Werner Skrentny: Es war einmal ein Stadion. Verschwundene Kultstätten des Fußballs

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Vorwort

die Leipziger Spielstätte des jüdischen Sportvereins Bar Kochba oder das „Adolf-Hitler-Stadion“, ein Name, der in der Vereinsgeschichte der SpVg Polizei Hamburg nicht vorkommt.

„Oh süße Stadt meiner Träume, voller Tempo, Können und Plänen, aus dem Blickfeld verschwunden wie einst Atlantis.“

Rasanter Wandel der Stadionlandschaft Dass sich die deutsche Stadionlandschaft im Zuge der Fußball-WM 2006 gründlich verändert hat, ist das eine. Wir konnten aus Platzgründen gar nicht alle Spielstätten aufzählen, die am selben Ort in völlig anderer Gestalt neu erstanden sind. Manchmal hat uns die aktuelle Entwicklung während der Arbeit für dieses Buch fast überholt. Denn eigentlich war bereits Redaktionsschluss, als im Dresdener HeinzSteyer-Stadion die Holztribüne der Gegengerade fiel und in Erfurt das historische „Marathontor“, letztes Exemplar seiner Art in Deutschland. Das andere ist, dass dieses Land, von den Komfort- und KonsumStätten der USA einmal abgesehen, die modernsten Stadien der Welt besitzt. Dies ist dem veränderten Publikumsverhalten und den Ansprüchen von Besucherinnen und Besuchern geschuldet. Das Spiel ist das Event, der Zuschauerschnitt korrespondiert längst nicht mehr mit gebotenen Leistungen und Tabellenplatz. Ob man allerdings bis hinab in die 4. Liga Traditionsstadien in eine Art von Hochsicherheitstrakt verwandeln muss? Die DFB-Auflagen für 3. und 4. Liga nehmen keine Rücksicht auf Geschichte und Erscheinungsbild der Stadien. Ein Beispiel: Die Stuttgarter Kickers haben auf dem ältesten deutschen Fußballplatz 2015 die vierte Tribüne ihrer Vereinsgeschichte mit 2.270 Plätzen eingeweiht. Sollten sie aber die 2. Bundesliga erreichen, so würde die DFL 730 fehlende überdachte Sitzplätze monieren… Leserinnen und Leser werden bei der Lektüre oft feststellen, wie schlecht es um das Erinnerungsvermögen im deutschen Fußball bestellt ist – auch wenn es Gegenbeispiele gibt: Denkmalschutz für Stadien oder zumindest Teile von ihnen (sehr erfreulich: das Augsburger Rosenau-Stadion genießt diesen Status seit 2014); Gedenktafeln, entstanden dank privatem Engagement sogar bei sog. kleineren Vereinen in Bergisch Gladbach oder Köln-Dellbrück; die „Initiative 1903“, die die Traditionsorte des deutschen Fußballs würdigt; die Erinnerungsarbeit auf dem Mönchengladbacher Bökelberg, die mit der Geländekontur

Shane MacGowan von The Pogues hat mit „White City“ den bestimmt eindrücklichsten musikalischen Nachruf auf ein Stadion getextet und komponiert – das White City Stadium von London, in dem die Olympischen Spiele 1908, Windhund- und Speedway-Rennen ausgetragen wurden, aber auch die Fußball-Heimspiele der Queens Park Rangers und ein WM-Match 1966. Dieses Kultstadion der britischen Hauptstadt wurde 1975 beseitigt – und das hat es mit all den deutschen Spielstätten gemeinsam, die dieses Buch behandelt. Oder (noch) nicht, denn bei Altona 93 liegt das Schicksal der traditionsreichen Adolf-Jäger-Kampfbahn in den Händen der Mitglieder, und in Remscheid ist das Röntgen-Stadion zwar noch existent, kommt aber aller Voraussicht nach 2016 auf die Abrissliste. „Auf der Insel (Anm. d. A.: in Großbritannien) gibt es einen regelrechten Kult um verschwundene Fußballstadien; hierzulande ist dieses Phänomen weitgehend unbekannt.“ Das schrieb Stefan Hermanns vom Berliner „Tagesspiegel“ 2013. Damit das hierzulande nicht so bleibt, ist dieses Buch entstanden. Wobei mancher meinen mag, der Untertitel „Verschwundene Kultstätten des Fußballs“ sei vielleicht etwas übertrieben. Zutreffen mag er unbedingt z. B. auf legendäre Fußballorte wie Herthas „Plumpe“, den „Zabo“ in Nürnberg und den „Bökelberg“ von Mönchengladbach. Doch war dieses Buchprojekt auch Anlass, anderswo nachzusehen, wo weniger bekannte Spielstätten identitätsstiftende Wirkung hatten und geografische Landmarken darstellten. Das trifft etwa auf das einzige „politische Stadion“ Deutschlands zu, die „Neue Welt“ in Magdeburg,

Foto: Archiv 1. FC Nürnberg / Bernd Siegler

„Oh sweet city of my dreams Of speed and skill and schemes Like Atlantis you just disappeared from view.”

Gesprengt und damit Vergangenheit: die Haupttribüne des berühmten „Zabo“ des 1. FC Nürnberg. Siehe S. 108-111.


Foto: wikimedia commons, file 2005.jpg, author jotquadrat, 18.7.2005

Hier spielt niemand mehr: das aufgegebene Bonner Poststadion im Sommer 1995. Siehe dazu S. 31/32. des Neubaugebiets die Stadion-Strukturen zurückruft; oder das Walder Stadion (Jahnkampfbahn) in Solingen, das dank einer Bürgerinitiative erhalten blieb. Aber sonst? Wie kann es sein, dass eine ehemals klassische Fußballstadt wie Mannheim in keiner Weise an den Platz an den Brauereien erinnert, von dem 1949 der Deutsche Meister VfR kam? Und der zweimalige Endspielort Köln-Weidenpesch mit der Tribüne von 1920, die nach wie vor im Verfall begriffen ist. Wo einst das HSV-Stadion Rothenbaum stand, dort gäbe es heute auf der langen Betonmauer des Luxus-Wohnquartiers genug Raum, um mittels Graffiti oder Fotografien die Großtaten des Vereins abzubilden. Gar nichts blieb von Germania Brötzingen aus Pforzheim, das ehemals in Konkurrenz zu 1. FC Nürnberg, Bayern München, Eintracht Frankfurt stand – Ereignisse, die auf der Website des Nachfolgevereins nicht stattfinden. Bronzeball auf dem Elfmeterpunkt Wesentlich mehr Phantasie hat man in England entwickelt, wo nach dem Taylor-Report ein regelrechter Kahlschlag hinsichtlich der Stadien einsetzte. Zwar lautet das Fazit oft: „Nichts blieb außer einem Zuschauerwall, einer Mauer oder einem Tesco-Supermarkt.“ Andererseits aber hat z. B. Arsenal London von seinem alten Stadion in Highbury sowohl East Stand wie West Stand in ein Wohnprojekt integriert. Auf dem Spielfeld blühen Gärten, im Memorial Garden liegen die Urnen von 500 Anhängern. In Southampton tragen die Straßen im Gedenken an frühere Spieler deren Namen. Am Standort des Ayresome Park erinnern zehn Bronze-Skulpturen an markante Orte des Spielfelds von Middleborough: Auf dem früheren Elfmeterpunkt liegt jetzt ein bronzener Ball. Ausgerechnet in den USA, wo Stadionnostalgie schon aufgrund der bereits in den 1920er und 1930er Jahren großartig kolorierten Ansichtskarten ein breites Sammlerfeld bedeutet, sieht es mit der Zuordnung von Sportstätten zur Kategorie National Historic Landmarks eher düster

aus. Die Baseball- und American-Football-Klubs scheuen den Denkmalschutz, weil sie ihre Spielstätten permanent modernisieren möchten. Was letztlich auch auf deutsche unterklassige Fußballvereine zutrifft, die entsprechende Erhaltungskosten nicht bewältigen können. Lost grounds sind aber auch in den USA ein Thema, so wie es in Großbritannien sogar Spezialisten für Lost cricket grounds gibt. Und hierzulande erfahren „vergessene Orte“ – wie etwa das Olympische Dorf von 1936 in Elstal bei Berlin oder der aufgegebene Vergnügungspark Plänterwald der Hauptstadt – längst Aufmerksamkeit. In jüngerer Vergangenheit zählen dazu auch Stadionruinen (siehe z. B. www.brucki. blogspot.com oder www.michas-groundhopping.de). Schließlich war dieses Buchprojekt auch ein Anlass, sich einmal um Deutschlands Holztribünen zu „kümmern“. Auch hier ist vieles unwiederbringlich verloren gegangen. Aber gelohnt hat sich die Recherche: Wissen wir doch nun, dass Deutschlands älteste Fußballtribüne nicht (wie auch vom Herausgeber ehemals publiziert) im Weidenpescher Park in Köln steht, sondern in der Westkampfbahn Düren. Und Deutschlands älteste Sporttribüne auf dem Boxberg von Gotha. Was immer in Zukunft geschehen wird, es gibt einen Fußballverein, der sein „Feld der Träume“ auf immer und ewig behalten wird. Denn der Sportplatz des SV Salamander Türkheim im bayerischen Schwaben befindet sich seit 1931 innerhalb des Vierecks einer 500 v. Chr. errichteten Keltenschanze (Volksmund: „Römerschanze“). Und über die hält das Landesamt für Denkmalpflege seine schützende Hand. Was den Inhalt dieses Buches betrifft, mögen ihn viele als Nachruf empfinden. Der Herausgeber versteht es jedoch eher als Aufruf, sich mehr denn je der deutschen Fußballgeschichte und ihrer Schauplätze zu widmen. Werner Skrentny Hamburg, im Juli 2015 VORWORT

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Nicht mehr existent ist die stattliche Tribüne in Stuttgart-Degerloch, wo die Kickers im ältesten deutschen Stadion auflaufen. An Torhüter Hengsteler (Union Böckingen) vorbei erzielt der angebliche norwegische Nationalspieler Randmond Sörensen einen Treffer (1934). Siehe S. 171. 8


9 Foto: Deutsche Sport-Illustrierte, 1934, Nr. 43


Foto: Matthias Hermann, www.calcio-culinaria.de


Das im Jahr 1924 erÜffnete Stadion Marienthal des SC Concordia Hamburg zeigte sich zuletzt als Wildnis, demnächst wird es bebaut. Siehe S. 58/59.


Berlin

■■ AVUS-Stadion

Foto: Archiv Christian Wolter

Im Schatten des Funkturms

Leichtathletik-Höhepunkte, olympische Radrennen 1936, aber auch Fußball: Von 1926 bis 1950 bestand das AVUS-Stadion unweit der Rennstrecke. Geht es um legendäre Berliner Sport- und Veranstaltungsstätten außerhalb von Stadien, so sind der Sportpalast von 1910 zu nennen (Abriss 1973), die 1935 fertiggestellte Deutschlandhalle (Sprengung 2011) und die AVUS, jene 1921 eröffnete und heute nicht mehr genutzte Rennstrecke, die auf die AutomobilVerkehrs- und Übungsstraße GmbH – daher der Name! – zurückgeht, die diesen deutschen Industriezweig besser in Szene setzen wollte. Eher unbekannt ist heute das AVUS-Stadion, das von 1926 bis 1950 bestand und in dem auch Fußball gespielt wurde. 1924 pachtete der SC Charlottenburg (SCC) den brachliegenden Exerzierplatz des einstigen „Garde-Grenadier-Regiments Nr. 3 Königin Elisabeth“, der sich nahe der neugebauten AVUS-Strecke befand. Der bisherige, 1910 ganz in der Nähe eröffnete SCC-Platz, der sechs für damalige Verhältnisse moderne erhöhte 400-m-Rundbahnen aufwies (die sich offensichtlich nicht durchsetzten), reichte für den Sportbetrieb des auf 3.000 Mitglieder angewachsenen Vereins nicht mehr aus. Ein Baudarlehen gewährte die Gerling-Lebensversicherung AG, nachdem die Vereinsmitglieder Policen für 100.000 Reichsmark abgeschlossen hatten. Zur Finanzierung der Betontribüne übernahm dank des Einsatzes von Oberbürgermeister Gustav Böß, dessen Sohn dem SCC 16

BERLIN

angehörte, der Berliner Magistrat eine Bürgschaft über 75.000 RM. Die Planierung der 48.000 Quadratmeter und die Aufschüttung des drei Meter hohen Stadionwalls mit sieben Stehstufen erfolgte, wie damals üblich, größtenteils durch Handarbeit der Vereinsangehörigen und den Transport mit Güterloren. Zeitgleich wuchs 200 Meter entfernt der im Oktober 1926 fertiggestellte Berliner Funkturm in die Höhe. Ullstein sponsert Nurmi-Auftritt Die erste Veranstaltung im neuen Stadion fand am 24. Mai 1926 statt. Mit Unterstützung des Ullstein-Verlages konnte der SCC Paavo Nurmi aus Finnland, den besten Langstreckenläufer seiner Zeit und neunmaligen Olympiasieger, präsentieren. Um die Vergnügungssteuer von 30 Prozent zu sparen, verzichtete man auf die eigentlich obligatorische Kapelle. Vor Nurmis mit Spannung erwartetem Auftritt knatterten Kleinflugzeuge mit Zeitungs- und Schokoladenreklame über dem mit 26.000 Zuschauern rappelvollen Stadion. Spätestens jetzt zeigte sich, dass der siebenstufige Wall nicht wie geplant 36.000 Zuschauer aufnehmen konnte. Nurmi startete über 3.000 Meter und erzielte wie erhofft eine neue Weltbestzeit. Seine Zeit von 8:25,4 Minuten war der erste in Berlin aufgestellte und vom Weltleichtathletikverband anerkannte Rekord.

