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Im Fokus: Samara Joy
Samara Joy
»Linger awhile«: Die 24-Jährige betört auf ihrem neuen Album mit Jazzstandards
VON MIRIAM WEISS
Ella Fitzgerald, Billy Holiday, Sarah Vaughan, Dianne Reeves, Dee Dee Bridgewater und Cassandra Wilson: In diese Liste der ganz großen amerikanischen Jazzsängerinnen könnte sich bald ein weiterer Name einreihen: Samara Joy. Mit Anfang zwanzig besitzt die junge Sängerin bereits die Bühnenpräsenz und künstlerische Reife einer Jazzdiva, und sie begeistert Publikum und Kritik gleichermaßen. Nach ihrem sensationellen Auftritt, ihrem Österreichdebüt, im Jahr 2022 ist sie im April erneut im Wiener Konzerthaus zu Gast.
Joy wurde von der Natur mit einer unverwechselbaren, warm timbrierten Stimme beschenkt, die mühelos zwischen zarter Höhe und dunkler Tiefe navigieren kann. Doch die schönste Stimme kann nicht glänzen, wenn nicht ein feines Gespür für Melodie und musikalische Gestaltung hinzukommt. Joy hat all das: Sie musiziert mit schlafwandlerischer Intuition, sie phrasiert elegant und umwerfend natürlich an der Melodie der Jazzstandards entlang, entschwebt in ihren Linien dem Bandgroove mit kapriziöser Leichtigkeit, um dann in erdenden Swing zurückzukehren.
George Duke und der Gospel Group Commissioned. Joy selbst sang wie ihre gesamte Familie in der Kirche und schließlich in einer Jazzband an der High School, mit der sie im vom Jazz at Lincoln Center initiierten Wettbewerb »Essentially Ellington« als beste Vokalistin hervorging.
Im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Forbes (Januar 2023) sagt Joy rückblickend über ihre Jugend: »Die Musik, mit der ich aufgewachsen bin, die Sängerinnen und Sänger, die ich hörte, waren ein guter Anfang, denn ich glaube, dass es für mich wirklich besser war, diese Einflüsse zu haben, wie eine Lalah Hathaway singt und einem Song Emotionen verleiht, wie ein Luther Vandross singt, wie Leute wie die Isley Brothers singen und diese Vorstellungen davon haben, wie die Interpretation von Texten klingt.«
Mit dem Eintritt ins New Yorker Purchase College tauchte Joy tief in die Jazztradition ein. Für diese lehrreiche Erfahrung – auch das betont sie in Interviews immer wieder – ist sie ihren damaligen Lehrer:innen und Kommiliton:innen sehr dankbar. Seitdem sie als Studentin 2019 die renommierte Sarah Vaughan International Jazz Vocal Competition gewonnen hat, geht ihre Karriere steil bergauf. Wie ihre Kolleg:innen musste auch Joy während der Pandemie auf Auftritte verzichten, doch 2021 konnte sie ihr hochgelobtes Debütalbum »Samara Joy« veröffentlichen, auf dem sie eine feine Auswahl aus dem »Great American Songbook« präsentiert.
Wenn Samara Joy singt, steht die Welt still ... Ihre Stimme ist warm und einschmeichelnd, sie verweilt auf den Noten, als würde sie Wein verkosten, und sie kocht vor emotionaler Intensität.
Mark Savage (in den BBC News nach der Grammy-Verleihung)
Mittlerweile ist Joy bei Verve Records unter Vertrag, jenem berühmten Label, das nach seiner Gründung als erste Produktion gleich einen Bestseller landete: »Ella Fitzgerald sings the Cole Porter Songbook« aus dem Jahr 1956 gilt heute als Jazz-Klassiker. Diese Platte markierte den Beginn der erfolgreichen Zusammenarbeit des Labels mit der legendären Sängerin. Über sechzig Jahre später veröffentlichte Joy 2022 bei Verve ihr Album »Linger awhile«, das bei den Grammy Awards 2023 mit »Best New Artist« und »Best Jazz Vocal Album« gleich zwei Auszeichnungen abräumte.
Hier zeigt die junge Sängerin, dass man dem traditionellen Repertoire mit seinen berühmten (»Misty«, »’Round Midnight«, »Someone to watch over me«) und weniger berühmten Standards (»Sweet Pumpkin«, »Social Call«) auch heute noch eine eigene frische Note hinzufügen kann.
Doch Joy weiß – und das spricht ebenfalls für ihre künstlerische Reife –, dass sie musikalisch nicht stehenbleiben darf. Auf die Frage, ob sie moderne Elemente in ihre Musik einbringen oder am traditionellen Jazz festhalten wolle, antwortet sie am Schluss des Forbes-Interviews: »Ich glaube, es liegt in der Natur des Jazz, dass ich nicht ewig Songbook-Standards singen werde. Dafür ist diese Musik nicht gedacht. Wenn man sein Repertoire nicht erweitert und nicht nach neuen Wegen sucht, um als Künstler:in zu wachsen, dann bewegt man sich nicht, sondern stagniert, und das ist nicht das Wesen des Jazz. Es ist ganz natürlich, sich zu entwickeln. Es ist nur natürlich, dass meine Perspektive als 23-Jährige nun moderne Elemente widerspiegelt und meine Umgebung und die Musik, die ich liebe und höre, reflektiert. Also ja, das ist der Plan.«
Der Blick in die musikalische Zukunft kann ruhig noch etwas warten. Bis dahin verweilt Samara Joy im nostalgischen Jazz und wird diesen mit neuem Leben füllen. Das Publikum darf ihr im Wiener Konzerthaus genussvoll dabei zuhören.
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Mi, 10/04/24, 19.30 Uhr · Großer Saal
Samara Joy
»Linger awhile«
Samara Joy, Gesang
Cameron Campbell, Klavier
Felix Moseholm, Kontrabass
Evan Sherman, Schlagzeug
Karten (Ausverkauft):
https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60896
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