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Romantik: Schauderwelten
Schauderwelten
Die Nacht als Motiv im Kunstlied der Romantik
VON MARIA BEHRENDT
»Trägt nicht alles, was uns begeistert, die Farbe der Nacht?«, schrieb Novalis 1800 in seinen »Hymnen an die Nacht«. Und tatsächlich ist die Nacht in den Gedichten der Romantik eine Konstante – und auch in ihren Vertonungen: Als Botin verheißungsvoller Träume, stiller Einkehr, aber auch schauervoller Vorkommnisse zieht sie sich durch Lied und Lyrik.
Quelle dieser Faszination war die Sehnsucht der Romantiker nach einer geheimnisvollen, alternativen Welt, die, so der Dichter Jean Paul 1813, »eigentlich unsere erste und letzte bleibt«. Bei der Imagination dieser Welt kam der Nacht eine Schlüsselrolle zu: Dämmerung und Dunkelheit legten sich wie ein Schleier über die als banal und ungenügend empfundene Alltagswelt. So entstand Raum für Vorstellung und Fantasie: »Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnißvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen Unendlichen Schein gebe so romantisire ich es«, heißt es in Novalis’ »Poëticismen«.
Das Kunstlied, das im 19. Jahrhundert zu einer Blütezeit gelangte, bot dieser Sehnsucht eine facettenreiche musikalische Heimat. Hatten die Komponist:innen des 18. Jahrhunderts den Klavierpart noch überwiegend als bloße Unterstützung der Gesangsstimme behandelt, wurden Gesang und Klavier mit der Wende zum 19. Jahrhundert zu gleichberechtigten Partnern, die einander ergänzten und widersprachen, und dies erlaubte eine umso farbenreichere Ausgestaltung musikalischer Nacht- und Gegenwelten.
Anders als die Oper oder die Symphonie war das Lied zudem vor allem in der privaten, häuslichen Sphäre beheimatet und galt als intime und persönliche Kunstform – so schrieb die Komponistin Josephine Lang: »Meine Lieder sind mein Tagebuch.« Diese Intimität und Individualität spiegelt sich denn auch in den Nachtliedern: Robert Schumanns Vertonung von Eichendorffs »Mondnacht« lässt im äußersten Pianissimo eine zunehmend komplexe Klanglandschaft entstehen, die im Flug der Seele ihren Höhepunkt findet. Fanny Hensel deutet in Goethes »Dämmrung senkte sich von oben« den heranbrechenden Abend durch eine absteigende Melodielinie aus und empfindet so die Transzendenz musikalisch nach.
Doch die Nacht konnte auch ein Schauplatz des Schreckens sein: In einer Zeit, in der konfessionelle Verbindlichkeiten zunehmend verloren gingen, gewann die Spiritualität voraufklärerischer Zeiten an Reiz und übernatürliche, okkulte und morbide Erscheinungen an Faszination – »Wo keine Götter sind, walten Gespenster«, heißt es bei Novalis. Die Begegnung mit dem Übernatürlichen wurde Gegenstand zahlreicher schauerromantischer Balladen.
Carl Loewe haucht in seiner Vertonung von Goethes »Erlkönig« der übernatürlich lockenden Stimme durch ein luftiges, helles Dreiklangsmotiv Leben ein. Emilie Mayer setzt an die gleiche Stelle schmeichelnde, auf- und abwärtsperlende Linien, die nach und nach einer chromatischeren, bedrohlicheren Anlage weichen, wenn es heißt »und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt«. Die romantische Gegenwelt wird hier zur Unterwelt, der romantische Traum zum Albtraum.
Konstantin Krimmel
* 1993 in Ulm. 1. Preis und Publikumspreis beim Internationalen Helmut Deutsch Liedwettbewerb 2019, 2020 Debüt bei der Schubertiade Hohenems, CD-Einspielungen u. a. mit Hélène Grimaud, seit 2021 Mitglied des Ensembles der Bayerischen Staatsoper, BBC New Generation Artist 2021–2023, 2023 Preis der Deutschen Schallplattenkritik für seine Aufnahme von Schuberts »Die schöne Müllerin« mit Daniel Heide
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Do, 04/04/24, 19.30 Uhr · Mozart-Saal
Liederabend
Konstantin Krimmel
Konstantin Krimmel, Bariton
Wolfram Rieger, Klavier
Carl Loewe: Tom der Reimer op. 135 a Herr Oluf op. 2 /2 · Wandrers Nachtlied II op. 9/1 Nr. 4 »Der du von dem Himmel bist« · Geisterleben op. 9/1 Nr. 5 (Nachtgesänge) · Der Totentanz op. 44 / 3 · Die Überfahrt op. 94 /1 · Archibald Douglas op. 128 · Hugo Wolf: Harfenspieler I–III (Goethe-Lieder Nr. 1 - 3) · Franz Schubert: Prometheus D 674 · An den Mond D 193 »Geuß, lieber Mond« · Die Fahrt zum Hades D 526 · Gruppe aus dem Tartarus D 583 · Nachtstück D 672 · Am Tage Aller Seelen D 343 »Litanei auf das Fest Aller Seelen«
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60884
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