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FINANZMARKT

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BANKEN

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VITA

GERNOT BLÜMEL

Minister BMF

Der gebürtige Wiener (39) ist seit Jänner 2020 Finanzminister der Republik Österreich. Er erholt sich beim Sport und beim Spielen mit seiner einjährigen Tochter, die „ihre Notwendigkeiten ungefiltert ausdrückt“. Dies ist ihm auch ein

Rückzugsort. Der studierte Philosoph hat einen MBA von der Wirtschaftsuniversität Wien und ist seit 2015 Chef der ÖVP Wien.

Gernot Blümel kennt die akademische Viertelstunde. Die Börsianer-Chefredaktion trifft den Finanzminister der Republik Österreich getestet und anfänglich maskiert im Finanzministerium in der Johannesgasse in Wien. Die Begrüßung verläuft freundlich. Gernot Blümel wirkt angespannt. Die Hausdurchsuchung vor einigen Wochen und die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gehen nicht spurlos an ihm vorüber. Außerdem wird der Schuldenberg der Republik mit jedem Tag der Pandemie größer. Eine ordentliche Last. Er trägt türkis-weiße Socken und antwortet beim Interview ohne zu zögern. Er hat sehr konkrete Vorstellungen in Sachen EZB-Politik, Finanzbildung, Vermögenssteuern und Staatsbeteiligungen in der aktuellen Krise. Er ist ein Fan des Marktes, wie er mehrmals betont. Angesprochen darauf, ob ihn auch ein Posten in der Wirtschaft reizen würde, kommt ein klares Nein, er sei momentan ausgelastet. In der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg sei er gut beraten, sich auf seine Arbeit als Finanzminister zu konzentrieren. Den Stress baut er beim Sport ab oder beim Spielen mit seiner einjährigen Tochter. Welche Vision er für den österreichischen Kapitalmarkt hat, ob er als Finanzminister immer noch handlungsfähig ist und ob er den Erwartungen der Finanzbranche gerecht werden kann, ist hier zu lesen.

Herr Finanzminister, für Sie waren die vergangenen Wochen mit der Hausdurchsuchung sehr unangenehm. Wann glauben Sie, werden sich die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft

gegen Sie aufgeklärt haben? – Das weiß ich nicht. Ich bin froh, dass ich zur Aufklärung beitragen konnte, und jetzt liegt es an den zuständigen Behörden, das auch abzuarbeiten. Wenn man weiß, dass an Vorwürfen nichts dran ist, kann man damit umgehen. Aber es ist zweifellos unangenehm.

Sehen Sie in den Ermittlungen eine Gefahr für die Reputation des Amtes des Finanz-

ministers? – Zu keiner Zeit, ich habe gewusst, dass es um falsche Anschuldigungen geht. Ich kann mit ruhigem Gewissen sagen, dass da nichts dran ist.

Über welche Themen würden wir uns jetzt unterhalten, wenn es keine Covid-Pandemie geben würde? – Wahrscheinlich würden wir darüber sprechen, ob der budgetäre Überschuss in Österreich für das Jahr 2020 stattgefunden hat oder nicht. Wie die weiteren Planungen ausgesehen hätten, ob dieser Überschuss 2021 zustande kommen würde und wie weit man in der ökosozialen Steuerreform gekommen ist.

Im Regierungsübereinkommen finden sich spannende Vorhaben zur Stärkung der Finanzplatzes wie die Vermeidung von GoldPlating, eine Reduktion der Überregulierung, steuerliche Erleichterungen oder Ausbau der Finanzbildung. Was davon wird jetzt noch umgesetzt? Die Finanzbranche war sehr hoffnungsfroh, die Erwartungshaltung ausgeprägt. – Der Kapitalmarkt hat es in Österreich aufgrund einer gewissen Grundskepsis noch nie leicht gehabt. Das rächt sich jetzt zum Teil, weil die Eigenka-

Klartext. Gernot Blümel im Gespräch mit der „Börsianer“-Chefredaktion im Dachgeschoß des Finanzministeriums.

pitaldecken bei KMUs relativ gering sind und wir deshalb die Unternehmen in Österreich mit viel Geld stützen müssen, um sie durch diese schwierige Phase zu bekommen. Außerdem ist Fremd- im Vergleich zu Eigenkapital bei uns noch immer steuerlich begünstigt. Deshalb verstehe ich, dass die Erwartungshaltung groß ist. Das Programm ist nach wie vor gültig. Wir sind mit der Flugticketabgabe und der Nova rasch die ersten Schritte bei der ökosozialen Steuerreform angegangen und haben rückwirkend per 1. 1. 2020 mit der Senkung der Steuerstufen begonnen.