Die offizielle Stadionweihe veranstaltete der SC Charlottenburg am 6. Juni 1926 mit einem internationalen Sportfest. Hierbei traten erstmals seit Kriegsbeginn 1914 wieder französische Leichtathleten in Deutschland an. Obwohl die Tribüne mit ihren 1.600 Sitzplätzen erst im Rohbau stand, rühmte die Presse das Stadion als modernstes seiner Art in ganz Deutschland. Allerdings stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest, dass es bald den Erweiterungen des Berliner Messegeländes weichen würde. Im ersten dort ausgetragenen Fußballspiel unterlag Fusionsverein Union 98-SCC am 7. August 1926 dem Deutschen Meister Spielvereinigung Fürth vor 5.000 Zuschauern mit 1:8. Einen Tag später verlor an gleicher Stelle vor 7.000 Tennis Borussia gegen den 1. FC Nürnberg 0:5. Aber in erster Linie wurde das Stadion für die Leichtathletik genutzt, und verbunden blieb es in der Erinnerung seiner Zeitgenossen vor allem mit den hier vom Berliner SCCSprinter Richard Rau, dem Schweden Edvin Wide und Paavo Nurmi erlaufenen Weltrekorden. Letztgenannter erreichte hier am 7. Oktober 1928 sogar drei neue Bestleistungen, und zwar über 15.000 m, über zehn englische Meilen und im Stundenrennen. Olympische Radsport-Arena 1930 zog der SC Charlottenburg in das ersatzweise errichtete Mommsen-Stadion um. Eigentlich sollte sein bisheriges Stadion im darauffolgenden Jahr abgerissen werden, ein Teil der Nebenanlagen wurde bereits für die Bauausstellung 1931 umgestaltet. Weil aber der XI. Olympische Kongress gerade die Sommerspiele von 1936 nach Berlin vergeben hatte und es in der Hauptstadt keine olympiataugliche Radrennbahn gab, beschloss man den Einbau eines entsprechenden Parcours in das Stadion am Funkturm. Außerdem zog 1931 der Berliner SC als Nachnutzer ein. Aus dem ehemaligen SCC-Stadion wurde nun offiziell das BSC-Stadion, doch als geläufige Namen hatten sich bereits „AVUS-Stadion“ bzw. „Stadion an der AVUS“ durchgesetzt. Während der Olympischen Sommerspiele im August 1936 kamen dort vier Radrenndisziplinen zur Entscheidung. Als Parkplatz für die Besucher fungierte der alte SCC-Platz von 1910, heute steht dort das ICC. Die 55.000 RM teure Holzbahn wurde nach Abschluss der Spiele demontiert und eingelagert, allerdings nie wieder aufgebaut. Das AVUS-Stadion überstand noch den Zweiten Weltkrieg und wurde erst 1950 mit 19-jähriger Verspätung abgerissen. Heute stehen dort die Messehallen 8 bis 10. Christian Wolter STANDORT Wo sich das Stadion befand, stehen heute im Berlin Expo Center City die Messehallen 8 bis 10. Zugang beim Eingang Halle 9 vom Messedamm.


Foto: Archiv Christian Wolter

Ausverkauft war die Sportstätte am 25. Mai 1900 beim Wettbewerb um das „Goldene Rad“.

■■ Sportpark Friedenau Berlins erstes Stadion Jahrzehnte, bevor sich der Fußball in Deutschland langsam zum Zuschauersport zu mausern begann, erfreuten sich Pferderennen großen Besuchs. Ausgedehnte Stehbereiche und zum Renngeschehen offene Steinhäuser mit Sitzreihen für Tausende flankierten diese großstädtischen Pferderennbahnen. Dieser Sport war bei Adel, Bürgertum und Proletariat gleichermaßen beliebt, sodass selbst das SPD-Blatt „Vorwärts“ nicht umhinkam, seine Leserschaft regelmäßig über diesen Profisport samt dazugehöriger Wettquoten zu informieren. Ab den 1880er Jahren kamen dann noch Radrennbahnen hinzu. Deren erste Berliner Parcours waren noch Experimentierfelder, was Länge und geeigneten Belag betraf. Die Ablösung des Hochrades durch das heute noch übliche Niederrad und die Erfindung des Motorrades erforderten ab den 1890er Jahren dann immer schnellere Bahnen mit immer höheren Kurven. Das Fassungsvermögen musste mit dem wachsenden Zuschauerinteresse mithalten. Die Radrennbahn lag im Sportpark Friedenau, zu dem auch Restaurants, ein Park

mit Achterbahn sowie Anlagen für Turnen, Tennis, Schießen und Fechten gehörten. Seit 1897 veranstaltete der Akademische Sportclub Berlin hier Akademische Meisterschaften im Fußball, Tennis und in der Leichtathletik. Am 11. März 1899 wurde der Innenraum im Rahmenprogramm eines Renntages sogar dem Luftsport geweiht, indem ein Fesselballon mit vier Passagieren lautlos aufstieg und die Aufschrift „Sportpark Friedenau I“ werbewirksam 400 Kilometer durch die Lüfte trug, bis er im fernen Ostpreußen sanft aufsetze. „Auf der Radrennbahn in Friedenau“, so der Titel, drehte 1904 (Oskar) Messters Projection GmbH einen „Tonbildfilm“. Der Fußball zieht ein Dauerhaft für den Fußball wurde der Innenraum im Herbst 1899 hergerichtet. Zwei Jahre später pachtete der Berliner Thor- und Fußball-Club Britannia von 1892 (Thorball war die deutsche Bezeichnung für Cricket) den Rasen und verfügte damit über eine geradezu luxuriöse Heimspielstätte. Die Einführung der Dauerkarte im Berliner Fußball bot sich

Foto: Archiv Christian Wolter

Bereits in der ersten Deutschen Fußball-Meisterschaft 1903 trat Britannia 92 Berlin in Friedenau an.

also an: Ein überdachter Sitzplatz kostete 20 Mark, der ungedeckte Stehplatz fünf Mark. Für Stammgäste rentierte sich der Kauf ab dem elften Spielbesuch. Durch den Gewinn der Berliner Meisterschaft qualifizierte sich Britannia 92 für die erste DFB-Meisterschaft und empfing in diesem Wettbewerb am 10. Mai 1903 den mitteldeutschen Meister VfB Leipzig. Die genaue Zuschauerzahl ist nicht bekannt, nach überlieferten Augenzeugenberichten dürfte sie im dreistelligen Bereich gelegen haben. Die Leipziger zogen mit 3:1 ins Halbfinale ein und gewannen am 31. Mai in Altona die erste Deutsche Meisterschaft mit 7:2 gegen den DFC Prag. Auch im kommenden Jahr spielte Britannia als Berlins Bester um die höchste deutsche Fußballehre mit. Im Sportpark Friedenau wurde diesmal der Karlsruher FV mit 6:1 vor nun schon Tausenden aus dem Rennen gekickt. Britannia überstand auch das Halbfinale beim HSV-Vorläufer SC Germania von 1887 (auf Hamburgs erstem geschlossenen Fußballplatz im Innenraum einer stillgelegten Trabrennbahn) und stand im Endspiel gegen den VfB Leipzig. Allerdings hatte der Karlsruher Protest gegen den nicht neutralen Spielort Friedenau Erfolg, sodass der DFB das Endspiel in Kassel trotz spielbereiter Finalisten Stunden vor dem Anpfiff absagen musste. Zum Abschied kamen die Wiener 1904 kaufte der Berliner Bauunternehmer Georg Haberland der Gemeinde Friedenau das gesamte Sportpark-Gelände für 2,875 Mio. Mark ab. Am 5. März 1905 erlebte die Rennbahn ihren letzten großen Fußballtag: 3.000 Berliner ergötzten sich an einem 3:1-Sieg ihrer Vertretung über die Wiener Stadtauswahl. Der Abriss der Sportpark-Gebäude hatte da bereits begonnen, Britannia 92 durfte aber noch die Saison zu Ende bringen. Das Gelände wurde danach mit Mietshäusern bebaut. Christian Wolter STANDORT Der Sportpark Friedenau lag in Berlin zwischen Kaiserallee/Handjery-/Varziner-/ Sarrazinstraße. Ersetzt wurde er durch das Wagnerviertel. BERLIN

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Hochlandrinder und Zauneidechsen Erstes kommunales Stadion in Deutschland; ehemals Berlins größter Sportpark; 1920 Schauplatz des gescheiterten Versuches, Berufsfußball zu etablieren; Austragungsort des ersten deutsch-sowjetischen Fußballspiels 1923; erstes Reichstreffen des kommunistischen Rotfrontkämpfer-Bundes (RFB) 1925; noch bis 1990 Lagerleben der DDR-Jugend: Viel ist los gewesen in Berlin-Lichtenberg! Der seit den 1990er Jahren aufgetretene Wildwuchs ist heute beseitigt und der Stadionwall wieder gut zu erkennen. Jetzt soll der ausgelichtete „Landschaftspark Herzberge“ „das grüne Herz“ von Lichtenberg werden. Wo das Stadion war, grasen schottische Hochlandrinder. Alpakas für Therapie-Angebote sollen noch angeschafft werden, und ein „Spielplatz für Zauneidechsen“ besteht bereits. Da der Zugang zum Park am östlichen Ende der Herzbergstraße, kurz vor der Einfahrt zum Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge, inzwischen besteht, ist die Lage des Stadions heute kein Geheimnis mehr wie lange Zeit zuvor. Auch verweisen Infotafeln auf die Geschichte des Ortes. Sehr hilfreich, denn oft wurde die verschwundene Spielstätte mit dem BVB- bzw. BVG-Stadion gleich nebenan hinter der früheren Industriebahn-Trasse verwechselt. Dass das abgängige Stadion aus dem Dunkel der Historie auftauchte, war vor allem der DDR-Geschichtsschreibung zu verdanken, in der der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann bekanntlich einen hohen Stellenwert einnahm. Und „Teddy“, wie ihn seine Anhänger nannten, war eben auch in Lichtenberg: Beim erwähnten ersten Reichstreffen des Rotfrontkämpfer-Bundes (RFB) und der Roten Jungfront am 21./22. Mai 1925. An letzterem Datum zogen über 30.000 RFBler vom Berliner Lustgarten zur „Bannerweihe“ und Thälmann-Rede hinaus ins Stadion Lichtenberg, wo bereits 25.000 einem deutsch-sowjetischen Fußballspiel zusahen. Die KPD-Zeitung „Rote Fahne“ berichtete am Montag darauf von 60.000 bis 70.000 RFB-Teilnehmern plus 50.000 Arbeitern. Beschäftigt man sich aller18

BERLIN

Quelle: Freie Sportwoche

■■ Stadion Berlin-Lichtenberg

Nr. 39, 1920

Foto: Susanne Sauter

Als proletarisches Gegenstück zum Deutschen Stadion von Charlottenburg galt Lichtenbergs Stadion, hier um 1930 (oben). Bei der Einweihung trennten sich FT Lichtenberg und FT Wilmersdorf im Hockey 3:3 (rechts).

dings ernsthaft mit den Ausmaßen des Stadions, so kommen doch große Zweifel auf, ob dort jemals diese Massen Platz gefunden haben. Denn angelegt war es mit Tribüne, aber ohne Wälle, allenfalls für 10.000. Deutschlands erstes städtisches Stadion Die Anfänge des Stadionbaus lagen mit dem Beschluss vom 13. Juli 1913 der damals eigenständigen Stadt Lichtenberg noch in der Kaiserzeit. Im Jahr darauf kaufte Lichtenberg dem Rittergutbesitzer Hermann Franz Leo Roeder ein Gelände an der Herzbergstraße neben dem Park der damaligen „Irrenanstalt Hertzberge“ ab. Stadtbaumeister Dr.-Ing. Rudolf Gleye arbeitete den Plan für den Stadionbau aus, dessen Umsetzung noch im Herbst 1914 begann, durch den Ersten Weltkrieg aber aufgeschoben und erst 1919 im Rahmen von Notstandsarbeiten umgesetzt wurde. So entstand auf 55.000 qm Berlins damals größter Sportpark und Deutschlands erstes kommunales Stadion. Die Hauptkampfbahn war eigentlich nur ein Sportplatz mit fünfspuriger 400-Meter-Laufbahn. Zum Stadion wurde es durch das Sporthaus geadelt, dessen Obergeschoss sich zum Spielfeld hin öffnete und 700 Sitzplätze bot. Die Ausrichtung der Eröffnungsfeier am 25. Juli 1920 übertrug das Sport- und Jugendamt den Lichtenberger Arbeitersportlern. Die Fußballpremiere gab es zwei Wochen später beim Sportfest des Arbeiter-Sportkartells Lichtenberg und Umgebung (Freie Turnerschaft Lichtenberg – FT Neukölln-Britz 1:2, etwa 5.000 Zuschauer). Der Arbeitersport sollte auch in den kommenden Jahren das Programm im Stadion Lichtenberg dominieren. So war das Entscheidungsspiel um die kommunistische Berliner Rotsport-Fußballmeisterschaft am 25. Mai 1930 zwischen Minerva Borsigwalde und Sparta 1911 Lichtenberg (3:1) Höhepunkt eines Sport- und Kulturtages, dem 25.000 Menschen beiwohnten. Die Rolle des proletarischen Gegenstücks zum Deutschen Stadion in Charlottenburg drängte sich durch die Lage

in einem Arbeiterbezirk auch auf. Umso bemerkenswerter, dass man ausgerechnet hier am 21. August 1920 den ersten Versuch wagte, den Profifußball in Deutschland einzuführen. Profis an der Herzbergstraße Im Juli 1920 stellte sich der Berliner Öffentlichkeit eine Fußball-GmbH vor, deren Finanzier Rosenblüth angeblich bereit war, 300.000 Mark in den Aufbau einer deutschen Profiliga zu stecken. Als Direktoren fungierten die Brüder Otto Eidinger und Ernst Eidinger. Der 1. Deutsche Berufs-Fußball-Club (1. DBFC) sollte gegen den MTK Budapest oder einen bekannten englischen Verein seine Feuerprobe bestehen. Die großen deutschen Amateurverbände waren über die Grenzen der bürgerlichen, proletarischen und konfessionellen Lager hinweg gegen den Berufsfußball, weshalb die Vereine aus Angst vor Verbandssanktionen ihre Spielstätten verweigerten. Auch der Deutsche Reichsausschuss für Leibesübungen (DRA) stellte sein Deutsches Stadion Berlin nicht zur Verfügung, obwohl er es im Vorjahr für ein Berufsfahrerrennen der Radsportler vermietet hatte. Schließlich fragte die Fußball-GmbH im Rathaus der klammen Stadtgemeinde Lichtenberg erfolgreich nach: Man einigte sich auf eine Platzmiete von 10.000 Inflationsmark, die als Argument schwerer wogen als alle Proteste des Verbands Brandenburger Ballspiel-Vereine und die sogar die Stimmen der Lichtenberger USPD-Abgeordneten sicherten. Eine internationale Spitzenmannschaft kam nicht. Stattdessen wurde für den 21. August 1920 die Begegnung „1. DBFC gegen 1. UBFC“ – 1. Deutscher Berufs-Fußball-Club gegen den 1. Ungarischen Berufs-FC – inseriert und plakatiert. Obwohl die Fachpresse sich Mühe gab, das Spiel zu ignorieren („ki-


