicht auf bestimmte ziehung haben? Ein talentierter Spieler, Zeiträume eingrenzen. Was mancher ein besonderes Spiel, ein Spitzenverein schon immer über den Revierfußball auf der Höhe seiner Spielkunst? Vieles wissen wollte, aber nie zu fragen wagte, davon hat in diesem Buch seinen Platz, behandeln die „Thema“-Beiträge und wobei Vollständigkeit von vornherein scheuen dabei nicht vor der Frage zurück: Gibt es ihn überhaupt, den Renicht das Ziel sein konnte. Was also können der Leser und die vierfußball? Leserin erwarten? Nebst einer EinfühEin Buch zum Ruhrgebietsfußrung und einem Ausblick finden sich ball wäre unvollständig ohne die Erelf chronologisch angeordnete Kapi- innerung an die vielen Persönlichkeitel, von denen das zweite (Arbeiter- ten, die seine Entwicklung auf und vereine) und das siebte (Zechenver- neben dem Rasen geprägt und ihn zu eine) vor allem die Besonderheiten dem gemacht haben, was er heute ist. des regionalen Fußballs untersuchen. Kurzporträts erinnern an markante Dem FC Schalke 04 und Borussia Gestalten des Revierfußballs, die zuDortmund sind jeweils eigene Kapi- gleich stellvertretend stehen für betel gewidmet, weil diese Klubs Aus- stimmte Typen und Situationen, Vernahmeerscheinungen darstellen, die hältnisse und Entwicklungen rund um dem Fußball weit über die Region hi- das Spielfeld. Eine lexikalische – gar naus ihren Stempel aufgedrückt haben vom Anspruch auf Vollständigkeit geund heute mehr denn je seine Außen- leitete – Auflistung war hier nicht bewahrnehmung beherrschen. Weitere absichtigt und bleibt anderen PublikaVereinsporträts sind denjenigen Ver- tionen vorbehalten. einen gewidmet, die besondere BeWas versteht dieses Buch unter deutung für die Entwicklung des Re- „Ruhrgebiet“? Es zieht keine scharf vierfußballs hatten wie der Duisburger umrissene Grenze, sondern behandelt Spielverein, die Spielvereinigung Er- die ehemaligen und aktuellen Hochkenschwick, der SV Sodingen, der VfL burgen des regionalen Fußballs zwiBochum und der MSV Duisburg; oder schen Duisburg und Dortmund mit die gar nationale Titel gewinnen konn- einem Ausläufer in Richtung Hamm. ten wie die Essener Lokalrivalen Rot- Dass sich dieser Bereich weitgehend Weiss und Schwarz-Weiß. mit der Kernzone des ehemaligen Aber die Großen waren nicht im- montanindustriellen Reviers deckt, ist mer schon groß, sondern setzten sich keineswegs Zufall. Neben den wichoft erst gegen den zähen Widerstand tigsten Städten und Vereinen der Region wurden dabei auch jene Spiellokaler Konkurrenten durch, ehe sie zu Repräsentanten ihrer Städte wur- stätten nicht vergessen, die etwas im den. Diese ehemaligen Rivalen und Windschatten der öffentlichen Aufdie vielen in Vergessenheit geratenen merksamkeit stehen. Ein Buch ist nie das Werk eines oder unbekannt gebliebenen Vereine des Ruhrgebiets bildeten stets die Ba- Einzelnen, sondern immer ein Gesis für den Spitzensport und geben meinschaftsprodukt. Das gilt in diedarüber hinaus dem Fußball in jeder sem Fall in besonderem Maße. Es ist 10

die angenehme Pflicht des Herausgebers, all jenen zu danken, die zur Fertigstellung und hoffentlich zum Gelingen des Bandes beigetragen haben: dem Verlag, der die Idee zu dieser Veröffentlichung hatte und auch diese Neuauflage anregte; den Damen und Herren in den zahlreichen Archiven, Bibliotheken, Pressestellen, Redaktionen und Ämtern; den Verantwortlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter/ innen in den Fußballvereinen, die uns mit Rat, Tat und Informationen versorgt, Türen geöffnet und manches Unmögliche möglich gemacht haben; und natürlich den Autoren und Fotografen. Vor allem aber den vielen Privatpersonen – darunter zahlreiche ehemalige Aktive –, die in Erinnerungen und Schubladen gekramt, in Fotoalben und Chroniken geblättert und dem Herausgeber oder den Autoren manch wertvollen Hinweis gegeben sowie manch einmaliges Foto überlassen haben. Das Ruhrgebiet hat Fußballgeschichte geschrieben und schreibt sie weiterhin: Bereits dreimal räumten die regionalen Spitzenvereine im noch jungen Jahrtausend die nationalen Titel ab und boten damit den zunehmend hegemonial auftretenden Bayern aus München Paroli. Die Vergabe des Deutschen Fußballmuseums des DFB nach Dortmund war auch ein Tribut an die historische Bedeutung des Revierfußballs und zeigt ebenso wie der aktuelle wöchentliche Blick auf die Ränge der Revierstadien, dass die Namen der Vereine und der Spieler wechseln mögen, doch die regionale Begeisterung für diesen Sport seit jeher unverändert hoch ist und trotz aller Widersprüche und Probleme noch anwächst. Dieses Buch ist all jenen Balltretern und Fußball-Liebhabern gewidmet, die im Fußball stets etwas anderes suchten als Einfluss, Popularität und Geld. Ohne sie wäre der Fußball im Ruhrgebiet nicht zu dem geworden, was er lange Zeit war, manchmal heute noch ist und zumindest auf den kleinen Vorstadtplätzen und in den Hinterhöfen auch in Zukunft bleiben wird: der immerwährende Traum vom gemeinsamen Sieg über den Alltag. Hartmut Hering


Vorspiel Der Ball und die Region


Derby anno 1896 Lange vor der Gründung von Schalke 04 und BVB 09 fanden bereits erste Begegnungen zwischen Schalker und Dortmunder Mannschaften statt. Schon im Mai 1896 trafen in Schalke der damals etwa ein Jahr bestehende „Dortmunder Fußball-Club 1895“ und der kurz zuvor gegründete Verein „Spiel und Sport Schalke 1896“ zum offenbar ersten nachweisbaren Fußball-„Wettspiel“ auf westfälischem Boden aufeinander. Die Festschrift „25 Jahre DFB“ berichtet im Jahr 1925 verklärend, aber mit interessanten Details über dieses Ereignis: „Einige Spieler – welch ein unerhörter Luxus! – trugen gar schon Fußballstiefel! Im Anschluss an dieses für den westfälischen Fußballsport bemerkenswerte Ereignis wurde eine Aufnahme gemacht, welche die Primitivität, aber auch die bescheidenen Ansprüche recht augenfällig charakterisiert. Ein großer Teil der heutigen Sportler wünscht sicherlich zu wissen, wie unsere Vorgänger gekleidet waren. In einem Wort kann man das ausdrücken ‚grotesk’! Die ‚alten Schalker’ trugen als Sportkleidung ein weißes Hemd mit einer von der rechten Schulter zur linken Hüfte reichenden Schärpe. Unten herum sahen sie, mit Ausnahme derjenigen, die sich schon zu Fußballschuhen verstiegen hatten, recht ‚zivilistisch’ aus. Den Hut ließ man nicht gern vom Kopfe, und so ist es erklärlich, dass die zur Rede stehende Aufnahme einige Spieler mit den der damaligen Mode entsprechenden Hüten zeigte. Die Dortmunder waren schon weiter! Als besondere ‚Kanonen’ brachten sie einige Ausländer ins Feld, die ihnen bereits die Grundbegriffe des Fußballs beigebracht hatten. Selbstverständlich bezogen die Schalker Neulinge eine – wie man heute sagt – Riesenpackung!“ Ein halbes Jahr später fand am 29. November 1896 am Dortmunder Schützenhof das „Rückspiel“ statt. Die Dortmunder Lokalpresse berichtete am 6. Dezember 1896: „Das Spiel gestaltete sich, wie auch zu erwarten war, zu einem äußerst interessanten. Es begann um drei Uhr. Von beiden Seiten wurde recht wacker, trotz des schlechten, unebenen Bodens, gespielt, und gelang es den Dortmundern vor der Pause nur einmal, den Ball durch das Heiligtum der Schalker zu treten. Nach der Pause gelang es ihnen, trotz heftiger Gegenwehr der Schalker, noch viermal durch das feindliche Tor zu treten, so dass am Schlusse des Spiels der DFC dank seiner guten Leistungen als Sieger mit 5:1 aus dem friedlichen Kampfe hervorgehen konnte.“ Die dritte Begegnung beider Mannschaften fand am 16. Mai 1897 auf dem Jugendspielplatz der Gemeinde Schalke beim Haus Goor statt. Die lokale Presse berichtete: „Obgleich die Sonne unbarmherzig auf den der Gemeinde gehörenden Sportplatz herniederbrannte, war das Spiel dennoch ein scharfes. Die Schalker Gegner strengten alle ihre Kräfte an, um die im vorigen Herbst bei dem hier an der Hubertusburg ausgefochtenen Wettkampf erlittene Schlappe wieder wettzumachen, was ihnen aber, obwohl sie gegen das Vorjahr bedeutend besser in Form waren, nicht gelang. Die bisher unbesiegte Dortmunder Mannschaft (…) siegte mit 2:0.“

Die Mannschaften Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, mehr als 120 Jahre nach der Gründung der ersten Vereine, ist die „Fußballlandschaft Ruhrgebiet“ so vital und spannend wie eh und je. Gleichzeitig ist sie gespalten wie nie zuvor.

Blau-Weiß oder Schwarz-Gelb?

Wer denkt da nicht sofort an die Spitzenvereine Borussia Dortmund und Schalke 04, die eine fast sprichwörtliche Rivalität pflegen und deren Fans einander in treuer Feindschaft zugetan sind? Das Dauerderby dieser Traditionsmannschaften hat sich so tief in die Herzen der Anhänger und die Kalender der Medien eingebrannt, dass man unwillkürlich annimmt, es müsse den Ruhrgebietsfußball schon seit dessen Anfängen beherrscht haben. Doch sitzt man damit nur einer der vielen schönen Legenden auf, die im Revier seit jeher rund um den Ball gesponnen werden. Tatsächlich begann der „ewige“ sportliche Zweikampf beider Klubs erst rund 40 Jahre nach ihrer Gründung. Nachdem sie 1925 erstmals gegeneinander angetreten waren, spielten BVB und S04 ab 1927 neun Jahre lang in verschiedenen Ligen und trafen nur zu Freundschaftsspielen oder in regionalen Meisterschaftsrunden aufeinander. Seit 1936 maßen sie in der Gauliga regelmäßig ihre Kräfte, doch boten die Dortmunder damals nur selten mehr als solides Mittelmaß und blieben bis Kriegsende weit davon entfernt, ein ebenbürtiger Gegner oder gar ein ernst zu nehmender Konkurrent für das blauweiße Dream-Team jener Jahre zu sein. Erst kurz nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen die SchwarzGelben zur Spitze auf und schickten sich an, den Schalkern die Vorherrschaft in der Region streitig zu machen – der Beginn einer Rivalität auf Augenhöhe, die freilich erst seit den späten 1970er Jahren

von den Medien zur „wunderbaren Feindschaft“ stilisiert wurde. Auch die Schalker waren keineswegs die erste Spitzenmannschaft des Reviers. Als sie Ende der 1920er Jahre zum Durchmarsch in den Fußballhimmel ansetzten, hatte der Fußball an Ruhr und Emscher schon drei ereignisreiche Jahrzehnte hinter sich. In jener Frühzeit schrieben Vereine Fußballgeschichte, deren Namen heute zu Unrecht bis auf wenige Ausnahmen vergessen sind. Zwar will es der Zufall, dass zu diesen Pionieren auch schon Klubs aus Dortmund und Schalke gehörten, doch besteht zwischen ihnen und den späteren Publikumsmagneten Borussia und S04 keine direkte Verbindung. Ein Blick auf jene Vereine lohnt gleichwohl – und sei es nur, um den Beweis zu erbringen, dass die sportliche Konkurrenz ihrer Heimatstädte eben nicht von Anfang an die Massen bewegte. Im Zeitungsbericht vom 6. Dezember 1896 über eines der ersten Spiele zwischen SuS Schalke 96 und dem FC Dortmund 95 liest sich das so: „Es waren nicht viele Zuschauer erschienen, da das bisschen Kälte wohl die meisten abgehalten hatte, ihre wertvollen Nasen dem Winde auszusetzen und lieber hinter dem Ofen zu wärmen …“ Historisch ist es daher Unsinn, beim Stichwort „Spaltung des Revierfußballs“ zuvorderst an Schalke und Dortmund zu denken und ihre Rivalität zum Kampf zweier unversöhnlicher Welten zu stilisieren – auch wenn für die treuesten der blau-weißen und schwarz-gelben Fans „auf ’m Platz“ vor allem dann entscheidend ist, wenn „das“ Revierderby ansteht. Jenseits der reinen Farbenlehre nämlich haben die beiden Vereine trotz aller sportlichen und emotionalen Gräben mehr gemeinsam, als ihre Anhänger wahrhaben wollen. Beide entstammten


Die da oben, die da unten

Kuzorra schwarz-gelb Aus einem Interview mit Gerhard Busse, Sohn des früheren Borussia-DortmundPräsidenten August Busse: „Mein Vater war sportlich sehr ehrgeizig. Sein Motto lautete: Ohne Trainer geht es nicht. Aus dem Grunde hat er auch alles daran gesetzt, seinem BVB einen qualifizierten Trainer zu geben. 1935 war es dann so weit. Dabei halfen die guten Beziehungen zu den Schalkern, insbesondere zu Ernst Kuzorra und Fritz Szepan. Ernst Kuzorra empfahl meinem Vater seinen Schwager Fritz Thelen. Der war einverstanden, konnte aber erst in zwei, drei Monaten das Amt antreten. Er hatte noch anderweitige Verpflichtungen. Da mein Vater allerdings sofort einen Trainer haben wollte, hat, zunächst als Interimslösung, dadurch aber faktisch als erster BVB-Trainer in der Geschichte überhaupt, Ernst Kuzorra das Training unserer Schwarz-Gelben geleitet. Ich habe selbst als kleiner Junge mehrfach auf dem Borussia-Sportplatz gesehen, wie Kuzorra die BVB-Elf begeistern konnte. Nach Kuzorra folgte absprachegemäß Fritz Thelen, der nach dem Krieg bei Schalke Jugendtrainer wurde und u. a. Stan Libuda entdeckte.“

dem Arbeitermilieu, setzten sich gegen alle sportlichen und gesellschaftlichen Widerstände lokal und überregional durch und etablierten sich nach einer wechselvollen Vereinsgeschichte dank einer Mischung aus Zufall und Können im Kreis der nationalen Spitzenklubs. Als erste Reviervereine erkannten sie schon in den 1980er (Dortmund) bzw. 1990er (Schalke) Jahren, dass dauerhafter sportlicher Erfolg professionelles Management voraussetzt, und sicherten ihre wirtschaftliche Position durch den Ausbau der Stadien, die Rundumvermarktung ihrer Leistungen und der BVB sogar durch den Gang an die Börse ab. Auch die Personalpolitik beider Klubs folgt seit jeher dem strategischen Kalkül des größtmöglichen Erfolges. Ohne Rücksicht auf das Rivalitätsdenken der Fans kaufen die Vereinsführungen jene Spieler ein, von denen sie sich eine maximale Verstärkung der Mannschaft erhoffen – ungeachtet ihrer Herkunft oder früheren Vereinszugehörigkeit. Die meisten Spieler stammen deshalb längst nicht mehr aus der jeweiligen Stadt oder gar der eigenen Vereinsjugend; vor allem besteht zwischen beiden Vereinen seit langem ein lebhafter wechselseitiger Spielertransfer und Traineraustausch. Das belegen klangvolle Namen wie Abramczik, Anderbrügge, Assauer, Bittcher, Burdenski, Eppenhoff, Freund, Gündogan, Hajnal, Held, Kwiatkowski, Lehmann, Libuda, Metzelder, Rüssmann, Santana, Sobiray und Wegmann. Begonnen hatte dieser illustre Reigen übrigens schon 1935 mit einem gewissen Ernst Kuzorra. Die

Schalker Spielerlegende trainierte vorübergehend die 1. Mannschaft der Borussen, bis sein verhinderter Schwager Fritz Thelen den Posten antreten konnte – ein früher Fall nachbarschaftlicher Entwicklungshilfe. Wenn also im Jahr 2000 die spektakuläre Verpflichtung des langjährigen Dortmunder Spielmachers Andreas Möller durch Schalkes Manager Assauer noch einmal einen beispiellosen Aufruhr der Emotionen in der blau-weißen Nordkurve entfachte, ändert das nichts daran, dass die verbissene Konkurrenz der beiden regionalen Marktführer letztlich nicht mehr ist als ein emotional aufgeheizter sportlicher und wirtschaftlicher Wettstreit – eben das bekannteste und lukrativste der unzähligen Derbys, die seit jeher das Salz in der Suppe des Ruhrgebietsfußballs sind.

