Leseprobe – Die Helden von 66

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Gregor Schnittker

DIE HELDEN VON

VERLAG DIE WERKSTATT

66

Erster deutscher EuropapokalSieger Borussia Dortmund


Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Pokal-Endspiel 22. Mai 1965 – 2:0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Floriana FC – BVB 29. September 1965 – 1:5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 BVB – Floriana FC 10. Oktober 1965 – 8:0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 BVB – ZSKA Sofia 10. November 1965 – 3:0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 ZSKA Sofia – BVB 24. November 1965 – 4:2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Atlético Madrid – BVB 16. Februar 1966 – 1:1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 BVB – Atlético Madrid 2. März 1966 – 1:0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 West Ham United – BVB 5. April 1966 – 1:2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 BVB – West Ham United 13. April 1966 – 3:1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 BVB – Liverpool FC 5. Mai 1966 – 2:1 n.V.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133


Pokal-Endspiel 22. Mai 1965 – 2:0

Der Spätsommer 2015 gibt noch einmal zusammengestellt habe, so Lothar Geisler, alles. 34 Grad in Koblenz. Im Grunde ist es von 1959 bis 1967 Verteidiger beim BVB. so wie damals im Frühsommer 1965 in Han„Herbert Sandmann war ganz wichtig. nover, mit unerträglicher Hitze und Schwüle Wir spielten ja auch noch in der Reserve auf einer Sportanlage. Damals, 50 Jahre ist zusammen. Er war als Verteidiger ein Vorbild es jetzt her, war es das brütend heiße Niederfür mich, neben Max Michallek. Dann wurde sachsenstadion, heute ist es in praller Sonne Herbert unser Obmann und blieb ganz nah die Tennisanlage des VfR Eintracht Karthause. dran am Team. Er war wie einer von uns. PrakDer Termin ist unglücklich gewählt, wie sich tisch der 12. Spieler. Er sorgte auch für gute herausstellt, weil der berühmte Borusse auch Laune, aber vor allem entdeckte er Talente jetzt, mit knapp 80, noch als Tennislehrer und viele von denen, die in Glasgow siegten. arbeitet und einen kompletten Trainingstag Heute könnte man ihn als einen frühen hinter sich hat. Es ist früher Abend. Bernhard Manager des BVB bezeichnen.“ Wessel hat eine Wasserflasche unter dem Nun findet Sandmann im Sommer 1959 Arm, und schon der erste Wortwechsel macht Gefallen an diesem Bernhard Wessel, so dass klar, wer hier das Sagen hat. der den Verein, nicht aber die Farben wech„Und? Sind Sie der Journalist aus Dortselt. Von der traditionsreichen, auch schwarzmund?“ gelben TSG Rheda geht es für den nur 1,75 „Ja, das bin ich. Guten Abend, Herr Meter (nicht so) großen Torwart zum BVB. Wessel.“ Der Verein besorgt ihm eine Wohnung in „Ja, dann kommen Sie mal. Ich stehe hier Wellinghofen. Später wird Wessel im Stadtteil seit 9 Uhr auf dem Platz. Kommen Sie, wir Wickede einen Bungalow bauen, in Nachbargehen in die Kabine. Die Gastronomie hat schaft der Kollegen Cyliax und Geisler. Eine schon zu.“ Zeit, in der die drei Abwehrstrategen auch „Einen Moment bitte. Ich muss noch in der dritten Halbzeit ein eingeschworenes Technik mitnehmen.“ Team sind. Nicht selten, so Lothar Geisler, „Ach, was brauchen Sie für eine Technik. geht der Spieltag in die Verlängerung. „Ich war mit Bernhard und Gerd noch oft Ich erzähle Ihnen doch alles.“ auf einen Absacker in der Kneipe hier. ‚Zum Bernhard Wessel ist Jahrgang 1936, Warsteiner‘ heißt die. Die liegt nur 500 Meter kommt aus dem Münsterland, spielt in der entfernt. Da haben wir das Sauerländer Bier Jugend für die SG Sendenhorst. Beruflich probiert. Und sieh an, manchmal schmeckte lernt er Möbeltischler, in der Freizeit steht er zwischen Holzpfosten oder fliegt davor herum, es besonders gut. Da fuhren wir trotzdem mit Bernhards Auto noch nach Hause, die und das so dermaßen gut, dass er als westfälischer Auswahl-Torhüter dem BVB-Obmann kurze Strecke mit seinem kleinen Fiat 850. Da passten wir kaum rein, aber egal. Einmal, auffällt, Herbert Sandmann. Der hat als eheda war es schon fast hell. Damals fuhren maliger Spieler ein Auge für Talente, wofür höchstens drei Autos durch Wickede. Das auch Wessels spätere Mannschaftskamevierte war dann schon der Peterwagen. So raden wie Theo Redder oder Wolfgang Paul kam es. Polizeikontrolle. Den einen Polizisten gute Beispiele sind. Sandmann ist das, was kannten wir gut, und man mochte sich. Das viele ein „Diamantenauge“ nennen. Er dürfe war kein Problem. Aber der hatte so einen in schwarzgelben Chroniken nie unerwähnt bleiben, wenn es um die Frage ginge, wer die jungen Auszubildenden dabei, und der späteren Helden von Glasgow als Mannschaft machte direkt Alarm. Das ging hin und her. Pokal-Endspiel · 22. Mai 1965