„Meidet unser Stadion“ Die Ungarn, teils Juden, waren vor den politischen Wirren in ihrem Heimatland geflohen, wo nach dem Zusammenbruch der Räterepublik der „Weiße Terror“ gegen Linke und Juden wütete. Dennoch wurden ihnen Sympathien für die neuen Machthaber unterstellt, z. B. vom „Arbeiter-Sport“. Woraufhin die Fußballunternehmer gemeinsam mit einigen ungarischen Spielern die Leiter des Berliner Arbeiter-Sportkartells besuchten und versicherten, dass sie keineswegs Mitglieder der „Weißen Garden“ seien, sondern im Gegenteil als Kämpfer für den Kommunismus aus Ungarn hatten flüchten müssen. Angeblich erhielt das Sportkartell sogar noch 1.000 Freikarten. Trotzdem wurden in den Tagen vor dem Spiel und am Spieltag selbst noch vor dem Stadioneingang in Lichtenberg 10.000 Handzettel mit den Parolen „Kein Pfennig den Berufsspielern“ und „Meidet unser Stadion“ verteilt. Von den erwarteten 20.000 Besucher

„Die Russen kommen!“ Viel Aufmerksamkeit fand das Stadion von Berlin-Lichtenberg bei den Sporthistorikern der DDR, weil dort am 9. September 1923 der als „Arbeiter-Fußballwettkampf Moskau – Berlin“ bezeichnete erste offizielle deutsch-sowjetische Sportvergleich stattfand. (Da die Sowjetunion noch nicht Mitglied der FIFA war, gab es vor 1945 keine Begegnungen mit DFB-Teams.) Berlins Aufgebot 1923 stellte der 1. Kreis des Arbeiter-Turn- und Sport-Bundes (ATSB) bzw. die Märkische Spielvereinigung, der weitgehend KPD-orientierte Berliner Teil des sonst meist SPD-dominierten ATSB. Und weil die SPD „kommunistische Propagandamätzchen“ („Vorwärts“) nicht guthieß, verschwieg sie das historische Fußballspiel in ihrer Presse weitgehend. „Die Russen kommen!“, hieß die Parole, aber die konnte nur per Flugblatt verbreitet werden, denn die KPD-Zeitung „Rote Fahne“ war just für den Zeitraum 5. bis 10. September verboten worden. Zudem wurde die Straßenbahn bestreikt. „Über 25.000 Zuschauer“ sollen anwesend gewesen sein. „Die Fußball-Woche“ kommentierte: „Jetzt ziehen leibhaftige Rotgardisten an die Front, um in Berlin etwas Stimmung für Sowjetrussland zu machen.“ Die DDR-Geschichtsschreibung dagegen pries das Gastspiel als „Ausdruck des proletarischen Internationalismus und der Verbundenheit zum ersten sozialistischen Staat der Erde.“ Die russischen Fußballer (es sind auch solche aus Petrograd erwähnt) kamen von einer Reise durch Schweden und Norwegen (14 Spiele mit 14 Siegen in 27 Tagen). Erst in Skandinavien hatte sie die Einladung nach Deutschland erreicht. Berlins Mannschaft setzte sich aus Spielern des SV Stralau (3), von Alemannia 22, BFC Nordiska (je 2), Adler 12, Lichtenberger SC, Brandenburg 02, Sparta Lichtenberg 1911 und Teutonia 09 (je 1) zusammen. Die sowjetische Auswahl gewann 6:0, es folgten weitere Auftritte in Berlin-Wedding (9:1) und Stettin (11:0). Das erste offizielle Länderspiel zwischen dem ATSB und der Sowjetunion fand dann 1927 in Leipzig-Stötteritz statt. erschien nur etwa ein Viertel zum Spiel, viele gratis, denn die Lichtenberger Arbeiterfußballer hatten einen Massenübertritt über den Stadionzaun organisiert. Dass es drinnen weitgehend ruhig blieb, lag vor allem an der Anwesenheit von 100 Polizisten. Auf der Tribüne saßen nur 40 Leute, die wohl alle zum Kreis der Veranstalter gehörten. Da sich kein Verbandsschiedsrichter hatte zur Verfügung stellen wollen, übte einer der beiden Direktoren Eidinger das Schiedsrichteramt aus. Als das 1:0 für die Ungarn fiel, hob eine Musikkapelle zum Fanfarenmarsch an – und hörte nicht wieder auf zu spielen. Der andere Direktor musste das Platzkonzert schließlich mit energischen Gesten beenden. Viele Zuschauer

verließen angesichts der Farce vorzeitig das Stadion, der Rest versuchte sich vor dem Abpfiff noch an einem Platzsturm (Endstand 1:1). Eine Woche später gewannen die Ungarn gegen die „Erste kombinierte Amateur-Fußballauswahl der Provinz Brandenburg“ in Cottbus 8:0, aber trotz 4.000 Zuschauern gab es keine Einnahmen, weil das Spiel auf einem uneingezäunten Exerzierplatz stattfand. Nach diesmal vergeblichen Bemühungen um das Lichtenberger Stadion traten die Profis von 1. DBFC und 1. UBFC am 12. September 1920 im Innenraum der Olympia-Radrennbahn erneut gegeneinander an (1:3). Dieses Mal wurden lediglich 1.100 Karten verkauft. Die Brüder Eidinger boten den für drei Monate verpflichteten Ungarn als Vergleich je ein Monatsgehalt von 4.000 Mark an, doch die Magyaren pochten auf die vertraglich festgelegten drei Monatsgehälter und erreichten damit schließlich die Beschlagnahmung des Eidinger-Vermögens. Das war der Bankrott und das Ende der Fußball-GmbH. Die Spur der Brüder Eidinger verlor sich Ende 1920. Eventuell führte ihr Weg nach Brasilien, wohin sie durch Zeitungsinserate Berliner Fußballspieler zu lotsen versuchten. Als der DFB grünes Licht gab, amnestierte der VBB seine „schwarzen Schäfchen“ aus dem Profifußball. Bei Gesellschaftsspielen durften sie sofort wieder mitwirken, für Verbandsspiele galt eine Schamfrist bis Sommer 1921. Fritz Bache von Hertha BSC spielte 1923/24 sogar zweimal in der Nationalelf. Die Ungarn blieben bis Frühjahr 1921 gesperrt.

Foto: Susanne Sauter

cker“: „Diese Sportzigeuner mögen sich sofort zum Teufel scheren!“; „Der Fußball“: „Ungarn, die in Deutschland herumlungern“) und auch keine Anzeigen annahm, setzte ein ungewohnt starker Reklamerummel ein. In ganz Berlin warben großflächige Anschläge an Litfaßsäulen und Hauswänden für das Spiel, die Tagespresse brachte zahlreiche Ankündigungen. Fachleute mussten anerkennen, dass in den ungarischen Reihen etliche Nationalspieler standen: Torhüter Ferenc Plattkó (später FC Barcelona), Gyula Feldmann (Union Altona, Bremer SV, Italien), Alexander Neufeld, ungarisch: Sándor Nemes (USA), József Viola (Berliner SV 92, Italien), József Ging, da irischer Abstammung eigentlich: King (Italien) und Mihály Patakí. Berlin stellte hauptsächlich eine Kombination aus Spielern von Wacker 04 und Union 92.

Diese Luftaufnahme von 1928 zeigt die direkte Nachbarschaft beider Sportstätten: Links das BVG-Stadion, rechts das Stadion Lichtenberg, das heute gänzlich verschwunden ist. BERLIN

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Das erste Nachkriegsspiel in Berlin Im Zweiten Weltkrieg waren Flakstellungen auf dem Stadiongelände postiert. Das Lichtenberger Stadion überstand die Bombardierung und die abschließende Schlacht um Berlin recht unbeschadet. So sah der Platz am 20. Mai 1945 noch einmal ein denkwürdiges Ereignis, als dort zwölf Tage nach der deutschen Kapitulation eines der ersten Fußballspiele im Nachkriegs-Berlin stattfand: „Die Berliner Sportplätze, zum größten Teil während der Kampfhandlungen verwüstet, können erst allmählich wieder dem Sportleben zugeführt werden. Den Bemühungen der Kommunalstellen ist es aber gelungen, den Sportplatz Buschallee in Weißensee und das Stadion Lichtenberg spielfertig zu machen. Hier fanden am Pfingstsonntag (20. Mai) bereits die ersten Mannschaftskämpfe vor 10.000 fußballbegeisterten Zuschauern statt. Am Sonntag, den 27. Mai, wird ein neuer ,Großkampftag‘ folgen, für den der Kampf einer Lichtenberger Mannschaft gegen eine Mannschaft der Roten Armee geplant ist“ („Berliner Zeitung“, 23. Mai 1945; Gegner der Soldaten sollen ehemalige Zwangsarbeiter gewesen sein).

Im Stadion war dann die Sportgruppe Lichtenberg-Nord (Vorgänger des heutigen SV Lichtenberg 47) zu Hause, später die BSG Chemie Lichtenberg (heute TSV Lichtenberg). Wie Luftaufnahmen von 1953 zeigen, wurde das Gelände damals umgestaltet und das Hauptspielfeld um eine halbe Platzlänge gen Norden verschoben und mit dem heute noch erhaltenen Wall versehen. Spätestens dabei ging die Tribüne verloren. Der dadurch gewonnene Vorplatz wurde zu einem Fußballfeld ohne Laufbahn hergerichtet und teilweise mit Stehwällen eingefasst. Die Chronik der BSG Chemie berichtet: „1973 wurde das Stadion artentfremdet. Es wurde für die Errichtung eines Stadionzeltlagers umfunktioniert.“ Entlang neu angelegter Betonwege schlugen noch bis 1990 die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „FDJ-Studentensommers“ aus Leipzig, Dresden und Weimar ihre Zelte auf. Sie waren nicht nur zum Vergnügen an der Herzbergstraße (und im benachbarten BVB-Stadion-Freibad), wo ihre Camps mal „IX. Parteitag“ oder auch „Willhelm Pieck“ hießen, sondern arbeiteten auf der Großbaustelle Marzahn oder in Betrieben.

■■ Stadion am Gesundbrunnen

Foto: Landesbildstelle Berlin

„Berlins schönste Kampfstätte“

Noch 1968 ließ sich die Bedeutung von Herthas Stadion zwischen der „Millionenbrücke“ und dem NNW-Platz erahnen. „Ich denke jetzt so oft; wie icke In bester Sonntagsjarnitur – Von innen und von außen schnieke – Zum Fußball an die Plumpe fuhr …“ (Aus dem Gedicht „Gruß an die Plumpe“ eines Frontsoldaten, veröffentlicht 1942 in der Festschrift zum 50-Jährigen Jubiläum von Hertha BSC Berlin) 20

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Nein, vergessen ist sie nicht, die „Plumpe“, jenes Stadion am Gesundbrunnen, und so ist die Legende wieder und wieder überliefert worden: vom dicken Wirt Schebera, von der Spielstätte nahe der „Millionenbrücke“, vom „Uhrenberg“ und dem „Zauberberg“, vor dem jenes Tor lag, in das die Hertha am meisten getroffen haben soll.

Und irgendwann in den 1990er Jahren war das Stadion allenfalls noch auf Stadtplänen von Falk oder solchen der „Hauptstadt der DDR“ vorhanden. In Wirklichkeit befand sich sein Gelände im „Vorwaldstadium“ und wurde als illegale Müllkippe missbraucht. Inzwischen ist die einstige Sportstätte wieder öffentlicher Raum. Die nächste Stadionruine entsteht derweil nebenan mit dem BVB-Stadion. Beim Anblick der denkmalgeschützten (!) Tribüne kommt einen der Jammer an. Berlin, hier vor Ort: Arm und überhaupt nicht sexy. Christian Wolter / sky STANDORT Der ehemalige Standort findet sich im Landschaftspark Herzberge, Zugang von der östlichen Ecke beim Evangelischen Krankenhaus Elisabeth Herzberge, Herzbergstr. 79.

