MANON Jules Massenet
INHALT
Die Handlung
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Synopsis in English
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Über dieses Programmbuch
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Die Details der zwischenmenschlichen Beziehung → Regisseur Andrei Şerban und Ausstatter Peter Pabst im Gespräch mit Andreas Láng
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Des Grieux trifft Manon Lescaut → Abbé Prévost
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Jules Massenet – Notizen zu seiner Biographie → Martha Handlos
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Musik der weiblichen Seele → Claude Debussy
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Zwischen Mythos und Realität → Andreas Láng
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Aus den Erinnerungen von Jules Massenet
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Gier nach dem Leben → Maria Publig
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»In Musica Veritas!« → Josef-Horst Lederer
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Anmerkungen zur Geschichte der französischen Oper in Wien → Michael Jahn
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Die Arbeit eines feinen, geistreichen Kopfes → Andreas Láng
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Ah ! Le beau diamant… Tu vois, je suis encore coquette ! Ah, der schöne Diamant... Du siehst, ich bin immer noch eitel! Manon, 5. Akt
MANON → Opéra comique in fünf Akten Musik Jules Massenet Text Henri Meilhac & Philippe Gille nach Abbé Prévost
Orchesterbesetzung 2 Flöten (2. auch Piccolo), 2 Oboen (2. auch Englischhorn), 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Kornette, 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Schlagwerk, Harfe, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass Bühnenmusik Klarinette, Fagott, Streichquintett, Orgel, Glocke in Es Spieldauer 3 Stunden 15 Minuten (inkl. 1 Pause) Autograph Bibliothek der Pariser Oper Uraufführung 19. Jänner 1884, Opéra Comique, Paris Erstaufführung im Haus am Ring 19. November 1890
DIE HANDLUNG
In einer Gastwirtschaft auf einer Durchzugsstation in Amiens vergnügen sich der reiche Guillot de Morfontaine sowie der Steuerpächter Brétigny mit den drei Freundinnen Poussette, Javotte und Rosette. Als das Nahen einer Gruppe Reisender angekündigt wird, versammeln sich die Neugierigen der nächsten Umgebung, unter ihnen der Gardist Lescaut, der seine Cousine Manon abholen und ins Kloster geleiten soll. Tatsächlich befindet sich die junge Manon unter den Angekommenen und bezaubert durch ihre Schönheit alle Umstehenden, so auch Guillot, der dem Mädchen gegen eine Liebschaft ein Leben in Luxus anbietet. Manon weist das Angebot zwar ab, fühlt sich aber vom Reichtum unwiderstehlich angezogen. Da erscheint der Chevalier Des Grieux. Kaum erblickt der junge Adelige das Mädchen, ist er auch schon unsterblich verliebt. Manon, die an ihm ebenfalls Gefallen findet, flieht mit ihm nach Paris. Die Zeit, die die jungen Liebenden miteinander verbringen, ist jedoch sehr kurz, da Manon dem Werben des reichen Brétigny schließlich nachgibt. Der Chevalier Des Grieux wird darüber hinaus auf Befehl seines Vaters, des alten Grafen Des Grieux, gewaltsam entführt, um wieder auf den rechten Weg gebracht zu werden. Einige Zeit später erfährt Manon zufällig, dass der junge Des Grieux knapp davor ist, in den Priesterstand zu treten. Sie sucht ihn daraufhin im Kloster Saint-Sulpice auf. Nach nur wenigen verführerischen Worten ist er Manon abermals erlegen und flieht mit ihr. Da Manon den Luxus nach wie vor nicht missen möchte, ist Des Grieux bereit, im zwielichtigen Hotel Transylvanie seine finanzielle Lage im Glücksspiel aufzubessern. Der dort anwesende Guillot inszeniert einen Skandal, bezichtigt Des Grieux des Falschspiels und holt die Polizei, die Manon und Des Grieux verhaftet. Letzterer wird zwar durch seinen Vater wieder in Freiheit gesetzt, Manon aber soll nach Amerika verbannt werden. Doch die Strapazen im Gefängnis haben sie gebrochen. Sie stirbt auf dem Weg zum Hafen in den ← Vorige Seiten: Szenenbild Armen Des Grieuxʼ. DIE H A N DLU NG
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SYNOPSIS
The wealthy Guillot de Morfontaine, the farmer-general Brétigny and their female companions Poussette, Javotte und Rosette are enjoying themselves in a tavern at a staging post in Amiens. The approach of a group of travellers is announced, and curious towns-folk gather to watch them, amongst them Sergeant Lescaut, who has come to meet his cousin Manon to take her to a convent. The young Manon is indeed amongst the new arrivals, enchanting all the bystanders – including Guillot – with her beauty. The latter offers her a life of luxury if she will become his mistress. Though Manon rejects his advances, she feels irresistibly attracted by the prospect of wealth. Chevalier Des Grieux also arrives on the scene. Hardly has the young noblemen set eyes on the young girl than he, too, falls in love with her completely. Manon is also attracted to him, and agrees to flee to Paris with him. However, the time which the young lovers spend with one another is all too short, as Manon finally gives in to the advances of the wealthy Brétigny. Chevalier Des Grieux is forcefully abducted at the instigation of his father, the old Count Des Grieux, who wishes to put his son back on the straight and narrow. Some time later, Manon chances to hear that the young Des Grieux is about to take holy orders. She immediately goes to visit him at the monastery of Saint-Sulpice. It only takes a few tender words from Manon for Des Grieux to succumb to her charms: once again the couple flee together. Since Manon is still unwilling to do without her luxury, Des Grieux endeavours to improve his financial circumstances by gambling at the sleazy Hôtel de Transylvanie. Guillot sees him there and drums up a scandal, accusing Des Grieux of cheating. He fetches the police, and both Manon and Des Grieux are arrested. Though Count Des Grieux is able to secure the release of his son, Manon is to be deported to America. However, worn down by the exertions of prison life, Manon dies in Des Grieuxʼs arms on the way to the harbour.
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SY NOPSIS
ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH
Das 1731 erschienene Werk Die Geschichte des Chevalier Des Grieux und der Manon Lescaut, verfasst von Abbé Prévost, war ein literarischer »Renner« seiner Zeit – und auch noch im 19. und 20. Jahrhundert. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass zahlreiche Komponisten, unter ihnen Daniel-François-Esprit Auber, Jacques-François-Fromental Halévy, Giacomo Puccini und Hans Werner Henze sich dem Stoff näherten. Eine der wichtigsten Musiktheater-Vertonungen dieses Stoffes stammt von Jules Massenet: kurz und bündig nannte er seine Oper Manon, 1884 kam das Werk in Paris höchst erfolgreich zur Uraufführung und wurde international rasch nachgespielt. Ein Ausschnitt aus dem Prévost’schen Roman (ab Seite 16), Erinnerungen des Komponisten (ab Seite 34), eine kurze Biographie Massenets (verfasst von Martha Handlos, ab Seite 22) sowie die Entstehungsgeschichte der Oper (ab Seite 28) geben Einblicke in die Autoren-Werkstatt sowie die »Entwicklungsumgebung« des Werks. Über ihr Inszenierungs-, Bühnenbild- und Kostümkonzept, die Vorzüge der Massenet’schen-Vertonung sowie die Frage nach dem InszenierungsTransfer einer Oper in eine andere Epoche sprechen mit Andreas Láng der Regisseur Andrei Șerban und der Ausstatter Peter Pabst (ab Seite 9). Maria Publig wirft ab Seite 38 einen Blick auf die Titelfigur und kontextualisiert sie im Umfeld gesellschaftlicher Doppelzüngigkeiten, eine genaue Analyse der Musik der Klosterszene entwirft Josef-Horst Lederer ab Seite 46. Der Musikwissenschaftler Michael Jahn beleuchtet die Aufführungsgeschichte der französischen Oper in Wien (ab Seite 54), von Andreas Láng stammt die Wiener Aufführungsgeschichte der Manon (ab Seite 64). Der Kommentar eines prominenten Komponisten-Kollegen darf freilich nicht fehlen: Claude Debussys Anmerkungen zu Massenets Tonsprache (ab Seite 24) runden das Angebot dieses Programmbuchs ab. Ü BER DIE SE S PROGR A M MBUCH
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Jules Massenet
» Was ich musikalisch zu sagen habe, muss ich rasch sagen, kurz und bündig; meine Aussage ist gedrängt, nervös, und würde ich mich einer anderen Redeweise befleißigen, wäre ich nicht mehr ich selbst… «
DIE DETAILS DER ZWISCHEN MENSCHLICHEN BEZIEHUNG Regisseur Andrei Şerban und Ausstatter Peter Pabst im Gespräch mit Andreas Láng
Massenet war nicht der einzige, der Prévosts Manon-Roman vertont hat. In den heutigen Opernspielplänen ist neben seiner Version vor allem noch jene von Pucci ni zu finden. Eine italienische Lösung und eine französische also. Sie, Herr Şerban, geben jener von Massenet den Vorzug? ŞERBAN: Nun, Tatsache ist, dass in den französischsprachigen Werken im Allgemeinen mehr Ironie, mehr Humor vorhanden ist als bei italienischen Opern. Ob nun bei Gounod, Bizet oder Massenet – neben den eindeutig ernsten Szenen stehen auch immer solche, die dem Amüsement gewidmet sind. Es ist nicht alles nur leidenschaftlich tragisch. Darüber hinaus weisen französische Opern mehr Raffinement auf. Es stimmt schon, Massenets Manon ist mir lieber als Puccinis Manon Lescaut. Die französische Lösung, wie Sie sie bezeichnen, ist insgesamt delikater, feiner und sensibler, verglichen mit Massenet ist Puccini, meiner Meinung nach, fast schon wie ein Panzer, so kraftvoll und robust. Dazu kommt noch, dass sich Massenet und seine Librettisten bezüglich der Handlung viel stärker an die Prévostʼsche Vorlage gehalten haben als Puccini. Die Geschichte in Manon ist also quasi authentischer und für meinen Geschmack interessanter als in Manon Lescaut.
← KS Anna Netrebko als Manon, 2007
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Lediglich beim Schluss weicht Massenet von der Vorlage ab. Bei Prévost stirbt Manon in ihrer Verbannung, in Amerika. Bei Massenet stirbt sie schon in Frankreich, auf dem Weg in die Verbannung. PABST (lacht): Ich glaube, dass das einen rein praktischen Grund hat. Massenet hätte ja noch einen sechsten Akt hintendran hängen müssen, um auch noch die Amerika-Episode wiederzugeben. Nein, das Ganze wäre einfach zu lang geworden und an der Aussage der Oper, an der eigentlichen Geschichte, ändert sich ja nichts: Am Ende stirbt die zur Verbannung verA N DR EI ŞER BA N U N D PET ER PA BST IM GE SPR ÄCH MIT A N DR EAS LÁ NG
urteilte Manon im Elend – ob nun in Amerika oder noch in Frankreich, spielt da keine Rolle. Prévosts Roman ist ein Werk des 18. Jahrhunderts, ein Werk der Aufklärung. Massenets Oper ein Produkt des 19. Jahrhunderts. Inwiefern merkt man den Zeitunterschied bei der Behandlung des Stoffes? ŞERBAN: Massenet und seine Librettisten haben sich in manchen Punkten an die Konventionen des 19. Jahrhunderts anpassen müssen, um überhaupt aufgeführt zu werden. Das gilt vor allem für die Behandlung der einzelnen Charaktere. Bei Prévost sind diese viel widersprüchlicher, sind nicht nur schwarz oder nur weiß. Der junge Chevalier Des Grieux wird im Roman zu einem hochprofessionellen Falschspieler, der auf Kosten anderer ein Vermögen erwirbt. Bei Massenet ist er in erster Linie naiv, tugendhaft und leidenschaftlich, er hat schon richtiggehend heiligenmäßige Züge. Und auch Manon ist im »Original« immer wieder ein ziemliches Luder, ein toughes, kleptomanisches Straßenmädchen. In der Oper wirkt sie auf den ersten Blick positiver gezeichnet. Massenet hat mit anderen Worten die Geschichte erzählt, aber die eine oder andere Ecke etwas abgerundet. Wir haben uns bei der Produktion wieder etwas an Prévost angenähert, die Figuren wieder etwas entromantisiert und ihnen dafür realistischere Konturen verliehen. PABST: Ich finde es ja ziemlich langweilig, Menschen zu zeigen, die hauptsächlich gut oder hauptsächlich schlecht sind. Vor allem bei Letzteren versuche ich, eine Ecke im Charakter zu finden, die mir auch diesen Menschen irgendwie liebenswert macht. Ich könnte ja nicht gut jemanden auf der Bühne darstellen, der durch ein negatives Vorurteil abgestempelt ist. Und auch für das Publikum ist es viel interessanter, mehrschichtige Personen auf der Bühne zu sehen, die ihre Stärken, aber auch Schwächen haben. Für die Handlungsweise solcher Charaktere kann man ja viel eher Verständnis aufbringen als für reine Helden oder reine Teufel... SERBAN: Ja, genau. Deshalb wird man in meinen Inszenierungen weder Helden noch Teufel finden. Die Bühnenfiguren gleichen dadurch auch uns, dem Publikum: Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen positioniert. Und wie verleiht man den Charakteren – etwa im aktuellen Fall – Mehrschichtigkeit? ŞERBAN: Indem man zwischen den Zeilen liest und genau auf die Musik achtet. Und sich selbst richtige Fragen stellt. In der Szene im Hotel Transylvanie zum Beispiel hat mich vom Dramaturgischen her immer etwas gestört: Kaum werden Des Grieux und Manon von der Polizei verhaftet, ist auch schon der Vater Des Grieuxʼ zur Stelle, um seinem Sohn wie ein Deus ex machina zu Hilfe zu kommen. Wieso kann dieser seriöse, ältere Herr so plötzlich in der A N DR EI ŞER BA N U N D PET ER PA BST IM GE SPR ÄCH MIT A N DR EAS LÁ NG
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verbotenen Spielhölle auftauchen? Wir haben dieses Problem mit Peter Pabst und dem Dirigenten der Neuproduktion, Bertrand de Billy, immer wieder diskutiert. Die Erklärung, die wir anbieten, ist, dass auch der alte Graf Des Grieux nicht ganz so nobel und unschuldig ist, sondern ebenfalls irgendwelche Verbindungen zu dieser Halbwelt der Falschspieler und Gauner unterhält und daher über das Eintreffen der Polizei früh genug informiert wurde. Prévosts Roman spielt um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie verlegen die Handlung in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Warum? ŞERBAN: Worum geht es denn im Theater? Um das Erzählen von Geschichten. Und da der Kanon der Werke, die immer wieder aufgeführt werden, ziemlich gleichbleibt, erzählen wir zwangsläufig immer wieder die gleichen Geschichten. Wichtig ist daher vor allem, dass das Publikum das Interesse nicht verliert. Die Frage ist also, wie erzähle ich das bereits Bekannte auf möglichst spannende Weise? Da gibt es keine allgemeingültige Antwort, sondern immer nur gerade aktuelle Lösungsvorschläge. Im vorliegenden Fall der Manon bestand die Schwierigkeit darin, das Beziehungsgefüge der Handelnden, das jeweilige soziale Milieu, also jene Details, die erst zum vollständigen Verständnis der Oper beitragen, so zu präsentieren, dass sie für uns heute erkennbar sind. Nehmen wir an, wir beließen alles in der Originalzeit der Geschichte. Das hieße dann, dass die Personen ungefähr so angezogen wären wie zur Zeit Mozarts. In diesem Stück treffen aber ständig Personen unterschiedlicher Schichten aufeinander: Adelige, Neureiche, Ganoven, Flittchen. Wenn man rein äußerlich zwischen diesen Menschen keine Unterschiede erkennen kann, weil man zum Beispiel die Nuancen der damaligen Mode nicht kennt, gehen viele Feinheiten des Stückes verloren. PABST: Die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts sind uns aber vertraut. Einerseits durch die Eltern- und Großelterngeneration, andererseits auch durch zahlreiche Filme und Fotos dieser Epoche. Dadurch ist für die Zuschauer auch das atmosphärische Einordnen der handelnden Figuren ermöglicht. Und da es sich in Manon immer wieder um die Halb- und Unterwelt dreht, zeigen wir die Geschichte im damals typischen Gangstermilieu.
PABST:
Und warum nicht in der Gegenwart? Wenn ich ganz ehrlich bin: Schlicht und einfach deshalb, weil ich für Jeans auf der Bühne nicht viel übrig habe.