Die wirklichen Gräben verlaufen anderswo. Was das blau-weiß-schwarzgelbe Spitzenduo heute bei aller Unterschiedlichkeit vereint – regionaler Führungsanspruch, überbordendes Medieninteresse und schier unbegrenzte wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten –, trennt es vom Rest der Fußballwelt in der Region. Denn jenseits der Top-Vereine regieren unfreiwillige wirtschaftliche Beschränkung, sportliches Mittelmaß und der ständige Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit. Zwar könnten auch innerhalb der beachtlich großen Gruppe aktueller oder ehemaliger Profivereine aus Bochum, Duisburg, Oberhausen, Essen und Wattenscheid die Unterschiede kaum größer sein, umfasst sie doch Publikumslieblinge und Mauerblümchen, „unabsteigbare“ Wiederaufsteiger und endgültig nach unten Durchgereichte. Doch kann all das nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen ihnen und den Spitzenvereinen mittlerweile eine ungleich größere, Rot-Weiss Essen stellte eine weitere historische Spitzenmannschaft im Revier und feierte 1955 sogar die Deutsche Meisterschaft. V.l.: unbekannt, Köchling, Islacker, Termath, Jahnel, Gottschalk, Rahn, Grewer, Trainer Szepan, Wewers, Jänisch, Röhrig, Herkenrath, Ehrenvorsitzender Melches.

Die Mannschaften

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Zwei große Arbeitermannschaften des Reviers: Schalke 04 (links, mit Fritz Szepan und Ernst Kuzorra) und die Sportfreunde Katernberg.

unsichtbare Lücke klafft, die ständig schafft, das ist das Wichtigste, für den wächst. Eine nicht minder tiefe Kluft Verein, den Mythos und das Umfeld.“ trennt zudem die Profivereine von den Wovon redet der Mann, wird sich Amateurvereinen, die traditionell die mancher damals gefragt haben. BeBasis des gesamten Revierfußballs bil- kanntlich hatte RWE die Nerven seiden. Der Ruhrgebietsfußball ist heute ner treuen Anhänger schon seit Jahrzehnten bis aufs Äußerste strapaziert, eine Klassengesellschaft. Aber muss das so bleiben? Ist die pendelte der Verein doch seit Mitte Geschichte des Revierfußballs nicht der 1980er Jahre zwischen zweiter und hinreichender Beleg dafür, dass die vierter Liga und schaffte es allein in sportliche Leistungsfähigkeit eines Ver- dieser Zeit zweimal, die Lizenz zu vereins letztlich von seiner Wirtschafts- lieren. Natürlich war der Klassenerhalt kraft abhängt? Hatte nicht der frühere unter diesen Umständen für den VerBVB-Manager Meier – allen bis dahin ein und das heute immer wichtigere geglaubten Fußballweisheiten zum „Umfeld“, also die Fans, die Sponsoren Trotz – angesichts der Treffsicherheit und die Stadt, das Wichtigste. Aber für seines Millioneneinkaufes Amoroso welchen Mythos? Nur ausgemachte Fußballexperten erklärt, dass Geld doch Tore schieße? Reicht vielleicht nicht schon ein poten- oder eingefleischte Anhänger des Trater Sponsor aus, um einem vermeintli- ditionsklubs aus dem Essener Norden chen Underdog auf die Füße zu helfen wussten wohl auf Anhieb, worauf Kaya und es ihm zu ermöglichen, erneut im damals anspielte. Lange, allzu lange Konzert der Großen mitzuspielen und war es her, dass Rot-Weiss Essen zur zum Publikumsmagneten zu werden? Spitzengruppe jener überwiegend aus Oder braucht es – zumindest im Re- Arbeitern rekrutierten Reviervereine vier – dazu noch etwas anderes? zählte, die seit den 1920er Jahren westNehmen wir ein Beispiel aus der deutsche Fußballgeschichte mitschriejüngeren Geschichte. Am letzten Spiel- ben, und dass die Mannen von der tag der Fußballsaison 2000/01 gewann Hafenstraße als erste Mannschaft aus Regionalligist Rot-Weiss Essen bei der dem Ruhrgebiet nach dem Zweiten Braunschweiger Eintracht mit 3:2 und Weltkrieg 1953 deutscher Pokalsieger entging dadurch um Haaresbreite dem und 1955 deutscher Fußballmeister Absturz in die Viertklassigkeit. Das wurden. Diese legendären Erfolge warettende Tor für die Essener fiel in der ren angesichts der sportlichen Misere 89. Minute. Die Zeitschrift Reviersport zu Beginn des neuen Jahrtausends zitierte den Essener Mittelfeldregisseur weitgehend in Vergessenheit geraten. Markus Kaya mit den Worten: „Im Nur 15 Jahre später jedoch vermarkEndeffekt haben wir den Fans viel Leid tete der aktuelle Viertligist RWE offenangetan, aber der Klassenerhalt ist ge- siv seine großen Zeiten, beschwor sie 14

Vorspiel

zum 60. Jahrestag der Meisterschaft selbstbewusst mit dem Claim „RotWeisser Rahnsinn! Deutscher Meister ist nur der RWE!“ und versuchte sie als Unterstützung für die geplante Rückkehr in den hochklassigen Fußball zu nutzen. Doch was außer dem Namen verbindet die Essener Meisterelf um „Boss“ Helmut Rahn, den legendären Torschützen der WM 1954, noch mit dem aktuellen „Spitzen“fußball in Gestalt von Rot-Weiss Essen? Gibt es diese Verbindung, und sei es im Bewusstsein der Fans? Was in Essen eine trotzige, aber letztlich ohnmächtige Beschwörung längst vergessener Größe zu sein scheint, funktioniert wenige Kilometer weiter nördlich seit Jahrzehnten reibungslos. Am 19. Mai 2001, drei Wochen vor dem glücklichen Essener Saisonendspurt, verlor am oberen Ende des bezahlten Fußballspektrums Schalke 04 in einem der dramatischsten Saisonfinals der Bundesligageschichte das Fernduell gegen Branchenkrösus Bayern München und verpasste in letzter Sekunde die schon sicher geglaubte Meisterschaft. Das entscheidende Tor für die Münchener, das die Schalker Spieler und das voll besetzte Parkstadion aus dem siebten Fußballhimmel riss, fiel in der 94. Spielminute. Doch auch wenn die Schalker ihrer beeindruckenden Galerie schon leicht angestaubter Meistertrophäen gern eine frische hinzugefügt hätten, konnten sie selbst noch aus der Niederlage beträchtlichen Nutzen ziehen. Die standortbewussten Kulturschaffenden aus regionaler Sportpresse, Rundfunkjournalisten und flinken Buchautoren kürten die BlauWeißen flugs zum „Meister der Herzen“ und erinnerten so daran, dass die Schalker in ihrer wechselhaften Vereinsgeschichte aus Niederlagen stets gestärkt hervorgegangen waren. Von der Tragik zum Kitsch ist es oft nur ein kleiner Schritt, aber man kann sicher sein, dass sich die dramatischen Minuten, in denen keineswegs nur der engere Schalker Anhang um den Schlusspfiff betete, stärker ins kollektive Gedächtnis des Ruhrgebiets eingebrannt haben als mancher sportliche Erfolg. Auf diese Weise fügte selbst die Niederlage ein Mosaiksteinchen zu


RWE pflegte sein Image als Malocherverein schon in den 1950ern.

jener Legende hinzu, an deren Kultivierung der Verein spätestens seit den 1930er Jahren so unauffällig wie erfolgreich arbeitet. Deshalb stutzte 2015 im mittleren Ruhrgebiet niemand, als dort anlässlich des 111. Schalke-Jubiläums eine Bahn der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen mit der Aufschrift „Kennst du den Mythos?“ ihre Kreise zog und im Gelsenkirchener Musiktheater „Die 111 Jahre-Jubiläumsshow des geilsten Clubs der Welt!“ die ruhmreiche Geschichte des Vereins und seine Einzigartigkeit besang.

Mythos oder nicht Mythos?

Was die Schalker seit jeher mit Hingabe pflegen und RWE anstrebt, ist die Teilhabe am Mythos des Arbeiterfußballs, die einen Verein aus dieser Region scheinbar auf ewig in den Herzen seiner Anhänger und den Angstträumen seiner Gegner verankert und Fußballkenner noch nach Jahrzehnten mit der Zunge schnalzen lässt. Dieser Mythos entstand in den 1920er Jahren, als die Arbeiterklubs des Reviers mit Schalke an der Spitze die bis dahin führenden bürgerlichen Vereine spielerisch zu überflügeln begannen. Er festigte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als Mannschaften aus dem Bergarbeitermilieu wie Hamborn 07, SV Sodingen, STV Horst-Emscher, Spielvereinigung Erkenschwick oder Sportfreunde Katernberg die übrigen Westvereine das Fürchten lehrten. Noch heute flirrt

ein Hauch jener Aura durch die Luft, wenn ihre Namen fallen. Vor allem dieser Mythos vom Arbeiterfußball zieht heute die wachsende Schar von Erfolgsfans und Eventbesuchern aus dem Revier und weit darüber hinaus in die Arenen, die selbst nie körperlich gearbeitet oder Fußball gespielt haben, sich aber vom virtuellen Schweißgeruch und den verklärten Kämpfertugenden der vermeintlichen Malocherklubs angezogen fühlen. Aber selbst „unsterbliche“ Mythen verblassen, wenn sie nicht wenigstens einen „historischen“ Erfolg vorweisen können und die Erinnerung an ihn nicht durch aktuelle Erfolge lebendig gehalten wird. Genau das gelang den vielen kleineren Zechenklubs nicht. Deshalb bedeutete es ihren unwiderruflichen Niedergang, als ihnen die Bergbaukrise auch noch die wirtschaftliche Grundlage entzog. Spätestens in den 1960er Jahren mussten sie allesamt aufgeben und sich von den in die Bundesliga drängenden Großstadtvereinen „auskaufen“ lassen. Sodingen und die übrigen Zechenklubs werden deshalb eines Tages ebenso vergessen sein wie jene Ruhrgebietsvereine, die lange vor ihnen schon zu den „Großen“ in der Region gehörten – wer außer den Fußballexperten weiß heute vom Duisburger SV, Preußen Duisburg oder von Schwarz-Weiß Essen mehr als den ehemals klangvollen Namen? Auch der aktuelle Spitzenfußball im Ruhrgebiet präsentiert sich gespalten in diejenigen Vereine, die seit langem teilhaben am Mythos des Arbeiterfußballs und ihn mittlerweile national wie international professionell vermarkten wie Schalke 04 und Borussia

Dortmund, und in die übrigen Klubs wie den VfL Bochum oder den MSV Duisburg, die nie die Chance bekamen, dazuzugehören, weil ihnen das Malocherflair und die ganz großen Erfolge fehlten. Sie werden daher selbst dann, wenn sie einst sportlich erfolgreicher spielen sollten als derzeit, aller Sympathie des lokalen Publikums zum Trotz kaum eine vergleichbare Begeisterung über die Grenzen ihrer Städte und der Region hinaus entfachen wie die übermächtigen Rivalen. Nur ein Ruhrgebietsverein steht potenziell zwischen beiden Lagern. Rot-Weiss Essen ist der einzige Großstadtklub, der noch teilhatte am Mythos des Arbeiterfußballs und zugleich nationale Erfolge erringen konnte, die auch heute noch nicht vollkommen vergessen sind. Er mobilisiert selbst in der viertklassigen Regionalliga im Schnitt 8.000 Besucher und hätte das Potenzial, die alte Begeisterung neu zu entfachen und sich tiefer in die Herzen der Fußballfreunde im Revier zu spielen als die anderen Profiklubs. Doch dazu muss das Geld in Essen noch viele Tore schießen – Geld, das der Verein nicht hat. Die bemerkenswerte Unfähigkeit der größten Stadt des Ruhrgebiets, einen leistungsfähigen Profiverein hervorzubringen, der regional und national mithalten kann, bleibt bis auf Weiteres eines der vielen Mysterien der Fußballlandschaft Ruhrgebiet. Es gibt ihrer noch viele zu entdecken, doch erschließen sie sich nicht immer auf den ersten Blick. Wer das Land der tausend Derbys verstehen will, muss tief eintauchen in die Geschichte des Spiels, des Spielfeldes und des Spielgeschehens.

Georg Melches (2. v.l.) und sein jüngerer Bruder Hermann Melches (rechts daneben) 1911 in den Gartenanlagen der Gaststätte Overbeck.


Mit Totogeldern erbaut: die Sportschule Wedau in Duisburg, 1963.

werden. Bei der Lizenzvergabe für Annahmestellen wurde daraus in der Praxis häufig eine „Altersversorgung“ für verdiente Fußballspieler. Erinnert sei nur an Albert Bollmann, erster Essener Nationalspieler, der als Ersatz für sein im Zweiten Weltkrieg zerstörtes Geschäft die Lizenz für eine Toto-Annahmestelle erhielt. Doch die große Zeit des Totos sollte schon bald vorbei sein. Am 9. Oktober 1955 wurde das Zahlenlotto eingeführt – ausgerechnet in jenem Jahr, als der Totobetrieb in NRW mit 148,6 Millionen DM einen bis heute unerreichten Umsatzrekord erzielte. Im Jahr 1956 ging der Umsatz schon um fast 30 Millionen DM zurück. 1957 folgte dann der Einbruch: Mit nur noch 41 Millionen DM lag der Umsatz noch unter dem des Gründungsjahres 1949. Alle Bemühungen, die Attraktivität des Totospiels zu erhöhen und etwa durch die Organisation von Intertotorunden einen Wettbewerb kontinuierlich über zwölf Monate zu gewährleisten, blieben vergebens. Das Prinzip „Glück“ beim Lotto siegte über das vermeintlich notwendige „Fachwissen“ beim Toto. Allerdings hatten viele Tipper zum Finden der „richtigen“ Totozahlen auch zuvor schon „kleine Helfer“ in Anspruch genommen, wie z.B. den beliebten Kreisel mit den Zahlen „1“, „0“ und „2“. Wer nicht sicher war, ob die Dortmunder oder die Schalker gewinnen, der drehte halt am Kreisel. Auch organisatorisch blieben die Folgen nicht aus. Zu Beginn des Jahres 1962 wurde der Totobetrieb voll auf die damalige Nordwest Lotto in NRW übertragen. Heute organisiert die Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. das Totospiel in Nordrhein-Westfalen. 206

Die große Zeit des Westens

Bundesliga, Oddset und international

Die Einführung der Bundesliga brachte dem Toto noch einmal einen leichten Aufschwung. 1964 wurde die 8er-Wette eingeführt, nach Aufsto- Deutsche Olympische Sportbund (3,3 ckung der Bundesliga auf 18 Vereine Mio.). Weitere Gelder bekamen die gab’s ab 1966 die 9er-Wette. Aber es Sportstättenförderung (1,2 Mio.), das sollte bis 1977 dauern, ehe noch ein- „Deutsche Sport & Olympia Museum“ mal knapp über 100 Millionen DM (0,3 Mio.), sportliche GroßveranstalUmsatz in einem Jahr erzielt wurden. tungen (0,3 Mio.) und der WFLV (0,2 Zwischenzeitlich hat die Oddset- Mio.). Auch der Breitensport wurde Wette eine Wiederbelebung der Sport- unterstützt. wetten gebracht. Sie bietet mehr WahlAuch wenn es für die anhaltende möglichkeiten – so können die Partien Vorherrschaft des Lottos gute Gründe der Lieblingsvereine national oder gibt – etwa Veränderungen in der sointernational frei gewählt werden – zialen Zusammensetzung der Tipund ist damit eine zeitgemäßere Form per –, so ist doch nicht von der Hand der Sportwette, die sich den geänder- zu weisen, dass der Niedergang des ten Gewohnheiten der Zuschauer und Totos auch etwas mit dem Auslaufen Wetter angepasst hat. Von 2010 (48 der Oberliga und dem Ende der BlüteMillionen) bis 2013 (33 Millionen) zeit der regionalen Derbys zu tun hat. hatte sie weniger eingespielt, schaffte Gäbe es die frühere Dichte regionaler aber 2014 die Wende, die Umsätze er- Spitzenvereine noch, wäre der Toto zuhöhten sich auf 37 Millionen Euro. Das mindest im Ruhrgebiet auch unter den bedeutete für WestLotto einen Anteil heutigen veränderten Bedingungen von 2,4 %, am stärksten war nach wie nach wie vor ein ernsthafter Konkurvor das Lotto „6 aus 49“ mit 58,5 %. rent für das Zahlenlotto. Von den 2015 erwirtschafteten Die aktuellen Probleme der Sport1,678 Milliarden Euro Umsatz führte wetten sind nicht ruhrgebietsspeziWestLotto 1,574 Milliarden an Ge- fisch. Stichworte sind Manipulatiowinnausschüttung, Lotterie- und nen – in Deutschland etwa der Skandal Sportwettsteuer, Konzessionen und um den Schiedsrichter Robert Hoyzer, Provisionen ab, darunter neben den der Spiele verpfiffen hatte, internatioSteuern auch über 123 Millionen Euro nal z.B. die wiederholten Berichte über zweckgebundene Konzessionsabga- Manipulationen asiatischer Wettanben. Sie flossen an Einrichtungen des bieter, bei denen es oft um europäische Sports, der Wohlfahrt, der Kultur, des Ligaspiele geht – und die rechtlich umDenkmalschutzes und des Naturschut- strittene Situation der Wettanbieter in zes. Der Sport erhielt davon 39 %, wo- Deutschland. Sicher ist aber, dass auch von wiederum der Landessportbund im Revier nach wie vor viel Geld auf NRW mit 28,5 Mio. die größte Summe den Ausgang von Fußballspielen gebekam. Im Sportbereich folgten die setzt wird – jede Wette. Sportstiftung NRW (3,9 Mio.) und der Uwe Wick