Dort, wo die „Plumpe“ war, ist eine in Westberlin eher seltene Plattenbausiedlung mit 440 Wohnungen errichtet worden. Dennoch kann man in dem Kiez noch das eine oder andere Relikt der Hertha-Geschichte entdecken. An der „Millionenbrücke“ Der Klub tat sich im Sommer 1923 mit dem Berliner SC zusammen, der ein Eisbahngelände an der „Millionenbrücke“ erwarb, jener 1905 als Swinemünder Brücke geschaffenen Verbindung zwischen dem Wedding und dem Prenzlauer Berg, die so hieß, weil sie 2 Mio. Mark gekostet hatte. Aus dem BFC Hertha 1892 wurde Hertha BSC, ein neuer Verein, der am 1. Juli 1923 eine Sportplatz-Bau- und Betriebs-GmbH gründete, um die frühere Eisbahn von Gastronom Joseph Schebera zu bebauen. Der hatte Sportanlagen errichten lassen und an Vereine verpachtet – Zulauf war dem Wirt damit garantiert. Im neuen Stadion unterlag Hertha „auf dem einzigen Fußballplatz, den Berlin je hatte“, dem Namensvetter Hertha Wien 0:5. Das erste Spiel dort fand allerdings bereits am 9. Januar 1924 statt: Hertha gewann gegen VfB Pankow 1:0. Da waren die 3.600 Plätze auf der Holztribüne in der „schönsten Kampfstätte Berlins“ noch nicht überdacht, die ein BSC-Mitglied mit Schweizer Franken bezuschusst hatte. Den ersten ausländischen Gast empfing man am 21. April mit dem Teplitzer FK aus dem heutigen Tschechien (4:2), bald darauf folgte Hakoah Wien. Die Gesundbrunner aus dem Arbeitermilieu stiegen in der Folge zu einer deutschen Spitzenmannschaft auf. Ab 1926 erreichten sie sechsmal hintereinander (!) das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft, verloren zwar viermal nacheinander, gewannen den Titel aber 1930 und 1931. Bereits 1929 trennten sie


Foto: Karsten Skandrow

Der Zugang zum Stadion im Wedding nach der Rekonstruktion von 1951. sich vom Berliner SC, der sich nach langen Verhandlungen mit 76.000 RM auszahlen ließ. Fortan war der Hertha-Platz neben Olympiastadion (1936) und Poststadion (1927) eine der ersten Fußballadressen der Stadt, hier allerdings ohne Laufbahn. 35.239 Plätze wies das Stadion auf, davon 32.597 Stehplätze, vor allem auf den 1926/27 errichteten trapezförmigen Hintertor-Tribünen, seinerzeit die höchsten Deutschlands. „Es muss einmal klar ausgesprochen werden, dass weit und breit kaum eine solche Klubanlage besteht. Bei keinem größeren Platze sonst bietet sich dem Zuschauer das Bild der sportlichen Ereignisse so klar aus allererster Nähe (…). Auch auf dem billigsten Stehplatz besteht allerbeste Sichtmöglichkeit“ („Hertha-Nachrichten“, 1936). Offensichtlich war das Fassungsvermögen amtlicherseits aber falsch eingeschätzt worden, denn auch die „Fußball-Woche“ beschäftigte sich nach dem Städtespiel Berlin – Hamburg 1933 mit der „Enge des Herthaplatzes“: „An die 35.000 Zuschauer, die laut polizeilich genehmigtem Aushang auf dem Herthaplatz Platz finden sollen, glauben wir nicht, so viel Menschen sind unmöglich dort unterzubringen, ohne dass es zu schwersten Zwischenfällen kommt. Ein gütiges Geschick bewahre uns davor, dass einmal so viel Zuschauer auf den Herthaplatz gelassen werden, wie er laut Aushang fassen soll.“ Gleichzeitig aber wollte die Zeitschrift „für den Herthaplatz eine Lanze brechen“: „Hamburg – Berlin wäre auf einem anderen Berliner Fußballplatz nicht annähernd so stimmungsvoll geworden. (…) Es ist nun einmal eine Tatsache, dass der Fußballkenner sich am wohlsten auf diesem Platze zwischen Eisenbrücke und Behmstraße fühlt. Auf ihm drängt sich alles so angenehm zusammen, hier zuzuschauen ist doppelt reizvoll, jeder sieht gut und ist dem Spiel ganz nahe, fühlt (bildlich gesprochen) den Atem der Spieler, erlebt fast wie sie das Spiel. (…) Wir bezweifeln, dass im Preußenplatz und Poststadion ganz die gleiche Hochstimmung aufgekommen und ganz der gleiche Großbesuch zu verzeichnen gewesen wäre.“

Pat & Patachon in der „Plumpe“ Gerne hätte man von der „Plumpe“ Filmaufnahmen gesehen, die etwas von der dortigen Atmosphäre vermitteln. Leider gibt es bei YouTube nur einen privaten Schmalfilm, der sich aufs Spielgeschehen konzentriert und keine Totale zeigt. Jedenfalls sind die dänischen Komiker Pat & Patachon 1930 in ihrem ersten Tonfilm „1000 Worte Deutsch“ auch im „Stadion am Gesundbrunnen“ zu Gange, und Hertha-Idol „Hanne“ Sobek, auf den wir noch zurückkommen werden, hatte einen kleinen Auftritt – nicht als Fußballer, sondern als Frisör. So müssen wir uns auf literarische Zeugnisse verlassen, wie sie z.B. Hertha-Chronist Michael Jahn aus den „Hertha-Nachrichten“ von 1928 zur „klassenlosen Gesellschaft“ zitiert hat: „Im Fußballstadion an der Plumpe, zu dessen unmittelbarem Einzugsgebiet die Arbeiterquartiere des Nordens gehören, konnten die Gefühle für kurze Zeit entfesselt werden. (…) Hier traten einige wenige stellvertretend für die große Masse der Zuschauer heraus aus der Bedeutungslosigkeit, zu der die meisten in der Arbeitswelt verurteilt waren. Hier gab es (…) keine Herkunfts- und Vermögensunterschiede, (…) eine Form des ‚sozialen Ausgleichs’, wie sie sonst nur in der Utopie existiert.“ „Man war ganz dicht am Spielfeldrand, roch den Rasen und hörte die Schreie der Spieler“, folgert Jahn. „Zauberberg“ und „Uhrenberg“ Die „Plumpe“ hieß so, weil dem Viertel Gesundbrunnen mit dem 1758 etablierten späteren Luisenbad eine mineralhaltige Heilquelle zugeschrieben wurde, deren Wasser wiederum aus einer Pumpe kam – die die Berliner „Plumpe“ nennen. Das alleine war schon ein Mythos, den zahlreiche andere Mythen speisten: Da war die erwähnte „Millionenbrücke“; es gab die gewaltigen Stehränge an den Hintertorseiten – ganz so, als hätte man ein Stadion von der britischen Insel nach Berlin versetzt –, den „Zauberberg“ und den „Uhrenberg“ mit der Stadionuhr.

Dem „Zauberberg“ – noch wurde ja heftig geraucht – widmete die „Fußball-Woche“ anlässlich des damals traditionellen Städtespiels Berlin gegen Hamburg (5:3) im Jahr 1932 sogar ein Gedicht (Auszug): „Welch ‚Milljö‘ und welch Gewimmel ‚Fritz, kiek bloß den Zauberberg!’ Qualmend ragt das Dings gen Himmel Auf dem Gipfel Zwerg an Zwerg ‚Der Vesuv ist jarnischt gegen, Roochen kann er ooch nicht mehr!’ Diese Massen bringen Segen für die Kassen, die so leer.“ Viele Anhänger, ungewöhnlich für Westberlin, reisten bis zum Mauerbau 1961 aus dem Osten an (es heißt, ein Drittel der Hertha-BSCFreunde seien Ostberliner gewesen); es gab vielgerühmte Rostbratwürste zu kaufen, gut gekühltes Flaschenbier und saure Gurken. Und im nahen, 1929 eröffneten Kino-VarietéPalast „Lichtburg“ feierte die Hertha 1930 die Meisterschaft und richtete zum 50-Jährigen Vereinsjubiläum 1942 ein Sonderpostamt ein. Das grandiose Lichtspieltheater ist trotz Denk-

Herthas Spieler und Anhänger verkehrten in den stadionnahen Festsälen „Zum Atlantic“. Aus: „Hertha-Nachrichten“, 26.11.1933 BERLIN

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„Die Toten brachten wir zur Seitentribüne“ Der von Goebbels ausgerufene „totale Krieg“ hatte für die Reichshauptstadt ebensolche Folgen. Als 1942 die Seitentribüne der „Plumpe“ beschädigt wurde, halfen Luftwaffe, Baubataillon und Vereinsmitglieder bei der Wiederherstellung. Hertha BSC revanchierte sich mit einem Spiel gegen den LuftwaffenSportverein (LSV) Berlin, das 7.708,70 RM für das Kriegswinterhilfswerk einbrachte. Das vorletzte Spiel im Krieg bestritt man am 1. Weihnachtsfeiertag 1944 gegen Wacker 04 (1:4), das aufgrund seines zerstörten Platzes

Foto: Koerfer / Nachlass Max Fischer / Bezirksamt Mitte Berlin

malschutz 1970 niedergelegt worden (Gedenktafel Behmstr. 9). 1936 war der Hertha-Platz sogar olympische Sportstätte, es spielten Peru – Finnland 7:3 („ziemlich leere Ränge. Hier zog immer nur Hertha BSC!“), Japan – Schweden 3:2 und Peru – Österreich 4:2 n.V. (vor 20.000), Letzteres ein Skandalspiel, denn peruanische „Fans“ unternahmen einen kleinen Platzsturm. Zum angeordneten Wiederholungsspiel im Poststadion traten die Peruaner, in deren Heimatland es Kundgebungen gegen Österreich und Deutschland gab, nicht an, die komplette Olympia-Mannschaft reiste ab. Karfreitag 1937 ließ der Verein ein Ehrenmal für die Kriegstoten einweihen, das Bildhauer und SA-Obersturmbannführer Oskar Glöckler entworfen hatte. Der frühere Stuttgarter, bereits 1922 NSDAP-Mitglied, war zeitweise Brandenburger Gau-Fachamtsleiter im Fußball. Er wurde später der Hochstapelei beschuldigt und beging 1938 Selbstmord. „Sein“ Denkmal zeigte einen aufrecht stehenden Soldaten mit Stahlhelm, Inschrift: „Unseren gefallenen Helden“. Ein Zusammenhang mit bald darauf verfügten staatlichen Steuerbefreiungen für den Verein lässt sich schwerlich herstellen, denn Hertha war, was das Denkmal anging, im Vergleich zu anderen Vereinen spät dran. Mit dem Entgegenkommen der staatlichen Stellen wurde jedenfalls der Unterhalt der „Plumpe“ erleichtert – „dass die parteipolitischen Kontakte (Anm. d. A.: zur NSDAP) mindestens nicht hinderlich gewesen sein werden, darf man getrost annehmen“ (Zeithistoriker Daniel Koerfer).

in den Wedding auswich, danach folgte am 7. Januar 1945 noch die Begegnung mit der Kriegs-Sportgemeinschaft Lufthansa/Viktoria 89 (8:1). Die Besatzung des nahen Flak-Hochbunkers am Humboldthain (heute Ruine) kapitulierte am 2. Mai 1945. Über den Zustand des Stadions nach den Kämpfen in Berlin berichtete die Hertha-BSCChronik: „Unser Sportplatz war nicht wiederzuerkennen. Tellerminen lagen überall herum und zwangen zur größten Vorsicht. Die Spielfläche hatte über 200 Bombentreffer aufzuweisen und sah wie umgepflügt aus. Hinter dem Uhrenberge türmten sich Mengen von Munition, Gewehren und Uniformstücken. Die toten Soldaten brachten wir zur hinteren Seitentribüne, um später für eine würdige Grabstätte sorgen zu können. Nach Abzug der Kampftruppen konnten wir unser Geschäftszimmer notdürftig aufräumen und dabei feststellen, dass viele schöne Erinnerungspreise nicht mehr vorhanden waren und von Volksgenossen (Anm. d. A.: NS-Bezeichnung für Mitbürger) in eigene Sicherheit gebracht worden sind. In der Nacht vom Sonntag des 6. Mai 1945 zum Montag erhellte ein riesiger Feuerschein unsere Gegend, der seinen Ursprung in dem Brand unserer Tribüne hatte. Wasser stand uns nicht zur Verfügung, und nur durch Abstoßen der brennenden Teile gelang es uns, einen Teil der vorderen Seitentribüne zu retten, die uns bis zum Umbau des Platzes gute Dienste geleistet hat.“ Hertha gab es 1945 erst einmal nicht mehr, dafür die SG Gesundbrunnen. Als der Senat ein Großstadion für den Humboldthain konzipierte, war die Existenz der „Plumpe“ in Frage gestellt. Doch Hertha kehrte zurück, auch weil Willhelm Wernicke, der 1933 als SPD-Mitglied nach 30 Jahren Amtszeit abgesetzte Vereinspräsident, wieder dabei war und der Verband Berliner Ballspielvereine (VBB) das Spielfeld renovieren ließ und mit ihm das Stadion,

Der West-Ost-Wappenstreit von 1960 Die „Plumpe“ war auch Ort deutsch-deutscher Fußballvergleiche, so am 8. Juni 1960, als Hertha dem ASK Vorwärts Berlin im Beisein von 7.400 mit 0:5 unterlag. Die „Neue FußballWoche“ der DDR: „Die Millionenbrücke an der ‚Plumpe’ ist nicht eingestürzt, im Corso-Kino an der Brunnenstraße spielt man immer noch ‚Der liebe Augustin’. Dem Gegeifer der Berliner Frontstadt-Presse nach muss es nämlich am Gesundbrunnen zu schweren Tumulten gekommen sein. Der Grund ihres Gezeters: Der ASK Vorwärts Berlin trat (…) mit dem Wappen seines Staates auf den Jerseys an.“ Die Westberliner Politik nahm tatsächlich daran Anstoß. Hertha wurde vorgeworfen, gegen eine Vereinbarung zwischen Senat und Landessportbund vom 4. Januar 1960 verstoßen zu haben. Zwei Senatoren samt Landessportbund drohten: „Bei Nichtbeachtung dieser Grundsätze tragen die Westberliner Vereine die Verantwortung für mögliche Störungen der öffentlichen Ordnung“ – was immer das bedeuten sollte. Mit dem Mauerbau 1961 fanden die fußballerischen Ost-West-Vergleiche vorerst ein Ende.