Ein Meilenstein wäre eine Kapitalertragssteuerbefreiung für Kursgewinne nach einer Behaltefrist bei Wertpapieren und Fondsprodukten – Die Wiedereinführung der Behaltefristen steht mit gutem Grund im Regierungsprogramm, weil wir auch Anreize setzen wollen, damit ein langfristiges Halten von Wertpapieren attraktiver wird. Wir haben die Situation, dass Sparer vorsorgen, indem sie Geld auf dem Sparbuch liegen lassen. Da wird es einfach Schritt für Schritt weniger werden. Wie lange jetzt die Behaltefrist sein muss, darüber können wir diskutieren.

Ist ein Jahr als Maßstab plus/minus realis-

tisch? – Ich würde eher sagen: plus. Mir geht es darum, dass man nicht Spekulation, sondern Vorsorge begünstigen will.

Können wir heuer noch mit der Einführung

rechnen? – Das kommt auf die Dynamik in einer Koalition an. Das Ziel ist es, alle Maßnahmen in der Periode bis 2024 umzusetzen, so auch die Behaltefrist.

Sie haben gesagt, der Kapitalmarkt hat es in Österreich schwer, welche Note würden Sie ihm geben? – Die Frage ist eher, wie das Verhältnis der Österreicher zum Kapitalmarkt ist, und das ist sicher verbesserungswürdig und -notwendig. Da es auf längere Sicht niedrige Zinsen geben wird und trotzdem 40 Prozent der privaten Geldvermögen auf Sparbüchern rumliegen, ist das eine suboptimale Situation.

Könnte das ein Kapitalmarktbeauftragter

ändern? – Ich bin kein Fan von Beauftragten. Man muss gescheite Initiativen und Anreize in steuerlicher Hinsicht setzen. Ich bin ein Fan des Marktes, das regelt sich dann oft zum Teil von selbst.

Eine Finanztransaktionssteuer wäre kon-

traproduktiv? – Wie sie nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 geplant war, war sie richtig. Da ist es darum gegangen, den Hochfrequenzhandel und das Spekulieren auf fallende Kurse für Staaten mit hineinzunehmen. Das gehört aus meiner Sicht natürlich besteuert und nicht incentiviert. Übergeblieben ist aber derzeit eine reine Börsenumsatzsteuer, die de facto eine Verteuerung der Investitionen in die reale Wirtschaft darstellt.

„Die Wiedereinführung der Behaltefristen steht mit gutem Grund im Regierungsprogramm.“

GERNOT BLÜMEL Österreichs Banken sind teilweise überproportional von europäischen Regulierungen betroffen, etwa bei der Eigenkapitalhinterlegung. Unterstützen Sie da Erleichterun-

gen? – Bei uns sind Banken in vielen Bereichen genossenschaftlich organisiert, was ein komplett anderes Ursprungskonzept ist als in vielen anderen Ländern. Dadurch hat sich auch eine andere Art von Wirtschaften für diese Banken entwickelt: Viele halten Unternehmensbeteiligungen, Industrie- und KMU-Beteiligungen und sind dadurch ein wesentlicher Anker für österreichische Investoren und österreichische Unternehmen. Wenn man das jetzt durch eine falsche Bankenregulierung erschweren oder verunmöglichen würde, wäre das für den Wirtschaftsstandort Österreich schlecht. Ich bin überzeugt davon, dass wir da gute Wege finden werden. Da gibt es Programme, die in Ausarbeitung sind.

