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Ein gefährlicher Cocktail KS José Cura gibt seinen ersten Wiener Samson

EIN GEFÄHRLICHER COCKTAIL

KS José Cura

KS José Cura hat an der Wiener Staatsoper wesentliche Rollen seines Faches gesungen: prominente Partien ebenso wie Hauptcharaktere in Raritäten. „Sein“ Samson hat in Wien allerdings noch gefehlt – diese Lücke wird nun im März und April geschlossen.

Warum steht Samson et Dalila in den meisten Opernhäusern so selten auf dem Spielplan? José Cura: Abgesehen von den stimmlichen Anforderungen wurde das Stück ursprünglich als Oratorium konzipiert und ist vom Tempo her somit eher statisch. Für eine attraktive Produktion braucht man sehr charismatische Künstler, ansonsten ist die Gefahr des Scheiterns groß und es kann sich auch bei einer hervorragenden Inszenierung schnell Langeweile breitmachen …

Natürlich ist es möglich auch aus den scheinbar langsameren Momenten etwas herausholen und mit ihnen das nötige Tempo für die dynamischeren Momente aufzubauen, ähnlich wie bei einem sich anbahnenden Vulkanausbruch – wir machen uns die „dunklen Seiten“ zunutze, um das „Helle“ hervorzuheben: die Aufgabe eines guten Regisseurs. Aber es ist ein Fehler, gegen den Stil des Stücks anzukämpfen und aus einem Oratorium einen Actionfilm machen zu wollen. Bühnenpräsenz der Akteure ist also ein absolutes Muss …

War Saint-Saëns ein eklektischer Komponist? José Cura: Betrachtet man seinen Katalog, dann war er für seine Zeit ziemlich eklektisch. Generell ist Saint-Saëns Musik „breit“ in der Phrasie

rung und „fett“ in den Harmonien und beruht auf der wirkungsvollen Kombination dieser beiden Prinzipien. Was nicht weiter verwundert, schließlich lebte er zur selben Zeit wie Massenet und Bizet und bildete mit ihnen das Dreigestirn der französischen Musik des 19. Jahrhunderts.

Ein Kritiker sagte einmal: Saint-Saëns’ Musik verrät nicht, ob er nett, liebevoll oder leidensfähig war. José Cura: Vom Werk eines Künstlers auf seine Persönlichkeit zu schließen, ist riskant – man läuft dabei Gefahr, das Wesen der Fantasie selbst zu zerstören: das So-tun-als-Ob.

Was inspiriert Sie als Sänger bzw. als Dirigent und als Regisseur an Samson et Dalila? José Cura: Als Sänger: dass die Vokallinien perfekt zu meinem Instrument passen. Nur ein Sänger versteht, was es bedeutet, wenn etwas zu den eigenen stimmlichen Mitteln passt. Als professioneller Sänger muss man mit den Herausforderungen jeder Rolle zurechtkommen, die man singt, doch nur von einigen wenigen Rollen können wir tatsächlich sagen, dass wir sie unter der Haut, in uns haben. Für den Dirigenten besteht die größte Herausforderung darin, sich nicht zu einer Geringschätzung der langsamen Tempi verleiten zu lassen, die wir mit religiöser Musik verbinden, denn sonst wird die ohnehin schon breite Musik des Stücks langweilig. Man muss zudem den spirituellen Passagen unbedingt jenes Gefühl von Aufgewühltheit verleihen, das – wenn es vom richtigen Funken entzündet wird – zu Revolution, Betrug und Völkermord führt. Wir machen gerne den Fehler, den letzten Chor „Dagon se révèle“ als banal abzutun und zu behaupten, Saint-Saëns sei die Inspiration ausgegangen und er habe diese „billige“ Passage geschrieben, um das Stück schnell abzuschließen und den Scheck einzulösen … Aber könnte es nicht sein, dass der Komponist Dagons Musik absichtlich banalisierte, um dessen Gottheit als dem Gott Samsons unterlegen darzustellen? Die größte Herausforderung stellt Samson et Dalila jedoch für den Regisseur dar. Ich war in meinen letzten 25 Jahren mit der Rolle an zahlreichen Produktionen beteiligt, und diejenigen, die scheiterten, waren – unabhängig von ihrem Stil – immer die, die den spirituellen Gehalt des Stücks negierten und andere „raisons d’être“ auf ein Werk projizieren wollten, in dem es letztlich um Glaubens- und Religionskonflikte geht. Solange die stilistische Abweichung nicht losgelöst vom Inhalt des Librettos ist, sind andere ästhetische Adaptionen nicht abzulehnen – sie sind das Recht eines guten Regisseurs. Man darf auch die Mona Lisa auf seine eigene Weise ausleuchten, um bestimmte Aspekte des Bildes besser zu akzentuieren – aber man darf ihr keinen Schnurrbart ins Gesicht malen, weil man findet, dass sie so besser aussieht …