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Auf einer Werbepostkarte präsentierte Hertha BSC um 1938/39 stolz sein Stadion.

wenn auch dessen Fassungsvermögen auf 28.000 Plätze verringert worden war. Am 3. Juni 1950 erhielt der Verein das Stadion zurück, und am 10. Dezember 1950 wurde es mit einem 1:1 gegen Wacker 04 Berlin vor 20.000 erneut eingeweiht; Wacker, Gast im Krieg, hatte die Herthaner in der Nachkriegszeit in Reinickendorf aufgenommen. Hertha übernahm sich mit dem Aus- und Umbau finanziell, kostspielig war zudem das Engagement der aus der DDR geflüchteten Spieler des Dresdner SC (zeitweise standen neun von ihnen im Team). Obwohl der Senat – ungewöhnlich für diese Zeit – dem Verein bereits 70.000 DM zugeschossen hatte, standen noch immer 300.000 DM Schulden zu Buche. Der VBB und die Toto-GmbH retteten den Deutschen Ex-Meister vor dem Ruin. Sein sportlicher Niedergang – 1953/54 in der Amateurliga – war allerdings nicht aufzuhalten. Otto Rehhagel im Wedding Die DFB-Voraussetzungen für die Bundesliga – Fassungsvermögen 35.000, Flutlichtanlage – erfüllte die „Plumpe“ nicht. Hertha zog ins Olympiastadion um und verzeichnete dort in der ersten Bundesliga-Spielzeit im Schnitt 34.687 Besucher – Rang zwei hinter dem VfB Stuttgart. Als der Verein wegen verbotener Handgeldzahlungen 1965 zwangsweise die Bundesliga verlassen musste, kehrte er noch einmal in den Wedding zurück. Im „kicker“-Almanach verriet ein Eintrag: „Berlin 65, Behmstr. 28-48, Hertha-Sportplatz, 25.000 Zuschauer“. Eine überdachte Tribüne gab es immer noch nicht. Es war die Zeit, als Helmut Faeder, Hans-Joachim Altendorff und Hans Eder aufliefen, auch Ex-Nationaltorwart Wolfgang Fahrian und die späteren namhaften Trainer Otto Rehhagel, Jürgen Sundermann und Willibert Kremer. Eine Saison darauf galt sogar ein Fassungsvermögen von 28.000 – größer waren in Westberlin damals nur das Olympiastadion, das Poststadion und das Stadion Wilmersdorf (beide je 35.000). In der Regionalliga Berlin waren schließlich ab 1967/68 nur noch 18.000 zugelassen. Die Runden in der Stadtliga wurden für Hertha Alleingänge mit 58:2, 57:3 und 55:5 Punkten, ehe 1968 der Wiederaufstieg gelang – in dem Jahr, in dem auch Flutlicht im Wedding installiert wurde. Den größten Besuch erlebte die „Plumpe“ nicht beim Fußball, sondern am 24. Juni 1948 während der Berlin-Blockade bei einer politischen Kundgebung. Die Sozialdemokraten hatten im wegen der früheren KPD-Dominanz so bezeichneten „roten Wedding“ zum „Widerstand gegen die sowjetische Bedrohung“ aufgerufen. 70.000 bis 80.000 Menschen strömten zur „Demonstration der Freiheit“, um den Regierenden Bürgermeister Ernst


Reuter und Berlins SPD-Vorsitzenden Franz Neumann zu hören. Die Massenkundgebung hatte man „auf dem Herthasportplatz“ (eigentlich war der Verein noch verboten!) veranstaltet, damit über die Grenze hinweg auch Ostberlin beschallt werden konnte. „Alptraum aus Beton” Nach etlichen Wirrungen und Irrungen fiel das „begeisternde, kleine, enge Stadion“ (Nationalspieler Erich Beer) dem Abriss anheim. In der Ära von Hertha-Präsident Heinz Warneke – „wenn wir nicht verkaufen, gehen wir Konkurs!“ – veräußerte der Klub das Gelände. Aber das galt als Grünfläche und nicht als Wohngebiet. Zitieren wir den früheren ZDFRedakteur Hans-Jürgen Usko aus der „FAZ“, wonach „die Keulen-Riege des Berliner Senats und der Hertha-Vorstand“ die Umwandlung durchboxten, obwohl der Wedding hinsichtlich Sportanlagen mit 48 Prozent unter dem für Gemeinden geforderten „Goldenen Plan“ für Sportanlagen lag. Usko schrieb „vom Filz zwischen Sport und Politik, der jahrzehntelang die Stadt überzogen hat“. Herthas Mitglieder stimmten mit 163:15:57 (Letztere sprachen von „Verrat“) für den Verkauf der „Plumpe“. Das Abgeordnetenhaus segnete die Umwidmung in Baugelände ab, die Hertha-Schulden von 6,65 Mio. Mark plus ein Darlehen des Senats von 550.000 DM übernahm per Verkaufssumme die Münchner Baugesellschaft Optima. Nochmals Hans-Jürgen Usko: „Aus 22.000 Quadratmetern Grünfläche plus Fußball- und Zuschauerrängen, Tribüne und Heiterkeit und Spannung und Entspannung haben sie einen Alptraum aus Beton gemacht: Mietskasernen von abgrundtiefer Hässlichkeit.“ Das geplante Abschiedsspiel am 22. Oktober 1974 gegen den 1. FC Nürnberg fand nicht mehr statt: Die „Plumpe“ stand unter Wasser, die Clubberer blieben zu Hause, „Streichholz-

Feuerwerk“ und Blasmusik fielen aus. Das letzte Match bestritten insofern am 30. Oktober die Hertha-Amateure. Fans, darunter der allseits bekannte „Pepe“, der sich auch handgreiflich für den Verein starkmachte, stellten Fackeln auf und legten einen Trauerkranz auf dem Spielfeld nieder. Ein zerfetzter Fußball und das „Hertha-Schlückchen“ Wo die „Plumpe“ war, verläuft heute im Norden die Behmstraße, im Westen die Bellermannstraße, Grenze im Osten und Süden sind die Bahngleise. Bei den Plattenbauten stehen seit 1978 Kunstwerke von Michael Schoenholtz, Professor der Universität der Künste in Berlin: Der zerfetzte Fußball (Bellermannstr. 64-70) gilt als Symbol für die dubiosen Machenschaften zwischen Senat und Verein, vier Bronze-Fußballer (Behmstr. 38-42) erinnern an das Stadion und seine Akteure. Etliches von der „Plumpe-Hertha“ ist im Kiez noch übrig geblieben. Ecke Behmstr. 25/ Jülicherstr. steht noch das ehemalige „Hertha-Domizil“, früher Verkehrslokal mit Kegelbahn und Biergarten sowie Geschäftsstelle. Gebaut hat dieses heute denkmalgeschützte Club-Kasino 1924 Norden Nordwest (NNW), 1970 hat es Hertha BSC übernommen. Nachdem Renovierungspläne scheiterten, verkam das Anwesen, geriet in Brand und war Obdachlosen-Quartier. 2015 hat ein türkischstämmiger Investor das Gebäude saniert und darin ein Hostel mit Café eingerichtet. Ein Hertha-BSC-Museum wie ehemals vorgesehen wird es dort allerdings nicht geben. Dennoch preist die „Hertha-S-Bahn-Tour“ diese Station mit Swinemünder Brücke und S-Bahnhof Gesundbrunnen an, dessen Vorplatz seit 2006 nach „Hanne“ Sobek (früher Sobeck, 19001989), dem Nationalspieler und Spielmacher der Hertha, benannt ist. Sobek lebte in der seit 1929 erbauten Gartenstadt Atlantic Behmstr. 9,

wo sich unter der Nr. 11 auch ein kleiner Hertha-Fanshop befindet. Das heutige Migranten-Viertel wurde in der Presse als „sozial schwierige Gegend“ bezeichnet. Am deutsch-türkischen Integrationsund Kulturprojekt des „Mikrokosmos Gartenstadt“ nimmt auch der Bundesligist Hertha BSC teil. Die „Non-Profit-Modernisierung“ der Wohnungen haben die Erben des früheren jüdischen Besitzers Karl Wolffsohn realisiert, darunter der ehemalige Professor der Bundeswehr-Hochschule München, der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn, ein Enkel von Karl. Blieben noch die offiziellen Hertha-Fanclubs „Plumpe Zocker 04“ und „Plumpe Mucke“. Oder die „Plumpe“-Erinnerungsmünze, erhältlich beim Bayerischen Münzkontor. Und natürlich der „Bierbrunnen an der Plumpe“, „offizieller Hertha-Treff“. Wolfgang Holst, mit Hertha heftig in den Bundesliga-Skandal verwickelt, soll die Kneipe mit dem Rundtresen 1974 eröffnet haben. Der „Tagesspiegel“ bezeichnete in seinem Wedding-Blog das Lokal als „Hertha-Treff ohne Verbindung zum modernen Fußballgeschäft“. Es mag so sein, aber immerhin hat die Lokalität eine Website (www. bierbrunnen.info), erhältlich ist dort das „Hertha-Schlückchen“, ein Likör aus Waldfrüchten, und an den Wänden der Eckkneipe sieht man die Bilder der „Plumpe“ aus den Jahren, als Hertha noch Deutscher Meister war. Was will man mehr, wo das Stadion doch nicht mehr steht. STANDORT Nahe dem S-Bahnhof Gesundbrunnen lag Bellermannstr. 64-70 / Behmstraße das Hertha-BSC-Stadion. – „Bierbrunnen an der Plumpe“: Behmstr. 3. – Früheres Kasino von Hertha BSC: Jetzt Hostel, Ecke Behmstr. 25 / Jülichstraße. – Kunstwerke siehe Text.

■■ Spielstätten des BFC Preussen

Wie viele andere Klubs der frühen Fußballjahre auch war der Berliner FC Preussen von 1894 „auf Wanderschaft“, was seine Spielstätten betraf, ehe er zumindest für die Jahre 1924 bis 1936 in einem Großstadion ankam, das den Besucherrekord mit 40.000 verzeichnete. Athletik-Sportplatz: ein schottischer Betreiber Begonnen hatte Preussen wie etliche andere Berliner Pioniervereine (z. B. BFC Frankfurt 1885, Union 92, BFC Germania 88) auf dem Tempelhofer Feld. 1899 zog der damalige Berliner Fußballmeister auf den frisch eröffneten Athletik-Sportplatz am Kurfürstendamm um. Es war das erste reine Fußballstadion auf

deutschem Boden, das schon eine überdachte Tribüne und fest installierte Tore aufwies. Innerhalb des Sportparks Kurfürstendamm zwischen Wilmersdorfer Straße/Sybel-/Droysen-/ Mommsenstraße, zu dem auch eine Radrennbahn gehörte, betrieb es der in Berlin lebende Schotte Andrew Pitcairn-Knowles. Der namhafte Fotojournalist gründete 1895 das Magazin „Sport im Bild“. Der BFC Preussen durfte am „Kudamm“ gratis spielen, doch kamen die Einnahmen Besitzer Pitcairn-Knowles zugute. Zur Eröffnung am 23. November fand vor 1.500 Zuschauern eines der sechs „Ur-Länderspiele“ statt, ein 2:13 einer eher Berliner als deutschen Auswahl gegen eine Melange aus englischen Profis und Amateuren. Am nächs-

Foto: Dr. Thomas Schneider

Das erste deutsche Fußballstadion – am „Kudamm“

1900 kündigte „Sport im Bild“ die Gastspiele des Richmond FC auf dem „Athletik-Sportplatz“ an. BERLIN

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Foto: Archiv Christian Wolter

Vor der Tribüne haben um 1933 die Jugendmannschaften von Preussen Berlin und dem Kieler SV Holstein Aufstellung genommen. ten Tag gab es in veränderter Aufstellung noch ein 2:10 vor 512 Besuchern. 1900 und 1901 gelang den Preussen die Berliner Titelverteidigung und im März 1901 ein 8:3 über die Surrey Wanderers, gleichbedeutend mit dem ersten deutschen Sieg gegen einen Klub aus England. Der Gegner von der Insel setzte sich aus Amateurfußballern des Distrikts Surrey zusammen. Anfang 1903 endete die Existenz des Athletik-Sportplatzes schon wieder: Er wurde abgerissen, um Platz für die typischen Wohnblöcke seiner Zeit zu schaffen. Damit teilte er das Schicksal vieler früher Sportstätten in der Hauptstadt. Während des Intermezzos des BFC Preussen auf dem Schebera-Platz (die heutige Spielstätte von Norden-Nordwest) am Bahnhof Gesundbrunnen und in der Radrennbahn Friedenau (s. S. 17) legte eine aus führenden Vereinsmitgliedern gebildete Sportplatz-Gesellschaft einen eigenen Platz an, der am 20. September 1903 mit einem 1:5 gegen den Deutschen Meister VfB Leipzig seiner Bestimmung übergeben wurde. Dieses Gelände lag am Teltower Kanal, postalisch erreichbar unter der Tempelhofer Adresse Berliner Str. 54. Der recht einfache Platz fasste ein paar Tausend Zuschauer. Es gab einige Sitzplätze, jedoch nicht überdacht. Am 9. Mai 1907, zu Himmelfahrt, gab hier der FC Arsenal-Woolwich London mit einem 9:1-Sieg seine Visitenkarte ab. 1909 lief der Pachtvertrag mit der Tempelhofer Terrain-Gesellschaft aus. Zu Beginn der 1920er Jahre wurde hier ein Filmkopierwerk erbaut. Heute beherbergt es ein kulturelles Zentrum, dessen Name UfaFabrik noch an diesen Zweck erinnert. Mariendorf: ein Quadrat­kilometer – vier Stadien Die Preussen bezogen zunächst Unterquartier auf dem Platz von Britannia 92 in Schmargendorf, wo 1910 auch die vierte Berliner Meisterschaft gefeiert wurde. Am 5. Oktober 1913 eröffnete der Verein als vierter Erstligist nach Viktoria 89, Union 92 und BBC 03 einen Tribünensportplatz in Mariendorf, damals noch ein 24