In Österreich wurden in den letzten Jahren mehr als fünf Milliarden Euro pro Jahr „verspart“. Dafür gibt es mehrere Gründe wie falsche Sozialisierung, den Umgang mit Risiko oder die Liebe zum Sparbuch. Was kann Finanzbildung hier leisten? – „Versparen“ ist eine interessante Wortwahl. Wir haben uns letztes Jahr die Entwicklung der Sparquote im OECD-Schnitt angesehen. Wir sind nicht massiv überdurchschnittlich diesbezüglich, bei uns hat sich die Sparquote auf etwa 16 Prozent des verfügbaren Einkommens verdoppelt, in Frankreich sind es über 20 Prozent. In anderen OECD-Ländern ist die Quote

weit höher, auch in normalen Zeiten. Ich sehe da nicht das große Problem. Wichtig wäre es, dafür zu sorgen, dass der Optimismus zurückkommt, dass auch ein Anreiz da ist fürs Entsparen, also fürs Ausgeben, Konsumieren.

Bei steigender Inflation wäre eine höhere Sparquote nicht zielführend. Das Geld wird weniger wert, die Schere zwischen Arm und Reich größer. Ich denke, dass es zielführender wäre, auch kleine Vermögen dem Kapi-

talmarkt zuzuführen. – Absolut. Deswegen auch die wichtige Idee der Wiedereinführung der Behaltefrist, um das attraktiver zu machen. Ob die Lösung nur über die Finanzbildung geht, wage ich zu bezweifeln. Die Finanzbildung geht in die Richtung, dass wir in Österreich wenig Evidenz darüber haben, was Menschen können sollten oder tatsächlich können. Deshalb haben wir mit der OECD gemeinsam eine Initiative gestartet, um zu sichten, was es in Österreich alles gibt und wie der Status im Bereich der Finanzbildung ist.

Mit welchem Ergebnis? – Da gibt es erfreulichere und weniger erfreulichere Ergebnisse dieser OECD-Studie. Wir sind, was das durchschnittliche Finanzbildungsniveau betrifft, überdurchschnittlich im OECD-Raum, aber es gibt bei uns zu viele Initiativen, die nirgendwo gebündelt sind. Da stehen wir gerade. Wir wollen jetzt gemeinsam mit allen privaten Initiativen, die es gibt, ein gemeinsames Dach bauen und vielleicht einen einheitlichen österreichischen Finanzführerschein mit unterschiedlichen Modulen anbieten.

Die Hebelwirkung ist ungleich höher, wenn

man das zentral steuert. – Exakt. Was ich explizit nicht anstrebe, ist, dass wir ein eigenes Unterrichtsfach für Finanzbildung einführen. Das ist nicht zielführend. Ich denke, dass es besser in verschiedenen Fächern verankert werden kann und darüber hinaus die privaten Initiativen ein gemeinsames Dach bekommen sollen, damit es auch vergleichbar ist.

„Die Vision ist, dass Österreich normaler wird, was den Kapital- und den Finanzmarkt betrifft.“

GERNOT BLÜMEL

Soll diese Koordinierungsstelle unter dem Dach des Finanzministeriums angesiedelt

sein? – Der Vorschlag ist, dass wir das von der Regierung her machen, aber wenn es woanders sein soll, will ich jetzt nicht eitel sein. Mir geht es darum, dass es einen einheitlichen Standard gibt, an dem sich alle orientieren können, damit es auch schneller, leichter und besser angenommen wird.

Haben Sie eine Vision für den Finanz- und

Kapitalmarkt in Österreich? - Die Vision ist, dass Österreich normaler wird, was den Kapital- und Finanzmarkt betrifft. Wir haben etwa keine eigene Rechtsform für Fondsgesellschaften. Die Fonds, die in Österreich angeboten werden, sind meist nach luxemburgischem Recht. Da wollen wir eine österreichische Rechtsform schaffen, auch das ist im Regierungsprogramm verankert. Aber das wäre keine mutige Vision, sondern eher ein Auf-dieHöhe-der-Zeit-Bringen.

Könnte auch ein grüner Finanzmarkt im

Herzen Europas solch eine Vision sein? – Klingt super, ich denke nur, dass wir in manchen Bereichen bereits Vorreiter sind, was „grün“ betrifft. Der grünste Finanzmarkt? Ein schönes Wort.