Und wie wurden die einzelnen Episoden der Handlung in die 30er Jahre verlegt, ohne dass dabei inhaltliche Brüche entstanden? PABST: Wir haben ja nichts verfremdet oder gebrochen, sondern versucht, die jeweilige Entsprechung in der neuen Zeit zu finden. Wichtig war, einfach den Wert eines Ortes festzustellen, der in sich in allen Zeiten gleichbleibt. Die Oper beginnt in der Originalzeit auf einer Kutschen 11
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station, also einem Ort der Beweglichkeit, wo es um Vorbeiziehende und Reisende geht. Bei uns beginnt die Oper auf einem Bahnhof, also ebenfalls wieder in einer Umgebung, wo Leute ankommen und abreisen. Inhaltlich hat sich für die Handlung also nichts verändert. Das gleiche gilt für die Cour la Reine-Szene – im Zusammenhang mit dieser nächtlichen Volksfestatmosphäre fällt einem schnell das Pigalle, die Rue Saint Denis der 30er Jahre ein, wo sich die unterschiedlichsten Menschen trafen: die Huren, die Metzger, die an ihren Ständen die Waren feilboten, die feinen Leute, die in den Morgenstunden noch ein letztes Bier trinken wollten. Und auch beim Hotel Transylvanie gab es mit dem zeitlichen Transfer keine Schwierigkeiten: Es geht ja bei diesem Bild um eine Spielhölle. In manchen Inszenierungen schaut es an dieser Stelle aus wie im Casino von Monte-Carlo. Das ist aber falsch, denn gezeigt werden soll eine wenig vornehme Umgebung, an der illegal Glücksspiel betrieben wird und die Gefahr des Einschreitens der Polizei jederzeit gegeben ist. Herr Şerban, im Zuge Ihrer Werther-Inszenierung an der Wiener Staatsoper sprachen Sie von einer Ähnlichkeit dieser Oper mit den Werken Tschechows. Trifft diese Nähe zu Tschechow auch auf die Manon zu? ŞERBAN: Eigentlich nicht. Wir haben zwar denselben Komponisten vor uns, aber in ihrer Struktur doch sehr verschiedene Stücke. Manon ist manchmal wie ein Gangsterfilm, manchmal wie eine Operette, dann wieder ein Melodrama mit echten Emotionen, dann wieder eine Komödie. Wenn ich schon einen Vergleich ziehen soll, dann sehe ich bei dieser Oper eher eine Nähe zu Bertolt Brecht als zu Tschechow. Der komplette Titel des Prévost-Romanes heißt Geschichte des Chevalier Des Grieux und der Manon Lescaut. Die Oper Massenets heißt lediglich Manon. Ist die Figur von Des Grieux in der Oper weniger zentral als im Roman? PABST: Es kommt darauf an, welchen Aspekt dieser Oper man genauer betrachten möchte: Einerseits wird die Geschichte einer ganz bestimmten Karriere von ihrem Beginn bis zu ihrem Ende erzählt, nämlich jener der Manon. Dann steht sie natürlich allein im Mittelpunkt. Andererseits handelt es sich aber vor allem um eine Liebesbeziehung – und da stehen selbstverständlich zwei Personen gleichberechtigt im Mittelpunkt. Außerdem ist der Einfluss Des Grieuxʼ auf Manon, auch wenn sie mit ihm machen kann, was sie will, nicht zu unterschätzen. Ihr Leben würde ohne ihn mit Sicherheit anders verlaufen, die vorhin erwähnte Karriere wäre wahrscheinlich um einiges kürzer. Sympathisiert Massenet eigentlich mit der Manon, ist er auf ihrer Seite, wie Verdi auf jener der Violetta? A N DR EI ŞER BA N U N D PET ER PA BST IM GE SPR ÄCH MIT A N DR EAS LÁ NG
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Das ist eine schwierige Frage, da wir ja nicht wissen, auf wessen Seite jemand tatsächlich ist. Auf jeden Fall hat Massenet, noch mehr als Prévost, das Geheimnisvolle an dieser Frau betont. Das sieht man auch daran, wie Massenet das Werk beendet – der letzte Satz gehört Manon, der sterbenden Manon wohlgemerkt. Und dieser lautet: »Das ist die Geschichte von Manon Lescaut.« Welcher Sterbende sagt in seiner letzten Minute so etwas über sich? Massenet wollte mit diesem bewusst theatralischen, artifiziellen Ende die Außergewöhnlichkeit dieser Person unterstreichen. Meiner Meinung nach lautet eine Botschaft des Komponisten: »Versuchen wir nicht um jeden Preis herauszufinden, wer Manon ist, da wir einen dermaßen geheimnisvollen Charakter sowieso nie vollständig entschlüsseln können.« ŞERBAN:
Eine große Herausforderung für jeden Regisseur, für jeden Bühnenbildner stellen jene Opern dar, in denen, wie hier bei Manon, die Massenszenen und die Abschnitte mit wenigen Personen einander ständig abwechseln... PABST: Das ist bei der Manon tatsächlich eine Herausforderung. Dieser ständige Wechsel von Massenszene zu kammerspielartigen Abschnitten mit zwei, drei Personen und wieder zurück ist geradezu wie die Atembewegungen dieses Stückes. Wir mussten also eine Lösung finden, die es uns erlaubt, quasi im Bruchteil einer Sekunde von der riesigen Opernbühne wegzuschalten und wie mit einem Zoom kleinere Ausschnitte in den Vordergrund zu rücken. Durch Projektionen haben wir eine Möglichkeit gefunden, diesen ständigen Wechsel optisch umzusetzen. Wobei wir nicht einfach auf weiße Leinwände draufprojizieren, sondern in ein schwarzes Umfeld hineinleuchten. Mit anderen Worten: All das, was wir von der Bühne nicht brauchen, bleibt schwarz, und die paar Meter, die als eng begrenzter Spielraum infrage kommen, werden als leuchtender, heller, lebendiger Ort sichtbar. Umgekehrt kann ich mit großen Projektionen die Bühne sofort wieder für ein großes Bild öffnen. Darüber hinaus haben wir, um nicht durch zu viel unnötige Aktion von der Musik und vom Wesentlichen mancher Bilder abzulenken, einige Szenen mit Holzfiguren bevölkert, die auf den ersten Blick sehr real sind – ein Versuch, Leben in die Sache hineinzubringen, ohne auf der Bühne zu viele wirklich lebendige Personen, sprich Statisten, zu haben. Wir haben gewissermaßen aus einem Teil des Lebendigen Dekoration gemacht, um die Aufmerksamkeit des Publikums nicht von den vielen zwischenmenschlichen Details unter den Hauptakteuren abzulenken. Denn auf diese Details kam es Massenet ja letztendlich an.
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Abbé Prévost
DES GRIEUX TRIFFT MANON LESCAUT
Ich war siebzehn Jahre alt und beendete die oberste Klasse auf dem Gymnasium zu Amiens, wohin mich meine Eltern, die zu einer der ersten Familien von P*** gehören, geschickt hatten. Ich führte ein so besonnenes und geregeltes Leben, dass mich meine Lehrer für ein Musterbeispiel des Gymnasiums erklärten. Nicht, dass ich mir besondere Mühe gab, diese Lobsprüche zu verdienen, aber ich besaß von Natur eine sanfte und ruhige Veranlagung und eine besondere Neigung zum Studieren, sodass man mir meine natürliche Abneigung gegen das Laster als Tugend anrechnete. Meine Herkunft, der Erfolg meiner Studien und einige äußerliche Vorzüge brachten mir die Bekanntschaft und Achtung aller besseren Leute der Stadt. A BBÉ PR ÉVOST
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Die öffentliche Prüfung bestand ich mit so allgemeinem Beifall, dass der Herr Bischof, der ihr beiwohnte, mir vorschlug, mich dem geistlichen Stand zu widmen, in dem ich mir, wie er sagte, größere Auszeichnung verschaffen würde als in dem Malteserorden, für den mich meine Eltern bestimmt hatten. Sie ließen mich schon das Malteserkreuz tragen unter dem Namen eines Chevalier des Grieux. Als die Ferien kamen, traf ich meine Vorbereitungen, zu meinem Vater zurückzukehren, der versprochen hatte, mich bald auf die Ritterakademie zu schicken. Beim Abschied von Amiens war es mein einziges Bedauern, dass ich dort einen Freund zurückließ, mit dem ich immer aufs zärtlichste vereinigt gewesen war. Er zählte einige Jahre mehr als ich, und wir waren zusammen erzogen worden. Da aber seine Familie nur wenig begütert war, hatte er nur die Wahl, sich dem geistlichen Stande zu widmen, und er musste in Amiens zurückbleiben, um hier die zu diesem Beruf nötigen Studien zu betreiben. Er hatte unendlich viele gute Eigenschaften, seine besten werden Sie im Verlauf meiner Geschichte kennenlernen, in der vor allem seine Hingabe und sein Edelmut alles übertreffen. Hätte ich damals seinen Rat befolgt, dann wäre ich immer weise und glücklich geblieben. Und selbst in dem Abgrund, in den mich meine Leidenschaften gestürzt haben, hätte ich immer noch etwas aus dem Schiffbruch meines Vermögens und meines Rufs gerettet, wenn ich dann wenigstens aus seinen Vorwürfen Nutzen gezogen hätte. Aber für alle seine Bemühungen hat er nur den Schmerz geerntet, einzusehen, dass sie umsonst waren und manchmal übel belohnt wurden durch einen Undankbaren, der sie übelnahm oder sie als Zudringlichkeiten auffasste. Ich hatte die Zeit meiner Abreise von Amiens festgesetzt. Ach, warum setzte ich sie nicht für einen Tag früher fest! Dann hätte ich meinem Vater meine ganze Unschuld zurückgebracht. Es war gerade am Tage vor meiner festgesetzten Abreise aus der Stadt, und ich schlenderte mit meinem Freund, der Tiberge hieß, durch die Straßen, als wir den Postwagen aus Arras ankommen sahen, und ihm zu dem Gasthof, wo diese Wagen halten, folgten. Uns trieb dabei nichts anderes als die Neugierde. Verschiedene Frauen stiegen aus und verschwanden dann. Eine aber, eine sehr junge, blieb allein auf dem Hof, während ein Mann von vorgerücktem Alter, der ihr als Führer zu dienen schien, bemüht war, ihr Gepäck herauszuschaffen. Sie erschien mir so reizend, dass ich, der ich niemals an die Verschiedenheit der Geschlechter gedacht, noch ein Mädchen mit irgendwelcher Aufmerksamkeit betrachtet hatte, dass ich, dessen Vernünftigkeit und Zurückhaltung von aller Welt bewundert wurde, plötzlich bis zum Wahnsinn entflammt wurde. Ich besaß den Fehler, dass ich außerordentlich schüchtern und leicht aus der Fassung zu bringen war, aber in diesem Augenblick verspürte ich von meiner Schwäche durchaus nichts und ging ohne weiteres auf die Herrin meines Herzens zu. Obgleich sie noch jünger war als ich, nahm sie meine Höflichkeiten ohne bemerkbare Verlegenheit entgegen. Ich fragte sie, warum sie nach Amiens 17
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käme, und ob sie hier Bekannte hätte. Sie antwortete mir unbefangen, ihre Eltern schickten sie hierher, damit sie Nonne würde. Die Liebe hatte mich in dem Augenblick, seit sie von mir Besitz genommen, schon so erleuchtet, dass ich diese Absicht als einen tödlichen Schlag für meine Wünsche empfand. Ich sprach zu ihr in einer Art, die ihr meine Gefühle wohl verständlich machte, denn sie war viel erfahrener als ich. Man schickte sie ja gerade deshalb ins Kloster, um ihrem Hang zum Vergnügen entgegenzutreten, der sich schon damals bei ihr gezeigt hatte, und der in der Folge ihr und mein Unglück herbeiführen sollte. Ich bekämpfte die grausame Absicht ihrer Eltern mit allen Gründen, die meine wachsende Liebe und meine scholastische Beredsamkeit mir nur eingeben konnten. Sie zeigte sich weder streng noch abweisend. Sie sagte mir nach einem Augenblick des Schweigens, dass sie nur zu gut voraussähe, wie unglücklich sie sein würde, aber dass das wohl offenbar der Wille des Himmels sei, indem er ihr keine Möglichkeit ließe, diesem Schicksal auszuweichen. Ihre sanften Blicke, der Zauber ihres traurigen Gesichts, während sie dieses sagte, vielleicht auch mein böses Gestirn, das mich ins Verderben ziehen wollte, gestatteten mir nicht, einen Augenblick mit meiner Antwort zu zögern. Ich versicherte ihr, wenn sie sich ein wenig auf meine Ehre und auf die unendliche Neigung, die sie mir schon jetzt einflößte, verlassen wollte, dann würde ich mein Leben daransetzen, sie aus der Tyrannei ihrer Eltern zu befreien und glücklich zu machen. Ich habe mich später, wenn ich darüber nachdachte, unendlich oft verwundert, woher mir damals diese Kühnheit und Gewandtheit im Ausdruck kam. Aber man hätte nie aus der Liebe eine Gottheit gemacht, wenn sie nicht manchmal Wunder wirkte. Ich fügte noch tausend beschwörende Worte hinzu. Meine schöne Unbekannte wusste gut, dass man in meinem Alter kein Betrüger ist. Sie gestand mir, wenn ich eine Möglichkeit sähe, sie zu befreien, dass sie mir dann Köstlicheres als ihr Leben schuldig zu sein glaubte. Ich wiederholte ihr, ich sei bereit, alles zu unternehmen. Da ich aber nicht genug Erfahrung besaß, um mir plötzlich einen Weg, ihr zu helfen, auszudenken, verharrte ich bei dieser unbestimmten Versicherung, die weder ihr noch mir viel helfen konnte. Ihr bejahrter Argus war inzwischen zu uns herangetreten, und alle meine Hoffnungen wären zu nichts zerronnen, hätte sie nicht genügend Witz gehabt, um der Unfruchtbarkeit meines eigenen zu helfen. Zu meinem Staunen redete sie mich bei der Ankunft ihres Führers mit Vetter an und sagte mir ohne den geringsten Anschein irgendeiner Verlegenheit, sie sei sehr glücklich, mich hier in Amiens getroffen zu haben. Sie wollte deshalb ihren Eintritt ins Kloster auf den nächsten Tag verschieben, um das Vergnügen zu genießen, mit mir zu Abend zu speisen. Ich verstand sehr gut den Sinn dieser List und schlug ihr vor, in einem Gasthof zu übernachten, dessen Besitzer sich in Amiens niedergelassen hatte, nachdem er lange Zeit bei meinem Vater Kutscher gewesen, und der mir in jeder Beziehung ergeben war. A BBÉ PR ÉVOST
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Ich führte sie selbst dorthin, während der alte Begleiter ein wenig zu murren schien, und mein Freund Tiberge, der überhaupt nichts von diesem Vorgang begriff, ohne ein Wort zu sprechen, folgte. Unsere Unterhaltung hatte er nicht gehört, da er, während ich meiner schönen Gebieterin Liebesworte zuflüsterte, im Hofe auf und ab ging. Da ich mich vor seiner Sittsamkeit fürchtete, entledigte ich mich seiner, indem ich ihn um eine Besorgung bat. So hatte ich also das Vergnügen, als ich zur Herberge kam, die Königin meines Herzens allein zu unterhalten. Ich erkannte bald, dass ich weniger Kind war, als ich es zu sein glaubte. Mein Herz öffnete sich tausend Empfindungen der Lust, von denen ich niemals etwas geahnt hatte. Eine süße Glut durchrann alle meine Adern. Ich befand mich in einem Zustand der Verzücktheit, die mich manchmal des Gebrauchs der Sprache beraubte, und der ich nur durch meine Blicke Ausdruck geben konnte. Fräulein Manon Lescaut, denn das war, wie sie mir erzählte, ihr Name, schien von diesem Eindruck ihrer Reize sehr befriedigt zu sein. Wie ich zu bemerken glaubte, war sie nicht weniger bewegt als ich. Sie gestand mir, dass sie mich liebenswert fände und entzückt sein würde, mir ihre Freiheit zu verdanken. Sie wollte wissen, wer ich sei, und diese Kenntnis vermehrte noch ihre Zuneigung, denn sie war nur von gewöhnlicher Herkunft und fühlte sich geschmeichelt, einen solchen Geliebten, wie ich es war, erobert zu haben. Wir unterhielten uns über die Möglichkeiten, einander anzugehören. Nach allen möglichen Erwägungen fanden wir kein anderes Mittel als das der Flucht. Wir mussten die Wachsamkeit des Begleiters täuschen, der zwar nur ein Bedienter, aber durchaus kein dummer Mensch war. Wir einigten uns dahin, dass ich während der Nacht einen Reisewagen bereitstellen und in aller Frühe zurückkommen sollte, ehe man im Gasthof wach war. Dann wollten wir uns still davonmachen und geradeswegs nach Paris fahren, um uns dort trauen zu lassen. Ich besaß ungefähr fünfzig Taler, die die Frucht meiner kleinen Ersparnisse waren; sie hatte etwa das Doppelte. Als unerfahrene Kinder bildeten wir uns ein, dass diese Summe nie ein Ende nehmen könnte, und in gleichem Maße waren wir von dem Erfolg unserer sonstigen Pläne überzeugt.
