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„Sounds like whoopataal“ – immer noch

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Oh Karl

Oh Karl

Das Drei-Tage-Festival “Brötz 80!” versammelte zwei Generationen Brötzmann und internationale Helden des Free Jazz im Café Ada

„Sounds like Whoopataal“, das ist die gängigste Formel, um zu begreifen und doch nicht auf den Begriff zu bringen, was Wuppertal in der Welt des Modern Jazz so einzig macht. Gemacht hat.

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Manche sind verstorben: Peter Kowald, Hans Reichel, Bernd Köppen, oder verzogen (Rüdiger Carl), haben aufgegeben (Detlef Schönenberg) oder niemals geografisch, nur stilistisch dazugehört (Günter Christmann).

„Sounds like Whoopataal“, schon die sprachliche Gestalt zeigt, dass die Formel nicht „aus dem Tal“ selbst stammt. Wahrscheinlich ist sie am 1. Oktober 2002 in Manhattan, in der St. Patrick´s Church, entstanden, bei der Trauerfeier für Peter Kowald, geboren 1944.

Er war der erste Wuppertaler, der in den USA Fuß fassen konnte. Und es bleibt offen, ob Wolfgang Schmidtke ihn oder Peter Brötzmann (oder doch Hans Reichel) in einer gerne zitierten Anekdote meint: Begegnen sich zwei Wuppertaler auf der jeweils anderen Seite der Fifth Avenue. Überqueren aber nicht die Straße, um sich in der Fremde zu begrüßen. „Den kenn ich doch sowieso aus dem Luisenviertel!“

Die Luisenstraße 116 ist in gewisser Weise der zentrale Ort von „Sounds like Whoopataal“. Hier hat Kowald gewohnt. Das Hochparterre heißt nun auch „ort“. Hier blieb Kowald 1994 ein Jahr lang „vor ort“, um Musikerinnen und Musiker zu Konzerten zu empfangen (u.a. so „ort“-fremde Kollegen wie Heiner Goebbels). Hier, in einer Art verlängertem Wohnzimmer, hat auch ein Flügel Platz, hier pflegt die Peter Kowald Gesellschaft e.V. das Erbe des Namensgebers. In einem sehr weiten Sinne. Brötzmann müsste auch hier nur ums Eck biegen - im „ort“ hat man ihn noch nie gesehen.

Am 6. März wurde Brötzmann 80. Nachdem er den Glückwunschregen in den Medien gut verkraftet hat, lädt er an drei Tagen ein: zu Brötz 80! Nicht in die Luisenstraße, der „ort“ wäre viel zu klein, sondern in den Konzertraum des Café „Ada“.

Und wiederum ist tout Wuppertal versammelt. Die Jazzpolizei (und sie gehört selbst mit dazu) macht wie im „ort“ eine Beobachtung, wie sie sich andern-orts so hermetisch kaum zeigt: Die Fans altern mit ihren Helden. Der „Bunker Ulmenwall“ in Bielefeld winkt mit freiem Eintritt für alle „U18“ - in Wuppertal hätte selbst „U35“ keinen Platz besetzt. Das wäre auch gar nicht nötig gewesen: Das „Ada“ ist ausverkauft.

Erster Festivalabend – 180 Zuschauer, 3G-geprüft, manche aus Warschau, Stockholm, aus Chicago. Selbstverständlich Dieter E. Fränzel, der Herausgeber des Bandes „Sounds like Whoopataal“ (2006), ein Langzeit-Kurator der Wuppertaler Szene, ebenso Ingrid Schuh, Kuratorin aus „Impulse“Zeiten, das komplette „ort“-Team. Bei dem Herrn, der sich aufreizend lang am Bühnenrand hält, soll es sich um den Kulturdezernenten der Stadt handeln.

Das Plakat ist ein Produkt des visuellen Künstlers Peter Brötzmann, auch in dem für ihn typischen Lettering. Die Grafik wird separat als Druck angeboten (100 Euro, Auflage 40), T-Shirts und CDs liegen aus.

Caspar Brötzmann und ... Peter Brötzmann gemeinsam mit

... Hamid Drake

Auch das Programm stammt von Brötzmann.

Keine Begrüßung, es geht einfach los: Brötzmann und drei weitere Saxofonisten, dazu aus Amerika Hamid Drake. Er spielt nur am ersten von drei Festivaltagen. Und alle, die in diesen Tagen den guten Charlie Watts zu einem „Jahrhundert-Drummer“ hochjazzen (!), müssten Buße tun und wenigstens einen Set lang durch den inzwischen auch schon 66-jährigen Drake eingenordet werden. Er wird sich als der überragende Musiker dieses Abends herausstellen.

Der Alte beginnt auf dem Alt. Der Ton ist trocken

und rau, die Phrasen enden in leichtem Vibrato. Brötzmann spielt etwas, das man freie Melodik nennen könnte. Er gibt vor, die anderen orientieren sich an ihm. Und sie entwickeln dabei so viel Geschick, dass die Jazzpolizei unwillkürlich auf den Bühnenboden schaut: ob da nicht Zettel liegen, die wenigstens skizzenhaft die Ordnung vorzeichnen, die sich in immer neuen Konstellationen einstellt.