Mit den Zechen starben die Vereine Aufstieg und Niedergang der Bergarbeiterklubs


Einführung

D

ie Autobahn 42, der so genannte Emscherschnellweg, verbindet Duisburg und Dortmund, die Eckpfeiler des zentralen Ruhrgebiets. Anfang der 1970er Jahre zur Entlastung der weiter südlich dem alten Hellweg folgenden B1 gebaut, an der die Reviermetropolen Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund liegen, durchmisst die Schnellstraße den Hinterhof des Ruhrgebietes, den Emscherraum, und passiert auf ihrem Weg von West nach Ost ein schwer überschaubares Gemenge unansehnlicher Industrieanlagen, verwilderter Zechenbrachen und zersiedelter Vorstädte. Über weite Strecken folgt die Trasse dem Verlauf der Anfang des 20. Jahrhunderts zum Abwasserkanal degradierten Emscher, die, anders als die Ruhr, nicht der gesamten Region, sondern nur einem ihrer Teilgebiete den Namen gab – demjenigen, das die brutale Wucht der kapitalistischen Industrialisierung am härtesten zu spüren bekam und bis heute am stärksten unter ihren industriellen und sozialen Altlasten zu leiden hat. Sein Name klingt wie ein Strafmaß: Emscherzone. Dieser schmale Landstrich war in den 1940er und 1950er Jahren das Herzstück des deutschen Wiederaufbaus. Seine Großzechen lieferten den einzigen verfügbaren Energieträger, die Steinkohle, und seine Landschaft und die hier arbeitenden Menschen brachten große Opfer dafür, dass auch im Rest der Republik die Züge wieder fuhren und die Schornsteine wieder rauchten. Besonderen Dank oder gar größeres Ansehen trug ihnen das nicht ein. Beachtung und Bewunderung, ja sogar Ruhm und Ehre erntete die Region seinerzeit für eine andere, mit der Kohle freilich eng verknüpfte Energieleistung, zu deren Entstehungsstätten der Emscherschnellweg auch heute noch den Weg weist. Wo der Unkundige an seinen Ausfahrten Foto Vorderseite: Spielszene vor der Zeche Mont-Cenis in Herne-Sodingen.

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Mit den Zechen starben die Vereine

heute nichts anderes erkennt als Hinweise auf reizlose Mittelstädte oder nichtssagende Industriedörfer – Duisburg-Hamborn, Duisburg-Meiderich, Oberhausen, Essen-Vogelheim, Essen-Katernberg, Gelsenkirchen-Horst, Gelsenkirchen-Schalke, Herten, Herne-Röhlinghausen, Herne, Herne-Sodingen und schließlich die Ausläufer von Dortmund –, da entdeckt der Eingeweihte heimliche Wegweiser in ein legendäres Kapitel des Revierfußballs. Nimmt man Marl-Hüls und Erkenschwick hinzu, die zu weit nördlich liegen, um von der Schnellstraße direkt berührt zu werden, so ist die Perlenkette jener großen Namen komplett, die in den 1940er und 1950er Jahren die Region begeisterten und sogar die Nation aufhorchen ließen. Wäre der Emscherschnellweg zwanzig Jahre früher entstanden, hätte der Volksmund ihm sicherlich einen klangvolleren, von Ruhm und Arbeiterstolz kündenden Namen verliehen – als imaginäre Straße der Zechenvereine.

Das gab’s nur einmal …

Der aus Erkenschwick stammende Schriftsteller und Fußballkenner Hans Dieter Baroth wies zu Recht darauf hin, dass die Situation des Fußballs unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg bei aller Verschiedenheit der Umstände viele Ähnlichkeiten mit jener Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende aufwies, als das Spiel in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckte: Kein Verband, keine verbindliche Spielordnung, weder Meisterschaftsspiele noch

Zechenklub Nordstern Der Fußball trug nach 1945 viel zur Integration der Neubergleute in die verbliebenen Stammbelegschaften der Zechen und in die Bergarbeitergemeinden bei. Er half den Neuankömmlingen, trotz der unerfreulichen Lebensumstände im verwüsteten Revier so etwas wie eine neue Heimat zu finden. Die Oberligaklubs aus den Bergarbeitervorstädten waren nur die Spitze der Fußballbegeisterung der Revierarbeiterschaft. Auf zahlreichen Schachtanlagen entstanden von den Betrieben geförderte Zechenmannschaften, die auch ohne Verband einen regelrechten Ligabetrieb aufrechterhielten. Über diese Teams ist heute nur wenig bekannt, denn wie viele andere Freizeitmannschaften auch hinterließen sie kaum Spuren. Die rechts abgebildeten Fotografien zeigen eine Mannschaft von Bergarbeitern der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen-Horst, u.a. bei einem Spiel gegen eine Elf der Zeche Unser Fritz in Wanne-Eickel. Sie dokumentieren zudem die Lebenssituation der Neubergleute und den engen Zusammenhang des Wohnens im Barackenlager, einem ehemaligen Zwangsarbeiterlager für russische Kriegsgefangene zwischen Rhein-Herne-Kanal und Emscher, mit der Arbeit auf der Zeche und der Freizeit. Angesichts solcher Bilder erübrigt sich die Frage, warum Vereine wie der SV Sodingen in den Bergbaugemeinden seinerzeit eine Begeisterung auslösten, die der für Schalke 04 in den 1930er Jahren in nichts nachstand.


Spielklassen, und auch intakte Vereinsstrukturen gab es noch nicht bzw. noch nicht wieder. Darüber hinaus fehlten natürlich Plätze, Trikots und Umkleidemöglichkeiten. Was zählte, waren Improvisationstalent und Begeisterung für den Sport. Doch gibt es einen geradezu historischen Unterschied. In der gesamten bisherigen Geschichte des Fußballs und besonders in jener Frühzeit besaßen die bürgerlichen Vereine gegenüber den Arbeiterklubs stets deutliche Wettbewerbsvorteile. Sie waren früher entstanden und hatten deshalb die größere Spielerfahrung, vor allem aber besaßen sie zumeist gute Beziehungen zur örtlichen Wirtschaft und waren daher finanziell besser ausgestattet – erinnert sei nur an eingezäunte Sportplätze, Auslandsreisen, Gastspiele ausländischer Vereine. Viele Proletarierklubs dagegen hatten anfangs nicht einmal einen eigenen Ball. Das darin zum Ausdruck kommende gesellschaftliche und materielle Gefälle zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft blieb auch nach 1945 erhalten, denn die sogenannte „Stunde null“, also die angebliche Gleichheit der Startbedingungen für alle, ist eine Legende – in der Politik wie in der Wirtschaft. Beispielsweise behielten Sachwerte und Immobilien ihren Wert, während die Geldguthaben der „kleinen Leute“ dem Verfall der Reichsmark zum Opfer fielen. Nicht zuletzt dank der Politik der Besatzungsmächte änderte sich an der ungleichen Verteilung von Macht, Reichtum und gesellschaftlichen Chancen kaum etwas. Doch es gab eine Ausnahme – eben den Fußball. Zum ersten Mal in der Geschichte besaß für kurze Zeit nicht das Bürgertum, sondern ein Teil der Arbeiterschaft zumindest

vorübergehend einen Wettbewerbsvorteil, hatten nicht die großen und wohlhabenden Stadtklubs, sondern einige der kleinen und unbekannten Arbeitervereine die besseren Startvoraussetzungen – die Zechenklubs des Ruhrgebiets. Das hatte einen einfachen Grund. Bis zur Währungsreform 1948 waren nicht Banknoten das begehrteste Tausch- oder Zahlungsmittel, sondern Naturalien. Da die Kohle als der entscheidende Energieträger der Wiederaufbauzeit einen enormen politischen und wirtschaftlichen Stellenwert besaß, verfügten die Zechen bald wieder über einen beträchtlichen Handlungsspielraum. Davon profitierten vor allem jene unpolitischen Arbeiterklubs, die als Stadtteilvereine oder ehemalige Werksmannschaften seit der Weimarer Zeit eine enge Anbindung an die Bergwerke (oder an andere, mit dem Bergbau verbundene Betriebe wie z.B. die Duisburger Thyssen-Stahlwerke) gesucht hatten. Besonders im Umfeld der Großzechen der Emscherzone bestanden viele dieser Arbeitervereine, deren Spieler und Mitglieder zumeist im Stadtteil wohnten und auf den Zechen arbeiteten oder im Lauf der Nachkriegsjahre dort „anlegten“. Die Zechen unterstützten „ihre“ Vereine, indem sie Plätze und Arbeitsgerät stellten, Lebensmittelzuteilungen organisierten, das damals extrem rare Baumaterial zum Wiederaufbau der Vereinsanlagen beschafften und natürlich Kohle als Tauschmittel für Bälle, Trikots und Schuhe oder als Entgelt für Gastmannschaften lieferten. Typisch war in dieser Zeit ein Vereinsvorsitzender oder ein Vorstandsmitglied mit einem hohen Posten in der Personalverwaltung des Werkes, der die Spieler zudem mit leichten Arbeitsplätzen versorgte. Diese günstige Ausgangsposition wirkte sich rasch auch sportlich aus. Schon während der NS-Zeit hatten ehedem unbekannte Bergarbeiterklubs wie der VfL Altenbögge oder die Sportfreunde Katernberg mit beachtlichen Leistungen auf sich aufmerksam gemacht; durch die uk-Stellung vieler Bergleute und Hüttenarbeiter waren etliche dieser Mannschaften während des Krieges verhältnismäßig lange zusammengeblieben und konn-

Aufstieg und Niedergang der Bergarbeiterklubs

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ten nun fast nahtlos an ihre alte Spielstärke anknüpfen. Der Arbeitsplatz im Werk ermöglichte Arbeitserleichterungen und Freistellungen für die Spieler, und nicht selten durften sie vorzeitig ausfahren, um noch vor Einbruch der Dunkelheit zu trainieren – in Zeiten ohne Flutlicht ein unschätzbarer Vorteil. Vor allem aber trug die bessere Versorgung der Bergleute mit Lebensmitteln zur Spielstärke der Zechenmannschaften bei. Beispielsweise waren die Sportfreunde Katernberg in den ersten Nachkriegsjahren gefürchtet für ihre berühmte „letzte Viertelstunde“, in der sie noch einmal richtig aufdrehten und manchen Rückstand in einen Sieg verwandelten. Grundlage ihrer konditionellen Überlegenheit waren die Verbindungen zur Zeche und zu lokalen Metzgern, die den Spielern mehrmals wöchentlich eine Extraportion Koteletts, Bratwurst oder Eintopf sicherten. Auch in anderen Zechenvereinen wurden die Mannschaften während der Hungerjahre mit den nötigen Kalorien versorgt, um volle 90 Minuten lang durchzuhalten. Unter diesen Voraussetzungen konnten sich die reichlich vorhandenen Fußballtalente erheblich besser entfalten als bei der darbenden Konkurrenz, und bald erreichten die Vereine ein spielerisches Niveau, das dem der Spitzenvereine in nichts nachstand. Ein Zeitgenosse brachte die „verkehrte“ Vereinshierarchie jener Jahre auf den griffigen Nenner: Der SV Sodingen hatte Kohle und damit Trikots – Westfalia Herne nicht.

Neubergleute

Auf ihr Publikum mussten die Arbeiterklubs nicht lange warten. Die Förderleistung der Ruhrgebietszechen betrug bei Kriegsende gerade noch fünf Prozent des Normalausstoßes, so dass die Steigerung der Kohleförderung für die britischen Militärbehörden dieselbe Priorität hatte wie die Sicherung der Ernährung der Bevölkerung. Etliche Bergwerke waren längst nicht so stark zerstört wie zunächst angenommen und konnten schon wenige Wochen nach Einstellung der Kampfhandlungen wieder notdürftig in Betrieb gehen. Doch es fehlten Arbeitskräfte. Ein beträchtlicher Teil der deutschen 210

Mit den Zechen starben die Vereine

„Dann haben wir gleich gespielt“ Der Bergarbeiter Vinzenz Tomiczek, 1978 Geschäftsführer des FC Viktoria 21 Bottrop, über seine fußballerischen Anfänge in den 1920/1930er Jahren: „Sehen Sie mal, hier hinter dem Garten. Damals war das natürlich nicht so vollgebaut wie heute. Da hatte man noch viel Platz. Und wenn wir aus der Schule kamen, dann haben wir Schularbeiten gemacht oder auch nicht, und dann haben wir gleich gespielt. Aber nicht so wie heute mit einem richtigen Ball. Da wurden auch Bälle selbst gemacht, mit Heu und Lappen drin. Die Hauptsache war, dass wir was hatten, wo wir gegentreten konnten. Bis wir dann mal einen Bäcker gefragt haben, der hier Brot gebracht hat und so. Den haben wir angehalten, ob er nicht mal einen Fußball spendieren kann. Das hat er dann auch gemacht. Der Ball war dann für die Allgemeinheit. Ja, wenn es dann drei oder vier Uhr war, kamen die Größeren von der Arbeit, von der Zeche, und wenn die gegessen hatten, dann mussten wir weichen. Die Älteren haben dann gespielt, die Kleinen, die mussten dann weg.“

Bergleute war im Krieg eingezogen gestampft, waren durch die jahrelanund durch ausländische Zwangsarbei- gen Bombardierungen der Industrieter und Kriegsgefangene ersetzt wor- anlagen teilweise katastrophal zerstört den; deren Rückmarsch in die Heimat und hatten den Neuankömmlingen hatte die Belegschaften nach Kriegs- außer Arbeit nichts zu bieten. Auch ende auf wenig mehr als die Hälfte zu- wenn den Neubergleuten nur selten sammenschrumpfen lassen. Rascher offene Feindseligkeit entgegenschlug, Ersatz musste her, denn es konnte Jahre mussten sie sich ihren Platz in dieser dauern, ehe die deutschen Kriegsge- Notgesellschaft erst erkämpfen. Unterfangenen zurückkamen. Anfängliche gebracht in den vormaligen Baracken Versuche der Engländer, arbeitsfähige der ausländischen Zwangsarbeiter oder Männer mit Zwangsmaßnahmen in in Ledigenheimen, den sogenannten die Gruben zu holen, schlugen fehl, „Bullenklöstern“, gab es für sie nur weund so begannen sie mit der geheimen nige Möglichkeiten der sozialen KonLeitwährung jener Jahre zu locken: taktaufnahme und der Unterhaltung. mit Kalorien. Ab Ende 1946 wurden Zwischen Malochen und Schlafen blieb bergmännisch unerfahrene Männer meist nur der Fußball. Wie bei den früheren Zuwanderermit höheren Verpflegungssätzen und einem eigens entwickelten Bezugssys- generationen war er auch für die Neutem für Gebrauchsartikel und Genuss- bergleute nicht nur idealer Ausgleich mittel (Punktesystem) als Bergarbeiter für die schwere Arbeit, sondern einmal angeworben – mit wachsendem Erfolg, mehr Integrationshelfer in die neue wie die langsam steigende Kohleförde- Heimat. Die bereits länger ansässigen rung bewies. Neben Schwerstarbeiter- Arbeiter nutzten ihn schon seit den zulagen, CARE-Paketen und Schnaps- Kriegsjahren als einzige verbliebene zuteilungen winkte ein vergleichsweise Unterhaltungsmöglichkeit, und auch guter Verdienst, der manchem eine für die männliche Arbeiterjugend der solide Ausgangsbasis für den Aufbau Nachkriegsjahre war das Fußballspieeiner neuen Existenz zu sein schien. len, von den nach und nach wieder öffnenden Kinos einmal abgesehen, Vor allem zahlreiche Flüchtlinge aus die liebste – weil meist einzige – Freidem deutschen Osten sahen hier die zeitbeschäftigung. Im Dunstkreis der Chance für einen Neuanfang. Bis 1954 strömten rund 500.000 Zechen entstanden deshalb zahlreiche Neubergleute ins Ruhrgebiet, von Werksklubs und „wilde“ Freizeitmanndenen ein Viertel dauerhaft im Berg- schaften, die bald auch über die Stadtbau blieb und die übrigen nach eini- grenzen hinaus gegeneinander kickten. gen Jahren zu anderen, weniger geAuf freigeräumten Trümmerfährlichen Arbeitsstellen in der Region grundstücken, notdürftig hergerichwechselten. Die Arbeit war hart, die teten Ascheplätzen und wiederhergestellten Sportanlagen kamen sich die Umgebung fremd und unwirtlich. Die Industrievororte des Emschergebietes, unterschiedlichen Arbeitergruppen ohnehin einst lieblos aus dem Boden näher und teilten bald auch die Begeis-