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ABBÉ PRÉVOST
← KS Roberto Alagna als Des Grieux, 2011
Antoine-François Abbé Prévost dʼExiles ist geboren in Hesdin (im Artois) – wahrscheinlich – am 1. April 1697, wächst auf in einem strengbürgerlichen Haus, wird erzogen durch die Jesuiten seiner Vaterstadt, tritt sechzehnjährig bei den Jesuiten in Paris ein und macht sein Noviziat durch, aber nur drei Jahre lang. 1716 finden wir ihn als Freiwilligen im Heer, dem er, wiederum nach drei Jahren, den Rücken kehrt. Die Jesuiten nehmen ihn wieder auf, er dichtet sogar eine Ode auf den Ordensheiligen Franz Xaver, aber er bleibt nicht lange, plötzlich geht er zurück zum Militär, diesmal als Offizier. 1720 tritt er nach einem schmerzlichen Herzensabenteuer als Novize bei den Benediktinern von Jumièges ein, legt nach einem Jahr die ewigen Gelübde ab, wird Priester und Professor am Ordensgymnasium von Saint-Germer, hält unter großem Zulauf der eleganten Welt von Evreux Fastenpredigten, wird nach Paris berufen und kommt in das vornehme Ordenshaus von Saint-Germain des Près. Dort verfasst er eine Satire auf die Liebschaften des Regenten, polemisiert auf Ordensbefehl gegen den Jesuiten Lebrun, veröffentlicht in Holland die von den Benediktinern verbotene Bibliothèque de Dom Cerf, schreibt die ersten vier Bände der Erinnerungen und Abenteuer eines Mannes vom Stande (1728), daneben gelehrte Werke für die Benediktiner, verlässt jedoch SaintGermain, das ihm zu streng ist, nach siebenjährigem Aufenthalt. Er flieht zuerst nach England, hierauf nach Holland, wo der siebente Band der Erinnerungen und Abenteuer erscheint (Amsterdam 1731), der die Geschichte enthält, die ihn unsterblich machen wird: Lʼhistoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut. Immer in Geldnöten, ausschließlich von seinen Schriften lebend, kehrt er zurück nach England, wo er eine Wochenschrift gründet. 1734 geht er wieder nach Frankreich und lebt jahrelang nahe bei Paris in einer Art freiwilliger Verbannung, bis er, seiner Ordensgelübde entbunden, Hausgeistlicher beim Prinzen von Conti wird, schlecht bezahlt, aber in der unvergleichlichen Atmosphäre der großen Welt. Im Genuss dieser Sinekure schreibt er eine Menge Werke geschichtlichen, genealogischen Inhalts, vor allem aber Romane, kompromittiert sich durch Ungeschicklichkeit in einem Presseskandal, flieht nach Frankfurt, wo er gerade rechtzeitig zur Krönung Karls VII. kommt. Wiederum zieht er sich zurück in die Nähe von Paris. Am 25. November 1763 stirbt er auf der Straße von Senlis nach Saint-Firmin unter einem Baum an einem Schlaganfall. Die Benediktiner erkennen den Toten als einen der ihren an: sie begraben ihn im Schiff der Prioratskirche Saint-Nicolas dʼAcy.
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A BBÉ PR ÉVOST
Martha Handlos
JULES MASSENET – NOTIZEN ZU SEINER BIOGRAPHIE Mit Salonliedern und Romanzen spielte und sang sich Massenet als junger, aufstrebender Musiker in die Herzen der Pariser Gesellschaft – insbesondere in jene der Damen –, Glück und Erfolg blieben ihm sein Leben lang treu: vielumjubelter Opernkomponist, Professor für Komposition am Pariser Conservatoire (somit einflussreicher Lehrer der französischen Komponistengeneration des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts), Mitglied des Institut de France und der Académie des Beaux Arts und Grand Officier der Ehrenlegion – also ausgezeichnet mit allen künstlerischen und gesellschaftlichen Ehren, eine Bilderbuchkarriere, vergleichbar etwa jener von Giacomo Puccini oder Richard Strauss. Am 12. Mai 1842 in Montand bei St-Etienne (Loire) geboren, wurde JulesEmile-Frédéric Massenet als Kind zunächst von seiner Mutter, einer talentierten Pianistin, musikalisch ausgebildet und in seiner Neigung gefördert, sodass er bereits als Elfjähriger ans Pariser Conservatoire aufgenommen wurde. Er studierte vorerst Gesang und Klavier; als besonders begabter Schüler trat er bald in Konzerten auf. Studien in Harmonielehre, Orgelspiel und Komposition bei Ambroise Thomas folgten, 1863 gekrönt durch die Auszeichnung mit dem großen Rom-Preis für seine Kantate David Rizzio, welcher es dem jungen Komponisten, der inzwischen als Triangelspieler im Orchestre de Gymnase und als Pauker am Théâtre Lyrique auch praktische Orchesterund Bühnenerfahrung gesammelt hatte, einen dreijährigen Aufenthalt in Italien ermöglichte. M A RT H A H A N DLOS
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Dort lernte er Franz Liszt kennen (Einflüsse der neudeutschen Schule mögen auch damit erklärbar sein), und durch diesen Constance de Sainte-Marie, seine spätere Frau. Orchesterwerke, die in diesen Jahren entstanden, ließen die Fachwelt aufhorchen, ein neuer Symphoniker schien heranzuwachsen; indes, die Faszination des Theaters zog Massenet in ihren Bann. Bereits 1867, ein Jahr nach seiner Rückkehr aus der Ewigen Stadt, debütierte er in Paris als Opernkomponist: mit der komischen Oper La Grandʼ Tante. Der Grundstein zu seinem Erfolg war gelegt, ein Erfolg, der sich von Werk zu Werk steigern sollte. Don César de Bazan (1872), das Oratorium Marie Magdeleine (1873, 1903 zur Oper umgearbeitet) und Le roi de Lahore (1877) hatten seinen Ruf bereits so sehr gefestigt, dass er 1878, 36jährig(!), als Professor ans Conservatoire berufen wurde; Bruneau, Charpentier, Koechlin, Enescu und viele andere zählten zu seinen Schülern, aber auch außerhalb seiner Klasse war sein Einfluss spürbar, so etwa bei dem jungen Debussy oder Puccini. Hérodiade – eine Vertonung des Salome-Stoffes –, 1881 in Brüssel uraufgeführt, brachte internationale Anerkennung und Ruhm; den ersten Höhepunkt seiner Karriere bildete die Uraufführung von Manon am 19. Jänner 1884 an der Opéra Comique, Werk und Komponist wurden vom Publikum gleichermaßen bejubelt. Innerhalb kürzester Zeit eroberte sich Manon die Bühnen Europas, bereits 1895 wurde sie in der Neuen Welt, in New York, präsentiert. Mit Manon, seinem siebenten Bühnenwerk, war Jules Massenet zweifellos zum beliebtesten und gefeiertsten Opernkomponisten Frankreichs geworden, er hatte somit eine Position erlangt, die auch während der folgenden zwanzig Jahre kaum angefochten wurde. Gelegentliche Angriffe vonseiten der Fachkritik – mangelnde Tiefe, Sentimentalität, eitle Effekthascherei, aber auch Affinitäten zur Wagnerʼschen Tonsprache – konnten diese Stellung nie ernsthaft infrage stellen; Premieren Massenetʼscher Opera blieben Zentralpunkte des Pariser Musik- und Gesellschaftslebens der Belle Epoque. Insgesamt schuf Massenet 25 Opern, die bekanntesten sind Le Cid (1885 in Paris uraufgeführt; das erste Werk Massenets, das in Wien, 1887, zu hören war), Werther (komponiert 1886, uraufgeführt 1892 in Wien), Thaïs (1894, Paris), Le jongleur de Notre-Dame (1902, Monte-Carlo) und Don Quichotte (1910, Monte-Carlo; für Schaljapin geschrieben). Immer wieder ist die Darstellung der Frau, ihrer Seele, ihrer Leidenschaften, vorrangiges Zentralthema in den Werken Massenets – 14 seiner Opern sind mit weiblichen Titeln überschrieben –, was ihm, auch in seinem Leben ein glühender Verehrer der eleganten Damenwelt, den Beinamen »Musicien de la Femme« eintrug. Jules Massenet blieb bis ins hohe Alter schöpferisch tätig; seine letzten drei Opern wurden posthum uraufgeführt. – Als er am 13. August 1912 in Paris starb, bereitete man sich an der Opéra Comique zum baldigen Jubiläum der 800. Aufführung von Manon vor... 23
J U LE S M AS SEN ET – NOT IZEN Z U SEIN ER BIOGR A PHIE
Claude Debussy
MUSIK DER WEIBLICHEN SEELE
Gedanken über Massenets Tonsprache
Man erkennt sofort, dass die Musik für Massenet nicht das »Allumfassende« war wie für Bach und Beethoven: er machte vielmehr eine bezaubernde Spezialität aus ihr. Wenn man die lange Liste seiner Werke studiert, dann sieht man, wie sie alle gleichsam im Bann derselben Idee stehen. Darum lässt er sich auch in seiner letzten Oper Griseldis einige der romantischen Begebenheiten der Eva, eines seiner ersten Werke, wieder einfallen. Ist das nicht wie ein geheimnisvolles und tyrannisches Schicksal, aus dem sich Massenets unermüdliches Streben erklärt, mit seiner Musik Beiträge zur Geschichte der weiblichen Seele zu liefern? – Fast alle diese Frauengestalten begegnen einem hier, die schon so viele zu Träumen verführten. Auf den Lippen der modernen Sappho kehrt das Lächeln der Manon im Reifrock wieder, und die Menschen weinen über das eine wie über das andere. Der Dolch der Navarreserin wird eins mit der Pistole der Lotte aus dem Werther, die nicht weiß, was sie tut. Man kennt aber auch die wilden, nicht enden wollenden Schauer der Leidenschaft und glühenden Liebe in dieser Musik. Die Harmonien sind hier wie menschliche Arme und die Melodien wie die Nacken, die von den Armen umschlungen werden; man neigt sich über die Stirnen der Frauen, weil man durchaus wissen möchte, was hinter den Stirnen vorgeht... Die Philosophen und die Menschen mit gesundem Verstand behaupten zwar, es gehe dort nichts vor, aber man kann auch anderer Meinung sein, wie das Beispiel Massenets (wenigstens im Melodischen) beweist; mit dieser Idee nimmt er in der zeitgenössischen Kunst sogar einen besonderen Platz ein, um den man ihn heimlich beneidet, was darauf schließen lässt, dass dieser Platz nicht zu verachten ist. Fortuna, weil sie ja nun einmal eine Frau ist, musste also Massenet sehr liebevoll behandeln, allerdings ihm auch manchmal untreu sein; an beidem hat sie es jedenfalls nicht fehlen lassen. Der riesige Erfolg bewirkte, dass es eine Zeitlang zum guten Ton gehörte, Massenets melodische Einfälle zu kopieren; dann aber wandten sich plötzlich gerade diejenigen, die ihn seelenruhig bestohlen hatten, gegen ihn. Man warf ihm vor, er habe zu viel Sympathie für Mascagni und bete Wagner zu wenig an. – Dieser Vorwurf ist ebenso falsch wie unzulässig. Massenet buhlte heroisch immer weiter um den Beifall seiner ständigen Verehrerinnen: ich muss gestehen, ich kann nicht begreifen, wieso es besser sein soll, den alten Wagnerischen Allerweltsweibern als jungen parfümierten Frauen zu gefallen, selbst wenn diese nicht sehr gut Klavier spielen. Ein für alle Mal, er hatte recht... Man kann ihm wirklich nicht vorwerfen, dass er Manon manchmal untreu geworden sei... Das war der rechte Rahmen für seine Neigung zum »Flirt«, die er in der Oper allerdings unterdrücken musste. Denn man »flirtet« ja nicht in der Oper, sondern schreit sehr laut unverständliche Worte, und wenn man dort Liebesschwüre tut, dann nur mit der Begleitung von Posaunen: logischerweise müssen die wechselnden Nuancen eines Gefühls bei so viel erzwungenem Lärm verlo 25
CLAU DE DEBUS SY
rengehen. Er hätte also doch besser getan, seine Begabung für Farben und flüsternde Melodien in gekonnten leichten Werken zu vervollkommnen; das ist genauso eine Kunst wie die andere, nur eben eine zartere. Musiker, die mit der ganzen Muskelkraft ihrer Arme beim Gebrüll der Trompeten Musik machen, gibt es wahrlich genug. Warum also ihre Zahl unnütz vermehren! An der langweiligen Musik der Neu-Wagnerianer braucht sich der Geschmack nicht zu schulen, und sie sollte uns nur die Liebe tun und wieder dorthin zurückkehren, woher sie gekommen ist. Mit seinen besonderen Gaben und seiner Unbeschwertheit hätte Massenet viel gegen diese beklagenswerte musikalische Entwicklung tun können. Es ist nicht immer gut, mit den Wölfen zu heulen. Unter den zeitgenössischen Musikern war Massenet wirklich der beliebteste. Gerade dieser Beliebtheit verdankte er dann auch die besondere Stellung, die er in der musikalischen Welt immer behauptet hat. Seine Kollegen haben es ihm sehr verdacht, dass er so zu gefallen wusste, was ja auch eine Begabung ist. Freilich, gerade in der Kunst braucht man sie am allerwenigsten. Jemand wie Johann Sebastian Bach, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, hat niemals in dem Sinn, wie man dies Wort bei Massenet anwendet, gefallen. Hat man schon jemals von einer kleinen Putzmacherin gehört, die eine Melodie aus der Matthäus-Passion trällerte? Ich glaube es nicht. Aber jedermann weiß, dass diese Mädchen schon morgens beim Aufwachen eine Melodie aus Manon oder Werther singen. Man soll sich nicht täuschen: das ist ein Ruhm, der dem Herzen wohltut, und mehr als einer dieser musikalischen Eiferer, die sich nur in der mühsam erworbenen Achtung der Gleichgesinnten sonnen können, blickt mit heimlichem Neid darauf... Gewisse Künstler glauben sehr klug zu handeln, wenn sie diejenigen zu Fall zu bringen suchen, die sie selber nachahmen, und sie nennen diese hässlichen Manöver dann obendrein »Kampf für die Kunst«. Dieser so beliebte Ausdruck hat etwas sehr Verdächtiges und verwechselt außerdem die Kunst mit irgendeinem Sport. In der Kunst muss man meistens nur gegen sich selbst ankämpfen, und die Siege, die man dabei erringt, sind vielleicht die schönsten. Aber eine sonderbare Ironie will es, dass man sich gleichzeitig vor dem Sieg über sich selbst fürchtet und darum lieber mit dem Publikum mitläuft oder seinen Freunden folgt, was auf dasselbe hinauskommt. Im Jahrhundert Napoleons hoffte jede französische Mutter, ihr Sohn würde auch ein Napoleon werden... Aber die Kriege haben viele dieser Träume unerbittlich zerstört. Und es gibt ja auch Schicksale, die einmalig sind. In seiner Art ist Massenets Schicksal eins von diesen. → KS Jonas Kaufmann als Des Grieux, 2009
MUSIK DER W EIBLICHEN SEELE
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Andreas Láng
ZWISCHEN MYTHOS UND REALITÄT
Zur Entstehung von Jules Massenets Manon