Borussia Dortmund: Tilkowski, Cyliax, Redder, Kurrat, Paul, Straschitz, Wosab, Sturm, Schmidt, Konietzka, Emmerich Alemannia Aachen: Prokop, Krisp, Nievelstein, Hermandung, Thelen, Breuer, Gronen, Nacken, Martinelli, Glenski, Krieger Zuschauer: 65.000 Tore: 1:0 Aki Schmidt (10. Min), 2:0 Lothar Emmerich (18. Min)

Bernhard Wessel auf seinem Tennisplatz, 31. August 2015.

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Autogrammkarte von Bernhard Wessels

Von links: Wolfgang Paul, Willi Sturm, BVB-Obmann Herbert Sandmann, Lothar Geisler.

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Dann plötzlich simulierte der ältere Schupo einen Anruf und rief den jungen Kollegen zum Polizeiauto. Es gäbe einen Banküberfall. ‚Aber die drei hier sind doch total strunckelig‘, meinte sein Lehrling. Da schaute ihn der Ältere streng an und fragte, was denn wohl wichtiger sei. Damit hauten die ab. So kamen wir aus der Nummer noch mal raus (lacht).“ Zurück ins Klubhaus des Tennisvereins. Bernhard Wessel berichtet von seinem Enkel Mike, zeigt lächelnd ein Handyfoto von einem Baby in einem zu großen BVB-Trikot. Dann erzählt er von 1963, von der Meisterschaft im letzten Oberligajahr. Er habe ein großartiges Finale gespielt gegen Köln, sei als Nachfolger von Kwiatkowski unumstrittener Stammtor-

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wart gewesen. Vor allem seine spektakulären Paraden hätten den Fans, aber auch den Mitspielern gefallen. Genau so hat es wenige Tage zuvor Lothar Geisler erzählt in seinen Erinnerungen an „den fliegenden Schreiner aus Rheda“. „Bernhard konnte fliegen wie kein Zweiter. Er holte die Dinger aus dem Winkel. Überragend. Schwierig war für ihn, dass er mit Tilkowski einen Klassemann vor die Nase gesetzt bekam. Wenn wir Abschlusstraining hatten, holte Bernhard die Granaten aus dem Knick, von Emma oder Zange Wosab. Hans dagegen ging zur Seite und pflückte die Bälle. Er hatte ein starkes Stellungsspiel, war ein ganz anderer Typ. Bernhard flog von einer Ecke in die andere. Von der Leistung tat sich das nicht viel. Bernhard Wessel aber war durchaus ein Publikumsliebling.“ Wessels Augen strahlen, als wir über seine Zeit beim BVB sprechen. Es riecht nach Männerschweiß in der Tenniskabine, nach feuchten Socken und Duschgel. „So wie damals in der Roten Erde“, sagt Wessel. Auch wenn er heute im Südwesten lebt, habe er Dortmund im Herzen behalten, die Stadt und den Verein. Dann sagt er: „Schön, dass mal einer kommt aus der alten Heimat“, und erzählt von Hermann Eppenhoff, seinem Trainer von 1961 bis 1965. „Nach Max Merkel, der für mich untragbar war, weil er uns mit seinen Übungen permanent langmachte und auch menschlich schlecht behandelte, kam mit dem Eppi ein Kumpeltyp. Der sagte in seinen ersten Tagen zu mir: ‚Komm Bernhard, steig ein, wir fahren