Sportfreunde Katernberg

SV Sodingen

terung für die bekannten Revierklubs wie Schalke 04 und Borussia Dortmund, Westfalia Herne und Rot-Weiss Essen. Vor allem aber schwärmten sie für jene Vereine, die die Namen ihrer Stadtteile oder gar ihrer Zechen trugen wie der SV Hamborn 07, der TuS Helene Altenessen, der BV Altenessen 06, die STV Horst-Emscher, die Sportfreunde Katernberg, die Spielvereinigung Röhlinghausen, der SV Sodingen, die Spielvereinigung Herten 12, der TSV Marl-Hüls, die Spielvereinigung Erkenschwick, Arminia Marten oder der VfL Altenbögge. Denn die da spielten, waren Arbeiter wie sie selbst, und nicht selten gaben auf dem Spielfeld die eigenen Kollegen oder Nachbarn den Ton an. Namen wie Kelbassa und Ludorf, Rachuba und Rahn, Adamik und Konopczinski, Sahm und Sense, Sawitzki und Szymaniak waren in aller Munde, und an ihnen machten sich in den folgenden Jahren die kollektiven Träume der Alt- und Neubergleute von gesellschaftlicher Anerkennung und sportlichem Erfolg fest, die auf den Ascheplätzen der Straßencliquen, Zechenmannschaften und kleinen Vereine keimten. Kaum zwei Jahre nach Kriegsende waren diese Träume plötzlich zum Greifen nah, denn einige der Zechenvereine entwickelten eine solche Spielstärke, dass sie das schier Unfassliche schafften: Aufstieg in die Oberliga West, Mitspielen im Kreis der ganz Großen. Fast schien es, als würde sich die legendäre Blitzkarriere der legendären Schalker „Knappen“ noch einmal wiederholen.

Sodingen? Solingen? Sodingen!

Die Sportfreunde Katernberg hatten schon 1943 das Achtelfinale des Tschammer-Pokals erreicht und waren noch 1944 in die Gauliga aufgestiegen. Bei der ersten Essener Stadtmeisterschaft nach dem Krieg belegten sie hinter Preußen Essen den zweiten Platz und schafften 1947 als Ruhrbezirksmeister (und einzige Essener Mannschaft) den direkten Sprung in die Oberliga West, führten in der ersten Saison lange die Tabelle an und wurden schließlich sensationell Zweiter hinter den Dortmunder Borussen. Die meisten Spieler arbeiteten auf der Katernberger Zeche Zollverein oder anderen Betrieben der Gelsenkirchener Bergwerks AG. Der Platz „Am Lindenbruch“ lag inmitten der Zechenkolonie Ottekampshof direkt an der Köln-Mindener Bahnlinie und war wegen seiner Atmosphäre gefürchtet, weil die Zuschauer bei Spitzenspielen bis an den Spielfeldrand drängten. Der Erkenschwicker Spieler Jule Ludorf: „So hautnah spielte man nirgendwo am gegnerischen Publikum. Das war schon fast Hautkontakt. Es gab ja auch keinen Schiedsrichter, der den Zuschauern die Zurufe verbieten konnte. Wer bei den Sportfreunden siegte, der hätte eigentlich drei Punkte bekommen müssen, einen für die Nerven.“ Nicht selten verfolgten bei ausverkauftem Stadion Tausende das Spiel vom Bahndamm aus. Die STV Horst-Emscher aus dem Gelsenkirchener Stadtteil Horst-Süd

STV Horst-Emscher

TSV Marl-Hüls

(früher: Horstermark), einem erst durch die Zeche Nordstern entstandenen Arbeiterwohngebiet, hatte schon in den 1920er Jahren dem benachbarten FC Schalke 04 zeitweise Paroli geboten. Ebenfalls „Gründungsmitglied“ der Oberliga, wurden die „Emscher-Husaren“ 1947/48 und 1948/49 Dritter und 1949/50 immerhin noch Vierter der Oberliga, nahmen 1948 an der Britischen Zonenmeisterschaft und 1950 sogar an der Endrunde zur Deutschen Meisterschaft teil, schieden dort jedoch im Achtelfinale aus. Entscheidend für die Anhänger war aber ohnehin, dass der Klub bis zur Saison 1949/50 in der Tabelle vor dem Lokalrivalen Schalke 04 stand. Hamborn 07 war ebenfalls von Beginn an in der Oberliga vertreten – als erster und bis 1949 einziger Duisburger Verein. In der ersten Saison wurden die „Löwen“ Vierter und be-

Aufstieg und Niedergang der Bergarbeiterklubs

211


Einmaliges Vereinsleben Jule Ludorf, legendärer Stürmer der Spielvereinigung Erkenschwick, über den Zusammenhang von Bergarbeitermilieu und Fußball in der kleinen Bergarbeitergemeinde Erkenschwick: „Für uns gab es gar nichts anderes. In Erkenschwick drehte sich alles um unseren schönen Pütt. Sonntags saßen alle Kumpels im Stimberg-Stadion, und am Montag ging es auf der Zeche nur um das Spiel: ‚Mensch, Jule, warum haste den nich’ reingemacht?‘ Früher konnte man es sich gar nicht erlauben, schlecht zu spielen. Die ganze Verwandtschaft saß doch auf der Tribüne. Außerdem kriegte man das die ganze Woche auf der Arbeit von den Kumpels zu hören. Aber Pfeifkonzerte, wie in Dortmund oder auf Schalke, gab es in Erkenschwick nie. Die Zuschauer wussten genau: Der auf dem Platz, der ist einer von uns. Unser Vereinsleben war einmalig.“ (Quelle: 11 Freunde Spezial: Rivalen an der Ruhr. Die besten Geschichten vom Fußball im Pott. Berlin 2014, S. 65.)

haupteten auch in den drei Folgejahren einstellige Tabellenplätze. Erst in der Saison 1951/52 konnte der frisch aufgestiegene Meidericher Spielverein sie als erster Lokalrivale in der Tabelle überflügeln. Zwischen 1952 und 1959 erwarben die „Löwen“ sich durch dreimaligen Ab- und Wiederaufstieg den Ruf einer „Fahrstuhlmannschaft“. Wer hier spielte, arbeitete zumeist bei Thyssen. Die Spielvereinigung Erkenschwick, als „Sportverein Erkenschwick“ 1916 in einer Gaststätte gegründet, hatte schon 1943 unter Trainer Ernst Kuzorra den Aufstieg in die Gauliga geschafft und war 1946 Erster der Landesliga 2, im kommenden Jahr Vizemeister und deshalb auch von der ersten Saison an in der Oberliga. Erster Gegner nach dem Krieg war Schalke 04, das 15.000 Zuschauer ins Stimberg-Stadion zog, wo der gefürchtete „Stimberg-Geist“ herrschte. Der Verein besaß traditionell ausgezeichnete Kontakte zur Führungsspitze des lokalen Bergwerkes „Ewald Fortsetzung“, das auch viele Jahre den Vereinsvorsitzenden stellte. Sportlich konnte sich der Verein lange in der Tabellenmitte halten. 212

Mit den Zechen starben die Vereine

Nicht von Anfang an dabei war der SV Sodingen aus dem gleichnamigen Arbeiterstadtteil im Osten von Herne, in dem Pütt (Mont-Cenis) und Platz nicht nur räumlich aufs Engste beieinander lagen, sondern zusammen mit dem Ortsteil geradezu eine Einheit bildeten. Zu Beginn der Saison 1948/49 noch eine unbekannte Bezirksklassenmannschaft, kletterte der SVS scheinbar unaufhaltsam nach oben und stieg schließlich 1952 als Meister der 2. Liga West in die Oberliga auf, stürmte dort in der Saison 1954/55 auf den zweiten Tabellenplatz und qualifizierte sich durch einen Sieg über den Zweiten der Oberliga Süd, SSV Reutlingen, für die Teilnahme an der Endrunde zur Deutschen Meisterschaft. Trotz nur einer Niederlage, gegen den Hamburger SV, wurde Sodingen bei zwei Siegen und drei Unentschieden lediglich Gruppendritter und schied aus. Das „Sodinger Fußballwunder“ war im gesamten Ruhrgebiet eine Sensation und mobilisierte ungeheure Zuschauermassen. Legendär wurde das „Heimspiel“ gegen den 1. FC Kaiserslautern am 22. Mai 1955 in der völlig überfüllten Gelsenkirchener Kampfbahn Glückauf, bei dem die Sodinger dem Spitzenklub aus dem Südwesten vor annähernd 60.000 Menschen ein 2:2 abtrotzten. Ein Augenzeuge: „Die haben dann einfach die großen Eisentore niedergerissen, Mauern eingerissen, alles. Und da ist ein Spiel ausgetragen worden, ich glaube, das war in Deutschland einmalig. Das hat Schalke selbst in der Glanzzeit nicht gehabt. Das Spiel hätte eigentlich gar nicht ausgeführt werden dürfen, weil die Zuschauer direkt bis an der Außenlinie saßen. Aschenbahn, hinterm Tor, alles voll.“

Ganz Fußballdeutschland horchte auf – und brauchte eine Weile, bis es den außerhalb des Reviers vollkommen unbekannten Heimatort des SVS nicht mehr mit der Klingenstadt Solingen verwechselte. Der eng mit der Marler Zeche Auguste Victoria liierte TSV Marl-Hüls schaffte immerhin noch 1960 den Sprung in die Oberliga und konnte sich dort auch behaupten, kam allerdings über zweistellige Tabellenplätze nicht hinaus und beschloss die letzte Saison der Oberliga als Tabellenletzter.

Legende auch ohne Titel

Vor dem Hintergrund der Kohlekonjunktur und der beginnenden Aufbruchstimmung im sogenannten Wirtschaftswunder entfachten die Zechenvereine innerhalb der Arbeiterschaft des Ruhrgebiets eine beispiellose Fußballbegeisterung. Ihre Beliebtheit war mehr als bloße Popularität, nährten sie doch für kurze Zeit die Hoffnung auf eine Wiederkehr des legendären Arbeiterfußballs der 1920er Jahre. Die Ausgangssituation war durchaus vergleichbar. Mehr denn je war das Revier in der Nachkriegszeit der wirtschaftliche Motor des Landes, und ebenso wie in den Jahrzehnten zuvor hatten besonders die Bewohner des Emschergebietes unter fortschreitender Landschaftszerstörung, Kokereismog und Staublunge zu leiden. Zwar erhielten die Bergleute ihren bescheidenen Anteil am aufkeimenden Wirtschaftswunder, doch hatten sie ihn sich schwer erarbeitet, und es ließ sie das Gefühl nicht los, für den Rest des Landes wieder einmal die Kohlen aus dem Feuer zu holen.

„Genauso wie Schalke“ Aus einem Gespräch mit dem ehemaligen Sodinger Spieler Jan Artin (1978): „Als ich anfing, Fußball zu spielen, 1939, da konnte man gar nicht sagen, wo man herkam, das kannte keiner. Da sagte man dann immer ‚von Herne‘. Und dann sagten die ‚von Westfalia‘, und da konnte man denen erst erklären, dass Sodingen ein Vorort von Herne ist. Sodingen war dann durch den SV der bekannteste Stadtteil von Herne, ich will mal sagen, teilweise sogar bekannter als Herne selbst. Das war damals genauso wie Schalke. Schalke kannte jeder, aber dass Schalke ein Vorort von Gelsenkirchen war, das weiß heute noch nicht jeder. Und wir selber haben gespielt für die Ehre von unserem Stadtteil, und wir haben uns gefreut, dass Sodingen bekannter wurde; mit jeder Klasse, die man höher kam, wurde Sodingen bekannter, und man kam weiter weg.“


Zuschauerandrang am Block B der Kampfbahn Glückauf beim Spiel Sodingen gegen Kaiserslautern 1955.

Die Erfolge der kleinen Arbeiterklubs aus den Industriedörfern waren daher Balsam auf ihre verrußten Seelen. Natürlich genossen auch die bekannten und traditionsreichen Arbeitervereine wie Borussia Dortmund, Schalke 04 oder Rot-Weiss Essen große Sympathien weit über ihre direkte Anhängerschaft hinaus; doch galten sie vielen mittlerweile als arrivierte Konkurrenten, die sich weit von ihren sozialen Wurzeln entfernt und zu städtischen Repräsentationsvereinen entwickelt hatten. Besonders die Schalker hatten sich bei vielen Arbeitern den Ruf eingehandelt, arrogant zu sein und „pomadig“ zu spielen. Ihr Bonus als Sympathieträger für das gesamte Ruhrgebiet war aufgebraucht, und viele Anhänger der Zechenklubs unterstützten sie deshalb allenfalls, wenn sie die Ehre des gesamten Reviers gegen Vereine von außerhalb verteidigten. Hans Dieter Baroth fasste diese feine Dosierung der Zuschauergunst in die Worte: „Fußballer sein heißt auch, intensiv gegen einen Verein zu sein.“ Diese regionalen Konkurrenzen gewannen natürlich auf lokaler Ebene nochmals an Schärfe. Die Identifikation der Spieler und Zuschauer mit ihrem Industriedorf machte aus den Lokalderbys gegen die ehedem übermächtigen Lokalrivalen Prestigekämpfe, in denen „ihr“ Verein die kommunale Eigenständigkeit und auch so etwas wie

die eigene Arbeiterehre verteidigte – ob nun die STV Horst und die Sportfreunde Katernberg gegen die mittlerweile zu „Stadtvereinen“ mutierten ehemaligen Arbeiterklubs Schalke 04 und Rot-Weiss Essen oder die Hamborner „Löwen“ und der SV Sodingen gegen bürgerliche Traditionsvereine wie den Duisburger SV oder Westfalia Herne. Vor allem die Sodinger hatten lokal für Furore gesorgt, als sie 1952 als erste Herner Mannschaft Oberligist wurden und in ihrem großen Jahr 1955 die soeben aufgestiegene bürgerliche Westfalia abgeschlagen als 13. der Tabelle hinter sich ließen – ein enormer Schub für das Selbstwertgefühl des 1928 eingemeindeten Arbeitervorortes. Mit den Zechenvereinen traten zum letzten Mal in der Geschichte des deutschen Spitzenfußballs Mannschaften an, deren Spieler überwiegend aus dem Ort stammten, für den sie spielten, und die auch sozial und beruflich noch mit ihren Anhängern ebenso auf einer Stufe standen wie die Schalker „Knappen“ in ihren Anfängen. Während für die meisten Schalker Spieler der Bergbau mittlerweile nur noch Kulisse war, war er bei den Zechenvereinen noch gelebte Wirklichkeit. Hier bestand sie noch, die Einheit von Stadtteil, Zuschauern und Spielern, die unvergleichliche, ehrliche Nähe zu den Helden des Rasens, denen man beim Einlauf ins Stadion auf die Schulter klopfen oder bei der Arbeit die Meinung zum Spiel sagen konnte. Diese enge Verbundenheit sorgte zunächst im Stadtteil für die Identifikation mit dem Verein, strahlte bald über den Stadtteil hinaus und begeisterte schließlich die Arbeiterschaft des gesamten Ruhrgebietes. Für einige Jahre nahmen die Stadtteilvereine aus der Emscherzone die früher von den Schalkern besetzte Position des regionalen Sympathieträgers ein. Auch wenn keiner dieser Vereine je einen nationalen Titel erringen konnte, genießen sie im Ruhrgebiet – und bei Fußballfreunden weit darüber hinaus – bis heute einen legendären Ruf. Allen voran der SV Sodingen, der es nach dem frühzeitigen Ausscheiden der Sportfreunde Katernberg in der ersten Meisterschaftsrunde 1948 und des STV Horst in der Vorrunde der Meis-

