"die beste Zeit", Juli-September 2017

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ISSN 18695205

Ausstellung Tobias Zielony in der Von der Heydt-Kunsthalle Barmen Kunstprojekt gebraucht – Skulpturen auf der Hardt Theater Neustart bei den Wuppertaler Bühnen mit Thomas Braus Festival Die KulturTrasse 2017 Tanz Joy Kammin – Porträt einer jungen Tänzerin

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Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, dass Kunst der Die Sommermonate sind reich an neuen Ausstellungen, Schlüssel zum Zugang für eine Region sein kann, das erfahre ich immer wieder durch meine Arbeit für den Skulpturenpark Waldfrieden. Jüngst waren es wieder Journalisten aus Brasilien, Mexiko, USA, Finnland und Japan, die kamen, um den Park zu besuchen. Einhergehend mit ihrem Entdecken dieses besonderen Kunstortes erkennen sie häufig erstmals, dass es auch ein Wuppertal gibt. Überraschung und Staunen machen sich dann breit, wenn sie neben Tony Cragg auch Pina Bausch und das in der Kunstwelt sehr bekannte Von der Heydt-Museum hier verorten können und wenn man je nach Schwerpunkt des Einzelnen immer noch eine weitere Überraschung aus dem Hut zaubern kann. Man gerät ins Erzählen und zählt gelegentlich mit Freude und etwas Stolz auf, wofür die Stadt noch bekannt ist oder wer sie bekannt gemacht hat. Neben der zum Teil weltweit wahrgenommenen Hochkultur ist es das vielfältige Wirken von Kulturschaffenden und Kulturvermittelnden, die dazu beitragen, dass aus Wuppertal eine kaum fassbare kulturelle Vielfalt sprudelt. Zwei jüngere Künstlerpersönlichkeiten sollte man zukünftig mit aufzählen: Der Fotograf Tobias Zielony, 1973 in Wuppertal geboren, hat den Ruf eines neuen Bilder-Stars, der schon jetzt als Nachfolger von Larry Clark, Nan Goldin und Wolfgang Tillmans gilt. Die Von der Heydt Kunsthalle widmet ihm eine Ausstellung. Die junge Tänzerin Joy Kammin lernen wir durch ein Porträt von Karl-Heinz Krauskopf kennen. Geboren 1994 in Wuppertal, nach dem Studium in den Niederlanden und ersten Engagements führt sie nun ein Jahresvertrag bei der Inbal Pinto & Avshalom Pollak Dance Company nach Tel Aviv.

von denen ich zwei hervorheben möchte: Mitten in den Vorbereitungen zum „Skulpturenprojekt auf der Hardt“ starb Oswald Gibiec-Oberhoff Anfang des Jahres völlig unerwartet. Dennoch trägt die diesjährige Ausgabe seine Handschrift sowie das von ihm gewählte Thema „gebraucht“, mit Werken von zwölf Künstlern, die inmitten des Naturraums ab Anfang Juli präsentiert werden. Der Minimalismus ist die Stilrichtung, die Imi Knoebels Schaffen von den frühesten Anfängen bis zum heutigen Tag prägt. Seit er Mitte der 60er-Jahre als Student in den Kreis der jungen Künstler um Beuys eintrat, sind es nur wenige, dafür aber umso grundlegendere Fragen, denen sein Werk nachspürt. Eines der Hauptwerke aus jener Zeit ist die monumentale Installation „Raum 19“, die im Skulpturenpark Waldfrieden ab 15. Juli gezeigt wird. KLANGART lockt mit einer Reihe von Stars, die der Einladung von Maik Ollhoff und E. Dieter Fränzel folgen: alle Meister an der vorwiegend akustischen Gitarre, werden im Juli und August keine geringeren als Al Di Meola, Salif Keita und Harold López-Nussa im Skulpturenpark Waldfrieden auftreten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer! Ihre Ruth Eising


Inhalt 04 Tobias Zielony in der Von der Heydt-Kunsthalle Barmen

Passenger / No Passenger

„Entartete Kunst“ im Zentrum für verfolgte Künste

Aus der Art geschlagen

Ausstellung im Skulpturenpark Waldfrieden

Imi Knoebel – BILDER

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gebraucht – 7. Skulpturenprojekt auf der Hardt

Vom Müll zum Werk

Wuppertal feiert seine vielfältige Kulturszene

KulturTrasse 2017

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Der Projektgeschäftsführer des Pina Bausch Zentrums im Gespräch mit Anne-Kathrin Reif

Christian Koch

Tanzrauschen 2017

Letters from Wuppertal Joy Kammin – Porträt einer jungen Tänzerin

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Tanz als Lebensgefühl

Sommersonnenwende für das Wuppertaler Theater?

Von Kafka bis Loriot

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Neustart für das Theater der Wuppertaler Bühnen unter Thomas Braus

Briefmarkengestaltung Interview mit Hans Günter Schmitz

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Günter Baby Sommer zum Tod von A. R. Penk

Auf der Suche nach einem kreativen Kollektivgefühl?

Reflexionen zu den filmischen Porträts „Mensch:Utopia“

Der Zukunft lauschen

John Scofield, Al Di Meola, Salif Keita und viele mehr zu Gast bei

KLANGART im Skulpturenpark Improvisierte Malerei von Jorgo Schäfer

Watching With My Ears

Jasper van’t Hof im Konzert Neue Wege der Kulturarbeit bei der Caritas

Go With The Wind

Solingen auf dem Weg zum A-cappella-Mekka?

Solala-Festival 2017

„... aus dem Ghetto Theresienstadt entlassen ...“

Antonie Römer

Über die jüngste KARUSSELL-Ausgabe

WIR auf einem KARUSSELL

Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch

Aus anderer Perspektive

Ausstellungen, Kino, Literatur, Bühne, Musik

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Kulturtipps Verkaufsstellen

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Impressum

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A 4us der Serie Maskirovka, 2016-2017, Archival Pigment Print 105 x 70 cm Š Tobias Zielony, Courtesy Tobias Zielony und KOW, Berlin


Passenger/No Passenger Tobias Zielony zeigt Arbeiten in der Von der Heydt-Kunsthalle Barmen Ein Porträt des Fotografen aus Wuppertal. Von Wolfgang Rosenbaum

Tobias Zielony gilt als einer der meistdiskutierten deutschen Fotografen der Gegenwart. Mit seinen globalen Dokumentationen über Jugendliche am Rande der Gesellschaft erlangte er in den letzten Jahren internationalen Rang und Anerkennung. In zahlreichen

Vom 10. September 2017 bis zum 14. Januar 2018 wird der gebürtige Wuppertaler in der Von der Heydt-Kunsthalle Barmen sein aktuelles Projekt zeigen und kehrt damit nach genau 20 Jahren - erstmals als Künstler in seine Heimatstadt zurück.

Wolfgang Rosenbaum: Tobias, es war es ein kurzes Philosophieren und Positionieren über die Zukunft an einem Sonntagnachmittag im Sommer 1997 auf der Luisenstraße, welches sich bei mir tief eingebrannt hat und dich in meiner Wahrnehmung bis heute charakterisiert. Als ich fragte, wie du dich selbst siehst und für die Zukunft definierst, beschriebst du dich als Passenger ... Tobias Zielony: (lacht) Ach wirklich? Da kann ich mich gar nicht mehr daran erinnern. Aber das ist interessant. Ich hab mich damals wirklich so empfunden und diesen Song von Iggy Pop geliebt. Dieses Lebensgefühl hat mich damals fasziniert und damit bin ich 1997 nach Berlin gegangen. Ich habe tatsächlich fast 15 Jahre als Passenger gelebt, war immer unterwegs, hatte meine Sachen ständig irgendwo eingelagert.

Es war im Sommer 1997, als Tobias Zielony den Entschluss fasste, die Fünfer-Wohngemeinschaft im Luisenviertel und damit Wuppertal zu verlassen.

Allerdings habe ich auch sehr früh in Berlin meine Stadt gesehen, Freunde gefunden und das Gefühl einer zweiten Heimat entwickelt - auch wenn ich fast nie dort war.

Nach dem Abitur auf dem Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium und dem Zivildienst in der Körperbehindertenschule Melanchthonstraße wurde Berlin der neue Ausgangs- und Lebensmittelpunkt, um den Weg als Fotograf zu finden, die Enge des Bekannten zu verlassen und frischen Impulsen zu folgen. Reisen, Sehen, Fotografieren standen im Fokus seiner Entwicklung und waren Antrieb, die Welt in immer neuen Maßstäben zu entdecken.

Bis zu dem Punkt, wo ich keinen Bock mehr hatte. Insofern würde ich mich heute - obwohl ich natürlich immer noch sehr viel reise - nicht mehr als Passenger bezeichnen. Mir ist es heute schon sehr wichtig, dass ich irgendwo ankommen kann und Freunde habe. Sei es in Wuppertal oder natürlich speziell in Berlin. Berlin ist mein Zuhause, Wuppertal meine Heimat, mit der ich so viele erste Erfahrungen, Familie und Freundschaften verbinde.

Einzel- und Gruppenausstellungen finden seine Werke große Beachtung, fesseln mit ihrer ungeheuren Intensität und mystisch-diffuser Atmosphäre.

Ich kann mich zwar nicht mehr genau an die von dir beschriebene Situation erinnern - aber klar, ich konnte mir damals nicht vorstellen, nur an einem Ort zu bleiben. 5


Campfire Day, 2001, aus der Serie Curfew, C-Print 41.6 x 62.4 cm, © Tobias Zielony, Courtesy Tobias Zielony und KOW, Berlin

Mit dem Umzug nach Berlin lief ab 1998 bis 2001 das Studium der Dokumentarfotografie an der University in Newport parallel und kristallisierte mit der Abschlussarbeit Curfew - einer Fotoserie über Jugendliche in Bristol - Zielonys Thema als Künstler bis heute.

Meist im nächtlichen, künstlichen Licht und grundsätzlich ohne Blitz legt er rudimentäre Bedürfnisse, Persönlichkeit, Hoffnung wie Perspektivlosigkeit der Protagonisten offen, geht an Orte, die schmerzen - ohne die Würde oder den Stolz der Menschen dabei zu verletzen.

Im Anschluss studierte er an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Timm Rautert, wurde dessen Meisterschüler und erhielt 2002 für das Buchprojekt Behind the Block den Preis des Instituts für Buchkunst Leipzig.

Die vom Betrachter festzustellenden Parallelen in Verhalten, Darstellung und Optik zeigen die Intensität von engen Lebensumständen, gefährlicher Langeweile und selbstzerstörerischer Monotonie auf, die weltweit gemein zu sein scheinen, und lassen so den Kontext einer sich vollziehenden Globalisierung mit kulturell unabhängigen, sozialen Spannungen vermuten.

Die Faszination für jugendliche Subkultur an der urbanen und sozialen Peripherie unterschiedlichster Wohlstandsgesellschaften führte ihn in den folgenden Jahren unter anderem nach Marseille, Chemnitz, Cluj, Los Angeles, Zgora, Manitoba und Trona. 6


Light Box, 2013, aus der Serie JennyJenny, C-Print 88 x 59 cm Š Tobias Zielony, Courtesy Tobias Zielony und KOW, Berlin

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Make Up, 2016-2017, aus der Serie Maskirovka, Archival Pigment Print 70 x 105 cm, © Tobias Zielony, Courtesy Tobias Zielony und KOW, Berlin

Wolfgang Rosenbaum: Wenn man die Vielzahl deiner Arbeiten fotografisch und künstlerisch betrachtet, bist du deinem Thema über Heranwachsende inhaltlich und ästhetisch treu geblieben. Du vermittelst rein dokumentarisch, ohne in den Journalismus abzugleiten, ohne wertend einzugreifen. Tobias Zielony: Das stimmt natürlich, das Thema zieht sich durch, und jetzt hier in Wuppertal findet die Ausstellung passenderweise im Haus der Jugend statt. Aber ich habe zwischendurch mit Flüchtlingen und Prostituierten ganz andere Themen entwickelt und versuche damit auch, mich von den Jugendlichen ein wenig zu lösen. Von der Erzählweise bin ich ganz klar auf der künstlerischen Linie und habe mich von Anfang an vom Journalismus abgegrenzt. Allerdings hat es fast noch mehr damit zu tun, wo ich meine Bilder zeige, nicht mit der Art, wie ich fotografiere. Die große Ausnahme war meine Arbeit für den Deutschen Pavillon auf der Biennale 2015 in Venedig, wo ich mit afrikanischen Zeitungen zusammengearbeitet habe. Dazu muss ich aber sagen, diese Idee war sehr konzeptionell und damit Teil einer künstlerischen Praxis für mich. 8

Was wirst du in Wuppertal zeigen? Meine neue Arbeit ist aus Kiew und setzt sich mit der dortigen Techno-Underground-Queer-Szene auseinander. Die Serie ist aus 2016/2017 - also ganz frisch. Ich habe dort sehr viel fotografiert - direkt schon am ersten Abend - und es sind zusätzlich einige Videoanimationen entstanden, die ich auch gerne zeigen möchte. Die Szene ist sehr undergroundig dort - aufgrund der politischen Umstände illegal und wegen der immensen Gefährdung von außen sehr sensibel und vorsichtig. Ich war bisher zweimal dort und will aber so schnell wie möglich nochmal dorthin. Kiew war sehr intensiv! Ich habe mit Tascha eine großartige Ansprechpartnerin vor Ort, die selbst Teil der Szene ist, mir sehr viele Türen geöffnet und die Sprachbarrieren genommen hat. Ich hoffe sehr, dass sie auch zur Ausstellungseröffnung nach Wuppertal kommen kann. Das ist die eine Arbeit, aber ich werde auch noch eine zweite Serie zeigen - aus meinem Archiv heraus. Ich habe angefangen, in meinen alten Kontaktabzügen zu suchen in der Zeit von 1997 bis 2004. Zu dieser Zeit habe ich sehr viel in


persönlichen Zwischenbilanz? Das ist auch so. Ich habe Dinge in mir angelegt, die ich dann auch so verfolgt habe. So erscheint alles in der Retrospektive in einer logischen Ordnung - allein schon, um sich anderen Menschen gegenüber verständlich zu machen. So ist es ja auch, wenn man sich um ein Stipendium bemüht oder einen Text über seine Arbeit schreibt - da muss man natürlich eine Narration herstellen. Hinterher macht das natürlich alles Sinn, wenn du da in den Prozessen drin, steckst eher nicht. Es geht ja wahrscheinlich jedem so, dass man wird, wer man ist.

Kids, 2008, aus der Serie Trona - Armpit of America, C-Print 84 x 56 cm, © Tobias Zielony, Courtesy Tobias Zielony und KOW, Berlin

Ostdeutschland, Berlin, Wuppertal, Düsseldorf und dem Ruhrgebiet fotografiert - dort, wo ich halt gerade unterwegs war. Das sind Bilder, die ich noch nie gezeigt habe. Und da sind für mich einige Sachen echt interessant geworden. Das ist wie ein Schriftsteller, der in alten Texten wühlt. Und plötzlich denkt man: Wow! Da fragt man sich, warum habe ich dieses Bild nie genutzt? Oder man erkennt, wie viel Energie man auf Sachen verwendet hat, die nirgendwo hingeführt haben. Also ist es für mich wie eine Reise in meine eigene Vergangenheit, nicht nur dorthin, wo ich gewohnt habe, sondern auch, wo ich als Fotograf gestanden habe. Ich werde mich in dieser Serie nur auf Deutschland beschränken, weil es auch eine Art Jugend ist, von dem Deutschland, was wir jetzt haben. Die Leute sehen alle noch etwas unschuldiger aus, und es repräsentiert eine Zeit vor Internet und Social Media. Da ist eine Geschichte drin angelegt, und trotzdem ist sie auch noch offen. Es repräsentiert auch zu einem Teil meine letzten 20 Jahre. Dein Werdegang erscheint für mich auf eine ganz persönliche Art folgerichtig. Das klingt nach einem Fazit und einer

Diese Erkenntnis erlangt man natürlich auch erst im Blick zurück? Ja, das ist genau so. Die Kindheit in Ronsdorf, das Engagement in der Antifa, meine Zeit bei den Wandervögeln und im Sportverein sind auch Grundlage meines heutigen Schaffens. Seit ich 15 bin, wollte ich eigentlich immer nur reisen, unterwegs sein und viel erleben. Das hat ja dann auch ziemlich lange angehalten. Mit der Fotografie habe ich im Laufe der Jahre gemerkt, dass ich da auch wirklich von meinem Vater geprägt wurde, der selber ein begeisterter Hobbyfotograf war und ist. Bis ich allerdings wirklich wusste, dass ich Fotograf werden wollte, da war ich so 17 oder 18. Aber in diesem Moment war mir trotzdem nicht klar, was dieser Beruf bedeutet und wie man dahin kommt. Heute bin ich dort und freue mich sehr auf die Ausstellung im Tal. Freue mich auf den Kontext meiner Familie, meiner Freunde und meiner Heimatstadt. Total! Die künstlerische Reise von Tobias Zielony wird natürlich weitergehen, und man darf gespannt sein, aus welcher Perspektive er seine zukünftigen Projekte angehen wird. Zahlreiche Preise, Stipendien und Lehrtätigkeiten sind mittlerweile Teil seiner Biografie. Zu empfehlen sei an dieser Stelle exemplarisch sein Bildband Story/No Story aus dem Jahr 2010, erschienen im Hatje Cantz Verlag.

Tobias Zielony Haus der Jugend 10. September 2017 - 14. Januar 2018 Von der Heydt Kunsthalle Wuppertal-Barmen Geschwister-Scholl-Platz 4-6, 42275 Wuppertal Di. - So., 11-18 Uhr von-der-heydt-kunsthalle.de 9


bildarchiv preußischer kulturbesitz, Ausstellung „Entartete Kunst“ im Galeriegebäude am Münchener Hofgarten (Eröffnung am 19. Juli 1937), Nr.: 30013809

Aus der Art geschlagen Am 19. Juli 1937 wurde in München die Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet Im vergangenen Jahr zählte die große englische Zeitung „The Guardian“ das Zentrum für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen zu den zehn besten Museumsneugründungen weltweit. Grund dafür ist, dass hier Kunst und Literatur immer im Zusammenhang mit den Lebenswegen der Künstler und Schriftsteller vorgestellt werden. So entsteht für den Besucher neben dem Kunsterlebnis ein Einblick in die Zeitgeschichte. Das Zentrum arbeitet mit den Beständen der „Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider“. Diese Bestände umfassen die Jahre 1914 bis 1989 und hier insbesondere die Jahre 1933 bis 1945. 10

Jetzt wird der Kunstraub der Nationalsozialisten hier vorgestellt anhand von Bildern, die die Bürgerstiftung neu erwerben konnte. Die Mittel dafür stellte der Deutsche Bundestag aus dem Haushalt der Staatsministerin für Kultur und Medien zur Verfügung. So wird der 80. Jahrestag der Ausstellung Entartete Kunst ein passendes Thema für das Zentrum für verfolgte Künste. Am 19. Juli 1937 wurde in München die Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet. Zusammengestellt hatte sie die Reichspropagandaleitung. „Entartung“ meint, „aus der


Otto Pankok, Hoto II, 1931, Lithografie, Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider, © Erben Otto Pankok, angeprangert 1937 in München

Art geschlagen“. Dieser Begriff wurde in den 1890-er Jahren von der Biologie und dann der Medizin auf die Kunst übertragen. Aber hier, bei den durch unterschiedliche Künstler und in unterschiedlichen Kulturkreisen geschaffenen Kunstwerken, passte der Art- und Gattungsbegriff natürlich nicht. Deshalb bemühte man zusätzlich die Bezeichnungen „jüdisch“ und „bolschewistisch“. Damit kann man Kunst aber auch nicht klassifizieren, und deshalb wurden erst einmal alle Bilder der Avantgarde, die ab 1910 entstanden waren, als „entartete“ abqualifiziert. Betroffen waren Künstler, die dem Expressionismus, dem Dadaismus, der Neuen Sachlichkeit, der abstrakten Kunst, dem Surrealismus oder dem Kubismus zuzurechnen waren. Nachdem den Entscheidungsträgern erklärt worden war, dass die

damalige Avantgarde die Expressionisten der ersten Stunde und die Impressionisten wie Cezanne, van Gogh, Manet oder Monet zum Vorbild hatte, wurden eben auch deren Bilder als „entartet“ bezeichnet. 1937 und 1938 wurde dann ein großer Kunstraub organisiert: Über 21 000 Kunstwerke von rund 1 600 Künstlern wurden aus deutschen Museen entfernt. Dazu eine ungeklärte Anzahl aus – meist jüdischem - Privatbesitz. Grundlage war ein Erlass vom 30. Juni 1937, der den Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Hitlers Lieblingsmaler Adolf Ziegler, ermächtigte, „die im deutschen Reichs-, Länder- und Kommunalbesitz befindlichen Werke deutscher Verfallskunst seit 1910 auf dem Gebiete der Malerei und der 11


Oscar Zügel, Rote Tänzerin, 1933, Öl auf Leinwand, Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider, © Katia Zügel, Ankauf aus dem Oscar Zügel Archiv „Kunst und soziale Verantwortung“, Balingen


Bildhauerei zum Zwecke einer Ausstellung auszuwählen und sicherzustellen“.

1938 wurde der Kunstraub nachträglich durch ein Gesetz legitimiert. Dieses Gesetz gilt noch heute. Künstler wurden aufgefordert, sich bei der Reichskammer der bildenden Künste eintragen zu lassen. Wer als „entartet“, „politisch unzuverlässig“ oder „jüdisch“ bezeichnet wurde, dem wurde der Eintrag verweigert. Die Nationalsozialisten belegten sie mit Berufs- und Malverboten. Das bedeutete die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz. Missliebige Künstler wurden aber auch gefoltert, verhaftet und ermordet. Viele versuchten, diesem Schicksal durch Wechsel des Malstils und der Themen, Wechsel des Berufes, Einstellen künstlerischer Arbeit oder durch ein Exil zu entkommen. Der Angriff auf die Moderne erfolgte ebenso im Bereich der Literatur, des Films, der Fotografie, des Theaters, der Architektur und der Musik. Als „entartet“ galten aber nicht nur Künstler der ersten Generation der Moderne, also beispielsweise Max Beckmann, Otto Dix, Max Ernst, George Grosz, Erich Heckel, Wassily Kandinsky, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Emil Nolde, Max Pechstein, Pablo Picasso, Oskar Schlemmer oder Karl Schmidt-Rottluff. Diese bereits vor 1933 erfolgreichen Künstler wurden in den Jahrzehnten nach 1945/1955 schrittweise rehabilitiert, und ihre Bilder gelangten wieder in die Museen. Als „entartet“ galten auch Bilder vieler junger Künstler, die gerade die Akademien verlassen hatten und erste Erfolge in Ausstellungen oder durch Museumsankäufe verzeichneten. Viele dieser Künstler wurden in den Nachkriegsjahrzehnten bis heute nicht wieder in Kunstmuseen gewürdigt. Dazu gehören beispielsweise Eduard Bargheer, Albert Birkle, Friedrich Einhoff, Hans Feibusch, Arnold Fiedler, Teo Gebürsch, Hilde Goldschmidt, Leo Haas, Georg Paul Heyduck, Eric Isenburger, Hella Jacobs, Julo Levin, Robert Liebknecht, Elfriede Lohse-Wächtler, Cement Moreau (Carl Meffert), Georg Netzband, Kurt Tuch und Oscar Zügel. Viele Künstlerinnen und Künstler reagierten in ihrem Werk auf Ausgrenzung, Verfolgung und Vertreibung: Es entstand eine Ästhetik des Widerstandes. Viele junge Talente wurden aufgrund dieser Verfolgung einer Zukunft beraubt und nach dem Krieg nicht wieder in den Kanon der Kunstgeschichte aufgenommen.

Das Zentrum für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen sammelt, erforscht, präsentiert und publiziert Bestände dieser Künstler. Es wurde 2015 gegründet. Das Zentrum arbeitet mit den Beständen der „Bürgerstiftung für verfolgte Künste – Else-Lasker-Schüler-Zentrum – Kunstsammlung Gerhard Schneider“. Die Sammlungen zur Kunst und zur Literatur decken den Zeitraum 1914 bis 1989 ab. Schwerpunkt ist die Zeit 1933 bis 1945. Hier sieht man früher verbotene Bilder wie in keinem anderen Museum. Im vorletzten Jahr standen zwei in ihrer Art einzigartige Sammlungen zur verfolgten Kunst vor der Auflösung. Das Zentrum bat den Deutschen Bundestag um Hilfe und erhielt eine Million Euro zur Rettung der Kerne dieser Sammlungen aus dem Haushalt der Staatsministerin für Kultur und Medien. 200 Werke im Nationalsozialismus verfolgter und dann vergessener Künstlerinnen und Künstler konnten durch diese Mittel aus dem Bundeshaushalt angekauft und damit für die Öffentlichkeit bewahrt werden. Bereits 2013 hat das Zentrum dem Maler Oscar Zügel eine Retrospektive gewidmet. Ein Großteil der damals gezeigten Werke konnte jetzt erworben werden. Oscar Zügel war befreundet mit Josef und Anni Albers, die ihm im südamerikanischen Exil gerettete Bilder brachten, die nun auch in Solingen zu sehen sind. Andere Freunde waren Willi und Margret Baumeister, Paul und Felix Klee und Oskar Schlemmer. Man traf sich in Stuttgarts Café im Stadtgarten oder verbrachte gemeinsame Urlaube. Oscar Zügels nächster künstlerischer Schritt zu kubistischen Elementen wurde durch einen Besuch 1931 bei Fernand Léger gefördert. Dennoch behielt er dabei seine Kritik an den neuen Zeiten. Seinen Bildern widerfuhr eine unvergleichliche Geschichte: Die Gemälde wurden 1934 anlässlich einer Razzia im Atelier Zügels in Stuttgart als „degeneriert“ beschlagnahmt. Man sagte ihm, sie würden auf dem Hof der Stuttgarter Staatsgalerie verbrannt. Als er im Stuttgarter Polizeipräsidium einen toten jüdischen Freund identifizieren soll, dessen Körper übel zugerichtet war, eröffnet man ihm dort, dass der Tote auf einer schwarzen Liste stand, verkündet ihm: „Und Sie stehen auch darauf, Herr Zügel, unter Z!“ Zügel fasst sofort den Entschluss zur Flucht. Zuvor malt er noch 1934 ein Vermächtnis: Das Bild hat die Titel „Schicksalsbild“, „Sieg der Gerechtigkeit“, „Untergang des Unsterns Hitler“ und „Zerstörung Stuttgarts“. Damit hätte es 2008 gut in die Berliner 13


Martel Schwichtenberg, Frauenkopf, um 1920, Öl auf Pappe, Bürgerstiftung für verfolgte Künste - Else-Lasker-Schüler-Zentrum - Kunstsammlung Gerhard Schneider


Ausstellung „Kassandra“ gepasst. Zügel nimmt das Bild zusammengerollt mit ins Exil nach Spanien. Aus den Kreisen um Henry Matisse erfährt er, dass es im spanischen Tossa de Mar eine Künstlerkolonie gibt, zu der Henri Bataille, Marc Chagall, Georges Duthuis, Rudolf Levy, André Masson, Jean Metzinger gehören. 1934 wählt Oscar Zügel dieses Exil. Zügel findet wider Erwarten dort gute Arbeitsbedingungen vor und verkauft zu seinem Erstaunen sogar Bilder. Als die Truppen der Franco-Hitler-Allianz im Spanischen Bürgerkrieg vorrücken, flüchtet Zügel 1936 nach Argentinien. 1951 sieht man Bilder von Oscar Zügel in Florenz im Palazzo Strozzi. Zusammen mit Werken von Marc Chagall, Max Ernst, Fernand Legér, Henri Matisse und Pablo Picasso, von Kurt Schwitters und Willi Baumeister. Im gleichen Jahr ereignet sich etwas gänzlich Unerwartetes: Nach einem Besuch in der Stuttgarter Staatsgalerie erfährt Zügel, dass man versäumte, seine Bilder zu verbrennen. Der Sammler Dr. Gerhard Schneider fühlt sich dem kulturellen Gedächtnis des 20. Jahrhunderts verpflichtet. Seit drei Jahrzehnten geht er mit seiner Sammlung den Verwerfungen in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts und ihrer Aufarbeitung nach. Er fand mehr als 3 000 Bilder von über 300 Künstlern, die bereits in den späten 20er und frühen 30er-Jahren Ruhm im In- und Ausland genossen, die aber heute kaum noch jemand kennt. Damit teilen sie das Schicksal der emigrierten Künstlerinnen und Künstler, von denen das „Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933“ ohne Anspruch der Vollständigkeit 300 nennt. Hier ist von einem Kenner der damaligen Kunstszene und der Zeitumstände mit Akribie und Hartnäckigkeit, aber auch mit viel Gespür eine Sammlung zusammengetragen worden, die ihresgleichen sucht. Dr. Gerhard Schneider fand unbekannte Werke bekannter Künstler, z. B. frühe expressionistische Radierungen von Joseph Albers, ungestüme Arbeiten noch junger Künstler vor und nach der Machtergreifung, z. B. wunderbare Gemälde von Valentin Nagel, Otto Nagel und Theodor Hugo Fenners, engagierte Formulierungen zeittypischer Motive und Anprangern der Ereignisse, z. B. beim „Chronisten Berlins“ Georg Netzband. Genauso aber vermag die „Sammlung Gerhard Schneider“ aber künstlerische Motivwelten in Zeiten der Unterdrückung vorzuführen, die sich zwischen Dokumentation, Aufruf und Gleichnis bewegen.