Es gibt eine spannende Green-FinanceAgenda, dazu tagt seit Herbst ein Arbeitskreis.

Wie ist da der Stand der Dinge? – Ganz generell geht es um die Frage, wo wir überall Nachhaltigkeitsthemen mittransportieren und incentivieren können. Ohne klare Vorgaben ist das eine Herausforderung. Seitens der EU gibt es die Taxonomie, die aber noch nicht ausdefiniert ist. Man sieht es an Green Bonds, bei denen die Kapitalkosten höher sind als bei normalen Bonds. Ich denke nicht, dass das der Sinn und Zweck sein sollte.

Ich verstehe. Gibt es also deshalb noch kei-

nen Green Bond? – Wir arbeiten daran. Wir sind in enger Abstimmung mit der Kommission und mit vielen Experten auf den Finanzmärkten. Es soll auch so sein, dass die österreichischen Steuerzahler was davon haben. Es macht keinen Sinn, wenn wir auf dem freien Markt Anleihen auflegen, die teurer sind als normale. Die bisherigen Marktbeobachtungen haben nicht ergeben, dass es einen finanziellen Vorteil für den Steuerzahler bringt. Warum sollte man es sonst machen?

Wäre auch bei der Kreditvergabe eine stär-

kere Ökologisierung sinnvoll? – Da wäre ich vorsichtig, weil es sehr marktverzerrend sein kann, in diesen Bereich einzugreifen. Man sollte das Risiko nicht künstlich erhöhen. Ich bin in erster Linie ein Fan des Marktes. Es ist ein richtiger Zug der Zeit, dass Investoren immer mehr den Weg Richtung nachhaltiges Investment gehen. Dadurch werden Angebote verstärkt nachgefragt und angeboten. Das gilt auch für große Banken. Wenn die diesen Weg nicht mitgehen wollen, wird sich das automatisch regeln.

Sollte sich der Staat verstärkt in der Krise an

Unternehmen beteiligen? – Im Zuge der Krise zu sagen, wir beteiligen uns massenhaft an KMUs, das hielte ich für einen sehr gefährlichen Weg. Wir versuchen das, so gut es geht, zu vermeiden und die Unternehmen trotzdem zu unterstützen. Wir haben die Idee gewälzt, dass wir die zu 100 Prozent garantierten Kredite vorübergehend in ein hybrides Eigenkapital wandeln, bevor die Unternehmen in Konkurs gehen, damit es ermöglicht wird, dass die Unternehmen weiterwirtschaften. Das wäre eine Form einer stillen und nicht aktiven Beteiligung.

Sollte nicht die „neue“ ÖBAG eine wesentlich aktivere Rolle bei staatlichen Beteiligungen

spielen? – Nein, das Gesetz gibt es theoretisch her, aber das war nie die politische Vorgabe.

Halten Sie die ÖBAG für handlungsfähig, wie sie jetzt aufgestellt ist? – Natürlich. Wenn ich mit verschiedenen Akteuren im Umfeld der ÖBAG spreche, sind die voll des Lobes über die inhaltliche Arbeit der ÖBAG. Sie werden kaum wen finden, der das anders sieht. Das lässt sich gut an den Market-Caps der einzelnen Beteiligungen ablesen. Leider wird das medial immer wieder überlagert von anderen Themen.

Für Sie ist der umstrittene ÖBAG-Chef Thomas Schmid also kein Reputationsrisiko bei

den internationalen Investoren? – Die Zahlen zeigen das Gegenteil.

Anderes Thema. Was halten Sie von der Geld-

politik der EZB? – Die momentane Politik macht es uns leichter, die Krise besser zu bewältigen. Ich war in den letzten Jahren nicht erfreut, als wir bei guten Wachstumsraten noch immer eine sehr niedrige Zinspolitik gehabt haben. Dass es damals zu keiner Anpassung des Zinsniveaus kam, wird sich in Zukunft rächen. Momentan gibt es nur noch wenig Spielraum.