Abgestufte Loyalität Der Bergmannssohn Hans Dieter Baroth arbeitete selbst unter Tage, ehe er Journalist und Schriftsteller wurde. Über seine Kindheitsjahre in Erkenschwick schreibt er: „Die Spielvereinigung Erkenschwick spielte nach dem Kriege in der höchsten Liga, in der Oberliga West. Die Spieler arbeiteten, wie mein Vater und mein Onkel und die Väter von Luwi Linn und Fänna Zawar, als Kumpel auf der Zeche des Ortes. Sonntags kam der Onkel Karl Krawietz aus Datteln mit dem Fahrrad zu uns. Hastig schob er es in den kleinen Stall hinter dem Haus, mit knappem Gruß ging er an unserer Wohnung vorbei ins nahe StimbergStadion. Es lag nur 400 Meter von unserer Wohnung entfernt. Deshalb waren wir eine gefragte Adresse. 400 Meter von unserer Zechenwohnung entfernt hatten sie anzutreten: Schalke 04, Borussia Dortmund, STV Horst-Emscher, Sportfreunde Katernberg, Rot-Weiss Essen, Westfalia Herne, SV Sodingen – gegen die Arbeitskollegen meines Vaters. Heinz Silvers, der Mittelläufer unserer Elf, wohnte nur zwei Häuser von uns entfernt. Meinen Vater und mich verband mit der Mannschaft mehr als simple Vereinssympathie. Wenn ein Schiedsrichter unsere Spieler benachteiligte, dann war das ‚säuisch‘. Das ging auch gegen uns. Logisch. So hatte mich dann der Vater schon als Kind mitgeschleppt auf den Platz. Ebenso war es bei Fänna Zawar, Luwi Linn und Otto Olschewski. Und alle lernten wir bald genau zu unterscheiden: Dortmund und Schalke, das waren feine Pinkel, keine Arbeitermannschaften, die Spieler hielten die Hand auf und bekamen Drückeposten bei der Stadt. Deshalb glaubten sie auch, sie seien etwas Besseres. Und die Schalker waren in unseren Augen sogar Verbrecher, schon seit den dreißiger Jahren hatten die Dreck am Stecken. Und in der Tat, ich glaubte zu sehen, die Hosen der Schalker Spieler schienen weißer als weiß zu sein, ihre Spielzüge kamen mir pomadig und arrogant vor. Anders war es bei Hamborn 07, STV Horst-Emscher oder dem SV Sodingen, da ging es um den sportlichen Vergleich mit Mannschaften, deren Spieler, wie unsere, auf der Zeche arbeiten mussten. Wir lernten Sympathie zu dosieren, wir lernten, uns nicht nur über Siege zu freuen, sondern auch über Niederlagen. Wie alle echten Fußballer lernte ich auch zu hassen. Jahrelang habe ich mit mehr als klammheimlicher Freude Niederlagen von Schalke 04, Borussia Dortmund und Westfalia Herne genossen. Ich habe meinen Spaß daran gehabt, wenn Schiedsrichter gegen diese Mannschaften ungerechte Elfmeter verhängten.“


terschafts-Endrunde 1950 als einziger ten: schnörkelloses Spiel, Kampf „bis Zechenverein in der Saison 1954/55 zum Umfallen“ und „gesunde“ Härte. schaffte, bis in die Endrunde der Deut- Diese Spielweise, die den Sodingern schen Meisterschaft vorzudringen. außerhalb des Reviers zeitweise den Vielen alten und neuen Fußball- Ruf einbrachte, eine der härtesten anhängern im Revier erschien der Mannschaften Deutschlands und eine kometenhafte Aufstieg des SVS wie „Kloppertruppe“ zu sein, entsprach die Wiederkehr des alten Schalke 04 haargenau der täglichen Erfahrung in seiner Glanzzeit: derselbe Einsatz, ihres Publikums im Revier, dass mit derselbe Gemeinschaftsgeist, dieselbe „Schönspielerei“ weder im Leben noch Identifikation mit Ort und Zeche, der- auf dem Platz etwas zu gewinnen war. selbe eiserne Wille, sich trotz fehlender Unterstützung durch die Stadt und Ende einer Epoche gegen die Vorurteile des Verbandes zu Dass die Sodinger in ihrer großen Saison zur beliebtesten Mannschaft des behaupten. Natürlich profitierten die Sodinger als bis dahin unbekannter Ruhrgebiets avancierten, lag nicht Stadtteilverein auch vom Außensei- nur an ihrem von niemandem erwarter-Bonus und zogen deshalb größere teten Gipfelsturm; sie trugen damals Sympathien auf sich als der spätere gleichsam die Hoffnungen sämtliDeutsche Meister Rot-Weiss Essen, der cher Anhänger der Zechenvereine auf zwar ebenfalls ein Arbeiterverein war, ihren Schultern, denn die vier Oberaber mit einer zusammengekauften liga-Gründungsmitglieder Hamborn Mannschaft auflief, in der kaum noch 07, Spielvereinigung Erkenschwick, gebürtige Essener oder gar Bergleute STV Horst und Sportfreunde Katernberg waren zu diesem Zeitpunkt bespielten. Die Sodinger beeindruckten Pu- reits allesamt abgestiegen. Zwar gelang blikum und Gegner mit kraftvollem, Horst und Hamborn die nochmalige aber technisch hochklassigem Fußball Rückkehr in die Liga, und 1960 stieß und einer enormen Moral. „Was kann der TSV Marl-Hüls gar als Nachzügdiese Mannschaft kämpfen“, sagte Fritz ler ins Oberhaus vor. Dennoch hatten Walter nach dem Rückspiel der Meis- der Niedergang der Zechenklubs und terschaftsendrunde auf dem Betzen- damit das endgültige Ende des Arbeiberg, in dem die Sodinger den Kai- terfußballs klassischer Prägung bereits serslauterern wie schon im Hinspiel unwiderruflich begonnen. ein 2:2 abrangen, und brachte damit Schon ab der Saison 1950/51 hatauf den Punkt, was viele an ihnen lieb- ten sich die zweistelligen Tabellen-

Oberliga West 1962/63 Pl. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

Verein 1. FC Köln (M)* Borussia Dortmund* Meidericher Spielverein* Preußen Münster* Alemannia Aachen FC Schalke 04* Schwarz-Weiß Essen Viktoria 04 Köln Bayer 04 Leverkusen (N) Rot-Weiß Oberhausen Borussia Mönchengladbach Sportfreunde Hamborn 07 Fortuna Düsseldorf Westfalia Herne Wuppertaler SV (N) TSV Marl-Hüls

* qualifiziert für die Bundesliga.

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Mit den Zechen starben die Vereine

Sp. 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30

S 18 19 15 14 14 13 13 12 10 10 8 9 8 8 9 7

U 6 2 8 9 9 9 7 6 10 9 8 6 6 5 2 4

N 6 9 7 7 7 8 10 12 10 11 14 15 16 17 19 19

Tore 65:37 77:39 47:43 51:32 58:42 62:43 44:37 81:69 50:54 49:58 44:60 34:50 43:64 43:65 43:66 37:69

Punkte 42:18 40:20 38:22 37:23 37:23 35:25 33:27 30:30 30:30 29:31 24:36 24:36 22:38 21:39 20:40 18:42

plätze gehäuft; ab der Folgesaison begannen sich die Zechenvereine schließlich in der unteren Tabellenhälfte zu versammeln und einer nach dem anderen aus der Oberliga zu verabschieden: Die Sportfreunde Katernberg, 1947/48 Zweiter, stiegen schon ein Jahr später erstmals ab, anschließend sofort wieder auf und 1953 endgültig ab; 1955 traten sie den bitteren Gang aus der Zweiten Liga ins Amateurlager an. Die STV Horst, 1947/48 und 1948/49 noch Dritter und 1949/50 Vierter, stieg 1954 ab, 1958 noch einmal auf und sofort wieder ab. Die Spielvereinigung Erkenschwick rettete sich 1952 noch mit Relegationsspielen (ebenso wie STV Horst), musste aber 1953 den Gang in die Zweite Liga und 1957 ins Amateurlager antreten. Hamborn 07 stieg 1952 ab, 1955 wieder auf und 1956 sofort wieder ab, desgleichen 1957/1958. 1959 gelang noch einmal der Sprung nach oben, doch blieb der Verein bis 1963 in der unteren Tabellenhälfte kleben und verpasste schließlich den Aufstieg in die Bundesliga. 1971 rutschten die Hamborner endgültig aus der Regionalliga ins fußballerische Niemandsland ab. Da nützte es ihnen nichts, dass sie 1948 als erste deutsche Mannschaft von den Engländern die Rückennummern übernommen hatten. Auch das „Sodinger Fußballwunder“ währte nur kurz. Der SVS stieg nach seinem fast geglückten Durchmarsch zur Spitze 1954/55 und nach einigen mittelprächtigen Jahren 1959 wieder ab, 1960 nochmals auf und 1962 endgültig ab. Der TSV Marl-Hüls, erst 1960 in die Oberliga gekommen, war in der Saison 1962/63 der letzte Tabellenletzte der Oberliga West. Schon vor dem Ende der Oberliga gaben damit im Ruhrgebiet wieder die bürgerlichen Traditionsvereine wie Westfalia Herne oder die großen arrivierten Arbeiterklubs wie Schalke, Dortmund, Essen und bald auch der Meidericher SV den Ton an. Die Ursachen sind schnell benannt. Die Ausnahmesituation der ersten Nachkriegsjahre hatte mit ihrem Naturalienprinzip die Zechenvereine begünstigt und deren steilen sportlichen Aufstieg wirtschaftlich überhaupt erst möglich gemacht. Mit der Währungs-


Zuschauer und Zaun am

„Helmut Rahn sein Zaun“ hieß im Volksmund der Sichtschutz, den die Sportfreunde Katernberg in den 1950er Jahren an der Köln-Mindener Eisenbahnlinie errichteten. Über viele Jahre hinweg hatten „Zaungäste“ vom erhöht liegenden Bahndamm aus die Spiele im LindenbruchStadion kostengünstig verfolgen können. Erst der Verkauf des Mittelstürmers Helmut Rahn an Rot-Weiss Essen im Jahr 1951 soll es den Katernbergern finanziell ermöglicht haben, die Abtrennung zu errichten und die Nicht-Zahler zum Kauf einer Eintrittskarte zu nötigen. Ob die allerdings noch eine bekommen haben, darf angesichts der chronischen Überfüllung des Stadions in den Jahren der Oberliga bezweifelt werden.

Lindenbruch.

Helmut Rahn beim Torschuss im Stadion am Lindenbruch.

reform und der Einführung des Vertragsspielerstatuts im Jahr 1948 begannen sich die Gewichte wieder in die alte Richtung zu verschieben. Naturalien, Deputat und ein sicherer Arbeitsplatz auf der Zeche verloren ihre fast magische Bedeutung; fortan zählte nur noch das nötige Geld – und genau das fehlte den Vorortvereinen. Die Zechen setzten zwar ihre großzügige Unterstützung mit Sachleistungen fort, waren aber nicht in der Lage oder willens, den Vereinen auch finanziell unter die Arme zu greifen. Da im Gegensatz zu den großen Stadtvereinen weitere potente „Sponsoren“ oder gute Kontakte zur Stadt meist fehlten, waren die Klubs in der Folgezeit vor allem auf die Zuschauereinnahmen angewiesen. Ausgerechnet hier gerieten sie im Vergleich zu den anderen Klubs bald ins Hintertreffen. Seit der Einführung des Vertragsspielers wurden die Zuschauereinnahmen nicht mehr zwischen Heim- und Gastverein geteilt, so dass nun Vereine mit großen Stadien und ausgedehntem Einzugsbereich im Vorteil waren – in der Regel also die Großvereine mit gesamtstädtischem Einzugsgebiet. Die Stadtteilklubs hatten nicht nur kleinere Stadien, sondern auch ein weit niedrigeres Zu-

schauerpotenzial – selbst wenn sie wie Erkenschwick oder Marl-Hüls vor Ort ohne Konkurrenz waren. Beispielsweise fasste das Katernberger Stadion am Lindenbruch 12.000 Zuschauer, die Schalker Kampfbahn Glückauf jedoch 35.000, so dass die Essener in der Saison 1951/52 135.000 zahlende Zuschauer hatten, die Schalker 335.000. Dieses Handicap zog weitere nach sich, denn eine niedrigere Zuschauerfrequenz verringerte wiederum die Attraktivität für noch vorhandene Werbepartner. Die Einnahmeschere öffnete sich immer weiter zu Ungunsten der Zechenvereine. Das traf sie doppelt hart, weil ihre Finanzen ohnehin äußerst angespannt waren. Um einen oberligatauglichen Rasenplatz vorweisen zu können, hatten sie ihre alten Ascheplätze aufgerüstet und sich dafür bis an den Rand des finanziell Vertretbaren verschuldet. Beispielsweise wandte der SV Sodingen für den Bau seines Glück-Auf-Stadions 1952 trotz erheblicher Sachunterstützung durch die Zeche 400.000 DM auf und schuf sich damit eine finanzielle Altlast, die seinen finanziellen Spielraum auf Jahrzehnte hinaus einengte. Für Eingeweihte war daher frühzeitig absehbar, dass die

neuen Verhältnisse die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Stadtteilvereine innerhalb weniger Jahre untergraben und einen sportlichen Aderlass zur Folge haben würden, der letztlich den schrittweisen Ausverkauf bedeutete.

Die drei mit der Tankstelle

Schon seit der Weimarer Zeit hatten Bergleute und andere Industriearbeiter den Fußball genutzt, um der Schwerstarbeit im Pütt oder am Hochofen zu entrinnen und einen bescheidenen sozialen Aufstieg zu erreichen. Auch die meisten Spieler der Zechenvereine arbeiteten längst auf leichteren Posten über Tage, doch waren das spätestens in den 1950er Jahren nicht mehr die Arbeitsplätze, mit denen Spitzenspieler in den Vereinen gehalten oder gar von auswärts dorthin gelockt werden konnten. Die allgemeine Notlage der Nachkriegszeit, die Kohlekonjunktur und der massenhafte Zuzug von Neubergleuten hatten lediglich verdeckt, dass die Attraktivität des Bergmannsberufs schon seit den 1930er Jahren zurückging und die Zahl der jugendlichen Bergbauanfänger seitdem kontinuierlich sank. Im Nachkriegsdeutschland verlor die Bergmannsarbeit gerade auch bei den Kumpels

Aufstieg und Niedergang der Bergarbeiterklubs

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„Die drei Alfredos“ in Dortmund: Preißler, Kelbassa und Niepieklo (von links).

selbst weiter an Ansehen. Kaum ein Bergmann, der seine Söhne nicht drängte, etwas „Richtiges“ zu lernen, womit meist ein kaufmännischer oder handwerklicher Beruf „an der Sonne“, also über Tage gemeint war. „An die Sonne“ wollten auch immer mehr der jungen Spitzenspieler der Oberliga und verbanden damit andere Vorstellungen als einen Job als Anschläger auf der Zeche. Im aufblühenden Wirtschaftswunder sahen sie für sich die Chance, die räumliche, soziale und vor allem finanzielle Enge der Arbeitervororte hinter sich zu lassen. Gut bezahlte, saubere Arbeitsplätze oder gar die Unterstützung bei der Gründung einer selbstständigen Existenz waren deshalb immer öfter die Begleitmusik zum offiziellen Gehalt der Vertragsspieler und wurden während der offiziellen Wechselfrist in den Vereinsanzeigen offen angepriesen. Zwar waren das an heutigen Maßstäben gemessen geradezu lächerliche Vergünstigungen: Als die Sportfreunde Katernberg Anfang der 1950er Jahre ihre Spitzenspieler verkaufen mussten, ließ sich der spätere Schütze des entscheidenden WM-Tores, Helmut Rahn, mit einer Tankstelle zum Lokalrivalen Rot-Weiss Essen locken; der gelernte Anstreicher Siegfried Rachuba, dem die Spielvereinigung Erkenschwick nur eine Stelle auf der örtlichen Zeche anbieten konnte, fand die von Preußen Münster in Aussicht gestellte Unterstützung bei der Eröffnung eines Malergeschäftes derart ver216

Mit den Zechen starben die Vereine

Wer zahlt? Die Zeche nicht

lockend, dass er sich ihretwegen nach Norden aufmachte; und Gerdi Harpers vom SV Sodingen folgte dem Ruf von Fortuna Düsseldorf auf eine Stelle als Brauereivertreter. Doch selbst diesen heute dürftig anmutenden „Entscheidungshilfen“ hatten die Zechenvereine nichts Vergleichbares entgegenzusetzen – weder bei den Arbeitsplätzen noch bei dem, was zusätzlich zu Bier und Benzin geflossen sein mag. Manche Mannschaft wurde regelrecht geplündert, wie die STV Horst, die Anfang der 1950er Jahre neben Sahm, Mikuda, Wischner und Wieding auch Kelbassa nach Dortmund ziehen lassen musste, der wenig später zusammen mit Preißler und Niepieklo bei der Borussia als Sturmtrio „die drei Alfredos“ Furore machte. Nicht überall waren die Abgänge so spektakulär, doch reichten sie durchweg aus, um die Zechenvereine leistungsmäßig nach und nach auszubluten. Das mittlerweile entstandene Gehaltsgefälle trug zudem den Stachel der Konkurrenz und des Neides auch in die eigenen Reihen und raubte den Vorortvereinen schließlich ihre letzte Stärke, den inneren Zusammenhalt. Spätestens in dem Moment, da nicht mehr die eigene Jugendarbeit über die sportliche Zukunft des Vereins entschied, sondern die Vereinskasse – vor allem die der anderen Klubs –, war der Abstieg unvermeidbar, und für die meisten Zechenvereine war er nur der erste Schritt auf einem langen Weg nach unten.