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eigenständiges Dorf und bis heute wohl das einzige weltweit, dass auf einem Quadratkilometer vier damals erstklassige Fußballspielstätten aufwies. Der für diesen neuen Preussen-Platz verantwortliche Architekt hatte sich eigens Inspirationen im Mutterland des Fußballs geholt. Die dort verbreiteten Dreiecksgiebel, Markenzeichen des maßgeblichen britischen Stadionarchitekten Archibald Leitch, gefielen ihm so gut, dass er das Mariendorfer Tribünendach mittig mit einem solchen verzierte. Den Platz mit seiner 375-m-Laufbahn säumten Stehstufen für 12.000 Besucher, die Tribüne bot dagegen nur 500 Sitzplätze. Im Eröffnungsspiel siegten die Hausherren gegen den befreundeten Wiener AC mit 3:0. Seinen Zuschauerrekord verzeichnete der Platz mit 12.000 Besuchern am 23. Januar 1921 beim 0:3 der Berliner Stadtmannschaft gegen Süddeutschland. 1922 fand hier das FinalRückspiel um die Berliner Meisterschaft statt: Norden-Nordwest sicherte sich vor 10.000 Zuschauern mit 1:0 den Titel gegen Union 98-SC Charlottenburg. Die Platzanlage fand Gefallen, wurden dorthin doch auch Endrundenspiele um die Deutsche Meisterschaft vergeben. Daran lässt sich die steigende Popularität des Fußballsports ablesen: 1914 kamen zur Begegnung Berliner BC gegen Askania Forst 2.500 Zuschauer, 1920 waren es im Halbfinale Stettiner FC Titania gegen 1. FC Nürnberg (0:3) bereits 10.000. 1923 lief auch dieser Pachtvertrag in Mariendorf aus. Das Stadion und seine zwei Nebenplätze wurden noch jahrelang von Sportvereinen verschiedener Verbände genutzt, bis ab 1933 mit dem Bau der Martin-Luther-Gedächtniskirche das ganze Areal so verändert wurde, dass heute keine Spuren seiner früheren Bestimmung mehr erkennbar sind. Preussen-Stadion als Spielfilm-Kulisse 1923 begann der BFC Preussen mit dem Bau einer Großarena im Nordwesten des Tempelhofer Feldes. Jedes Mitglied, auch die Jugend,

wurde zu 24 Arbeitsstunden verpflichtet. Der Stadionwall entstand kostensparend aus dem Aushub des zwei Meter tief ausgeschachteten Innenraums und der nahe gelegenen U-Bahnlinie 6. Zur Einweihung am 30. August 1924 (4:4 gegen Viktoria 89) existierte das Stadion erst in den Grundzügen. Der Sandwall war noch nicht terrassiert und die Tribüne noch nicht überdacht. Am 5. April 1925 fand hier das erste große Ereignis statt, das Entscheidungsspiel um die Berliner Meisterschaft zwischen Titelverteidiger Alemannia 90 und Hertha BSC. 20.000 verkaufte Karten bedeuteten einen neuen Zuschauerrekord für diesen Wettbewerb. Hertha gewann 3:2 und legte damit den Grundstein für eine Serie von sieben Stadtmeisterschaften und die Teilnahme an sechs Endspielen in Folge um die Deutsche Meisterschaft (1926 bis 1931). Der Stadionausbau ging voran, wurde aber nie ganz abgeschlossen. Architekt Otto Hensel hatte sich in englischen Stadien umgeschaut und kopierte jenes typische, von Archibald Leitch etablierte, effiziente terracing mit Stufen für immer nur eine Zuschauerreihe. Außerdem war das 100 Meter lange Tribünendach über den 1.000 Plätzen nach Art einiger britischer Grounds (White Hart Lane von Tottenham Hotspur in London, Ibrox Park der Glasgow Rangers) mit einer Reporterkabine versehen. Zudem erinnerte das Strebewerk der Dachkonstruktion an das von Leitch kreierte Stadiondesign. Zur Tribüneneröffnung am 9. April 1927 gastierte der Cambridge University AFC und entführte vor 10.000 Besuchern einen 3:2-Sieg. Zu sehen waren Tribüne samt Preussen-Stadion einige Monate später auch im Kino, nämlich in „Der König der Mittelstürmer“, einem der ersten deutschen Fußballfilme, und einem erfolgreichen dazu. Der Hauptdarsteller hieß Tull Harper – gemeint war der HSVer „Tull“ Harder, eines der ersten deutschen Fußballidole. 50.000 Plätze: nie verwirklicht Vor dieser Kulisse war auch Hertha BSC in vier Berliner Meisterschaftsendspielen erfolgreich. Am 23. April 1927 stellten 30.000 Besucher beim 4:1 von Hertha gegen Kickers 1900 einen vorläufigen Stadionrekord auf. 1931 und 1933 trug der Verband Brandenburger Ballspielvereine (heute Berliner FV) hier seine Pokalfinals aus, es siegten Tennis Borussia und BSV 92, ferner vier Spiele um den Bundespokal der DFB-Regionalverbände, darunter auch das Endspiel von 1929, bei dem die VBB-Auswahl Norddeutschland mit 4:1 vor 25.000 Augenzeugen schlug. Den endgültigen Platzrekord bescherte aber ein Städtespiel gegen die Prager Profi-Auswahl (0:5 am 21. Januar 1934): 32.000 verkaufte Karten zuzüglich etwa 8.000 Kinder, die freien Eintritt hatten. Das Preussen-Stadion war eigentlich für ein Fassungsvermögen von bis zu 50.000 konzipiert. Dazu hätten aber auch die Torbögen terrassiert werden müssen, was nie geschah. Einige Zeit rangierte es nach dem Deutschen Stadion (ab 1918 auch als Grune-


Foto: „Deutsche Sport-Illustrierte“ 1934, Nr. 14

Der Fußball wird politisch instrumentalisiert: „Saar-Kundgebung“ 1934 auf dem Berliner „Preussen-Platz.“ waldstadion bezeichnet) an zweiter Stelle der größten Berliner Fußballstätten, bekam aber bei der Zuweisung profitabler Verbandsspiele immer mehr Konkurrenz, vor allem durch den populären Hertha-Platz (s. S. 20) und das PostStadion, dann auch noch durch das PolizeiStadion (s. u.), für das es Gedankenspiele zum Ausbau auf 60.000 gab. Trotz lokaler Konkurrenz wählte man immer wieder die „Hauptkampfbahn Tempelhofer Feld“, den „Preussen-Platz“, das „Preussen-Stadion“ – gemeint ist immer dieselbe Spielstätte – als Austragungsort für Berlins Meisterschaftsendrunde aus. Hertha BSC

genoss dort bei DFB-Endrundenspielen oftmals Heimrecht – Rekord waren 35.000 gegen Gruppensieger PSV Chemnitz 1935 –, ebenso Tennis Borussia und Viktoria 89 aus Berlin. Bemerkenswert auch die 30.000, die dort 1933 Fortuna Düsseldorfs vorletzte Etappe auf dem Weg zur Deutschen Meisterschaft mit dem 4:0 gegen Eintracht Frankfurt sahen. Berlins älteste Stehstufen Infolge der Weltwirtschaftskrise von 1929 ließ sich die Fertigstellung der PreussenHeimstätte nicht mehr realisieren. Zudem beschloss am 31. Oktober 1934 das Luftfahrt-

amt den Ausbau des Flughafens Tempelhof. Dem erforderlichen Neubau des Flughafengebäudes stand das Stadion im Weg. Am 23. Februar 1936 kamen noch einmal 20.000 Besucher zum Auswahlspiel gegen Bayern (0:7). Das letzte Spiel überhaupt fand am 1. Mai 1936 statt, ein 7:0 des Hausherrn im Pokal gegen Fortuna Jüterborg. Nach Abpfiff hielt der Vereinsführer eine Abschiedsrede, und die Preussen-Fahne mit dem schwarzen Adler wurde feierlich eingeholt. Nach dem Stadionabbruch wurden Stehstufen, Büsche und alles sonstige Wiederverwertbare in den Stadtteil Lankwitz transportiert, wo die Preussen ihre nächste und bis heute aktuelle Spielstätte errichteten. Und so erklärt es sich, dass die ältesten Stehstufen eines Berliner Fußballplatzes heute im Preussen-Stadion an der Malteserstraße zu finden sind. Christian Wolter STANDORT Von 1899 bis 1903 Sportpark Kurfürstendamm zwischen Wilmersdorfer-/Sybel-/ Mommsenstraße, nördlich der heutigen U-Bahn-Station Adenauerplatz. – Von 1903 bis 1909: Heutige Ufa Fabrik, Viktoriastr. 10-18 in Berlin Tempelhof. – Von 1909 bis 1923: Am Ort der Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Mariendorf, Rathausstr. 28-29, östlich der U-Bahn-Station Westphalring. – Von 1924 bis 1936: Auf dem Gelände des inzwischen aufgegebenen Flughafens Tempelhof. – Aktueller Preussen-Platz: Malteserstr. 24-36, BerlinSteglitz.

■■Walter-Ulbricht-Stadion /

Stadion der Weltjugend

Das „Wembley der DDR“ Anfangs war es das größte Stadion der DDR und auch ein Beleg für Personenkult, trug es doch den Namen von Walter Ulbricht. Der, auch dies ein Symptom des Staates, verschwand dann 1973 über Nacht. Verbunden mit dem später so benannten „Stadion der Weltjugend“ waren Großereignisse wie die Weltfestspiele, Länderspiele und vor allem Endspiele um den FDGB-Pokal, die durchgehend von 1975 bis 1989 dort ausgetragen wurden. Im Zuge der Olympia-Bewerbung für 2000 im wiedervereinigten Berlin wurde der Bau niedergelegt. Auf der langjährigen Brache baut nun der Bundesnachrichtendienst (BND). Historisch: das Polizeistadion Wie in vielen anderen deutschen Städten auch war der 1820 entstandene Exerzierplatz der nach den Zerstörungen der 1848er-Revolution neu erbauten „Maikäferkaserne“ zu Sportzwecken umfunktioniert worden. Diese Kaserne hieß so wegen der bunten Uniformen des

Garde-Füsilier-Regiments. Am 9. November 1918 wurde sie von Aufständischen gestürmt. Drei von ihnen erschoss ein Offizier, darunter den Werkzeugmacher Erich Habersaath (USPD) (siehe Habersaathstraße in der Nähe, Gedenktafel nach der „Wende“ geraubt). Auf dem Exerzierplatz entstand 1927 eine Hauptkampfbahn mit Stehstufen: das Polizeistadion, dessen bester Besuch mit fast 40.000 beim Spiel Tennis Borussia gegen Hertha BSC 1938 erreicht wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Stadion stark beschädigt und insbesondere die inzwischen von der Polizei genutzten Kasernenbauten weitgehend zerstört. Trotz Kriegsschäden war die Spielstätte noch für den Sport geeignet. Anfang 1946 gab es ein Fußballturnier, das Osloer Straße vor Neukölln, Mitte und Staaken gewann. Am 29. Juni desselben Jahres hatte die SPD-Zeitung „Vorwärts“ dort ein Sportfest unter Mitwirkung von Berufsboxern (!) veranstaltet, der Reinerlös war für die Verschickung er-

holungsbedürftiger Berliner Kinder gedacht. Das gefiel auch den Kollegen vom „Neuen Deutschland“ („ND“): „Bravo dem ‚Vorwärts’, der durch seine Veranstaltung, die erste dieser Art, den Sport förderte und zugleich glücklich ausnutzte: als Mittel für eine freudige Zukunft der jungen Generation!“ Tumulte beim Radrennen Die „Sportkommission für den Berufsradsport“ kündigte im Stadion für das Jahr 1948 neun Renntage an (mehr bot nur die Werner-Seelenbinder-Kampfbahn in Neukölln). Die Radrennen in Stadtmitte waren eine Attraktion: Ostermontag 1949 wurden 30.000 Besucher gezählt. Es war allerdings ein Renntag, der skandalös endete. Weil keine ausreichende Lautsprecheranlage zur Verfügung stand, brachen Tumulte aus. Bericht des „ND“: „Nur einige Hundert hielten sich randalierend im Innenraum auf. Die polizeilichen Ermittlungen haben inzwischen ergeben, dass die vorwieBERLIN

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gend jugendlichen ‚Unruhestifter’ zum größten Teil mit Freikarten ins Stadion gelangten und dass eine organisierte Provokation unbedingt vermutet werden muss. Blinde Vernichtungswut und beinahe sogar Mordlust beherrschte die aufgewiegelte Menge. Die Volkspolizei, die sich zweimal bemüht hatte, durch das Heranschaffen anderweitiger Lautsprecheranlagen die Veranstaltung zu retten, wurde das Opfer der rasenden Menge.“ Der Renntag wurde für den 23. April neu angesetzt, doch gleichzeitig äußerte die Presse Kritik am Berufssport. Dessen Veranstaltern sprach man „das nötige Verantwortungsgefühl und den nötigen Ernst“ ab. „Es dürfte höchste Zeit sein für die verantwortlichen Stellen, im Thema Berufssport in ernstes Wort zu sprechen.“ Tatsächlich wurde das Berufsboxen am 15. April 1949 verboten, die Berufs-Radsport-Kommission wurde 1958 aufgelöst, was vermutlich irrelevant war, da viele Fahrer bereits in den Westen abgewandert waren. Im Shuttle über die Sektorengrenze In den Nachkriegsjahren war die Sportstätte Zug um Zug wiederhergestellt worden, hieß statt Polizeistadion nun „Stadion Mitte“ bzw. „Stadion Stadtmitte“ und lag an der Chausseestraße nur etwa 300 Meter entfernt von der Sektorengrenze und vom Westberliner Wedding. Zwei Tage nach Gründung der DDR, am 9. Oktober 1949, wurde sie offiziell neu eröffnet, zum einjährigen Bestehen des Deutschen Sportausschusses. Was damals noch möglich war: Zwischen den Spielorten Poststadion in Berlin-Moabit (Westteil) und dem Stadion Mitte in Ostberlin wurde ein „Autobus-Sonderdienst“ eingerichtet, heute heißt so etwas Shuttle-Service. Auch hatte man die Anstoßzeiten abgestimmt: Im Westen spielte ab 13:15 Uhr BSV 92 gegen Union Oberschöneweide in der damaligen Gesamtberliner Liga, im Osten traten ab 15:30 Uhr Gewerkschafts-Auswahlmannschaften von Sachsen und Ungarn (Csepel Budapest kombiniert mit Haladás Szombathely) vor 35.000 an.

Für größere Veranstaltungen reichte die Anlage allerdings nicht aus. Und weil es im Ostteil Berlins, der künftigen Hauptstadt der DDR, auch sonst keine Sportanlage für Großveranstaltungen gab, hatte der Berliner Magistrat im sowjetischen Sektor bereits am 7. April 1949 beschlossen, nach der Wiederherstellung des Stadions Mitte auch noch dessen „unverzüglichen Ausbau“ anzupacken. 120 Tage Bauzeit: eine Legende Nach offizieller Lesart erging der Auftrag zum Neubau des Stadions erst Ende 1949; zum Deutschlandtreffen der Freien Deutschen Jugend (FDJ) ab 27. Mai 1950 sollte es fertig sein. „Es gibt kein Unmöglich!“, wurde in diesem Zusammenhang der stellvertretende Vorsitzende im Ministerrat Walter Ulbricht zitiert. Bereits am 18. März 1950 schrieb die „Tägliche Rundschau“ vom „grünen Wunder an der Chausseestraße, die immer eine der hässlichsten Straßen Berlins gewesen ist und am hässlichsten vor den öden Fassaden der ehemaligen Maikäferkaserne war“. In Wahrheit wurde bereits vor Ulbrichts Aufruf kräftig gewerkelt, insofern kann von nur 120 Tagen Bauzeit keine Rede sein. Seit Ende Juni 1949 waren „Aufbautage“ ausgerufen, der erste Preis für die fleißigsten Helfer betrug „drei Satz Jerseys und vier Bälle“. Im Februar 1950 hieß es: „Hier arbeiten unablässig Tag und Nacht freiwillig junge Menschen aus allen Teilen der DDR.“ Auch wurde das Flüsschen Panke damals in ein neues Bett verlegt. Nicht alles lief nach Plan, ohne die Aufbauleistungen der damaligen SBZ bzw. DDR diffamieren zu wollen. Ende Januar fingen Trümmerfrauen, beschäftigt im Stadion Mitte, einen herben Rüffel ein, weil sie im bitterkalten Winter zehn Fensterrahmen einer Baracke der Universitätsklinik Charité verfeuert hatten, um sich zu wärmen. Kritik erntete sogar auf der Titelseite des „Neuen Deutschland“ („ND“) unter der Schlagzeile „DHZ Holz auf dem Holzwege“ die Deutsche Handelszentrale für Holz, deren umständliche Verwaltung die Fertigstellung des Stadions Mitte erschwere.

