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Reich und reif im Charakter Ain Anger singt Fafner und Hunding im Ring

Ain Anger singt Fafner und Hunding im Ring des Nibelungen

Ain Anger als Hunding in der Walküre

REICH UND REIF IM CHARAKTER

Es war der 14. September 2004, als ein junger Bass aus Estland erstmals die Staatsopern-Bühne betrat: Ain Anger. Debütrolle Monterone in Verdis Rigoletto, rund 40 weitere Partien sollten bis dato alleine in diesem Haus folgen. Heute singt das ehemalige Ensemblemitglied zwischen London, München und Bayreuth auf der ganzen Welt, nennt die Wiener Staatsoper aber nach wie vor sein „liebstes Haus“. Ein Rück- und Einblick nach mehr als 350 Staatsopern-Abenden.

Ihre Karriere begann vor 25 Jahren: Wenn Sie zurückblicken, was hat sich an Ain Anger verändert? Wurden seine damaligen Wünsche, Visionen und Träume erfüllt? Ain Anger: 25 Jahre, das ist ein weiter Weg. Es sind sogar ein bisschen mehr als 25 Jahre, ich stand ja schon mit 21 erstmals auf einem Podium. Gedacht, dass ich so weit kommen würde, habe ich nie. Wissen Sie, ich stamme von einer kleinen Insel, irgendwo in Estland, das ist so fern von der großen Opernwelt. Ich wusste nicht, wohin es geht, wie es geht, ich wusste ja kaum, wer ich überhaupt bin. Ich fing einfach an – und arbeitete so viel wie nur möglich. Alles andere hat sich ergeben… Es gab wichtige Etappen – Estland, Leipzig, Wien. Besonders Wien, das ist der beste Ort für einen jungen Sänger, das Repertoire

zu lernen. Ich studierte wie ein Verrückter, eine Rolle nach der anderen, aber das war auch das Ziel: möglichst viele Erfahrungen zu sammeln.

Das harte Arbeiten: ohne das geht es nicht. Ain Anger: Es ist eine wichtige Sache, wirklich viel zu arbeiten, aber es gibt auch noch die andere wichtige Sache: richtig zu arbeiten. Also: In die richtige Richtung, mit den richtigen Leuten. Die richtigen Entscheidungen treffen. Ich bin sehr froh, dass ich hier an der Staatsoper die für mich besten Bedingungen gefunden habe.

Heute ist Ihr Auftrittsplan sehr stark von Wagner-Opern geprägt. Ergibt sich das durch die Dynamiken des Opernbetriebs oder legen Sie es bewusst so an? Ain Anger: Es stimmt, ich singe tatsächlich sehr viel Wagner. Aber eigentlich mag ich diese Einteilungen, Schubladen, nicht so sehr. Ich habe Verdi, Mozart, Russisches, Französisches genauso gern. Es macht alles Spaß! Dass ich in einem hohen Ausmaß in den entsprechenden deutschen Rollen auf der Bühne stehe, hat auch damit zu tun, dass es nur eine überschaubare Anzahl an Wagner-Sängern gibt. Und vor allem: Es wird in diesem Fach sehr früh geplant. Wenn ein Haus sich einen neuen Ring des Nibelungen-Zyklus

vornimmt, der 2023 beginnt und pro Jahr eine der Opern herausbringt, bedeutet das, dass die Planungen bis 2026 reichen. Eine Mozart-Oper hat im Allgemeinen weniger Vorlauf, und wenn diesbezüglich eine Anfrage kommt, bin ich oftmals einfach schon vergeben.

Es ist aber durchaus beruhigend, wenn man so weit in die Zukunft gebucht ist. Ain Anger: Ohne Frage. Eine Sicherheit, die mich natürlich freut.

Nehmen Sie sich in puncto Wagner-Repertoire bewusst Pausen, indem sie zum Beispiel sagen, dass Sie seine Opern zuhause gar nicht hören, um Abstand zu gewinnen? Ain Anger: Ich versuche daheim und außerhalb des beruflichen Umfelds an sich wenig Oper zu hören. Ich gehe gerne in Instrumental-Konzerte, aber sobald die menschliche Stimme hinzukommt, setzt bei mir das berufliche Denken und Analysieren ein – und das versuche ich zu vermeiden. Ich denke, dass man zwischendurch immer wieder Zeit braucht, um ein wenig Distanz zu gewinnen. Insofern: Ich finde manchmal die Stille schön. Oder Vogelgezwitscher.