Zur nostalgischen Verklärung jener Jahre besteht freilich ebenso wenig Anlass wie zu dem Versuch, für den Niedergang der Vorortvereine vermeintliche „Schuldige“ ausfindig machen zu wollen, seien es die Zechen, die Spieler oder die finanzstarken Konkurrenten. Der außergewöhnliche sportliche Erfolg und die ungeheure Anziehungskraft der Zechenvereine waren an bestimmte gesellschaftliche Voraussetzungen gebunden und hatten zwangsläufig ein Ende, als diese nach und nach verschwanden. An vorderster Stelle zu nennen ist hierbei das traditionelle Bergarbeitermilieu im Ruhrgebiet. Wie sonst nirgends in Deutschland lebte in den hiesigen Arbeitersiedlungen, aber auch in den einförmig hochgezogenen Vororten eine riesige Menschenansammlung unter annähernd gleichen sozialen und räumlichen, von der Schwerindustrie diktierten Bedingungen. Dieses Bergarbeitermilieu besaß einerseits ein starkes Beharrungsvermögen und war daher in vielen Orten bis in die 1960er Jahre hinein sehr homogen. Andererseits hatte es schon seit den 1920er Jahren begonnen, sich aufzulösen. Der politische Kahlschlag durch die NS-Verfolgungspolitik hatte den Individualisierungsprozess zusätzlich befördert, und die fortschreitende Differenzierung der Arbeitsfunktionen in der Industrie sowie die „Jeder ist sich selbst der Nächste“-Mentalität der Nachkriegsjahre drängten das lange Zeit selbstverständliche solidarische Miteinander weiter zugunsten einer stärker ichbezogenen, familienzentrierten Haltung zurück. Die entstehende Wirtschaftswundergesellschaft der 1950er und 1960er Jahre mit ihrer entpolitisierenden Konsumorientierung, der wachsenden (Auto-)Mobilität und dem Siegeszug des Fernsehens tat ein Übriges, um den millionenfachen Rückzug ins Private zu forcieren. Dennoch hätte sich dieser Wandlungsprozess im konservativen Sozialmilieu des Ruhrgebiets vermutlich sehr viel langsamer vollzogen, wenn nicht Ende der 1950er Jahre die Krise des Steinkohlebergbaus mit voller Wucht eingesetzt hätte. Die ersten Feierschichten des Jahres 1957 wuch-


sen sich innerhalb weniger Jahre zu massenhafter Kurzarbeit aus und endeten mit der Schließung Dutzender Zechenanlagen und dem Abbau Hunderttausender Arbeitsplätze. Allein zwischen 1958 und 1964 wurden 131 Klein- und 37 Großzechen geschlossen, allein in Bochum vernichtete die Kohlekrise zwischen 1957 und 1974 45.000 Arbeitsplätze. Besonders krass wirkte sie sich in der Emscherzone aus, wo die Schließung zahlreicher Großzechen mit bis zu 6.000 Beschäftigten in den 1960er Jahren ganze Ortsteile ihrer Lebensgrundlage beraubte. Das soziale Gefüge dieser Zechengemeinden wurde vollkommen umgekrempelt, weil Tausende von Familien gezwungen waren, auf der Suche nach Arbeit ihren Wohnort oder sogar das Ruhrgebiet zu verlassen. Langjährige soziale Bindungen zerrissen, und das bis dahin vielfach noch intakte proletarische Milieu begann seinen prägenden Einfluss auf die soziale Atmosphäre in den Arbeitervorstädten endgültig zu verlieren. Das ging nun auch an die Substanz der Zechenklubs. Wie fast alle Arbeitervereine waren sie über lange Zeit nicht nur der sportliche, sondern auch ein wichtiger gesellschaftlicher Mittelpunkt ihrer Heimatorte gewesen. Gemeinsame Ausflüge der Spieler mit ihren Frauen, Tanzabende und Vereinsfeste prägten den Vereinskalender und füllten den gern gebrauchten Begriff von der „Vereinsfamilie“ mit Leben. Der Verkauf der vor Ort verwurzelten Lokalmatadore und die soziale Fluktuation der Anhängerschaft aufgrund der Bergbaukrise lösten nach und nach die engen Bindungen zum Verein, verringerten seine Anziehungskraft auf das weitere Umfeld und entzogen schließlich der bis dahin üblichen Form der Geselligkeit ihre soziale Grundlage. Gemeinsame Feiern, Ausflüge und Geburtstage blieben im Fußball künftig den Amateur- und Freizeitvereinen vorbehalten, wo sie teilweise bis heute ein wichtiges Element der Vereinsidentität bilden. Verglichen mit der Realität des heutigen Spitzenfußballs erscheinen die damaligen Verhältnisse wie eine andere Welt: „Ja, das war eine schöne Zeit“, erinnerte sich ein ehemaliger

Spieler des TuS Helene 28, „das ist heute verschwunden, heut’ wird Fußball gespielt, da gehen sie hin, die Bundesliga, die kommt im Auto umgezogen, steigt auch wieder in ein Auto und fährt weg, die haben noch nicht mal Zeit, unter die Brause zu gehen, das ist doch kein Sport mehr, keine Geselligkeit mehr. Wir blieben früher beim Gegner, und der Gegner blieb hier. Früher wurde das Sommerfest gefeiert, vor allen Dingen Stiftungsfeste, die werden ja heute auch noch gefeiert. Zurzeit haben wir ein Fest im Jahr, früher waren Karneval, Sommerfest, Herbstfest, Weihnachtsfeier und zwischendurch nach jedem Spiel blieb

man wie ‘ne Familie zusammen. Im Vereinslokal, beim Heimspiel, da blieb der Gegner auch mit Anhang da, und da wurde getanzt und da wurde Musik gemacht. Die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, da war unser Vereinslokal, das hieß das kleine Casanova, da war wirklich jeden Sonntag richtig was los.“ Mit dem Rückbau der Kohleindustrie stellten die Zechen auch die bis dahin selbstverständlichen materiellen Hilfeleistungen ein, weil sie straffer wirtschaften mussten, ganz geschlossen wurden oder aufgrund der Veränderung der Besitzverhältnisse neues, ortsfremdes Leitungspersonal

Noch lebt die Vereinsfamilie, versammelt man sich auf den Stehrängen.

Aufstieg und Niedergang der Bergarbeiterklubs

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Endspiel zweier Freizeitmannschaften der Zechen Nordstern (Gelsenkirchen) und Zollverein (Essen) um den (vermutlich von den Zechengesellschaften gestifteten) „Rheinelbe-Pokal“ im Jahr 1956 (6:1).

erhielten, so dass die alten Seilschaften abrissen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Vereine jedoch finanziell ohnehin schon so geschwächt, dass das Zechensterben und schließlich die Bildung der Ruhrkohle AG 1969, die den verbliebenen Zechenherren endgültig ihre Finanzhoheit nahm, nur noch den Schlusspunkt unter ihren Niedergang setzten und ihn unumkehrbar machten. Nach und nach begannen die letzten Quellen der Unterstützung zu versiegen. Das bedeutete das Ende der Ambitionen vom Spitzenfußball für all jene Arbeitervereine, die den Verlust der industriellen Unterstützung nicht durch eine „Karriere“ als städtischer Repräsentationsverein kompensieren konnten. Indem der Niedergang des Ruhrbergbaus den wirtschaftlichen und sozialen Wandel im Revier forcierte, machte er nicht nur dem Arbeiterfußball alter Prägung ein Ende, sondern bereitete zugleich das soziale Terrain für die künftige Form des Spitzenfußballs vor: die Bundesliga.

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Mit den Zechen starben die Vereine

Was bleibt?

Erstmals in der Geschichte des Revierfußballs verschwand eine ganze Gruppe von Spitzenmannschaften für jedermann erkennbar nicht aus sportlichen, sondern vor allem aus wirtschaftlichen Gründen komplett von der Spielfläche. „Auf dem (Spiel-)Felde unbesiegt“ – dieser Eindruck trug wesentlich dazu bei, dass die Erinnerung an die Zechenvereine lebendig blieb und dass diese Klubs bis heute zusammen mit den Schalkern der 1930er und frühen 1940er Jahre den Kern der Legende von der guten alten Zeit des Arbeiterfußballs im Revier bilden. Fallen ihre Namen oder die ihrer ehemaligen Spitzenspieler, schwingt deshalb neben der Anerkennung für ihre sportlichen Leistungen stets auch das Bedauern darüber mit, dass die Epoche des basisnahen Arbeiterfußballs unwiederbringlich vorbei ist. Diese Wehmut führt zum Kern des Mythos vom Arbeiterfußball. Jedem Fußballkenner ist klar, dass die Zechenvereine eine Zeiterscheinung waren, die heute nicht mehr möglich wäre. Und doch verkörpern sie zumindest im Ruhrgebiet das Idealbild eines Spitzenfußballs, der sich den Gesetzen der Kommerzialisierung nicht blindlings unterwirft und dessen Spieler mit ihren Anhängern noch halbwegs auf Augenhöhe stehen. Diese Vorstel-

lung hat für all jene etwas Bestechendes, die sich von den Millionengagen und dem Starkult des aktuellen Profigeschäfts abgestoßen und von den Vermarktungsstrategien der Vereinsführungen ins Abseits gedrängt fühlen. Der Arbeiterfußball vergangener Dekaden verkörpert zu all dem das positive Gegenbild. Seine Popularität nimmt deshalb mit wachsendem zeitlichem Abstand keineswegs ab – im fragwürdigen Glanz der „schönen neuen Fußballwelt“ strahlt der alte Mythos umso heller. Für manche Fanbewegung der letzten Jahre ist die Rückbesinnung auf jene Epoche sogar mehr als bloße Nostalgie. Denn wenn sie von ihren Vereinsführungen zunehmend selbstbewusst einfordern, die wachsende Kluft zwischen Klub und Anhängern nicht durch clevere Merchandising- und Marketingaktionen zu kaschieren, sondern durch ehrliche Rückbesinnung auf die Vereinstraditionen und durch Einbeziehung der Fans in die Vereinspolitik zu überbrücken, so glauben sie das reale Vorbild für ihre konkrete Utopie stets in greifbarer Nähe zu haben. Ob der Profifußball im Ruhrgebiet heute anders aussähe, wenn die alten Zechenvereine sportlich überlebt hätten und Sodingen heute Bundesligastadt wäre, ist Spekulation – genauso wie die Frage, ob sie möglicherweise gerade deshalb untergingen, weil sie sich von ihren sozialen Wurzeln nicht lösen konnten. Tatsache ist jedenfalls, dass die Zechenvereine im Spitzenfußball des Westens nur eine kurze Episode blieben. Ihr endgültiger Abstieg in die unteren Ligen markiert einen entscheidenden Einschnitt in der Geschichte des Ruhrgebietsfußballs, denn die soziale Einbettung des Vereins und der Spieler in das lokale proletarische Milieu war damit zumindest im Spitzenfußball unwiderruflich Vergangenheit. Mit dem Ende der Oberliga West am 12. Mai 1963 und dem Abschied auch der letzten Zechenklubs aus der ersten Liga war der fußballerische „Sonderweg“ des Reviers beendet. Wäre es anders gekommen, wer weiß, welchen Namen der Volksmund dem Emscherschnellweg gegeben hätte. Hartmut Hering


Porträt

SV Sodingen Das kleine, widerspenstige Dorf inmitten des Ruhrpotts Und es gibt es doch, dieses mysteriöse zweiten Schalke, sondern kickt heute heute, zu denen man ehrfürchtig aufDorf, das so hartnäckig und erfolg- in der Landesliga, trifft dort auf Geg- schaut, die neben Fußball auch immer reich den bösen Widersachern trotzt! ner wie SC Obersprockhövel oder SC ein wenig Theater spielen und die vom Oder zumindest: Es gab es. Mitten im Hennen und lockt selten mehr als eine Volk so weit entfernt sind wie WanneRuhrgebiet gelegen, am östlichen Her- Handvoll Fans ins Glück-Auf-Stadion Eickel vom Mond. Unnahbar sein, das ner Stadtrand, unweit von Castrop- an der Ringstraße (heute: Am Holz- hätte sich „damals“ in Sodingen keiner Rauxel. Sodingen mit Namen, und platz). getraut. Und dass das „Wunder SodinDie Legende Sodingen lebt trotz einst umgeben von einer Art Rundgen“ von der weiteren Entwicklung im befestigung, die sich heute nur noch allem weiter. Sie lebt, weil sie wunder- Fußball einfach davongespült wurde, schön ist. Weil sie Romantik versprüht. tut im Übrigen nichts zur Sache. Denn in Form einer viel befahrenen Straße verorten lässt. Im 20. Jahrhundert be- Weil sie für „Ruhrgebietsgeist“ steht. zur Faszination SV Sodingen gehört saß der Ort ein ganz anderes Bollwerk: Und weil sie wie kaum eine andere die selbstverständlich auch ein gehöriges den Sportverein Sodingen, der die „gute alte Zeit“ transportiert. Eine Zeit, Stück verklärende Sozialromantik. Fußballwelt eine Zeit lang durch sei- in der Gemeinschaftssinn, ZusamEine Faszination, die verhältnisnen einzigartigen Selbstbehauptungs- menhalt und gegenseitige Verlässlich- mäßig leicht zu greifen ist, da es nur willen gegenüber der ungleich wohl- keit noch größer geschrieben wurden eine Handvoll Zutaten gab. Da war habenderen Konkurrenz aus Herne, als Selbstdarstellung und übertriebe- zum einen die Zeche Mont-Cenis, die Gelsenkirchen, Dortmund und Essen ner Starkult. Die Sodinger Kicker – binnen kurzem aus dem kleinen und faszinierte und dem deutschen Fuß- selbst „Stars“ wie Konopczinski, Ada- verschlafenen Dörfchen Sodingen eine ball eine seiner schönsten und herz- mik, Harpers oder WM-Teilnehmer im Kohlenstaub erstickende und mit Cieslarczyk – waren zum Anfassen. Arbeitern aus dem Osten gefüllte Ortzerreißendsten Geschichten schenkte. Sie kamen aus dem Volk, lebten im schaft gemacht hatte, deren EinwohGemeinsam sind wir stark Volk und waren wie das Volk. Nicht so nerzahl regelrecht explodierte (von 485 Die Saga Sodingens begann am 14. wie die Reus’ oder Aubameyangs von im Jahr 1880 auf über 4.000 20 Jahre September 1912 mit der Gründung des Sportvereins und erreichte ihre volle Ausstrahlung in den 1950er Jahren, als ganz Deutschland über die kleine Gemeinde am Uhlenbruch staunte und selbst europäische Renommierklubs wie FC Everton oder Sportclub Enschede ihre liebe Mühe und Not mit dem kämpferischen Bergmannsvolk in den grünen Jerseys hatten. Der Höhepunkt wurde am 22. Mai 1955 erreicht, als sich rund 60.000 fußballbegeisterte Menschen auf den Weg zur Gelsenkirchener Kampfbahn Glückauf machten, um dort den Auftritt des SVS gegen den mit Weltmeistern gespickten 1. FC Kaiserslautern (2:2) zu verfolgen. Es ging um den Einzug ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft, und nicht wenige im Ruhrpott trauten der Mannschaft von der Zeche Die Mannschaft des SV Sodingen nach dem Aufstieg in die Oberliga 1952: Obere Reihe Mont-Cenis alles zu, sogar den Titel- (von links) Weschollek, Flaas, Knacki, Bothe, Wenker. Untere Reihe: Stotzek, Nowak, gewinn. Doch es kam bekanntlich an- Geesmann, Schmidt, Konopczinski, Harpers. Rechts Trainer Fritz Silken. Hännes ders. Sodingen wurde nicht zu einem Adamik lag mit einer Knieverletzung im Krankenhaus. SV Sodingen