Eine autobiographische Schrift als wissenschaftliche Quelle heranzuziehen ist so eine Sache. Vor allem, wenn sie von einem Künstler stammt. Die Gefahr, dass dieser nämlich seine festgehaltenen Erinnerungen – bewusst oder unbewusst – zur zusätzlichen PR-Maßnahme für seine Werke beziehungsweise für den persönlichen Ruhmerhalt benutzt, liegt auf der Hand. Bekanntes Beispiel ist in diesem Zusammenhang wohl Richard Wagner. Aber auch der bedeutende französische Opernkomponist im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, Jules Massenet, liefert mit seinen leicht lesbaren, im Plauderton verfassten Memoiren (Mein Leben) einen wohl sehr ausgeschmückten und oftmals vermutlich ins Anekdotische abgleitenden Blick auf sein Leben und Schaffen. Ist man sich jedoch dessen bewusst und bereit, zwischen den Zeilen zu lesen, so bietet Massenets Autobiographie gerade in Bezug auf die Entstehungsgeschichte seiner Bühnenwerke einiges an interessantem und brauchbarem Material. Ziemlich ausführlich beschreibt er etwa das Werden seiner siebenten und bis heute erfolgreichsten Oper Manon. Demnach hätte er vom gefürchteten Direktor der Pariser Opéra Comique, Léon Carvalho, einen Auftrag zur Vertonung eines Dreiakters mit dem Titel Phoebé erhalten. Doch die große Angst jedes schöpferisch Tätigen, plötzlich in eine Schaffenskrise zu geraten, dürfte Massenet, laut eigenen Aussagen, im Zusammenhang mit diesem Stück ereilt haben. Denn obwohl das Textbuch von niemand Geringerem als Henri Meilhac stammte – immerhin Co-Autor des CarmenLibrettos und vieler Offenbach-Operetten –, mangelte es Massenet an musikalischer Inspiration. Je öfter sich der Komponist in die Lektüre vertiefte, desto eher fühlte er, an dem Stoff scheitern zu müssen. Perfektionist, der er laut Zeitgenossen aber war, wollte er diesen Umstand lange nicht akzeptieren und wurde von Tag zu Tag gereizter, bis er eines Morgens, seine aktuelle künstlerische Ohnmacht eingestehend, direkt in die Wohnung Meilhacs eilte und diesem die musikalische Kapitulation eingestand. So weit, so glaubwürdig. Die in der Autobiographie nun folgende Schilderung der Unterredung mit Meilhac dürfte allerdings im Wesentlichen in das Reich der Legenden zu verweisen sein: Massenet hätte nun den Librettisten in dessen kostbarer Bibliothek angetroffen und dort rein zufällig unter den zahllosen Bänden sofort Abbé Prévosts Roman Manon Lescaut entdeckt und mit dem Ausruf »Manon« dem überraschten Textdichter die plötzliche Erleuchtung, gerade diesen Stoff zu vertonen, signalisiert. Auch die Entscheidung, der zu schaffenden Oper nicht den kompletten Titel Manon Lescaut, sondern lediglich die Kurzform Manon zu geben, wäre angeblich genau in diesem Moment, quasi einer inneren Eingebung folgend, gefallen. Nicht genug damit, lässt Massenet auch Meilhacs Fähigkeiten in geradezu überirdischem Licht erstrahlen. Schon am nächsten Tag hätte ihn dieser nämlich zum Essen eingeladen und Massenet die ersten beiden fertig ausgearbeiteten Akte des Manon-Librettos – verschmitzt unter der Serviette versteckt – übergeben. Und wenige Tage später die restlichen drei Aufzüge. 29
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Dass sich das alles mit Sicherheit nicht so abgespielt haben kann, wird klar, wenn man das Kapitel über die Entstehung des Werther liest. Auch dort findet sich eine ähnlich wundersame, plötzliche Eingebung, die Massenet geradezu zur Komposition aufzufordern scheint. Doch in diesem Fall liegen glücklicherweise auch andere, glaubwürdigere zeitgenössische Quellen vor, die die Blitz-Inspirationsversion Massenets eindeutig widerlegen. Doch zurück zur Manon. Massenet verwendet in dieser oben beschriebenen Episode gleich zwei Kunstgriffe, die im Zusammenhang mit künstlerischen Schöpfungen oft und gerne angewandt werden: Erstens wird das Schicksalhafte betont. Im Moment der höchsten Verzweiflung – Massenet ist nicht imstande, den Dreiakter Phoebé zu vertonen – tritt wie aus heiterem Himmel, vollkommen ungeplant, das eigentlich zu schaffende Werk von selbst in die Bewusstseinsebene des Komponisten: Der herumschweifende Blick Massenets fällt in der Bibliothek des Librettisten zufällig auf den richtigen Buchrücken, jenen mit der Aufschrift Manon Lescaut, um dadurch das offenbar nur schlummernde Feuer der Inspiration augenblicklich zu entfachen. Zweitens ist dem Komponisten selbstverständlich auch sofort klar, dass diese Inspiration nur dann zur vollen Geltung gelangen kann, wenn von Anfang an der richtige Titel der Oper, gleichsam als Muse, das Werden des Werkes begleitet. In diesem Fall die Verkürzung Manon Lescauts zu Manon. Doch wie kam es nun tatsächlich zu dieser Manon, dieser bedeutenden französischen Oper aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts? Hundertprozentig lässt sich der Entstehungsprozess zwar nicht mehr rekonstruieren, doch helfen vielleicht einige Fakten, die man im ersten Moment gerne übersieht. Prévosts Roman aus dem 18. Jahrhundert erfreute sich von Anbeginn an größter Beliebtheit. Und Massenet war auch nicht der erste oder letzte, der den Stoff vertonte: Vor ihm waren dies Michael William Balfe (The Maid of Artois, London 1836), Daniel-François-Esprit Auber (Manon Lescaut, Paris 1856), Richard Kleinmichel (Schloss de LʼOrme, Hamburg 1883) und JacquesFrançois-Fromental Halévy sowie Mathias Strebinger mit je einem Manon Lescaut-Ballett. Zumindest Aubers Version wird Massenet gekannt haben, da Auber, der »Erfinder« der Grand opéra, zum einen ein großes Vorbild mehrerer Komponistengenerationen war, und zum anderen als langjähriger Direktor des berühmten Pariser Conservatoires zu Massenet, dem ehemaligen Studenten dieses Institutes, einigen Kontakt hatte. Schon um die eigene Oper, die ja in der gleichen Stadt, also Paris, uraufgeführt werden sollte wie jene von Auber, auch äußerlich unterscheidbar zu machen, war es natürlich ratsam, einen anderen Titel zu wählen. Einerseits musste dem Publikum klar sein, dass es sich um ein neues Werk handelte, andererseits sollte dennoch nicht untergehen, dass es um den beliebten Manon-Stoff ging. (Puccini hatte seiner 1893 uraufgeführten Version aus denselben Überlegungen heraus, sich nämlich von der erfolgreichen Massenet-Fassung deutlich genug abzusetzen, wiederum den kompletten Titel Manon Lescaut gegeben.) Zudem war in dieA N DR EAS LÁ NG
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ser Zeit ein einfacher Frauenvorname publikumswirksamer als jede andere Form der Werkbezeichnung. So lief beispielsweise Verdis La traviata an der Wiener Hofoper längere Jahre hindurch unter Violetta und nicht unter dem später wieder gebräuchlichen Originaltitel. Massenet zeigte sich immer wieder als geschickter Vermarkter seiner Werke, die Wahl des Titels hatte also sehr wahrscheinlich wenig mit Inspiration und viel mit Verkaufsstrategie zu tun. Und auch die Entscheidung, überhaupt eine Manon-Oper zu schreiben, dürfte weniger einer plötzlichen Eingebung zu verdanken gewesen sein als vielmehr einem längeren Diskussionsprozess mit dem Theater-Profi Meilhac. Wie gesagt, der Manon-Stoff war erfolgversprechend und genau diesen suchte Massenet. Mit seiner 1877 uraufgeführten Oper Le roi de Lahore hatte er erstmals wirklich über die Grenzen Frankreichs hinaus auf sich aufmerksam machen können. Vor allem in Italien wurde das Werk an mehreren Bühnen (in einer entsprechenden Übersetzung) nachgespielt – jeweils unter der Aufsicht des Komponisten, der grundsätzlich nichts dem Zufall überlassen wollte. Doch in Paris selbst wurde das Stück von einem Tag auf den anderen abgesetzt und Massenets neu komponierte Hérodiade wurde vom Direktor der ehrwürdigen Opéra von vornherein abgelehnt, sodass die Uraufführung in Brüssel stattfinden musste. Umso wichtiger war also der nun anstehende Kompositionsauftrag für die Opéra Comique. Eine Niederlage in seiner Heimatstadt wollte und konnte Massenet nicht riskieren. Ob nun tatsächlich eine Schreibhemmung hinsichtlich Phoebé vorhanden war oder nicht – sowohl Massenet als auch Meilhac wussten, dass ein publikumswirksamer Titel einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Erfolg leisten konnte, und mit Manon war man diesbezüglich sicherlich besser unterwegs als mit Phoebé. Nun galt es, Direktor Carvalho, der ja den Auftrag zu Phoebé gegeben hatte, vom Umschwenken auf Manon zu überzeugen. Da jedoch der Librettist in beiden Fällen derselbe Meilhac war und Carvalho diesem vertraute, dürfte keine besondere Überredungskunst notwendig gewesen sein – ganz abgesehen davon, dass auch der Direktor die Wirksamkeit des Manon-Stoffes richtig einzuschätzen wusste. So schnell laut Massenet auch das Libretto geschrieben war, bei der eigentlichen Kompositionsarbeit ließ er sich dann doch Zeit. Spätestens 1881 wurde der Entschluss zur Manon gefasst, die Uraufführung selbst fand erst 1884 statt. Immer wieder ließ er Meilhac die Szenenfolge umstellen und neue Passagen einfügen, ja, Massenet konsultierte in dramaturgischen Fragen Philippe Gille, wenn er und sein Librettist in manchen Punkten uneins waren. Massenet wollte kein Gelegenheitswerk, sondern eine höchst erfolgreiche Meisteroper schaffen, kein Detail war ihm unwichtig. Verständlich, dass er auch in der Besetzungsfrage keine vorschnellen Entscheidungen traf und viele Sängerinnen für die Titelpartie ausschlug, ehe er mit Marie Heilbronn den notwendigen Star an Land zog. Doch das Gesamtergebnis gab ihm schließlich in allen Punkten recht: Das Publikum stürmte die Aufführungen – und zwar 31
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an allen großen Opernhäusern Europas. Innerhalb weniger Monate war aus dem ziemlich bekannten Jules Massenet einer der führenden Opernkomponisten der damaligen Zeit geworden. Noch zu Lebzeiten erlebte er allein in Paris die 750. Vorstellung seiner Manon. Und in Wien öffnete ihm der Erfolg sogar die Bühne für eine weitere Uraufführung – jene des Werther.
→ KS Diana Damrau als Manon, 2010
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AUS DEN ERINNERUNGEN VON JULES MASSENET
Frühjahr 1883. Inzwischen war ich wieder nach Paris zurückgekehrt, das Werk [Manon] war fertig, und mit Monsieur Carvalho wurde ein Treffen vereinbart, bei ihm zu Hause in der Rue de Prony 54. Neben unserem Direktor traf ich dort noch auf Madame Miolan-Carvalho, Meilhac und auf Philippe Gille. Von 9 Uhr abends bis um Mitternacht gingen wir Manon durch. Meine Freunde schienen von ihr bezaubert. Madame Carvalho umarmte mich vor Freude und wiederholte in einem fort: »Weshalb bin ich nicht 20 Jahre jünger!« Nach besten Kräften tröstete ich die große Sängerin, und da ich wünschte, dass ihr Name in der Partitur auftauchte, widmete ich sie ihr. Nun galt es, eine Interpretin zu finden, und es wurden viele Namen in die Debatte geworfen. Bei den Männern bildeten Talazac, Taskin und Cobalet eine großartige Besetzung. Doch bei der Manon blieb man unentschlossen. AUS DEN ER IN N ERU NGEN VON J U LE S M AS SEN ET
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Gewiss, eine Menge Künstlerinnen hatten Talent und auch guten Ruf, doch keine einzige, so sagte mir mein Gespür, entsprach dieser Rolle, wie ich es mir gewünscht hätte. Keine hätte diese treulose, liebe Manon, keine hätte all das Gefühl, das ich in sie gelegt, wiedergeben können. Indessen fand ich doch eine junge Sängerin, Madame Vaillant-Couturier, deren stimmliche Qualitäten mich reizten, und so vertraute ich ihr eine bei meinem Verleger angefertigte Kopie mehrerer Passagen aus der Partitur an. Meine erste Manon ist eigentlich sie gewesen. Damals spielte man in den Nouveautés eines der großen Erfolgsstücke Charles Lecocqs. Mein Freund, der Marquis de La Valette – ein waschechter Pariser – hatte mich eines Abends dorthin geschleppt, und die reizende Künstlerin, von der ich gerade erzählt habe, spielte darin ganz wundervoll die Hauptrolle. Damals hieß sie Mademoiselle Vaillant, später sollte aus ihr Madame Vaillant-Couturier werden. Mein Interesse an ihr war erwacht: in meinen Augen hatte sie erstaunliche Ähnlichkeit mit einer jungen Blumenverkäuferin am Boulevard des Capucines. Ohne dass ich mit jenem süßen jungen Mädchen jemals gesprochen hätte (proh pudor!), war mir ihr Anblick nicht mehr aus dem Sinn gekommen und hatte mich ständig begleitet. Das war einfach die Manon gewesen, die ich da gesehen und die bei der Arbeit immer vor meinem geistigen Auge gestanden war! Betört von der entzückenden Sängerin aus den Nouveautés, bat ich um eine Unterredung mit dem freundlichen Theaterdirektor Brasseur, einem freimütigen Manne und unvergleichlichen Künstler. »Großer Meister« so kam er auf mich zu, »welcher gute Wind hat Sie denn hierher geweht? Sie wissen, Sie sind hier zu Hause!« »Nun, ich komme mit der Bitte, ob Sie mir Mademoiselle Vaillant abtreten könnten, für eine neue Oper... « »Mein lieber Herr, was Sie da wünschen, ist unerfüllbar. Ich brauche Mademoiselle Vaillant, ich kann sie nicht entbehren.« »Ihr Ernst?« »Mein völliger! Aber ich denke, wenn Sie ein Stück für meine Bühne schreiben wollen, dann lasse ich Sie Ihnen. Abgemacht, Liebling?« Dabei blieb es, bei vagen Versprechungen auf beiden Seiten. Während unseres Gesprächs hatte ich wahrgenommen, wie mein trefflicher Marquis de La Valette intensiv beschäftigt war – mit einem hübschen, über und über mit Rosen geschmückten grauen Hut, der im Foyer unaufhörlich auf- und abwandelte. Mit einem Male sah ich, wie der graue Hut sich mir zuwandte. »Ein Debütant will wohl eine Debütantin nicht wiedererkennen?« »Heilbronn!« entfuhr es mir. »Die selbige!« Heilbronn erinnerte mich an die Widmung meines allerersten Werkes, in welchem sie zum allerersten Male auf der Bühne gestanden war. »Singen Sie denn noch?« »Nein, ich bin wohlhabend geworden. Und doch fehlt mir, ehrlich gesagt, das Theater. Das setzt mir tüchtig zu. Ja, wenn ich eine schöne Rolle fände!« »Da hätte ich eine: Manon!« »Manon Lescaut?« »Nein, Manon, das sagt doch alles!« »Kann ich die Musik hören?« »Wann immer Sie es wünschen.« »Heute Abend?« »Nein, unmöglich! Es ist ja fast schon Mitternacht...« »Was denn! Ich kann doch nicht bis zum morgigen Tage warten. Mein Gefühl sagt mir, dass da was dran 35
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ist. Holen Sie die Partitur. Sie treffen mich in meiner Wohnung (die Künstlerin wohnte damals auf den Champs-Elysées), das Klavier wird offenstehen, der Kronleuchter angezündet...« Gesagt, getan. Ich lief also nach Hause, um die Partitur zu holen. Es schlug 4.30 Uhr, als ich die letzten Takte von Manons Tod darbot. Die Heilbronn war während dieses Vorspiels zu Tränen gerührt. Ich hörte sie schluchzen: »Das ist mein Leben ... ach das ist ja mein Leben!« Dieses Mal hatte ich, wie später immer wieder, Recht daran getan, mir bei der Suche nach einer Künstlerin Zeit zu lassen, ja auf sie zu warten, dass sie mein Werk zum Leben erwecke. Am Tag darauf unterschrieb Carvalho den Vertrag. Ein Jahr später, nach 80 aufeinanderfolgenden Vorstellungen, erfuhr ich vom Tod der Marie Heilbronn. Ach, wer sagt es den Künstlern, welch treue Erinnerung wir an sie bewahren, wie sehr wir doch an ihnen hängen und welch tiefen Schmerz uns die ewige Trennung von ihnen zufügt! Lieber wollte ich damals die Oper zurückziehen, als sie von jemand anderem gesungen zu hören. Kurze Zeit später verzehrten Flammen die Opéra Comique. Manon ruhte zehn Jahre lang im Dunkeln. Erst die teure einzigartige Sybil Sanderson brachte das Werk erneut auf die Bühne der Opéra Comique. Sie spielte bis zur 200. Vorstellung. Eine besondere Ehre war mir bei der 500. vorbehalten. An diesem Abend interpretierte Madame Marguerite Carré die Manon. Vor wenigen Monaten hat man diese erstklassige, fesselnde Sängerin bei der 740. Vorstellung gefeiert.