Und schaffen Sie es in diesen Stille-Momenten, sich vollkommen von der Oper loszusagen? Auch innerlich? Ain Anger: Nein, es arbeitet in mir weiter. Selbst wenn ich nicht an die Musik denke. Es ist wie ein unterirdischer Fluss, der plötzlich wieder zum Vorschein kommt – verwandelt. Manchmal pausiere ich mit einer Rolle ein Jahr oder mehr, und in dieser Pause reift meine Interpretation unbewusst weiter. Stille bedeutet da keinen Stillstand!

Der Vorteil an Ihren zahlreichen Regie-Interpretationen einzelner Rollen ist auch, dass Sie die Gelegenheit haben, einen vielfältigen und differenzierten Blick zu gewinnen. Ain Anger: Das ist ganz großer Vorteil. Mit jeder Produktion, mit jeder neuen Sichtweise kann ich tiefer in die Persönlichkeit einer Bühnenfigur eindringen. Ich erinnere mich an eine Rigoletto-Vorstellung mit Leo Nucci, in der er unglaublich präzise, aussagekräftig war. Jede Note, jeder Blick, jede Bewegung: alles war vielschichtig und stark im Ausdruck. Ich fragte ihn: „Wie machst du das nur?“ Und er antwortete: „Schau, das ist meine 250. Vorstellung …“ Die Rolle war einfach in seine Persönlichkeit übergegangen, sie hatte ihn zutiefst durchdrungen. Das ist keine Routine, das ist eine perfekte Verinnerlichung!

Aber am Weg zur Verinnerlichung: kann da so etwas wie Routine passieren? Ain Anger: Manchmal denke ich mir: Jetzt habe ich eine Rolle wirklich verstanden! Aber dann kommt ein Dirigent, ein Regisseur, ein Kollege – und eröffnet mir etwas Neues. Und schon sehe ich den Charakter wieder ganz anders. Diese vielen Einflüsse machen meine Rollen reicher! Auf der Bühne stehe ich mit den anderen ja im Dialog und reagiere auf das, was sie machen. Es ist wie bei einem Tennisspiel: Wenn ein Ball von der Partnerin oder vom Partner kommt, muss ich ihn treffen und zurückspielen. Und das ist das eigentliche Spannende im Theater: dass es im Moment passiert! Selbst die beste Aufnahme bekommt man irgendwann satt, weil sie immer gleich ist. Im Opernhaus ist jeder Abend anders. Ich sang vor einiger Zeit den Daland und hatte zwei unterschiedliche Sentas: eine erfahrene Sängerin und eine sehr junge. Beide haben ganz unterschiedliche Dinge eingebracht und haben so meinen Daland verändert. Ich akzeptiere – bis zu einem gewissen Grad – sogar Fehler auf der Bühne, denn auch sie führen dazu, dass man nicht nur agiert, sondern reagiert.

Da klingt mit, dass Sie Fehler nicht zu sehr fürchten. Um diese Nervenstärke bewundern Sie wohl viele Kollegen. Ain Anger: Ich betrachte die Spannung vor einer Aufführung jedenfalls als eine positive. Die mir die Energie gibt, die man auf der Bühne braucht, um eine Ausstrahlung zu entwickeln. Es reicht ja nicht, einfach ins Rampenlicht zu treten, es muss etwas Fesselndes an einem sein, dass selbst vor dem ersten Ton spürbar ist. Aber es ist natürlich mehr als nur das. Man muss vor dem ersten Ton einfach schon eine Vorgeschichte in sich tragen, einen kompletten Charakter, damit die Musik nicht von irgendwoher, sondern aus der Fülle einer Persönlichkeit kommt. Und das erwirbt man sich … besonders auch durch Erfahrung!

DER RING DES NIBELUNGEN: Das Rheingold 15. März 2020 Die Walküre 18. März 2020 Siegfried 22. März 2020 Götterdämmerung 28. März 2020

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