Als Finanzminister können Sie billig Geld aufnehmen, das muss Sie doch freuen, Herr

Blümel. – Als Finanzminister fühle ich mich auch für finanzielle Interessen der Bevölkerung zuständig, und da ist es nicht förderlich, wenn ich sehe, dass Sparguthaben durch die EZB-Politik nicht vermehrt werden. Auf die Kapitalkosten für Staatsanleihen hat es einen positiven Effekt. In anderen Bereichen gibt es negative Effekte, wie etwa die Asset-Price-Inflation. Viele können sich mit Erspartem in Österreich kein Eigenheim mehr leisten, weil die Preise so angezogen haben.

Wie unpolitisch ist die EZB noch? – Wie unpolitisch kann Geldpolitik überhaupt sein? Die Frage ist, ob sie unabhängig von Fiskalpolitik agiert, das sollte so sein. Es gibt viele, die das bezweifeln. Gehören Sie auch dazu? – Es gibt einen Zusammenhang zwischen den wirtschaftlichen Situationen mancher Staaten und den Käufen von Staatsanleihen durch die Zentralbanken.

Sprechen wir über die Kosten der Corona-Pandemie: Wer soll das alles zahlen?

– Wir hatten 2015 den höchsten Schuldenstand der Republik, das waren etwa 84 Prozent des BIPs. Bis Anfang letzten Jahres wurde die Staatsverschuldung auf 70 Prozent gesenkt. Wie? Nicht indem wir anderen was weggenommen haben oder Substanzsteuern eingeführt haben, da die Steuer- und Abgabenquote in Österreich ohnehin zu hoch ist, sondern, indem wir gute Wirtschaftspolitik gemacht haben. Da zählt die Arbeitszeitflexibilisierung dazu, die Steuerreformen, und dadurch haben wir sehr gute Wachstumszahlen erreicht. Dadurch sinkt der Schuldenstand, gleichzeitig haben wir weniger ausgegeben als im letzten Jahr, haben nach Jahrzehnten einen ausgeglichenen Haushalt erreicht. Eine Kombination aus guter Wirtschafts- und Wachstumspolitik, die mehr Steuereinnahmen und einen annähernd ausgeglichenen Haushalt bringt, führt dazu, dass der Schuldenberg relativ sinkt, und das ist aus meiner Sicht auch das Rezept für die Zukunft.

Wann rechnen Sie mit einem ausgeglichenen Budget? In zwei, drei Jahren? – Wenn wir gegen Ende der Legislaturperiode, also 2024, die Maastricht-Kriterien wieder einhalten, ist das schon ambitioniert, das ist aber das gedankliche Ziel. Die Neuverschuldungsquoten der Staaten werden einen neuen Durchschnitt erreichen, aber auch ein neues Akzeptanzniveau. Als die 60-Prozent-Quote eingeführt wurde, war das Zinsniveau ein ganz anderes. Das lag bei drei, vier, fünf, sechs Prozent für zehnjährige Staatsanleihen,

„Ich bin ein Fan des Marktes, er regelt vieles zum Teil von selbst.“

GERNOT BLÜMEL

Aufreger. Chats zur Bestellung von Thomas Schmid als ÖBAG-Chef werfen kein gutes Licht auf den Finanzplatz. Minister Blümel sieht es anders.

wir reden derzeit über null Prozent. Das macht einen Unterschied.

Was halten Sie von einer Vermögenssteuer?

– Die Steuer- und Abgabenquote ist in Österreich bereits sehr hoch, ich spreche lieber darüber, wie wir diese senken können. In halte in einer Zeit, wo wir mehr Wachstum brauchen, die Debatte über neue Steuern schädlich, weil viele Investoren sich zweimal überlegen, ob sie ihr Geld in Österreich investieren. Deswegen sollten wir diese Debatte nicht führen.

Bekommen Sie politisch Steuersenkungen durch? – Wir haben das schon im letzten Jahr geschafft, in der Pandemie. Generell ist es das Ziel, die Abgabenquote bis 2024 Richtung 40 Prozent zu bewegen.