Aber nein, kein Plan, keine Regie, wie Wolfgang Schmidtke später enthüllt. Lange zögern die vier heraus, was ihnen als Klischee immer wieder vorgehalten wird: die Von-jetztauf-gleich-Raserei, die Ekstase aus dem Stand, die das Gestalten von Prozessen auf Schmalspur reduziert.

Mats Gustafsson, mit seinem Bariton ohnehin akustisch prädestiniert, würde wohl gerne, das merkt man. Aber auch er fügt sich in immer neue Gruppen-Konstellationen, bis hinunter zu kurzen Solo-Vorträgen. Dass dem Rausch nur knappe Zeitfenster vergönnt sind, liegt an Hamid Drake. Der hört viel zu genau hin, kommentiert, bricht auf, hört einfach nicht auf, in „time“-patterns zu agieren. Ja, kurz nachdem Schmidtke das Tenor gegen ein Sopran ausgetauscht hat, landen beide auf einer Art swamp-funk. Aber nur kurz, wir sind ja im Free Jazz.

Zum Schluss treffen sich die vier Saxofonisten (man kriegt die Idee mit dem Zettel nicht aus dem Kopf) tatsächlich auf einem Zentralton. Das war so gelungen, das hätte es gewesen sein können. Aber der Jubilar hat ja, nach Alt und Tarogato (eine Art hölzernes Sopran-Sax), sein Tenor noch nicht vorgeführt. Jaaaa, das verströmt nun den vollen Brötzmann-Sound. Die Zugabe wird ökonomisch gehalten; die fünf merken, sie können das Momentum des ersten Set schwerlich überbieten.

Danach wird man Zeuge dessen, was „Sounds like Whoopataal“ - egal ob aus dem Tal oder von ästhetisch Verwandten - immer auch bedeutet hat: Erweiterung der Spieltechniken. Nun ist es an Per-Åke Holmlander aus Stockholm zu zeigen, was die Tuba so alles zulässt. Die Klang-Charakeristika des Instrumentes, wie üblich, werden so weit wie möglich hinausgezögert, man kommt nicht umhin, Spieltechnik zu bestaunen. Holmlander bezwingt die Tuba tatsächlich mit Zirkularatmung. Er muss mal absetzen, um Wasser zu trinken oder Beifall entgegenzunehmen. Aber was er dann melodisch-thematisch entwickelt, verbindet sich kaum noch mit den avancierten Techniken von zuvor.

Der Alte dankt dem Schweden und kündigt nach

einer Pause „die beiden Brötzmanns“ plus Hamid Drake an. Man möchte nicht in die Köpfe der 180 blicken, um die ausufernde Küchenpsychologie zu erahnen, die dieses Trio dort auslöst - man selbst ist ja auch vollauf damit beschäftigt, die symbolische Aufladung dieser Konstellation größtmöglich unter Kontrolle zu halten. Aber es ist nun mal so: Gegen den Jungen hat der Alte keine Chance, schon akustisch nicht.

Peter, 80, beginnt wieder mit dem Alt, Caspar, 58, (man glaubt es kaum, er könnte für Ende dreißig durchgehen) spielt nicht mal herausfordernd laut. Er ist weit entfernt von jenem Noise Rock, in dem er einen Namen hat. Er bedient eine viersaitige Bassgitarre, aber mit anderen Saiten; er spielt sie oftmals in tapping-Technik wie eine Gitarre, viele düstere Glissandi, schwebende Tonglocken.

Hamid Drake kann viel damit anfangen. Als Duo wären die beiden schon „abendfüllend“. Aber der Junge schaut niemals hinüber zum Alten. Und so klingt es. Was Peter spielt, wird von Caspar nicht aufgenommen. Seine Spielästhetik lässt dies gar nicht zu. Herrje, welche außermusikalischen Bilder wollen sich dazu einstellen!

Die Szene mutet an wie die nachträgliche Ins-Bild-Setzung eines Projektes des kanadischen Klangfantasten John Oswald. Der hat einst ein Free-Jazz-Quartett aus vollkommen separaten Solo-Spuren im Studio zusammengemischt - es hakte irjenswie, aber es hatte auch was.

Hier ist es glücklicherweise der Schlagzeuger Hamid Drake, der die beiden Brötzmann-Generationen in ihren Kammern halbwegs verbindet, indem er mal hier-, mal dorthinein horcht und daraus seine Schlüsse zieht.

„Nicht ganz schlecht“ (Marcel Reif), dass man so etwas auch mal erleben durfte. Michael Rüsenberg / Fotos: Elmar Petzold

Mats Gustafsson, Hans Peter Hiby, Wolfgang Schmidtke und Peter Brötzmann

Zweiter und dritter Festivalabend – Links: Camille Emaille, oben: Heather Leigh

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