→ Patricia Petibon als Manon, 2014
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Maria Publig
MANON – GIER NACH DEM LEBEN
Jules Massenet war bereits ein berühmter Mann, als er 1881 anfing, an seiner neuen Oper Manon zu arbeiten. Anders als Giacomo Puccini es bei seiner 1893 uraufgeführten Oper Manon Lescaut tat, hielten sich Massenet und sein Librettist Meilhac inhaltlich an die Vorlage Prévosts. Es handelt sich allerdings keineswegs um einen zeitgenössischen Roman, sondern um ein Kultbuch, das bereits 1731 erschienen war und ganze Generationen von Leser innen und Lesern in den Bann gezogen hatte. Diese Gefühlsschwankungen zwischen Pflicht und Neigung, Askese und Zügellosigkeit faszinierte und moralisierte nun schon mehr als hundert Jahre lang. Dass eine junge Frau (Manon ist in Prévosts Roman erst 16 Jahre alt) ihr Leben noch vor sich sieht und nicht darauf warten will, bis sie von ihrer Familie verheiratet wird, sondern sich den Gefühlen des Augenblicks hingibt, war für den Beginn des 18. Jahrhunderts absolut verwerflich. Dass da auch noch das Streben nach Reichtum und Luxus ihre Handlungen bestimmt und für Manon diese unbeschwerte, freie Lebensweise auch mit erotischer Leidenschaft verbunden ist, die damals die meisten Ehefrauen nicht einmal kannten, verstörte viele. M A R I A PU BLIG
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Glamouröse Welt Heute steht man dem Ganzen eher gelassen gegenüber – klagt man doch vielerorts über eine Über-Sexualisierung unserer Zeit. Der Zeitgeist schafft Vorbilder, Kultfiguren, sehr auf sich bezogene Menschen. In ihrem Streben nach Schönheit, Erfolg und Wirkung werden viele Mädchen durch Werbung und ihre gleichgeartete Umgebung zu Kosmetik, Mode und großzügigem Lebensstil bis weit über die eigenen finanziellen Möglichkeiten verleitet – Manons einstige Sehnsüchte sind also – aktuell beobachtet – sehr verständlich. Mit dem Unterschied, dass sie sich das heute eventuell selbst durch ihren Beruf leisten könnte, damals aber auf jeden Fall einen wohlhabenden Ehemann brauchte – und genau den hatte die junge Manon nicht. Im Streben nach der glamourösen Welt scheute die lebenshungrige Manon auch nicht, sich wesentlich ältere Liebhaber zu halten, die ihr zumindest ihre finanziellen Wünsche befriedigen sollten. Sie bot ihnen schließlich auch etwas. Der moralische Preis spielte für Manon dabei keine Rolle. Wieder drängen sich Parallelen zur Gegenwart auf: Es ist noch nicht sehr lange her (nach dem Fall der Berliner Mauer 1989), dass Mädchen im Teenageralter scharenweise z.B. auf den Straßen zur österreichischen Grenze in Ungarn, Tschechien und der Slowakei auf ihr finanzielles Glück aus dem Westen warteten. Es war aber nicht nur das Geld, das sie vor Augen hatten. Die Mädchen revoltierten auch gegen eine in den ehemaligen sozialistischen Ländern tabuisierte Sexualität. Denn offiziell gab es da keine Prostitution und jetzt wurde sie mit einem Schlag sichtbar. Sie setzten sich somit über alle ideologischen Schranken hinweg und stellten sich gegen Tabus wie die versteckte Prostitution und das Schreckgespenst des Kapitalismus. So waren diese jungen Frauen auch Vorboten einer neuen Zeit. Einer Zeit, in der man mit Geld so ziemlich alles kaufen kann. Einer Frage, der einst auch Abbé Prévost in seinem Roman und in seinem eigenen Leben nachging. Ihn beschäftigte das Verhältnis von Moral und Liberalität. Darf man verurteilen, was einen Teil der menschlichen Existenz ausmacht? Als Malteserritter entschied sich Prévost früh, Theologie zu studieren. Und – wie in Manon dokumentiert – nahm sein Leben eine andere Wendung. Er verliebte sich leidenschaftlich, gegen den Willen des Vaters, und floh nach England und Holland – eine Parallele zur Flucht Des Grieuxʼ. Prévost stürzte sich allerdings auch noch in viele weitere amouröse Abenteuer und verlor sogar seinen Job als Erzieher des Sohnes des Bürgermeisters von London. Immerhin hatte er dessen Schwester verführt. Prévost gab auch enorme Beträge für seine Liebschaften aus. Der Name einer überlieferten Femme fatale: Hélène Eckhardt. Ausschweifender Lebenswandel kann aber auch anstrengend sein. Daher entschloss sich Prévost, doch wieder in die geregelte Welt der Kirche zurückzukehren, der er sich durch Askese – ähnlich wie später auch Franz Liszt – 39
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beugen wollte. Seinen berühmten Roman schrieb er allerdings noch davor. Es spiegelt sich auch die Zeit der frühen Aufklärung in Histoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut wider. Das große Thema dieser Epoche war der philosophische und politische Diskurs über die Trennung von Kirche und Staat. Dieses Thema rein rational zu behandeln, war Aufgabe von Gelehrten und Philosophen wie Jean-Jacques Rousseau, Denis Diderot, Voltaire usw.; es emotional voranzutreiben, war Sache von Literaten und anderen Künstlern. Da Prévost die Handlung sehr gefühlvoll, fast rührselig gestaltete, hielt sich die Vorlage der Männer-betörenden Manon bis weit in die Romantik hinein. Jean-François Auber komponierte die Oper Manon, Jacques Halévy widmete sich einem gleichnamigen Ballett, um nur zwei zu nennen.
Freiheit, Leidenschaft, Moral und Askese Leidenschaft und Verderben waren auch beliebte Sujets der Romantik. Das Düstere der menschlichen Seele, verbunden mit unsichtbaren Mächten, bestimmte sowohl Charles Gounods Faust (1859) als auch Georges Bizets Opéra comique Carmen (1872/75), die aus Lust am Spiel und aus Lebensfreude heraus die hemmungslose Leidenschaft des zuvor pflichtbewussten, farblosen Sergeant Don José entfacht. Manon ist da wesensverwandt. Und das ist vielleicht auch kein Zufall, denn Librettist ist in beiden Fällen: Henri Meilhac. Und wie Prévosts Aufklärungs-Sujet Manon konnte auch Mozarts Don Giovanni eine Renaissance feiern. Galt er doch in der Romantik als meistaufgeführte Mozart-Oper. Auch darin: der Kampf zwischen Freiheit, Leidenschaft, Moral und Askese. Doch Ende des 19. Jahrhunderts war Aubers einst so beliebte Manon mit einem Schlag nicht mehr gefragt. Es war also für den inzwischen berühmten Massenet Zeit geworden, sich diesem Stoff zu widmen. Jules Massenet entstammte einer gutbürgerlichen Familie. Sein Vater war einst Stabs-Offizier Napoleons I., während die Mutter Ludwig XVI. und Marie-Antoinette nachtrauerte. Von Kindheit an gefördert, wurde Massenet 1861 in die Kompositionsklasse von Ambroise Thomas am Pariser Conservatoire aufgenommen. Kurze Zeit später gewann er den begehrten Prix de Rome und einen damit verbundenen dreijährigen Aufenthalt in Italien. Er wohnte in der Villa Medici und unternahm zahlreiche Ausflüge. So lernte er auch Franz Liszt kennen, der damals im Kloster Madonna del Rosario lebte. Obwohl Jules Massenet aus einem finanziell abgesicherten Haushalt kam, musste er sich sein Studium selbst verdienen: in Paris war er Paukist in der Oper, er spielte auch Klavier in Cafés, und er verdiente als Klavierlehrer. Massenet selbst sah diese anstrengenden Nebentätigkeiten später dennoch als Bereicherung seines Lebens und als Festigung seines musikalischen Fundaments. M A R I A PU BLIG
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Doch in Rom sollte und wollte Jules Massenet allein seine kompositionstechnischen Fertigkeiten weiter ausbauen. Franz Liszt war da anderer Meinung und empfahl ihn anstatt seiner der jungen, begabten Musikerin Louise-Constance (Ninon) de Gressy. Massenet erinnerte sich: »Am Tag drauf, ein Tag, der würdig ist, markiert zu werden, begegnete ich auf der aus dreihundert Stufen bestehenden Treppe der Kirche Ara Coeli zwei Damen, deren elegante Erscheinung verriet, dass es sich um Ausländerinnen handelte. Die Jüngere bezauberte meinen Blick ganz allerliebst. Wenig Tage nach dieser Begegnung war ich bei Liszt zu Gast, der sich auf die Priesterweihe vorbereitete, unter den Personen, die den berühmten Meister besuchten, erkannte ich auch die beiden Damen von Ara Coeli. Ich brachte recht bald in Erfahrung, dass die Jüngere mit ihrer Familie als Touristin nach Rom gekommen war und dass man ihr Liszt als Vermittler für einen Musiker, der ihre musikalischen Studien weiter anleiten könne, empfohlen hatte. Denn diese wollte sie, obgleich fern von Paris, nicht unterbrechen. Liszt empfahl ihr sogleich mich. Ich war ein Pensionär der Académie de France, ich hatte hier zu arbeiten und wünschte folglich nicht, meine Zeit mit Stunden geben zu vergeuden. Allein – dieses Mädchen umgab ein Zauber, der sogar meinen Widerstand besiegte.« – Wieder war es die Leidenschaft, die dem Vorsatz wich. Massenet heiratete Louise-Constance (Ninon) de Gressy am 8. Oktober 1866 in Avon.
Streben nach moralischer Gleichberechtigung In den darauffolgenden Jahren widmete sich Jules Massenet verstärkt der Komposition von Oratorien. Sein bedeutendstes und erfolgreichstes war Marie-Magdaleine (1871/72), gefolgt von Eve (1874) und La Vierge (1877/78). Auffallend ist die Herausarbeitung von Heldinnen, nicht nur in seinen Werken, die zur Jahrhundertwende hin auch titelgebend wurden: Manon, Thaïs, Esclarmonde, Sapho, Térèsa oder – etwas anders – Cherubin (einer Hosenrolle). Thema war die Selbstfindung und die Beobachtung von weiblichen Charakteren. Egal, ob dies – wie im Falle der Manon – die Erfüllung von ausschweifender Lebensfreude war oder – wie später bei Thaïs (1894/98) – die Wandlung der antiken Kurtisane, die zuletzt von christlichen Tugenden erfüllt ist. Jules Massenets eigene erotische Sehnsüchte (er stellte sich in seiner Autobiografie gerne als Womanizer dar) dürfte er allerdings mehr mittels seiner Opernfiguren als durch das wirkliche Leben gestillt haben. Er war damit nicht allein. Immerhin waren Leidenschaft, aufkeimende Emanzipation und christlich geprägte Gesellschaft Themen, die sowohl Künstler als auch Publikum bewegten. Des Grieuxʼ Verzweiflung darüber, die Selbstkontrolle in Gegenwart Manons zu verlieren, lässt in ihm immer wieder den Wunsch erwachen,
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in ein geordnetes klösterliches Leben einzutreten. Denn diese eruptive Macht der Leidenschaft macht ihm Angst, wenngleich er sie auch herbeisehnt – ein innerer Konflikt, den seinerzeit auch Abbé Prévost kannte und mit ihm viele Männer im Publikum jener Zeit. Im Ringen um auch die moralische Gleichberechtigung mit dem Mann scheint die Figur der Manon eine der Pionierinnen seit der Aufklärung zu sein. In ihrer hedonistischen Hingabe an Leidenschaft und Luxus ist sie die ältere Schwester der Lulu. Ein sinnliches Frauenbild, wie Männer es sich wünschen – und sich zugleich davor fürchten. So versuchte seinerzeit schon die Schriftstellerin und spätere Vertreterin der Emanzipation der Frau, Simone de Beauvoire, in Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau (1951) das Frauenbild vieler Männer zu fassen, basierend auf einem Mythos. Darin »ist die Frau immer Eva und Jungfrau Maria zugleich. Sie ist Idol und Magd, Quell des Lebens und Macht der Finsternis; sie ist das urhafte Schweigen der Wahrheit selbst und dabei unecht, geschwätzig, verlogen; sie ist Hexe und Heilende; sie ist die Beute des Mannes und seine Verderberin, sie ist alles, was er nicht ist und was er haben will, seine Verneinung und sein Daseinsgrund.«
Der überforderte Mann Der streitbare Theologe und ehemalige Priester Adolf Holl verdeutlicht auch die Sehnsucht des heutigen Mannes nach einer »vollkommenen Frau« – ein Bild allerdings, das von Tradition geprägt ist. Zur Zeit Jules Massenets bot vor allem die Bühne die geeignete Plattform für gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Dort wurden die Leiden des Mannes dargestellt: die Anforderungen überspitzt gezeigt, denen manche eben nicht mehr entsprechen konnten oder wollten. Denn wie Don José in der Oper Carmen, der die strikten Regeln des Polizei- und Militärdienstes braucht, um sich im Leben zurechtzufinden, benötigte Des Grieux die strengen klösterlichen Regeln, um sein Leben zu meistern – Männer, von denen die Gesellschaft verlangte, Verantwortung zu tragen, die aber keine übernehmen wollten, weder für sich noch für eine Partnerin. Der Umgang mit erfüllter Sinnlichkeit und das freie Leben, das nach neuen Spielregeln funktionierte, überforderte die Männer des 19. Jahrhunderts. Den Kategorien Maßlosigkeit und Zügellosigkeit stehen somit auch Kunstfiguren von damals wie Des Grieux und Don José hilflos gegenüber. Sie können dem Neuen nichts entgegenhalten, während die Frauen darin einen Teil ihres Lebenshungers sehen. Es ist der überforderte Mann, der die Individualisierung seiner Partnerin kaum ertragen kann. Erst als Manon und Carmen Grenzen ziehen, wird das Ausmaß an Einschränkung bewusst. Doch nichts bleibt wie vorher. Das eigene Leben – ohne feste Ordnung – bricht zusammen. Die Befürchtung, dass in Zeiten revolutionärer Umtriebe (im Jahr 1848, um die Wende 1860 von absoluten zu konstitutionellen Monarchien) M A R I A PU BLIG
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auch patriarchale Regeln umgestoßen werden könnten, musste im Vorfeld bestraft werden: auf der Bühne sogar mit dem Tod.