Einen ersten Teil seiner Sammlung übernahm die Bürgerstiftung 2004. Jetzt konnte ein zweiter Teil dieser Sammlung übernommen werden. Auch diese Bilder zeigt das Zentrum zum 80. Jahrestag der Eröffnung der Ausstellung „Entartete Kunst“. Die Ausstellung stellt in einer historischen Einführung die Münchner Femeschau „Entartete Kunst“ mit historischen Fotos vor, dokumentiert die Zerstörung der Moderne in den Museen anhand der so genannten „Fischer-Liste“ und zeigt über drei Etagen hinweg die Neuerwerbungen aus der Bundesförderung: den Nachlass von Oscar Zügel und Ankäufe aus der Sammlung Gerhard Schneider. Diese Kunst ist zu einem sichtbar mahnenden Zeichen für Demokratie und Humanismus, Toleranz und Bildung geworden. Die Verfolgungsstrukturen der Künstlerinnen und Künstler zeigen deutlich das Zusammenspiel von offenem und verdecktem Terror als Auslöser von Vertreibung, Flucht und Exil. 80 Jahre nach ihrer Eröffnung am 19. Juli 1937 in München hat die Ausstellung „Entartete Kunst“ nichts von ihrem Schrecken verloren. Auch wenn sie vor dem Massenmorden nur der besonders perfide öffentlichkeitswirksame Teil der viel umfassenderen Jagd auf alles Andersdenkende war, wurde sie zum Synonym der Zerstörung der Moderne durch die Nationalsozialisten.

Titelbild des Ausstellungsführers „Entartete Kunst“, 1937, Bürgerstiftung für verfolgte Künste Else-Lasker-Schüler-Zentrum Kunstsammlung Gerhard Schneider

Ausstellung vom 19. Juli-10. September 2017 mit Katalog im Zentrum für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen, Wuppertaler Straße 160, 0212 258140 www.verfolgte-kuenste.de 15


Imi Knoebel
– BILDER
 15. Juli bis 3. Dezember 2017 im Skulpturenpark Waldfrieden

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Imi Knoebel, Fishing Yellow I, © VG Bild-Kunst

Imi Knoebels Herkunft ist der Minimalismus. Diese künstlerische Haltung bestimmt sein Schaffen von den frühesten Anfängen bis zum heutigen Tag. Seit er Mitte der 60er-Jahre als maßgebender Mitwirkender in den Kreis der jungen Künstler um Beuys eintrat, sind es nur wenige, dafür aber umso grundlegendere Fragen, denen sein Werk nachspürt. 17


Imi Knoebel, Raum 19, © VG Bild-Kunst, Foto: Ivo Faber

So präsentiert die Ausstellung des Skulpturenparks in der oberen Ausstellungshalle die Installation „Raum 19“. Diese Arbeit Knoebels weist in ihren frühen Fassungen in die ersten Jahre seiner Laufbahn zurück und verkörpert zugleich die Kontinuität in seinem Schaffen. Mehrfach ist „Raum 19“ daher als Schlüsselwerk bezeichnet worden. Beispielhaft zeigen sich hier innerhalb einer Installation die Beziehungen von raumgreifenden Körpern zu flächigen Schichtungen. Es sind die Übergänge und Verbindungen, auch der Werke untereinander, die sich in die Rezeption der Werke Knoebels einschreiben. Dies gilt auch für seine farbigen Tafelbilder, die Knoebel in einer kleinen Auswahl ebenfalls im Skulpturenpark zeigen wird.

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In Imi Knoebels über mehr als fünf Jahrzehnte zurückreichendem Schaffen sprechen Material und Farbe über nichts anderes als sich selbst. Frei und unbefrachtet sind auch die Beziehungen, in denen sich die Elemente seiner Installationen in immer neuen Varianten zueinanderfügen und seine Werke als Ganzes die Kommunikation mit ihrer jeweiligen Umgebung aufnehmen. Von Knoebels „dezidiertem Einlassen auf den Raum“ ist im Zusammenhang mit seinen Ausstellungen immer wieder die Rede. Hier weisen Knoebels Werke weit über sich hinaus und werden Teil eines Gesprächs der Kunst mit sich selbst, das Imi Knoebel mit jeder Ausstellung in neuen Konstellationen inszeniert. Auch im Skulpturenpark Waldfrieden wird der Künstler voraussichtlich seinem Dialog mit dem Betrachter neue Impulse hinzufügen.


Biografisches Imi Knoebel wird 1940 in Dessau geboren. Seine Kindheit verbringt er in Grumbach bei Dresden, später zieht seine Familie nach Mainz. Ab 1962 besucht er die Werkkunstschule im nahe gelegenen Darmstadt, wo er seinen späteren Freund Rainer Giese kennenlernt, mit dem er 1964 an die Kunstakademie nach Düsseldorf wechselt. Dort wird er nach einem Jahr in der Klasse für Gebrauchsgrafik, wiederum gemeinsam mit Giese, 1965 in die Klasse von Joseph Beuys aufgenommen. Beide haben inzwischen den Vornamen IMI angenommen, bei dem es sich um die Kurzform ihres Abschiedsgrußes „Ich Mit Ihm“ handelt.

stehen nun Werke wie zum Beispiel eine Serie aus insgesamt 44 Linienbildern, vor allem aber die frühe Installation „Raum 19“, die (in einer späteren Fassung) auch im Skulpturenpark Waldfrieden gezeigt wird. Aus seinen Anfängen in Düsseldorf entwickelt Knoebel sein Werk, mit dem er sich im Lauf der Jahre internationale Anerkennung verschafft. Von den vielen Auszeichnungen, die sein Schaffen begleiten, ist die jüngste der KytheraPreis, der ihm 2012 verliehen wird.

Joseph Beuys überlässt ihnen neben der Beuys-Klasse (Raum 20) einen eigenen Raum (Raum 19), den sie anfangs mit Jörg Immendorff und Blinky Palermo teilen. Hier entImi Knoebel, 2006, Ich Nicht VIII, © VG Bild und Kunst

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Gisela Kettner, „Metamorphose 3“, Material: Reste Aludraht vom Schrott, diverse geschmolzene Deckel von Waschmittel- und Getränkeflaschen, Schamottsteine aus einer alten Heizung, zehnteilig, Format: variabel, Fotomontage: Peter Klassen

Vom Müll zum Werk Oswald Gibiec-Oberhoff und das Skulpturenprojekt auf der Hardt Es hatte längst begonnen, bevor es begann. In der Landschaft des Médoc, seiner französischen Zweitheimat, in der er so viel Zeit verbrachte, wie es seine Arbeit als Industriedesigner eben zuließ, fand Oswald Gibiec-Oberhoff immer wieder Gegenstände, die seinen Gestaltungswillen reizten, Metallgegenstände, vor allem Werkzeuge, die aufgegeben und zu Müll geworden waren. Als Designer sah er in ihnen mögliche andere For-

Von da aus war es nur ein kleiner Schritt zu der Idee, die er mit der ersten Skulpturenausstellung im Botanischen Garten auf der Hardt im Zentrum Wuppertals im Sommer 2009 realisieren konnte. Sie war so erfolgreich, dass sie zur festen Einrichtung im Wuppertaler Kulturleben wurde. Auf die erste Schau, in der die von ihm eingeladenen Künstler Variationen, Abwandlungen und Umgestaltungen der von ihm hergestellten abstrakt-floralen Figur Radius 1000 zeigten, folgten fünf weitere in jährlicher Folge, unterbrochen nur von einer zweijährigen Pause in den Jahren 2014 und 2015.

men und Gestalten jenseits ihrer verlorenen Funktionen. So begann er schließlich, aus ihnen Kleinskulpturen zu bilden. Spielerisch, ironisch, ernsthaft. Aufmerksam und voller Achtung für die Dinge.

Nachdem Hardt 3 2011 thematisch offen gewesen war, gab es mit den Schmetterlingen 2012 eine weitere Themenausstellung, auf die 2012 Mikado folgte, wiederum eine Ver-

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sammlung von Bearbeitungen einer von Gibiec-Oberhoff zur Verfügung gestellten Grundform, eines einfachen Holzstabes. Nach der Pause, die Oswald sich auferlegen musste, wurde die skulpturale Jahresschau 2016 dann mit Garten und Zwerge fortgesetzt. Als alleiniger Organisator führte Oswald regionale Künstler zusammen. Unter ihnen waren neben reinen Plastikern wie Frank Breidenbruch, Felix Baltzer oder Eckehard Lowisch und konzeptionellen Grenzgängern wie Renate Löbbecke oder Georg Janthur eine Vielzahl Künstler anderer Metiers, die sich dem experimentellen Reiz stellten, sich in dem ihnen sonst fremden Medium der Raumkunst zu versuchen, wie die Maler Dietrich Maus, Peter Caspary, James Rogers oder Rob de Vry.

Garten und Zwerge, 2016, 6. Skulpturenprojekt auf der Hardt, Michael Barth, Beate Koch, Dead end - oder ein Ende ist auch ein Anfang

Nachdem er einige meiner Reden und Vorträge über Kunst und Künstler gehört hatte, kam ich seinem Wunsch nach einer ästhetisch-theoretischen Begleitung des Projektes seit Mikado mit Essaybeiträgen in den Begleitpublikationen gerne nach. Mitten in den Vorbereitungen zur diesjährigen 7. Folge starb Oswald Gibiec-Oberhoff Anfang des Jahres völlig unerwartet. Ihr Thema sollte sein, was Oswald in seinen Frankreich-Jahren für sich selbst entwickelt hatte, die Verwandlung von Fundstücken in Gebilde eigenen ästhetischen Wertes.

Garten und Zwerge, 2016, 6. Skulpturenprojekt auf der Hardt, Renate Löbbecke, Homunculus Hortus L.

Die Initiative, das Projekt fortzusetzen, fand im Atelierund Galeriekollektiv einen erprobten und denkbar zuständigen Partner, sodass ein Kuratorenteam gebildet werden konnte, von dem das Projekt künftig ausgerichtet wird: im Bewusstsein der Kontinuität, mit einem Konzept, das den mit der erreichten Tradition gewachsenen Anforderungen an Qualität und Anspruch Rechnung trägt. Die diesjährige Schau ist dem Thema Gebraucht gewidmet, wie Oswald es vorgesehen hatte. Sie versammelt diesmal wieder überwiegend Künstler, deren Hauptarbeit die Plastik ist, die in der Region leben, deren Arbeit aber nicht ausschließlich lokal gebunden ist. Mit ihren Beiträgen stellen sich die Künstler dem ästhetischen Problem, das unsere Zivilisation aufwirft, indem sie unter den Anreizzwängen des Konsums immer mehr Dinge produziert, die immer überflüssiger sind und immer schneller zu Müll werden. Kaum in Gebrauch genommen, werden sie aufgegeben. Sie folgen dem Impuls, in Dingen, die bestimmt sind, Müll zu werden oder es bereits wurden,

Fundstück-Objekte von Oswald Gibiec-Oberhoff. Zu sehen in einer Sonderschau

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Stephan Marienfeld, Titel: Dislike, 2017, Material: Polyester, Seil, Lack, Gewicht: ca. 7kg

Formen eigenen Wertes und neuer Inhalte zu entdecken und zu präsentieren – dem zivilisatorischen Verschleiß ästhetische Dauer entgegenzusetzen: aus Nicht-Mehr-Gebrauchtem etwas zu machen, das anders gebraucht werden kann. Zwölf Künstlerinnen und Künstler sind unserer Einladung gefolgt: Felix Baltzer, Bodo Berheide, Jaana Caspary, Peter Caspary, Georg Janthur, Bartek Juretko, Gisela Kettner, Peter Klassen, Hubertus Knopff, Eckehard Lowisch, Martin Smida und Stephan Marienfeld.

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In einer Sonderschau ist eine Auswahl der Fundstück-Objekte von Oswald Gibiec-Oberhoff zu sehen, die das diesjährige Thema inspirierten, seine Spuren aus dem Médoc. Die Schau mag zeigen, dass es weder vermessen noch überflüssig ist, ein derartiges Projekt in der Stadt dauerhaft durchzuführen, die mit dem Skulpturenpark Tony Craggs eine Heimstatt der Raumkunst von Weltrang besitzt. In der Nachbarschaft zu diesem Maßstab ist es umso spannender, zu entdecken und zu erproben, was es auch außerhalb des Kulturhochbetriebs an skulpturalen künstlerischen Einsätzen gibt. Andreas Steffens


Abbildung Felix Baltzer: Ohne Titel, 2017, Pflanzentransportpaletten, Kunststoff, 175 x 55 x 75 cm

Gebraucht Verwandlungskunst und Menschenschutz Wer würde nicht gerne gebraucht, am liebsten von dem einen anderen, der dem eigenen Leben Sinn und Halt gibt. Was im Gefühlsgebraucht 7. Skulpturenprojekt im Botanischen Garten Wuppertal Eröffnung: Sonntag, 2. Juli 2017, um 11 Uhr Die Ausstellung läuft bis Ende Oktober 2017. Botanischer Garten, Elisenhöhe 1, 42107 Wuppertal skulpturenprojekt-hardt.de Eine Ausstellung des Atelier- und Galeriekollektivs e. V. in Kooperation mit dem Verein der Freunde und Förderer des Botanischen Gartens Wuppertal e. V.

leben der Privatmenschen als Erbe der Romantik idealisch fortgeträumt wird, ist in ihrer gesellschaftlichen Existenz, die zur wirtschaftlichen schrumpfte, längst harte Wirklichkeit. Von einer Kulturkritik, die Gesellschaft als Bewährungsfeld der Freiheit noch ernst nahm, vor 40 Jahren vorhergesagt, bemerkt der „homo oeconomicus“ kaum noch, dass er gebraucht wird, ohne mehr wichtig zu sein. An ihm selbst vollzieht sich nun das Schicksal der Dinge, die er herstellt. Der Nutzen der Arbeit für andere verzehrt ihren Wert für einen selbst. Arnold Gehlens böser Satz von den Institutionen, die die Menschen „konsumieren“, hat sich als prophetisch bewährt. 23


Die Krankheiten, die keine sind, nehmen zu. Irritationen, Störungen, Verunsicherungen. Die Allergien und Neurosen. Infarkte ohne Ursachen, aber mit tausend Gründen. Wir erfahren zu viel, ohne noch Erfahrungen zu machen. In ständiger Aufnahmebereitschaft ohne Aufmerksamkeit hasten wir von Reiz zu Reiz, ohne Körper, Geist und Seele Zeit zu geben, sie wirken zu lassen. Im Luxus schwelgend, von Armutsangst bedrängt, sind wir stumpf vor Überreizung. Öde der Genuss. Entstellt von Überdruss und Furcht: Wird es gelingen, nicht zu scheitern im Kampf aller gegen alle um die abnehmenden Sonnenplätze im weltweiten Krieg Oben gegen Unten?

Wie in allem, was einem allgemeinen Bewusstsein an Einsicht zu gewinnen bevorsteht, sind auch hier die Künste die Avantgarde. In der neueren Kunstgeschichte ist das „Fundstück“ nicht erst seit Picassos Fahrradlenker-Stier Rohstoff der plastischen Imagination. Das Emblem der Avantgarde schlechthin, Duchamps Urinoir, ist lange nur gesehen worden als zynische Travestie des Kultes der bürgerlichen Gesellschaft um die Kunst, der verhindert, dass wirkt, was an ihr wirklich Kunst ist. Durch die Erklärung von Nichtkunst zu Kunst sollte die Nichtkunst an der Kunst unter den Umständen ihrer gesellschaftlichen Beachtung, die eine Nichtbeachtung war, hervortreten.

Der Kreislauf aus Produktion und Konsum vernichtet nicht nur die Rohstoffe, er verwandelt zuletzt die gestalteten Dinge selbst immer schneller in Müll. Kaum eine Saison halten sie noch. Ihr Verfall ist ihnen eingebaut. Programmiert. Am Abfall, an der überwältigenden Masse der funktionslos gewordenen Dinge wird die in ein System von Fabrik und Markt verwandelte Welt ersticken. So wird es zur letzten Aufgabe der Kultur, diese Sintflut von Abfällen wegzuheben (Serres, Übel, 79). Die Kultur der Zukunft wird eine der Rückverwandlung von Müll in Nutzen sein müssen.

Heute wird bemerkbar, dass in diesem Akt negativer Affirmation mehr steckte. Die Rettung der Dinge davor, nichts als Abfall zu werden, enthält schon die Ahnung von der Übertragung dieses Schicksals auf die Menschen selbst, die es den Dingen achtlos auferlegen.

In den Sklaven der Dinge, die beginnen, sie zu überwachen und zu steuern, keimt die Angst, es könne ihnen ergehen wie diesen: kaum hergestellt, schon vernutzt. Der Übergang vom Überfluss zur Überflüssigkeit ist winzig und geschieht im Handumdrehen. Die Pflicht zur Mülltrennung zeigt an, dass das Zerstörungssystem der Vernutzung aller Dinge fast vollendet ist. Noch im Krieg begonnen, hat sich die finstere Vision vom Kreislauf zweier Welten, in dem diese zerstört, was jene herstellte, und das hier Zerstörte dort zum Rohstoff neuer Produktion wird (vgl. Hermann Kasack in seinem 1949 veröffentlichten Roman „Die Stadt hinter dem Strom“), dem Prinzip nach verwirklicht. Nur dass es keine Elendswelten, sondern Scheinparadiese wurden, die so strahlend und heimelig wirken, dass die Hölle, die sie bilden, unbemerkt bleiben kann. Das Gesetz der neuen Weltordnung ist die beschleunigte Verkürzung der Gebrauchszeit. Was für die Dinge die Mülldeponie, ist für ihre Sklaven das Jobcenter. Gestern noch gebraucht, heute überflüssig als Kostenfaktor. Verdinglicht, verwaltet, verbraucht, vernichtet. Nur die Übertragung des letzten Schritts aus der Ding- in die Menschenwelt hat noch nicht stattgefunden, nachdem er in den Lagern einer Politik der Vernichtung „unerwünschten“ Lebens bereits einmal erprobt worden ist. 24

Der Surrealismus hat im geborgenen Fundstück das letzte wesentliche Medium gesehen, das Zugang zu einer Wirklichkeit öffnet, die dem Bewusstsein in eben dem Grad entrückt, in dem sie zum Ergebnis von Gestaltung und Herstellung wird. Das objet trouvé stellt formal nichts anderes dar als die nicht mehr unter Mitwirkung der gestaltenden Hand, sondern allein vom Auge vollzogene Wahl erlebnisauslösender vorgegenständlicher Strukturen im Sinne eines vom Auge gelenkten Zufalls. Im objet trouvé wird die Dingwelt also in einem unmittelbaren malerischen Rückführungserlebnis auf die elementar-sinnliche Erlebnisschicht erfahren (Kellerer, 20). Heute wird allmählich sichtbar, dass diese Rückgewinnung von Wirklichkeit durch Aufmerksamkeit für die Wirklichkeit des Menschlichen selbst zu leisten ist. Der Künstler, der sich das Ding aneignet, dessen Funktionsverlust es zum Abfall machte, und ihm eine neue Gestalt eigener Würde verleiht, indem er es zum wirklichen Gegenstand der Imagination macht, die es in seiner verwahrlosten Form der Funktionslosigkeit kraft der Form, die es als Erinnerung bewahrt, in dem weckt, der es aus dem Haufen Müll befreit, in dem es zu verschwinden droht, erbarmt sich des Sinns der Dinge: als unsere Geschöpfe uns zu einem Leben zu verhelfen, das wir selbst allein als misslungene Geschöpfe einer gleichgültigen Natur nicht haben können. Wie wir zu den Dingen stehen, die uns repräsentieren, entscheidet, wie wir selbst sein können.


Und diese, von Hingang lebenden Dinge verstehn, daß du sie rühmst; vergänglich, / traun sie ein Rettendes uns, den Vergänglichsten, zu (Rilke, Elegie IX, 40) In prophetischer Vorwegnahme, ist Rilkes Bild einer doppelten Übertragung aus der neunten seiner Duineser Elegien von 1923 eine poetische Markierung der Schwelle, auf der unsere Zivilisation zwischen Weltbeherrschung und Selbstzerstörung heute balanciert. Die selbstverständliche Missachtung der Dinge ist die Rückseite der Selbstverachtung des Menschen, die sich in den Kriegen am offensten zeigt, aber nicht nur in ihnen wirkt. Zuletzt wird der achtungslose Produzent in seiner doppelten Hamsterradrolle des Herstellers und des Nutzers selbst überflüssig in einem Gesellschaftssystem, das ausschließlich nicht mehr den Bedürfnissen des Lebens, sondern der Logik einer Ökonomie dient, die alles Können in Geiselhaft nimmt für die Bereicherung in dem Krieg, den die Reichen der Welt den Armen erklärten. Je länger wir uns den Zwängen einer frenetischen Wachstumsideologie beugen, die weltweit zu einer blühenden Konjunktur sozialer Ungerechtigkeit führt, desto mehr werden die Grenzen zwischen Mensch und Müll verwischt (Trojanow, 28).

Die ästhetische Rückverwandlung eines entfunktionalisierten Dinges in einen gestalteten Gegenstand schöner Wahrnehmung eigenen Daseinsrechtes ist ein Stück Pionierwesen zu einer künftigen Weltkultur der Rettung nicht nur der Welt vor dem Müll, sondern der Menschen davor, sich selbst zu Müll zu machen. Sie wird nur aus Praktiken der produktiven Verwandlung entstehen. Die ästhetische Rettung der Dinge ist ein Vorspiel zur fälligen Überwindung einer Zivilisation, die vor der Zerstörung ihrer Angehörigen nicht mehr Halt macht. Die künstlerische Praxis eines anderen Gebrauchs des Verbrauchten wird zum Modell einer Praxis des Menschenschutzes. Andreas Steffens Literatur Kasack, Hermann, Die Stadt hinter dem Strom. Roman, Ffm 1949 Kellerer, Christian, Objet trouvé und Surrealismus. Zur Psychologie der modernen Kunst, Reinbek 1968 La Mettrie, Julien Offray de, Über das Glück oder Das höchste Gut (1748-1751), Nürnberg 1985 Rilke, Rainer Maria, Duineser Elegien. Die Sonette an Orpheus (1923), Ffm 1996 Serres, Michel, Das eigentliche Übel. Verschmutzen, um sich anzueignen? (2008), Berlin 2009 Steffens, Andreas, Werkzeuge für die Werkstatt des Lebens. Schärfung einer Da-

Alles Handeln will Zerstörung, selbst das produktive. Ausgenommen von diesem anthropologischen Gesetz ist ausschließlich die Produktivität der Künste, die verwandeln, indem sie in die Bestände der Welt greifen, um sich ihre Materialien der Gestaltung anzueignen.

Saitenspiel So. 15.10.2017, 18.00 Uhr

seinsmetapher, in: ders., Gerade genug. Essays und Miniaturen, Wuppertal 2010, S. 63-75 Steffens, Andreas, Rettung des Banalen, in: Daniel Spoerri, Katalog 3, Antiquariat Querido, Düsseldorf 2012 Trojanow, Ilija, Der überflüssige Mensch, Salzburg 2013

…mit Joseph Haydn und Sofia Gubaidulina

in der Historischen Stadthalle Wuppertal

So. 03.12.2017, 18.00 Uhr

Passions-Wochenende 2018

Joseph Haydn: Streichquartett F-Dur op. 77/2

Fritz Kreisler: Streichquartett a-moll

Sa. 17.03. und So. 18.03.2018 Streichquartette von

Samuel Barber: Streichquartett h-moll op. 11

Karl Weigl: Streichquartett Nr. 5 G-Dur op. 31

Aribert Reimann: Adagio

Joseph Haydn: Streichquartett B-Dur op. 76/4

Robert Schumann: Streichquartett F-Dur op. 41/2

Artis-Quartett Wien

Joseph Haydn Sofia Gubaidulina Johann Sebastian Bach Claude Debussy Dmitri Schostakowitsch Franz Schubert Peter Tschaikowsky

Schumann Quartett

Klenke Quartett Prisma Quartett Auryn Quartett

Alle Saitenspielkonzerte 2017/2018: VVK: KulturKarte • Tel. 02 02.5 63 76 66 • Veranstalter: Historische Stadthalle Wuppertal GmbH • Mit freundlicher Unterstützung von Detlef Muthmann

www.saitenspiele.eu

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Nordbahntrasse, Bahnhof Mirke, Foto: Antje Zeis Loi

KulturTrasse 2017 Wuppertal feiert seine vielfältige Kulturszene Ein sonniger Sonntagmorgen an der Nordbahntrasse auf Höhe des Mirker Quartiers: Von den Bänken der benachbarten Bäckerei lässt sich bei Kaffee, Croissant und Radio Wuppertal vortrefflich das frühe Treiben auf der Trasse beobachten. Ein bunter Strom aus Rad-

Heigermoser, gut: „Alle waren sofort begeistert, mit einem ,22 km-Festival‘ zwei Wuppertaler Stärken - die Nordbahntrasse und die Kulturszene - miteinander zu verbinden. Die Planungen begannen, und aus dem ,22 km-Festival‘ wurde die KulturTrasse 2017.“

fahrern, Joggern, Inlineskatern, Familien, Flaneuren, Hundebesitzern und Longboardern fließt an den Schauenden vorbei. Ein Gefühl von Urlaub und Weite liegt in der Luft.

Für das neue Kunst- und Kulturfestival konnten die Veranstalter viele renommierte Künstlerinnen und Künstler der Stadt gewinnen, wie das Sinfonieorchester Wuppertal, das Pina Bausch Tanztheater, die Lichtkünstler RaumZeitPiraten, den Autor und WDR-Programmchef Jochen Rausch, Peter Brötzmann, das Royal Street Orchestra oder die Sängerinnen Brenda Boykin und Anna Luca mit dem Club des Belugas. Darüber hinaus erhält die Umsetzung der KulturTrasse breite Unterstützung von öffentlichen Förderprogrammen, Wuppertaler Firmen und Privatleuten.

Nichts hat den Wuppertalern in den letzten Jahren mehr Lebensqualität geschenkt als dieser aus einer Bürgerinitiative geborene Freizeitweg auf der ehemaligen Eisenbahnstrecke. Wie ein Fluss zieht er sich über Wuppertals Höhen, verbindet Stadtteile und Menschen, schafft ungeahnte Perspektiven und viel Raum für Gestaltung. Hier ein kleines, verstecktes Mosaik, dort ein Storch aus Pappmaschee, ein farbig umstrickter Pfahl oder ausgefallene Graffiti. Wer genau hinschaut, findet überall Hinweise für eine weitere Kraft Wuppertals: eine lebendige, vielfältige Kunstszene, die häufig in ehemaligen Industriebauten entlang der Trasse zu Hause ist. Dass sich Nordbahntrasse und die heimische Kulturszene gegenseitig bereichern können, empfanden auch die Beteiligten von 2025 – Perspektiven für Wuppertal und riefen die Idee eines Kulturfestes an der Nordbahntrasse ins Leben. Eine Idee, die das Kulturbüro in Zusammenarbeit mit der Marketing Gesellschaft und der Bergischen Musikschule aufnahm und derzeit umsetzt. An den Anstoß des Projekts erinnert sich die Leiterin des Kulturbüros, Monika 26

Somit fiebern und arbeiten alle gemeinsam auf den Spätsommertag des 2. Septembers 2017 hin, an dem sich die Besucherinnen und Besucher über die KulturTrasse treiben lassen und an den vielen Stationen entlang der Strecke anlegen können. Dabei konzentrieren sich die über 70 Veranstaltungen auf drei Quartiere: den Bahnhof Vohwinkel, das Mirker Viertel und Wichlinghausen. Konzerte, Ausstellungen, Theater, Tanz, Performances und Lesungen sind an ungewöhnlichen Orten bei und zwischen den KulturTrasse-Zentren erlebbar, darunter Schulen, eine Skaterhalle, Kirchen, Bahnhöfe, Container, Treppen, Tunnel und ein Ort im Nirgendwo unter einer Autobahnbrücke. Ein überraschender und spannender Veranstaltungsort mit geheimen und neu zu entdeckenden Räumen ist sicherlich der Bahnhof Vohwinkel.