nach Holland ans Meer, trinken einen Genever, springen ins Wasser und machen einen Ausflug.‘ Das war ein Freund. Für den bist du freiwillig gelaufen. Eppenhoff war für mich der wertvollste Trainer.“ Trainiert wird meist auf dem Nebenplatz. Dort, wo später das Westfalenstadion gebaut wird. Anders als Vorgänger Merkel nimmt sich Eppenhoff auch für das Torwarttraining viel Zeit. „Der Eppi ging mit mir nach dem Training noch zur Sandgrube. Dann legten wir los. Da kam Begeisterung auf. Wir wussten, dass er bei Schalke ein Guter war. Das konntest du ihm auch anmerken, wie er mit dem Ball umging. Wenn es nicht lief, sagte er deutlich seine Meinung. Aber er vertraute mir. Der Titel 1963 war natürlich der Höhepunkt. Ich war die Nummer 1 beim Meister. Dann auf einmal hieß es, der BVB holt einen neuen Torhüter. Das war Hans Tilkowski, und der kam als Nationalspieler. Da war ich natürlich stocksauer. Im Grunde passte es mit Til und mir auch von Anfang an nicht. Aber gut, so ist es manchmal in Mannschaften. Das muss ja den Fußballer alles machen, wenn die zu viel Zeit Erfolg nicht schmälern.“ haben?“ Bereits am Mittwoch vor dem Pokalfinale Während große Teile der Mannschaft ’65 sind die Borussen mit dem D-Zug nach oben feixen und Alex Kattler sein Zimmer Hannover gereist. Dank Busfahrer Jüppi lüftet, ohne dass sich der Geruch hinwegWittlake, der vorgefahren ist, geht es pünktwehen lässt, trifft Hermann Eppenhoff unten lich weiter in die Sportschule Barsinghausen im Konferenzraum eine Entscheidung, über und abends ins Kino. Clint Eastwood zeigt die er lange nachgedacht hat. Sie hatten am sich als Revolverheld unerschrocken in „Für Mittag am Endspielort trainiert, sich danach eine Handvoll Dollar“. Ganz anders ist am jeder für sich ein schattiges Plätzchen nächsten Morgen die Gemütslage bei Masgesucht. Eppenhoff muss sich im Sturm zwiseur Alex Kattler. Er ist Opfer eines Streichs geworden. Verantwortlich dafür sind die unge- schen Timo Konietzka, Lothar Emmerich und Franz Brungs entscheiden. Letzteren lässt er wöhnlich warme Witterung und unbekannte Täter aus den Reihen der Spieler. Aki Schmidt draußen, obwohl Brungs mit 14 Toren in 29 Bundesligaspielen eine gute Saison spielt. Für kann dazu präzise Angaben machen. den BVB auflaufen aber wird er nicht mehr, „Es war ja sehr heiß damals. Der Alex hatte oben sein Zimmer. Das war ja da umso wechselt nach der Saison nach Nürnberg. schlimmer. Da haben einige Harzer Roller Auch Bernhard Wessel ist deprimiert, denn im aus der Küche geklaut, diesen fürchterNotizblock des Trainers steht „Tor: Tilkowski“. lichen Stinkkäse. Im ganzen Haus stand die Eppenhoff wird Wessel draußen lassen, Luft, aber beim Alex konntest du es gar nicht obwohl der in dieser Pokalrunde alle Spiele mehr aushalten. Unter seinem Bett war der gemacht hat. Käse befestigt. Das konnte keiner auf Anhieb „Wie es mir erzählt wurde, weiß ich nicht sehen. Das hat vielleicht gestunken in seinem mehr. Ich war natürlich enttäuscht. Ich bin Zimmer. Bei 50 Grad und mehr sagten wir: mit der Tatsache konfrontiert worden. Fertig. ‚Hey Alex, was ist denn bei dir los?‘ Wir hatten Mehr nicht. Eine Erklärung wäre schön unseren Spaß (lacht). Was glaubst du, was gewesen, aber das nahm ich Eppenhoff nicht Pokal-Endspiel · 22. Mai 1965

Bernhard Wessel in Aktion.