Gesellschaftliche Doppelzüngigkeit Und wieder werden sowohl Prévost als auch Massenet von eigenen Erfahrungen eingeholt. Ist Manon nun anbetungswürdig in ihrem Freiheitsstreben und in ihrem Individualisierungsdrang oder siegt die Moral? Es ist eine strafende Moral: denn das, was für Manon zuvor Lebensgefühl und Anerkennung bedeutete, soll sie künftig erniedrigen und der Armut und Verachtung aussetzen – als Zwangsprostituierte in Amerika. Denn was Freiern Spaß macht, das kommt auf der anderen Seite meistens ganz anders. Einziger Anreiz ist auch heute noch das Geld: »Wenn das Madl jung ist, so sagt sie sich: wenn ich das schon mache, möchte ich dafür etwas haben. Jetzt sagt sie: das mache ich noch zwei oder drei Jahre. Sie meint, sie hätte dann genug Geld. Aber die Wünsche werden immer größer. Jetzt hat sie einen Pelzmantel und ähnliches, jetzt will sie eine neue Wohnung, ein neues Auto, ein Haus, usw. So geht es allen Madln. Je leichter man Geld verdient, umso leichter gibt man es aus«, meint eine ältere, erfahrene Dirne in Roland Girtlers Buch Der Strich – Erkundungen in Wien (1985). Es ist also kaum nymphomanische Veranlagung, wie Kunden gerne glauben wollen und ihnen das die Mädchen vorgaukeln. Eine junge Wiener Prostituierte meint: »Spaß ist das überhaupt nicht, was ich mache, ich habe nicht die geringste Beziehung zu dem Job. Mir gefällt er weder, noch bin ich von ihm begeistert. Er ist für mich die einzige Möglichkeit, auf schnellem Weg zu Geld zu kommen.« Und obwohl Männer aller Gesellschaftsschichten Prostituierte frequentieren, macht sich für eine bestimmte Vorliebe doch ein Charakteristikum bemerkbar: »Die Kunden für die strenge Kammer kommen alle aus höheren sozialen Schichten, das sind die, die immer die anderen unterdrücken, das sind meistens Leute, die sehr viele unter sich haben. Zu uns ist noch kein Hilfsarbeiter gekommen.« Eine weitere Prostituierte konstatiert auch neue Trends: »Ich habe schon Angst, dass bald fast nur mehr junge Leute kommen, so zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Das lehrt mich das Fürchten. 20-jährige Burschen! Früher waren es nur Alte, die schon alles gehabt haben. Heute sind es auch schöne junge Burschen. Wirklich, das kann doch nicht normal sein, dass man so etwas wünscht, dass einem das Blut von den Striemen der Peitsche herunterrinnt.« Die Palette der Tabubrüche zur Zeit Massenets sah zwar noch anders aus, doch gerüttelt wurde schon gewaltig an moralischen Schranken. Egal, nach welcher Absicht damals auch Manon-ähnliche Figuren vorgegangen sind – ob Lebensfreude oder Konsumrausch –, die Männerwelt in Form der Gesellschaft lebt ihre Doppelzüngigkeit – bis heute. 43
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Aus: Johann Wolfgang von Goethe, Faust, Der Tragödie erster Teil
Margarete:
Wie kommt das schöne Kästchen hier herein? Ich schloss doch ganz gewiss den Schrein. Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne sein? Vielleicht bracht’s jemand als ein Pfand, Und meine Mutter lieh darauf. Da hängt ein Schlüsselchen am Band, Ich denke wohl, ich mach’ es auf! Was ist das? Gott im Himmel! schau, So was hab’ ich mein’ Tage nicht gesehn! Ein Schmuck! Mit dem könnt’ eine Edelfrau Am höchsten Feiertage gehn.
Wie sollte mir die Kette stehn? Wem mag die Herrlichkeit gehören? Sie putzt sich damit auf und tritt vor den Spiegel.
Wenn nur die Ohrring’ meine wären! Man sieht doch gleich ganz anders drein. Was hilft euch Schönheit, junges Blut? Das ist wohl alles schön und gut, Allein man lässt’s auch alles sein; Man lobt euch halb mit Erbarmen. Nach Golde drängt, Am Golde hängt Doch alles. Ach wir Armen!
Josef-Horst Lederer
» IN MUSICA VERITAS! «
Zur Klosterszene in Jules Massenets Manon
Betrachtet man den Handlungsablauf von Massenets Manon, stößt man auf zwei entscheidende dramaturgische Wendepunkte: Der eine betrifft den Schluss von Akt II, wo Des Grieux von Manon verraten wird, der andere das Ende des zweiten, im Kloster von Saint-Sulpice spielenden Bildes von Akt III, in dem die Protagonisten nach vorübergehender Trennung einen neuerlichen emotionalen Höhenflug erleben, gleichzeitig damit aber auch endgültig ihr Schicksal besiegeln. Dieses zweite, zweifellos den Höhepunkt der Oper darstellende Bild soll insgesamt im Mittelpunkt vorliegender Betrachtung stehen, und zwar in Hinblick auf die Dichotomie von Text und Musik, der hier eine wichtige Rolle zukommt. Kirchen- bzw. Klosterszenen waren sowohl in der deutschen und italienischen als auch in der französischen Oper des 19. Jahrhunderts äußerst beliebt, wie unzählige Beispiele, angefangen bei Spohrs Faust über Verdis Troubadour bis hin zu Puccinis Tosca usw. zeigen. Glockengeläute, Orgelklang, geistliche Gesänge durften hier ebenso wenig fehlen wie das solistische Gebet, alles dazu angetan, einen wirkungsvollen Kontrast zur »Welt von draußen« zu schaffen. Nicht zuletzt boten sie dem Komponisten auch Gelegenheit, seine stilistische Fähigkeit zu plakativer Gestaltung eines »religiösen« Tableaus unter Beweis zu stellen. Selbstverständlich ging es dabei aber nicht nur um die szenische und musikalische Zeichnung sakralen Kolorits, sondern auch darum, das kirchliche Ambiente für einen dramatischen Konflikt auszunützen, nicht selten dramaturgisch so angesetzt, dass dessen (scheinbare) Lösung die Peripetie der Handlung bewirkt. All dies findet sich auch in der Klosterszene von Massenets Manon, die sich darüber hinaus, wie ja die ganze Oper selbst, gleichsam wie ein buntes Mosaik unterschiedlichster, teils sich überschneidender, teils unvermittelt nebeneinanderstehender Stilelemente bzw. Techniken bedient und damit gelegentlich sogar regelrechte »Brüche« in der musikalischen Faktur bewirkt. Im Einzelnen sind dies rein instrumentale Passagen, ariose, rezitativische oder deklamatorische, insgesamt den lyrischen Konversationsstil Massenets kennzeichnende Abschnitte sowie der Einsatz der zum probaten Stilmittel erhobenen melodramatischen Verfahrensweise, die hier an die Stelle der sonst in der Opéra comique üblichen, rein gesprochenen Dialoge tritt. Einheit und Orientierung in dieser stilistisch »chaotisch« anmutenden, aber (im Sinne musikalischer Momentaufnahmen) stets situationsbedingten Vielfalt bieten die motivische Vernetzung sowie die zwingende Logik der Szenenfolge, die vom Auftritt der Dévotes, des väterlichen Comte, über Des Grieuxʼ berühmtes Lamento »Ah ! Fuyez, douce image« und Manons »prière« schließlich bis hin zum Dialog der beiden Liebenden einen großen, in deren Versöhnung seinen Höhepunkt findenden Spannungsbogen aufbaut. Auffallend dabei, dass sich Massenet hier immer wieder auch eines speziellen »Kunstgriffs« bedient, mit dessen Hilfe es auch gelingt, allein mit instrumentalen Mitteln die unausgesprochenen Gedanken, Hoffnungen und Gefühle der handelnden Personen offenzulegen. Gemeint 47
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ist der mit großem Geschick so gewählte Einsatz von Motiven und Motivvarianten, das die Kenntnis von deren originärer Bedeutung Sinn und Aussage des simultan gesungenen oder gesprochenen Wortes ins Gegenteil verkehren lässt, die »Wahrheit« ans Licht bringt. Voraussetzung dafür bietet ein motivischer Fundus, mit dem der Komponist auf melodisches Material mit gleichen sowie harmonisch weitgehend identisch fixierten Kerntönen zurückgreifen kann, das bei seiner Umgestaltung zwar den Anschein des Fremden und der Neubedeutung erweckt, aber dennoch seine primäre Bestimmung beibehält. Damit wird mit wenigen Schlüssel-Motiven und deren »Wahlverwandten« die ganze Kirchenszene nicht nur musikalisch real abgedeckt, sondern (in oben genanntem Sinne einer Doppelfunktion) auch hintergründig als Mittel personeller oder auch milieuhafter »Dechiffrierung« eingesetzt, was nachfolgend an einigen charakteristischen, vorwiegend aus der Perspektive der Protagonisten betrachteten Beispielen veranschaulicht werden soll. Geradezu paradigmatisch für das oben Gesagte erweist sich gleich der Beginn der Szene mit seinem einleitenden fremdartig archaischen Orgelklang und dessen Einmündung in ein äußerst profanes wirkendes Fugato (Nb. 1), womit das Kloster von Saint-Sulpice, in das sich der vom Leben enttäuschte Des Grieux geflüchtet hat, von allem Anfang an als sakrale Scheinwelt »entlarvt« wird. Verbal bestätigt wird dieser Eindruck durch den Disput genannter Dévotes sowie der Grandes Dames und Bourgeoises über den neuen Abbé, in dem es denselben ganz offensichtlich weniger um die eloquenten Vorzüge des jungen Predigers geht, sondern vielmehr um dessen männliche Ausstrahlung, was Ulrich Schreiber treffend dahingehend charakterisiert hat, dass hier »nicht Profanes in Sakrales verwandelt (wie es der Lebensweg Des Grieux nahelegt), sondern vielmehr das Sakrale zum Mittel der Erotisierung« wird. (Ähnlich der berühmten »Méditation« aus Massenets Thaïs, die ja alles andere als geistige Verinnerlichung, sondern vielmehr verführerische Sinnlichkeit ausdrückt.) Musikalisch verdeutlichen dies Umkehrung und Neugestaltung des zentralen Teils genannten einleitenden Fugenthemas, der damit zur heiter-koketten musikalischen »Folie« jener eifrig frömmelnden Kirchgängerinnen mutiert (Nb. 2) und damit sogar seine Affinität zum amourösen Menuett-Thema aus Akt III/1 preisgibt (Nb. 3).
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Ähnlich »zweigleisig« verlaufen Wort und Musik am melodramatischen Beginn der Begegnung des Comte mit Des Grieux, wo Letzterer auf die Frage »et cʼest pour de bon ... que tu prétends au ciel pour jamais te lier ?« nur mit einem ausweichenden »oui, je nʼai trouvé dans la vie quʼamertume e dégoût...« antwortet. Was er jedoch genau damit meint, verrät die Musik, bei der Massenet Des Grieuxʼ erste, nicht nur zu dessen Personalmotiv, sondern auch zum zentralen Motiv der Oper erhobene Liebeserklärung an Manon (Nb. 6) mit jenem Motiv verbindet, das sich bisher als musikalisches Synonym für des Chevaliers starke, scheinbar unerschütterliche Bindung zu seinem Vater ausgewiesen hatte (Nb. 4). Und eben diese Verbindung (Nb. 5) ist es auch, die in der harmonisch »schmerzlichen« Verfremdung jener beiden Motive nicht nur deren Unvereinbarkeit zeigt, sondern darüber hinaus auch Des Grieuxʼ Gang ins klösterliche »Exil« sowohl als Reaktion auf Manons Verrat als auch auf den väterlichen Widerstand gegen die Liebe zu einer Kurtisane begreifen lässt.
Bekanntlich gelingt es dem Comte nicht, Des Grieux umzustimmen, zum Tragen des (wie es bei Prévost heißt) ehrbaren »croix de Malte« zu bewegen oder gar »quelque brave fille« zu ehelichen, zumal es für diesen ja nicht um die Entscheidung zwischen Kirche und der Welt des Vaters, sondern vielmehr um jene zwischen Kirche und der Zuneigung zu einer Frau geht. Welchʼ schweren inneren Kampf dies für den Abbé bedeutet, eröffnet das berühmte »Ah ! Fuyez...« als hoffnungsloses Bemühen, die »douce image« und den »nom mauduit« der Geliebten aus dem Gedächtnis zu verbannen. Warum dies nicht gelingt, ja, nicht gelingen kann, zeigt Des Grieuxʼ geradezu »obsessiver Umgang« mit der aus seinem Liebesbekenntnis zu Manon abgeleiteten, mit kaum überbietbarer Hartnäckigkeit sequenzierten Initialfigur (Nb. 7), die erst nach dem ersten dramatischen (Fortissimo-) Verzweiflungsausbruch 49
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in rezitativisch-lamentohaftem Tonfall »verebbt«, der unlösbar scheinende Gewissenskonflikt sein musikalisches Abbild in »melodischer Resignation« (»ma mémoire...«) findet (Nb. 8). Und hier – eine der wenigen Stellen in diesem Szenenabschnitt – laufen Wort und Musik auch tatsächlich konform, entsprechen Fühlen und Denken dem musikalischen Gestus.
Ob der zwischen Eros und Religion schwankende Des Grieux ohne das Wiedersehen mit seiner Geliebten seinem Vorsatz treu geblieben wäre, ist ungewiss und eine müßige Frage. Gewiss ist jedoch, dass Manon im Unterschied zu diesem zwar genau weiß, was sie will, aber auch sie nach anfänglich selbstbewusstem Auftreten in der honetten musikalischen Attitüde der Grandes Dames des Szenenbeginns Zweifel am Wiedergewinn von Des Grieuxʼ Liebe hegt –, Zweifel, die durch den Anblick der abweisenden schweigenden Klostermauern ausgelöst werden, deren (nach ihren eigenen Worten) »air froid« den musikalischen Fluss in langgezogenen Streicherakkorden gleichsam erstarren lässt und auch die hier schon anvisierte Tonart (B) der späteren Versöhnung nur zaghaft freigibt (Nb. 9).
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Wie sehr Manons Hoffnung, aber auch das Vertrauen in ihre eigene weibliche Verführungskunst gesunken sind, zeigt schließlich, dass sie selbst in ihrer ureigensten Domäne den Allmächtigen um Hilfe bittet, wenngleich ihr nicht recht gelingen will, für ihre »prière« auch den adäquaten »Ton« zu finden (Nb. 10/Nb. 2).
Der letzte Abschnitt, die eigentliche Konfrontation der Liebenden, hebt mit einem jener schon genannten unerwarteten »Brüche« an, wo aus verhaltenen Orgeltönen eines Magnificat unvermutet ein Sprung in eine vom ganzen Orchester getragene Wendung vollführt wird (Nb. 11) – eine Wendung, die bereits im großen Monolog Des Grieuxʼ an entscheidender Stelle für die imaginäre »douce image« stand, nunmehr aber angesichts deren realer Erscheinung affektiv in Überraschung, Zorn und Verzweiflung umschlägt und den emotional vollends aus dem Gleichgewicht gebrachten Abbé nicht mehr als ein verunsichertes »Toi ! Vous !« stammeln lässt. In gleicher Form taucht diese Wendung nochmals am Ende der Szene auf, und zwar dann, wenn Des Grieux endlich das lange unterdrückte »Ah ! Manon !« über die Lippen bringt (Nb. 12).
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Beide – wie erwähnt – musikalisch identischen, in ihrer Bedeutung aber so gegensätzlichen Wendungen halten den Dialog wie eine dramaturgische Klammer zusammen, und was sich dazwischen »abspielt«, bedeutet aus musikalischer Sicht nichts anderes als den erfolgreichen Versuch Manons, Des Grieux in erster Linie mit seiner eigenen »musikalischen Personale« zu verführen, ihn mit seinen eigenen »Waffen« zu schlagen. Zu den diesbezüglich markantesten, auch die sukzessive Intensivierung und die wachsende Effizienz von Manons leidenschaftlich-musikalischen »Attacken« zeigenden Punkten zählen die für Massenet so charakteristische einleitende »phrase décadent« (Nb. 13), deren pulsierend rhythmische Neuakzentuierung (Nb. 14), Des Grieuxʼ kategorisches »Non ! il est mort pour vous !« auf den Abgesang seiner eigenen »Liebeshymne« (Nb. 15) sowie die nach Manons unwiderstehlich zärtlichem »Nʼest ce plus ma main...« (Nb. 16) erste körperliche Berührung, die endlich den Bann bricht und auch eine musikalisch-thematische Annäherung der Liebenden bewirkt. Mit der erlösenden Namensnennung der Geliebten (siehe Nb. 12) und dem unisonen »je tʼaime !« ist am Höhepunkt schließlich auch jene schon angesprochene Tonart (B) erreicht, die nunmehr als harmonischer Träger des zentralen Liebesmotivs das wiedergewonnene, fortan vermeintlich ungetrübte Glück überschwänglich begrüßt (Nb. 17).
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Dass hier nun die Musik nicht mehr Wahrheit verkündet, sondern »jubelnd verschweigt«, ja, sogar verschweigen muss, ist freilich kein Zeichen kompositorischer Inkonsequenz, sondern vielmehr dramaturgisch bedingt. Denn bei Massenet dürfen Manon und Des Grieux bekanntlich ihr Glück zumindest noch einen halben Akt (!) lang genießen – ganz im Gegensatz zu Puccinis »veristischem« Pendant, wo in der parallelen Szene nach der Versöhnung der Liebenden die Katastrophe unmittelbar hereinbricht. Aber das gehört zu einer anderen Geschichte, zur Geschichte einer »etwas anderen« Manon!