Die Pokal-Endspiele 3. September 1950: BSG Stahl Thale – BSG Turbine Erfurt 4:0, 15.000 Zuschauer   (einziges Endspiel im damaligen Walter-Ulbricht-Stadion) 14. Juni 1975: BSG Sachsenring Zwickau – SG Dynamo Dresden 1:1 n. V., 4:3 i. E., 55.000   (ab jetzt alle Endspiele im Stadion der Weltjugend) 1. Mai 1976: 1. FC Lokomotive Leipzig – FC Vorwärts Frankfurt 3:0, 50.000 28. Mai 1977: SG Dynamo Dresden – 1. FC Lokomotive Leipzig 3:2, 50.000 28. April 1978: 1. FC Magdeburg – SG Dynamo Dresden 1:0 n. V., 50.000 17. Mai 1980: FC Carl Zeiss Jena – FC Rot-Weiß Erfurt 3:1 n. V., 45.000 7. Juni 1981: 1. FC Lok Leipzig – FC Vorwärts Frankfurt 4:1, 45.000 1. Mai 1982: SG Dynamo Dresden – Berliner FC (BFC) Dynamo 1:1 n. V., 5:4 i. E., 48.000 4. Juni 1983: 1. FC Magdeburg – FC Karl-Marx-Stadt 4:0, 48.000 26. Mai 1984: SG Dynamo Dresden – BFC Dynamo 2:1, 48.000 8. Juni 1985: SG Dynamo Dresden – BFC Dynamo 3:2, 48.000 31.Mai 1986: 1. FC Lokomotive Leipzig – 1. FC Union Berlin 5:1, 50.000 13. Juni 1987: 1. FC Lokomotive Leipzig – FC Hansa Rostock 4:1, 47.000 4. Juni 1988: BFC Dynamo – FC Carl-Zeiss Jena 2:0 n. V., 40.000 1. April 1989: BFC Dynamo – FC Karl-Marx-Stadt 1:0, 35.000

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BERLIN

Bauhaus-Schüler Selman Selmanagic Die Gesamtanlage schließlich hatte gewaltige Dimensionen. Auf 135.000 qm fanden im Stadion 60.000 Menschen Platz, zusätzlich war ein Aufmarschgelände für 20.000 geschaffen worden sowie Grünanlagen, die laut „Rundschau“ „zu den schönsten und größten in Berlin gehören. Alles an diesem Stadion ist schlicht und hell, frei, voll Schwung, dabei sicher und fest in den Maßstäben.“ Bis zur Fertigstellung des Leipziger Zentralstadions 1956 war dies die größte DDR-Sportstätte. Charakteristisch waren der Zeitnehmerturm und stattliches Natursteinmauerwerk. Als Architekt fungierte Selman Selmanagic, ein Bauhaus-Schüler bosnischer Abstammung, seit 1945 Verantwortlicher für Kultur- und Erholungsstätten-Planung beim Magistrat von Groß-Berlin und ab 1951 Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Die Gartengestaltung plante Reinhold Lingner. Die Höhe der Wälle hatte man verdoppelt, es gab umlaufend 15 Sitzreihen und 35 Stehstufen, dazu eine kleine überdachte Ehrentribüne mit 700 Plätzen. Die Architekturhistorikerin Simone Hain (www.bauhaus-online. de) hob zum 100. Geburtstag von Architekt Selmanagic insbesondere die Gestaltung der Gesamtanlage hervor, in deren Casino auch Gesundheitseinrichtungen für die Bevölkerung untergebracht waren: „Ein großes Geschenk für die überbevölkerte Innenstadt. Saftiges Grün, in weitläufigen Schwüngen mit feurigen Salvien, Petonien und Pelargonien bepflanzte Schmuckbeete und bauhausfarbig blau, rot, gelb gestrichene breite Bänke sowie tausend Freiluftrestaurantplätze ließen die begeisterten Berliner an den Kurgarten von Swinemünde denken.“ Zur Eröffnung am 28. Mai 1950 erhielt das Stadion Mitte einen neuen Namen: den von Walter Ulbricht (1893-1973). Es wurde also – sehr ungewöhnlich – nach einem noch lebenden Zeitgenossen benannt. In Anbetracht des Spitzbarts des Stellvertreters des Ministerpräsidenten soll der Volksmund die Sportstätte später „Zickenwiese“ getauft haben. Ulbricht war ein eifriger Freizeitsportler, überliefert ist sein Motto von 1959: „Jedermann an jedem Ort / Einmal in der Woche Sport!“ In der Westberliner Presse wurde der neue Name der Sportstätte lange negiert, man schrieb weiter vom Stadion Mitte. Propaganda und Gummiknüppel Den Rahmen für die Stadioneröffnung bildete wie geplant das Deutschlandtreffen der Freien Deutschen Jugend (FDJ) zu Pfingsten 1950 (27. bis 30. Mai) mit nach DDR-Angaben 700.000 Beteiligten. Die FDJ war die Jugendorganisation der SED, ob ihrer Kleidung „Blauhemden“ genannt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der BRD waren erheblichen Schikanen durch westdeutsche Polizei und Grenzer ausgesetzt. In Westdeutschland/Westberlin galt das Deutschlandtreffen als „Veranstaltung im Zeichen der kommunistischen Friedenspropaganda“. Die Nutzung des ehemaligen Reichssportfeldes beim Olympiastadion und


Zeitweise die größte Sportanlage der DDR und „ein großes Geschenk für die überbevölkerte Innenstadt“: das spätere „Stadion der Weltjugend“. des Stadions selbst in Westberlin war der FDJ untersagt worden. Gleichzeitig machten in Westberlin, auf der anderen Seite der damals noch durchlässigen innerstädtischen Grenze, in diesen Pfingsttagen Politiker wie Ludwig Erhard (CDU) und der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher, der Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS), Gewerkschaften, Firmen etc. mobil, um die „Verbundenheit des freien Deutschland mit Berlin“ zu demonstrieren. Für FDJ-Ausflügler hielt man im Westen Kost und Infomaterial bereit. 500 von ihnen sollen nach Westangaben dort geblieben sein. Erneut stand 1951 das Walter-Ulbricht-Stadion im Mittelpunkt, als in Berlin-Ost vom 5. bis 19. August 1951 die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten abgehalten wurden. 26.000 Delegierte aus 104 Ländern kamen, weitere zwei Millionen Jugendliche nahmen teil. Man hatte die Sportstätte nochmals ausgebaut, das Fassungsvermögen erhöhte sich damit auf 70.000. Als Auffüllschutt dienten die Trümmer der Ruine des Berliner Stadtschlosses (das jetzt wieder aufgebaut wird, anstelle des Palasts der Republik, der 1976 bis 2009 bestand). Fußballerische Höhepunkte der Weltfestspiele waren die Begegnungen DDR gegen Dynamo Moskau (bereits am 3. August vor 80.000 1:5 und am 12. August vor 75.000 0:2). „Dynamo ist einfach Weltklasse!“, wurde geurteilt. Die Sektorengrenzen waren noch offen, und als 26.000 FDJler in den Westbezirken Neukölln, Kreuzberg und Wedding demonstrieren wollten, wurden sie mit Gummiknüppeln und Wasserwerfern konfrontiert. Bei den Massenschlägereien – so meldet es eine vom

Westberliner Senat in Auftrag gegebene Chronik – wurde die Polizei „von West-Berliner Bürgern unterstützt“, es gab zahlreiche Verletzte. Beteiligt war auch die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“, eine Art „Fünfte Kolonne“ der US-Geheimdienste unter Beteiligung des späteren Bundesverfassungsrichters Ernst Benda von der CDU. Die Charlottenburger Amtsärztin Anneliese Groscurth, deren Ehemann in der NS-Zeit ermordet worden war, initiierte einen Untersuchungsausschuss – Publikation: „Frontstadt-Terror in Westberlin“ –, woraufhin sie beruflich ruiniert wurde. Aber so ändern sich die Zeiten: In Berlin-Westend wurde 2006 (gegen die Stimmen der CDU) der Groscurth-Platz benannt. 17. Juni 1953: Sturm auf das Walter-Ulbricht-Stadion „Faschistischer Sturm auf das Walter-UlbrichtStadion missglückt“, titelte das damalige SED-Zentralorgan „ND“ am 19. Juni 1953. Was geschehen war: Beim Aufstand zwei Tage zuvor waren Tausende Demonstranten ins Stadion eingedrungen. Aus dem Lagebericht der Volkspolizei: „11:30 Uhr Im WalterUlbricht-Stadion wird die Schrift abgerissen und Mauer und Bänke zerstört.“ Zu diesem Zeitpunkt brannten bereits drei Zeitungskioske in der Nähe. „12:57 Uhr Demonstranten zerstören Fensterscheiben der Unterkünfte und das Mobiliar.“ „13:30 Uhr Es besteht keine telefonische Verbindung mehr.“ Das „ND“ meldete schließlich: „Die Belegschaft des Stadions verhinderte Verwüstungen am Hauptgebäude und auf den Rängen und konnte

die faschistischen Provokateure (Anm. d. A.: auch als „Westberliner Rowdys“ bezeichnet) bis zum Eintreffen der Volkspolizisten und der Sowjetsoldaten in Schach halten.“ Bemerkenswert, dass die Parteizeitung in ihrer Nachberichterstattung zu den Vorfällen den Charakter der Sportstätte für ganz Berlin betonte: „Welcher Sportler aus Ost- oder Westberlin kennt nicht dieses herrliche Stadion im Herzen Berlins?“ Sodann wurden noch einmal die wesentlichen Ereignisse „im größten Stadion im demokratischen Sektor Berlins“ aufgeführt, die Besucher „aus allen Teilen der Stadt“ und ein Zitat des Studentenweltmeisters über 1.500 Meter, Garai aus Ungarn: „Ich bin auf vielen Sportplätzen Europas und in den schönsten Stadien gelaufen, aber ein so schönes Stadion habe ich noch nicht gesehen.“ Und, im Hinblick auf das Fußballspiel Union 06 Berlin gegen Motor Oberschöneweide (2:0) vor 25.000: „Für die Westberliner ist es schon zu einer guten Gewohnheit geworden, sich große Spiele im Walter-Ulbricht-Stadion anzusehen.“

„Neues Deutschland“ vom 19. Juni 1953 BERLIN

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Die Länderspiele (bis 1973: Walter-Ulbricht-Stadion, ab 1973: Stadion der Weltjugend) 8. Mai 1954 gegen Rumänien 0:1, 70.000 Zuschauer 20. November 1955 Bulgarien 1:0, 65.000, erster Heimsieg 10. März 1957 Luxemburg 3:0, 40.000, erster Gegner aus Westeuropa 5. Oktober 1958 Bulgarien 1:1, 50.000 26. Juni 1959 Portugal 0:2, 40.000, EM-Qualifikation 10. September 1961 Ungarn 2:3, 25.000, WM-Qualifikation, 25.000 18. November 1962 CˇSSR 2:1, 50.000, EM-Qualifikation 21. Oktober 1963 Ungarn 1:2, 60.000, EM-Qualifikation 18. November 1967 Rumänien 1:0, 35.000, Olympia-Qualifikation 29. März 1969 Italien 2:2, 60.000, WM-Qualifikation 7. September 1977 Schottland 1:0, 50.000 1. Juni 1979 Rumänien 1:0, 50.000 13. Oktober 1979 Schweiz 5:2, 44.000, EM-Qualifikation Es gibt zahlreiche Anzeichen dafür, dass die DDR nach den Unruhen auch im Fußballsport wieder Normalität herzustellen versuchte. So wurde bereits am 5. Juli 1953 das notwendig gewordene Entscheidungsspiel um die DDR-Meisterschaft zwischen Dynamo Dresden und Wismut Aue (3:2 n.V.) in Berlin angesetzt. „Es muss festgestellt werden, dass sich die Berliner des in sie gesetzten Vertrauens als Ausrichter würdig erwiesen. Alles war gut vorbereitet, das Walter-Ulbricht-Stadion, das am 17. Juni von faschistischen Rowdys zerstört werden sollte, prangte im schönsten Farbenschmuck. 45.000 Zuschauer, unter ihnen der Stellvertreter des Ministerpräsidenten, Walter Ulbricht, und der Oberbürgermeister von Groß-Berlin, Friedrich Ebert, gaben dem Endspiel einen großen Rahmen. Es herrschte eine wahre Endspielstimmung“ („ND“). Allerdings versagte laut „Die neue Fußballwoche“ die HO (Handelsorganisation): Bei sommerlichen Temperaturen gab es kein Selterwasser, und die Vorräte an Apfelsaft reichten nicht aus. Auch war wegen des Ausnahmezustands kein Sonderzug mit Dresdener Anhängern eingetroffen. Rundfunkreporter an jenem Tag waren Heinz Florian Oertel und Oskar Klose (später ARD), als Journalist vor Ort war Claus Mittenzwei (später dpa Hannover). Deutsches Unikum: Die „Aussöhnungsspiele“ Als „Spiele im Geiste der Freundschaft und Verständigung“ und „wichtiger Beitrag im Kampf um die Herstellung der Einheit Berlins“ galten aus DDR-Sicht die im deutschen Fußball einmaligen „Aussöhnungsspiele“, deren Auftakt am 1. Weihnachtsfeiertag 1953 stattfand. Vor 55.000 gewann im Ulbricht-Stadion Ostberlin gegen Westberlin 3:2, nach DDR28