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krumm. Natürlich wollte ich spielen. Ich bin vom Grundsatz her gut empfangen Sonst wäre ich kein Sportler. Es tat dem worden, aber es gab auch die eine oder Eppi auch sichtlich leid. Es gab immer andere Stimme, die sagte: ‚Na ja, mit Wessel mal Angebote, aber wechseln sind wir Meister geworden.‘ Es gab auch kritiwollte ich nicht. Ich fühlte sche Stimmen, vielleicht auch Missgunst, was mich trotzdem in dieser mein Einkommen anging als Nationalspieler. Truppe wohl. Wir waren Das ist aber auch normal in gewisser Weise. eine eingeschworene Aber am Anfang war es nicht einfach. Ich Gemeinschaft, auch wusste, dass Bernhard den Heini Kwiatkowski wenn Hans und ich beerbt hatte, dass er Qualitäten hatte, dass wenig miteinander er ein Torwart war mit spektakulären Paraden. anfangen konnten. Ich folgte mehr der Maxime Herbergers, dass Vielleicht waren wir ein Torhüter dort zu stehen hat, wo der Ball dickköpfig wegen hinkommt. Er predigte ein sachliches Torwartder Konkurrenz, spiel. Ausschlaggebend im Duell mit Bernhard so dass wir keine war auch das Spiel in Lissabon. Da standen wir Freunde wurden. Ich unter Dauerbeschuss. Benfica war stark. Es war habe ihm aber nie vielleicht das beste Spiel, das ich für den BVB eine schlechte Leisgemacht habe. Dass wir nur 1:2 verloren, lag tung gewünscht und dass wegen der vielen Lattentreffer am Glück, aber wir verlieren, damit später einer auch an mir, weil ich so einen guten Tag hatte. den Wessel fordert. Das war Damit war ich für viele die Nummer 1.“ Allerdings bricht sich Tilkowski zum Rücknicht mein Stil.“ Hans Tilkowski, geboren rundenauftakt kurz vor Weihnachten 1964 1935 in einer Bergarbeiterdas Schlüsselbein. Fortan ersetzt ihn Wessel, familie in Dortmund-Husen, mit guten Leistungen. Der BVB wird am hatte sich 1963 gegen Saisonende Dritter hinter Köln und Meister Schalke entschieden und war Bremen, das dafür einem gewissen Willi Multvon Westfalia Herne zum BVB haup sehr dankbar ist, auch wenn dessen gewechselt. Die zu dieser Wechsel zum BVB schon beschlossene Zeit höchstmögliche TransSache ist. Im Pokal geben sich die Borussen fersumme von 50.000 DM ist keine Blöße. Bei Preußen Münster gewinnen er den Borussen wert, auch sie mit 1:0, bei Tennis Borussia Berlin mit 2:1. wenn sich nicht nur Wessel Damit haben sie zwei Regionalliga-Vertreter fragt, ob es dieses Wechsels ausgeschaltet, also Klubs aus der regionalen überhaupt bedarf. Obwohl Zweitklassigkeit. Im Viertel- und Halbfinale ist Trainer Eppenhoff ein Fan der BVB dann auch zu stark für gleich zwei von Wessel ist, kommt dieser Bundesligisten. Auf ein 2:0 in Braunschweig am souveränen Tilkowski folgt ein 4:2 über Nürnberg. Borussia steht nicht vorbei. Deshalb steht der im Finale, was bei einem Sieg die lukrative zur Bundesliga-Premiere in Teilnahme am Europapokal bedeuten würde. Bremen zwischen den Pfosten Was für eine großartige Perspektive für die und auch im Europapokal im November 1963 Zukunft. Das denkt auch Hermann Straschitz, bei Benfica Lissabon. Im Estádio da Luz macht Jahrgang 1940, im Sommer 1964 von ForTilkowski eines seiner besten Spiele, hält beim tuna Düsseldorf gekommen und einer der 1:2 sensationell gegen die seinerzeit stärkste weniger bekannten Namen beim BVB. Er freut Vereinsmannschaft der Welt. Im Rückspiel sich auf die nächsten Jahre in Dortmund, ist erlebt „Til“ dann einen ruhigen Abend beim bei Eppenhoff in den Monaten vor dem Finale legendären 5:0, einem der spektakulärsten Stammspieler und, so erinnert sich Lothar BVB-Spiele überhaupt. Geisler, ein guter Typ. „Für mich war ausschlaggebend, wieder in „Hermann Straschitz war auch ein Talent, meiner Heimat Dortmund Fußball zu spielen. das Herbert Sandmann entdeckt hatte. Er

Hermann Straschitz – damals und heute.