Wie sängerfreundlich ist diese Oper geschrieben? José Cura: Keine Oper ist sängerfreundlich, wenn man weder über die Stimme noch über die Technik verfügt. Das gilt natürlich auch umgekehrt.

Würden Sie zustimmen, dass die Oper von dunklen Farben lebt? José Cura: Jedes Stück, in dem es um menschliche Interaktion geht, muss implizit auch dunkle Farben haben. Und mischt man zudem noch Sexualität mit Religion, dann ergibt das einen gefährlichen Cocktail. Doch eine der größten Fragen ist: War Samson der erste „Selbstmordattentäter“ der Geschichte? Ungeachtet seiner Gründe ist es eine unbestreitbare Tatsache, dass Samson um die Rückkehr seiner Kraft fleht – aber nicht, damit er sie mit seiner neu gewonnenen Weisheit einsetzen kann, nachdem er seine Lektion gelernt hat, sondern damit er seine Feinde alle mit einem Schlag töten kann.

Warum heißt die Oper nicht „Samson“? Warum ist Dalila gleichgestellt? José Cura: Das sogenannte „Liebesduett“, in dem es nicht um Liebe geht, sondern um das genaue Gegenteil, steht im Zentrum des dramaturgischen Motors des Librettos; mit Samsons Monolog im dritten Akt, dessen Katharsis und Dalilas sadistischem Gespött als notwendiger Erniedrigung, damit sich der Kreis der Bestrafung schließt, ist es unbedingt notwendig, dass beide Namen im Titel des Stücks enthalten sind. Zu dieser Namensfrage und dem Dilemma, das sich daraus beim Schlussapplaus ergeben kann – wer bekommt den letzten Applaus, der Tenor oder der Mezzo? –, kann ich eine berührende Geschichte erzählen. Üblicherweise bekommt die weibliche Hauptdarstellerin den letzten Auf

tritt, doch als ich das Stück 1998 mit der großen Denyce Graves in Washington sang und gerade direkt vor ihr, wie üblich, für meinen Applaus nach vorne treten wollte, hielt sie mich mit einer Geste, die keinen Widerspruch zuließ, zurück und sagte: „Angesichts dessen, was du heute geleistet hast, verdienst du es, der Letzte zu sein.“ Abgesehen davon, dass dies unsere Freundschaft besiegelte, zeigt sich in Bezug auf den Titel hier auch, dass die Diskussion – jedenfalls auf der Gefühlsebene – noch immer nicht abgeschlossen ist.