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Schreibweise „die Auswahlmannschaft des demokratischen Sektors gegen die der Westsektoren“. „Überall wurde die Ankündigung dieses Spiels von den Fußballanhängern mit großer Begeisterung aufgenommen. Dieses Spiel könnte der erste Schritt zur Aufstellung einer Gesamtberliner Mannschaft für große repräsentative Aufgaben sein“ („ND“). Die Westberliner „Fußballwoche“ kommentierte: „Das Walter-Ulbricht-Stadion ist eines der repräsentativsten Stadien Berlins, ein ‚Miniatur-Olympiastadion’, geworden. Die Atmosphäre war wohltuend, kein Misston trübte die Veranstaltung.“ Die Neuauflage folgte ein Jahr später im Poststadion von Berlin-Moabit, Endstand 3:3. Nachdem der Westberliner Verband Berliner Ballspielvereine (VBB) aus „spieltechnischen und organisatorischen Gründen“ die gemeinsame Partie mit Ost-Fußballern gegen Torpedo Moskau im Oktober 1953 abgesagt hatte, trat zum ersten Mal seit 1945 am 11. Mai 1955 im Ulbricht-Stadion wieder eine Gesamtberliner Mannschaft auf – es war das Vorspiel zur Ankunft der Friedensfahrer (s. u.). 65.000 bis 70.000 waren dabei, begrüßten „mit tosendem Beifall“ auch die B-Jugendlichen von Lichtenberg 47 und Chemie Erkner, die ab 12:40 Uhr erst einmal um den „Junge-WeltPokal“ spielten. Das Hauptspiel leitete an diesem Mittwoch um 14:15 Uhr der international renommierte niederländische Schiedsrichter Leopold „Leo“ Horn, ein jüdischer Widerstandskämpfer, dessen Bruder im KZ ermordet worden war. Hertha-Idol „Hanne“ Sobek und sein Ostberliner Kollege Kurt Vorkauf aus dem „Trainerrat der Nationalmannschaft DDR“ hatten sich beim 1:0 gegen die Stadtauswahl Prag auf sieben Ostberliner und vier Westberliner Akteure geeinigt. Geschäftsführer Bredlow vom Westberliner VBB: „Ein schönes Beispiel, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit dem Sport nur nutzen kann, wenn beiderseits der gute Wille vorhanden ist.“ Die Ostberliner Presse bezeichnete das Spiel als „Auftakt für weitere internationale Erfolge“. Doch das Rückspiel im Berliner Olympiastadion gab es nie. Angeblich scheiterte das an der Ost-Forderung, nur noch drei Westberliner zu nominieren. Laut Sporthistoriker René Wiese aber hatte Ulbricht am 2. November 1955 im ZK der SED verkündet: „Wir sind nicht besonders daran interessiert, die WestBerliner Vereine durch Vergleichskämpfe mit ihnen zu finanzieren.“ Das „Geisterspiel“ von 1959 Zwei der Repräsentativspieler von damals, beide vom ZSK Vorwärts Berlin, setzten sich im September 1959 in den Westen ab: Horst Assmy

lief für Tennis Borussia Berlin, Schalke 04 und Hessen Kassel auf, Rolf Fritzsche für FK Pirmasens, HSV und ebenfalls Kassel. Die „Auswahl des demokratischen Sektors von Groß-Berlin“ war nun wieder allein zu Haus’, so wie am 25. November 1954, als sie auf Budapest traf. Wer als Westberliner das Spiel sehen wollte, musste sich zum Kartenvorverkauf in eines der vier „Aufklärungslokale der Nationalen Front“ begeben. DDR und BRD spielten im Ulbricht-Stadion einmal gegeneinander, das war am 16. September 1959 – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Da das IOC wie 1956 auch 1960 eine deutsch-deutsche Olympia-Mannschaft verlangte, mussten die DDR-Fußballer und die DFB-Amateure Ausscheidungsspiele veranstalten. Die Austragungsorte wurden erst kurz vor dem Anpfiff bekannt gegeben, weshalb im Ulbricht-Stadion (0:2) und im Rheinstadion Düsseldorf (2:1) jeweils nur 200 Offizielle und Journalisten zusahen. Die Bundesrepublik war in Rom dann doch nicht dabei, weil sie in der Qualifikation an Polen und Finnland scheiterte. Letztmals gab es diese Begegnungen 1963 in Karl-Marx-Stadt und Hannover, diesmal vor Publikum. Die DDR qualifizierte sich und gewann in Tokio Bronze. Die „Tour de France des Ostens“ Auch war das Stadion neben LeichtathletikWettbewerben Schauplatz der in Ostdeutschland ungeheuer populären „Friedensfahrt“, jenem international bedeutendsten AmateurRadrennen, das auch als „Tour de France des Ostens“ bezeichnet wurde und Hunderttausende an die Straßenränder lockte, auch wegen des Idols „Täve“ Schur. Die Zeitungen „Rudé Právo“ (Prag) und „Trybuna Ludu“ (Warschau) hatten den Wettbewerb 1948 initiiert, ab 1952 gesellte sich das „Neue Deutschland“ und damit die DDR hinzu. Gleich in dem Jahr war auch das Stadion Etappenort. Erstmals startete am 2. Mai 1959 das Rennen mit „Rund um Berlin“, einem sog. Ehrenstart im Stadion und dem tatsächlichen Beginn am Brandenburger Tor. Man hatte ein umfangreiches Programm organisiert mit Spielmannszügen, Massengymnastik des Instituts für Körperkultur der HumboldtUniversität, Konzerten der Nationalen Volksarmee (NVA) und des Zentralen Orchesters der sowjetischen Truppen in der DDR, Leichtathletik und dem U23-Fußball-Länderspiel DDR – Ungarn (0:2). Mehr als 50.000 harrten im strömenden Regen aus, als die Radrennfahrer ins Stadion zurückkehrten. Nach dem Ende der DDR gab es 1990 noch die 43. und letzte „Friedensfahrt“; auf der Ehrentribüne in der Karl-Marx-Allee saß nun Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Tradition: die FDGB-Pokalendspiele Das erste Fußball-Länderspiel (0:1 gegen Rumänien) an der Chausseestraße gab es 1954: „Die DDR-Fußballauswahl enttäuschte die 70.000“, hieß es. In der DDR war damals die Saison bereits zu Ende, den Rumänen stand sie noch bevor. „Pausenfüller“ war übrigens eine An-


Ein „Woodstock des Ostens“ Weitere Höhepunkte waren Europacupspiele des ASK Vorwärts, so am 17. November 1965 gegen Manchester United (0:2, in England 1:3) mit Stars wie Torhüter Harry Gregg aus Nordirland, dem schottischen europäischen „Fußballer des Jahres“ Denis Law, George Best, Bobby Charlton und Nobby Stiles (beide Weltmeister 1966 mit England). Weil 35.000 zusehen wollten, war man vom Jahn-Sportpark hierhin ausgewichen. Immerhin hatte Vorwärts am 1. Oktober 1959 den englischen Meister Wolverhampton Wanderers 2:1 besiegt. Unter den 65.000 Zuschauern waren damals auch 700 britische Soldaten. Im Tor stand Karl-Heinz Spickenagel, einen Treffer erzielte der gerade 18-jährige Jürgen Nöldner, Sohn eines von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers. Nöldner war 1966 „Fußballer

Quelle: Sammlung Skrentny

sprache von Walter Ulbricht. In der Gesamtschau lag das Zentralstadion Leipzig mit 45 Länderspielen aber eindeutig vor der Berliner Sportstätte (13 Begegnungen), wo bereits vor offiziellen Länderspielen im April 1951 eine sog. Kernmannschaft der DDR gegen Polen vor 40.000 angetreten war (0:3). Tradition gewann die Spielstätte als Austragungsort der Pokalendspiele des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund): 1950 war Premiere beim 4:0 von Thale über Erfurt vor 15.000, und von 1975 bis 1989 wurde das Finale stets im Stadion der Weltjugend ausgetragen. Zuschauerrekord waren 55.000 – 5.000 mehr als zugelassen! – im Jahr 1975 bei Sachsenring Zwickau gegen Dynamo Dresden (2:2 n. V., 4:3 i. E.). Dieses Spiel zählt zu den herausragenden Ereignissen der DDR-Fußballgeschichte: Gegen die international erfahrenen Dresdner glich Zwickau in der 90. Minute aus, beim Elfmeterschießen bewährte sich Torhüter Jürgen Croy für den Außenseiter. Diverse Fußball-Heimteams bekam das Stadion im Lauf der Jahrzehnte auch. Die Gesamtberliner Gemeinsamkeit in der Stadtliga hatte mit der Saison 1950/51 ein Ende, als der VBB das Vertragsspielertum einführte, woraufhin Union Oberschöneweide, VfB Pankow und SG Lichtenberg DDR-Oberligisten wurden. Die letzteren beiden sollten ins Ulbricht-Stadion einziehen, was dann aber nur Pankow zeitweise tat. Heimisch wurde erst wieder inmitten der Runde 1954/55 und bis 1961 ein Oberligist, als man KVP Vorwärts Leipzig zum 3. April 1955 als Vorwärts Berlin dorthin umgesetzt hatte (1971 Umzug nach Frankfurt/Oder). Auch Dynamo Berlin war bis zum Umzug ins Sportforum Hohenschönhausen zeitweise Heimelf. Seit dem Oberliga-Aufstieg von Union 1976 wurden alle Derbys gegen den BFC Dynamo im Stadion der Weltjugend ausgetragen: In der sonst so „ruhigen“ DDR eine ungewohnte Szenerie, wenn die skandierenden Massen bei der Rückkehr aus dem Stadion über die Chausseestraße zum S-Bahnhof Friedrichstraße zogen, wo sie auf hypernervöse Volkspolizisten trafen. Wegen des Umbaus der Alten Försterei hatte Union 1981 kurzzeitig Heimrecht im Stadion der Weltjugend.

„Berlin – Stadt der Stadien“ war 1951 dieser Plan in „Neues Deutschland“ überschrieben, der allerdings den Westteil der Stadt außer Acht ließ. des Jahres“ in der DDR, Kapitän der Olympiamannschaft 1964 in Tokio und später Chefredakteur der „Neuen Fußballwoche“. Infolge von Renovierungen sank das Fassungsvermögen des Stadions im Lauf der Jahre. Ab 1966 standen 15.000 Sitz- und 41.000 Stehplätze zur Verfügung. 1972/73 wurde das Stadion nach den Plänen von Jörg Piesel und Rolf Timmler zu den Weltjugendfestspielen (s. u.) erneuert. Nun war noch Raum für 20.000 Sitz- und 30.000 Stehplätze. Diese X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 brachten neben 25.000 Ausländern aus 140 Ländern rund eine Million Besucher nach Ostberlin – ein Ereignis, das im Rückblick als „Woodstock des Ostens“ charakterisiert wurde. Anders sah es die Springer-Presse: „Um den Sieg der kommunistischen Sache geht es dem Veranstalter, dem moskauhörigen Weltbund der demokratischen Jugend.“ Der Name Ulbricht verschwindet Wie das Stadion seinen Namen verlor, ist kennzeichnend für das damalige politische System. Denn Namensgeber Walter Ulbricht war zwar schwer krank, aber noch am Leben, als man die Erinnerung an ihn auslöschte. Politisch maßgeblich war in der SED inzwischen Erich Honecker. Nach ihm sollte nie ein Stadion benannt werden, wohl aber erhielt er die üblichen Auszeichnungen sowie die Ehrenmitgliedschaft in der Schalmeien-Kapelle im saarländischen Neunkirchen-Wiebelskirchen, bei der er ehemals mit seinem Vater musizierte. Bereits am 15. März 1973 hatte man im UBahnhof das Schild „Walter-Ulbricht-Stadion“ gegen „Stadion der Weltjugend“ ausgetauscht. Das allerdings konnten DDR-Bürger nicht bemerken, denn mit dem Mauerbau am 13. August 1961 war die U-Bahn-Station geschlossen worden und somit ein Geisterbahnhof, durch den die U6 von West nach West ohne Halt fuhr. Eine offizielle Mitteilung zur Umbenennung gab es nie. Erstmals verwendete das „ND“ am 8. April 1973 den neuen Namen im Zusammenhang mit Arbeiten dort („es wird gehackt und gekippt, renoviert und gebaut“). Am 1. August 1973 meldete die „Aktuelle Kamera“ des DDR-Fernsehens: „Unser Genosse Ulbricht ist

heute um 12 Uhr 55 gestorben.“ Da war sein Name längst getilgt. Heute heißt der Haltepunkt Schwartzkopffstraße. Brachland statt Stadion Nachdem West- und Ostberlin bzw. BRD und DDR eins waren, verfiel das Stadion. Noch 1989 musste auf UEFA-Weisung ein Sicherheitszaun errichtet werden, der seine Funktion nie erfüllte. Der Sprecherturm war nun über und über mit rassistischen und faschistischen Parolen beschmiert. Als sich Berlin um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2000 bewarb, sollte anstelle des Stadions der Weltjugend eine Olympiahalle entstehen. Die Planungskosten dafür beliefen sich auf 1,6 Mio. DM, das Stadion wurde 1992 rasch abgerissen. Doch Berlin bekam den Zuschlag für die Olympischen Spiele nicht, sondern Sydney in Australien. Und die Berliner Olympiahalle wurde nie gebaut. Nun wehte der Wind vom 13 Hektar großen Brachland den Sand in nahe liegende Wohnungen. Der Abriss hatte 32 Mio. DM gekostet, das übertraf den Voranschlag um 17 Mio. DM. Michaele Schreyer (Die Grünen), frühere Senatorin für Stadtentwicklung, die mit dem Abriss nicht befasst war, urteilte später, die Kosten seien „hektikbedingt zu hoch“ ausgefallen. Im Sommer 1999 gestand der ehemalige Sportsenator Jürgen Klemann (CDU) der „Berliner Morgenpost“: „Die Olympiahalle wäre nicht zwingend notwendig gewesen, denn schließlich gab es damals noch die Deutschlandhalle mit 10.000 bis 12.000 Plätzen.“ Die späten Einsichten halfen dem Stadion der Weltjugend auch nicht mehr. 2005 erwarb der Bund die Fläche vom Land Berlin für 48 Mio. Euro, um dort bis 2016 die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes zu errichten. Die Baukosten von ursprünglich angenommenen 720 Mio. Euro waren bis 2014 bereits auf etwa 1,3 Milliarden gestiegen. STANDORT Neubau BND-Zentrale, Chausseestr. 9597 zwischen Habersaathstraße und bis in Höhe Wöhlertstraße. BERLIN

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