Kann eine Digitalsteuer Geld in die Kasse

spülen? – Es ist eine Frage der Fairness, dass man große digitale Konzerne, die auch viel Geld in Österreich verdienen, fair besteuert. Es kann nicht sein, dass Google, Facebook und dergleichen im Verhältnis zu ihrer Größe weniger Steuern zahlen als der Tischler oder Greißler ums Eck. Das war schon vor der Pandemie eine Ungerechtigkeit, durch die Pandemie haben vor allem digitale Konzerne profitiert.

Wie viel von den 33,5 Milliarden Euro an Corona-Hilfen sind tatsächlich ausgezahlt

worden? – 6,8 Milliarden Euro an Kurzarbeit sind ausgezahlt, 1,5 Milliarden Euro im Bereich des Fixkostenzuschusses, 1,2 Milliarden Euro aus dem Härtefallfonds, beim Umsatzersatz sind noch einmal drei Milliarden Euro geflossen, das steigt jeden Tag. Bei den rechtsverbindlich zugesagten Hilfen sind es vor allem Steuerstundungen im Bereich von fünfeinhalb Milliarden Euro, elf Milliarden an Zusagen bei der Kurzarbeit plus knapp sieben Milliarden an Garantien. Ob Geld fließen wird, ist nicht klar. Bei den Garantien hoffen wir, dass das nicht alles fließen muss, genauso wie bei der Kurzarbeit.

Es gab zuletzt viele Fragen zur Impfstoffbeschaffung. Wie viel Geld wurde für Impf-

stoff bisher ausgegeben? – Bisher sind 53 Millionen Euro ausgezahlt worden. Budgetiert sind heuer 120 Millionen Euro. Zudem gibt es jederzeit die Möglichkeit, auf den Corona-Topf zuzugreifen, falls es Maßnahmen für die Bekämpfung des Virus braucht. Falls es mehr Geld braucht, wird es das geben.

Wie sieht für Sie eine Rückkehr zur Norma-

lität aus? - Ich habe ein intensives Bedürfnis, wieder auf Urlaub zu fahren in Österreich, das wäre schön. n

Gut vorgesorgt?

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HYPES GEHEN SELTEN GUT

Die Hochfinanz hat mit den SPACs einen neuen Hit aus der Buchstabensuppe gefischt – eine Analyse von Nikolaus Jilch zum neuen Trend beim Börsengang.

„Immer mehr Geld geht immer mehr Risiko ein.“

VITA NIKOLAUS JILCH

Digital Content & wissenschaftlicher Mitarbeiter Agenda Austria

Der gelernte Finanzjournalist (37) mag Youtube und Sport. Er kommuniziert gern auf Twitter und publiziert Fachtexte. Bei der Agenda Austria kümmert er sich seit 2019 um die Bereiche Digital Content, Geldanlage und digitale Währungen.

Weißer Rauch! Wir haben einen neuen Hype! Endlich. Die Rede ist von SPACs, Special Purpose Acquisition Companies. Die sind nicht neu, es gibt sie seit Jahrzehnten. Aber der Hype ist neu. Und das sollte eine Warnung sein. SPACs sind leere Hüllen, in die Anleger an der Börse investieren können. Die Anbieter von SPACs müssen diese Hüllen innerhalb eines bestimmten Zeitraums füllen. Meist haben sie dafür einen Plan. Zum Beispiel Unternehmen aus einem bestimmten Sektor. Manchmal haben sie eine prominente Leitfigur, etwa den ehemaligen Basketballstar Shaquille O’Neal, der zwei ehemalige Disney-Manager berät, die SPACs im Sport- und Entertainmentbereich lancieren.

Fondsmanager suchen sich aus den an der Börse gehandelten Unternehmen die vielversprechendsten raus. SPAC-Manager suchen Unternehmen, die noch nicht an der Börse sind – und bringen sie dorthin. Dass dieses Vehikel jetzt eine Renaissance erlebt, ist ein Hinweis: Anleger glauben trotz der zuletzt gestiegenen Zinsen nicht wirklich an eine nachhaltige Zinswende. Sie erwarten eher eine Fortsetzung der Politik des billigen Geldes. Ergo: Die Jagd nach Rendite geht weiter – und wenn man sie an der Börse nicht findet, muss man sie eben an die Börse holen. In Europa sind SPACs ein politisches Thema. Vor dem Hintergrund des Brexits liefern sich London und Amsterdam ein Rennen um die SPAC-Vorherrschaft in Europa. Mit Bernard Arnault, dem Gründer von LVMH, ist inzwischen der reichste Mann Europas in das Spiel eingestiegen. Sein SPAC Pegasus Europe, der in Finanzunternehmen investieren soll, wird in Amsterdam gelistet sein. Global hat sich die SPAC-Blase bereits in einen dreistelligen Milliardenbereich aufgeblasen.