Der „Detroit Faktor“ in der Kunststation im Bahnhof Vohwinkel An Bahnhöfen beginnen

Kunststation Tunnel, Foto Uli Kopka

bekanntlich viele kleine und große Geschichten. Wie die am ersten Samstag im September, wenn der Bahnhof Vohwinkel derjenige Bahnhof ist, über den Besucher direkt zur KulturTrasse 2017 anreisen können und dort unmittelbar von großem künstlerischen Potenzial mit spektakulären, absurden, humorvollen und duftenden Arbeiten und Projekten empfangen werden. Obwohl der Vohwinkler Bahnhof der einzige an der Nordbahntrasse ist, der seiner alten Bestimmung folgt, ist auch hier der Wandel dank des Projekts Bürgerbahnhof e. V. seit Jahren spürbar: Mit Ausstellungen in der zur Kunststation umgenutzten alten Expressgutabfertigung, den Konzerten und der Kleinkunstbühne BÜBA in der ehemaligen Bankfiliale oder Chorproben im alten Wartesaal. Seit 2014 hat hier auch der Bildhauer Eckehard Lowisch seine Wirkungsstätte gefunden und leitet mit seiner Frau Tine ehrenamtlich die Kunststation, als eine seiner Wirkungsstätten. Im gleichen Jahr kamen bei der Sanierung des Bahnhofvorplatzes bis dato unbekannte Nischen zum Vorschein. Außenraum, den Eckehard Lowisch mit seinen organisch anmutenden Marmorskulpturen bis heute füllt. Auf dieses Projekt bezieht sich das vom Kuratorenteam Lowisch entwickelte Ausstellungskonzept zur KulturTrasse: Der Detroit Faktor. Hierfür steht die gleichnamige US-amerikanische Stadt Pate, die dem industriellen Wandel und wirtschaftlichen Niedergang mit unerschöpflicher kreativer Kraft begegnet. Parallelen zu Wuppertal sind da für Bildhauer Lowisch klar erkennbar: „Leerstand ist Freiraum, das ist unser Credo. Er bietet Künstlern Möglichkeiten zur freien Entfaltung.“ In diesem Frei-Raum des historischen Gebäudes entfaltet am 2. September Der Detroit Faktor seine Kraft und greift die fortwährende Wandlung des Bahnhofs von einem „anonymen, tristen Transitraum, der von Leerstand und Vandalismus geprägt war, zu einem Ort mit erlebbarem kulturellem Wert auf“ (Erik Schönenberg). Zehn Künstlerkollegen reflektieren Lowischs 5Nischenprojekt als ein Beispiel für eine prozessuale, sub-

urbane Intervention im öffentlichen Raum. Literatur zum Hören und Sehen bieten die performativen Lesungen von Andreas Steffens, Michael Zeller und Max Christian Graeff in der kathedralenartigen Schalterhalle. Großstadtparfum verströmt Destillat Wuppertal - Wie riecht unsere Stadt? -, ein olfaktorisches Experiment des Künstlerkollektivs RaumZeitPiraten, das die Essenz der Stadt erkundet. Die Destille wird im Foyer der Kunststation als begehbare Rauminstallation in Szene gesetzt. In der Ausstellungshalle der Kunststation sind Bilder, Installationen, Objekte und Videoprojektionen von Andreas M. Wiese, Michael Baudenbacher und Eckehard Lowisch zu sehen. Eine interaktive Außeninstallation von Heinrich Weid bereichert den Atriumgarten. Den Gehörsinn fordert eine spektakuläre MultimediaSound-Installation von Oliver Gather im 40 Meter langen Gewölbe des ehemaligen Gepäcktunnels. Dorthin überträgt der Künstler das nächtliche Fieldrecording einer Bahnbrache. Die unerbittlichen, echolotartigen Signalrufe einer Nachtigall bestimmen den Raum und laden ein, die romantischen Interpretationen dieses Gesangs neu zu hören und zu bewerten. Eckehard Lowisch, 5Nischenprojekt, Foto Süleyman Kayaalp

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Noch mehr Genuss für die Ohren außerhalb des Detroit Faktors, aber im Bahnhof bieten die Konzerte auf der Bühne im ehemaligen Wartesaal. Das Ort Ensemble, bestehend aus Wolfgang Schmidtke, Jan Kazda, Maik Ollhoff, Pia Allgaier und dem aktuellen Von der Heydt Förderpreisträger Roman Babik, bietet feinsten Free Jazz. Weitere Highlights sind die Sets von Jonas David mit seiner Band und der Jazz Big Band der Bergischen Musikschule. Als satirisch abrundendes Bonbon moderiert Kabarettist Jürgen H. Scheugenflug hier seine Comedyshow. Das umfassende Programm im Vohwinkler Bahnhof lädt sicherlich zum Verweilen ein. Doch der Weg über die KulturTrasse hin zu anderen Stationen lohnt sich. Zum Beispiel bis zum östlichen Ende der KulturTrasse nach Wichlinghausen, wo Musik und junge Kultur im Fokus stehen. Junge Kultur im bowl der Wicked Woods und ein Jugendfilmfest unter der Autobahnbrücke. Frisch, unkonventionell und manchmal auch wild präsentiert sich Wuppertals junge Szene auf der KulturTrasse 2017 im Quartier Wichlinghausen und unter der Autobahnbrücke bei Varresbeck beim Filmfestival des Medienprojekts. Nachwuchsschauspielerinnen und Schauspieler, Tänzerinnen und Tänzer, aufstrebende Bands rocken die Jugendkulturbühnen in der Wicked Woods, wo sonst Skateboarder, Scooter- und BMX-Fahrer mit ihren Stunts das ehemalige Industriegebäude vermessen. Um Gestaltung und Wahrnehmung von Raum geht es auch bei der Abschlusspräsentation des Performance-Labors aus dem Sommerferienprogramm des Kulturrucksacks 2017. Licht und Ton, Musik und Tanz lassen die 10- bis 14-Jährigen in der Bowl mit einer glühenden Landschaft aus purer Fantasie verschmelzen. Mit Grenzen, deren Verschiebung und Überwindung setzen sich die jungen Darsteller im Stück des Wuppertaler Kinder- und Jugendtheaters „Krieg, stell Dir vor, er wäre

hier“ auseinander. Eigene Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung bringen junge Zugezogene mit ein. Ebenfalls nicht leichtfüßig, dafür von erhebender Melancholie ist der Sound der drei Wuppertaler Jungs von Darjeeling. Post-Kraut nennt die exzellente Liveband ihre kompromisslose Musik. Top Act des Abends in der Wicked Woods sind Uncle Ho. Als eins der international erfolgreichsten Indie-Exporte made in Wuppertal starteten Uncle Ho in den 90ern als Schülercombo. Heute stehen sie nicht nur ewig jung geblieben auf der Bühne, sondern sind auch in der Nachwuchsförderung aktiv. Sowohl live in der Bowl wie im Videocontainer des Wuppertaler Medienprojektes spielen der gleichnamige Film und die Performance „Wicked Woods“ von Tanzrauschen e. V.. Paul White vom Tanztheater Wuppertal erarbeitete im Frühjahr 2017 zusammen mit der lokalen Skater-, Scooterund Bladerszene einen kurzen Tanzfilm, der von der Wuppertaler Dokumentarfilmerin Kim Münster gedreht wurde. Im Container flimmert auch die erste Staffel der Mysteryserie Wishlist des öffentlich-rechtlichen Onlinekanals funk über die Leinwand. Die aus Wuppertal stammenden Filmemacher wurden dieses Jahr sowohl mit dem Grimme Preis und dem Deutschen Fernsehpreis gekürt. Erste Sporen verdienten Regisseur Marc Schießer und der Autor der Serie, Marcel Becker-Neu, als Teilnehmer des Wuppertaler Medienprojekts, das immer wieder erfolgreiche Nachwuchsfilmer hervorbringt. Noch mehr vom Medienprojekt ist beim Festival unter der Varresbecker Autobahnbrücke zu sehen. Hier wird es unter dem Titel „Tal der Toten“ mit Horrorfilmen gruselig zugehen. Neben den schaurig-schönen Kurzfilm-Premieren gibt es hier auch Interessantes auf die Ohren mit Livemusik von Happy Horsemen, Grim van Doom und dem DJ-Team Holodeck. Wicked Woods, Foto: Antje Zeis Loi

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Ein Standortwechsel auf der KulturTrasse lohnt sich also nicht nur für junge Kulturfans zum Beispiel ins Mirker Quartier. Mit der großen Livebühne, Tanz im Café Ada, Literatur in der Hebebühne, Theater im Gold-Zack-Gebäude, dem Theaterfest der Bühnen und vielem mehr wird dieser Trassenabschnitt sicherlich zum Epizentrum und Publikumsmagnet der KulturTrasse.

Trockenblumen, ASL-AK und der Schockomanie von Caroline Keufen.

Das Café Ada mit seinem industriellen Charme präsentiert das, für das es seit Jahrzehnten steht: den Tanz – modern, klassisch oder auch traditionell. Im unteren Saal sind europäische Volkstänze und Tango erlebbar. Nicht nur zu jiddischer Folklore darf mitgetanzt werden. Der obere Saal beherbergt das zeitgenössische Tanztheater. Unter dem Namen Peculiar Man zeigen Jan Möllmer und Tsai-Wei Tien ihre fantasievollen Arbeiten. Über den Kampf eines Mannes mit sich selbst erzählt der Tänzer Damiano Ottavio Bigi in seinem Solo Ciudadela/Zitadelle. Moderner Tanz erster Güte findet auch in unerwarteter Umgebung statt: Das Pina Bausch Tanztheater zeigt erstmalig eine offene Probe unter freiem Himmel auf der Wiese am Wichlinghauser Bahnhof.

Utopiastadt, Foto: Antje Zeis Loi

Mirker Quartier Wichtiger Impulsgeber für die Kulturszene im Quartier ist der Mirker Bahnhof. Einst als direkte Konkurrenz zum Hauptbahnhof Döppersberg erbaut, versank er in Bedeutungslosigkeit und Verfall, bis ihm eine Schar von Utopisten zu neuer Größe verhalf. Heute ist der Mirker Bahnhof mit dem Reallabor Utopiastadt wieder Zentrum des aufstrebenden Stadtteils mit seiner gründerzeitlichen Architektur, dem San-Francisco-Feeling einiger Straßenfluchten und den vielen lebendigen Kulturorten, die alte Fabriken oder verlassene Werkstätten für Theater, Ausstelllungen, Konzerte oder Lesungen nutzen. So auch bei der KulturTrasse 2017.

Literatur, Tanz und Theater In der ehemaligen

Tankstelle und heutigen Hebebühne erwarten die Besucherinnen und Besucher Literaturlesungen mit WDRHörfunk-Chef und Grimmepreis-Träger Jochen Rausch, Krimischriftstellerin Christiane Gibiec oder dem Poetry Slammer und Kurzgeschichtenautor Sascha Tamm. Das Gold-Zack-Gebäude steht im Zeichen des Schauspiels: Das TalTonTHEATER präsentiert sich in den eigenen Räumen mit dem preisgekrönten Stück von William Gibson „Licht im Dunkel“, das TIC ist mit den Comedian Harmonists zu Gast, und unser bühnenaffine Oberbürgermeister Andreas Mucke spielt im Stück über Herrn Mockinpott. Im Bouldercafé im Bahnhof Blo darf über geistreichen Schabernack und Comedy geschmunzelt werden, mit den

Bahnhof Wichlinghausen, Foto: Gerd Neumann

KulturTrasse als MusikTrasse Im Mirker Quartier spielt auch die Musik, die an allen Orten der KulturTrasse eine große Rolle einnimmt. Mit dem Wuppertaler Sinfonieorchester und dem Vokalorchester Add-One, dem Opernchor der Bühnen und dem Club des Belugas auf der großen Livebühne oder mit dem Brötzmann Trio und der Kurrende in der Helmholtz-Realschule. Von dem großen Spektrum und der Qualität der lokalen Musikszene weiß auch Monika Heigermoser: „Wuppertal ist eine starke Musikstadt, und das spiegelt die KulturTrasse wieder.“ So ist es kein Wunder, dass das erfolgreiche Festival „Viertelklang“ mit seinem Konzept für das große Kulturfest Pate stand. Diese unerschöpfliche Vielfalt von Musik- und Kunstszene will die KulturTrasse nicht nur mit den Wuppertaler Bürgern feiern, sondern mit der ganzen Region und darüber hinaus. kulturtrasse.de, facebook.com/kulturtrasse2017/ Heike Müller-Buchbender 29


Christian Koch, Foto: Willi Barczat

Christian Koch Der Projektgeschäftsführer des Pina Bausch Zentrums im Gespräch mit Anne-Kathrin Reif Noch steht nicht fest, ob das Pina Bausch Zentrum im früheren Wuppertaler Schauspielhaus tatsächlich realisiert wird. Dennoch hat es seit Februar 2017 mit Christian Koch einen Projektgeschäftsführer. Anne-Kathrin Reif sprach mit ihm über seine Aufgaben und Ziele. Herr Koch, wie sieht ein typischer Tag für Sie aus? Da es noch keine Infrastruktur für das Pina Bausch Zentrum gibt, gibt es eigentlich noch keinen typischen Tag. Das ist alles noch sehr, sehr unterschiedlich, weil ich mich gerade mit so vielen unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften beschäftige. Verwaltungsintern, aber auch in der Kulturszene in- und außerhalb von Wuppertal, regional, national und auch international. Ich reise mit dem Zug nach Brüssel zu einem Festival, aber genauso sitze ich auch den ganzen Tag im Büro und bearbeite nur Akten. Es ist sehr viel in die Zukunft gerichtete Arbeit, die noch keinen klaren Zeitplan kennt. Worum geht es dabei hauptsächlich? Geht es schon darum, inhaltliche Vorstellungen und Visionen zu entwickeln, oder geht es erstmal darum, ob es das Ganze überhaupt jemals geben wird – also um die Frage, wo das Geld herkommt? 30

Das sind zwei Dinge, die an bestimmten Stellen natürlich miteinander zu tun haben, die man andererseits aber auch getrennt bearbeitet. Um erst mal über die inhaltliche Ebene zu sprechen: Es gibt ja ein klares und auch stimmiges Konzept von Stefan Hilterhaus, das hauptsächlich noch da weiterentwickelt werden muss, wo es um den Bereich der Bürgerbeteiligung geht. Seit das Konzept 2012 vorgestellt worden ist, haben wir in Wuppertal und in NRW so viel an positiven Praxisbeispielen erlebt, dass wir uns damit natürlich auseinandersetzen wollen und gucken, wie wir das Profil aus dieser Perspektive weiter schärfen. Die anderen „Säulen“ des Konzepts sind die Pina Bausch Foundation mit dem Archiv, das Tanztheater Wuppertal und ein Produktionszentrum. Genau. Wobei es zunächst einmal einfach klingt, wenn man sagt: Man macht ein Produktionszentrum für zeitgenössische darstellende Kunst, dort werden Bühnenwerke entwickelt. Aber der Begriff ist bei genauerem Hinsehen doch wesentlich unschärfer, als man so denkt. Man kann unter Produktionszentrum eigentlich alles verstehen, was in dem Haus so passiert. Von der Organisation eines Symposions über ein pädagogisches Programm für Kinder und Jugendliche bis hin zur Bühnenproduktion. Und auch da muss man natürlich schärfen, man muss sich überlegen:


Wie wird das organisatorisch hinterher gemacht? Wer ist dafür verantwortlich? – All diese Fragen sind noch nicht geklärt. Aber die werden wir auch erst abschließend klären, wenn wir wissen, dass wir das Haus tatsächlich bauen. Womit wir bei der Frage des Geldes wären. Wie sieht es damit aus? Der Rat der Stadt hat 2015 grundsätzlich beschlossen, dass er das Pina Bausch Zentrum gerne errichten möchte, aber er hat noch nicht die Durchführung beschlossen. Das ist der zweite Schritt, der voraussichtlich Ende des Jahres passieren wird. Der Konsens über die Parteien hinweg, dass man das Zentrum will, ist groß, dennoch braucht auch das eine inhaltliche Schärfung, das heißt eine Verbesserung des inhaltlichen Verständnisses bei den Entscheidungsträgern. Wir haben verschiedentlich Informationsveranstaltungen gemacht, müssen da aber noch mal deutlicher werden und deutlich machen, was das für ein Geschenk an die Stadt ist. Ein Geschenk, das aber auch Folgekosten nach sich ziehen wird. Das genau ist die Krux und das, was die Politik im Moment interessiert. Denn die Errichtung des Pina Bausch Zentrums - also die Kosten für den Umbau des Schauspielhauses -, das ist weitgehend geklärt. Der Bund hat sich verpflichtet, die Hälfte der Kosten von 58,4 Millionen Euro zu übernehmen, das Land und die Stadt, so sie denn die Durchführung beschließt, beteiligen sich ebenfalls. Dann fehlt ein relativ kleiner Teil, den wir über bürgerschaftliches Engagement und andere Dritte hereinbekommen wollen. Aber was kostet das Ganze eigentlich, wenn es erst einmal steht? Die Betriebs- und Folgekosten genau auszurechnen, daran arbeiten wir gerade noch. Ein Ergebnis wird es noch vor der Sommerpause geben, da werden wir die Politik darüber informieren.* Sicher ist ja wohl, dass man davon ausgeht, dass sich das Land NRW an diesen Kosten beteiligen wird. Hat sich durch den aktuellen Regierungswechsel beim Land an der Situation etwas geändert? Bisher war es ein parteiübergreifender Konsens, dass dieses Haus auch im Interesse des Landes gebaut wird und dass das künstlerische Erbe von Pina Bausch auch ein Erbe des Landes ist, das es zu pflegen gilt. Darauf verpflichtet hatte sich vor der Wahl nur die SPD in ihrem Wahlprogramm. Aber ich glaube, auch in den anderen Parteien gibt es ein großes Interesse an dem Projekt und eine große Übereinkunft

darüber, dass es gebaut werden soll. Wir müssen aber den politischen Konsens, den endgültigen Beschluss darüber noch herstellen. Mal abgesehen davon, dass mit dem Pina Bausch Zentrum das schöne, leer stehende Schauspielhaus vor dem Verfall gerettet würde – warum ist das Pina Bausch Zentrum gut für Wuppertal? Warum wollen Sie weiter dafür kämpfen? Also – ich fang trotzdem mal mit dem Gebäude an. Denn das Gebäude zu erhalten, liegt natürlich auch vielen Wuppertalern am Herzen – von denen manche dort allerdings am liebsten wieder Sprechtheater sehen würden. Allerdings ist das Gebäude auch in einer Zeit für Sprechtheater errichtet worden, als dieses eine gesellschaftliche Funktion hatte, die es heute nicht mehr erfüllt – weil es heute eher an der Konservierung von existierenden Bühnenwerken arbeitet. Es geht vielleicht an manchen Stellen darüber hinaus, aber da öffnet es sich auch schon zu anderen Künsten. Da, wo das Theater zeitgenössisch ist, da ist es nicht mehr reines Sprechtheater. Und an dieser Entwicklung hat Wuppertal in ganz entscheidender Weise mitgewirkt – nämlich indem die Stadt es ermöglicht hat, dass Pina Bausch ihr Werk hier entwickeln konnte. Wuppertal ist ein zentraler Ort für die Weiterentwicklung der Bühnenkunst gewesen. Pina Bauschs Werk ist gewissermaßen der Gradmesser, an dem wir das, was in dem Haus künstlerisch passieren soll, messen wollen – an Innovationskraft und gestalterischen Möglichkeiten. Das ist das eine, dass Wuppertal damit ein Zentrum für künstlerische Innovation gewinnt und damit in den Fokus einer internationalen Kulturöffentlichkeit gerät. Das andere ist, dass es unter dem Dach des „Bürgerforums“ einen nicht nur für Wuppertal sichtbaren Ort gewinnt, an dem das ohnehin stark vorhandene bürgerschaftliche Engagement einen Kristallisationspunkt bekommt, an dem sich das trifft mit anderen Orten in der Welt. Auch die Leute vom Mirker Bahnhof vernetzen sich mit Leuten auf der ganzen Welt, die ähnlich arbeiten, und machen eine tolle Arbeit. Aber dadurch, dass das in dem zukünftigen Zentrum künstlerisch fokussiert wird, gewinnt das eine andere Sichtbarkeit. Das ist ganz wesentlich. Die Stadt rettet die Immobilie und schützt ihr Renommee als Kulturstandort, aber sie gewinnt auch etwas ganz wesentlich Neues. Und das alles für relativ wenig Geld, das muss man ja auch einmal sagen. Für eine Stadt mit angespannter Haushaltslage ist es gleichwohl Geld, das man dann an anderen Stellen nicht 31


ausgeben kann. Und in NRW gibt es schon das choreografische Zentrum PACT Zollverein in Essen und das Tanzhaus NRW in Düsseldorf. Warum also jetzt noch das Pina Bausch Zentrum, wie hebt es sich von dem Vorhandenen ab? Auf vielen Ebenen. Das choreografische Zentrum und das Tanzhaus sind vor allem dem Tanz verpflichtet. Das Pina Bausch Zentrum wird darüber hinaus zugleich ein Forschungszentrum und ein Zentrum für Vermittlung und Weiterbildung, für gesellschaftlichen Austausch und für Produktionen sein – mehr als die anderen das können, weil sie sehr stark fokussiert sind auf tänzerische Ausbildung, auf Bühnenprogramm und Workshop-Formate. Das Pina Bausch Zentrum wird breiter aufgestellt sein. Und vor allem wird es natürlich immer auch als eine Art Gedenkort für die Kunst von Pina Bausch eine eigene Rolle spielen. Ein wichtiges Stichwort. Es heißt ja immer wieder, das Zentrum solle kein Pina-Bausch-Museum werden, sondern ein lebendiger, zukunftsweisender Ort. Zur geplanten Eröffnung 2024 wäre Pina Bausch 15 Jahre tot, es würde eine neue Generation von Tänzern und Publikum geben, für die Pina Bausch nur noch eine, wenn auch bedeutende, historische Figur sein wird. Ist 2024 nicht einfach zu spät für diese Vision des lebendigen Zentrums? Das hängt ganz stark davon ab, wie wir diese sieben Jahre mit Arbeit füllen werden. Wir haben ja vor, jetzt loszulegen. Wir wollen nicht warten, bis das Gebäude steht, sondern wir wollen sichtbar werden mit den Inhalten, die das Zentrum hinterher verkörpern wird. Die Pina Bausch Foundation arbeitet jetzt an solchen Projekten, das Tanztheater ist dabei, sich zu orientieren und zu gucken, was es heißt, als Tanztheater Wuppertal Pina Bausch auch Neues zu produzieren. Und das Bürgerforum wird anfangen, zu arbeiten und zu fragen, was bürgerschaftliches Engagement mit Pina Bausch zu tun hat. Das sind alles Fragen, die wir noch nicht in der Praxis beantwortet haben, aber das wird kommen. Gedächtnis ist nichts Starres, nichts, was in Stein meißelbar ist und was dann verwittert und vermoost – dann zerbröselt es irgendwann und ist weg. Gedächtnis muss man lebendig erhalten. Deshalb sind Gedächtnisorte immer Begegnungsstätten, pädagogische Zentren, Aufführungsorte. Das sind keine starren Orte der stillen Erinnerung wie Friedhöfe, sondern das sind aktive Zellen auch der Erneuerung von Perspektiven auf das Vergangene. Das ist zumal wichtig bei darstellender Kunst, weil die an sich ja schon flüchtig ist. Und das Pina Bausch Zentrum wird den Umgang mit solchen Formen der Erinnerung auch experimentell immer 32

wieder überprüfen. Das Besondere dabei ist ja, dass es im Werk von Pina Bausch selbst immer schon viele Hinweise darauf gegeben hat, wie man das machen kann. Das findet ja selbst in den Stücken statt. Die Stücke erinnern sich ja selbst an frühere Stücke, es gibt diese ganzen Querverweise. Auch in der Weise der persönlichen Erinnerung der Tänzer, die dann in die Stücke einfließt. Es gibt ganz viele Ebenen, auf denen man das direkt am Werk diskutieren kann, und das finde ich wahnsinnig spannend. So was wird dort stattfinden. Und das gewinnt dann wieder einen Modellcharakter für den Umgang mit darstellender Kunst, in Bezug auf die Arbeit an so einem geschlossenen Werk, das nicht mehr weiterentwickelt wird. Es geht also letztlich um kulturelles Gedächtnis, es geht darum, ein kulturelles Erbe von Weltrang auf die von Ihnen beschriebene Art lebendig zu halten. Welche Rolle spielt denn das Pina Bausch Archiv dabei? Das ist der Wissensspeicher des Ganzen, der natürlich auch zum Leben erweckt werden wird – und auch das wird total spannend sein. Das ist bisher noch wenig öffentlich sichtbar geworden, aber dem fehlt bis jetzt auch noch der öffentlich zugängliche Ort. Diese ganze Praxis der Erinnerung, das ist immer so: Man hat ein Objekt, und das Objekt ist dieser Erinnerungsort, der aufgeladen wird mit sozialer, kultureller, emotionaler Energie. Dafür muss man Situationen und Räume schaffen, in denen das stattfinden kann. Ich stelle mir vor: Man kommt zum Pina Bausch Zentrum angefahren mit der Schwebebahn, man kann da reingehen, und da ist ein Raum, in dem kann man sich solche Sachen vergegenwärtigen. Man kann da Teil dieses lebendigen Gedächtnisses werden. Und alles, was sonst noch da passiert, wird auch Teil dieses Gedächtnisses. Eine schöne Vision. Vielen Dank für das Gespräch. * Bei Drucklegung des Magazins war das Ergebnis noch nicht öffentlich.

Christian Koch, geb. 1971 in Bochum, studierte Geschichte, Literatur und Philosophie an der RUB. Nach Tätigkeiten u. a. als Buchhändler und Zeitschriftenredakteur wurde er Mitarbeiter beim Württembergischen Kunstverein in Stuttgart, wo er an der konzeptionellen Neuausrichtung des Hauses mitwirkte. Bevor er als freiberuflicher Manager für Choreografen und bildende Künstler tätig wurde, war er Geschäftsführer bei PACT Zollverein in Essen. Seine Mitarbeit beim Festival „PINA40“ brachte ihn als Geschäftsführer zur Pina Bausch Foundation, von wo aus er in seine jetzige Position wechselte.


Kaufhaus Michel/Letters from Wuppertal, © Jo Parkes und Sven O. Hill

Letters from Wuppertal Tanzrauschen 2017 Als nächstes großes Projekt von „Tanzrauschen“ e. V. für 2017 werden im Oktober im Rex die „Letters from Wuppertal“ Premiere haben. Unter der künstlerischen Leitung der Choreografin und Filmemacherin Jo Parkes entstehen derzeit in Zusammenarbeit mit Wuppertaler Bürgern, professionellen Tänzern, Choreografen, Filmemachern und Soundexperten Tanzfilme von je fünf Minuten Dauer. Postcards from Wuppertal/Kaufhaus Michel von 2015 war dazu der Auftakt: Während der Ausstellung von Jo Parkes’ Tanzfilmen entstand spontan die Idee zu einem Workshop mit interessierten Wuppertaler Bürgern. Von dieser Arbeit war die Choreografin so begeistert, dass in Zusammenarbeit mit „Tanzrauschen“ ein neues Projekt konzipiert wurde: Aus den Postcards sollen Letters werden. Jo Parkes möchte zeigen, was Menschen bewegt und was Tanz in Bewegung zu versetzten vermag. Wie bereits 2015 beim Pilotprojekt im Fahrenkamp-Haus am Wall werden interessierte Wuppertaler Bürger mit Parkes und ihrem Team an für Wuppertal typischen und bedeutsamen Orten Choreografien für die Kamera entwickeln. Kerstin Hamburg, Initiatorin von „Tanzrauschen“, ist es wichtig, dass es nicht um ein Abfilmen von Tänzen geht: „Die entstehenden Tanzfilme werden keine Dokumentation von Tanzworkshops sein, sondern ihr Publikum als eigenständige Kunstwerke herausfordern.“ „Dance on Screen“ heißt diese noch junge Kunstrichtung, die Tanz, Theater, Film, Körperkunst, mediale Techniken und Film miteinander verknüpft. „Tanzrauschen“ möchte die ungeahnten Möglichkeiten dieses Genres einem breiten Publikum erschließen und es für das neue Medium begeistern.

Mittlerweile scheint das gelungen, „Tanzrauschen“ ist zur Institution geworden. Dass aus den Postkarten nun Briefe werden, darf auch als Hommage an die Bürger der Stadt Wuppertal gesehen werden, die schon so oft bewiesen haben, dass sie künstlerischen Herausforderungen mit Aufgeschlossenheit begegnen. Für die Schirmherrschaft konnte „Tanzrauschen“ Oberbürgermeister Andreas Mucke gewinnen. Auch Wicked Woods wird nochmals im Rex zu sehen sein. Diesen Film haben Paul White und die Filmemacherin Kim Münster im April 2017 erarbeitet. Der australische Tänzer war unter anderem Mitglied des Ensembles von Tanja Liedtke und dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und hat in Sydney ein eigenes Festival für „Dance on Screen“ organisiert. Mit jugendlichen Skatern aus Wuppertal erarbeitete er in der Wichlinghauser Skaterhalle Wicked Woods eine Choreografie, in der Tanz und Sport eine poetische Symbiose eingehen. Die Kamera ist nicht statisch, sondern ihre Bewegungen sind ebenso eingebunden in die Choreografie wie der Schnitt, für den die Filmemacherin und der Choreograf gemeinsam verantwortlich zeichnen. Das rhythmische Auf- und Abschwingen der Skater wird zu schwingenden Wellenbewegungen, die das Rauschhafte dieser Sportart unmittelbar spürbar werden lassen und ihr ganz neue visuelle und emotionale Dimensionen abgewinnen. Marlene Baum Premiere der Tanzfilme „Letters from Wuppertal“ 12. Oktober 2017, 19 Uhr im Rex Filmtheater Kipdorf 29, 42103 Wuppertal www.tanzrauschen.de www.facebook.com/tanzrauschenwuppertal 33


2010 zeigen die Schülerinnen und Schüler des Tanzgymnasiums Essen Werden, darunter Joy, den Eltern in der Schulaula ihre erarbeiteten Tanzstücke.

Tanz als Lebensgefühl Joy Kammin – Porträt einer jungen Tänzerin

Wir treffen Joy vor der Generalprobe zu „As I collapse“ in einem Kopenhagener Café.

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Joy Kammin, 1994 in Wuppertal geboren und in Remscheid-Lüttringhausen aufgewachsen, kann sich ein Leben ohne Tanz kaum vorstellen. Bereits mit drei Jahren geht sie zum Kinderballett der „Tanzetage“ in Remscheid-Lennep. Ihr Talent erkennt die Ballettlehrerin sehr schnell. Zudem ist da eine für ihr Alter ungewöhnlich intensive Leidenschaft, mit der Joy die wöchentlichen Trainingsstunden besucht, sodass ihre Tanzlehrerin sie eines Tages beiseitenimmt und ihr nahelegt, Begabung und Passion unbedingt zu nutzen, um eines Tages den Bühnentanz zum Beruf zu machen. Das junge Mädchen ist von dieser Idee begeistert, und sie lässt es von da an nicht mehr los. So dauert es nicht lange, und sie bewirbt sich, gerade mal 13 Jahre alt, bei John Neumeiers Ballettschule in Hamburg um eine Audition. Die renommierte Tanzschule, wo Jugendliche aus aller Welt im Alter von 10 bis 18 Jahren für den klassischen Bühnentanz ausgebildet werden, lädt sie tatsächlich zum Vortanzen ein. Joy ist, und das hatte sie nicht anders erwartet, unter den weit über 200 abgelehnten Bewerberinnen und Bewerbern. Die Begründung des größten deutschen Choreografen lautet: „Joy, deine Oberschenkel sind zu dick.“ Diese im ersten Moment niederschmetternde Äußerung nimmt Joy jedoch nicht den Mut und vor allem nicht ihre Lust am Tanz. Sie trainiert zu dieser Zeit bereits mehrmals pro Woche an der Rheinischen Musikschule Köln. Ihre Tanzleidenschaft lässt sie die Strapazen vergessen, die sie durch die zeitraubenden Hin- und Rückfahrten von Remscheid-Lüttringhausen nach Köln auf sich nimmt, um dort eine intensive Pre-Education zu erfahren. Der baldige Lohn für ihr hartes Training ist die Hauptrolle in dem Stück „Der Weg“, mit dem sie sowohl in der Kölner Philharmonie als auch im Suzanne Dellal Center for Dance and Theater in Tel Aviv auftritt. Joy ist noch keine 16 Jahre alt, da hört sie, dass es in EssenWerden ein Gymnasium gibt, übrigens das einzige in Deutschland, das Tanz als Abiturfach anbietet. Zudem genieße diese Schule bundesweit einen sehr guten Ruf. Joy, immer durch ihre Eltern motiviert und von ihnen in allem liebevoll unterstützt, wechselt daraufhin ans Essener Tanzgymnasium. Hier lernt sie die zeitgenössische Tanzkunst kennen und ist sofort vom modernen Tanz begeistert. Diese Tanzform offenbart ihr endlich die facettenreichen und künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, nach denen sie unbewusst gesucht hatte.

