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Im Fokus: Wynton Marsalis
Auf der Suche nach einem besseren Weg: In einer Zeit voller Krisen kann der Jazz Alternativen zeigen – als Sinnbild für die Demokratie und des Aufeinanderhörens. Wynton Marsalis und sein Jazz at Lincoln Center Orchestra führen es mit drei ganz unterschiedlichen Programmen vor
VON RALF DOMBROWSKI
Wynton Marsalis hatte sich schon früh von einigen Mythen des Jazz verabschiedet, allem voran vom Innovationsdiktat der Avantgarde. Denn die Vorgabe der ständigen Veränderung hatte spätestens seit dem Bebop, als die kreative Verantwortung auf die Solist:innen übertragen worden war, Musiker:innen unter Druck gesetzt. Immer neu, immer weiter, immer anders bedeutete im Umkehrschluss keine Ruhe, wenig Reflexion und vor allem keinen Stolz auf das bereits Erreichte. Tradition kam in diesem System der zur Regel erhobenen Regelbrüche nicht vor und wenn doch, dann als das, was man überwinden sollte. Das wurde auch für den Freiheitsbegriff innerhalb des Jazz zum Problem. Denn von der Avantgarde wurde er interpretiert als Freiheit, etwas zu tun, als Selbstermächtigung, immer alles über den Haufen werfen zu dürfen. Von seinem Vater, dem Pädagogen und Pianisten Ellis Marsalis, aber auch von der christlich-religiös geprägten Szene in New Orleans hatte Wynton Marsalis hingegen ein Verständnis vermittelt bekommen, das Freiheit als Möglichkeit sah, sich von Zwängen zu lösen, ohne dafür die Gemeinschaft und das eigene Erbe aufgeben zu müssen.
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Jazz war für ihn damit von Anfang an kein Werkzeug der Selbsterfahrung, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung, auch eine Aufgabe, die man als Künstler:in mit auf den Weg bekommt. Gut spielen zu können, ist ein durch Disziplin und Fleiß gefördertes Geschenk. Und das in Gemeinschaft und vor Publikum zu tun, ist eine Verantwortung. »Jazzmusik ist die Vergangenheit und das Potential Amerikas, und sie ist für jeden offen, der lernt, ihr zuzuhören, sie zu fühlen und sie zu verstehen«, schreibt Wynton Marsalis in seiner Autobiographie »Jazz, mein Leben«, mit der er vor eineinhalb Jahrzehnten das Prinzip der Improvisation als Grundlage seiner Lebensphilosophie beschrieb: »Diese Musik kann uns mit unserem ehemaligen und unserem zukünftigen, besseren Selbst verbinden. Sie kann uns in Erinnerung rufen, wo auf der Zeitleiste der menschlichen Errungenschaften unser Platz ist: Das ist der ultimative Wert der Kunst.«
In den bunt überspannten Neunzigerjahren wirkte Wynton Marsalis mit dieser aus dem konservativen Denken kommenden Vorstellung für einige Publizist:innen altbacken. Das Label des Neotraditionalismus, das auf seine Kunst gestempelt wurde, hatte daher manchmal einen etwas abfälligen Beigeschmack. Wynton Marsalis kümmerte es wenig. Im Gegenteil, er machte sich für seine Sache stark und promotete Jazz als universelle Kunst an möglichst vielen Stellen. Er hatte Erfolg damit. Als das New Yorker Lincoln Center von 1991 an die Konzertreihe Jazz at Lincoln Center zu einer eigenen Abteilung ausbaute, wurde der Trompeter zur deren Leiter ernannt. Das damit liierte Jazz at Lincoln Center Orchestra entwickelt er zur Kaderschmiede für den Nachwuchs und zu einer der führenden Big Bands der Welt. Mit seinem Jazz-Oratorium »Blood on the Fields« über die Geschichte der Sklaverei durchbrach er nicht nur formale Grenzen zwischen Storytelling, Gesang und Ensemblespiel, sondern erhielt 1997 auch als erster schwarzer Jazzkomponist den Pulitzer Prize for Music, der bis dahin der Klassik vorbehalten war.
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Der inzwischen 63-jährige Trompeter, Komponist und Netzwerker ist seitdem unentwegt aktiv, spielt Tourneen und kümmert sich um das Jazz Department am Lincoln Center, dessen Bildungsangebot über zwanzig Programme umfasst und geschätzt alljährlich rund 50.000 Menschen erreicht. Er arbeitet mit Stars von Eric Clapton und Willie Nelson bis Norah Jones zusammen, spielt gelegentlich auch klassische Konzerte und entwickelt weiterhin Programme, die auch politisch über die Musik hinausreichen. »The Democracy! Suite« beispielsweise entstand 2020 als Septett-Komposition, als auch in Amerika die Lockdowns Menschen vereinzelten und radikalisierten. »Die Frage, die uns und unser Land gerade umtreibt, ist doch: Finden wir einen besseren Weg?«, meint Wynton Marsalis mit dem Blick auf die Auswege aus der Krise und meint, Jazz sei die perfekte Metapher für Demokratie.
Jazzmusik ist die Vergangenheit und das Potential Amerikas, und sie ist für jeden offen, der lernt, ihr zuzuhören, sie zu fühlen und sie zu verstehen. -Wynton Marsalis
»Jazz erinnert auch daran, dass man sich mit anderen einigen kann. Es ist schwer, aber es geht. Wenn mehrere Menschen zusammen etwas entwickeln wollen, sind Konflikte vorprogrammiert. Jazz mahnt dazu, die Entscheidungen der anderen anzunehmen. Es geht um die Kunst, Veränderungen geschmeidig auszuhandeln«. Deshalb vermittelt die Demokratie-Suite mit einer Mischung aus Traditionsklängen, aus Modern Bebop, Swing Jazz, Funeral Blues oder auch hymnischer Improvisationslust eine Botschaft der Offenheit. Die »Symphonie Nr. 4« und das »Konzert für Trompete und Orchester« sind Zeichen für die gegenseitige Bereitschaft, sich musikalisch formal und aus der gemeinsamen europäischen und amerikanischen Tradition heraus zu verbinden. Ein Programm amerikanischer Standards mit dem Jazz at Lincoln Center Orchestra und dem österreichischen Trompeter und Flügelhornisten Thomas Gansch als Gast ist die Fusion der Elemente aus New Yorker Perspektive. »Ich möchte dem Jazz das Geheimnisvolle nehmen«, erklärt Wynton Marsalis in »Jazz, mein Leben«, »und ich möchte zeigen, wie die in der Musik enthaltenen Ideen lebensverändernd wirken können« – an drei sehr verschiedenen Abenden im Wiener Konzerthaus.
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KONZERTTIPPS
02/04/25 Mi, 19.30 Uhr · Großer Saal
Jazz at Lincoln Center Orchestra & Septet with Wynton Marsalis
»The Democracy! Suite«
Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61971
03/04/25 Do, 19.30 Uhr · Großer Saal
RSO Wien · Jazz at Lincoln Center Orchestra with Wynton Marsalis · Ott · Alsop
Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61973
04/04/25 Fr, 19.30 Uhr · Großer Saal
Jazz at Lincoln Center Orchestra with Wynton Marsalis
»Music from the JLCO Book«
Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61975