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sprach aber eine andere Sprache, hatte diesen rheinischen Dialekt. Er spielte im Mittelfeld sehr solide und fiel nicht ab. Im Gegenteil. Er hatte einen guten Schuss. Straschitz war Verbindungsmann zwischen Abwehr und Angriff. Wir spielten ja meist WM-System. Da war er ein wichtiger Baustein. Er war außerdem ein netter Kerl.“ Die Sache mit dem Dialekt hat sich auch 50 Jahre später nicht geändert. Hermann Straschitz lädt mich in seine Heimat nach Neukirchen-Vluyn ein. Die Reise ähnelt jener zu Bernhard Wessel. Während der aber noch zumindest sporadisch Kontakt zum BVB hat, ist Straschitz nach der Karriere nie wieder in Dortmund gewesen, obwohl der Pokalsieg sein größter Erfolg war. Später, im Mai 1966, gehört der Maschinenschlosser noch offiziell zum BVB, „aber als Europapokalsieger fühle

ich mich nicht, da war ich gedanklich schon bei Hannover 96“. „Ich hatte mit rechts einen guten Schuss und wunderte mich manchmal selbst, wie die Dinger reingingen. Vor allem Freistöße. Mit Effet um die Mauer oder auch stramm. Eppenhoff mochte mich und ich ihn. Ein wunderbarer Mensch. Meine Position war im Mittelfeld mit Willi Sturm und Hoppy Kurrat. Das hat gut geklappt, wobei ich etwas offensiver spielte als die beiden. Wir trainierten oft zweimal. Ich wohnte aber nie in Dortmund, sondern fuhr mit meinem grünen Ford Capri morgens hin, abends zurück. Immer schön über den Ruhrschnellweg. In der Mittagspause bin ich oft mit Timo Konietzka essen gegangen. Ich verstand mich mit allen gut. Auch mit Rudi Assauer. Die kamen gleichzeitig zum BVB. Assi war ein feiner Kerl. Im wahrsten

Bundespräsident Heinrich Lübke war 1965 das erste deutsche Staatsoberhaupt, das ein deutsches Pokalendspiel besuchte. BVB-Kapitän Aki Schmidt stellt ihm das Team vor.


Sinne des Wortes, weil der stand immer ewig vor dem Spiegel. Immer schön gestriegelt. Wenn wir rausgingen vor dem Spiel, dann machte er sich noch die Haare schön (lacht). Im Pokalfinale war er nicht dabei. Ich schon. Es war unfassbar heiß.“ Als Bundespräsident Heinrich Lübke mit einem Hubschrauber hinter der Haupttribüne landet, sind die Ränge mit 65.000 Zuschauern gefüllt, liegt die Hitze bleischwer im ausverkauften Niedersachsenstadion. Ziemlich schwer mit etwa 12 Pfund ist auch der Pokal, aufgebaut am Rande des Spielfelds. Ein monströser, edelsteinbesetzter Kelch aus Sterlingsilber und Feingold mit acht Liter Fassungsvermögen. Niemand hat ihn jemals gewonnen, denn es handelt sich dinglich um eine Premiere. Für das 23. Finale hat der DFB eine neue Trophäe anfertigen lassen. Endlich, möchte man sagen, denn die alte war benannt nach dem nationalsozialistischen Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten, von 1935 an Schirmherr für den damals neuen Vereinspokalwettbewerb. In seiner Form ein kleiner Henkelpott, wurde das Hakenkreuz nach dem Krieg durch das DFBLogo ersetzt und die Trophäe einfach weiterverwendet, ohne dass damit die symbolische NS-Patina hatte abfallen können. Für den BVB ist es die zweite EndspielTeilnahme nach 1963, als man als frisch gekürter Meister dem HSV an gleicher Stelle mit 0:3 unterlag und das Double verpasste. Auch Aachen steht nach 1953 (1:2 gegen Rot-Weiss Essen) zum zweiten Mal im Finale und hat als Regionalligist zudem gerade die Aufstiegsrunde zur Bundesliga erreicht. In den nach dem Finale anstehenden Qualifikationsspielen wird man letztlich aber Bayern München den Vortritt lassen müssen. Der Rahmen für ein großes Finale ist ideal. 16 DM haben die Fans auf der Sitzplatztribüne bezahlt, die Steher die Hälfte. Viele fiebern schon seit Stunden in praller Sonne dem Anpfiff des aus Oberligazeiten renommierten Westderbys entgegen. Es ist kurz vor 16 Uhr, als eine Bundeswehr-Kapelle die Nationalhymne spielt. Mit diesem Ablauf folgt der DFB dem englischen Vorbild, denn das FA-CupFinale gilt mit seiner Tradition im Weltfußball als eines der wichtigsten Spiele überhaupt. Dementsprechend stellen nun die Spielführer