Joy tanzt in dem Stück „Der Weg“ bei der Premiere in der Kölner Philharmonie die Hauptrolle.

Der Tanzwissenschaftler Johannes Odenthal sagte einmal dazu: „Der zeitgenössische Tanz versteht sich nicht auf der Basis nur einer Technik oder ästhetischen Form, sondern aus der Vielfalt heraus. Er sucht Grenzüberschreitungen zwischen den Künsten und bricht immer wieder mit vorhandenen Formen. Zeitgenössischer Tanz in diesem Sinne hat eine offene Struktur, die sich bewusst von festgelegten, linearen Entwürfen der Klassik und Moderne absetzt.“ Joy Kammin weiß sehr wohl, dass sie erst am Anfang eines steinigen Ausbildungswegs zur modernen Bühnentänzerin steht. Ihren arbeitsintensiven Weg begleiten Choreografen wie Claude Galotta und Ed Wubbe. Sie ermöglichen der jungen Schülerin Auftritte in Frankreich, Polen oder auch Norwegen, wo sie beim Eurovision Young Dancers Contest mit einem von Erika Winkler (tanzhaus nrw) choreografierten Solostück Deutschland vertritt. Eine Auszeichnung, die sie alle Strapazen schnell vergessen lässt. Das Fach Bühnentanz studiert Joy Kammin ab 2012 an der University for the Arts (Codarts) in Rotterdam, wo sie 2016 mit dem Bachelor erfolgreich abschließt. Während dieser Zeit erlernt sie durch intensive Tanzarbeit unterschiedlichste Techniken und hat zudem nicht nur die Chance, bei großartigen Choreografen wie Jiri Kylian, Marina Mascarell, Jan Martens und Felix Landerer Workshops zu belegen, sondern auch deren Choreografien in den Niederlanden, Deutschland und Italien zu zeigen. Ihr Traumberuf, auch wenn er immer wieder von körperlichen Grenzerfahrungen geprägt ist, geht damit in Erfüllung. Sie besucht Kurse der Vertigo Dance Company in Israel und nimmt an dem seit 2004 jährlich stattfindenden Deltebre Dansa Summer Festival in Spanien teil, wo sie mit 160 Tänzerinnen und Tänzern aus aller Welt intensiv zeitgenössischen Tanz probt. 35


Für „Da Capo - one Body, two Minds“ erhielt Joy Kammin 2016 in Turin den „Piemonte dal vivo Foundation Award“.

Joy Kammin wird 2015/16 Praktikantin bei Krisztina de Chatel und führt deren Choreografien „Walz“ und „Infinite“ auf. Außerdem sammelt sie im gleichen Jahr bei „Skanes Dansteater“ weitere Bühnenerfahrung. Als Höhepunkt ihrer jungen Karriere folgt eine Aufführung am Theater Nordhausen, wo sie im „ensemble art&fakt“ mit Olaf Reinecke (Bonn) in der mit überschwänglichem Applaus bedachten Inszenierung „Die Tänzerin von Auschwitz“ spielt. 2016 führt sie in Rotterdam beim 3. Flux Festival (Platform for Dance) ihre Choreografie „Da Capo – one Body, two Minds“ auf. Joy Kammin hat damit ein Stück erarbeitet, das auf der Annahme des Nicht-Eins-Seins beruht und sich mit Konflikten beschäftigt, die im Zwischenmenschlichen zu suchen sind, in der Gesellschaft und in der Auseinandersetzung mit sich selbst auftreten. Dabei wird die Bühne zum Projektionsort der inneren Konfliktsituationen. Für „Da Capo“ gewinnt sie im gleichen Jahr beim „Solocoreografico Torino“ den Piemonte dal vivo Foundation Award. Den vorläufigen Abschluss ihrer Tanzarbeit finden wir in dem von der dänischen Choreografin Tina Tarpgaard erarbeiteten Stück „As I collapse“, das in der Danshellerne in Kopenhagen am 22. März 2017 seine Premiere hat. Joy windet sich und kriecht mit vier internationalen Tänzerinnen 36

und Tänzern in feucht-glitzernden, schwarzen Ganzkörperanzügen, lumineszierenden Algen gleich, über die nur durch das weiße Oberlicht erstrahlende, punktuell farbig beleuchtete, ansonsten aber völlig schwarze Bühne. Es fasziniert, wenn Tina Tarpaard das TänzerInnenquintett auf durchscheinenden Luftkissen in einzigartig undulierenden und scheinbar ineinanderfließenden Bewegungen zu einem Ganzen werden lässt, der so entstandene Korpus sich dann wieder teilt, um zu eigenständigen Organismen zu werden. So werden die Zuschauer durch die eindrucksvolle Darstellung, die energetische Eindringlichkeit der kleinen Compagnie in die Welt der biolumineszierenden Flagellaten hineingezogen. Dass eine meisterhafte Technik die Voraussetzung für eine überzeugende, ja fesselnde Choreografie im Modern Dance darstellt, bleibt keinem der Besucher der an den drei Abenden ausverkauften Tanzvorstellungen verborgen. Am Ende werden die Protagonisten dieses modernen Tanztheaterstücks mit viel Beifall gebührend belohnt. Die Gesichter erstrahlen, verschwitzt, aber überglücklich. Joy verlässt schon bald darauf Kopenhagen, um bei der 11. Bonner Tanztheaternacht ihre Choreografie „Da Capo - one Body, two Minds“ zu präsentieren und danach für kurze Zeit in Lyon zu arbeiten.


Kopenhagen: Joy Kammin mit Nelly Zagora in dem Tina-Tarpgaard-Stück „As I collapse“.

Als ich sie Ende Mai zufällig in Remscheid-Lüttringhausen treffe, packt sie bereits wieder ihre Koffer, um nach Tel Aviv zu fliegen. Sie erzählt freudestrahlend, dass sie einen Jahresvertrag bei der Inbal Pinto & Avshalom Pollak Dance Company bekommen hat. Dort erwarten sie wieder neue tänzerische Herausforderungen, die in ihrer kurzen, aber intensiven Karriere den facettenreichen Bühnenalltag widerspiegeln. Einen Alltag, der vom Tanz geprägt ist und der daher ein Privatleben nur beschränkt zulässt. Das Reisen bringt sie mit vielen gleichgesinnten Tänzerinnen und Tänzern zusammen, eröffnet damit viele Freundschaften, die aber immer nur auf Zeit bestehen können, weil ihre Wanderung durch die Welt des Tanzes keine Verbindung auf Dauer erlaubt. Die zwischenmenschlichen Beziehungen zu ihren Kolleginnen und Kollegen sind, bedingt durch die häufigen Ortswechsel, daher speziell. Sie erlauben nicht die Intensität, das In-die-Tiefe-Gehen wie es einer ortsgebundenen Freundschaft eigen ist. Joy Kammin sagt, dass es ihr manchmal schon schwerfalle, wenn eine entstandene Vertrautheit durch Trennung wieder verloren gehe. Und doch berichtet sie im gleichen Augenblick, dass in den letzten Jahren ein ausgedehntes Netzwerk mit befreundeten

Tänzerinnen, Tänzern, Choreografinen und Choreografen entstanden sei, sodass man ihr an vielen Orten einen freundlichen Empfang und zugleich auch eine Unterkunft bereiten würde. „Wir sehen uns immer wieder, denn unsere Bühnenwelt ist dann doch klein.“ Und wie denkt Joy Kammin über eine Zeit nach dem Bühnentanz? Da hat Joy, auch wenn sie derzeit keinen Planungsbedarf sieht, mehrere Optionen. Tanz sei so vielfältig, sagt sie, dass sich ihr in Zukunft viele Möglichkeiten bieten würden, die den Wechsel aus dem aktiven Tanz zum Beispiel zur Gyrokinesis, zur Tanztherapie, zum Coaching oder zur Choreografiearbeit leicht machten. Bevor wir auseinandergehen, frage ich Joy Kammin noch, ob sie so etwas wie einen „größten Wunsch“ habe. „Ja, den habe ich“, antwortet Joy nach kurzem Nachdenken lächelnd, „aber den behalte ich für mich.“ Sie verabschiedet mich herzlich und verspricht, mir nach ihrer Rückkehr aus Tel Aviv über ihre Zeit mit der Dance Company zu berichten. Karl-Heinz Krauskopf Text und Fotos 37


Sommersonnenwende für das Wuppertaler Theater? Neustart für das Theater der Wuppertaler Bühnen unter Thomas Braus Mit dem von der Stadt Wuppertal neu beauftragten Intendanten Thomas Braus startet das Theater in die Spielzeit 2017/18. Die Intendanz von Braus startet mit der Bürde des Scheiterns seiner Vorgänger. Die kommenden Spielzeiten dürften zu Schicksalsjahren für die Theatersparte der Wuppertaler Bühnen werden. Scheitert Braus, könnte das das Aus der Theaterzeit in der Schwebebahnstadt bedeuten. Wuppertal konnte bereits auf eine große Theatervergangenheit zurückblicken, als Leo Kuck, ein ausgewiesener Fachmann für das Musiktheater, 2001 die Intendanz für Oper und Schauspiel übernahm. Dass Kuck das Sprechtheater weniger am Herzen lag, war spürbar, ein deutlicher Qualitätsverlust nach der Intendanz von Holk Freytag erkennbar. Freytag, für den das Theater sich immer auch mit den großen gesellschaftlichen und politischen Fragen auseinanderzusetzen hatte, verfolgte mit seinem Theaterprogramm eine Ästhetik des Widerstands und orientierte sich nicht zuletzt an Schillers Vorstellungen von der Schaubühne als moralischer Anstalt. Legendär waren die langen Theaternächte der Inszenierungen des Faust I und II. Vor Freytag hatte Arno Wüstenhöfer in den 60er- und frühen 70er-Jahren das Wuppertaler Theater zu einer der führenden Bühnen in Deutschland entwickelt. Er holte 1973 Pina Bausch nach Wuppertal und hielt an ihr fest, als der späteren Ikone des Ausdruckstanzes in den schwierigen Anfangsjahren ein heftiger Gegenwind entgegenblies: aus der Presse - insbesondere der heimischen Westdeutschen Zeitung - der lokalen Kulturpolitik und auch vonseiten des Publikums, das zum Teil verstört auf die damals neue Mischung aus Theater, Tanz und Performance reagierte. Wüstenhöfer hatte ein Gespür dafür, dass da etwas Großes wachsen könnte, etwas, das den Tanz als Kunstform neu definierte. Und er hatte die Statur und das Format gegenüber den Lokalpolitkern, an Pina Bausch festzuhalten und das Tanztheater dauerhaft zu etablieren. Auch mit seiner Unterstützung entwickelte sich Pina Bausch zu einer Ausnahmekünstlerin, die den Tanz neu erfand. 38

Blick zurück mit vielen Fragezeichen Die jüngere Vergangenheit des städtischen Theaters war gekennzeichnet von kommunalen Sparzwängen und halbherzigen Versuchen, an der Sparte Theater festzuhalten. Nach Kuck hatte man mit Cristian von Treskow einen leidenschaftlichen Theatermacher gefunden, der Inszenierungen auf die Bühne brachte, die zeitgemäß und für Teile des Publikums gewöhnungsbedürftig waren. Dabei brachte das kleine, aber feine Theaterensemble beachtliche und zum Teil sehr furiose Vorstellungen auf die Bühne: einen Macbeth etwa, bei dem Regisseurin Claudia Bauer unter der Intendanz von Christian von Treskow die Mitspieler des Ensembles in viele verschiedene Rollen schlüpfen ließ, um so die psychischen Wirkmechanismen von Machtgier, Wahnsinn, Narzissmus und erotischer Verstrickung freizulegen. Die Schauspieler brachten ein rasantes Tempo, viel Witz und Humor auf die Bühne, und doch gab es Momente, wo einem das Blut in den Adern stockte. Die äußerst präzise und aus dem Hier und Jetzt stammende Theatermusik, von dem Wuppertaler Musiker, DJ und Soundtüftler Charles Petersohn eingespielt, war das Zeichen dafür, dass von Treskow – von der Kulturpolitik so auch gewünscht - den Schulterschluss mit der freien Szene suchte. Allerdings wurde die mangelnde Auslastung der Theatersparte von der Stadt bemängelt und zum steten Zankapfel. Als der Graben, der sich zwischen von Treskow und den städtischen Kulturpolitikern und dem damaligen Oberbürgermeister Jung aufgetan hatte, unüberbrückbar wurde, kam Susanne Abbrederis, Theaterwissenschaftlerin und Chefdramaturgin des Volkstheaters Wien, ab der Spielzeit 2014/2015 als neue Intendantin nach Wuppertal. Und wieder gab es Zank aufgrund von betriebswirtschaftlichen Erwägungen. Abbrederis löste im Oktober 2016 vorzeitig ihren Vertrag; ein Gutachten hatte mehr Vorstellungen, vor allem im Opernhaus, bei gleichbleibender Ensemblestärke und eingefrorenem Etat angemahnt. Gerade noch knapp eine Million Euro pro Jahr hatte der Rat dem Theater zur Verfügung gestellt: zum Leben zu wenig, zum Sterben zu


Thomas Braus in „Die Hölle/Inferno“, Inszenierung: Johann Kresnik, Foto: Klaus Lefebvre

viel. Dabei hatte das Theater nach einem mutigen, aber verbaselten Start mit einer theatralen Inszenierung des Liederzyklus „Die schöne Müllerin“ von Franz Schubert Fahrt aufgenommen. Die Auslastung wurde langsam besser, und es gab sehenswerte Inszenierungen wie etwa Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ mit einem ausgezeichneten musikalischen Konzept und tänzerischen, an Pina Bausch erinnernden Einlagen, die die Wirkmechanismen der kapitalistischen Lebenswelt zeigten. Abbrederis entdeckte neue, zum Teil spektakuläre Spielorte in der „filmischen“ Stadt Wuppertal wie etwa den imposanten neoklassizistischen Bau des Vereinsheim der Bürgergesellschaft Concordia in Barmen, die kühlen Industriebauten der Riedelhallen auf der Uellendahler Straße und die Saaldecke in der Kuppel des Opernhauses. Hier inszenierte der berühmte österreichische Regisseur und Choreograf Johann Kresnik eine spektakuläre Textbearbeitung von Dantes „Inferno“ durch Thomas Braus. Er kam, weil Abbrederis beste Kontakte zu diesem Großmeister des Theaters hatte. Es scheint, als ob Abbrederis im Winter ihrer Intendaninnenzeit den Wuppertalern noch einmal zeigen wollte, wie hell der hiesige Theaterhimmel strahlen könnte.

Poetisches, imaginatives und magisches Theater: Visionen des neuen Theaterintendanten Im „Inferno“ hatte der als Schauspieler großartige Thomas Braus – seit 15 Jahren gehört er bereits dem Wuppertaler Schauspielensemble an – brilliert und die Höllenkreise Dantes als Spiegelkabinett der menschlichen Seele ausgeleuchtet. Nun wagt er sich in das Dickicht der Verflechtungen aus lokaler Kulturpolitik und Verwaltung, zwischen Wünschen nach einem hohen Auslastungsgrad, Zielgruppenorientierung und künstlerischer Qualität. Im Gespräch mit der Besten Zeit wirkt Thomas Braus wie ein Mann, der alle diese lästigen Fragen beiseiteschieben kann. Keine Frage, Wuppertal bekommt mit Braus nicht nur einen Intendanten, der für das Theater brennt. Er geht auch auf die Protagonisten des Wuppertaler Kulturlebens zu, beispielsweise auf die freie Szene. Oder die Politik. Oder das Publikum. Natürlich freue er sich, wenn das Theater voll sei und er neue, auch jüngere Zielgruppen erschließen könne. Aber im Mittelpunkt aller Überlegungen steht das Theater selbst, das ihm ein Globus, eine eigene Welt ist. Hellwach, präsent 39


poetisches und imaginatives Theater. Für Brooks hatte der Raum, insbesondere der leere Raum, eine herausragende Bedeutung. Und auch Braus interessiert sich für die Bühne als Raum. Aber auch für (neue) Theaterräume. „Zirka sechs Abende werden in anderen Räumen stattfinden“, kündigt er an. Damit knüpft er an seine Vorgängerin Abbrederis an und ermöglicht es dem Theater, in die Stadt hineinzustrahlen.

Thomas Braus im Gespräch mit „die beste Zeit“, Foto: Willi Barczat

und prägnant formulierend, spricht Braus ausführlich über die kommende Theaterzeit und die Vorstellungen, die er für das Wuppertaler Theater im Kopf hat. Dabei erscheint er in jedem Moment klar und bestimmt. Er betont die Autonomie der Kunst gegenüber den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen. Braus spricht vom „Theater als Ort ästhetischer Erfahrung. Es geht zunächst um ganz grundlegende Fragen, wie etwa im Zusammenspiel von Raum und Mensch in den Köpfen der Zuschauer eine Geschichte entsteht. Theater ist immer Spiel, und über Nachahmung von konkreten Beobachtungen und spielerischer Verfremdung können Bilder entstehen, die den Rezeptionsvorgang beeinflussen. Daher ist der Umgang mit gesprochener Sprache auf der Bühne so wichtig und natürlich auch die Sprache des Körpers. Das sind ganz grundlegende Fragen des Theatermachens.“ Wer naturalistisches, mimetisches Theater erwartet, wird enttäuscht. Wind-, Nebel- und Regenmaschine, Tschingderassabum und Theaterdonner, das wird es wohl eher nicht geben in der kommenden Theaterzeit, eher eine minimalistische Ästhetik, denn: „Imagination entsteht im Kopf des Zuschauers.“ Offen sagt Braus, dass der Theatermagier Peter Brooks ihn unter anderem inspiriert hat. Brooks Theater war immer auf der Suche nach der Antwort auf die Frage: Warum? Die Inszenierungen mussten Antworten geben auf Fragen wie: Warum gerade dieses Stück, warum kommt der Auftritt von links und nicht von rechts? Warum diese Art zu sprechen und nicht jene? Alles, was auf dem Theater geschah, musste einen Grund haben, verlangte nach Rechtfertigung. Das Ergebnis dieses Rechtfertigungszwangs war ein ebenso minimalistisches wie 40

„Brooks“, so schreibt die FAZ 2013, „konnte mit einer einzigen, kleinen, völlig naiven Frage ‚Wer ist da?‘ den ganzen Hamlet durchwandern, indem er sich und seinen Schauspielern aufgab, danach zu forschen, wer oder was denn da spricht und erscheint, wenn einer auftaucht, der da ‚ich‘ sagt. Dazu genügen ihm: eine leere Halle, ein Teppich, wahlweise auch ein Viereck aus Sand. Drumherum vielleicht zwei, drei Kissen oder ein paar Kisten. Oft reicht ihm auch ein völlig leerer Platz. Die schönsten Momente in Brooks Theater waren Geburtsmomente. Wenn zum Beispiel ganze Kontinente, Familien, Väter, Töchter, Herrscher, Mörder, Intriganten, Monster, Liebende durcheinandergewirbelt wurden in einem großen, seltsamen Sturm.“ Es ist kein Zufall, dass Braus die neue Spielzeit am 30. September 2017 ausgerechnet mit Shakespeares bildmächtigem Sturm beginnt. Prospero vermag mithilfe des Luftgeists Ariel und seiner Geisterschar so zu zaubern, dass Sturm und Wasser, Zeit und Raum seinem Willen gehorchen. „Und auch das Theater hat diese Kraft!“, verspricht das Programmheft. Man darf gespannt sein, wie dieses zauberhafte Versprechen in der Inszenierung von Marcus Lobbes eingelöst werden wird. Der Spielplan der kommenden Theatersaison bietet einige Stücke, die bereits textlich dieser Theateridee nahe sind: Die Zofen etwa, das Stück des Enfant terrible der französischen Literatur Jean Genet, der, selbst am Rande der Gesellschaft lebend, Außenseiter in den Fokus des Theaters rückte, wie hier Claire und Solange, die beiden Dienstmädchen, die in ihrer Fantasie längst schon zu den Reichen, Schönen und Mächtigen aufgestiegen sind und heimlich das Spiel von Erniedrigung, Bewunderung und Verachtung proben. Auch Stücke wie Alpenglühen von Peter Turrini oder Die Glasmenagerie von Tennessee Willams fügen sich mühelos in diesen Reigen. Arrondiert wird dieser Mix durch ein klassisches Boulevardstück wie Pension Schöller und Theater für Kinder und Jugendliche wie der Der Räuber Hotzenplotz, auch dies Stücke, die uns mitnehmen auf Fantasiereisen in die Erinnerungswelten unserer Kindheit


(einen Überblick über alle Premieren finden Sie in der rechten Spalte).

Inklusives Theater der Glanzstoff-Akademie Auf seine ganz eigene Weise ist Braus als Intendant politisch. Unter Leitung des Theaterpädagogen Markus Höller wird es im Studio der Glanzstoff-Akademie inklusives Theater geben, Theater von und mit Menschen mit Behinderung. Und Braus kann sich unter Umständen auch vorstellen - vorausgesetzt, dass es eine dramaturgische Funktion habe - Schauspieler des Ensembles in das inklusive Theater einzubinden und umgekehrt. „Das ist in gewisser Weise auch eine politische und gesellschaftliche Aussage zu unserem Menschenbild“, sagt Braus. Wer je Theater von und mit Menschen mit Behinderung erlebt hat, kann ahnen, wie poetisch dieses Zusammenspiel von Stadttheater und Inklusivem Theater sein kann. Der Theatermann Braus ist ein Weltenwanderer und will auch Frieden mit der Politik schließen. Die große Bühne der Oper wird bespielt, dort finden künftig zwei der neun Premieren statt. Das Ensemble wird mit Martin Petschan und Konstantin Rickert um zwei junge Schauspieler vergrößert. Notwendig wurden diese Neuverpflichtungen um die gestiegene Anzahl an Premieren realisieren zu können. Beide Darsteller werden aus dem laufenden Etat bezahlt. Die Beste Zeit wünscht Thomas Braus, dem Ensemble und dem gesamten Team der Wuppertaler Bühnen einen erfolgreichen Start in die neue Theaterzeit. Ebenso dem Publikum, das die Gelegenheit hat, eine Renaissance des Wuppertaler Theaters zu erleben. Braus muss mit vergleichsweise geringen Mitteln auskommen. So will er unter anderem auch mit jungen Regisseuren arbeiten, die gerade ihr Studium abgeschlossen haben. Braus geht einen couragierten Weg und ist zum Erfolg verdammt. Wenn alles gut läuft, könnte das Wuppertaler Theater zu einem Experimentierfeld für neue Ausdrucksformen werden, und das Publikum hat die einmalige Chance, Zeuge dieses spannenden Prozesses zu werden. Nach den jeweils mit Vollbremsungen endenden Neustarts unter Christian von Treskow und Susanne Abbrederis benötigt der neue Intendant Rückhalt aus der Politik, damit Theater und Publikum zusammenfinden können und die Idee vom poetischimaginativen Theater wachsen und Früchte tragen kann. Damit der Wuppertaler Theaterhimmel leuchtet, braucht es einen langen Atem und Liebe zur Kunst bei allen Beteiligten. Heiner Bontrup

Premieren DER STURM von William Shakespeare Inszenierung: Marcus Lobbes Premiere: Sa., 30. September 2017 BILDER VON UNS von Thomas Melle Inszenierung: Henri Hüster Premiere: Fr., 13. Oktober 2017 DIE ZOFEN von Jean Genet Inszenierung: Jakob Fedler Premiere: Sa., 11. November 2017 DER RÄUBER HOTZENPLOTZ von Otfried Preussler Inszenierung: Jean Renshaw Premiere: Sa., 25. November 2017 PENSION SCHÖLLER von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby Inszenierung: Alexander Marusch Premiere: Sa., 10. Februar 2018 MÄDCHEN IN NOT von Anne Lepper Inszenierung: Peter Wallgram Premiere: Do., 29. März 2018 ZUR MITTAGSSTUNDE von Neil LaBute Inszenierung: Schirin Khodadadian Premiere: Sa., 5. Mai 2018 DIE GLASMENAGERIE EIN SPIEL DER ERINNERUNGEN von Tennessee Williams Inszenierung: Martin Kindervater Premiere: Sa., 16. Juni 2018 ALPENGLÜHEN von Peter Turrini Inszenierung: Marcus Lobbes Premiere: Fr., 29. Juni 2018

Wiederaufnahmen Warten auf Godot von Samuel Beckett Inszenierung: Volker Schmalöer Die Hölle/Inferno frei nach Dante Alighieri Inszenierung: Johann Kresnik Odyssee frei nach Homer Inszenierung: Torsten Krug Tagebuch eines Wahnsinnigen von Nikolai Gogol Inszenierung: Uwe Dreysel, Thomas Braus 41


Hans Günter Schmitz Postwertzeichendesign - von Kafka bis Loriot Niggli Verlag Zürich, Deutsch/Englisch, 160 Seiten, 15,2 x 22,1 cm, Hardcover mit Schutzumschlag

Von Kafka bis Loriot Briefmarkengestaltung mit einem sehenden und einem fühlenden Auge Der Kommunikationswissenschaftler Bernhard Uske, der mit einem Essay über die Kunst der Gestaltung in dem Buch vertreten ist, führte das Gespräch mit Hans Günter Schmitz.

Biografie Hans Günter Schmitz wurde 1954 in Stolberg bei Aachen geboren und studierte Grafikdesign und Visuelle Kommunikation an der Gesamthochschule in Wuppertal. Hier gründete er 1980 sein Büro für Visuelle Kommunikation, 1994 wurde er als Professor an die Universität Wuppertal berufen, seit 2009 lehrt er Visuelle Kommunikation an der 42

Folkwang Universität der Künste in Essen. Das Buch über seine Postwertzeichenentwürfe ist unter dem Titel Von Kafka bis Loriot im Schweizer Niggli Verlag erschienen. In dem Buch werden über 40 Entwürfe aus der bildgestalterischen Praxis von Hans Günter Schmitz vorgestellt, dazu auch Studien, Vorentwürfe und nicht realisierte Markenentwürfe.


100. Geburtstag von Franz Kafka Entwurf 1983

Europamarke 1986: Wasserreinhaltung Entwurf 1985

100 Jahre Deutscher Fussballbund Entwurf 1999

Wasser - Reichtum der Natur Entwurf 2000

Für die Gesundheit Entwurf 2000

Für die Wohlfahrt: Loriot Entwurf 2010

Wie kamen Sie dazu, Briefmarken zu gestalten? Mein ehemaliger Professor Klaus Winterhager empfahl mich als „talentierten Studenten“ dem damaligen Postministerium, ich reichte Arbeitsproben ein und wurde 1982 zu meinem ersten Wettbewerb eingeladen. Da war der 100. Geburtstag von Franz Kafka das Thema. Glücklicherweise gewann ich diesen Wettbewerb, hatte 1983 meine erste Briefmarke, viel positive Resonanz und wurde fortan immer wieder zu Wettbewerben für Briefmarken eingeladen. Dabei bestand bzw. besteht Ihr Tätigkeitsfeld doch darin, für Unternehmen visuelle Erscheinungsbilder zu konzipieren, Produkte zu entwerfen und Kommunikationskonzepte zu erstellen. Da hat der Briefmarkenentwurf eher Exotenstatus, oder gibt es Verbindungen? Ich sehe keine großen Unterschiede zwischen der Arbeit an Konzepten und Entwürfen für Unternehmen und der Markengestaltung. Immer geht es in der Visuellen Kommunikation um das Verdichten von Informationen, das sorgfältige Auswählen, Sortieren und Strukturieren. Es entstehen immer Kürzel, die kommunizierbar sein müssen. Insofern habe ich die Briefmarkengestaltung als willkommenes Trainingscamp empfunden, denn die Beschränkung der Fläche erfordert immer die Konzentration auf das Wesentliche, das Thema muss auf den Punkt gebracht werden. Das hört sich nach Werbung an. Ist es letztendlich auch. Die Briefmarke wirbt dafür, dass ein Thema Aufmerksamkeit bekommt. Gestaltung ist bei der Briefmarke das Mittel, Interesse beim Betrachter zu erzeugen, ihn für das Thema zu gewinnen. Eine visuelle Kurzgeschichte, die man en passant aufnimmt, die zum Portal für eine weitere Beschäftigung mit dem Thema werden kann. Wo bleibt die Kunst? Briefmarken werden in der Kunstgeschichte geringschätzig behandelt. Sammler beschreiben sie gerne als Kunstwerke im Kleinformat. Briefmarkengestaltung ist Auftragsarbeit, wie es die längste Zeit in ihrer Geschichte auch die Kunst war. Es geht nicht um künstlerische Selbstverwirklichung, sondern darum, mit ästhetischen Mitteln ein Thema ansprechend zu machen, also es zu vermitteln. Daraus kann ein ästhetisches Gebilde entstehen, es fließen auch künstlerische Leistungen in den Gestaltungsprozess ein, die Briefmarke ist aber ihrem Wesen nach keine Kunst, sondern ein Medium der angewandten Gestaltung.