Ist Samson überhaupt ein Held? Seine Fähigkeiten scheinen mehr körperlicher als geistiger Natur zu sein. Ist er ein Antiheld? Ist Dalila stärker als er? Oder zumindest klüger? José Cura: Gemäß der Definition der alten Griechen ist ein Held ein Mensch, der die besten Eigenschaften eines Individuums verkörpert und diese zum Wohle der Gesellschaft einsetzt, in der er lebt. Jeder kann ein Held sein. Ein „Superheld“ jedoch steht aufgrund einer bestimmten Eigenschaft noch eine Stufe höher, und in diesem Sinn sind – von Samson zu Superman – die historischen Chroniken vom selben Geist durchdrungen: eine supraphysische Macht, die zum Wohle der Gerechtigkeit eingesetzt wird. Kein Wunder, dass Samson Richter war … Er ist kein Antiheld, das wäre einfach für ihn gewesen, denn Antiheld ist fast ein Synonym für „gewöhnlich“. Und weil er eben nicht gewöhnlich war, kann auch sein Fehlverhalten nicht als gewöhnlich beurteilt werden. Auf physischer Ebene war er ein gescheiterter Superheld und zudem eine tiefe spirituelle Enttäuschung für sein Volk und für seinen Gott. Dalila war ab dem Moment, als sie ihn für Geld betrügt und nicht aus innerer Überzeugung, nicht stärker als er. Doch sie war klüger, ja. Welche Frau ist generell nicht klüger als ein Mann – umso mehr, wenn es um einen sexuell verblendeten Mann geht?

Könnte Dalila Samson lieben? Der Kampf zwischen Herz und Verstand? Was gewinnt am Ende? Könnte die Oper theoretisch gut ausgehen? José Cura: Natürlich ist es möglich, das Ende zu verdrehen, aber dann ist es eine völlig andere Geschichte. Wenn man sich für eine Auseinandersetzung mit dieser speziellen Geschichte entscheidet, dann muss man sie nicht verzerren, um sie an seine persönlichen emotionalen Unsicherheiten oder, noch schlimmer, seine eigene politische Agenda anzupassen. Die Geschichte von Samson, aus dem Buch der Richter, ist ein Apolog, geschaffen zu erzieherischen Zwecken von den religiösen Pädagogen jener Zeit – vermutlich als Warnung vor den Gefahren, die lauern, wenn man sich im Netz der Sinnlichkeit oder ihrer älteren Schwester, der Sexualität, verfängt. Wahre Liebe zwischen einem Mann und einer Frau hat in dieser speziellen Allegorie keinen Platz.

Was macht Dalila für Samson so interessant? Dass sie eine verbotene Frucht ist? José Cura: Zu den – für den erwähnten erzieherischen Zweck – notwendigen Seiten von Samsons Persönlichkeit zählt sein raubtierhafter Charakter, der noch verstärkt wird vom völligen Missverstehen des wahren Zwecks seiner körperlichen Kraft. Genauso ist es bei Verdis Otello, wo das Fehlen von Shakespeares erstem Akt im Libretto der Oper zu einem gefährlichen Irrweg in der dramatischen Linie führen kann, wenn man nicht den vollen Text des Dichters studiert. In Samson et Dalila ist es durch das Fehlen jeglicher Vorgeschichte der Handlung sehr schwer, Samsons Psychologie zu verstehen, wenn man den Text nicht sehr eingehend studiert. Samson war stark und jähzornig, jederzeit bereit für einen Kampf, um zu bekommen, was er wollte. Er konnte einen vermeintlichen Gegner aus dem banalsten Grund töten – sogar eintausend Männer mit einem Schuss (sic) an einem Tag, wenn er besonders erzürnt war. Und die Geschichte von der Tötung des Löwen – die es braucht, um ihn zum Halbgott zu erhöhen, wie man ihn in der griechischen Mythologie findet – ist wichtig für uns, um zu verstehen, wie völlig außer Kontrolle sein Ego war. Dazu kommt, dass Dalila ja auch die Geliebte des Hohepriesters war, was der Frage, warum Samson sie wollte – abgesehen von ihrer körperlichen Anziehungskraft auf ihn –, eine zusätzliche interessante Note verleiht: Sie war eine äußerst reizvolle Trophäe! Es ist der Priester selbst, der Dalila bittet, ihre sexuelle Macht über Samson zu nutzen, um zu bekommen, was er wollte. Nichts Neues in einer Welt – und vor allem im Showbusiness –, wo Sex und Macht nach wie vor eng verbunden sind.

Das Gespräch führte Andreas Láng

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