Der neue DFB-Pokal (oben) löste den alten „TschammerPokal“ von 1935 ab.

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zum ersten Mal in dieser Form dem Staatsoberhaupt ihre Mannschaften vor. Während es in England die Queen ist, muss es hier in Ermangelung monarchischen Glanzes der Bundespräsident sein, von seinen heimatnahen Dortmundern freundlich empfangen durch Aki Schmidt. „Ich kannte Heinrich Lübke eigentlich nicht, wusste aber, dass er aus dem Sauerland ist. Er sah schlecht aus. Völlig fertig. Wegen der Hitze. Er sprach ja sowieso immer so langsam, und an dem Tag sprach er noch langsamer. Er sagte (Aki imitiert lachend Lübke): ‚Ja, ich habe diesen Sport auch schon mal betrieben‘, und ich dachte, was ist denn mit dem los? Boah ey, war der kaputt wegen der Hitze. Ich hatte Schiss, der fällt neben mir um, als ich ihm die Mannschaft vorstellte. Nur kurz den Namen gesagt, damit das vorwärts ging. Er hatte einen schwarzen Anzug an. Er tat mir echt leid.“ Kurz zuvor in der Kabine hatte ein DFBVertreter die Spieler gebeten, dem Bundespräsidenten nicht zu fest die Hand zu drücken, weil er diesbezüglich empfindlich sei. Timo Konietzka muss sich später nichts vorwerfen. „Ich habe ihm mit dem Mittelfinger die Handfläche gekitzelt, aber er hat sich nichts anmerken lassen.“ Hermann Straschitz: „Ich weiß noch, wie der Aki uns alle vorstellte. Da durfte ich dem Präsidenten die Hand drücken. Schweißnass. Es war ja sehr heiß. Es war auch nicht so leicht, dort zu spielen. Wir gewannen aber locker 2:0. Bei Aachen spielte der Christian Breuer mit. Der hatte auch einen guten Schuss. Christian hatte einen richtigen Pferdefuß. Da mussten wir schon aufpassen.“ Dieser Christian Breuer ist fußballerisch eigentlich zu gut für die Regionalliga, hat mit Köln 1962 die Meisterschaft gewonnen. Straschitz hat ihn gut im Griff, was wichtig ist, denn vor Breuer haben alle den größten Respekt. In unserem Telefongespräch erinnert er sich an Aachens damalige Strategie. „Dass wir gegen Dortmund im Finale standen, hatten wir uns verdient. Wir hatten immerhin Schalke am Tivoli im Halbfinale geschlagen. Ich machte das entscheidende Tor. Da war schwer was los. Deshalb haben wir uns auf das Finale sehr gefreut. Wir waren