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Eröffnung des Jüdischen Museums Berlin Entwurf 2000

Kindermarke: Für uns Kinder Entwurf 1992 Eine Marke von Kindern für Kinder mit Freiraum für die eigene Kreativität

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es keine kreativen Prozesse. Und zum Glück gibt es auch immer einen Termin, der den Entscheidungsprozess regelrecht erzwingt. Und dann bin ich mir doch sicher, welchen Entwurf ich einsende. Aby Warburg, einer der bedeutendsten Kunstwissenschaftler des 20. Jahrhunderts, der sich intensiv mit der Briefmarke beschäftigte, prägte den Ausdruck des Bildfahrzeugs für die Briefmarke: ein Transportmittel für das Bild- und Zeichengut zwischen Adressat und Empfänger. Und je nach Thema gibt es sehr unterschiedliche Bildfahrzeuge, jeweils anders ausgestattet und mit verschiedenen Fahrweisen, um die Botschaft zu transportieren: mal mit Witz, mal mit Poesie, mal mit Affektion, mal doppelbödig oder ironisch. Das fällt bei Ihren Entwürfen ja auf: Sie sind nicht geprägt von einem formalen Stil, sondern von sehr differierender Erscheinung mit unterschiedlichem Charakter. Hier das Bild einer fast romantisch anmutenden Kulturlandschaft bei der Marke „Wuppertaler Schwebebahn,“ dort die Bildgeste der Klarheit und Reinheit der beiden Stofflichkeiten Glas und Wasser bei der Marke „Wasser - Reichtum der Natur“. Dazu spielen Sie mit Bedeutungstrivialitäten, nehmen Schematismen wörtlich und setzen sie in eine entsprechende Form wie bei der runden Marke „100 Jahre DFB“. Nehmen Sie als Gestalter gerne verschiedene Rollen ein? Eine gestalterische Lösung für ein Thema zu finden, das man bis dato gar nicht, beziehungsweise nur am Rande kannte, war und ist mir immer noch ein großes Vergnügen, fast eine sportliche Herausforderung. Die Recherchen, das Einarbeiten in ein Thema und das Anreichern mit neuem Wissen, das Festhalten erster Ideen und auch deren Verwerfen, um bessere zu finden – das ist eine wunderbare Arbeit. Es wäre schade , wenn man hier mit formalistisch vorgeprägten Scheuklappen vorgehen würde, einem selbst auferlegten „Stil“ folgen müsste und nicht die Chance nutzen würde, neue Lösungen zu finden, tradierte Denkmuster zu verlassen, den „Experten“ in sich ruhen zu lassen und dem schöpferischen Denken Freiraum zu lassen. Die Themen sind reichhaltig, die Entwürfe sollten es auch sein.

Von Schriftstellern weiß man, dass es quälende Schreibblockaden gibt. Gibt es Gestaltungsblockaden, und haben Sie einen Trick, wie man die auflöst? Es gab Situationen, in denen ich einen Auftrag zurückgeben wollte, weil ich keine zufriedenstellende Lösung fand. Aber es ging dann letztendlich doch. Aus diesen Situationen sind dann auch noch erfolgreiche Marken entstanden, wie der Markenblock zum Thema Gesundheit. Meine Erfahrungen als praktizierender Gestalter helfen mir in der Universität bei der Förderung junger Studenten. Wenn ich hier Überforderungen und Blockaden feststelle, bitte ich die Seminarteilnehmer darum, schlechte Entwürfe zu machen. So schlecht wie eben möglich. Das löst Verkrampfung und befreit - zumindest kurzfristig - von der Last der hohen, selbst gestellten Ansprüche. Es ist kein Wunder, dass die „richtig schlechten Entwürfe“ dann mehr kreatives Potenzial offenbaren als die gewollt „besten“. Gibt es eine Lieblingsmarke unter Ihren Entwürfen? Ja, das ist ein Entwurf von 1992 für die Marke „Für uns Kinder“, der nicht realisiert wurde. Ein weißes Stück Briefmarkenpapier mit der Aufschrift: „Von uns Kindern“. Kein Motiv. Das sollten die Kinder selbst gestalten. Eine Kinderbriefmarke eben nicht für Kinder von einem Erwachsenen mit einem Motiv ausgestattet, sondern eine Kindermarke als Marke von Kindern für Kinder. Wir hätten Millionen schöner Marken von ganz jungen Gestaltern gehabt. Und die Erwachsenen hätten auch nicht widerstehen können. Bei aller Variabilität in Ihren Entwürfen - gibt es eine Leitlinie, ein Motto oder eine Grundregel, die Basis für Ihre Herangehensweise ist? Regeln eher weniger. Aber es gibt den Titel einer Zeichnung von Paul Klee - dessen Werk mich schon als junger Student fasziniert hat - der eine Basis für meine Gestaltungsarbeit sein könnte: Er lautet: „Ein Auge, welches sieht, das andere, welches fühlt“.

Woher wissen Sie in der Entwurfsarbeit, dass dies jetzt der richtige Entwurf ist? Den (einen) richtigen Entwurf gibt es nicht. Es gibt immer vielfältige gestalterische Möglichkeiten und unterschiedliche gedankliche Ansätze für gute Lösungen. Und Zweifel gehören auch dazu. Und das ist gut, denn ohne Zweifel gibt 45


A. R. Penck, ohne Titel, Privatbesitz Günter Baby Sommer

Auf der Suche nach einem kreativen Kollektivgefühl? Zum Tod von A. R. Penk von Günter Baby Sommer

Ralf Winkler – alias A. R. Penck – war ein Maler, der gern ein Publikum um sich hatte. Ein Maler hat aber naturgemäß kein Publikum vor sich, wenn er in seiner künstlerischen Bestimmung aktiv ist. Es sei denn, er steht den Besuchern seiner Ausstellung bei einer Vernissage im Fall seiner Anwesenheit Rede und Antwort. Auf der Suche nach einem kreativen Kollektivgefühl ist Ralf Winkler nach einigen Zwischenstationen die Organisation von Gemeinschaftsbildern mit an-

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deren Dresdner Malern eingefallen. Aber dieser Weg blieb unbefriedigend, weil vielleicht einer der beteiligten Individualisten das halb fertige Produkt noch vor dem Ziel mit schwarzer Farbe übermalte.

night Session“ in NYC schickte. Die Namen der beteiligten Musiker lasen sich wie das Who is Who der New Yorker Free-Jazz- und Improvisationsszene. Zu meinem Erstaunen las ich den seinen an 12. Stelle ...

Nach einigen dieser Zwischenstationen hat er dann für sein Bedürfnis nach kollektiver Kreation die Musik entdeckt. Denn dort wurde ohne unerwartete Störung im Prozess gemeinsam an einem Produkt gearbeitet.

Für viele Maler und Musiker aus dem damaligen Freundeskreis in Dresden waren seine Aktionen auch Anhalts- und Ausgangspunkt für eigene Aktionen gegen die staatlich verordnete Kulturpolitik. Der Jazz spielte dabei eine nicht unwichtige Rolle, weil in seiner freien Form die Grenzen von inhaltlich dominierter Aktionskunst und instrumentaler Meisterschaft sehr verwaschen waren. A. R. Penck nutzte dabei jede sich bietende Gelegenheit, sich selbst aus eben dieser Einsamkeit an der Staffelei zu befreien.

Der Jazz war es, der ihm zu Zeiten des Free Jazz der 70erJahre größtmögliche Freiheit bot, sich in den Prozess der freien Rede und Gegenrede einzuklinken. Und dort beginnt unsere Bekanntschaft produktiv zu werden. In weiten Teilen mehr zu seiner Freude und seinem Vergnügen und zu meiner Verzweiflung ob seiner begrenzten musikalischen Fähigkeiten. Ich erinnere mich u. a. an ein Konzert, welches ich mit dem Pianisten Ulrich Gumpert und dem Wuppertaler Freund und Bassisten Peter Kowald in Großenhain bei Dresden spielte. Wir gaben uns im Trio alle Mühe, das Publikum nahezu missionarisch von unserer Kunst und unserem Streben nach Freiheit zu überzeugen. Als aber A. R. Penck mitten in unserem Konzert mit einer Konzertgitarre auf die Bühne kam und sein künstlerischer Beitrag darin bestand, diese Gitarre in ihre Bestandteile zu zerlegen während Kowald, Gumpert und ich uns die Finger blutig spielten, war es um unsere Musik geschehen. Die Aktion von Penck war plötzlich der Fokus des Geschehens. Solche und ähnliche Ereignisse, wie sie im Studentenclub der Akademie der Künste auf der Brühl’schen Terrasse passierten, waren der Grund, warum ich mich mehr und mehr musikalischen Gemeinschaftsaktionen mit Ralf verweigerte. Danach holte er sich junge Leute aus der Mitropa-Gaststätte des Dresdner Hauptbahnhofs, die dort teils angetrunken die Nacht verbrachten – im heutigen Sprachgebrauch herumchillten. Denen drückte er Musikinstrumente in die Hand, die sie alle nicht spielen konnten, und jammte mit ihnen nächtelang in seinem Atelier auf der Gostritzer Straße. Meine Aufgabe war es dann, Tage später diese Aufnahmen anzuhören und zu begutachten. Sein Bedürfnis, sich musikalisch in einem Kollektiv zu betätigen, hat Ralf später in der alten BRD und in New York mithilfe von Peter Kowald in vielfältiger Weise fortgeführt. Die Krönung seines Siegeszuges gegen meine Verweigerung, mit ihm auf die Konzertbühne zu gehen, bestand darin, daß er mir eines Tages den Programmzettel von einer „After Hour Mid-

Inzwischen hatte er sich auch einen Ruf als Philosoph und „Verkünder“ erworben – man hörte auf ihn, wenn er Statements von sich gab wie: „Der Westen trennt die Menschen“ oder „Wer das Gleichgewicht zerstört, zerstört die Erde“ oder „Wir leben in einer Periode, in der Enthemmung und Freiwerden von Haltungen, Ausdrücken und Gesten eine Veränderung erzeugen“. Bei Vernissagen oder anderen Zusammenkünften schleuderte er diese Statements unter die Menschen, und die Reaktion war wichtiges Kopfnicken und geflissentliche Wiederholung wie: „Haben Sie gehört, Penck hat gesagt, der Westen trenne die Menschen“. Mitte der 70er-Jahre, nach der Errichtung der Ersten Ständigen Vertretung der damaligen Bundesrepublik in Ostberlin, schwärmten deren Kulturvertreter in die ehemalige DDR aus und knüpften Kontakte zu Künstlern in Leipzig, Dresden und Chemnitz, dem damaligen Karl-Marx-Stadt. A. R. Penck war dabei ein sehr begehrtes Ziel. Man fuhr nach Dresden oder holte ihn zu sich nach Hause in eine der Ostberliner Dienstwohnungen. Dort philosophierte er oder spielte – besser noch, er attackierte dort stundenlang eine Gitarre. Wiederum war ich es, der Tage später diese musikalischen Absonderungen anhören und einschätzen durfte. Als Dank stand dann schon mal ein Bild von ihm vor der Tür meines Proberaums in Radebeul b. Dresden. Er war gekommen, um wieder einmal den Versuch einer musikalischen Kooperation zu machen. Ich war leider nicht da. Sein unangemeldetes Kommen sollte eine Überraschung sein. Was blieb, ist das Bild und die Erinnerung an einen Freund, der rastlos auf der Suche war, seinen Konflikt mit der Einsamkeit des Malers an der Staffelei zu lösen. 47


Zum Schluss möchte ich noch seine zwei Dresden gewidmeten Büchern erwähnen, die - so glaube ich - für ihn auch einen gewissen Abschluss mit dieser Zeit bedeuteten. Zum einen die Erste Phalanx Nedserd – Ein Freundeskreis in Dresden 1953 - 1965, eine Publikation der Kunsthalle Nürnberg von 1991, und zum Anderen A. R. Penck In Dresden, Analyse einer Situation, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 1992. Diese Publikation beginnt mit den Statements „Der Osten ist umgefallen – Der Westen muss bezahlen“ und „Schlachten können gewonnen werden!?! - Kriege niemals ...!?! In selbiger Publikation hat Ralf Winkler alias A. R. Penck der Stadt Dresden einen Leitgedanken ins Stammbuch geschrieben; für Dresden Betr. 5 falsch, weil nicht über unter dem auch = 4 Kräfte zwar den Richtigen finden überhaupt überfliegen über hat nicht u. s. w., wenn auch Klassik und Geldbegriff verdunkelt Lenin wie sich selbst Bild erzeugend Raum Verschwendung an Wenigem a. r. penck

Mit der Suche nach einer Deutung dieser Aussage hinterlässt uns der Freund eine Aufgabe, die für mich schwerer ist, als Verständnis dafür zu haben, dass die Einsamkeit des

Solospielers in der Musik oder die Einsamkeit des Malers an der Staffelei immer ein Gleichgewicht im kollektiven Prozess sucht, denn wie sagte A. R. Penck: „Wer das Gleichgewicht zerstört, zerstört die Erde.“ Und damit hat er ja wohl unbenommen recht. Günter Baby Sommer. Radebeul, Juni 2017 A. R. Penck, 1939 in Dresden geboren, war ein deutscher Maler, Grafiker, und Bildhauer. Er nahm in den 50er-Jahren Mal- und Zeichenunterricht bei Jürgen Böttcher (Künstlername Strawalde). 1984 machen sich Penck und der Wuppertaler Jazzmusiker Peter Kowald auf nach New York, um die (Jazz)Welt zu verändern. Ausgestattet mit ausreichenden Finanzen aus dem Verkauf eines Penckbildes, organisierten sie gemeinsam mit Patricia Nicholson-Parker, ihrem Ehemann dem Bassisten William Parker und einigen Musikern der Lower Eastside-Scene das „Sound Unity Festival“. 1996 gründete sich auf diesem Fundament das bis heute jährlich stattfindende „Vision Festival“. Am 2. Mai 2017 starb A. R. Penck in Zürich. Günter Baby Sommer, ebenfalls in Dresden geboren, ist einer der bedeutendsten Vertreter des zeitgenössischen europäischen Jazz, welcher mit einem hoch individualisierten Schlaginstrumentarium zugleich eine unverwechselbare musikalische Sprache entwickelt hat. Seine musikalischen Beiträge zu den wichtigsten Jazzgruppen der DDR wie dem Ernst-Ludwig-Petrowksy-Trio, dem Zentralquartett und der Ulrich Gumpert Workshopband, ermöglichten Sommer den Einstieg in die internationale Szene. So arbeitete Sommer nicht nur im Trio mit Wadada Leo Smith und Peter Kowald, sondern traf mit so wichtigen Musikern wie Peter Brötzmann, Fred van Hove, Alexander von Schlippenbach, Evan Parker und Cecil Taylor zusammen.

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„Mensch:Utopia“ (Sahib Singh)

Der Zukunft lauschen Reflexionen zu den filmischen Porträts „Mensch:Utopia“ von Uta Atzpodien, Achim Konrad & Kim Münster

Der 15-minütige Film beginnt. Ich sehe einen älteren Herrn, der vor einer Wand mit blauen Strichzeichnungen sitzt und mich direkt ansieht. Eine Männerstimme ist zu hören. Nach ein paar Momenten entdecke ich in den blauen Strichen die reduzierten, miteinander verzahnten Formen Wuppertaler Wahrzeichen: Schwebebahn, Laurentiuskirche, Schwimmoper, Rathaus, Luisenturm und dazwischen Sonne, Wolken. Die Wetterdarstellungen spielen mit dem Thema der Unbeständigkeit und Wechselhaftigkeit, die gebaute Umwelt verortet das im Titel angekündigte „Utopia“ jedoch recht konkret: Es geht anscheinend um Wuppertal. Der ältere Herr sitzt immer noch da und sieht mich an. Die Stimme im Off ist zu hören, der Mann im Film hört genauso aufmerksam zu wie ich. Während ich ihn weiter beobachte, wird spürbar, dass er nicht mich als fiktives Publikum ansieht, sondern vielmehr durch mich hindurch, in die Ferne. Er lauscht der Stimme, die von bereits Jahrzehnte alten, aber nach wie vor aktuellen Ideen einer kommunikativen, menschenfreundlichen Stadtgestaltung erzählt. Schnitt.

„Mensch:Utopia“ (Iris Colsman)

Auf der Leinwand sitzt nun eine Frau mittleren Alters, wieder vor der Wand mit den blauen Zeichnungen. Eine Frauenstimme ist zu hören, und auch die Frau lauscht. Es sind Ausführungen zu zwischenmenschlicher Kommunikation mit mehr Zeit und Muße. Ich begreife: Die gezeigten Personen hören sich selbst zu! Sie lauschen ihren eigenen Ausführungen zu Vergangen-

„Mensch:Utopia“ (Goran Milovanovi )

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heit und Erlebtem, insbesondere aber zu ihren Wunschträumen und Zukunftsideen. In dieser Art folgen weitere 36 Personen, die sich selbst zuhören. Nachdenklich, aufmerksam, die Richtigkeit und den Klang ihrer Worte überprüfend. In ihren Ausführungen streifen diese jungen, alten, stadtbekannten oder ganz neu zugezogenen Wuppertalerinnen und Wuppertaler alle möglichen Themen der Stadt- und Gesellschaftsgestaltung: öffentliche Räume, Bildung, Mobilität, Frieden, Sicherheit, Barrierefreiheit, Begegnung, Geld, berufliche Entfaltung, Spielplätze, Gerechtigkeit, Kunst, Respekt und Freiräume. Manche Ideen scheinen zum Greifen nah, manche liegen gefühlt in weiter Entfernung, in einer Utopie von Wuppertal und der Welt. Menschen sprechen also über ihre Träume, begegnen ihren Utopien. Mensch:Utopia. Zwischen die „Begegnung“ des Akteurs „Mensch“ – angesprochen in seiner basalsten Daseinsform – und einer abstrakten Idee, „Utopia“, passt anscheinend noch nicht mal ein Leerzeichen, so intensiv soll diese Begegnung ausfallen. Stärker als die angesprochenen Themen fesselt mich dabei genau diese sprachliche Begegnung mit sich selbst, diese besondere Kommunikationssituation.

Aktives Zuhören im zeitversetzten Selbstgespräch Der Mensch besitzt verschiedene, speziell für die Sprachverarbeitung konzipierte Hirnregionen. Diese Regionen interagieren beim Zuhören, also der Dekodierung von Sprachsignalen, stark miteinander. Noch stärker treten sie in den wechselseitigen neuronalen Austausch, wenn wir selbst sprechen und uns dabei hören. Wir spüren die Vibration und die Bewegungen unseres Stimmapparats, steuern den Luftstrom zwischen Lunge und Nase – und nehmen im selben Moment das, was wir sagen, wiederum auditiv wahr. Diese Gleichzeitigkeit, der performative Akt des Sprechens erzeugt ein starkes Gefühl von Gegenwart: ich bin hier, ich fühle meinen Körper und höre mich sprechen – im selben Moment, jetzt. Eine Trennung von Spracherzeugung und Sprachwahrnehmung erleben wir normalerweise nur im Kontakt mit anderen Menschen, wenn wir ihnen zuhören. Und auch dann bleibt ein Gefühl der Gegenwart, insbesondere, wenn das Zuhören bewusst erfolgt. Aus Therapie, Mediation und Kommunikationslehre kennen wir die Form des aktiven Zuhörens, die einen besonderen Fokus auf das bewusste, aufmerksame Wahrnehmen der Nachrichten meines Gegenübers legt. Dabei lasse ich mich als Zuhörer ganz auf mein Gegenüber ein, schiebe mögliche Impulse der Erwiderungen, Antworten oder Ergänzungen beiseite. Ich möchte intensiver, wertfreier und direkter wahrnehmen, was mir mein Gegenüber in diesem Moment erzählt. 50

Das Projekt Mensch:Utopia nimmt nun das gesprochene Wort der einzelnen Personen auf und bannt damit den Moment des aktiven Sprechens auf einen Tonträger. Dieser wird den jeweiligen Personen nach einer Pause wieder vorgespielt. Dadurch wird ein Setting geschaffen, in dem zwar ein und dieselbe Person eine Nachricht formuliert und wahrnimmt, sie schafft durch die technische und zeitliche Trennung der beiden Vorgänge jedoch einen Zwischenraum. Die Einheit von sensorisch gefühlter Sprache (Stimmvibration, Atmung, Phonemformung) und gleichzeitigem Hören ist aufgehoben, das Gefühl der Gegenwart schwindet. Diese kommunikative Intervention trifft nun auf den Inhalt: die Menschen erzählen über ihre Träume, über mögliche und wünschenswerte Zukünfte. Diese liegen per Definition nicht in der Gegenwart, und durch die kommunikative Intervention wird der Effekt einer räumlich-zeitlichen Distanz weiter verstärkt. Die Stimme, die ja eigentlich die eigene ist, füllt den Raum wie von einem anderen Ort oder aus einer anderen Zeit. Das dichte Erleben eines Sprechvorgangs, also das Zurechtlegen von Ideen, die Formung von Gedanken, die sprachmotorische Umsetzung, die parallele Überwachung des Gesagten und die Aufrechterhaltung des Redeflusses, all das ist in diesem Moment überflüssig, und dennoch hören sich die Personen selbst zu. Sie hören sich aktiv zu, da dem Medium des Tonträgers sowieso nichts hinzugefügt werden kann oder muss. Ein genialer selbstreflexiver Moment, der durch die kommunikative Intervention mehr Raum und Tiefe erhält. Denn die Menschen lauschen sich selbst, und sie lauschen der Zukunft, so wie sie sie vor kurzem selbst entworfen haben. Wir als Zuschauende haben durch die Filmaufnahmen die Chance, diesem sensiblen Moment beizuwohnen. Wir sehen, wie manche Personen ihren eigenen Worten bekräftigend zunicken, andere wirken nachdenklich, kippen den Kopf und blicken nach oben, als würden sie versuchen, sich zu erinnern, ob und wie sie das selbst gesagt haben. Und sie erlauben uns, einem intimen Moment des aktiven SichSelbst-Zuhörens beizuwohnen.

Partner der eigenen Träume werden Friedemann Schulz von Thun, einer der Altmeister der Kommunikationspsychologie, nutzte gerne das Motto „Willst du ein guter Partner sein, dann horch erst in dich selbst hinein!“. Die Personen in Mensch:Utopia horchen nicht nur still in sich hinein, sie hören sich auch – mit Abstand und hoher Aufmerksamkeit – selbst über die Zukunft sprechen. Dabei geht es um ihre Ideen und Wünsche, ihre Träume für ein besseres Wuppertal und eine bessere Welt. Frei nach


dem obigen Zitat werden die gefilmten Menschen so durch die kommunikative Intervention zu bewussteren Partnerinnen und Partnern ihrer eigenen Zukunftsideen. Der Projektrahmen ermöglicht es, Haltung zu zeigen und zu entwickeln. Ideen und Träume werden nicht nur einmal in Richtung Kamera ausgesprochen, sondern jede Person wird mit den eigenen Gedanken konfrontiert. Manche davon sind vielleicht noch nicht zu Ende gedacht, manche klingen möglicherweise zu utopisch? Stellung zu beziehen, sich mit sich selbst konfrontieren und sich dabei noch beobachten zu lassen, erfordert Mut. Der Film erzeugt jedoch durch seine wertfreie Haltung und die Vielzahl an gleichberechtigt nebeneinander stehenden Träumen auch eine Einladung an jedes Publikum, ebenfalls mutig zu werden. Eigene Träume auszusprechen, ihnen zuzuhören, ihnen Raum zu geben – und so zu ihrem Partner zu werden. Es ist eine Einladung, selbst in dem Spannungsverhältnis zwischen Mensch, dem Individuum im Hier und Jetzt und Utopia, dem unbekannten Ort, eine Haltung zu suchen. So lautet der letzte Satz des Films passenderweise: „Immer wenn wir träumen, erschaffen wir ein Stück Zukunft.“

Welcome to Wuppertal – Making Utopia possible Anlass für das audiovisuelle Projekt war das 25-jährige Jubiläum des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie im Jahr 2016. Das lokal wie international engagierte Nachhaltigkeitsinstitut wählte einen ebenso selbstbewussten wie anspornenden Titel als Motto der Feierlichkeiten: Welcome to Wuppertal – Making Utopia possible. Schließlich geht es dem Wuppertal Institut schon seit der Gründung um die großen Fragen der ökologischen Zukunftsfähigkeit und seit einigen Jahren auch verstärkt um die lokale Transformation zur Nachhaltigkeit.

und Ausgangssequenzen des Videos zu sehen ist, konnte mit dem Kooperationspartner der mobilen OASE Oberbarmen und ihrem Bauwagen ein beweglicher Frei-Raum und ein kreatives Setting für die Umsetzung der Begegnungen gewonnen werden. Der Bauwagen wurde so zum Ort für Austausch, Dialog, Begegnung mit sich selbst, ein Ort des stillen, aktiven Zuhörens und Lauschens in die Zukunft. Eine kleine Zeitmaschine auf ein paar Quadratmetern, ein Raum zur Reflexion der Frage: Wo wird der Mensch seinen Platz finden in diesem Utopia? An zwei verschiedenen Tagen stand der Bauwagen an zwei Orten im Tal, und das Projektteam lud Mitmenschen ein, sich auf diese kleine Zeitreise und das Experiment des Sich-Selbst-Zuhörens einzulassen. Als Standorte wurden die Quartiere Oberbarmen und Arrenberg gewählt, als Ausdruck eines Stadtdialogs entlang der Talachse. So spannte sich der Bogen von lebendigen lokalen Geschichten und Träumen zu den großen Narrativen des Wuppertal Instituts für sozial-ökologische Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit. Die ganz persönliche Beschäftigung der Menschen mit Zukunft, Lebensqualität und Nachhaltigkeit gab der Festveranstaltung in der historischen Stadthalle eine besondere Wirkung: Auf künstlerische Weise war es gelungen, die Themen von Klimaschutz, Energiewende und Ressourcenschonung mit einer kulturellen Komponente der Reflexivität, Achtsamkeit und Menschlichkeit zu verbinden. In meinem persönlichen Utopia und auf dem Weg dorthin gibt es dafür noch viel mehr Momente und Räume. Matthias Wanner Audiovisuelles Projekt „Mensch:Utopia. Filmische Porträts aus Wuppertal“ von Uta Atzpodien, Achim Konrad und Kim Münster in Kooperation mit der OASE Oberbarmen/ Mobiles Labor OST. Träger: Wuppertal Institut. Gefördert vom Bundesministe-

Um am Tag der großen Feier das Programm mit den Szenen aus dem Film bereichern zu können, wurde das Projektteam schon deutlich früher aktiv. Wie in den Eingangs-

rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms

Kurzes Warten auf Menschen mit Träumen: Mensch:Utopia und die mobile

Mensch:Utopia und eine Installation der mobilen OASE vor der historischen

OASE am Peter-Nansen-Platz in Oberbarmen, Foto: Suilian Richon

Stadthalle zur Jubiläumsfeier des Wuppertal Instituts, Foto: Suilian Richon

„Demokratie leben!“. Hintergrundillustration von Jens Robbers. Das Video ist frei verfügbar auf Youtube (Stichwort Mensch:Utopia) und Facebook (MenschUtopia).


KLANGART im Skulpturenpark John Scofield, Al Di Meola, Salif Keita und viele mehr zu Gast im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden KLANGART im Skulpturenpark – das steht zum neunten Mal nicht nur für hochkarätige Konzerte, sondern für ein alle Sinne ansprechendes Gesamterlebnis aus Musik, Kunst und Natur. Die von der Cragg Foundation veranstaltete Konzertreihe ist für Freunde des Jazz, der Weltmusik und der improvisierten Musik zu einem Qualitätsgaranten geworden und zieht Kulturinteressierte aus der Bergischen Region und weit darüber hinaus an.

Markenzeichen mit Strahlkraft Bereits zum neunten Mal hat KLANGART Künstler aus aller Welt eingeladen, sich von diesem besonderen Ort hoch

oben über Wuppertal inspirieren zu lassen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Gitarre mit den Weltstars und Virtuosen Ralph Towner, John Scofield und Al Di Meola. Eine zentrale Rolle spielen auch akustische Instrumente – die sich besonders gut in die magische Atmosphäre des mitten im Wald gelegenen Skulpturenparks einfügen: Al Di Meola, Salif Keita und Harold López-Nussa werden ausschließlich bis vorwiegend akustisches Instrumentarium zum Klingen bringen. Ganz im Gegensatz dazu steht Kimmo Pohjonen, der sein Akkordeon mit Hilfe von jeder Menge Elektronik zu einem virtuellen Orchester macht. In diesem Jahr finden die KLANGART-Konzerte ausschließlich „open air“ statt.

Jazz, Weltmusik, Improvisationen

John Scofield, Foto: Nicolas Suttl

Harold Lopez Nussa, Foto: Eduardo Rawdriguez

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Gitarrist John Scofield, der am Samstag, dem 22. Juli, auf die Bühne treten wird, ist einerseits begeisternder Jazzvirtuose, andererseits mitreißender Groovemeister. Welchen „Sco“ das Publikum im Skulpturenpark erwarten darf, deutet schon der Name des Bandprojekts an: Überjam. Das Quartett mit Drumlegende Dennis Chambers dürfte mit treibenden Funk-Grooves für ein paar hitzige Stunden im Hochsommer sorgen.

Der Titel seines Albums El Viaje (The Journey) ist programmatisch für die Musik von Harold López-Nussa, der am Sonntag, dem 23. Juli, zu Besuch kommt. In Havanna geboren und dort verwurzelt, bricht der junge Pianist immer wieder zu Reisen in die Welt auf, sammelt Einflüsse und integriert sie in seine eigene Spielart von Latin Jazz. Sein Einzelnotenspiel habe ähnlich viel Grazie wie das von Herbie Hancock, seine Zwei-Faust-Attacken seien so belebend wie die von Chick Corea, schrieb DownBeat.