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Michael Jahn
ANMERKUNGEN ZUR GESCHICHTE DER FRANZÖSI SCHEN OPER IN WIEN
Blättert der interessierte Opernbesucher oder die interessierte Opernbesucherin den Spielplan der Wiener Staatsoper in der Manon-Premierenspielzeit 2006/07 durch, so wird er oder sie feststellen, dass ein nicht unwesentlicher Prozentsatz der aufgeführten Werke in französischer Sprache gesungen wird – genau acht von 46 Opern, also etwa 17,4 %. Noch überraschender allerdings erscheint die Tatsache, dass innerhalb von einem Monat gleich zwei Werke französischer Provenienz (Manon von Jules Massenet und La Fille du régiment von Gaetano Donizetti) als Neuinszenierungen angeboten wurden, können sich doch gewiss viele Opernfreundinnen und -freunde noch an Spielzeiten erinnern, in welchen einzig »der« Publikumsrenner des französischen Repertoires, Georges Bizets Carmen, dem Wiener Publikum angeboten wurde. Durchstöbert man ein wenig die Geschichte der Wiener Oper, so wird man nach kürzester Zeit den Eindruck nicht los, dass es die französische Oper doch ein wenig schwerer hatte, dem Repertoire erhalten zu bleiben, als ihre italienische Schwester. MICH A EL JA HN
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Die Gattung der Oper stand in Wien von Beginn an unter dem Einfluss des Mutterlandes der Oper, Italiens. Die Heiratspolitik der Habsburger brachte verwandtschaftliche Verbindungen mit den Häusern der Gonzaga aus Mantua und der Medici aus Florenz mit sich. Dem Geschmack der diversen angeheirateten Eleonoren entsprechend, kamen italienische Musiker (deren Vorname auffallend oft Antonio lautete) nach Wien: Komponisten von Bertali über Cesti, Draghi, Ziani (ein MarcʼAntonio), Caldara bis hin zu Salieri wurden hier ansässig. Gegen diese Konkurrenz hatte es die französische Oper nicht gerade leicht: Werke der großen Komponisten der Tragédie lyrique, Lully, Charpentier oder Rameau, wird man auf den Spielplänen der Wiener Theater ohne Erfolg suchen. Erst als der kaiserliche Hof unter Maria Theresia die Leitung sowohl des Burgtheaters als auch des Theaters nächst dem Kärnthnerthor gemeinsam mit der Stadt Wien übernommen hatte, versuchte man, den zu dieser Zeit herrschenden französischen Geschmack auch auf den Hofbühnen durchzusetzen: Zunächst (ab 1752) als reines Sprechtheater, einige Jahre später auch mit Singspielen (der französischen »Opéra comique«) aus der Feder eines Gluck oder Monsigny. Nach dem Tod von Kaiser Franz I. im Jahr 1765 fand das erste französische Theaterunternehmen in Wien ein jähes Ende: Es war um das Doppelte teurer als das deutsche Theater, spielte aber nur die Hälfte von dessen Gewinn ein. Auch zwei weitere Versuche, französisches Repertoire in Wien zu etablieren (1768/71 bzw. 1775/76), scheiterten am geringen Erfolg. Die letzte dieser Schauspieltruppen hatte in den beiden Hoftheatern immerhin Werke der Gattung der »Opéra comique« von Piccinni, Sacchini (beide wie Lully Italiener, die in Paris Karriere machten) oder Grétry dargeboten, das breite Publikum legte jedoch keinen Wert auf die Anwesenheit der französischen Künstler. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurden von diesem Zeitpunkt an Werke des französischen Repertoires in Wien nur noch in deutscher (manchmal auch italienischer) Übersetzung aufgeführt. War bis dahin ausschließlich die Gattung der französischen komischen Oper in Wien heimisch geworden, so kam unter der Direktion des Oberstkämmerers Graf Orsini-Rosenberg erstmals eine »Tragédie lyrique« im Stile des Lully und Rameau in Wien zur Aufführung, bezeichnenderweise ein Werk des »einheimischen« Christoph Willibald Gluck, nämlich seine Iphigenia auf Tauris (1781). Allerdings schrieb Gluck für die Wiener Aufführung eine eigene Fassung in deutscher Sprache, ebenso wie Salieri für Wien eine neue, italienische Version der in Paris uraufgeführten Oper Tarare komponierte und das Werk in Zusammenarbeit mit Lorenzo Da Ponte zu Axur, rè dʼOrmus umformte. – Die Veränderungen in dieser Oper sind entschieden großzügiger, als sich die Wiener Iphigenia auf Tauris von der französischen Iphigénie en Tauride entfernte. – In die Zeit um das Jahr 1800 fiel auch Salieris Umarbeitung von Les Danaïdes für Wien; diese Oper, welche den Titel Danaus erhalten sollte, wurde allerdings nie an den Hoftheatern aufgeführt; das erste für Wien nicht vom Komponisten selbst neu bearbeitete Werk der Académie Royale, welches an den Hoftheatern 55
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aufgeführt wurde, stellt somit Oedipe a Colone von Sacchini dar, ein Werk, das als Oedip zu Colonos in deutscher Sprache im Jahr 1802 gegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Hofoper in dem 1801 eröffneten Theater an der Wien eine ernstzunehmende Konkurrenz entstanden, wusste Direktor Schikaneder sein Publikum doch durch Bühneneffekte sonder Zahl zu begeistern. Die luxuriöse Ausstattung kam nicht nur Mozarts Zauberflöte entgegen, auch die in Wien bald heimisch werdenden Opern Luigi Cherubinis (wieder ein Italiener, dessen Karriere ihren Höhepunkt in Paris erreichte) wurden exzellent dargeboten: Lodoiska, Medea, Der portugiesische Gasthof, Elisa und das beliebteste Werk, Der Wasserträger, wurden gerne und oft aufgeführt. Cherubini kam selbst nach Wien, um hier am Kärnthnerthortheater seine Faniska (1806) zur Uraufführung zu bringen; ein Beispiel, dem Massenet 1892 folgen sollte, als Werther an der Hofoper seine erste Aufführung erlebte. Danach machten die Wiener, die bis dahin von Opern eines Giovanni Simone Mayr oder Ferdinando Paër begeistert waren, Bekanntschaft mit Werken von Méhul (Uthal) und Dalayrac (Die beiden Savoyarden). 1809 wurde das Wiener Publikum während der Besetzung Wiens durch die Franzosen sogar mit französischen Titeln auf den Theaterzetteln beglückt: Weigls Die SchweizerFamilie hieß nun Le pauvre Jacques, das Waisenhaus La maison des orphelins, und durch französische Künstler wurden Werke wie Boieldieus Le calife de Bagdad oder Ma tante Aurore in der Originalsprache dargeboten. Nach einem halben Jahr endete diese kurze französische Episode an der Wiener Oper. Der französische Geschmack jedoch sollte von nun an aus dem sich langsam bildenden festen Repertoire der Wiener Oper nicht mehr wegzudenken sein: Gaspare Spontini begeisterte die Wiener mit Milton (1805), Die Vestalin (1810) und Ferdinand Cortez (1812), die Werke Glucks erlebten eine Renaissance (Armida und Iphigenia in Aulis 1808), Semiramis (1815) von CharlesSimon Catel wurde immerhin 22 mal am Kärnthnerthortheater (seit 1810 alleiniger Spielort der Hofoper) aufgeführt, Johann von Paris von Boieldieu (1812), Joconde von Isouard (1815) und insbesondere die bis Ende des 19. Jahrhunderts beliebte Oper Joseph und seine Brüder von Méhul (1815) wurden in das Repertoire aufgenommen. Ab 1821 wurde das Kärnthnerthortheater an Theaterunternehmer verpachtet. Der erste Pächter war der berühmte italienische Impresario Domenico Barbaja, der Gioachino Rossini und Carl Maria von Weber nach Wien brachte. Die einzige französische Oper, die aus Barbajas Pachtjahren im Repertoire bleiben sollte, war Boieldieus Welterfolg Die weiße Frau (1826), die heute unter dem Titel Die weiße Dame bekannt ist. Barbaja machte auch von seinem Recht Gebrauch, in französischer Sprache zu spielen: In den Monaten Juli bis September 1826 wechselten einander deutsche Oper und Ballett sowie französische komische Oper (u.a. Boieldieus Ma tante Aurore) und Vaudevilles ab. Unter den folgenden Pächtern (Graf Gallenberg 1829/30 und der französische Tänzer und Choreograph Louis Antoine Duport 1830/36) kam es zur HochMICH A EL JA HN
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blüte der französischen Oper in Wien – allerdings in deutscher Sprache: Die großen Werke der Grand opéra, welche die Sehnsüchte des Zeitalters der industriellen Revolution mit einer bis dahin ungeahnten Ausstattungspracht zu verbinden wussten, wurden für ein Jahrhundert weltweit zu »Dauerbrennern« auf den Spielplänen aller wichtigen Opernhäuser. Besonders Giacomo Meyerbeers Opern, deren musikalisch-dramaturgische Modelle viele Werke nachfolgender Generationen beeinflussten – die Beispiele Wagner, Gounod, Massenet, Bizet oder Saint-Saëns seien stellvertretend erwähnt –, beherrschten die Aufführungsstatistiken der Wiener Hofoper: Die Premieren von Robert, der Teufel (1833), Die Hugenotten (1839), Der Prophet (1850) oder Die Afrikanerin (1866) wurden zu gesellschaftlichen und künstlerischen Ereignissen. Doch nicht nur Meyerbeer, auch Rossini (Wilhelm Tell 1830, Moses 1831), Auber (Die Stumme von Portici 1830, Die Ballnacht 1835) und Halévy (Die Jüdin 1836) erreichten Aufführungszahlen, die in die Hunderte gingen. Weniger Erfolg hatten in Wien einige Werke, die zwei äußerst beliebte italienische Komponisten für die Pariser Opéra geschaffen hatten: Donizettis Favoritin und Die Märtyrer (beide 1841) führten ebenso ein Schattendasein wie Verdis Sizilianische Vesper (1857). Die Wiener vermissten eben den gewohnten – sprich italienischen – Donizetti und Verdi – »Wäre er der alte biedere Verdi geblieben, ohne französische Sauce piquante, so hätte er hier mehr Glück gemacht«, hieß es in einer Rezension. Eine Ausnahme bildete Donizettis Dom Sebastian, der – vom Komponisten in Wien dirigiert und umgearbeitet – zu einem »Zugstück« im Repertoire werden sollte. Dass diese Opern in Wien oftmals musikalisch und dramaturgisch amputiert aufgeführt wurden, lag entweder an ihrer weitschweifigen Disposition (das an der Opéra unvermeidliche Ballett hatte in Wien nie jenen Stellenwert wie in Paris und wurde oft zusammengestrichen), an den besonders schwierigen Aufgaben, welche die Komponisten ihren erstklassigen Interpreten in Paris – insbesondere den Tenoristen – zumuteten, oder schlicht und einfach an der gestrengen Wiener Zensur, die vor 1848 (und manchmal auch noch danach) strikt in den Handlungsablauf der an der Hofbühne aufgeführten Stücke eingriff. Da kein kirchlicher Würdenträger auf einer Hofbühne gezeigt werden durfte, wurde der Kardinal in Halévys Die Jüdin durch die Figur eines Tempelritters ersetzt, während die berühmte Schwerterweihe im vierten Akt von Meyerbeers Hugenotten (in Wien längere Zeit unter dem Titel Die Welfen und Gibellinen aufgeführt) statt von Mönchen von einfachen Magistratsbeamten vorgenommen wurde. Auch die Werke der Opéra comique waren in Wien äußerst beliebt, es bleibt hier nur der Platz, die bekanntesten zu nennen: Aubers Fra Diavolo (1830), Hérolds Zampa (1832), Adams Der Postillon von Lonjumeau (1837) und Meyerbeers Der Nordstern (1855) sowie Dinorah (1865). Doch obwohl etwa im Jahr 1849 gleich vier Werke von Auber an der Hofoper ihre Premiere erlebten, sprach gegen die Aufführungen der französischen 57
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komischen Opern ein gewichtiges Argument: der – im Gegensatz zum italienischen begleiteten Secco- bzw. Accompagnato-Rezitativ – gesprochene Dialog. Wiederholt kritisierten Berichterstatter die mangelnde Kunst der Wiener Interpreten, den Dialog deutlich und akzentuiert zu sprechen, entsprachen sie in der Kunst des Gesanges auch noch so sehr den Anforderungen. – Dass dieser Einwand genauso die deutsche Oper betraf und es zu allen Zeiten Ausnahmen von der Regel gab, sei nur am Rande erwähnt. In den letzten Jahren des alten Wiener Opernhauses gingen die Sterne einer jüngeren Generation von Tonsetzern auf: Gounods Margarethe (Faust) und Romeo und Julie (1862 bzw. 1868) begeisterten das Publikum ebenso wie Mignon von Ambroise Thomas (1868). Mit der Eröffnung des neuen Hauses am Ring (1869) begann der Niedergang der einst so erfolgreichen französischen »Großen Oper«: Waren unter den ersten fünf der an die neue Oper »übersiedelten« Werke gleich drei französische zu finden (Romeo und Julie, Die Stumme von Portici, Wilhelm Tell), so wurden Die Vestalin (1881), Die Ballnacht (1882), Dom Sebastian (1882) und Armida (1892) bald aus dem Repertoire genommen, länger hielten sich noch Robert, der Teufel (bis 1903), Wilhelm Tell und Die Stumme von Portici (beide 1907). Auch (aber nicht nur) aus politischen Gründen wurden die erfolgreichsten Werke abgesetzt: Der Prophet (1931), Die Jüdin und Die Hugenotten (beide 1933) und Die Afrikanerin (1936). Dafür bereicherte Verdis Don Carlos (1932) mit erheblicher Verspätung den Wiener Opernspielplan. Das Wiener Publikum wurde vor dem Ersten Weltkrieg immer wieder mit französischen Opern bekannt gemacht: Hamlet von Thomas kam 1873 zur ersten Aufführung, Carmen von Bizet 1875, dessen Djamileh 1898, Offenbachs Hoffmanns Erzählungen wurde 1901 an der Hofoper einstudiert (1881 war das Werk am Ringtheater herausgekommen, nach dem zahlreiche Todesopfer fordernden Brand des Theaters vor der zweiten Aufführung dieser Oper getrauten sich die Verantwortlichen lange Zeit nicht mehr, Offenbachs Werk in Wien auf den Spielplan zu setzen). 1903 folgten Gustave Charpentiers Louise, 1904 Léo Delibesʼ Lakmé, 1907 Samson und Dalila, 1911 Pelléas und Mélisande von Debussy. Einer der erfolgreichsten französischen Komponisten debütierte allerdings relativ unbemerkt abseits der Hofoper: Jules Massenets Jugendwerk Don Cesar von Bazan hinterließ 1874 im Ringtheater wenig Eindruck. Dreizehn Jahre später, 1887, öffnete Direktor Wilhelm Jahn die Tore der Hofoper für Massenet: Die große Oper Der Cid wurde zu einem Achtungserfolg, das Wiener Publikum und die Musikkritiker eroberte der Komponist jedoch erst mit Manon, die 1884 an der Pariser Opéra Comique uraufgeführt worden war. Der gestrenge Eduard Hanslick etwa äußerte sich trotz einiger Einwände – insbesondere im dritten und vierten Akt (mit Ausnahme der Kirchenszene) ging dem berühmten Musikkritiker »der Ton natürlicher Fröhlichkeit« ab – positiv über Manon: »Sie ist das Beste und Wirksamste, was die Opéra comique seit Mignon und Carmen hervorgebracht hat«, lautete sein Urteil. Der Wiener Oper stand für Manon eine ideale Besetzung zur Verfügung: die MICH A EL JA HN
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gebürtige Grazerin Marie Renard (1864-1939), die als Carmen, Mignon oder Tatjana in Eugen Onegin zu den Wiener Publikumslieblingen zählte, und der belgische Tenor Ernest van Dyck (1861-1923), der erste Wiener Canio in Der Bajazzo und Mathias Freudhofer in Der Evangelimann sowie ein gefeierter Bayreuther Lohengrin und Parsifal. Die Renard begeisterte Publikum und Kritik anlässlich der Erstaufführung am 19. November 1890 durch ihr ansehnliches Äußeres ebenso wie durch ihre bald leidenschaftliche, bald zärtliche Darstellung der Titelrolle. Für die mit einer dunklen Mezzosopran-Stimme ausgestattete Sängerin war die eigentlich für einen hohen Sopran vorgesehene Partie der Manon eine ungewohnte Aufgabe, die sie jedoch glänzend meisterte. Ihr tenoraler Partner, über welchen sich der anwesende Komponist enthusiastisch äußerte, war ein mit Stil und Anstand auftretender, gesanglich wirkungsvoller Des Grieux. Massenet zeigte sich von den beiden Künstlern so begeistert, dass er seinen längere Zeit zurückgehaltenen Werther in Wien durch van Dyck in der Titelrolle und die Renard als Charlotte 1892 aus der Taufe heben ließ – der seltene Fall einer Uraufführung einer französischen Oper in deutscher Sprache. Waren Manon und – mit etwas Abstand – Werther von nun an für längere Zeit im Wiener Repertoire fest verankert, so blieb Massenets Das Mädchen von Navarra ein nennenswerter Erfolg versagt; das Werk wurde bereits im Jahr seiner Erstaufführung (1895) aus dem Spielplan genommen. Wesentlich öfter (nämlich 81mal zwischen 1911 und 1927) wurde Der Gaukler unserer lieben Frau (Le Jongleur de Notre-Dame) aufgeführt. Nach der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper 1955 spielte das französische Repertoire lange Zeit eine Nebenrolle: Bizets Carmen konnte nicht übergangen werden, das Werk wurde bereits 1956 neu inszeniert. War Carmen zunächst in deutscher Sprache einstudiert worden, so dauerte es unter der Direktion von Herbert von Karajan (der sich sehr bemühte, die jeweilige Originalsprache in Wien durchzusetzen) noch einige Jahre, bis nicht nur die Solisten französisch sangen, sondern auch der Chor das Werk im Original beherrschte. Die Gespräche der Karmeliterinnen von Francis Poulenc wurden 1959 zwar in deutscher Sprache aufgeführt, Debussys Pelléas et Mélisande (1962) und Gounods Faust (1963, wenn auch unter dem deutschen Titel Margarethe) jedoch auf Französisch einstudiert. Nach Karajans Abgang von der Staatsoper (1964) wurde gerne wieder auf die Originalsprache verzichtet: Offenbachs Hoffmanns Erzählungen (1966) und Glucks Iphigenia auf Tauris (1969) wurden deutsch, Cherubinis Medea (1972) italienisch gesungen. Massenets Manon (1971) und Werther (1986), Berliozʼ Les Troyens (1976) und Glucks Iphigénie en Aulide (1987) bildeten französische Farbtupfer im Repertoire. Völlig unerwartet überschwemmte ab Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts eine wahre Flut an französischen Werken den Spielplan der Staatsoper – oft handelte es sich sogar um Erstaufführungen: Massenets Hérodiade, Verdis Jérusalem (beide 1995), Meyerbeers Le prophète und Rossinis Guillaume Tell (beide 1998), Halévys La Juive (1999), Gounods 59
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Roméo et Juliette (2001), Donizettis La Favorite (2003), Verdis französischer Don Carlos (2004) – wer hätte noch wenige Jahre zuvor jemals an die Möglichkeit gedacht, diese Werke in Wien szenisch zu erleben? Es bleibt nun zu hoffen, dass das französische Repertoire nicht bald wieder in Vergessenheit gerät... Anmerkung der Redaktion: Auch in den Jahren nach der aktuellen Manon riss der Premierenreigen französischer Opern nicht ab. So folgten gleich zwei Faust-Neuproduktionen (2008 und 2021), Glucks Alceste (2012) und Armide (2016), Pelléas et Mélisande (2017), Samson et Dalila (2018), Les Troyens (2018), Carmen (2021) und Dialogues des Carmélites (2023).