zwar Außenseiter, weil die Regionalliga ja nicht so stark war, aber wir wollten trotzdem gewinnen. Aber an dem Finaltag war es zu heiß. Wir hatten einige Spieler, die konnten keine Sonne vertragen. Da dürfen Sie jetzt nicht lachen. Das war nicht lustig. Da tat jeder Atemzug weh. Unser Plan war, möglichst lange hinten dicht zu halten, die erste Viertelstunde gut zu überstehen. Das klappte leider nicht, und es entwickelte sich kein gutes Spiel. Schade, denn ansonsten wären wir im Europapokal gewesen (lacht).“ Das Spiel hat kaum begonnen, da steht es schon 2:0 für den BVB. Zunächst trifft Schmidt, weil die Aachener Abwehr eine miserable Abseitsfalle stellt. Über Konietzka kommt der Ball zum freistehenden Spielführer, der auf Prokop zuläuft und den Ball über den Torwart hinweg zum 1:0 ins Netz heben kann. Auch am zweiten Tor ist Aki beteiligt. Sein Anspiel am Aachener Strafraum nutzt Emmerich zu einem Fernschuss mit der berühmten „linken Klebe“, direkt ins obere rechte Toreck. Als Emmerich zu seinem Jubellauf Richtung Haupttribüne abdreht, erhebt sich dort nicht nur der Bundespräsident zum Applaus, sondern auch August Lenz. Später wird der BVB-

Alt-Internationale in der Westfälischen Rundschau zitiert: „Borussia wurde mit dem 2:0 zu schnell gut bedient. Danach haben es die Jungen eben langsam gehen lassen.“ Genau das missfällt den Zuschauern mehr und mehr, so dass es nach gut einer Stunde Pfiffe gibt und sogar „Aufhören“-Rufe. Aachen kann keine Gefahr ausstrahlen, der BVB verwaltet das Resultat. Weder die einen noch die anderen Schwarzgelben werden den Ansprüchen gerecht, wobei außer den Fahnen der beiden Fangruppen nichts Schwarzgelbes im Stadion zu entdecken ist, erinnert sich Aki Schmidt. „Wir hatten an dem Tag ausnahmsweise weiße Hemden an, weil wir auf andere Trikots ausweichen mussten. Wir wunderten uns, dass Aachen plötzlich auch anders aussah, nämlich rot-weiß. Keine Ahnung, wer sich da vertan hatte. Das Finale war im Grunde ein beschissenes Fußballspiel. Völlig klar. Wir haben uns später dafür entschuldigt, auch bei unseren Fans, die ja weit angereist waren. Aber es war nicht anders möglich. Aachen war zu schwach, wir machten früh die Tore, und das bei dieser brutalen Hitze. Es war so unfassbar heiß. Du konntest kaum zehn

Der BVB ist Pokalsieger. Aki Schmidt (mit Pokal) und das Team auf der Ehrenrunde.


Seines knappen Haarschnitts wegen wurde Friedhelm Konietzka auch „Timo“ gerufen – nach dem russischen General Timoschenko.

Oben: Wolfgang Paul Unten: Pokalsieger 1965 Oben v.l.: Tilkowski, Sturm, Paul, Emmerich, Redder, Trainer Eppenhoff. Unten v.l.: Straschitz, Wosab, Konietzka, Schmidt, Kurrat, Cyliax.

Meter laufen, dann musstest du dich erholen. Schon die Nacht davor hatten wir schlecht geschlafen, weil es so heiß war. Wir waren in Barsinghausen in unseren Etagenbetten. Timo Konietzka, Emma und ich. Emma fing nachts an zu spinnen. Der träumte immer so laut. Timo rief rüber: ‚Mann, halt die Klappe, Emma. Wir müssen schlafen.‘ Ich drehte mich auch nur hin und her.“ Es ist das letzte Spiel von Timo Konietzka für den BVB, der ein Angebot von 1860 München annimmt. Für Hermann Straschitz keine gute Nachricht, weil er einen seiner besten Freunde im Team verliert. „Timo machte immer Späße, sorgte für gute Laune. Vor der Mannschaftssitzung sagte er einmal zu mir: ‚Mensch, Hermann. Das ist ja total schade. Du spielst nicht. Der Eppi hat sich gegen dich entschieden. Es reicht einfach nicht für dich. Du brauchst auch gar nicht mit in die Besprechung. Bleib lieber draußen, dann musst du nicht so leiden.‘ Ich bin natürlich trotzdem rein, und da stand plötzlich doch mein Name in der Aufstellung. Er wollte mich immer so ein bisschen schocken (lacht). Solche Dinger hatte der Timo drauf, und auch auf dem Platz war er ein Schlitzohr.“ Als das Spiel vorbei ist, verlassen viele Zuschauer noch vor der Ehrung das Rund, gibt Alt-Bundestrainer Herberger ein Interview mit der Feststellung: „Das Schönste am