Ja, das ist, was viele vermuten: SPACs könnten sich schon jetzt zur Blase entwickelt haben. Ein Problem mit SPACs: Manchmal holen sie Firmen an die Börse, die dort nichts zu suchen haben. Der inzwischen gefallene Tesla-Nachahmer Nikola ist so ein Negativbeispiel. Das andere Problem: Es sind so viele neue SPACs auf den Markt gekommen, dass jetzt hunderte SPACs nach Investitionsmöglichkeiten suchen und innerhalb einer Zeitspanne von bis zu 24 Monaten welche finden müssen. Der Zeitdruck allein wird zu problematischen Investments führen.

Ein weiteres Warnsignal für Börsianer: Rund vierzig Prozent aller Investoren in SPACs in den USA sind Kleinanleger. Ihr Anteil ist doppelt so hoch wie im S&P 500 oder im Russell 2000.

Längst haben auf Shorts spezialisierte Hedgefonds die Jagd auf SPACs aufgenommen. Sogar ein ETF, mit dem Anleger gegen SPACs wetten können, ist in Arbeit. Der weltgrößte Hedgefonds Bridgewater hat kürzlich davor gewarnt, dass SPACs als sehr risikoreiches Investment zu sehen sind und - ähnlich wie Kryptowährungen - in einem Riskoff-Umfeld unter die Räder kommen könnten. Die Beliebtheit von SPACs bei Kleinanlegern führt auch zu einem eigenartigen Problem: Manchmal gelingt es den SPAC-Betreibern nicht, genügend Teilhaber für einen InvestmentBeschluss zusammenzutrommeln - ganz einfach deswegen, weil sich Kleinanleger gar nicht für die Details interessieren.

Sind SPACs deswegen automatisch gefährlich? Nein. Gerade in Europa, wo der Kapitalmarkt weiterhin schlecht ausgebaut ist, bieten sie eine attraktive Option für Unternehmen, um an Wachstumskapital zu kommen. Das Vehikel selbst ist nicht das Problem. Aber was damit gerade geschieht, scheint gefährlich zu sein. Immer mehr Geld geht immer mehr Risiko ein. Das ist ein Hype. Und Hypes gehen selten gut. n

NIKOLAUS JILCH

VITA JOCHEN DICKINGER

Privatinvestor und Aufsichtsrat Athos Immobilien AG

Der Gründer (45) eines börsennotierten Wettanbieters nennt die Teilnahme am New York Marathon seinen größten Karriereerfolg. Seine Leidenschaft gehört der Börse, Twitter und Griechenland.

HEUCHELEI!

ZU VIEL ESG-BÜROKRATIE

VITA ULRICH KALLAUSCH

Managing Partner Certitude Consulting

Nach 20 Jahren Vorstandsfunktionen in Banken gründete Kallausch (60) mit den IT-Security-Spezialisten Endres, Nimmerrichter, Lacarak den Spezialisten für IT-Infrastruktur und Cybersecurity Certitude.