→ KS Juan Diego Flórez als Des Grieux, 2019
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Aus: Abbé Prévost, Histoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut
Manon war ein Geschöpf von ungewöhnlichem Charakter. Es gab wohl kein anderes Mädchen, das so wenig wie sie am Gelde hing, aber sie geriet trotzdem sofort in große Unruhe, wenn sie auch nur einen Augenblick befürchtete, in Mangel zu kommen. Vergnügen und Zeitvertreib waren ihr nun einmal Bedürfnis. Sie hätte niemals einen Sou auch nur angerührt, falls es Vergnügungen, die nichts kosteten, gegeben hätte.
Wenn sie nur angenehm den Tag verbringen konnte, dann fragte sie gar nicht danach, wie unsere Geldverhältnisse standen. Da sie nun nicht leidenschaftlich dem Spiel ergeben, noch berauscht war von dem Schimmer großer Ausgaben, so war nichts leichter, als sie zufriedenzustellen, wenn man ihr nur täglich Vergnügungen nach ihrem Geschmack bot. Aber sich durch Unterhaltungen zu beschäftigen, das war für sie so notwendig, dass man sich sonst nicht auf ihre Laune und Stimmung verlassen konnte.
Andreas Láng
DIE ARBEIT EINES FEINEN, GEIST REICHEN KOPFES Massenets Manon in Wien
Dem Dirigenten und langjährigen Direktor der Wiener Hofoper im ausgehenden 19. Jahrhundert, Wilhelm Jahn, gebührt das Verdienst, innerhalb kürzester Zeit gleich drei bedeutende Werke Jules Massenets erstmals auf den Spielplan des Hauses am Ring gesetzt zu haben: Le Cid am 22. November 1887 (zwei Jahre nach der Pariser Uraufführung), Manon am 19. November 1890 (sechs Jahre nach der Pariser Uraufführung) und den Werther, der hier am 16. Februar 1892 sogar seine Weltpremiere fand. Dass Direktor Jahn zumindest im Fall von Manon und Werther zwei Glücksgriffe getätigt hatte, beweist die jeweilige enorme Aufführungsdichte – Massenet wurde durch diese beiden Stücke geradezu zu einem Lieblingskomponisten des Wiener Publikums, wobei der Erfolg der Manon jenen des Werther bis heute sogar noch in den Schatten stellt. Selbstverständlich war, wie damals bei allen fremdsprachigen Werken üblich, auch Manon hierzulande vorerst nur in einer deutschen Übersetzung zu erleben. Und das in einer sehr schlechten. Anders als noch beim Cid, bei dem immerhin ein Max Kalbeck für den deutschen Text verantwortlich zeichnete, stand bei Manon ein gewisser Ferdinand Gumbert als Übersetzer zur Verfügung, der zwar selber als Liedkomponist in Erscheinung trat, seine diesbezüglichen Erfahrungen aber offensichtlich nicht nutzen konnte oder wollte. So platzierte er beispielsweise den Vokal i zur wahrscheinlich geringen Freude der Sänger durchwegs auf den höchsten und anstrengendsten Noten. Und auch sonst zeichnete sich die deutsche Übertragung in erster Linie durch eine weitgehende Holprigkeit aus. (Merkwürdigerweise blieb man an der Wiener Staatsoper auch nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Gumbertʼschen Fassung.) Dem Publikumszuspruch tat dieser Umstand freilich keinen Abbruch. Auch nicht die nur mäßig gute Kritik des gefürchteten Eduard Hanslick in der Neuen Freien Presse, der dieser Oper zwar zugestand, »die Arbeit eines feinen, geistreichen Kopfes zu sein, der über den vollständigen Musikapparat und über die modernsten Geheimmittel des dramatischen Ausdrucks verfügt«, aber insgesamt doch eine ablehnende Haltung an den Tag legte. So fand Hanslick beispielsweise, dass »diese Musik eigentlich nur aus Details« bestünde und Massenet »alles Mögliche tut, um Melodie und Rhythmus zu verkrüppeln, den Gesang stotternd, den Frohsinn trübselig, den Wein sauer zu machen«. Nun, Massenets Manon war ja bekanntlich nicht das einzige bedeutende Werk, bei dem der Kritikerpapst und geniale Stilist durch ein exorbitantes Fehlurteil in die Geschichte des Feuilletons einging. Tatsache ist, dass das Stück bis 1910, also zwanzig Jahre lang, auf dem Spielplan des Hauses blieb und für volle Theaterkassen sorgte und nach nur sechs Spielzeiten Pause wieder im Repertoire verankert wurde, wo es bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auch blieb. Was die Besetzung der ersten Jahre betrifft, ist die Dauerpräsenz zweier Namen auffallend. Bei wahrscheinlich keiner anderen Oper dieser Zeit wurden die Hauptrollen in Wien über so lange Zeit von denselben Protagonisten 65
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verkörpert wie in diesem Fall: Marie Renard war einfach die Manon und Ernest van Dyck die stimmliche und schauspielerische Idealverkörperung des Chevalier Des Grieux. Erst bei der 74. Vorstellung kam es zu einem Wechsel von Dyck zum Kollegen Franz Naval, die Renard blieb dem Publikum für weitere Aufführungen erhalten – und auch van Dyck kehrte als Des Grieux gelegentlich wieder. (Wenn man bedenkt, wie viele Werke eine so hohe Vorstellungszahl gar nicht erreichen und schon viel früher für immer in der Versenkung verschwinden, ist dieses Rollen-Abonnement der beiden Künstler noch beeindruckender.) Aber auch in den darauffolgenden Jahren war die Besetzungs-Fluktuation eher bescheiden. Hervorzuheben wären in erster Linie Leo Slezak und Alfred Piccaver als junger Des Grieux sowie Lotte Lehmann, Maria Jeritza, Viorica Ursuleac und Maria Reining als Manon. 1939 riss, wie gesagt, die Aufführungsreihe von Massenets Manon ab. Hatte man im Ersten Weltkrieg noch keine Probleme, Werke von (verstorbenen) Angehörigen der gegnerischen Staaten aufzuführen – allein im Jahr 1917 kam es im Haus am Ring zu 22 Manon-Vorstellungen (!) –, musste das Publikum der Wiener Staatsoper zwischen 1939 und 1945 aus politischen Gründen auch auf dieses Werk verzichten. 1942 kam es zwar von höherer Stelle zu einem Befehl, einige der populären französischen Opern wieder in den Spielplan aufzunehmen – die Manon zählte jedoch nicht zu diesen »amnestierten« Stücken. Mit der Rückkehr der Demokratie war aber auch jene der Manon verbunden: Am 2. Mai 1949 bescherte Adolf Rott in den Bühnenbildern von Fritz Judtmann eine Neuinszenierung im Theater an der Wien, dem Ausweichquartier der zerstörten Wiener Staatsoper. Als Manon beziehungsweise Chevalier Des Grieux brillierten bei dieser Neuproduktion Ljuba Welitsch respektive Anton Dermota. Und auch diesmal schien man eine konstante Besetzungspolitik zu verfolgen: Neben Dermota kam noch Rudolf Schock zum Zug, neben der Welitsch die junge Sena Jurinac – eine dritte Alternative gab es, solange diese Inszenierung zu sehen war, nicht (und das war immerhin bis 1954 der Fall). Nach der Staatsoper im Theater an der Wien kam die Wiener Volksoper zum Zug. Am 22. April 1960 erklang die Manon (Puccinis Version war hier schon viel früher zu erleben gewesen) erstmals am Währinger Gürtel. Und wieder war es Anton Dermota, der den jungen Des Grieux verkörpern sollte. »Seine« Manon war die junge Lee Vanora. Dirigent der Produktion war Argeo Quadri und der Regisseur Dino Yannopoulos. Die nächste Wiener Manon-Premiere (20. November 1971) fand dann wieder im Haus am Ring statt – nun endlich im französischen Original, was während der Probenzeit unter anderem dazu führte, dass der mit der Produktion betraute Star-Regisseur und -Bühnenbildner Jean-Pierre Ponnelle sich nicht nur um die Inszenierung kümmerte, sondern das eine oder andere Ensemblemitglied wochenlang mit der richtigen Aussprache des Textes quälen musste. Das umjubelte Ergebnis war dann mehr als ein Vierteljahrhundert zu sehen A N DR EAS LÁ NG
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→ Ankündigungs plakat zur Uraufführung von Manon, Paris, 1884
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DIE A R BEIT EIN E S FEIN EN, GEIST R EICHEN KOPFE S
(mitunter auch in München, wohin die Produktion 1985 übernommen wurde). In den ersten Jahren wurde die Titelpartie unter anderem von Jeannette Pilou, Anna Moffo und Teresa Zylis-Gara gesungen, den Des Grieux gaben Giacomo Aragall, Georges Liccioni und Juan Oncina. Am 8. Dezember 1983 kam es dann zur vielbeachteten Neueinstudierung unter Adam Fischer mit Edita Gruberova und Francisco Araiza als tragisches Liebespaar. Der Tenor blieb bis zur nächsten Wiederaufnahme (1995) bis auf wenige Ausnahmen derselbe, die Manon war einem etwas größeren Wechsel unterzogen: Neben der bereits erwähnten Gruberova sangen vor allem Catherine Malfitano, Patricia Wise und Leontina Vaduva die Titelrolle. Die Lebensfähigkeit der Produktion wurde dann schließlich von der bereits genannten Wiederaufnahme unter Beweis gestellt: In den darauffolgenden zwei Jahren kam es zu nicht weniger als 22 Aufführungen. Diesmal waren es neben Elizabeth Norberg-Schulz, Miriam Gauci und wiederum Leontina Vaduva beziehungsweise Giuseppe Sabbatini, Deon van der Walt und Francisco Araiza, die als Manon und Des Grieux zu erleben waren. Die Premiere der nächsten und somit aktuellen Inszenierung (Regie: Andrei Şerban, Ausstattung: Peter Pabst) mit KS Anna Netrebko und KS Roberto Alagna am 3. März 2007 war zugleich die 319. Vorstellung von Massenets Manon an der Wiener Staatsoper. Die Lebensdauer dieser Produktion erweist sich ebenfalls als beachtlich. Allein bis 2023 gingen nicht weniger als 58 Vorstellungen über die Bühne, wobei die beiden Hauptpartien (neben den bereits genannten) regelmäßig mit klingenden Namen wie KS Diana Damrau, Patricia Petibon, Marlis Petersen, KS Jonas Kaufmann, KS Ramón Vargas, KS Juan Diego Flórez, Rolando Villazón – und zuletzt – mit Pretty Yende und Charles Castronovo besetzt wurden.
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UNSERE ENERGIE FÜR DAS, WAS UNS BEWEGT. Das erste Haus am Ring zählt seit jeher zu den bedeutendsten Opernhäusern der Welt. Als österreichisches und international tätiges Unternehmen sind wir stolz, Generalsponsorin der Wiener Staatsoper zu sein. Alle Sponsoringprojekte finden Sie auf: omv.com/sponsoring
FLASCHENHALS
ÜBER KOPF
VERLIEBT.
Impressum Jules Massenet MANON Spielzeit 2022/23 (Premiere der Produktion: 3. März 2007) HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Musikdirektor: Philippe Jordan Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Redaktion: Oliver Láng, Andreas Láng Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Layout & Satz: Miwa Meusburger Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin Lektorat: Martina Paul Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau TEXTNACHWEISE Handlung (Übernahme aus dem Manon-Programmheft der Wiener Staatsoper 2007; englische Übersetzung: Andrew Smith) – Oliver Láng: Über dieses Programmbuch – Details der zwischenmenschlichen Beziehung: Gespräch mit Andrei Şerban und Peter Pabst (Übernahme aus dem Manon-Programmheft der Wiener Staatsoper 2007) – Abbé Prévost: Ausschnitt aus Lʼhistoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut – Abbé Prévost (Übernahme aus dem Manon-Programmheft der Wiener Staatsoper 1995) – Martha Handlos: Jules Massenet – Notizen zu seiner Biographie (Übernahme aus dem ManonProgrammheft der Wiener Staatsoper 1995) – Claude Debussy: Musik der weiblichen Seele, in: Musik und Musiker, Eduard Stichnote, Potsdam o.J. – Andreas Láng: Zwischen Mythos und Realität (Übernahme aus dem Manon-Programmheft der Wiener Staatsoper 2007) – Jules Massenet: Ausschnitt aus Mein Leben, aus dem Französischen übertragen von Eva Zimmermann, Wilhelmshaven: Heinrichshofen, 1982 – Maria Publig: Manon – Gier nach dem Leben (Übernahme aus dem Manon-Programmheft der Wiener Staatsoper 2007) – Joseph-Horst Lederer: »In Musica Veritas!« (Übernahme aus dem Manon-Programmheft der Wiener Staatsoper 2007) – Michael Jahn: Anmerkungen zur Geschichte der französischen Oper in Wien (Übernahme aus dem Manon-Programmheft der Wiener Staatsoper 2007) – Andreas Láng: Die Arbeit eines feinen, geistreichen Kopfes (Übernahme aus dem Manon-Programmheft der Wiener Staatsoper 2007)
BILDNACHWEISE Coverbild: ALEX PRAGER, Eclipse, 2021, 121.92 x 102.36 cm, Courtesy Alex Prager Studio Szenenbilder Seite 2, 3, 14, 15, 20, 32, 37, 61: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH Szenenbild Seite 8, 27: Axel Zeininger / Wiener Staatsoper GmbH Seite 67: akg-images Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie Kürzungen werden nicht gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
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