Spiel waren der Sonnenschein und die Musikkapelle der Bundeswehr.“ DFB-Präsident Hermann Gösmann setzt über die Stadionlautsprecher zum üblichen „Hipp-Hipp-Hurra“ an, erhält als Echo auf sein fröhliches „Hipp-Hipp“ aber nur ein Pfeifkonzert. Davon unbeeindruckt verleiht der Bundespräsident den Borussen erst den Pokal und dann der Fußballwelt sein staatsmännisches Spielfazit: „Es war mein erstes Pokalendspiel, und ich glaube, wir werden in Zukunft dabei bleiben, dass der Bundespräsident den Pokal überreicht. Es war ein schönes und faires Spiel.“ Der Abend endet stimmungsvoll in den edlen Maschsee-Gaststätten. Die Qualifikation für den Europapokal, zum jetzt vierten Mal und erstmalig im Pokalsieger-Wettbewerb, sorgt für Hochstimmung. Zu den Gästen gehört mit Gerhard Wendland ein enger Freund von Hermann Eppenhoff. Die größten Hits des Schlagerstars sind „Das machen nur die Beine von Dolores“ und „Tanze mit mir in den Morgen“, seine größte Leidenschaft ist der BVB. Für die Spieler ist Wendland eine Art Maskottchen. Sie würdigen ihn mit dem Reim „Köln hat einen Geißbock, der stinkt. Wir haben einen Schlageronkel, der singt“. Getrübt wird die gute Stimmung nur durch die Tatsache, dass es der letzte Abend mit Eppenhoff ist. Sein Nachfolger Multhaup gehört bereits zu den Gästen der Pokalfeier, hatte am Nachmitttag im Stadion aber offenbar wenig Vergnügen gehabt („Ich habe in Dortmund sehr viel Arbeit vor mir“). Hermann Straschitz ahnt an diesem Abend noch nicht, dass Multhaup diesbezüglich auch das Mittelfeld verändern wird. Offenbar ist er kein Fan des Rotschopfs. So hat dieser Pokalsieg aus heutiger Sicht für Straschitz eine bittere Note.

„Mit Multhaup hatte ich Probleme. Er sprach kaum mit mir. Ich spielte auch nie. Ich fand ihn irgendwie arrogant. Ich trainierte wie ein Wahnsinniger und fühlte mich in Topform. Was aber sagt Multhaup? „Ja, Hermann, du gehst dann zur zweiten Mannschaft oder bleibst ganz zu Hause.“ Da war ich oft frustriert. Irgendwann bin ich mal nicht zum Treffpunkt gekommen. Da wollten wir nach Mönchengladbach. Ich sollte wieder nicht spielen. Multhaup hatte mich erneut aussortiert. Da bin ich einfach nach Hause gefahren. In der Zeitung stand ‚Straschitz vermisst‘. Ich machte nach dem Pokalsieg kaum noch ein Spiel. Das war der Grund, warum ich weg ging. Der Pokalsieg war aber der Höhepunkt Pokal-Endspiel · 22. Mai 1965

Fanjubel im Niedersachsenstadion.

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Die RuhrwaldstraĂ&#x;e (heute bekannt als Ruhrallee bzw. B54) am 6. Mai 1966.



Zwölf Jahre nach den „Helden von Bern“ feiert Fußball-Deutschland die „Helden von Glasgow“. Mit einem 2:1-Finalsieg über den FC Liverpool wird Borussia Dortmund erster Europapokalsieger der Bundesrepublik Deutschland. Ein historischer Erfolg nicht nur für den BVB, sondern für den gesamten deutschen Fußball. Errungen in einer Zeit, in der sich das Spiel allmählich professionalisiert.

Gregor Schnittker hat sich auf die Spuren der Helden von ´66 gemacht und ihren Weg zum Triumph nachgezeichnet. Ein einfühlsames, herzerwärmendes Buch, begleitet von einzigartigem Bildmaterial und zahlreichen bislang unerzählten Anekdoten.

ISBN 978-3-7307-0250-5 VERLAG DIE WERKSTATT


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