Al Di Meola, Foto: Claudio Casanova

Sein mit John McLaughlin und Paco de Lucía aufgenommenes Livealbum Friday Night in San Francisco ist eine der erfolgreichsten Jazzplatten aller Zeiten. Mit seinem Programm World Sinfonia führt Gitarrenvirtuose Al Di Meola sein Publikum am Samstag, dem 5. August, auf eine emotional bewegende Reise durch die Klänge dieser Welt. Neben Songs von Astor Piazzolla und Lennon/ McCartney stehen auch eigene Stücke aus seinem breiten Repertoire auf dem Programm.

Die große Weltkarriere der „goldenen Stimme von Mali“ begann, als Salif Keita 1984 nach Paris emigrierte. In seiner Musik brachte er westafrikanische Traditionen und frühe Einflüsse aus Blues und Jazz mit aktuellen PopSounds zusammen. In den letzten Jahren hat er sich wieder mehr der akustischen Musik seiner Heimat zugewandt. Mit seiner von traditionellen afrikanischen Instrumenten geprägten Band wird er am Sonntag, dem 6. August, einen Querschnitt seines Schaffens bieten.

Salif Keita, Foto: Prisca Lobjoy

Kunstgenuss vor dem Konzert Ein wichtiger Mit akustisch und visuell überwältigenden Konzerten hat sich der finnische Akkordeonvirtuose Kimmo Pohjonen nicht nur in der Weltmusikszene einen Namen gemacht. Elemente aus Folk, Dance, Klassik, Rock und Avantgarde fließen in seiner energiegeladenen Musik ganz selbstverständlich zusammen. Dabei hat er auch eine ganz eigene Art des Akkordeonspiels entwickelt: Über das eigens für ihn gebaute Akkordeon steuert er zugleich elektronische Effekte. In der Liveumsetzung seines aktuellen Albums Sensitive Skin stehen ihm am Samstag, dem 26. August, seine Töchter Inka und Saana Pohjonen zur Seite. Kimmo Pohjonen Skin, Foto: Petr-Salaba

Aspekt von KLANGART ist der Skulpturenpark selbst – mit seiner weitläufigen Anlage, der denkmalgeschützten Villa, den vielen Skulpturen von Gastgeber Tony Cragg und anderen Weltkünstlern sowie der Sonderausstellung Imi Knoebel (ab 15. Juli). Die Besucher sind eingeladen, vor den Konzerten einen ausgiebigen Spaziergang durch den weitläufigen Park zu unternehmen und das einzigartige Ambiente auf sich wirken zu lassen. Der Besuch des Skulpturenparks Waldfrieden ist im Eintritt enthalten.

Kulinarischer Genuss nach dem Konzert Ein besonderes Erlebnis sind die Dinner nach den KLANGARTKonzerten in der Villa Waldfrieden. Gemeinsam mit den Künstlern können Besucher mit einem speziellen Ticket in den sonst nicht öffentlich zugänglichen Räumen ein mehrgängiges Menü genießen.

Die künstlerische Leitung Der als Organisator von Veranstaltungen wie auch als Musiker bekannte Wuppertaler Maik Ollhoff hat in diesem Jahr erstmals die künstlerische Gesamtleitung der Saison inne, nachdem er bereits in den vorangegangenen Jahren den KLANGART-Initiator E. Dieter Fränzel unterstützt hatte. 53


Watching With My Ears

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Improvisierte Malerei von Jorgo Schäfer Interview: Steve Dalachinsky, NY


Skizzenbuch vom Vision Festival 2003

Kannst du deinen künstlerischen Werdegang kurz beschreiben? Mein professioneller künstlerischer Weg begann an der Werkkunstschule Wuppertal 1970. Die WKS Wuppertal war zu dieser Zeit eine hoch angesehene Schule mit Tradition. Es war keine Akademie, dennoch war der Ausbildungsschwerpunkt: Kunst. Die traditionellen Kunsttechniken und -philosophien wurden dort gelehrt. Mein Erstsemester bestand aus 15 Studenten. Wir hingen Tag und Nacht zusammen, die Einflüsse der 68er-Bewegung rüttelten uns durch und bescherten uns vier „freie“ gute Jahre. Amsterdam war gleich um die Ecke. Wann erwachte dein Interesse an Jazz und Improvisation? Sofort, als ich im Winter 1969/70 nach Wuppertal kam. Es war die richtige Zeit am richtigen Ort: der Beginn der „roaring seventies“ in Wuppertal. Wuppertal begann sich zur Free-Jazz-Hauptstadt in Europa zu mausern, gleichzeitig betrat Pina Bausch mit ihrer Compagnie die Tanzbühne im Wuppertaler Opernhaus und begann in diesen Tagen ihre Weltkarriere. Zwei Eindrücke, die mich nie mehr losgelassen haben. Schon innerhalb der ersten 14 Tage verkehrte ich im „Jazzclub Adersstraße“. Dort lernte ich alle Protagonisten der jungen Wuppertaler Free-Jazz-Szene kennen: Peter Brötzmann (reeds), Peter Kowald (b), Hans Reichel (git), Rüdiger Carl (sax, acc), Bernd Köppen (p), Achim Knispel (git) und andere. Später kam, mit den regelmäßigen Workshops des „Globe Unity Orchestra“, die Free-Jazz-Avantgarde der Welt nach Wuppertal: Alexander von Schlippenbach (p), Evan Parker (sax), Gunter Hampel (sax, vib), Han Bennink (dr), Tomasz Sta ko (tr) u. v. a. Auch die US-Szene war dabei. Hier in Wuppertal habe ich in diesen frühen Jahren zum ersten mal William Parker (b), David S. Ware (sax), Charles Gayle (sax), Anthony Braxton (sax) gehört und gesehen, um nur einige zu nennen.

Der Wuppertaler Maler und Grafiker Jorgo Schäfer ist seit 17 Jahren Artist in Residence beim New Yorker Vision Festival, dem weltweit wichtigsten Festival für Freejazz, Dance, Poetry und Visual Arts. Der New Yorker Dichter und Schriftsteller Steve Dalachinsky* hat ein Interview mit Jorgo Schäfer geführt.

Musikalisch war ich in dieser Periode Kind meiner Zeit. Ich hörte Rock, R’n’B, Soul usw. In der Abteilung Jazz war ich erst bei Dixieland (z.B. Bix Beiderbecke). Ich habe dann mehrere Entwicklungsstufen des Jazz übersprungen und bin sofort beim Free Jazz gelandet. In den folgenden knapp 50 Jahren habe ich dann das Jazzpferd von hinten aufgezäumt. Wann hast du angefangen zu Livemusik zu malen, zu malen, was du siehst/hörst? Erst verhältnismäßig spät, im Jahr 2000 beim Vision Festival in NY, im „New Age Cabaret“ St. Marks Place. Im 55


„Quartett“, Tusche auf Chinapapier, 105 x 65 cm, Vision Festival, 2007

gemeinsamen Atelier mit meiner Lebensgefährtin Ulle Hees fanden ab den 80er-Jahren immer mal wieder Sessions statt, wenn Peter Kowald mit anderen Musikern Proben angesetzt hatte. Da haben wir beide viel skizziert. Aber richtig angefangen, „Watching With My Ears“ zu einem Schwerpunktthema meiner künstlerischen Arbeit zu machen, erst 2000. Peter hatte mich nach dem Ende seiner Amerikatournee erstmalig zum Vision Festival eingeladen. Es war der wunderbare Beginn einer intensiven Begegnung mit den Künstlerinnen und Künstlern von „arts for art“, die mein Leben nachhaltig beeinflusst hat. Betrachtest du deine Arbeiten als Musik? Machst du selber Musik, oder betätigst du dich noch in anderen künstlerischen Feldern neben der Malerei? Nein, ich bin kein Musiker. Als Kind wollte ich immer Flamenco-Gitarrist werden, musste aber schnell feststellen: Meine Finger waren zu kurz (sic). Dennoch, seit fast 50 Jahren bin ich auch Karikaturist und Cartoonist und seit 33 Jahren Mitherausgeber des Wuppertaler Satiremagazins „ITALIEN“. Wie war dein Verhältnis zu Peter Kowald, und was ist dein Engagement bezüglich Peter Kowalds Atelier, das jetzt ein Platz für Artists in Residence geworden ist? Peter Kowald habe ich sofort Ende 1969/70 kennengelernt, als ich nach Wuppertal kam. Er hat mich nachdrücklich an den Free Jazz herangeführt und meine Liebe dafür geweckt. Er hat mich zu den wichtigsten Festivals der Zeit mitgenommen (Berlin, Moers usw.) Die Musik war zu dieser Zeit sehr ungestüm, anarchistisch und respektlos. Es wurde nicht selten Material von Hanns Eisler und Kurt Weil verwendet und „zerspielt“. Das passte gut in die Zeit der 68er-Bewegung. 56

In der Folge wurden wir Freunde, hatten eine griechische Zeit zusammen und lebten für 18 Jahre im gleichen Haus. Nach Peters Tod war ich eines der Gründungsmitglieder der „Peter Kowald Gesellschaft/ort e. V.“, die seit über 13 Jahren im ehemaligen Atelier von Peter erfolgreich Veranstaltungen durchführt (Improvisationsmusik, Tanz, Lesungen, Ausstellungen). In den vergangenen Jahren habe ich viele Künstler aus dem Umfeld des Vision Festivals als Artist In Residence nach Wuppertal eingeladen (Terry Jenoure (vl), Maria Mitchell (dance), Jo Wood-Brown (painting), Patricia Nicholson-Parker (dance) und William Parker (b). Andere sind bei uns aufgetreten: Leo Wadada Smith (tp), Digital Primitives, Parker, Drake, Gayle, auch du Steve mit deiner Frau Yuko Otomo (poetry), du erinnerst dich?! Die jetzt 17-jährige regelmäßige Teilnahme am Vision Festival hat mich, auch jenseits der Musik, sehr stark verändert. Im Besonderen der erstmalige Kontakt zu einer AfricanAmerican Community, hat mich stark beeindruckt und meinen Blick auf die amerikanische Gesellschaft positiv beeinflusst. Steve, ich habe mich als junger Mensch über den Vietnamkrieg politisiert und wurde ein linker, politischer Aktivist mit großen antiamerikanischen Resentiments ... Mittlerweile habe ich nicht nur Freunde gefunden, sondern freue mich jedesmal, wenn ich in NY bin und in Peters alter Bude in Harlem wohne, das ist mir eine große Freude! Jeff Schlanger** sieht sich als „Zeitzeuge“, der sich am Prozess beteiligt und die Musik dokumentiert. Siehst du dich auch in dieser Rolle? NEIN! Ich liebe Jeff und bewundere seine Arbeit, seinen Stil und Technik, seine Energie und Fleiß, aber ich habe einen anderen Zugang. Eric Dolphy sagte seinerzeit: „When you hear music, after it’s over, it’s gone, in the air, you can never capture it again.“ Aber ich versuche, die Musik festzuhalten, ich gebe dem Moment eine visuelle, greifbare Form. So bewahre ich etwas auf, was nicht aufzubewahren möglich erscheint. Ich lasse mich vom Sound leiten und gebe mich ganz dem Moment hin: vom Ohr zum Herzen zur Hand zum Pinsel aufs Blatt! Ein Prozess, bei dem es mir nicht um Wiedererkennbarkeit der Musiker oder des Veranstaltungsortes geht. Es geht mir um die Energie des Augenblicks und was sie auslöst ... in den Musikern, in mir, im Publikum. Es geht mir um die Dialektik von Bewegung und Ruhe, Anspannung und Entspannung, innere Zustände eben ...


„Der betrunkene John Coltrane wird von allen guten Geistern sicher nach Hause geleitet“, Tusche, Goldacryl auf Leinwand, 200 x 160 cm, 2016

Die gleichzeitige Konzentration auf die Musik und mein eigenes künstlerisches Tun löst immer wieder ungeahnte Glücksgefühle aus, anders als beim reinen Zuhören. Zu Hause, in meinem Atelier entstehen, im Nachklang zum Festival, regelmäßig großformatige Arbeiten auf Leinwand. Sag uns was über deinen jährlichen Jazzkalender. Was inspiriert dich dazu? Arbeitest du noch an anderen Projekten dieser Art? Seit acht Jahren produziere ich einen Jahreskalender „Sound & Time“: sechs farbige Holzschnitte, handgedruckt, signiert und nummeriert, in kleiner limitierter Auflage. Mit amerikanischem Kalendarium versehen (Juli bis Juni nächsten Jahres). Unter dem Titel „Vision, Sound & Time“ bringe ich immer ein paar Exemplare mit zum Vision Festival. Meistens sind es Titel aus meiner persönlichen „Hitliste“, die ich dafür visualisiere. Dieses Jahr ist es der fortlaufende Text des Songs „Dr. Yesterday“, William Parker hat mich dazu autorisiert.

Magst du abstrakte Kunst, und arbeitest du manchmal abstrakt? Wenn ich z. B. beim VF als Festivalmaler arbeite, habe ich ein festes Prinzip: Ich fange erst an mit Beginn der Musik und höre auf, wenn der letzte Ton verklungen ist. Erst wenn das Saallicht wieder angeht, sehe ich das Ergebnis, das mehr oder weniger im Halbdunkel entsteht. Dieser „Blindflug“ führt mich nicht selten von der Figürlichkeit zur Abstraktion, das ist auch gut so und so gewollt! Keine Korrekturen, kein Nacharbeiten mehr, nur noch signieren, vorausgesetzt, es ist eine gute Arbeit, eine gute visuelle Improvisation geworden. Steve Dalachinsky, 2017

* Steve Dalachinsky ist ein New Yorker Dichter und Schriftsteller. Er ist ein integraler Teil der NY- und US-Jazzszene. Mit den Größten seiner Zeit steht er auf der Bühne und performed seine Poetry, unverwechselbar und stilbildend. Ebenso sind

Im Moment arbeite ich an einem Kunstbuchprojekt, Gedichte des Wuppertaler Schriftstellers Michael Zeller und Holzschnitte von mir, Handsatz (ich habe mal eine Schriftsetzerlehre gemacht), hochwertiges Papier, Kunstbuchbindung ... so was.

seine Linernotes, die er kenntnisreich für unzählige CDs verfasst hat. ** Jeff Schlanger, Maler und Skulpteur, ist der Chronist der New Yorker/US Jazz Szene. Seit der Loft-Bewegung der 1970er Jahre bis heute ist er nahezu auf allen großen Jazzveranstaltungen mit großen Papierformaten und vielen Farben zugegen, als „listener and eyewitness“. Ich kenne und liebe ihn seit 17 Jahren.

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Jasper van’t Hof, Fotos: Willi Barczat

Go With The Wind Jasper van’t Hof, Tony Lakatos und Charles Petersohn in der Kirche Herz Jesu Oder: Neue Wege der Wuppertaler/Solinger Caritas für eine transkulturelle und humane GesellschaftGesellschaft

Konzert mit Videoprojektion in den Kirchenraum

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Tony Lakatos

Ein sonniger Samstagabend im späten Mai, die Sonne steht tief und legt einen kupfernen Glanz um den Kirchturm der Kirche Herz Jesu in der Unterbarmer Hünefeldstraße. Immer mehr Menschen drängen in die Kirche – so lange, bis schließlich kein Platz mehr frei ist. Es ist kein Gottesdienst im engeren Sinne, eher eine Art musikalische Messe in Jazz. Jasper van’t Hof, einer der ganz großen Pianisten des europäischen Jazz, haucht der Kirchenorgel mit Tasten und Pedalen neues Leben ein. „Go With The Wind“, lautet der Titel des Konzertes. Über Jahrhunderte hatten Komponisten wie Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach sowie unzählige Organisten zum Lob Gottes Luft durch die Pfeifen dieses Instruments strömen lassen, sei es um die Pracht und Größe des christlichen Gottes erstrahlen zu lassen oder um die Zuhörer mitzunehmen auf eine spirituelle Reise, in der sich die Großartigkeit der Schöpfung spiegelt.

Go With The Wind Hier und heute aber swingt und groovt die Kirchenorgel unter den Fingern und Füßen Jasper van’t Hofs. „Schon als Kind habe ich dieses Instrument

geliebt“, verrät der Musiker zu Beginn des Konzerts. „Die Kirchenorgel ist eine Art Alleskönner, denn sie hat alles ‚im Hause‘, den Klang einer Piccoloflöte oder Bassposaunen genauso wie Schalmeien und Trompeten.“ Seit rund zehn Jahren verwirklicht Jasper van’t Hof den lang gehegten Traum, seine Musik auch auf der Kirchenorgel zu spielen. Gemeinsam mit dem ungarischen Saxofonisten Tony Lakatos, einem langjährigen musikalischen Wegbegleiter, entspinnt sich ein musikalisches Zwiegespräch auf Gipfelhöhe. Zuweilen kreiert Jasper van’t Hof komplexe Strukturen in den Phrasierungen, in denen sich die Grenzen zwischen musikalischen Genres auflösen. Jasper van’t Hof sagt dazu: „Komponieren ist harte Arbeit. Am Anfang ist da nichts, und es dauert lange, bis aus dem Nichts ein Etwas wird. Das gilt für Musiker und Komponisten aller Genres. Und das, was dann entsteht, sollte man nicht in Schubladen stecken, sondern einfach hören - und verstehen.“ Seine Improvisationen über ein Thema von Bach lassen der Alten Musik ihre Größe und Spiritualität und holen sie zugleich in ein musikalisches jazziges Heute. 59


Wie die Orgel ist auch das Saxofon ein Luftinstrument. Gemeinsam lassen Jasper van’t Hof und Tony Lakatos ihre Instrumente atmen und flüstern, singen und swingen – und: innehalten. Nach Ausflügen in das Reich der majestätischen Klänge schafft Jasper van’t Hof Räume der Ruhe. Über den luftigen Klangteppich der Orgeltöne legt Tony Lakatos dann glasklare Linien oder spannt ätherische, elegische Bögen. Jasper van’t Hof und Tony Lakatos – gemeinsam bringen sie das Kunststück fertig, zwei musikalische Pole zusammenzubringen: Ekstase und eine Art inspirierter Kühlheit, „ein kontrollierter Rausch“, wie es die Neue Westfälische beschrieb, die sich in eine Reihe von begeisterten Besprechungen dieses Projektes einreihte.

Charles Petersohn und Jasper van’t Hof, Foto: Willi Barczat

Ein besonderer Moment dieses Konzerts war der Auftritt des Wuppertaler Musikers, DJs und Soundtüftlers Charles Petersohn. Zur Erinnerung an das Album „Delirious“, das Petersohn und van’t Hof 2006 gemeinsam veröffentlichten, gestalteten die drei Musiker ein vital-ironisches Gedicht von Petersohn: „Du bist Peter Pan“. Eine Hommage an den Fußball und den Glauben an die Fähigkeit, schwierige Situationen zu überwinden.

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Kulturarbeit der Caritas Apropos Charles Petersohn: Über ihn knüpfte der Veranstalter, der Caritasverband Solingen/Remscheid, die Kontakte zu van’t Hof und Lakatos. „Wir möchten gerne mit Wuppertaler Kulturschaffenden, die über ausgezeichnete Kontakte und Netzwerke verfügen, die soziale Kulturarbeit des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen intensivieren“, sagt Anita Dabrowksi, Leiterin des Internationalen Begegnungszentrums in der Hünefeldstraße. Schon der ebenfalls durch Charles Petersohn vermittelte Auftritt der tuwinischen Musikgruppe Huun-Huur-Tu war ein großer Erfolg. Mit ihren in die Seele fahrenden und zu Herzen gehenden Obertongesängen (Khöömei) beschworen die Musiker die Weite und Erhabenheit der Steppe, die Schönheit, aber auch die Härte eines Lebens in der Natur. Menschen aus ganz NRW waren gekommen, um diese exotischen Klängen aus einer anderen Welt zu hören. Für Anita Dabrowski sind „Kultur-und Sozialarbeit die beiden Seiten einer Medaille“. Ein Konzept, das bundesweit innerhalb der Caritas einmalig ist. „Es war viel Überzeugungsarbeit notwendig, um die Verantwortlichen von der Tragfähigkeit dieser Idee zu überzeugen.“ Nun zeige der Erfolg der Arbeit vor Ort, wie richtig dieser Ansatz sei. Viele der aus ihren Heimatländern geflohenen Menschen, die praktische Hilfe und Unterstützung bei der Caritas suchten, seien Künstler, Musiker, Intellektuelle. „Und für die ist ein Forum, um sich mitteilen zu können, seelisch mindestens ebenso wichtig wie die Unterstützung beim Gang zum Amt oder der Sprachkurs. Künstler leben eben auch von der Öffentlichkeit.“ Leuchtturmveranstaltungen wie das Konzert mit Jasper van’t Hof und Tony Lakatos dienen dazu, die soziale Kulturarbeit der Wuppertaler/Solinger Caritas im öffentlichen Bewusstsein zu verankern: „Damit unser Haus auch gut besucht wird, wenn weniger prominente, bei uns im Exil lebende Künstler auftreten.“

Ost-West-Kontakte Die Idee, Sozial- und Kulturarbeit zu verknüpfen, entstand schon vor längerer Zeit, berichtet Anita Dabrowski. Ein wichtiger Impuls war ihr Praktikum beim damaligen Wuppertaler Kulturamt, das seinerzeit unter Leitung von Dieter E. Fränzel das Interkulturfestival veranstaltete. „Diese Art der Interkulturarbeit war auf die Herkunftsländer der Gastgeber fokussiert; so luden wir Straßentheater und bildende Künstler, Musiker und Autoren aus den Herkunftsländern der sogenannten Gastarbeiter zu uns nach Wuppertal ein, also aus Italien, Spanien, der Türkei und dem früheren Jugoslawien.“ Zu den Kulturschaffenden aus den osteuropäischen Ländern


bestanden zunächst keine Kontakte. „Hinzu kam, dass der Eiserne Vorhang die Begegnung insbesondere zu systemkritischen Künstlern und Autoren erschwerte. Damals gab es offiziell auch keine Statistik, wie viele Menschen aus Osteuropa in Wuppertal lebten. Als wir das recherchierten, waren wir erstaunt, dass mehr als 40 000 osteuropäische Gastarbeiter in Wuppertal lebten. Was lag da näher, als denen ein kulturelles Forum zu bieten?“ So entstanden die OstWest-Kontakte, durch die Wuppertal von 1995 bis 2011 Begegnungen u. a. mit slowakischen, kroatischen, tschechischen und ungarischen Autoren und Künstlern knüpfte.

terkulturellen Dialog entstehen kann. „Heute versteht der Caritasverband interkulturelle Kulturarbeit als Antwort auf die durch die Zuwanderung multikulturell gewordene Gesellschaft“, sagt Olga Zimpfer. Sie ist als Kulturpädagogin für das Kulturprogramm mitverantwortlich. „Es geht darum, den kulturellen Reichtum und die Potenziale der Migrantinnen und Migranten sowie ihrer Kinder in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen als auch ihren kulturellen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.“

In einer Zeit, als unzählige Deutsche den Süden durch Reisen entdeckten, war der Osten Europas für viele eine Art Terra incognita. Im Rahmen der Ost-West-Kontakte kamen bedeutende Autoren wie der polnische Schriftsteller und Dramatiker Slawomir Mrozek nach Wuppertal, ebenso wie der auch aus Polen stammende Jazztrompeter Tomasz Sta ko oder der Plakatkünstler Francisek Starowieyski, dessen Arbeiten im MOMA (Museum of Modern Art) in New York ausgestellt wurden. Letzterer gestaltete, angeregt durch die Ost-West-Kontakte, Plakate für die Wuppertaler Bühnen.

Das Internationale Begegnungszentrum des Caritasverbandes Wuppertal/Solingen e. V. beteiligt sich am 2. September an der KulturTrasse 2017 mit dem interreligiösen Konzert „Musik für die Götter“. Im Zentrum des Konzertes wird ein musikalisch umgesetzter interreligiöser Dialog stehen, in dem Christen, Muslime, Juden, Buddhisten, Hindus und Atheisten zu Wort kommen und durch Lieder vertreten sein werden. Das Ensemble „HimmelWasserErde“ besteht aus Sinfonikern, Bandmusikern und Elektronikern, die gemeinsam mit einigen Gastmusikern außergewöhnliche Werke und Lieder spielen werden, die sich jeweils einer Glaubensgemeinschaft widmen. Gerade in der von Flüchtlingswellen und Terrorattentaten verunsicherten und aufgeheizten Stimmung wollen die regionalen Religionsgemeinschaften und Musiker zu einem friedlichen Zusammenleben und zur Stärkung der gesellschaftlichen und religiösen Vielfalt beitragen. Der Caritasverband Wuppertal/Solingen e. V. leistet durch dieses Projekt seinen Beitrag dazu. Heiner Bontrup

Orientexpress „Nach dem Fall der Mauer und der Auflösung des Warschauer Pakts wirkte der Titel ,Ost-WestKontakte‘ zunehmend polarisierend und auch nicht mehr zeitgemäß“, sagt Anita Dabrowski. „Für uns ging es nunmehr vor allem darum, die vor Ort in Wuppertal lebenden Künstler mit Kulturschaffenden aus Europa und Vorderasien in Verbindung zu bringen.“ Dieser Idee dient unter anderem die Veranstaltungsreihe „Orientexpress“, bei der die Länder entlang der legendären Zuglinie Paris - Istanbul miteinander verbunden wurden. Im August 2015 startete der „Orientexpress“ als Kooperation der Städte Solingen, Wuppertal und Schwelm: rund 25 Veranstaltungen aus Musik, Literatur, Poetry Slam, Theater, Film, Kunst und Tanz.

Im KuKuNa-Garten: Terrasse über der Wupper, Foto: Daniel Schmitt

KuKuNa Neu ist das KuKuNa, das Atelier für Kunst, Kultur und Natur, das im April 2015 seine Pforten öffnete. Idyllisch hinter der Kirche Herz Jesu gelegen, öffnet es sich zu einem liebevoll angelegten Garten, von dem aus man zu einer Terrasse gelangt, die über der Wupper schwebt. Das KuKuNa ist eine Oase der Ruhe und Kreativität für Künstlerinnen und Künstler, gleichzeitig Galerie und ein Ort für Workshops. In diesem Jahr werden Kurse von 15 regionalen und einem internationalen Kulturschaffenden für Einheimische und Zugewanderte angeboten, damit Neues im in61


Moderator Lars Wierum

Solala-Festival 2017 Solingen auf dem Weg zum A-cappella-Mekka? Am Sonntag, dem 22. April dieses Jahres, standen sechs A-Cappella-Bands auf der Bühne des Stadttheaters Solingen. Zum dritten Mal in Folge wurde den Fans des Acappella-Gesangs ein abwechslungsreicher wie mitreißender Abend geboten. Der mit 650 Besuchern ausverkaufte Konzertsaal sprach da für sich. Als der Moderator Lars Wierum zu Beginn der Veranstaltung das Publikum fragte, woher sie denn alle kommen würden, war man nicht erstaunt, dass einige Gäste über 400 km Anfahrt in Kauf genommen hatten, um diesen grandiosen Abend zu erleben. Niemand hätte vor drei Jahren gedacht, dass in kurzer Zeit im beschaulichen Solingen A-cappella-Gesang ein volles Haus bewirken würde. Weit gefehlt! Es hatte sich in den beiden Jahren zuvor wohl schnell herumgesprochen, dass die eingeladenen Bands - jede auf ihre Weise - das Publikum schnell mitnehmen und für eine völlig lockere Atmosphäre sorgen würden. Fast fünf Stunden Vokalgesang vergingen daher auch dieses Mal wieder im Fluge. Am Ende der Veranstaltung, in der die Bands immer wieder mit frenetischem Beifall belohnt wurden, überreichte Lars Wierum zusammen mit der Vertreterin der Sparkasse Solingen und dem Geschäftsführer der Firma Güde, Herrn 62

Dr. Peter Born, den Publikums- und den Jurypreis an die beiden besten Formationen. Der Publikumssieger, die österreichische Band Piccanto, erhielt - wie sollte es anders sein? - die „Goldene Klinge“. Jedem Bandmitglied wurde ein speziell angefertigtes Brotmesser der Solinger Firma Güde überreicht. Der Jurypreis, wohl erst nach längerer Diskussion vergeben und mit 1 000 Euro dotiert, ging an die Band Quintense aus Leipzig. Eine aufwendige und abwechslungsreiche Lightshow bot den strahlenden Rahmen für die fünf Gesangsgruppen und die One-Man-Beatbox-Band. Die diskret im Hintergrund aufgebaute und mit modernstem Equipment ausgestattete Tontechnik ermöglichte den Bands, den für sie typischen Sound zu entwickeln und ihn im Saal mit enormem Druck aufzubauen. Wie sehr der heutige A-cappella-Gesang auf einen versierten Tontechniker am Mischpult und dessen Fähigkeiten in Bezug auf Sounddesign angewiesen ist, bestätigte sich auch bei dieser Veranstaltung aufs Neue. Die „Wise Guys“ aus Köln oder auch die „Medlz“ aus Dresden sind nicht allein innovative Vorreiter in Sachen ausgefeilter Mikrofontechnik. Den Anfang des Abends machten die späteren Sieger, Quintense, ein Quintett mit zwei Frauen- und drei Männerstimmen. Ihre Domäne sind für die Band speziell arrangierte Coverversionen aus Jazz und Pop. Bekanntes erklang da im A-cappella-Sound plötzlich völlig neu und verblüffte.