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„Der Platz war immer voll“ Leo Konopczinski, geb. am 16. Juli 1927, war zur Oberligazeit einer der Leistungsträger des SV Sodingen. Er spielte seit 1947 als linker Verteidiger und arbeitete auf der Zeche Mont-Cenis als Anschläger. Rolf Lindner hielt „Konops“ Erinnerungen für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fest: „Hab dann nach der Gefangenschaft sofort wieder in Wetter gespielt bis Ende 46. Hab dann hier den Hännes am Wochenende getroffen, und die haben dann immer gefragt: ‚Willste nicht bald rüberkommen?‘ Dann hab ich hier Arbeit auf der Zeche Mont-Cenis bekommen, hatte aber das Pech, dass Sodingen eine Bombenmannschaft hatte, da begann eigentlich schon der Aufstieg des SV Sodingen. Ich möchte wirklich sagen, das war ’ne Bombenmannschaft, kleiner Abstand nur zu Westfalia Herne. Ich hatte erst ein klein bisschen Bedenken gehabt. Und dann hat mein Bruder noch mal gefragt: ‚Wie ist es, traust du dir das zu?‘, und dann hab ich gesagt: ‚Das muss ich schaffen‘, und dann bin ich nach Sodingen gegangen, 47. Wir haben dann Meister gemacht und sind aufgestiegen in die Westfalenliga. Wir haben dann sofort wieder den Meister gemacht und sind aufgestiegen in die zweite Liga, sind dann Vertragsspieler geworden. 52 auf 53 sind wir dann aufgestiegen in die Oberliga. Erstes Spiel machten wir gegen Erkenschwick. Weil unser Stadion nicht zugelassen war, mussten wir in Herne spielen. Ergebnis 2:2. Der alte Platz war nicht mehr statthaft, wir mussten den komplett umbauen; der wurde nicht abgenommen für die Oberliga. Wir hatten dann das Glück gehabt, dass wir den Zechenplatz bekamen. War ein schönes Stadion gewesen mit Aschenbahn usw. Die Zeche hat uns dann unterstützt, die hat Bergehalden für die Böschung aufgekippt. Der Platz musste auch breiter gemacht werden. Erste Spiele mussten wir dann noch in Herne machen. Wir hatten an und für sich immer Zuschauer gehabt, unser Einkommen und unsere Auslagen waren immer gleich. Wir hatten schon in der Bezirksklasse viele Zuschauer. Damals war die Zerstreuung der Massen noch nicht so gegeben wie heute mit Fernsehen, Auto, Urlaubsreisen und und und. Wir hatten hier die Ortsderbys gehabt gegen Hoerde, Sportfreunde Wanne, TB Eickel und Castrop. Hier im Ruhrgebiet war das ja alles so eng, da konnte jeder mit dem Fahrrad hinfahren, die Invaliden gingen zu Fuß. Der Platz war immer voll.“

Bilder oben und rechts: Anmarsch zur alten Sodinger Kampfbahn Glück-Auf. Oft war sie gefüllt bis auf den letzten Platz.

später). Der bäuerliche Alltag musste einer neuen Identifikation Platz machen, die sich durch drei Dinge auszeichnete: das gemeinsame Arbeiten auf der Zeche, das gemeinsame Leben in der Kolonie und das gemeinsame Treiben in einem Verein. Denn angesichts des rasanten Zuzugs waren Identitätsobjekte vonnöten, und das war neben Kirche und Zeche vor allem der Sportverein, in dem zunächst Bildungsbürger, nach dem Ersten Weltkrieg dann vornehmlich Bergleute

um Fußbälle stritten, Kameradschaft pflegten und die Freizeit jenseits der Gastwirtschaft verbrachten. Es war ein ganz besonderes Menschen-Gemisch, das damals in Sodingen lebte und das wie eine polnische Enklave gewirkt haben muss. 1921 wurde die Polenpartei zur viertstärksten Kraft im Ort, und dass jene nach der Eingemeindung Sodingens zur Stadt Herne (1928) einen Abgeordneten selbst in den Herner Stadtrat entsenden konnte, lag an den Stimmen aus Sodingen.


„Der war doch drin“

Auf dem Weg zur Deutschen Meisterschaft

Die sportliche Blüte des SVS begann unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Grundlage war der „berühmte Jahrgang 1913/14“, dem Männer wie Josef Kasprzyk, Alfred Murawa, Klemens Heibel und Panna Pachurka angehörten. Als es so weit war, als der SVS anno 1949 vor Castrop 02 Bezirksklassenmeister wurde und in die höchste Amateurklasse aufstieg, waren zudem angehende Legenden wie Hännes Adamik und Leo Konopczinski dabei. Trainer der Erfolgself war Ex-BVB-Keeper Willi Kronsbein, nicht verwandt oder verschwägert mit dem späteren Bundesligatrainer „Fifi“ Kronsbein. Ein Jahr später feierten die Grün-Weißen den Durchmarsch in die 2. Liga West und klopften damit ans Tor zum Vertragsfußball. Der Erfolg war nicht nur ein Verdienst einer bemerkenswerten Mannschaft, die nahezu komplett aus „Sodinger Jungs“ bestand, sondern des gesamten Vereins: Binnen weniger Wochen hatten beispielsweise die Vereinsmitglieder in ehrenamtlicher Handarbeit die aus dem Jahr 1923 stammende Kampfbahn Glück-Auf in ein dem Vertragsfußball angemessenes Areal verwandelt.

1952 erreichte der Sodinger Aufstiegsexpress die nächste Station: Oberliga – höchste Spielklasse Westdeutschlands. Was beinahe noch wichtiger war: Erstmals spielte der SVS damit eine Klasse höher als der städtische Rivale Westfalia Herne, der laut SVS-Chronik „dem SV Sodingen immer einen entscheidenden Schritt voraus hatte, nämlich gute Verbindungen zur Stadtverwaltung“. Gefeiert wurde standesgemäß mit einem gemütlichen Beisammensein im Zechenkasino Lux, begleitet von der Knappenkapelle von Mont-Cenis und umjubelt von den stolzen Sodingern. Ihr „Dorf “ war ganz oben. „Nur ganz wenige Fußballmannschaften sind so eng mit der Bevölkerung ihrer Heimatstadt verbunden wie die Grün-Weißen, der Verein, das ist praktisch die ganze Sodinger Bürgerschaft“, staunte die Herner Zeitung. Und in der Tat: Wer nicht unmittelbar aus Sodingen kam, war aus der näheren Umgebung geholt worden. Harpers und die Bothe-Brüder aus Gerthe, Nowak aus Recklinghausen, Konopczinski aus Wetter. Sie alle malochten auf Mont-Cenis. Von Montag bis Freitag sah man sich in der Kaue, am Schacht oder unter Tage – sonntags waren dieselben Akteure dann

Johann („Hännes“) Adamik, geb. am 16. Juli 1925 in Sodingen, begann mit zehn Jahren in der Schülermannschaft des SV Sodingen und wurde einer der besten deutschen Torjäger überhaupt, ein technisch perfekter Spieler, den man in einem Atemzug mit Fritz Walter und Uwe Seeler nannte. Er arbeitete hauptberuflich als Anschläger auf der Sodinger Zeche Mont-Cenis und blieb seinem Verein lebenslang treu. Für die grün-weißen Sodinger absolvierte er insgesamt 650 Spiele, davon 207 in der Oberliga West. Damit war er ein typisches Beispiel für die mit Beginn der Bundesliga aussterbende Spezies der bodenständigen Spieler aus der Arbeiterschaft. Bis heute gilt er vielen als die Verkörperung des „Sodinger Fußballwunders“ zu Beginn der 1950er Jahre. „Anfang 46 kam ich dann aus Gefangenschaft wieder. Da hieß es in Sodingen: ‚Der Schwatte ist wieder da.‘ Unser früherer Geschäftsführer, der war eigentlich alles, Kassierer, Geschäftsführer, der hat damals den ganzen Verein zusammengehalten, da hieß es dann: ‚Wir spielen am Samstag gegen den und den Verein, spielst du mit?‘ Und ich sagte dann, dass ich ein paar Jahre nicht gespielt hab, (…) aber die haben mich dann so weit bearbeitet, dass ich gesagt hab: ,Ja, ist gut.‘ Und dann hab ich gesagt: ,Ich hab keine Schuhe‘, und dann haben sie mir noch Schuhe besorgt. Wir spielten gegen Arminia Marten. Wir spielten damals noch in der Gauliga. Und die hatten damals Spitzenspieler in ihrer Mannschaft, den späteren Torwart von Borussia Dortmund. Und am anderen Tag stand in der Zeitung: ‚Der Schwatte und Adamik, die müsst ihr sehen usw.‘. Ich will mich nicht rühmen. Der Martin Cockelcs spielte Mittelstürmer, ich spielte halblinks, und der Martin gibt mir den Ball so rüber, und ich dann aus 25 Meter aus der Luft oben links in den Winkel. Der Willi Kronsbein, der hechtete da so rein, und damals waren noch die Tore aus Maschendraht, der Ball schlug hinten rein und wieder raus. Der Willi, der hat so gestottert, und der hat dann noch jahrelang gesagt, der war nicht drin, und später hat er dann gesagt, der war doch drin. Und ich bin dann dem Verein treu geblieben bis heute noch. Aktiv habe ich gespielt, bis ich 39 Jahre alt war.“ Adamiks Bedeutung für das Arbeiterdorf Sodingen brachte sein einstiger Mitspieler Leo Konopczinski auf den Punkt: „Der Hännes war ne Zeit lang der bekannteste Mann in ganz Sodingen. Wissen Sie, was der Pastor gesagt hat? Der hat sich sonntags auf die Kanzel gestellt und hat gesagt: ‚Ich versteh das nicht, was das hier für’n heidnisches Volk ist. Kein Mensch redet hier in Sodingen von Gott, alle reden nur von Adamik.‘“ Hännes Adamik starb 2005. Seit 2012 trägt die zum SVS-Stadion führende Straße seinen Namen.


Relikt aus legendären Oberligatagen: Ein Wimpel des SV Sodingen.

als Spieler und Fans im Stadion vereint. Mit der Folge, dass der SV Sodingen zum Mittelpunkt des Sodinger Lebens avancierte. Kein Wunder, dass sämtliche Versuche der Stadt Herne, eine Fusion zwischen Westfalia und SVS zu erreichen, am Widerstand der Sodinger scheiterten. Lediglich die Aufnahme des Zusatzes „Herne“ in den Vereinsnamen ließ man sich anno 1954 für ein lächerliches Darlehen abkaufen. Mit dem Aufstieg in Westdeutschlands Eliteliga kamen aber auch Probleme. Ein neues, oberligataugliches Stadion musste her. Die Stadt Herne bot den Bau einer entsprechenden Arena im Herner Kerngebiet am Stadtgarten an, was von den Grün-Weißen entrüstet zurückgewiesen wurde. Sie wollten natürlich in Sodingen bleiben. Gemeinsam mit der Zeche errichtete man schließlich die heutige Anlage an der Ringstraße. Ihre ersten Oberligaspiele mussten die Grün-Weißen allerdings auf „feindlichem Boden“ am Schloss Strünkede austragen. Der Klassenerhalt war dennoch kein Problem, und 1955 erlebte der SVS den Höhepunkt seiner Vereinsgeschichte: westdeutscher Vizemeister hinter Rot-Weiss Essen. Nicht nur in Herne war man neidisch. In der Qualifikation zur Endrunde um die Deut222

Mit den Zechen starben die Vereine

sche Meisterschaft setzten sich Konopczinski und Co. problemlos gegen Wormatia Worms und den SSV Reutlingen 05 durch und durften sich zur Belohnung in den Gruppenspielen mit dem 1. FC Kaiserslautern, dem Hamburger SV und Viktoria 89 Berlin messen. Trotz lediglich einer Niederlage in sechs Spielen reichte es nach dem abschließenden 1:1 vor 50.000 Fans gegen den HSV in Köln-Müngersdorf nicht zum großen Traum eines westdeutschen Finales um die „Viktoria“ gegen RotWeiss Essen. Dennoch: Sodingen war ein überall bestauntes Wunder. Ein Haufen namenloser Bergmänner forderte Deutschlands Eliteklubs heraus! Die Fußballwelt außerhalb des Ruhrgebiets, wo der SV Sodingen längst Lieb-

ling der Massen war (Ausnahme: Stadtgebiet Herne), hatte freilich ihre Probleme mit der „Knappenelf “. Nicht nur, dass aus Sodingen oft „Solingen“ wurde, man stellte außerdem die ebenso einfache wie falsche Gleichung „Knappenelf = Klopperelf “ auf. Bundestrainer Herberger drückte es immerhin etwas diplomatischer aus und meinte: „Der SV Sodingen ist wohl die einzige deutsche Mannschaft, die mit englischer Härte spielt.“ Die fehlende Lobby im „großen Fußball“ sollte nicht nur in der DM-Endrunde zum Problem werden. Umstrittene Schiedsrichterentscheidungen – ein nicht gegebener Treffer im Hamburger Volksparkstadion erregt noch heute die Gemüter –, zweifelhafte Verbandsbeschlüsse und eine insgesamt spürbare Skepsis gegenüber dem Zechenklub ließen schwere Zeiten anbrechen. 1957 zog der DFB dem SVS mehrere Punkte wegen Verstoßes gegen das Vertragsspielerstatut ab – fast jeder Klub arbeitete damals mit schwarzen Kassen, doch ungleich der in der Regel lediglich ermahnten bürgerlichen Konkurrenz griff man im Falle Sodingen durch. 1959 kam der Abstieg aus der Oberliga, und als die Nachfolgegeneration nicht an die große Ära von Konopczinski und Co. anknüpfen konnte, wurde aus dem „Wunder Sodingen“ rasch die „Legende Sodingen“. Der Abstieg markierte aber auch einen tiefen Einschnitt in die deutsche Fußballgeschichte. Denn Sodingen war der letzte „Vorortverein“, der überwiegend mit einheimischen Spielern in die Elite vordringen konnte. Nun begann das Zeitalter der „Legionäre“, und da war für einen Klub wie den SV Sodingen kein Platz mehr. Doch auch nach dem Absturz blieb Sodingen Sodingen – und ist es bis heute. Selbst wenn es in der Verbandsliga nur noch gegen Obersprockhövel oder Hennen geht. Denn die Legende von Leo Konopczinski und Hännes Adamik – die wird nie untergehen. Hardy Grüne


Mythen vom Schloss und vom Felsenstein

Lokalderby

Herne

Im Grunde genommen verfügt Herne über alle Voraussetzungen für eine Fußballhochburg. Das Stadtgebiet ist dicht besiedelt, mit dem innenstadtnahen Schloss Strünkede gibt es eine traditionsreiche Spielstätte und mit dem SC Westfalia von 1904 e.V. einen Klub, der zu seinen großen Zeiten die ungebremste Leidenschaft seiner Fans und den Respekt seiner Gegner auf sich zog. Doch statt zur jüngst in die Sechstklassigkeit abgestiegenen Westfalia zu gehen, schwärmen die Jungs und Mädels in der Herner Flaniermeile Bahnhofstraße lieber von deutsch-türkischen Popstars und diskutieren allenfalls mal über Schalkes (wahlweise Dortmunds) Aussichten in der Bundesliga. Der Westfalia bleibt da nur die Rolle als Synonym für die Krise des bezahlten Amateurfußballs, für die der Klub bundesweit in der Berichterstattung regelmäßig hervorgekramt wird. Nichts spiegelt die Tristesse vieler Traditionsvereine offenbar besser wider als der SC Westfalia 04 Herne.