CYBERANGRIFFE

SUPERMARKT FÜR KRIMINELLE

Ethisches Investieren ist in aller Munde. Bürokraten sagen mir nun via ESG-Ratings, welche Aktien ich kaufen und von welchen ich besser die Finger lassen soll. D ie global gerechneten Kosten für Cyberkriminalität belaufen sich auf mehr als eine Billion US-Dollar, ein Anstieg von 70 Prozent in drei Jahren. Die Erfolgschancen Ethisches Investieren ist sicher eine gute Sache. Was aber ist zwischen den Unternehmen und Hackern sind ungleich verteilt. ethisch? Ein französischer Bürokrat würde ein Investment in Während der Angreifer über eine Vielzahl von Schwachstellen Nukleartechnologie positiver sehen als ein deutscher. Eine unbemerkt in das Netzwerk eindringen und noch Monate späBank bekommt zwar ein verbessertes Ranking, wenn es Konto- ter per Remotezugriff auf vitale Daten zugreifen oder diese verauszüge elektronisch zur Verfügung stellt, aber wenn ein Berg- schlüsseln kann, kennen die Betroffenen meist weder die Anbauer seine Bankschulden nicht mehr zahlen kann und dadurch zahl der Einfallstore, noch wissen sie über Umfang und Tiefe der den Hof verliert, spielt das ethisch keine Rolle. Wenn man in Cyberattacke Bescheid. Deshalb ist IT-Security Chefsache geden SDAX-Rüstungskonzern Hensoldt investieren will, werden worden. Denn kaum ein Risiko kann aus dem Nichts so bedrohdie ESG-Spezialisten aufschreien und auf das unethische Ge- lich werden, dass der Fortbestand eines Unternehmens gefährschäftsmodell hinweisen. Der deutsche Staat, der ESG grund- det oder nur über die Bezahlung von Lösegeld gesichert bleibt. sätzlich fördert, ist allerdings bei Hensoldt eingestiegen. Das ist Hatte bis zur umfassenden Digitalisierung noch die Firewall Heuchelei! Kaum eine Presseaussendung der Lenzing AG in den geschützt, ist jetzt neuartiger Schutz erforderlich, nämlich die letzten Monaten, die nicht auf ihre Nachhaltigkeit verweist. „Zero Trust“-Strategie. Die Verwendung von Smartphones, SoAuf B- wurde das Rating von einer ESG-Ratingagentur im cial Networks, Cloud Services oder die Anbindung von ProdukSeptember 2020 angehoben. Was mache ich jetzt als Lenzing- tionsmaschinen an das Internet machen die Neuentwicklung Aktionär nach den unbewiesenen Vorfällen rund um Hygiene einer Corporate-IT- und IT-Security-Strategie unerlässlich. In Austria, eine Tochter der Lenzing AG? Hoffentlich sagen mir einem ersten Schritt benötigen Unternehmen eine unabhängibald irgendwelche Bürokraten, ob ich die Aktien behalten darf. ge Sicherheitsüberprüfung zur Messung des Sicherheitsniveaus

Es ist mir sehr wichtig, dass Unternehmen korrekt mit ihren und regelmäßige Penetrationstests zur Simulation von HackerMitarbeitern und mit der Umwelt umgehen. Aber wir brauchen angriffen. Dabei werden Sicherheitslücken aufgezeigt, auf deren keine Bürokraten, die in Firmen die Mülltrennung kontrollieren Basis ein Plan zur Erhöhung der Sicherheit ausgearbeitet werden und Pluspunkte vergeben, wenn in der Firmenkantine wenig kann. IT-Security in alle Unternehmensabläufe zu integrieren Fleischgerichte angeboten wird zunehmend zum Stanwerden. Wenn wir uns den dard bei Big Corporates, MitPapierkram der ESG-Büro- „Wir brauchen keine telständler in Österreich sind kratie ersparen, würde sich Bürokraten, die in den davon weit entfernt. Wirtnicht nur das Weltklima da- Firmen die Mülltren- schaftsprüfer gehen dazu rüber freuen, sondern auch die Freiheit der Unterneh- nung kontrollieren.“ über, diese Sorgfaltspflicht der Geschäftsführung streng men und der Investoren. n JOCHEN DICKINGER zu kontrollieren. n

„IT-Security ist zur Chefsache geworden.“ ULRICH KALLAUSCH

Tourismus. Das konnten heuer viele nicht: auf der längsten Talabfahrt im Montafon in Vorarlberg ins Tal carven. Der Wintertourismus verzeichnete 2020/2021 starke Einbußen.

VOLLBREMSUNG DER WIRTSCHAFT

Die österreichische Konjunktur leidet unter Ladehemmung. Von der Börsianer-Redaktion befragte Ökonomen skizzieren die Ursachen und liefern Vorschläge, wie der wirtschaftliche Aufschwung beschleunigt werden kann.

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