Im Anschluss an die fünf Jungstars aus Leipzig trat das Quartett KlangKüsse aus dem Bonner Raum auf. Drei Frauen und ein Mann moderierten ihre Barbershop-Songs witzig wie abwechslungsreich und sorgten für eine lockere Atmosphäre. Mir gefiel diese Band, die sich durch ihre Stilrichtung von den anderen Gruppen stark unterschied, ja, ich würde sagen, wohltuend abhob, am besten. Zwei Raummikrofone genügten, um den sehr natürlich klingenden und ausgeglichenen Close-Harmony-Sound der sauber intonierenden Sängerinnen und Sänger zu übertragen. Die sechsköpfige, international besetzte Gruppe B’n’T aus Regensburg sorgte danach für ganz andere Töne. Eine Mischung aus eigenen Songs, Ray-Charles-Arrangements und aktuellen Hits brachten das Publikum schnell in Fahrt und waren immer wieder Anlass für großen Beifall. Die rockten den Saal, keine Frage.

Quintense, die Gewinner des Jurypreises

KlangKüsse aus dem Bonner Raum

B’n’T aus Regensburg

Der Beatboxer fii begeisterte schließlich das Publikum mit seinem Gesang, den dabei gekonnt eingesetzten Loops, den eingeworfenen Raps sowie den perfekt inszenierten Interaktionen mit den Zuhörern vollends. Er hatte die Show drauf, setzte seine Technik routiniert ein und brillierte durch alle Stilrichtungen von Klassik bis hin zu Techno. Es ist erstaunlich, was ein One-Man-Act mithilfe einer professionellen Musiktechnik an komplexen Sounds aufbauen kann. Der Beatboxer fii

Die alle Konzertbesucher am meisten begeisternde Gruppe war das Salzburger Septett Piccanto. Neben ihren sauber intonierten Beiträgen setzten sie eine gut einstudierte Choreografie in ihrer Show ein. Die Coverversion des Ed-Sheeran-Hits „Shape of you“ brachte die Zuhörer schließlich regelrecht aus dem Häuschen. Der Publikumspreisträger stand damit bombenfest. Außer Konkurrenz sangen zum Schluss des Abends die Sieger des Publikumspreises beim Solala-Festival 2016, das Quintett HörBand aus Hannover. Professionelle Moderation, tadellose Intonation und eine erstaunlich sichere Bühnenperformance zeichneten die Dame und die vier jungen Herren aus. Eine Band eben, die das Zeug hat, zur „ErsteSahne-A-cappella-Group“ zu werden. I keep my fingers crossed! Das vierte A-cappella-Festival ist für 2018 bereits eingeplant. Ich habe mir meine Karte jetzt schon gesichert.

Piccanto, der Publikumspreisträger aus Salzburg

HörBand aus Hannover

Karl Heinz Krauskopf (Text und Fotos) 63


Antonie Römer in jungen und in späteren Jahren

„... aus dem Ghetto Theresienstadt entlassen ...“ Die außergewöhnliche Geschichte der Antonie Römer, geb. Marcus, aus Wuppertal Nachdem bereits im Oktober und November 1941 und im April 1942 insgesamt 464 Wuppertaler Juden in Ghettos im besetzten Polen und in der Sowjetunion deportiert worden waren, mussten sich am 20. Juli 1942 erneut 247 Juden, vor allem ältere Menschen, am Bahnhof Wuppertal-Steinbeck einfinden. Sie sollten nach Theresienstadt deportiert werden.

Fast alle dieser Menschen kamen um. Drei von ihnen nahmen sich zuvor das Leben, zwei starben noch vor der Deportation. Vier überlebten Theresienstadt und wurden von Angehörigen der Roten Armee am 8. Mai 1945 befreit. Zuvor, am 5. Februar 1945, hatten noch zwei Wuppertaler Juden das Glück, gemeinsam mit 1 500 weiteren Häftlingen befreit und in die Schweiz gebracht zu werden - eine Initiative des Roten Kreuzes. Nur einer der Wuppertaler Häftlinge, Antonie Römer, war am 12. Mai 1944 aus dem Ghetto Theresienstadt entlassen worden. Da ein solcher Fall unter den insgesamt 42 124 64

aus Deutschland nach Theresienstadt deportierten Juden überhaupt nur dreimal (!) nachgewiesen ist, stellt sich die Frage nach der Geschichte einer derart ungewöhnlichen Abweichung.

Wer war Antonie Römer? Antonie Römer wurde als Tochter des jüdischen unverheirateten Paares Johanna Marcus und Joseph Steinlauff am 17. November 1894 in Köln geboren. 1914 kam sie nach Elberfeld, wo sie den evangelisch-reformierten Dachdecker (oder Feuerwehrmann?) Nikolaus Josef Adolf Römer, geb. 30.4.1895, heiratete - taufen ließ sie sich indes erst im November 1917, zwei Jahre nach der Geburt des ersten Kindes, Alfred Adolf, vermutlich, weil die beiden erst jetzt beschlossen zu heiraten. 1922 kam das zweite Kind, die Tochter Gerda, zur Welt, und 1926 das dritte, Adolf. Aus den Einträgen in den Adressbüchern von 1934 und 1935 geht hervor, dass die Familie in der Elberfelder Nordstadt, in der Heinrichstraße 26 gewohnt hat.


1937 wurde die Ehe von Antonie und Adolf Römer geschieden - über die Gründe geben die vorhandenen Quellen keine Auskunft. Ob klassische Trennungsgründe eine Rolle spielten oder ob das Ehepaar unter Druck gesetzt worden war, ist nicht bekannt. Das Wuppertaler Adressbuch von 1940/41 nennt als Wohnadresse der nun allein stehenden und als Haushaltsvorstand verstandenen „Frau Toni Römer“ die Kleine Bandstraße 3. Im Unterschied zu den meisten anderen jüdischen Einwohnern, die in dieser Ausgabe des Adressbuchs mit ihrem seit 1939 zu führenden zusätzlichen Namen „Israel“ bzw. „Sara“ aufgeführt sind, erscheint der Zwangsname „Sara“ bei Antonie Römer nicht. Denn durch die christliche Erziehung der Kinder hatte Antonie Römer aus der Perspektive der Rassegesetze einen Status erworben, der sie von der Führung des Zwangsnamens und, nach seiner Einführung im September 1941, auch vom Tragen des „Judensterns“ befreite, obwohl sie zwei jüdische Elternteile hatte. Aber dieses kleine Privileg schützte Antonie Römer nicht: Am 20. Juli 1942 musste sie sich wie alle anderen noch in Wuppertal verbliebenen Jüdinnen und Juden am Bahnhof Steinbeck zum Abtransport einfinden. Im Archiv der Begegnungsstätte befindet sich ein Exemplar des Briefes, den die längst nicht mehr eigenständig handelnde jüdische Gemeinde in Auftrag der Gestapo an ihre Mitglieder zu schreiben hatte: Wuppertal-Elberfeld, den 12. Juli 1942 Strasse der SA 43 An unsere Mitglieder Im Auftrag der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Düsseldorf, Aussendienststelle Wuppertal, teilen wir Ihnen mit, dass sämtliche Juden des Bezirks, soweit sie nicht in Mischehe leben, zu einem Transport nach Theresienstadt eingeteilt sind. Der Transport für den Bezirk Wuppertal geht ab am Montag, den 20. Juli 1942, ab Bahnhof Elberfeld- S t e i n b e c k. Die Teilnehmer versammeln sich am 20.7.42, vormittags 8.30 Uhr auf dem Vorplatz des Bahnhofs Steinbeck (nicht auf dem Bahnsteig), sie müssen zu diesem Zeitpunkt dort eingetroffen sein. Für den Transport werden folgende Richtlinien und Anweisungen gegeben: ...

Und nun folgen drei eng beschriebene Schreibmaschinenseiten mit genauen Anweisungen zur Zahl und zum Gewicht der Gepäckstücke, zu Proviant und den zu erstellenden Inventarlisten, zur Abgabe von Hausschlüsseln, Führerscheinen, Lebensmittelkarten und anderen Dokumenten und vor allem zur Frage, welche Geldbeträge die „Abwandernden“ noch zu entrichten hätten. Die Tochter Gerda, die beiden Söhne und der seit 1939 bei seiner Tante lebende Neffe Karl Solomon Marcus konnten Antonie Römer nicht vor der Deportation bewahren und mussten mit dem Schlimmsten rechnen. Die meisten der im Sommer 1942 nach Theresienstadt deportierten Jüdinnen und Juden kamen im Ghetto um - an einer durch die miserable Hygiene verursachten Krankheit, an Hunger oder wurden nach einiger Zeit in einem der Vernichtungslager ermordet, vor allem in Auschwitz-Birkenau und in Treblinka. Nur die wenigsten hatten das unwahrscheinliche Glück, durch einen Häftlingstausch in Sicherheit zu kommen oder kraft ihrer guten Gesundheit und körperlichen Stärke zu überleben. Geplant war der Tod. Wie konnte es da zu einer „Entlassung“ kommen? Bei der Suche nach der Überlebensgeschichte der Antonie Römer liefert die Wiedergutmachungsakte einen ersten Hinweis. Am 6. März 1946 gab Frau Römer im Rahmen ihres Verfahrens zur Anerkennung als Verfolgte des Naziregimes sachlich und schlicht zu Protokoll: „Ich selbst bin, da sowohl mein Vater wie meine Mutter Juden waren, ebenfalls Volljüdin und als solche im KZTheresienstadt inhaftiert, und zwar ab 1942. Von dort bin ich wieder entlassen worden, weil sich mein Sohn Alfred Römer beim Militär ausgezeichnet hat und meine Entlassung bewirkte. Ich wäre bereits im November 1942 wieder entlassen worden, war aber so krank geworden, dass sich meine Entlassung bis Mai 44 hinzog.“ Dass ein kranker Häftling im Ghetto eineinhalb Jahre lang gepflegt wurde, bis er wieder „reisefähig“ war, ist aber eher unwahrscheinlich - solchen Aufwand ließ die nationalsozialistische Verwaltung nicht zu. Vielmehr war die Regel, dass nicht mehr arbeitsfähige und daher „unnütze“ Häftlinge bald in eines der Vernichtungslager ge-schickt und ermordet wurden. Richtig an Antonie Römers Erinnerung aber ist, dass sie im Mai 1944 entlassen wurde - das entsprechende Dokument, ein offizielles Entlas-sungsschreiben, belegt diese Tatsache. Aber als ein Jahr später, am 17. September 1947, Antonie Römer erneut über ihre Zeit in There65


sienstadt befragt wurde, gab sie eine andere Auskunft: „Sie (Antonie Römer, d. V.) war vom 20.7.1942-November 1944 in Theresienstadt inhaftiert und ist aus dem Grunde früher zurückgekommen, weil ihr Sohn bei der Wehrmacht anstelle beabsichtigter Ordensverleihung den Wunsch geäußert hat, man möge seiner Mutter die Heimkehr in die Heimat gewähren.“ Hier wird ein anderes Entlassungsdatum als in der ersten Aussage genannt - November statt Mai -, und das lässt Zweifel an der Zuverlässigkeit der Zeugin aufkommen. Was mag Antonie Römer zu diesen unglaubwürdigen und widersprüchlichen Angaben gebracht haben? War ihr etwas anderes wichtiger? Die Geschichte hat sich anders zugetragen. Aber stolz auf ihren Sohn durfte Antonie Römer trotzdem sein, denn der spielte dabei eine tragende Rolle: Vom 3.11.1936 bis zum 26.10.1938 hatte Alfred seinen Militärdienst ableisten müssen. Kurz vor Kriegsbeginn, am 22.8.1939, war er erneut einberufen, aber am 1. Februar 1941 entlassen worden mit der Begründung, ein „jüdischer Mischling“ zu sein. Seine Herkunft war bekannt geworden, weil sich Alfred um die Heiratserlaubnis mit einer „Arierin“ bemühte, mit der er am 19. Januar 1941 eine Tochter bekommen hatte. Mit der Mutter des Kindes, der evangelischen Seidenwenderin Edith Koch, war Alfred seit vielen Jahren befreundet. Um die Heiratserlaubnis nun doch zu bekommen, gelang es Alfred nach Nerven aufreibendem Briefverkehr und mit der Unterstützung des Polizeiinspektors Dreyling, glaubhaft nachzuweisen, dass seine Mutter unehelich geboren worden war, ihr Vater (sein Großvater) der Familie nicht bekannt und auch nicht auffindbar war. Auf dieser Grundlage beurkundete am 21. August 1942 das Reichssippenamt in Berlin, dass der „[...] Erzeuger der Mutter des Prüflings ein Mann deutschen oder artverwandten Blutes gewesen ist. Diese ist somit biologisch gesehen jüdischer Mischling I. (ersten) Grades. Somit ergibt sich die oben vorgenommene rassische Einordnung des Prüflings als jüdischer Mischling II. (zweiten) Grades.“ Die Folge war, dass Alfred Römer am 20. Oktober 1942 erneut zur Wehrmacht geholt wurde. Erst 1944 erhielten Alfred Römer und Edith Koch ihre Heiratsgenehmigung. Für die Mutter Antonie war die neue Einordnung als „Mischling 1. Grades“ lebensrettend: Alfred Römer bemühte sich nun unermüdlich, den „Irrtum“ aufzuklären, dass seine Mutter, obwohl doch „nur“ Mischling, überhaupt in 66

Das Gedicht der Berliner Jüdin Hedwig Harrwitz

Theresienstadt war. Tatsächlich kann es also stimmen, dass Antonie Römer seit November 1942 wusste, nicht mehr als „Volljüdin“, sondern als „Mischling I. Grades“ zu gelten. Nicht sicher ist, welche Rolle es spielte, dass Alfred nach einem Flugzeugabschuss über dem Mittelmeer einem Vorgesetzten helfen konnte, indem er ihm eine Holzplanke zuschob, an die er sich klammern konnte. Seine Witwe, Frau Edith Römer, erinnert sich, dass sich das 1942 abgespielte und dass ihr Mann dafür einige Tage Urlaub bekam. Am 12. Mai 1944 wurde Antonie Römer aus dem Ghetto Theresienstadt entlassen - zu dem Zeitpunkt wog sie 67 Pfund. In Elberfeld kam sie offensichtlich am 17. Mai 1944 an, wo sie bis März 1945 stationär im St.-Joseph-Krankenhaus behandelt wurde. Sie blieb bis zu ihrem Tod in Elber-


feld gesundheitlich schwer geschädigt und traumatisiert. An ihre Zeit im Ghetto erinnerte sie ein kleiner Zettel mit einem Gedicht, das ihr eine „Kameradin“, die Berliner Jüdin Hedwig Harrwitz, mit Datum vom 3. Oktober 1943 geschrieben hatte: Frau Römer, man weiß es genau, Ist eine tüchtige, praktische Frau, die tätigste wohl, die es hier gibt, Drum ist sie allgemein beliebt. Das Schönste ist, dass jederzeit Sie gern zum Helfen ist bereit, Zur Hilfe steht mit Rat und Tat, Sie ist der beste Kamerad! Frau Römer lässt zu keiner Zeit Je einen in Verlegenheit. Was immer auch dem Freund geschah, Sie ist zur Stelle, sie ist da, Und wendet sicher seine Not, Denn praktisch ist sie! Sapperlot! So mög` für sie in Angst und Pein Auch Freundschaft stets zu finden sein, die ihr zur Seite steht und nützt Und sie vor Ungemach beschützt, Daß Glück sie finde immerdar, Von Herzen wünsche ich‘s fürwahr! Hedwig Harrwitz wurde einen Tag vor Antonie Römers Entlassung, am 16. Mai 1944, nach Auschwitz deportiert

und ermordet. Antonie Römer starb am 8. Oktober 1973 in Wuppertal und wurde auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg bestattet. Ihr Sohn Alfred Römer starb 1983, ihre Tochter Gerda im August 2006. Der jüngste Sohn, Adolf Römer, war noch kurz vor Kriegsende einberufen und in Frankreich schwer verwundet worden. Er starb an seinen Verletzungen am 18. Mai 1945. Dass das Familiengedächtnis die Erinnerungen so speichert, umformt und tradiert, dass sie für einen selbst und für die Umwelt erträglich, vielleicht sogar angenehm werden, ist mittlerweile nachgewiesen. Durchlittene Traumata werden u. a. auf diese Weise bewältigt. Die Vorstellung des tapferen und selbstlosen Sohnes, der seine Mutter durch eine Heldentat aus dem Konzentrationslager befreit, scheint für Antonie Römer auf jeden Fall erzählenswerter gewesen zu sein als die Geschichte einer Herkunft, die moralisch „nicht ganz einwandfrei“ war, auch wenn gerade sie es war, die ihr das Leben tatsächlich gerettet hat. Festzustellen bleibt, dass Antonie Römers „Entlassung“ ein eigentlich unglaublicher Glücks- und Ausnahmefall war: das Resultat der Bemühungen ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter und eines vermutlich zufälligen Zusammenspiels mehrerer günstiger Umstände. Ulrike Schrader

The art of tool making 67


pulsierend aktuelle Texte zusammen. Sie stammen von 40 Autorinnen und Autoren, nicht nur aus der Region. Bundesweit sind sie der Einladung gefolgt, wie Wolfgang Butt, Übersetzer von Henning Mankell, Per Olov Enquist u. a., wie Lütfiye Güzel, Stadtteilschreiberin von Köln-Mülheim, oder wie der erfolgreiche Romanautor Michael Buselmeier mit unveröffentlichten Gedichten. Besondere KARUSSELLEigenart ist die bildnerische Gestaltung durch jeweils eine Künstlerin, einen Künstler.

Im Café Hutmacher mit den drei Herausgebern Torsten Krug, Andreas Steffens und Dieter Quand, Foto: Claudia Scheer van Erp

Die Grafiken von „Utopie Heimat“ stammen von Clara Thorbeke. Für Produktion und Vertrieb wurde der Bergische Verlag mit Sitz in Remscheid gewonnen. Im November 2016 folgte die KARUSSELL-Ausgabe „Liebe Lüge“. Texte wurden zusammengeführt, die sich hinterfragend und spielerisch den heute fast schwindelig und schmerzhaft aktuellen Fragen nach Liebe und Lüge widmen. Zeichnungen und Text im Heft stammen von dem verstorbenen Wuppertaler Künstler Andreas Junge.

WIR auf einem KARUSSELL Worte. Ideen. Bilder. Geschichten. Sie laden ein, sich auf eine Reise zu begeben, unterwegs zu sein, einzutauchen oder abzuheben. Allein und gemeinsam. Momente erscheinen in einer anderen Geschwindigkeit, aus einer ungewohnten Perspektive oder gar von oben betrachtet. Literatur, Prosa, Lyrik, Essay, Kunst und Aphorismen: KARUSSELL heißt sie, die neue alte „Bergische Zeitschrift für Literatur“. Zum dritten Mal hat sie Fahrt aufgenommen. Die Präsentation der jüngsten Ausgabe zum Thema „WIR“ wurde am 20. Mai im Café Hutmacher in Utopiastadt an der Nordbahntrasse vorgestellt. Es ist die dritte Ausgabe im aktuellen KARUSSELL-Zyklus, der 2016 frisch und lebendig ins Leben gerufen wurde. Herausgeber sind Torsten Krug (Theaterregisseur, Autor und Musiker), Andreas Steffens (Philosoph und Künstler) und Dieter Quand (Autor und Rundfunkjournalist). Zur Literatur Biennale 2016 im Mai/Juni letzten Jahres haben sie den Neustart der Zeitschrift auf den Weg gebracht. Thematisch zum Thema der Biennale „Utopie Heimat“ führte die erste Neuausgabe starke, vielseitige und 68

Erst in der jüngsten Vergangenheit waren seit 2012 unter Federführung von Friederike Zelesko drei Neuausgaben der Zeitschrift erschienen. Initiiert wurden sie vom Verband deutscher Schriftsteller VS/Bergisches Land und der Autorengemeinschaft „Literatur im Tal“. Die Geschichte der Neuanfänge der Zeitschrift reicht bis in die 80er-Jahre zurück. Gegründet wurde sie von Jo Micovich und Jörg Aufenanger. Die ursprünglichen „Wuppertaler Hefte zur Literatur“ waren von jener Dichterin inspiriert, die die Schönheit und spröden Widersprüche Wuppertals einzigartig sichtbar macht: Else Lasker-Schüler. Auf dem Rücken der neuen KARUSSELL-Auflagen stehen folgende Worte: „Am schwärzesten Fluss der Welt lernt man erkennen, welche Menschen leuchten. Das Gedudle der Karussells ist wie Engelsmusik“. Mit der Präsentation der aktuellen KARUSSELL-Ausgabe zum Thema WIR weben und verknüpfen die Zeitschriftenmacher in die Stadt hinein. Die Literaturzeitschrift wird selbst zum Akteur, ähnlich wie Else Lasker-Schüler die schräge Eigensinnigkeit Wuppertals in Poesie verwandelte. Das Karussell-WIR stellen sie in Utopiastadt vor, einem Ort, an dem sich Menschen auf innovative Weise mit


kreativem und gemeinsamem Handeln beschäftigen. Alle sie tragen zu einer Aufbruchstimmung bei, die seit einigen Jahren gärt und sprießt. KARUSSELL rückt an diesem Ort literarisch Fragen nach Gemeinschaft und Zusammenhalt in den Fokus. Dadurch werden Themen wie Einsamkeit, Gespaltenheit und andere Hürden und Traumata gegenwärtig, die aktuell weltweit herausfordern. Die schreibende Zunft hat eine besondere Rolle: sie ist per se erstmal einsam. Im Spannungsfeld von Trennung und Verbindung steht sie für ein Paradox oder besser eine Herausforderung, die den Menschen prägt und wohl immer prägen wird. Auf das Hutmacher-Sofa haben die KARUSSELL-Herausgeber vier Gäste eingeladen: die Hamburger Autorin Maiken Brathe, den Wuppertaler Schriftsteller, Zeichner und Musiker Eugen Egner, die in Düsseldorf lebende Lyrikerin Sigune Schnabel und den Wuppertaler Schiftsteller Hermann Schulz. Lyrik macht die menschlichen Zerreißproben in dem einfachen Widersetzen gegen das schnell Verdauliche besonders spürbar. Die junge Lyrikerin Sigune Schnabel trägt mit stockender Stimme ihre Texte vor. Ihre kleinen Pausen machen sie erfahrbar. Mit „Sechs Stufen von Wir“ überrascht Maiken Brathe aus Hamburg. Sie geht anderen Perspektiven nach. Schonungslos und ernüchternd stellt sie in ihrer Prosa Fragen zum realen Leben und Nicht-Erleben von Inklusion. Der renommierte Eugen Egener lädt mit seinem Text „Die schwarze Armee“ zu einer surreal anmutenden Reise in ein bizarres Landschaftsszenario ein, irgendwo zwischen Provinz und Millionenstadt. Der welterfahrene Hermann Schulz geht in „Die Weißen sind nicht dümmer als wir!“ humorsinnig und liebevoll Geschichten nach, die sich mittendrin, zwischen Kulturen und Menschen entspinnen. Prosa, Lyrik, Essay, Kunst, Aphorismen: Faszinierend ist die Vielseitigkeit der Textformate, Erfahrungen und Annäherungen an das vielgesichtige WIR, voller Abhängigkeiten und Freiheiten. Sie lassen ernüchternde Szenarien auftauchen, äußern sich im Unbehagen mit vereinnahmenden Wir-Momenten und offenbahren sich zugleich zaghaft als Sehnsuchtsorte. Zu den Buchstaben und Worten gesellen sich die Fotografien von Sebastian Eichhorn. Eines seiner Fotos transportiert auf besondere Weise ein euphorisches Wir-Gefühl, zukunftsweisend und provokativ zugleich: zu sehen ist der Fahrradschwarm Critical Mass in der legendären Blitzwelle an der Straßenkreuzung im Viertel Loh. Der Hyperrealismus kann zu einem „schriftstellerisches Tor zur Welt“ werden, formuliert es Jan Decker wie ein Credo für eine Literatur der starken Bilder. Die „leben-

Fahrradschwarm Critical Mass in der legendären Blitzwelle an der Straßenkreuzung im Viertel Loh, Foto: Sebastian Eichhorn

digen Stimmen der Verlorenen“ hinter einer Milchglasscheibe in der Erzählung „In Fromentals Haus“ von Dorothea Renckhoff verweisen auf eine Verbindung mit den Verstorbenen, die uns alle begleiten. In „ Frühstück mit Tulpen“ greift Wolfgang Butt im Ersehnen und Warten verbindende Augenblicke als Wir-Erfahrungen auf. Das „solide organisierte, vollkommen verrückte Unternehmen“ KARUSSELL, wie es Andreas Steffens nannte, knüpft mit dem Herbstheft hier an. „Verweile noch“ ist das Thema: Es geht um Augenblicke, um Texte „zum flüchtigen Glück in rauen Zeiten“. Und weiter dreht sich das KARUSSELL. Leidenschaft prägt den Puls. Sie zeigt, wie lebendig Worte, Literatur und Kunst das Leben der Menschen verdauen und gestalten können. Uta Atzpodien

In jeder Buchhandlung sind die aktuellen KARUSSELL-Ausgaben bestellbar

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Phillip Prodger (Hg.), William Eggleston – Porträts, Alessandro Biamonti,

184 S., 122 Farb- und

ArchiFlop, 192 S.,

89 s/w-Abb.,

120 Farbabb., Flexcover,

Hardcover, 28 x 27,5 cm,

25 x 21 cm, DVA, 29,95 €

Scheidegger & Spiess, 48,- €

Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch

Aus anderer Perspektive Das ist spannend. Und es ist traurig. Die Untertitel des Buches ArchiFlop des italienischen Architekten und Dozenten Alessandro Biamonti lauten „Gescheiterte Visionen“ und „Die spektakulärsten Ruinen der modernen Architektur“. Vorgestellt werden auffällige, im Stadtbild nicht zu übersehende Architekturen, die außer Betrieb sind oder nie in Betrieb genommen wurden und nun eine morbid-marode Präsenz besitzen. Eingeteilt in Kapitel und vorgestellt nach einem fixen Schema, sind 26 für das Thema repräsentative Bauten aus der ganzen Welt zu sehen, darunter Hotels, Freizeitparks, Industrieanlagen und ganze Stadtviertel. Die babylonische Hybris konkurriert bisweilen mit dem echten Bedürfnis, notwendige Orte (für die Forschung, gegen die Überbevölkerung) zu schaffen, und was im einen Fall geklappt hat, hat im anderen Fall eben nicht geklappt, wobei das Buch die Gründe des Scheiterns leider nur kursorisch anspricht. So gibt es in Rio de Janeiro die Zwillingstürme Charles de Gaulle und Abraham Lincoln, die jeweils 37 Stockwerke auf 110 m Höhe mit 454 Wohnungen umfassen; Baubeginn war 1969. Während der erste nach wie vor in Betrieb ist, ist der zweite, trotz verkaufter Wohnungen, aufgrund der Insolvenz des Betreibers nie fertiggestellt worden. Qualitäten dieses Buches sind die Klarheit der Struktur und der textlichen Darstellung, gepaart mit ausdrucksstarken Abbildungen, ja, aber manchmal hätte man sich über weitergehende Abbildungsstrecken gefreut. Schlussendlich ist dies ein (vielleicht sogar touristischer) Atlas. Vielleicht muss man aber gar nicht so weit 70

reisen, vielleicht sensibilisiert das Buch mit seiner besonderen Perspektive ja dafür genauer im öffentlichen Raum hinzuschauen. Nach den Porträts der Gebäude kommen nun die Porträts von Menschen, und zwar von einem der bemerkenswertesten Fotografen der Welt. Aber kann William Eggleston überhaupt Porträt? Der 1939 in Memphis geborene Eggleston wurde berühmt mit lapidaren Aufnahmen nahe an der Streetfotografie, oft mit dem Touch des Schnappschusses und das in Farbe. Seine Abzüge nimmt er im Dye-TransferVerfahren vor, mit dem er besonders satte Farben erreicht. Die Porträts nun sind bis in die 70er-Jahre schwarz-weiß und ab 1965 zunächst vereinzelt und dann ausschließlich in Farbe. Sie sind Bildnisse, bei denen die Porträtierten eher selten in die Kamera blicken und oft zufällige Passanten an öffentlichen Orten sind. Daneben hat Eggleston Mitglieder seiner Familie oder befreundete Musiker und Künstler fotografiert. Die Ausschnitte sind oft eng, stellen umso mehr den Porträtierten ins Zentrum. Der Kopf ist verschiedentlich vom Bildrand beschnitten, also es geht um etwas anderes als das reine Aussehen, etwa um Präsenz und darum, ein Bild zu schaffen oder Beziehungen zum Ausdruck zu bringen. Eindrucksvoll ist der Interviewversuch mit William Eggleston mit einer Gelassenheit und in einem Plauderton, der an die vermeintlich lapidare Art seiner Fotografien denken lässt, mitsamt dem plötzlich Zufassenden, das die Gegenstände, Orte und Porträtierten durchdringt.


Ernst Jandl/Ian Hamilton Finlay, not/a concrete pot, Briefwechsel 1964-1985, 232 S., Reprints von Texten, Briefen,

Dorothee Achenbach,

Hardcover, Halbleinen,

Meine Wäsche kennt jetzt jeder,

22,5 x 17 cm, Folio Verlag,

224 S., Klappenbroschur,

28,- €

20,5 x 13,5 cm, Droste, 16,99 €

Also, wer sich für Eggleston, die amerikanische Fotografie oder aber das Porträt im Allgemeinen interessiert, wird kaum an seinen Bildnissen vorbeikommen. Aber auch für alle anderen ist es hochinteressant. Eine andere Form der Wahrnehmung - der Annäherung an Personen und Themen - stellt der Briefwechsel zwischen Ernst Jandl (1925-2000) und Ian Hamilton Finlay (1925-2006) dar. Er erstreckte sich von 1964 bis 1985, ehe die künstlerischen Wege des Österreichers und des Schotten immer weiter auseinandergingen und der Erfolg beider immer weniger Platz für briefliche Korrespondenzen ließ. Es war Jandl, der – motiviert durch Eugen Gomringer – als Erster den Kontakt aufnahm. Finlay antwortete fast umgehend. Beide standen damals am Anfang ihrer Karriere, deren Mittelpunkt in diesen frühen Jahren die konkrete Poesie bildete. Mit dem Austausch von Texten und der gegenseitigen Unterstützung beim Publizieren wuchs schnell die Vertrautheit. Beide berichteten Privates (wobei nun allzu Privates weggelassen wurde) und schrieben über ihre Rolle im Literatur- und Kunstbetrieb und das eigene Werk. Es ist ein Vergnügen, an diesen Entwicklungsromanen teilhaben zu dürfen, die parallel im Originaltext und in der jeweiligen Übersetzung abgedruckt sind, ergänzt um Beispiele der konkreten Poesie und Reprints der Briefe selbst. Ein Kompliment dem Folio Verlag!