Der Mythos vom Schloss

Früher, als alles noch besser war, schieden sich die Geister der Herner Fußballfans an der Westfalia. Einst von betuchten Herner Bürgern gegründet, galt der Klub als städtischer Repräsentationsverein, wenngleich Bergund Stahlarbeiter über weite Strecken einen Großteil der Aktiven stellten. Das proletarische Etikett freilich trug Lokalrivale SV aus dem 1928 eingemeindeten „Vorort“ Sodingen. Hier wie dort pflegte man eine herzhafte Abneigung, die sich über Jahrzehnte durch die Geschichte der beiden Vereine zog.

Entgegengesetzte Welten: „Stadion mit Schloss“ und „Zeche mit Stadion“. Dieses Lokalderby aus der Luft macht die soziale Kluft zwischen Westfalia Herne (oben) und dem SV Sodingen (unten) besonders deutlich. Kein Wunder also, dass in den Begegnungen beider Mannschaften viel Zündstoff lag.

Herne

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Amateurhafte Rahmenbedingungen Der Herner Spieler Horst Wandolek über unzureichende Strukturen und überforderte ehrenamtliche Vorstände im Spitzenklub Westfalia Herne im Jahr der Westdeutschen Meisterschaft (1959): „Die Strukturen des Vereins konnten mit der sportlichen Entwicklung der Mannschaft nicht mithalten. Unsere Umziehmöglichkeiten waren eine Katastrophe: eine Toilette und drei Duschbrausen. Eine Betreuung gab es fast gar nicht. Die Leute vom Vorstand haben sehr viel für den Verein getan, aber sie kamen an ihre Grenzen und konnten den Erfolg nur noch verwalten. Es gab keine Initiativen, keine neuen Ideen. Denken Sie mal: Donnerstags gab es ein doppeltes Butterbrot mit einem Ei drauf und einer Flasche Milch, die in einem Waschbottich warm gemacht wurde. Es hat sich nie einer beklagt, weil alle bescheiden waren und von der Fußballeuphorie lebten. Bis Tilkowski und Benthaus durch den Kontakt mit der Nationalmannschaft auch anderes kennenlernten, dass die Spieler zum Beispiel bei Spielersitzungen warmes Essen bekamen. Das ist alles in Herne erst ein Jahr später eingeführt worden. Und die Trainingsmöglichkeiten waren mehr als bescheiden. Auf dem Aschenplatz hatte man drei Leuchtstofflampen installiert, damit wir im Winter überhaupt trainieren konnten. Für die Westmeisterschaft gab es 1.000 Mark pro Spieler und darüber hinaus noch etwas von den Sponsoren: von Coca-Cola gab es eine Ledertasche und eine Flasche Cola; von Adidas und Puma kriegte jeder zwei Paar Schuhe, die damals sogar noch der Vorstand vereinnahmen wollte, und nur dank Hans Tilkowski, der dazwischengegangen ist und die Sachen als persönliches Gut der einzelnen Spieler einforderte, durften wir die behalten.“ (Quelle: Ralf Piorr (Hrsg.), Viel mehr als nur ein Spiel. 100 Jahre SC Westfalia 04 Herne. Herne 2004. S. 123-124.)

1934 erwarb die Westfalia mit einem 2:1 beim FC Schwelm 06 die Befähigung für die Gauliga, in der sie 1937 hinter Schalke 04 Vizemeister wurde. 1934 war zudem unweit des namensgebenden Schlosses Strünkede ein modernes Stadion eingeweiht worden. 1938 warf man dort die ruhmreiche Hamburger Victoria aus dem Pokal und rang Schalke 04 wenig später ein achtbares 0:0 ab. Nach dem Krieg verschwand der Klub zunächst in der Versenkung, ehe 1954 der Sprung in die legendäre Ober224

Mit den Zechen starben die Vereine

Spektakuläre Szene vom Endrundenspiel gegen den Hamburger SV am 28. Mai 1960.

Gegen Borussia Neunkirchen gewann die Westfalia am 21. Mai 1960 mit 2:1.

liga West gelang. Nach vier Jahren mühsamer Akklimatisation im Oberhaus glückte mit der Verpflichtung des ehemaligen Soldaten Fritz Langner als Trainer der entscheidende Schritt in Richtung Erfolg. Der „eiserne Fritz“, wie er wegen seines Kasernenhoftons genannt wurde, krempelte den Verein komplett um. Er ersetzte überalterte Recken durch unverbrauchte Kräfte und holte mit ihnen 1959 völlig überraschend die Westdeutsche Meisterschaft nach Herne. Das Meisterteam um Tilkowski, Burkhardt, Clement, Pyka, Kellermann, Benthaus, Overdiek, Kraskewitz, Wandolek, Sopart und Losch ist bis heute eine lokale Legende, die jedem jungen Westfalia-Fan

wie eine Sage aus einer fernen Zeit und aus einem fernen Land vorkommen muss. Sogar Nationalspieler trugen damals das blau-weiße Hemd mit dem springenden Ross: Benthaus, Pyka und Tilkowski kamen auf insgesamt 27 DFB-Einsätze, ehe sie anderswo ihre Karrieren fortsetzten. Doch die Blütezeit der Westfalia war kurz. Als hochklassiger Fußball mit Einführung der Bundesliga zu einem Wirtschaftszweig wurde, konnte die Westfalia mit ihren antiquierten und an einen Familienbetrieb erinnernden Strukturen weder wirtschaftlich noch organisatorisch mithalten. Nach nur fünf Jahren der Euphorie zog daher ab 1963 wieder Gleichmut ins Stadion


Erhard Goldbach wollte die Westfalia in die Bundesliga bringen.

am Schloss Strünkede ein. 1968 gar aus der Regionalliga West absteigend, geriet die Westfalia anschließend wie so viele Vereine in einen Teufelskreis aus überhöhten Ansprüchen, Profilierungssucht und kontinuierlich sinkendem Zuschauerinteresse. Der Klub tat sich schwer, seinen Niedergang zu akzeptieren, und fiel wohl genau deshalb Mitte der 1970er Jahre auf Erhard Goldbach herein. Der hatte sich mit der Petrolfirma „Goldin“ ein kleines Vermögen verdient, das er nun in den nach Höherem strebenden Herner Traditionsklub steckte. Er pumpte derart viel Geld in den maroden Verein, dass die 1975 in die 2. Bundesliga aufgestiegene Westfalia 1978/79 mit ihren Stars Abel und Etterich sogar zu den

Spiel Westfalia Herne gegen Preußen Münster in der 2. Bundesliga im April 1977. Noch leuchtet der Name „Goldin“.

Topfavoriten für den Aufstieg in die Bundesliga zählte. Sollte Herne endlich wieder im Konzert der Großen mitmischen können? Nein, denn der „Gold-Bach“ versiegte ebenso schlagartig wie unerwartet, und weil es der einzige Geldstrom war, auf den die Westfalia gesetzt hatte (bis hin zur Namensänderung in „Westfalia Goldin“), ging es gleich richtig den Bach herunter. Im August 1979 war Erhard Goldbach plötzlich verschwunden. Bald stellte sich heraus, dass seine Firma, auf deren Gehaltsliste unter anderem neun Westfalia-Spieler standen, pleite war und Schulden in Höhe von 175 Mio. DM aufwies. Während Interpol nach Pleitier Goldbach suchte, gingen in Herne die Fußball-Lichter aus. Nach dem ersten Saisonspiel 1979/80 gab der vermeintliche Bundesliga-Aspirant seine Profilizenz zurück und kickte anstelle von Rot-Weiß Lüdenscheid übergangslos – damals ging das so einfach! – in der Oberliga Westfalen weiter. Nur dem Kraftakt einiger altgedienter Vorständler war es zu verdanken, dass der Konkurs vermieden werden konnte. Doch es schien ein Tod auf Raten zu sein, denn 1990 verschwand die Westfalia erstmals im Niemandsland der Viertklassigkeit. Abermals drohte der Konkurs, doch abermals rappelte sich der Traditionsklub dank einiger tatkräftiger Männer auf. 1999 gelang unter Präsident Stieneke sogar die Rückkehr in die Oberliga. Prompt wurde das marode Stadion restauriert und die Mannschaft mittels bulgarischer Geldgeber spieltechnisch aufgepäppelt.

Doch das Happy End blieb aus, und nach Jahren des wirtschaftlichen und sportlichen Kampfes ging 2015 erneut der Oberligastatus verloren, steht die Zukunft des nunmehr in die Sechstklassigkeit abgerutschten Klubs einmal mehr in den Sternen. Bemerkenswert übrigens die Dichte an renommierten Fans des SC Westfalia: Mit Schauspieler Joachim Król, Regisseur Sönke Wortmann, ZDF-Journalist Michael Steinbrecher sowie Fußball-Publizist Christoph Biermann sind gleich vier prominente Namen in der Herner Anhängerschaft verzeichnet.

Zwischen Wanne und Eickel

Abseits des lokalen Gigantenkampfes zwischen der bürgerlichen Westfalia und dem proletarischen SV Sodingen („Westfalia war immer die Nummer 1“, musste man selbst in Sodingen zähneknirschend zugeben) hat sich hochklassiger Fußball in der Emscherstadt schwergetan. WanneEickel wäre zu nennen, wenngleich die Stadt erst 1975 unter geharnischten Protesten der Wanner und der Eickler nach Herne eingemeindet wurde. Drei Jahre später stürmte der Deutsche Sport-Club (DSC) in die 2. Bundesliga Nord. Kurios die Vorgeschichte des 1969 gebildeten Klubs, dessen Gründer der millionenschwere Bauunternehmer Robert Heitkamp war. Seine Motivation? „Mit großer Sorge muss die Entwicklung in der deutschen Jugend, insbesondere der Studenten, von der Party- und Beat- über die Sex-Welle bis hin zu den heutigen Krawallen an den Universitäten aus politischen Motiven und ihre Einstellung der älteren Generation gegenüber, betrachtet werden.“ Die 68er lassen grüßen, und unter diesem Aspekt kommt der gewählten Vereinsbezeichnung „Deutscher SC“ plötzlich eine ganz andere Dimension zu. Dass Heitkamps konservativ-nationaler Ansatz zum Erfolg führte, war nicht zuletzt der vorzüglichen Nachwuchsarbeit der SchwarzGelben zu verdanken. Herne

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Revierderby bei RWE – am 30. Mai 1980 unterlag der DSC Wanne-Eickel mit 1:3 an der Hafenstraße.

Doch die Ära des Profifußballs in Wanne-Eickel war kurz. 1980 hatte sich das Feierabendprofiteam um Torjäger Norbert Lücke sportlich bestens im bezahlten Fußball etabliert, als Heitkamp die Reißleine zog: freiwillige Lizenzrückgabe. Begründung: Profifußball in Wanne-Eickel rechne sich nicht. Dabei hatte man zu Saisonbeginn noch mit einer gewissen Genugtuung zugesehen, wie beim Nachbarn Westfalia Herne die Profilichter ausgingen, und sich gefreut, nun erstmals die Nummer 1 in Herne zu sein. Mit dem Rückzug ging das Aus für die höherklassigen Ambitionen im Sportpark Wanne-Süd einher, denn solange Heitkamp den Klub führte, war an Wiederaufstieg nicht zu denken. „Es war jedem klar, dass die Fußballer nicht aufsteigen sollten, und 226

Mit den Zechen starben die Vereine

so verwischen sich die Saisonverläufe“, erläuterte der langjährige Abteilungsleiter Pannhorst gegenüber Reviersport. So blieb das Erreichen des Endspiels um die Deutsche Amateurmeisterschaft 1985 (0:3 gegen Werder Bremen Amateure) der einzige Höhepunkt einer von Gleichmut geprägten Epoche. Als sich Heitkamp Anfang der 1990er Jahre aus dem operativen Geschäft zurückzog, verschwand der Jugendklub von Uli Borowka sogar in der Verbandsliga, stand 2000 kurz vor dem Finanzcrash und musste 2003 erstmals in die Landesliga. Anschließend bildete sich ein Konsortium um den Wanner Geschäftsmann Gerd Pieper und Ex-Zweitligakapitän Norbert Lücke, das das DSC-Schiff wieder auf Kurs brachte. 2005 kehrten die Schwarz-Gelben in die Verbands-

liga zurück und reaktivierten sogar ihr Publikum. „Der ehemalige Retorten-Verein ist jetzt auf dem besten Weg, sich eine neue und eigene Identität zu schaffen“, staunte die WAZ, als der DSC 2006 sportlich die Rückkehr in die Oberliga perfekt machte. Doch die Vergangenheit holte die Wanner ein: Der DSC-Vorstand hatte die Lizenzunterlagen nicht eingereicht, und so blieb man in der Verbandsliga, wo der Klub bis heute kickt. Fasziniert hat der DSC immer nur wenige, denn eigentlich hat der Wanner Fußball die Fusion zwischen Turnerbund Eickel (ab 1949 in der Vertragsspielerliga 2. Liga West) und Preußen Wanne im Dezember 1950 nie richtig verdaut. Die damals gebildeten Sportfreunde verteidigten Eickels Zweitligastatus noch zwei Spiel-


zeiten lang, ehe es 1952 eine Etage tiefer ging und man 1955 sogar aus der Verbandsliga abstieg, um anschließend im bunten Einerlei der vielen kleinen Klubs aus Holthausen, Börnig oder Crange zu verschwinden.

10.000 am Röhlinghauser „Stratmanns Hof“

Wahre Legenden ranken sich um den SV Röhlinghausen, der sich in den späten 1930er Jahren das Recht erkämpfte, mit dem FC Schalke 04 in der Gauliga um Punkte zu streiten und der mit dem Sprüchlein „Fest wie Felsenstein steht der Spielverein!“ für sich warb. Die Schwarz-Grünen von „Stratmanns Hof “, aus deren Reihen unter anderem der spätere Schalker Nationalspieler Hermann Eppenhoff hervorging, hiel-

ten seinerzeit erstaunlich gut mit im Konzert der Großen. 1943 wurde man hinter Dauermeister Schalke und Zechenklub VfL Altenbögge sogar Dritter. Röhlinghausen, eigentlich zu Wanne-Eickel gehörend und damit ab 1975 (unfreiwillig) Ortsteil von Herne, war in jenen Jahren von der Zeche Königsgrube geprägt, deren Schacht Luise die Silhouette beherrschte. Der 1924 aus einer Fusion entstandene Spielverein war als proletarisch geprägter Klub eng mit der Zeche verbunden. Vorsitzender Hempel, der den Verein durch die erfolgreichen 1930er Jahre führte, war Obersteiger und stellvertretender Betriebsführer auf Königsgrube. Nach dem Krieg ging es mit dem Röhlinghauser Wunder rasch zu Ende. Zehn Spieler waren auf den Schlachtfeldern geblieben, der Sportplatz zerstört, die Kasse leer. 1950 wurde dem SVR aus finanziellen Gründen die Lizenz für die 2. Liga entzogen, woraufhin der Westdeutsche Spielverband eine Fusion mit dem ebenfalls klammen Turnerbund Eickel anregte, die jedoch mit 130:1 Stimmen entrüstet abgeschmettert wurde. Protestierend zogen Röhlinghauser Fans seinerzeit per Fackelmarsch durch den Ort. 1948 erlebte „Stratmanns Hof “ anlässlich des Spitzenspiels zwischen Spielverein

Mannschaftsfoto des SV Röhlinghausen, 1937.

und Turnerbund mit über 10.000 Zuschauern noch einen letzten Besucherrekord – entlang der Straße waren seinerzeit fliegende Händler mit belegten Brötchen zur Beköstigung der Fans aus beiden Lagern unterwegs –, dann neigten sich die großen Zeiten ihrem Ende zu. Zwar gelang den Schwarz-Grünen 1951 der sofortige Wiederaufstieg, der zugleich den Gewinn der Westfalenmeisterschaft der Amateure bedeutete, doch finanziell und sportlich vermochte der kleine Vorortverein im Konzert der Großen einfach nicht mehr mitzuhalten. 1955 gab es mit einer spektakulären 4:7-Niederlage im WSV-Pokal bei Fortuna Düsseldorf noch einen letzten Höhepunkt, dann war endgültig Schluss. Talente wie der spätere Amateurnationalspieler Heiner Kördell verließen Röhlinghausen, und als 1960 sogar die Spielberechtigung für die Amateurliga verloren ging, zog Tristesse ein an „Stratmanns Hof “. 1969 der nächste Rückschlag, als der einstige Gauligist in die Kreisklasse abstürzte. Mit dem Abstieg in die Kreisliga C 2015 hat der Traditionsklub nun einen weiteren Tiefpunkt erreicht. Von wegen: „Fest wie Felsenstein steht der Spielverein!“… Hardy Grüne


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