Fallhöhe erlebt hat. In ihrem Buch Meine Wäsche kennt jetzt jeder, erschienen beim etablierten Düsseldorfer Droste Verlag, schildert Dorothee Achenbach aus der Innensicht, wie ihre Familie mit all dem umgeht. Das Erzählen gelingt ihr bei aller Tragik leichtfüßig und humorvoll und mit Gespür für die alltäglichen Dinge, die erst das Leben ausmachen. „Ob die Medienschaffenden bedenken, wie sehr auch die Familie unter den in der Öffentlichkeit breitgetretenen Beschuldigungen leidet?“, steht in der Mitte des Buches. Hingegen treten der Kunstbetrieb und der Kunstmarkt völlig in den Hintergrund (obwohl Dorothee Achenbach als Kulturjournalistin auch dazu viel mitzuteilen hätte), vielmehr geht es um eine Korrektur der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit. Deswegen ist auch immer wieder – so ein bisschen als Running Gag – die „weltfremde“ Korrespondenz von Helge Achenbach aus dem Gefängnis eingeblendet. Es gibt bereits eine Fortsetzung in gleicher Aufmachung, Ich liebte Sträfling No 1, und auch für diese gilt, dass das Buch fast in einem Rutsch zu lesen, aber doch eigentlich sehr traurig ist.

Von der bibliophilen Aufmachung ist die partikuläre Biografie von Dorothee Achenbach weit entfernt. Das macht nichts, sie verfolgt andere Ziele. Es ist eine dokumentarische Erzählung in Ich-Form. Dorothee Achenbach ist die (damalige) Frau von Helge Achenbach, dem prominenten Kunstberater, der in Zusammenhang mit seinen Vermittlungsgeschäften verhaftet wurde, also die denkbar tiefste 71


Kulturtipps AUSSTELLUNGEN: Hengesbach Gallery Vogelsangstraße 20, 42109 Wuppertal Mo., 4. Sept., bis Fr., 13. Okt. 2017

current status

Moritz Neuhoff Eröffnung: So., 3. September, 11.30 Uhr

Neuhoff, geboren 1987, studierte an der Kunstakademie Münster. Nach Abschluss der Meisterklasse wechselte er nach Berlin. Neuhoffs malerische Arbeit ist motiviert durch drei grundlegende Faktoren: Erprobung bildnerischer Freiheit in der Überlagerung malerischer Bewegungen, Erfindung und Verwebung von Strukturen, Eintauchenlassen dieser Strukturen in einen scheinbar virtuellen Farb- und Lichtraum. Er hat sich inzwischen eine so virtuose Technik angeeignet, dass selbst der Fachmann nicht zu entschlüsseln vermag, mit welchen malerischen Mitteln seine Bilder entstehen. Seine Bilder täuschen reliefartige Malstrukturen vor und sind doch plan. Diese ungeklärte Räumlichkeit vertieft der Künstler durch eine changierende Farbigkeit, die in ihren Farbwerten und in ihrer bildnerischen Verlaufsstruktur, gleich ob es sich um ein abstraktes Gebilde oder die Knochen eines menschlichen Schädels handelt, etwas Irreales vermittelt. Kann der Bildinhalt etwa – wie bei einem Computerbildschirm – im nächsten Augenblick zu etwas anderem mutieren oder gar verlöschen?

Neuer Kunstverein Wuppertal Hofaue 51, 42103 Wuppertal Fr., 30. Juni, bis Sa., 28. Juli 2017

International Topsellers

Eröffnung: Fr., 30. Juni 2017, 19 Uhr „International Topsellers“ ist ein in Dresden entstandenes Ausstellungsformat, das sich gleichzeitig als performatives Event und raumgreifende Installation präsentiert. Für den Ausstellungsraum konzipiert, interagiert es unter Einbeziehung verschiedener Künstler und ausgewählter Werke an der Schnittstelle von zeitgenössischer Kunst, Mode, Theorie, Konsum und Performance. Grundlegende Thematiken der Ausstellung sind zum einen das künstlerische Werk als Ware und seine Kapitalisierung im Kunstmarktsystem und zum anderen die Frage nach dem Ausstellungsformat und der kuratorischen Praxis in einer Welt der Informationsfülle, Events und digitalen Gleichzeitigkeit. Die speziell für den Neuen Kunstverein Wuppertal entwickelte Ausgabe von INTERNATIONAL TOPSELLERS ist eine Kooperation der Leipziger und Dresdner Ausstellungsräume C. Rockefeller Center for the contemporary Arts (DD), STORE contemporary (DD), Gallery Fist (L) und BSMNT (L) mit Künstlern aus Wuppertal und Umgebung. Sie fördert den Diskurs zwischen Künstlern in Ost- und Westdeutschland.

Moritz Neuhoff, „blank volume“, 2017, Acryl und Tusche auf Leinwand, 200 x 280 cm

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Ulrike Hagemeier, Radierung, 2017

DruckStock Ort für freie Grafik Fr.-Engels-Allee 173, 42285 Wuppertal So., 20. Aug., bis So., 30. Sept. 2017

Mein Sandkasten I.

Radierungen 2017 von Ulrike Hagemeier Eröffnung: So., 20. Aug. 2017, 11.30 Uhr

Skizzenbuch, Radierplatten, eine Farbe: reduziert auf kleinstes künstlerisches Gepäck, arbeitete Ulrike Hagemeier im Januar 2017 im Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop/Ostsee. Strich für Strich entstanden geritzte Kaltnadelradierungen, reduziert auf prägnante Formen vor Ort. Die Langsamkeit des Herstellungsprozesses ist wesentlich für den spannungsgeladenen Ausdruck. In den Arbeiten gibt es keine beiläufigen Striche, keine zufälligen Linien. Entsprechend überzeugen die Drucke durch kontraststarke grafische Linien und Flächen.


Museum Morsbroich Gustav-Heinemann-Straße 80, 51377 Leverkusen So., 21. Mai, bis So., 3. Sept. 2017

Duett mit Künstler_in

Partizipation als künstlerisches Prinzip

Die Ausstellung beteiligt das Publikum am kreativen Prozess. Sie umfasst neben einem historischen Teil über 35 internationale, zeitgenössische künstlerische Positionen und wird auf allen drei Etagen des Museums gezeigt. Mit verschiedenen Medien wie Skulptur, Fotografie, Installation, Video und Performance werden Möglichkeiten der Teilhabe des Besuchers geschaffen. So., 3. September 2017

Museumsfest

Zur Finissage der Ausstellung „Duett mit Künstlerin“ wird zu einem großen Sommerfest auf dem Gelände von Schloss Morsbroich geladen. Die Ausstellung ist bei freiem Eintritt zu erleben, ebenso zahlreiche Events rund um das Schloss.

Dorota Feicht - Skulptur, Thomas Hoffmann - Malerei, Foto: Thomas Hoffmann

konzentriert sich ausschließlich auf die konzeptuellen, abstrakten Werke. Die Skulpturen erschöpfen sich nicht in einer streng minimalen Betrachtungsweise, die jegliche Anspielung auf außerhalb des Kunstwerkes liegende Zusammenhänge von sich weist. Im Gegenteil, die Skulpturen des Künstlers sind aufgeladen mit existenziellen Verweisen. Gerade in ihrer großen Schlichtheit beinhalten die Werke oftmals sehr persönliche Hinweise.

So., 24. September 2017, bis So., 21. Januar 2018

Ins Blaue Art Gallery

Eröffnung: So., 24. Sept. 2017, 12 Uhr

Sa., 9. Sept., bis So., 1 Okt. 2017

Miroslaw Balka (*1958) ist einer der bekanntesten polnischen Künstler seiner Generation. Die Ausstellung

Dorota Feicht - Skulptur Thomas Hoffmann - Malerei Eröffnung: Sa., 9. Sept. 2017, 17 Uhr

Die Spuren – Miroslaw Balka

Siemensstraße 23, 42857 Remscheid

Gottes Werk

Anarchistisch, rebellisch und so ungewöhnlich wie der Titel ist die erste gemeinsame Ausstellung der beiden Künstler Dorota Feicht und Thomas Hoffmann. Die Intensität ihrer Werke boxt förmlich in Kopf und Magen – mal lauter, mal leiser und immer wunderbar bunt und erfrischend. Zu sehen sind großformatige Ölgemälde, Grafiken und Aquarelle des Ma-

Miroslaw Balka, Die Spuren

lers Thomas Hoffmann sowie Skulpturen und Zeichnungen von Dorota Feicht. Geöffnet: Sa. und So., 14-19 Uhr.

galerie#23 Frohnstraße 3, 42555 Velbert-Lgb. Sa., 24. Juni, bis So., 3. Sept. 2017

Fotografische Ansichten

Eröffnung: Sa., 24. Juni 2017, 18 Uhr Ellen Katterbach, Werner Barfus Oster+Koezle, Ulrike Harbach Lars Ulrich Schnackenberg Uwe Priefert, Bernard Langerock Wilfred H.G. Neuse, Anne Kaiser Evangelos Koukouwitakis

Gezeigt wird neben der klassischen Schwarz-Weiß-Fotografie still life photography des Künstler Evangelos Koukouwitakis, die an Werke der Renaissance und des Barock erinnert. Aber auch die experimentelle Fotografie fehlt nicht. Ellen Katterbach arbeitet mit alten Negativen, die sie auf Flohmärkten erworben hat, und setzt sie einem weiteren chemischen Alterungsprozess aus. Fehlen darf auch nicht die Polaroidfotografie sowie ferne Landschaften. Minimalistisch wird es bei Oster+Koezle. 73


MUSIK: Historische Stadthalle Johannisberg 40, 42103 Wuppertal So., 16. Juli 2017, 20 Uhr Großer Saal

Klavier-Festival Ruhr JazzLine Thomas Quasthoff Vocals Frank Chastenier Piano Dieter Ilg Bass Wolfgang Haffner Drums

2012 hat Thomas Quasthoff seine Karriere als klassischer Bassbariton für beendet erklärt – als Jazzcrooner steht er aber weiterhin auf der Bühne, zur Freude seiner zahllosen Fans. Bereits vor seinem Durchbruch als Kammersänger war Quasthoff mit Jazz- und Gospelprogrammen unterwegs. Später tat er sich mit Till Brönner zusammen, um das Jazzalbum „Watch What Happens“ (2006) zu produzieren. Mit seinem kongenialen Partner Frank Chastenier, dem Starbassisten Dieter Ilg und dem so einfühlsamen wie unerschöpflich energetischen Schlagzeuger Wolfgang Haffner war er bereits 2015 bei seinem umjubelten Debüt beim Klavier-Festival Ruhr zu erleben. Jetzt kehren die „Fabulous Four“ zum Klavier-Festival Ruhr zurück! So., 27. August 2017, 11 Uhr Großer Saal Wuppertaler Musiksommer:

Internationaler Orgelwettbewerb

So., 27. August 2017, 18 Uhr Großer Saal Wuppertaler Musiksommer:

Internationale Meisterkurse Eröffnungskonzert der Dozenten Zum Auftakt der Internationalen Meisterkurse 2017 geben die Dozentinnen und Dozenten ein gemeinsames Konzert im Großen Saal der Historischen Stadthalle. Das Programm wird kurzfristig bekannt gegeben.

Laurentiusplatz Wuppertal Sa., 15. Juli 2017, 20 Uhr

Sinfonieorchester Wuppertal

Open Air auf dem Laurentiusplatz Gibt es neben der Historischen Stadthalle in Wuppertal einen noch schöneren Ort für sinfonische Musik als den Laurentiusplatz? Feiern Sie mit dem Sinfonieorchester Wuppertal unter der Leitung von Julia Jones auf dem Laurentiusplatz das Ende einer fulminanten Spielzeit 2016/17.

Kulturzentrum Immanuelskirche Sternstraße 73/Von-Eynern-Straße 42275 Wuppertal Fr., 22. September, 19.30 Uhr

Nadja Singer und Lutz Görner

Rauschmusik und Geschlechtertanz

Preisträgerkonzert

Die strahlenden Sieger des 5. Internationalen Orgelwettbewerbs präsentieren sich im Preisträgerkonzert der Öffentlichkeit.

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Nadia Singer Klavier Lutz Görner Moderation Ein Walzerabend mit Mozart, Schubert, v. Weber, Berlioz, Chopin, Gounod, Debussy, Ravel und Liszt.

Tarab-Ensemble, Foto: Hans-Reiner Häusler

Klangkosmos Weltmusik in NRW Platz der Republik 42107 Wuppertal Do., 13. Juli 2017, 18 Uhr Platzkonzert bei Regen im Nachbarschaftsheim Tarab-Ensemble Solingen Lieder aus der arabischen und kurdischen Musiktradition Saher Baglama & Gesang Azad Santur & Gesang Mohedienn Kanun & Oud Tom Harfe Rafael Saxofon/Dudelsack

Im Herbst 2015 gründete der Solinger Harfenist Tom Daun das Ensemble Tarab, in dem Interpreten der arabischen und kurdischen Tradition gemeinsam mit deutschen Laienmusikern arbeiten. Das Quintett Tarab will keine exotische Musik präsentieren, sondern will den Dialog der Kulturen zum Klingen bringen. Ein neuer stimmiger Klang urbaner Musik unserer Zeit, den die Musiker auf ihren traditionellen Instrumenten erklingen lassen. In dieser außergewöhnlichen Kernbesetzung von Tarab wirken neben Tom Daun der iranische Santur-Spieler Azad Shawaysi, der kurdische Sänger Saher Isa und Mohedienn, Virtuose auf der syrischen Kanun-Zither, mit. Unterstützt wird das Quartett durch den Saxofonisten Rafael Daun.


Nachbarschaftsheim Platz der Republik 24-26 42107 Wuppertal Sa., 15. Juli 2017, 14 bis 17 Uhr

Workshop mit dem Tarab-Ensemble

Eingeladen sind alle Musiker und Laienmusiker aus der Region. Der Workshop gibt einen Einblick in die Welt der orientalischen Musik und Rhythmen. So sollen z. B. gemeinsam ein kurdisches Liebeslied und ein Song der libanesischen Sängerin Fairouz erarbeitet werden. Notenmaterial wird gestellt, das Arrangement wird zusammen erarbeitet. Alle akustischen Instrumente sind „erlaubt“. Bitte eigene Instrumente/Percussion etc. mitbringen. Der Workshop ist kostenfrei. Eine vorherige Anmeldung ist erforderlich: im Nachbarschaftsheim, Platz der Republik, Tel: 0202 245190 oder: mail@global-culture-net.com Teo Otto Theater 42853 Remscheid Konrad-Adenauer-Str. 31-33 Fr., 8. September 2017, 19.30 Uhr Immanuelskirche Sternstraße 73, 42275 Wuppertal Do., 14. September 2017, 18 Uhr

Hawa Kassé Mady Diabate Gesang Lassana Diabaté Künstlerische Leitung, Balafon Mamadou Kouyaté Bass Ngoni

den, die viele Überraschungen bieten und sowohl die koreanischen als auch die deutschen Lieder quasi in ein neues Gewand kleiden.

Das Trio Da Kali vereint drei herausragende Musiker der Mande-Kultur des südlichen Mali, die aus berühmten Griot-Familien stammen. Die Griottes sind die Bewahrer der Geschichte, der oralen Literatur und Musik ihrer Völker, in denen Männer die Instrumente spielen und Frauen Sängerinnen sind. So folgt auch das Trio Da Kali dieser Tradition mit Stimme, Balafon und Bass Ngoni, um zeitgenössische Interpretationen des uralten und fast vergessenen Repertoires erklingen zu lassen. Nach der Zusammenarbeit mit dem Kronos-Quartett wurde Lassana eingeladen, ein vom Sundjata-Epos inspiriertes Stück für die KronosSammlung „Forty For the Future“ zu komponieren. Das Trio spielte auf zahlreichen Festivals in Europa und Afrika. 2012 in der Royal Albert Hall, 2013 London Jazz Festival, Théâtre de la Ville in Paris, 2015 Montreux Jazz Festival.

So., 3. Sept. 2017, 12 bis 18 Uhr

Chinesisches Kostümfest im Garten des Museums Nach einem gelungenen Auftakt in 2016 findet auch in diesem Jahr wieder das Chinesische Kostümfest anlässlich des Mondfests statt. Jeder Besucher ist willkommen.

Li & Peter Hardt Foto: Asiatisches Museum Radevormwald

l’aréna Eventlounge Museum für Asiatische Kunst Sieplenbusch 1, 42477 Radevormwald

Siegesstr. 110, 42287 Wuppertal So., 15. Oktober 2017, 17 Uhr

Ronsdorfer Männerchor

mit der Gesangsabteilung des OTB

Fr., 14. Juli 2017, 19 Uhr

Trio Da Kali Mali

Trio Asieropa – Asien trifft Europa – Musik aus Korea

Mandingue Griots

Das Trio „Asieropa“ mit Hae Min Geßner, Sopran, Young Jae Cho, Gayagûm, und Johannes Geßner, Klavier, findet sich zusammen, um eine faszinierende Synthese deutscher und koreanischer Musik darzubieten. Young Jae Cho aus Korea stellt den Klang der traditionellen koreanischen Wölbbrettzither vor. Dazu sind Stücke entstan-

Gäste: Stefan Lex, Tenor Sigrid Althoff, Klavier

Der Ronsdorfer Männerchor lädt ein zu einem musikalischen Weinfest. In angenehmer Atmosphäre bieten Chor und Solisten einen bunten Strauß beliebter Melodien zum Thema Wein. In der Pause und nach dem Konzert besteht die Möglichkeit, einen guten Tropfen Rebensaft zu genießen. 75

Foto: Youri Lenquette


Sa., 16. Sept. 2017, 19.30 Uhr Premiere So., 1. Oktober 2017, 18 Uhr Sa., 14. Oktober 2017, 19.30 Uhr

Surrogate Cities Götterdämmerung

Musiktheater von Heiner Goebbels und Richard Wagner

Mechthild Großmann, Foto: Bettina Stöß

BÜHNEN: Opernhaus Wuppertal Kurt-Drees-Straße 4, 42283 Wuppertal

Tanztheater Wuppertal Pina Bausch Mi., 12., Fr., 14., Sa., 15., Mo., 17. Juli 2017, jeweils 19.30 Uhr So., 16. Juli 2017, 18.00 Uhr

Ten Chi

Ein Stück von Pina Bausch Inszenierung und Choreografie Pina Bausch

„Surrogate Cities ist der Versuch, sich von verschiedenen Seiten der Stadt zu nähern, von Städten zu erzählen, sich ihnen auszusetzen, sie zu beobachten (…)“ Heiner Goebbels. Richard Wagner beschreibt im „Ring“ das Ende des Naturzustands und den Beginn einer Herrschaftspolitik, die allein auf Machterwerb aus ist und Ethik nicht kennt. Der Besitz des Rings: Allmachtsfantasie und apokalyptisches Versprechen. „Surrogate Cities/Götterdämmerung“ sucht die Querverbindung jener Themen und Motive, die im 3. Akt verhängnisvoll enden. Wie zusammen leben in der Stadtgesellschaft der Zukunft? Krisen und Katastrophen verändern die Haltung der Menschen, doch wie nachhaltig? Was sind die globalen Auswirkungen unserer Lebenshaltung auf die Um-, und Nachwelt? 1994 uraufgeführt, bezieht „Surrogate Cities“ seine Impulse aus Texten, Zeichnungen und Strukturen von Stadtplänen, verwendet Sounds aus Berlin, New York, Tokio und St. Petersburg. Sa., 30. Sept. 2017, 19.30 Uhr Premiere Di., 3. Oktober 2017, 16 Uhr So., 15. Oktober 2017, 18 Uhr Weitere Termine folgen.

Bühne frei ...

Der Sturm

von William Shakespeare Deutsch von Jens Roselt

Das neue Forum für die lokale Kulturszene

... für Theater, Kabarett, Lesung, Musik und andere Aufführungen. Die LARÉ Kulturförderung macht dieses Forum für die lokale Kulturszene im Herzen Wuppertals möglich. Mit anspruchsvoller Ausstattung, modernster Veranstaltungsund Lichttechnik, hoher Flexibilität und Gestaltbarkeit bietet die „l‘aréna“ Eventlocation den idealen Rahmen für eine Vielzahl von Veranstaltungen. Möchten Sie gern eine Tagung, ein Seminar, eine Messe oder eine Feier veranstalten? Nehmen Sie Kontakt zu uns auf. „l‘aréna“ Eventlocation, Siegesstraße 110, 42287 Wuppertal Telefon: 02 02 / 42 97 83 - 50/51/52, info@larena-wuppertal.de

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So zaubern können, dass Sturm und Wasser, Zeit und Raum, An- und Abwesenheit dem Spruch gehorchen: Das vermag Prospero mithilfe Ariels und seiner Geisterschar. Und auch das Theater hat diese Kraft! Mit einem totalen Schiffbruch geht es los: Prosperos Widersacher, die ihn einst als Herzog von Mailand entmachtet haben, werden an den Strand seiner Insel gespült. Hier kann er sie lenken wie Marionetten, sie täuschen und ihnen den Spiegel vorhalten. Prospero, der Mann der Bücher, sucht nicht Rache, sondern Einsicht und Erkenntnis – und einen Gatten für seine Tochter Miranda. Die kann sich nur wundern über die „schöne neue Welt“, die solche Gestalten trägt. Wird Prospero der Zauberei der Bücherwissenschaft entsagen und wieder auf den Thron von Mailand, in die reale Politik zurückkehren?


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Buchhandlung v. Mackensen Fr.-Ebert-Straße/ Ecke Laurentiusstr. 12 42103 Wuppertal Fr., 8. September 2017, 19 Uhr

Maupassant

Arne Ulbricht liest aus seinem Roman

Arne Ulbricht erzählt, wie Guy de Maupassant zu einem der aufregendsten Schriftsteller der Literaturgeschichte wurde, und entwirft das Panorama einer Epoche im Frankreich des Fin de Siècle. Spannend, unterhaltsam und glänzend recherchiert! Arne Ulbricht, geboren 1972 in Kiel, lebt heute in Wuppertal. Bereits vor dem Romanistikstudium begann seine Leidenschaft für Guy de Maupassant, nach jahrelangen Recherchen liegt nun endlich dieser biografische Roman vor. Caritasverband Wuppertal/Solingen e.V.

KuKuNa-Atelier

Hünefeldstr. 52c, 42285 Wuppertal Do., 28. September 2017, 19 Uhr

Der Peter Hammer Verlag Verlagsvorstellung, Lesung und Musik im KuKuNa-Atelier

Der Wuppertaler Peter Hammer Verlag und seine Bücher werden von der Verlagsleiterin Monika Bilstein vorge-

stellt. Die Literatur aus Afrika und Lateinamerika hat sich der Verlag zum Schwerpunkt gesetzt, und so werden auch Bücher von Eduardo Galeano und Mehrnousch Zaeri-Esfahani von Soraya Sala gelesen. Begleitet wird die Vorstellung und Lesung durch Musik aus Afrika und Lateinamerika.

KINO: Alte Feuerwache, Innenhof Gathe 6, 42107 Wuppertal Fr., 14. Juli – So., 27. August 2017

Talflimmern

Kinosommer an der Gathe

Am 14. Juli eröffnet das Wuppertaler Freiluftkino die Saison 2017. Das Festival beginnt mit einem Doppelpack aus Konzert und Filmklassiker. Zunächst wird ab 21 Uhr der Wuppertaler Musiker Jan Röttger auf der Bühne stehen. Im Anschluss an die ungefähr halbstündige Liveshow beginnt die Vorführung von Ridley Scotts legendärem Science-FictionFilm Blade Runner - präsentiert in der vom Regisseur bevorzugten Schnittfassung, dem sogenannten Final Cut. Insgesamt sind für die sieben langen Wochenenden 28 Filmabende geplant, und zum wiederholten Mal gibt es Previews vor dem Bundesstart - beispielsweise On the Milky Road des serbischen Regisseurs Emir Kusturica, Schwarze Katze, Weißer Kater sowie ein Leinwandporträt des berühmten französischen Gitarristen Django Reinhardt: Django – Ein Leben für die Musik. Beide Filme kommen erst im Herbst in die deutschen Kinos. Infos: www.talflimmern.de

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LITERATUR:

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Wasserschloss Lembeck Schloss 1, 46286 Dorsten-Lembeck Sa., 26., und So., 27. August 2017, 10 bis 18 Uhr

Kunstmarkt „FineArts“

Bildende und angewandte Kunst am Wasserschloss Garteneingang der Familie Egbert und Sabine Giesen, Rauhausfeld 7, in Wuppertal-Cronenberg. Foto: Klaus-Günther Conrads

Dies und das: Offene Gartenpforte in Wuppertal, Remscheid, Solingen Sa., 22. und So., 23. Juli 2017, Sa., 16. und So., 17. Sept. 2017

Willkommen in Nachbars Garten!

Private Gartenkultur ist so vielfältig wie die Regionen und wie die Gartenbesitzer selbst. Diejenigen, die Gärten anlegen und pflegen – ob als Biotop oder als Designergarten, ob als Nutzoder Erholungsanlage –, schaffen einen Mehrwert für die Vielfalt an Gestaltung, an Pflanzen, an Tieren oder an Naturelementen. Den Gästen der präsentierten Gärten bieten sich Vorbilder, neue Erkenntnisse und fachlicher Austausch für den eigenen Garten. Blicke hinter Hecken und Zäune zu werfen und sich Anregungen und Inspiration für das Gestalten des eigenen Gartens zu holen, ist ein wesentliches Ziel der „Offenen Gartenpforte“. Aber auch Gemeinschaftssinn, das Teilen der Gartenleidenschaft mit anderen, die Vielfalt der Gartenkultur und die Begeisterung für die Besonderheiten der eigenen Bergischen Region sind Gründe, diese Initiative zu unterstützen. www.offene-gartenpforte-rheinland.de www.wuppertals-gruene-anlagen.de 78

Mehr denn je sind die Grenzen zwischen Kunst und Gebrauchsobjekt fließend. Die Definition von Kunst ist abhängig vom Zeitgeist und unterliegt gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und individuellen Interessen. Hier findet man Akteure mit einer künstlerischen und handwerklichen Qualität, die Inspiration, Schönheit und Tiefe beinhaltet. 160 ausgesuchte Kunstschaffende aus den Bereichen Malerei, Grafik, Illustration, Bildhauerei, Plastik, Objektkunst, Fotografie, Produktdesign. www.kunstmarkt.net

Historisches Zentrum So., 3. Sept. 2017, 11 bis 20 Uhr

Das 6. Wuppertaler Geschichtsfest

diesmal an der Nordbahntrasse Wichlinghauser Straße 34-40

Zum Geschichtsfest 2017 präsentieren sich die Geschichts- und Modellbauvereine, geschichtlichen Initiativen und geschichtlich engagierten Bürgervereine der Stadt an einem besonderen Ort, den ehemaligen Fabrikationshallen der Bob-Textilwerke, gleich am Wichlinghauser Viadukt. Die Vielfalt der Wuppertaler Geschichtskultur kann man an diesem Tag an einem historischen Ort erleben. Die Wuppertal-Achse e.V. und die Stromhistorische Arbeitsgemeinschaft e.V. präsentieren an diesem Tag ihre Sammlungen und Modelle.

Vom Dampfross zum Drahtesel – Die Trasse verändert die Stadt! Im Mittelpunkt des Festes steht – mit Filmen, Vorträgen und Zeitzeugenberichten – die Geschichte der Nordbahntrasse, die ehemalige „Rheinische Linie“. Die Ausstellung mit zahlreichen Fotos zeigt die Bedeutung der Strecke und ihren Niedergang.

Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal Genügsamkeitsstraße, 42105 Wuppertal So., 3. September 2017, 17 Uhr

Die Hofaue

Spaziergang durch eine berühmte Straße zum Tag der jüdischen Kultur Mit Christine Hartung, M.A. Treffpunkt: Hofaue/Ecke Zollstraße

Die Hofaue im Zentrum Elberfelds besitzt eine lange Tradition in der Textilbranche. Schon ab Ende des 18. Jahrhunderts wurden auf den ehemaligen Garten- und Wiesengrundstücken Wohnhäuser gebaut, die den Textilhändlern auch als Geschäftskontore dienten. Im Lauf der Zeit siedelten sich immer mehr Firmen an, sodass die Hofaue am Anfang des 20. Jahrhunderts zu der bedeutendsten Straße der Stadt und zu einem internationalen Zentrum des Textilhandels avancierte. Die großen Geschäftshäuser aus dieser Zeit prägten und prägen zum Teil heute noch das charakteristische Bild dieser Straße. Der Spaziergang führt – anlässlich des Tags der jüdischen Kultur – durch die Hofaue zu verschiedenen Adressen, die mit dem jüdischen Leben Wuppertals eng verbunden sind, und spannt so einen Bogen vom Anfang ihrer Besiedelung bis in die Gegenwart.


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der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen

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Druck: Offset Company, Wuppertal, Auflage: 1 000 Titelbild: Tobias Zielony, aus der Serie Maskirovka, 2016-2017, Archival Pigment

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Print 105 x 70 cm, © Tobias Zielony, Courtesy Tobias Zielony und KOW, Berlin Erscheinungsweise: vierteljährlich Erfüllungsort und Gerichtsstand: Wuppertal Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen. Texte und Fotos: Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt. Haftung oder Garantie für Richtigkeit, Aktualität, Schreibweise, Inhalt und Vollständigkeit der Informationen kann nicht übernommen werden. Kürzungen bzw. Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages.

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